Der Brand der Neustettiner Synagoge vor den Schwurgerichten zu Köslin und Konitz

[13] Im Herbst 1878 wurde bekanntlich, angeblich aus Anlaß der Attentate von Hödel und Nobiling, die sozialdemokratische Partei unter ein Ausnahmegesetz gestellt. Das am 21. Oktober 1878 vom Reichstage beschlossene »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« hatte gewissermaßen eine politische Kirchhofsruhe zur Folge. Über Berlin-Potsdam und zweimeiligen Umkreis wurde sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes der »Kleine Belagerungszustand« verhängt. Auf Grund dieses Gesetzes wurden sogleich 45 bekannte Sozialdemokraten ausgewiesen. Es herrschte geradezu ein panischer Schrecken, denn die Polizei konnte jeden Menschen ohne Angabe von Gründen ausweisen. Selbstverständlich wagte es in Groß-Berlin und Potsdam niemand mehr, sich als Sozialdemokrat oder auch nur als Demokrat zu bezeichnen, die sofortige Ausweisung wäre ihm sicher gewesen. Der Ausgewiesene erhielt zumeist den Befehl, innerhalb drei Tagen, bisweilen auch innerhalb drei Stunden, das Gebiet des »Kleinen Belagerungszustandes« zu verlassen. Wer diesem polizeilichen Befehl nicht nachkam, wurde verhaftet, wegen Bannbruchs mit Gefängnis bestraft und nach der Strafverbüßung mittels polizeilicher Eskorte aus dem Gebiete des »Kleinen Belagerungszustandes« entfernt. Ob die Ausgewiesenen das erforderliche Reisegeld besaßen, ob Frau und Kinder durch die gewaltsame Entfernung des Gatten und Vaters dem Elend und dem Hunger preisgegeben waren, war kein Hinderungsgrund, dem Ausweisungsbefehl den nötigen Nachdruck zu verleihen. Wenn ein Ausgewiesener in heller Verzweiflung die polizeiliche Ausweisungsstelle fragte, weshalb[13] er ausgewiesen werde, da er sich doch seit Inkrafttreten des Sozialistengesetzes jeder agitatorischen Tätigkeit enthalten habe, da wurde ihm geantwortet: »Die Polizei ist gesetzlich nicht verpflichtet, den Ausweisungsbefehl zu begründen; nehmen Sie an, der Polizei gefällt Ihre Nase nicht.« Ein Rechtsmittel gegen die polizeiliche Ausweisung gab es nicht. Selbst am Weihnachtsheiligabend mußten brave, fleißige Arbeiter Frau und Kinder in Hunger und Elend zurücklassen, den Wanderstab ergreifen und das Weichbild Berlins verlassen. Den Lebensunterhalt mußten sich diese wegen ihrer politischen Gesinnung Ausgestoßenen

durch Betteln

verschaffen. Die hinterbliebenen Frauen und Kinder mußten naturgemäß auch betteln gehen, wenn sie nicht verhungern wollten. Jeder, der diese armen Leute unterstützte, geriet in Gefahr, ebenfalls ausgewiesen wiesen zu werden. Der damalige Besitzer der großen Spindlerschen Färberei, William Spindler, ein mehrfacher Millionär, war nicht Sozialdemokrat, aber bürgerlicher Demokrat und ein glühender Verehrer Johann Jacobys. Es war bekannt, daß William Spindler, den leider schon sehr lange der kühle Rasen deckt, ein Philanthrop im vollsten Sinne des Wortes war. Es war William Spindler geradezu Herzensbedürfnis, Tränen zu trocknen, Not und Elend zu lindern. Es war daher selbstverständlich, daß die Hinterbliebenen der Ausgewiesenen in großen Scharen den Wohltätigkeitssinn Spindlers in Anspruch nahmen. Meines Wissens nach ist William Spindler, dieser selten edelmütige Mensch, als

einer der größten Wohltäter der Menschheit

zu bezeichnen.

Diese vielen Unterstützungen der Hinterbliebenen Ausgewiesener kamen naturgemäß sehr bald zur Kenntnis der Polizei, zumal das Spitzeltum in üppigster Blüte stand. Nach damaliger Ansicht der Polizei hatte William Spindler die polizeilichen Maßnahmen zur Unterdrückung der Sozialdemokratie durch seine Unterstützung zu lähmen versucht, er war daher nach polizeilicher Anschauung für die Ausweisung[14] reif. Allein Spindler war Besitzer eines ausgedehnten Fabriketablissements. Er beschäftigte mehrere tausend Arbeiter. Einen solchen Mann auszuweisen, erschien der Polizei als Risiko. Wenn durch die Ausweisung Spindlers mehrere tausend Arbeiter brotlos würden? Es herrschte ohnedies große Arbeitslosigkeit in Berlin und es war Winter. Da bat eines Tages der Vorstand des betreffenden Polizeireviers Herrn Spindler, ihm eine Unterredung zu gewähren. Bereitwilligst empfing William Spindler den Polizeileutnant mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit. Herr Spindler, so etwa äußerte der Polizeioffizier, es wird Ihre Ausweisung in Erwägung gezogen. Ich habe deshalb den Auftrag erhalten, Sie zu fragen, ob, wenn das geschähe, Ihr Etablissement fortbestehen würde. William Spindler antwortete: Ihre Mitteilung kommt mir nicht überraschend. Angesichts der Praktiken der Berliner Polizei habe ich sie längst erwartet. Ich werde, sobald ich den Ausweisungsbefehl erhalten habe, mich vielleicht am Gardasee oder am Golf von Neapel niederlassen und selbstverständlich, da ich fern von Berlin weilen muß, mein Etablissement sofort auflösen. Zu meinem großen Bedauern würden dadurch einige tausend Arbeiter brotlos werden. Die Verantwortung hat aber alsdann die Berliner Polizei und nicht ich.

