Von der Welt im Allgemeinen.

[32] Man spricht sehr viel und sehr oft von der Welt, ohne sie zu kennen. Die Einen sagen von ihr sehr viel Gutes und die Andern eben so viel Böses. Dieser, der ehrgeizig, intriguant und vielleicht noch etwas viel Schlimmeres war, beklagt sich über die Ungerechtigkeit der Menschen; Jener, der selbst ein höchst langweiliger Mensch ist, welcher von nichts als vom Regen oder vom schönen Wetter zu sprechen weiß, raisonnirt über ihre Albernheit.

Will man die Welt betreten, so darf man nicht ganz unbewaffnet sein, aber eben so wenig mit Klauen und Nägeln ausgerüstet. Man muß hellsehende Augen haben, scharfhörende Ohren und einen Mund, der zu schweigen versteht. Als Waffe versehe man sich mit Geist, oder wenigstens mit Kenntnissen; besitzt man weder den einen noch die andern, so zeige man wenigstens gesunden Menschenverstand, ein gesundes Urtheil, und selbst Herz und Gemüth, und man wird in der Welt stets an seinem Platze sein.

Aber es giebt überall, und besonders in jeder großen Stadt, tausend verschiedene Welten. Obgleich das Geld viele Thüren öffnet, giebt es doch auch viele, zu denen es nicht als Schlüssel dient; wer daher in der Welt fortkommen will, dem ist vor allen Dingen zu rathen, daß er sich mit intellectuellen Mitteln versehe: Er wird derselben ganz sicher bei vielen Gelegenheiten bedürfen.

Ohne hier die tausend verschiedenen Welten, deren wir so eben erwähnten, näher zu erörtern, müssen wir gleichwohl sagen, daß jede Classe der menschlichen Gesellschaft, jeder Stand, jede Beschäftigung, so ziemlich eine Welt für sich ist.[33]

Es herrscht in unsern Zeiten allerdings eine gewisse Gleichheit, aber das ist nur die Gleichheit des Geistes, der Bildung.

Der Verstand, die Kenntnisse, die Bildung, und zwar nicht bloß die geistige, sondern ganz besonders auch die gesellschaftliche, sind der Führer, unter dessen Leitung man überall Zutritt erhalten kann. Wäre man auch von der niedrigsten Welt ausgegangen, so kann man doch mit Sicherheit darauf rechnen, in der Welt überall zugelassen zu werden, wenn man nur seine Ehre ohne Makel erhalten hat und sich auf eine passende Weise zu benehmen versteht.

Die Welt, die große, oder vornehme Welt, wird vorzugsweise die Welt des Hofes genannt; wenigstens geben die, welche derselben angehören, kaum noch irgend eine andere zu, die den Namen der Welt vollständig und in der That verdient. In diese Welt gewährt besonders die Geburt das Recht des Zutrittes; indeß öffnen die Thüren derselben sich oft auch vor dem Verdienst und dem Talent.

Die Welt des Müssigganges, des Luxus, des Stolzes und der Vergnügungen, welche der zuerst genannten zunächst steht und in mancher Beziehung einen Theil derselben bildet, ist jene Welt, die am Tage schläft und sich des Nachts amüsirt, die im Sommer auf das Land geht oder in die Bäder reis't und im Winter Theater, Bälle und Assembleen besucht.

Die Beamtenwelt ist wieder eine eigene Welt, die sich oft von allen übrigen sondert, mitunter sogar ziemlich schroff, und die sich nicht selten für besser hält, als die anderen.

Die gelehrte Welt trägt Brillen, oft auch Perücken, beschäftigt sich mit tiefsinnigen, unpractischen und zum Theil sehr unnützen Forschungen und ist, in der Regel, sehr pedantisch.

Die Finanzwelt ist die aufgeblasenste von Allen, daneben aber, der großen Menge ihrer Mitglieder nach,[34] die am Wenigsten durchbildete, bekümmert sich um nichts, als um die Curse, schätzt den Werth des Menschen nur nach seinen Millionen, oder wenigstens nach seinen Hunderttausenden und beurtheilt seine Ehrenhaftigkeit lediglich nach der Püncttichkeit, mit der er seine Wechsel einlös't.