Sie würden also bestimmt Ihre Etablissements schließen und Ihre Arbeiter entlassen, wenn Sie den Ausweisungsbefehl erhielten, fragte der Polizeileutnant. Mein fester, schon lange gefaßter Entschluß, erwiderte William Spindler. Der Polizeioffizier empfahl sich und – die Ausweisung Spindlers unterblieb. Einige Monate vor Erlaß des Sozialistengesetzes hatte Hofprediger Stöcker zwecks Bekämpfung der Sozialdemokratie die christlichsoziale Partei begründet. Nachdem die Sozialdemokratie von der öffentlichen Bildfläche verschwunden war, wurde es in den christlich-sozialen Versammlungen langweilig. Es ging doch nicht an, fortdauernd eine Partei zu bekämpfen, die in der Öffentlichkeit nicht mehr existierte. Auch in höheren Kreisen schien man die politische Kirchhofsruhe unangenehm zu empfinden. Es mußte ein anderes Angriffsobjekt gefunden werden. Und dies fand sich sehr bald.

Im September 1879 berief Stöcker nach dem Saale[15] »Zum Deutschen Kaiser« eine öffentliche Versammlung mit der Tagesordnung

die Judenfrage.

Und siehe da, während die Versammlungen der christlich-sozialen Partei lange Zeit eine gähnende Leere aufwiesen, war der große, im Norden Berlins, Elsässer Straße belegene Saal schon eine volle Stunde vor Beginn der Versammlung überfüllt, so daß die Polizei sich genötigt sah, den Saal abzusperren. Auf der Straße standen viele Tausende, die vergeblich Einlaß begehrten. Eine starke Polizeimacht zu Fuß und zu Pferde hatte alle Mühe, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Unglücksfälle zu verhüten. Alle ferneren Versammlungen, sammlungen, in denen die Judenfrage auf der Tagesordnung stand, hatten sich desselben zahlreichen Zulaufs zu erfreuen. Von dieser Zeit ab begann der Antisemitismus Orgien zu feiern, denn die Stöckersche Agitation wurde sehr bald von einer Anzahl Gymnasiallehrer und katilinarischen Existenzen aller Art weit überboten. Es wurde eine

Judenhetze

entfacht, die an die Zeiten des finsteren Mittelalters erinnerte. Diese Hetze verpflanzte sich sehr bald in das Reich und ergriff auch das Ausland. Das alte Märchen, daß die Juden alljährlich um die Osterzeit ein Christenkind schlachten, weil sie Christenblut zu den Mazzes nötig haben, wurde, wieder aufgetischt. In Rußland, Österreich und Rumänien fanden blutige Judenverfolgungen statt. In Frankreich begann die Dreyfushetze: In Südungarn waren eine Anzahl Juden angeklagt, die vierzehnjährige Dienstmagd Esther Solimosi zu rituellen Zwecken in der Tisza-Eszlarer Synagoge geschlachtet zu haben. In einer Reihe pommerscher Städte fanden arge Ausschreitungen gegen Juden statt. Zur Ehre der Arbeiter sei es gesagt, diese hatten den reaktionären Schwindel durchschaut und gingen den Antisemiten nicht ins Garn. Die Bewegung mußte daher schließlich scheitern, da sie im Volke keinen Boden fand. Der beste Boden für den Antisemitismus waren die Gegenden, in denen die Großindustrie wenig entwickelt und das Kleinbürgertum noch in der Mehrheit war. Dies war in Pommern und ganz besonders[16] in Neustettin der Fall. Dort erschien die »Norddeutsche Presse«, ein antisemitisches Schmutzblättchen, das in Judenhetze geradezu Unglaubliches leistete. Im Sommer 1881 kam es zu argen Judenkrawallen, wobei die Wohnungen und Läden der Juden arg demoliert wurden. Allein, schon lange vorher war dort die Spannung aufs höchste gestiegen. In dieser Zeit, im Februar 1881, kam der ehemalige Berliner Mädchenschullehrer, später Redakteur eines in Berlin unter Ausschluß der Öffentlichkeit erschienenen antisemitischen Blättchens, genannt »Der Reichsherold«, Dr. Ernst Henrici, der noch jetzt in Leipzig lebt, nach Neustettin. Er hielt in einer Volksversammlung eine antisemitische Hetzrede, wie sie schlimmer nicht gedacht werden kann. Einige Tage darauf ging in Neustettin die Synagoge in Flammen auf. Wodurch das Feuer entstanden, ist nicht aufgeklärt worden. Allein, Zündstoff war im Städtchen zur Genüge vorhanden, der Brand der Synagoge brachte die Gemüter in Siedehitze. Die Juden gaben der Ansicht Ausdruck: Die Antisemiten haben aus Judenhaß das Gotteshaus angesteckt. Die Antisemiten behaupteten dagegen: Die Juden haben ihren Tempel in Brand gesetzt, um das Verbrechen den Christen in die Schuhe zu schieben. Die Staatsanwaltschaft leitete eine umfassende Untersuchung ein. Eines Tages wurden fünf Juden, und zwar der ehemalige Tempeldiener Lesheim nebst seinem damals vierzehnjährigen Sohn Leo, der 71jährige Rentier Heidemann und dessen Sohn und der Tempeldiener Löwenberg verhaftet. Sie wurden wohl sehr bald gegen Stellung einer Kaution aus der Haft entlassen, die Anklage gegen sie aber erhoben. Ende Oktober 1883 hatten sich Lesheim, Vater und Sohn, und Löwenberg wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Brandstiftung, Heidemann, Vater und Sohn, weil sie von einem gemeingefährlichen Verbrechen zu einer Zeit, in welcher die Verhütung noch möglich war, glaubhafte Kenntnis erhalten und es unterlassen hatten, der Behörde Anzeige zu machen, vor dem Schwurgericht zu Köslin zu verantworten. Den Vorsitz des Schwurgerichtshofs führte Landgerichtsdirektor Burow. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Pinoff. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Dr. Erich Sello (Berlin) und Justizrat Scheunemann[17] (Neustettin). In diesem Prozeß, der in der ganzen Kulturwelt mit größter Spannung verfolgt wurde, hatte der damals 31jährige Rechtsanwalt Dr. Sello seinen Weltruf als Verteidiger begründet. Die Angeklagten bestritten mit vollster Entschiedenheit die ihnen zur Last gelegten Handlungen.

Synagogenvorsteher Löwe (Neustettin) bekundete als Zeuge:

Ich nehme an, daß das Feuer von ruchloser Hand angelegt war, denn der Tempel war nach Verlauf von kaum zwei Stunden vollständig niedergebrannt. Ich habe ein Fenster ausgehoben; es war das in derselben Weise geschehen, wie im Jahre 1863, zu welcher Zeit einmal in böswilliger Weise Thorarollen zerschnitten wurden, ohne daß es gelungen wäre, der Täter habhaft zu werden. Die Synagoge war bei der Magdeburgischen Feuerversicherungs-Gesellschaft mit etwa 20000 Mark versichert. Die Gemeinde erhielt als Versicherungssumme nur etwa 19000 M., da für die Abnutzung Abzüge gemacht wurden. Es ist richtig, daß wir vor etwa drei bis vier Jahren den Beschluß faßten, eine neue Synagoge zu bauen, da die alte sich als zu klein erwies. Es wurde auch ein Bauplatz von uns angekauft, da dieser sehr billig war; allein die Kosten für den Neubau erschienen uns doch zu hoch. Deshalb beschlossen wir: von dem Neubau Abstand und einen Ausbau der alten Synagoge vorzunehmen. Dies geschah etwa zwei Jahre vor dem Brande. Die Bänke der Synagoge wurden renoviert, neue Teppiche gelegt und die Synagoge durch bessere Einteilung der Plätze bedeutend vergrößert. Wir haben infolge dieses Ausbaues noch etwa 11-12000 Mark Schulden. Der Schaden, der infolge der Feuersbrunst der Gemeinde, aber auch vielen Gemeindemitgliedern zugefügt wurde, ist ein sehr bedeutender. Wir hatten mehrere kostbare Silbergeräte, acht sehr wertvolle Thorarollen mit schweren Silberbehängen ausgestattet. Von alledem wurde nicht das mindeste gerettet. Mir persönlich gingen, außer wertvollen Gebetmänteln, Reliquien verloren, die mir ein teures Andenken von meinen Eltern, Großeltern und Urgroßeltern waren. Ähnliche Verluste haben noch eine Reihe anderer Gemeindemitglieder zu beklagen, ohne daß auch nur der mindeste Ersatz dafür jemandem geworden ist. Der Frauenchor ist allerdings einmal, etwa zwei[18] Jahre vor dem Brande, kurze Zeit mit Petroleum erleuchtet worden. Die Petroleumbeleuchtung ist jedoch seit dieser Zeit, da sie sich als unpraktisch erwies, nicht mehr in Anwendung gekommen.

Vors.: Es wird behauptet, daß vor dem Brande eine Anzahl Leuchter aus dem Tempel geschafft wurden?

Zeuge: Wir hatten uns zu jener Zeit einige Kronleuchter von der Bärwalder Gemeinde geliehen; die bekundete Wegschaffung kann sich nur auf diese Leuchter beziehen.

Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bekundete der Zeuge: Die jüdische Gemeinde zu Neustettin hatte gleich nach dem Brande eine hohe Belohnung auf Ergreifung der Täter ausgeschrieben.

Vors.: Es wurde damals von vielen Ihrer Glaubensgenossen in Neustettin die Äußerung gemacht: »das haben uns die Antisemiten getan«, wie kam das?

Zeuge: Am Sonntag vor dem Brande hielt der bekannte Dr. Henrici aus Berlin in Neustettin in einer antisemitischen Versammlung eine »Brandrede«; aus diesem Umstande gelangten wir zu der Vermutung: Einige Antisemiten haben, durch die Rede Henricis aufgehetzt, aus Haß gegen die Juden den Tempel in Brand gesteckt.

Vors.: Einen weiteren Anhalt zu dieser Vermutung hatten Sie nicht?

Zeuge: Nein. Auf Befragen des Verteidigers, R.-A. Dr. Sello, bekundete noch der Zeuge: Kurz vor dem Brande sei in der in Neustettin erscheinenden »Norddeutschen Presse« ein Feuilleton mit der Überschrift: »Dr. Martin Luther und die Judenfrage« erschienen. In diesem Feuilleton hieß es: »Was wollen wir Christen nur tun mit diesem verdammten Volk der Jüden? Ich will meinen treuen Rat geben: Erstens, daß man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, daß kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich.«

Ingenieur Schreiber, der den Ausbau der abgebrannten Synagoge geleitet hatte, bekundete: Die Synagoge sei nach erfolgtem Ausbau bedeutend mehr wert gewesen, als die Versicherung betrug. Genaueres könne er hierüber nicht sagen. Das Fenster der Synagoge habe zwei Meter über der Erde gelegen, so daß ein Einsteigen in das Gotteshaus immerhin möglich gewesen sei.

Bau-Inspektor Kleefeldt: Die Dielen der abgebrannten[19] Synagoge müssen zweifellos vollständig mit einer leicht brennbaren Flüssigkeit begossen gewesen sein, sonst wäre ein gänzliches Verbrennen des Fußbodens nicht möglich gewesen. Von der der Synagoge gegenüberliegenden Elementarschule vermochte man aus dem einen Klassenzimmer wohl sehr genau den ganzen Synagogenplatz zu übersehen. Ein Fenster des Klassenzimmers, aus welchem Schüler ihre Wahrnehmungen gemacht haben wollen, war jedenfalls durchsichtig.

Frau Jasse: Ich wohnte dicht neben der Synagoge, es fiel mir auf, daß in der Woche vor dem Brande alle Morgen die Synagoge erleuchtet war, während man in der Woche, in der die Feuersbrunst stattfand, niemals Licht in der Synagoge sah. Etwas Auffälliges in der Gegend der Synagoge habe ich am Vormittage vor dem Brande nicht wahrgenommen. Am folgenden Tage sah ich, wie der Tempeldiener Löwenberg verkohlte Gebetbuchblätter auf der Brandstätte aufsammelte; Petroleumgeruch habe ich nicht wahrgenommen. Am Vormittage vor dem Brande habe ich an der Südseite der Synagoge ein Fenster geöffnet gesehen. Auf Befragen des Vert. R.-A. Dr. Sello gab die Zeugin zu: sie habe zu einer Frau Löwenberg gesagt, daß sie kurz vor dem Brande einen Mann in der Synagoge gesehen habe. Sie habe dies aber nur gesagt, um Frau Löwenberg zu ärgern, da diese fortwährend behauptete: die Christen haben auf Befehl von Henrici die Synagoge angesteckt.

Rentier Biedenweg: Ich wohne dicht neben der abgebrannten Synagoge. Am Tage des Brandes, vormittags gegen acht Uhr sah ich an der Südseite der Synagoge ein Fenster geöffnet. Gegen zehn Uhr vormittags war es jedoch wieder geschlossen.

Vors.: Irren Sie sich auch nicht in der Zeit?

Zeuge: Nein, ich weiß es noch ganz genau.

Dieser Zeuge sowie dessen Ehefrau behaupteten aufs bestimmteste: Mehrere Wochen vor dem Brande haben sie alle Morgen die Synagoge erleuchtet und in der Synagoge Leute gesehen. Auch haben sie Gemurmel gehört, so daß sie annahmen: es sei Gottesdienst in der Synagoge. In der Woche, in welcher die Feuersbrunst stattfand, war die Synagoge nicht erleuchtet.

Synagogen-Vorsteher Löwe und Angekl. Löwenberg bezeichneten diese Wahrnehmung als Irrtum.

Rabbiner[20] Dr. Hoffmann (Neustettin): Im Winter pflegte an Wochentagen nicht regelmäßig Frühgottesdienst zu sein. Jedenfalls ist es ein Irrtum, daß in der Woche vor dem Brande regelmäßig Frühgottesdienst gewesen sei.