Die Soldatenwelt oder die militärische Welt, hält mehr auf das Schießpulver, als auf das Goldpulver und blendet durch das glänzende Aeußere, durch den Reichthum oder die Sauberkeit der Uniformen gar oft und nicht ohne Absicht, das weibliche Geschlecht. Sie blickt auf die meisten andern Welten mit Stolz herab, weil sie sich vorzugsweise zum Schutze und zur Rettung des Vaterlandes berufen hält, und dadurch für wichtiger und unentbehrlicher, als alle anderen Welten, von deren Mehrzahl sie sich daher auch absondert.

Den grellsten Gegensatz zu der militärischen Welt bildet die bürgerliche Welt, worunter wir indeß hier nicht alle bürgerlichen Classen verstanden haben wollen, sondern vorzugsweise die der Spießbürger, Philister und Krämer. Diese erblickt in dem Träger jeder militärischen Uniform einen Tagedieb und unnützen Brotesser und flieht den Soldatenstand mit ängstlicher Scheu.

Die Journalistenwelt oder die Welt der Zeitungsschreiber ist ein gar eigenes Völkchen. Sie besitzt einen hohen Grad der Einbildungskraft und Erfindungsgabe, weiß über Alles, sowie über Nichts, zu schreiben, und versteht vortrefflich die Kunst des Fürsten Talleyrand: durch die Sprache die Gedanken zu verdecken. Das Sprichwort: Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus, findet auf die Journalistenwelt durchaus keine Anwendung, denn in ihr herrschen Hader, Streit und Zänkerei als eigentlichstes Lebenselement.

Die Theater- oder Coulissenwelt ist unter allen die lustigste, sorgloseste und leichtfertigste, sieht sich aber dennoch, oder vielleicht eben deßhalb, von zahlreichen Individuen aller andern Welten aufgesucht und eignet sich durch den Umgang mit denselben einen glänzenden[35] Firniß an, so daß man bei oberflächlicher Prüfung eine Theaterprinceß oft für eine geborene Fürstin halten könnte.

Die Studentenwelt ist nicht immer vorzugsweise die, welche studirt; vielmehr scheint oft die Kenntniß der Hunde, des Billards und des Bieres für dieselbe Hauptaufgabe des Lebens zu sein.

Endlich giebt es auch noch die Handwerker-und die Arbeiterwelt. Diese haben derbe, oft sogar beschmutzte Hände, dabei aber ein redliches Gemüth und ein offenes Herz. Diese beiden Welten leben eigentlich nur des Sonntags, zuweilen auch noch des Montags; die ganze übrige Woche hindurch aber vegetiren sie nur.

In welcher dieser verschiedenen Welten man sich nun auch bewege, sei es für gewöhnlich, sei es, durch besondere Umstände veranlaßt, für kürzere oder längere Zeit; so muß man sich doch stets dem Tone, den Gewohnheiten und Gebräuchen derselben anzupassen und die in ihr herrschenden Vorschriften zu befolgen wissen, selbst wenn sie mit den eigenen Neigungen und Ansichten nicht ganz übereinstimmen, denselben wohl sogar hier und dort geradezu widersprechen.

So hoch man aber auch in der Reihenfolge der verschiedenen Welten aufwärts steigen möge, darf man nie über die erröthen, von welcher man ausgegangen ist. Sie verleugnen wollen, hieße sich mancher Lächerlichkeit aussetzen.

Mit einem gewissen vornehmen Mitleid sagte ein Mitglied einer der vornehmeren Welten zu einem sogenannten Emporkömmling: »Es giebt in jeder Welt rechtschaffene Menschen.«

Er wurde durch die treffende Antwort beschämt:

»Sehr richtig, ebenso wie es in jeder Welt Schelme giebt. Der rechtschaffene Mensch aber hat das Recht, den Kopf hoch zu tragen, welchem Stande er auch angehören möge.«

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 32-36.
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