Frau Kapitzke: Am Tage des Brandes, vormittags neun Uhr, habe sie ein Fenster in der Synagoge geöffnet und nicht wieder geschlossen gesehen. Durch die Fenster-Öffnung habe sie einen Mann in der Synagoge gesehen, der der Statur nach der Angekl. Lesheim sen. gewesen sein kann.

Vert. R.-A. Dr. Sello machte darauf aufmerksam, daß die Zeugin, als sie einige Tage nach dem Brande vernommen wurde, gesagt habe: Sie habe gegen neun Uhr vormittags das Fenster ausgehoben und um zehn Uhr wieder eingehängt und geschlossen gesehen. Auch habe sie damals mit ziemlicher Bestimmtheit den Angekl. Löwenberg, der viel größer und breitschulteriger als Lesheim sen. ist, als diejenige Person bezeichnet, die sie im Tempel gesehen habe.

Ein weiterer Zeuge war Lehrer Pieper: Ehe ich meine Aussage mache, muß ich bemerken, daß mir eine Drohung gemacht wurde. (Bewegung.) Der Schuhmacher Schucker sagte mir: Herr Staatsanwalt Pinoff habe zu ihm geäußert: Er werde mich und Schucker meiner Aussage wegen verfolgen, mit den Neustettinern werde er schon fertig werden, Ich fühle mich seitdem etwas beengt.

Vors.: Lassen Sie dies beiseite und machen Sie Ihre Aussage, wie Sie sie vor Ihrem Gewissen verantworten können.

Zeuge: Das werde ich tun. Ich bitte jedoch den Herrn Vorsitzenden um Schutz, denn ich bin bei dem Termine am 18. Mai von dem Herrn Justizrat Scheunemann beleidigt worden.

Vors.: Das ist ja meines Amtes, es wird keine Beleidigung vorkommen.

Zeuge: Am 18. Februar 1881 gegen elf Uhr vormittags habe ich von meinem, der Synagoge gegenüberliegenden Klassenzimmer aus dem Dache der Synagoge Rauch herauskommen sehen. Ich habe nicht geglaubt, daß das Feuer war. Gleich darauf sah ich die beiden Lesheim aus der Synagoge herauskommen. Die Lesheim gingen um die Synagoge herum; Lesheim jun. hatte einen Stuhl in der Hand, den er an ein Fenster stellte. Lesheim sen. stieg auf den Stuhl, nahm einen Fensterflügel heraus und stellte ihn an die[21] Außenwand der Synagoge. Bald darauf waren die beiden Lesheim verschwunden. In demselben Augenblicke sah ich dicke Rauchwolken aus den Synagogenfenstern dringen. Nun sagte ich zu meinen Schülern: Es ist doch Feuer. Ich lief aus der Schule und nun kamen die beiden Lesheim bei mir vorüber. Ich fragte: Ist Feuer? Die Lesheim antworteten jedoch nicht. Sie gingen bis auf den Marktplatz und riefen alsdann Feuer. Die Kinder sagten mir: sie haben schon vor einiger Zeit den Lehrer Hübner und den alten Heidemann in den Tempel gehen sehen.

Vors.: Warum haben Sie Ihre so wichtigen Wahrnehmungen so spät gemacht; es wird Ihnen doch bekannt kannt gewesen sein, daß in Zeitungen hohe Belohnungen auf Ermittelung der Täter ausgesetzt waren?

Zeuge: Das war mir bekannt; aber es gibt Sachen, wo man der Frau folgen muß, und zu diesen gehört die vorliegende. (Heiterkeit.) Ich erzählte meine Wahrnehmungen gleich nach dem Brande in meiner Privatwohnung, in Gegenwart einer Frau Hirschberg, und zwar ganz besonders, weil ein Journalist, namens Michow, mir gegenüber äußerte: der Tempelbrand sei das Resultat der Judenhetze. Ich war auch willens, meine Wahrnehmungen dem Herrn Bürgermeister und der »Presse« mitzuteilen und hatte sie auch bereits zu Papier gebracht. Als meine Frau dies sah, sagte sie: »Du sollst die Hand davon lassen, du hetzt dir alle Juden auf den Hals.« Ich erwiderte: Doch, ich schicke das Schriftstück ab. Meine Frau äußerte: Wenn du das tust, so sollst du einmal sehen, dann setzt es etwas. (Große allgemeine Heiterkeit.) Der Vorsitzende ermahnte das Publikum zur Ruhe und drohte im Wiederholungsfalle, den Zuhörerraum räumen zu lassen. Zeuge (fortfahrend): Ich fügte mich also dem Willen meiner Frau und unterließ die Anzeige. Etwa ein Jahr darauf erzählte ich meine Wahrnehmungen gelegentlich dem Lehrer Hübner. Dieser stellte mich ob meines schweigenden Verhaltens zur Rede und forderte mich zur Anzeige auf. Ich äußerte nochmals, daß ich, in Rücksicht auf meine Frau, auch heute noch nicht die Anzeige machen wolle. Der Lehrer Hübner drang jedoch in mich mit dem Bemerken, daß er anderenfalls selbst diese Wahrnehmungen dem Bürgermeister mitteilen werde. Infolgedessen[22] entschloß ich mich zur Anzeige. Auf Veranlassung des Hübner fragte ich einige Schüler, ob sie sich jenes Vorganges noch erinnern. Einige erinnerten sich der Vorgänge noch. Ich machte nun dem Herrn Bürgermeister Anzeige.

Vert. Justizrat Scheunemann: Ich bin jetzt in der Lage, die erwähnte angebliche Beleidigung, die ich dem Zeugen gegenüber gemacht haben soll, aufzuklären. Einer der Hauptzeugen, der Malerlehrling Denzin hatte bekundet, er habe von seinem Platze aus gesehen, wie am Tage des Brandes Heidemann Vater, Sohn und Enkel mehrfach aus ihrem Hause getreten und in die Synagoge gegangen seien. Es wurde deshalb der Versuch unternommen, an Ort und Stelle zu prüfen: ob es möglich sei, von dem Platze des Denzin die betreffende Wahrnehmung zu machen. Herr Bauinspektor Kleefeldt stellte fest, daß, wenn man von der ersten Bank am Fenster in einer gewissen Körperstellung sich befand, zu dem Heidemannschen Hause hinübersehen konnte. Als ich die Bemerkung machte: In dieser Stellung hat sich Denzin unmöglich befunden, antworteten mir die Kinder: Ja, so stand Denzin immer; Herr Lehrer Pieper antwortete: Wenigstens befand er sich sehr oft in dieser Stellung. Darauf versetzte setzte ich: Ein Lehrer, der so etwas duldet, verdient kassiert zu werden.

Der Zeuge bestritt die Richtigkeit dieser Behauptung.

Vert. R.-A. Dr. Sello: Ist es wahr, daß der Herr Zeuge von seiner vorgesetzten Behörde einmal einen Verweis erhalten hat, weil er beim Religionsunterricht eine beschimpfende Äußerung gegen eine alttestamentarische Persönlichkeit gebrauchte?

Zeuge (zögernd): Das kann ich nur beantworten, wenn es mir genauer gesagt wird.

Dr. Sello: Dem Herrn Zeugen muß ja doch so etwas erinnerlich sein; die beschimpfende Äußerung dokumentiert Ihre antijüdische Gesinnung.

Zeuge: Ich bin 35 Jahre im Amte und kann mich an alle Vorgänge, die während dieser Zeit passierten, nicht mehr erinnern.

Dr. Sello: Der Herr Zeuge befindet sich ja in einer peinlichen Lage; nach seiner dilatorischen Antwort erkläre ich mich zufrieden.

Malerlehrling Denzin (16 Jahre alt) bekundete, daß er vom Schulzimmer aus am fraglichen Freitagvormittag, kurz vor Ausbruch des Feuers die Heidemann, Vater Sohn und Enkel,[23] aus ihrem Hause heraus in die Synagoge gehend gesehen habe und daß er auch die beiden Lesheim die Manipulation mit dem Stuhle habe machen sehen.

Auf Befragen des Vert. R.-A. Dr. Sello bekundete der Zeuge, daß er diese Wahrnehmungen stehend gemacht habe.

Vors.: War Ihnen denn gestattet zu stehen?

Zeuge: Wenn der Lehrer mich etwas fragte, mußte ich doch aufstehen; bei solchen Gelegenheiten sah ich auch oftmals zum Fenster hinaus.

Bauinspektor Kleefeldt: Von der Mittelbank, von der aus der Zeuge seine Wahrnehmungen gemacht haben will, ist es unmöglich, die Heidemannsche Haustür zu sehen.

Vom Vorsitzenden nochmals befragt, erwiderte Denzin. Er habe nur den Giebel des Heidemannschen Hauses gesehen, im übrigen bleibe er bei seiner Aussage.

Auf Antrag des Vert. R.-A. Dr. Sello stellte der Vorsitzende aus den Akten fest, daß der Zeuge bei seiner Vernehmung bekundet habe, er habe bei seiner Wahrnehmung auf der fünften Bank gesessen und habe die Heidemann, Vater, Sohn und Enkel, mehrfach aus ihrer Haustür treten sehen. Bauinspektor Kleefeldt erklärte wiederholt, von der fünften Bank jenes Schulzimmers konnte der Zeuge seine Wahrnehmungen nur, entweder auf dem Tische sitzend oder auf der Bank stehend, machen. Vom Vorsitzenden auf dieses Gutachten aufmerksam gemacht, sagte Denzin: Er wolle nicht behaupten, daß er die Heidemanns aus der Haustür habe treten sehen; in die Synagoge habe er sie aber gehen sehen; ebenso habe er die erwähnte Manipulation der Lesheim gesehen.

Auf Befragen eines Geschworenen, wieviel Liter Petroleum wohl zur Imprägnierung der Dielen erforderlich gewesen seien, bemerkte Bauinspektor Kleefeldt: Es kommt auf die Art des Begießens an; unter Umständen ist ein Ballon erforderlich gewesen, es können aber auch vier Liter genügt haben.

Arbeiter Buchholz, der längere Zeit bei den Angeklagten Heidemann in Diensten gestanden hatte, bekundete: Er habe am Tage des Brandes den Angeklagten Löwenberg gegen fünf Uhr morgens mit einer Petroleumkanne in die Synagoge gehen sehen.

Vors.: Im Monat Februar ist es doch des Morgens um fünf Uhr noch ganz finster?

Zeuge:[24] Es lag Schnee, dieser verbreitete etwas Helle.

Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden sagte der Zeuge: Gegen zehn Uhr vormittags hat mich der junge Heidemann aufgefordert, mit Dung aufs Feld zu fahren. Kaum war ich auf dem Felde angelangt, da sah ich Feuer. Ich fuhr sofort zurück und da ich sah, daß es dicht neben der Heidemannschen Wohnung brennt, brachte ich Wagen und Pferde anderswo unter.

Vors.: Haben Sie Ihre Wahrnehmungen anderen Leuten mitgeteilt?

Zeuge: Jawohl. Die Schmiedegesellen Wienecke und Malcke sagten einmal zu mir:. Ich weiß gar nicht, daß du dich so lange bei den Juden aufhältst. Ich antwortete: Die ganze Tempelbrandgeschichte mit der Petroleumkanne, dem ausgebrochenen Staketenzaun usw. kommt mir sehr »unterkietig« vor. Ich glaube, wenn das nicht wäre, hätten mich die Juden auch schon lange weggeschickt.

Vors.: Sie sind aber noch etwa 3/4 Jahre bei Heidemann gewesen?

Zeuge: Ja, ich konnte keine andere Arbeit bekommen.

Vors.: Weshalb sind Sie abgegangen?

Zeuge: Ich bekam zuwenig Lohn. Ich stehe auch mit Heidemann wegen Lohn noch in Klage.

Vors.: Sie sollen gegen Heidemann einmal eine Drohung ausgestoßen haben?

Zeuge: Ich habe bloß gesagt, wenn er mir nicht bezahlt, wird er noch etwas erleben, ich meinte damit, ich werde ihn verklagen.

Vors.: Eine bloße Klage ist doch nicht so schlimm, daß man sagen muß: »Sie werden noch etwas erleben.« Weshalb haben Sie Ihre Wahrnehmungen bezüglich der Petroleumkanne nicht gleich bei Ihren ersten Vernehmungen gemacht?

Zeuge: Ich wurde eines Tages zu Mundts Hotel bestellt. Dort war ein mir unbekannter Herr, ich glaube, es war dieser (auf den Staatsanwalt deutend). (Heiterkeit.) Dieser fragte mich bloß nach dem Staketenzaun, legte mir einen Bogen Papier vor und da sagte ich: Das ist kein Staketenzaun. (Große Heiterkeit.) Über das Petroleum wurde ich nicht gefragt, dazu kamen wir gar nicht.

Vors.: Der Herr Staatsanwalt konnte Sie doch nach der Petroleumkanne nicht fragen, der wußte es ja nicht. Wenn Ihnen das aber so aufgefallen ist, dann hätten Sie es doch sagen müssen?

Zeuge: Ich hatte genug über den Staketenzaun zu sagen.

Auf Antrag des Justizrats [25] Scheunemann stellte der Vorsitzende aus den Akten fest, daß der Zeuge auch bei seiner ersten gerichtlichen Vernehmung das Vorkommnis mit der Petroleumkanne nicht erwähnt habe.

Auf Vorhalten des Vorsitzenden bemerkte der Zeuge: Ich wurde zuviel anderes gefragt. Bald darauf bin ich in der »Norddeutschen Presse« vernommen worden; dort habe ich meine Wahrnehmung bezüglich der Petroleumkanne gemacht.

Vert. R.-A. Dr. Sello: Herr Zeuge, sind Sie auf Veranlassung Ihres Prinzipals, des Herrn Oehmke, zur »Norddeutschen Presse« gegangen?

Zeuge: Nein, ich ging aus eigenem Antriebe hin.

Vert. J.-R. Scheunemann stellte aus den Akten fest: Der Zeuge habe anfänglich gesagt, er habe am Vormittage, kurz vor dem Brande den Löwenberg mit einer blauen Mappe gesehen, während er Lesheim sen., als er am Freitag kurz vor dem Brande auf das Feld fuhr, zur Synagoge gehend, mit einer Blechkanne gesehen habe.

Der Zeuge gab das als richtig zu.

Vors.: Weshalb haben Sie das heute nicht gesagt?

Zeuge: Das ist mir noch nicht eingefallen.

J.-R. Scheunemann stellte ferner aus den Akten fest: Anfänglich habe der Zeuge bloß bekundet, daß er den Lesheim kurz vor dem Brande mit der Petroleumkanne gesehen habe. Als er vom Richter gefragt wurde, weshalb er den Löwenbergschen Fall nicht auch erwähnt, hat er bekundet: Das fiel mir nicht ein; der Richter fragte mich bloß wegen Lesheim.

Auf Befragen des Vert. R.-A. Dr. Sello: Was der Zeuge dem Richter als Entschuldigung angegeben, daß er seine Wahrnehmungen bezüglich der Petroleumkannen-Angelegenheit so spät gemacht habe, antwortete der Zeuge: Ich habe nicht soviel Zeit zur Überlegung; ich muß meine Familie ernähren und habe höchstens des Nachts zur Überlegung Zeit.

Arbeiter Liebling, der in der der Synagoge gegenüberliegenden Elementarschule als Schuldiener beschäftigt war, bekundete: Es ist mir aufgefallen, daß sonst stets, beispielsweise den ganzen Monat Januar, Frühgottesdienst in der Synagoge war, während in der Woche des Brandes, mindestens fünf Tage vorher solche Gottesdienste nicht stattfanden. Ich sprach noch mit meiner Frau darüber und wunderte mich um so mehr,[26] daß während der großen Kälte Gottesdienst stattfand, dagegen während des milden Februarwetters nicht.

Ackerbürger Mahlke: Ich fragte einmal den Buchholz: Warum bist du denn immer noch bei den Juden, du bist doch eigentlich Schmied? Darauf antwortete Buchholz: Das ist wegen des Tempels. Was Buchholz damit sagen wollte, weiß ich nicht.

Dienstmädchen Berta Hilger: Als das Feuer ausbrach, sei sie nach dem Marktplatz gelaufen, um die Spritzen zu holen. Sie sei auf dem Wege Leo Lesheim begegnet und habe ihn aufgefordert, zum Bürgermeister zu gehen. Leo Lesheim erwiderte: Wir haben die Bedienung des Tempels nicht mehr, da müssen Sie zu Löwenberg gehen. Löwenberg wohnte aber vom Tempel sehr entfernt. Die Türen des Heidemannschen Spindes waren schon sehr locker, so daß wohl Funken hineinfliegen konnten.

Leo Lesheim: Ich hatte verstanden, daß das Mädchen die Synagogenschlüssel verlangte.

Die Zeugin Hilger bekundete noch, im Widerspruch mit Buchholz, daß das Heidemannsche Haus stets des Nachts verschlossen war und daß Buchholz, außer an Tagen vor den Feiertagen, stets gegen sechs Uhr morgens zu Heidemann kam. Sie erinnere sich nicht, daß im Holzstalle jemals eine außerordentlich große Quantität Holz gelegen habe.

Restaurateur Engel (Neffe des alten Heidemann): Buchholz habe wenige Tage nach dem Brande gesagt: »Die alte Häckselmaschine kann man mit einem Hieb zerschlagen und dann bekommt man sie von der Versicherungsgesellschaft infolge des Brandes ersetzt.«

Buchholz: Dieser Mann lügt.

Vors.: Ich fordere Sie auf, Buchholz, sich solcher Ausdrücke zu enthalten.

Maurermeister Kaska: Buchholz ersuchte mich eines Tages, zu Heidemann zu gehen, diesen aufzufordern, ihm die noch schuldenden zehn Mark zu bezahlen und ihm zu sagen, er werde anderenfalls mit ihm zu Gericht gehen und dem Heidemann etwas zu schaffen machen.

Schuhmachermeister Trojann: Ich habe geholfen, das Kleiderspind aus der Heidemannschen Wohnung tragen. Solange das Spind in der Wohnung war, hat es in diesem weder gebrannt noch geraucht. Auf welche Weise das Glimmen im Spinde entstanden ist, ist mir unerklärlich. Die Türen des Spindes waren[27] fest zu; Funken konnten also nicht hineinfliegen. Schon als wir das Spind hinuntertrugen, riefen Leute: Aus dem Spinde dringt Rauch heraus! Etwa sechs Wochen nach dem Brande habe ich in Gemeinschaft mit Wiedemann demann einen Handlungsgehilfen, namens Blau, beobachtet, wie dieser in einem Korbe eine große Anzahl silberner Leuchter trug. Auf Befragen versetzte Blau: Die haben wir geschickt erhalten. Ich sagte: Nun, jetzt habt Ihr sie doch nicht geschickt erhalten. Mir schien es, als wären die Leuchter vor dem Brande aus der Synagoge geschafft worden.

Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Kaufmann Löwe: Silberne Leuchter, oder auch nur Leuchter, die wie Silber aussahen, haben wir in unserer Synagoge niemals gehabt.

Rabbiner Dr. Hoffmann: Die Kronleuchter, die wir uns von der Bärwalder Gemeinde geliehen hatten, können mit den in Rede stehenden auch nicht identisch sein. Einmal waren dies gelb aussehende, ganz altertümliche Kronleuchter, und zweitens waren sie sechs Wochen nach dem Brande der Bärwalder Gemeinde längst zurückgegeben.

Auf Antrag des Vert. R.-A. Dr. Sello beschloß der Gerichtshof, den Handlungsgehilfen Blau in Neustettin als Zeugen zu laden.

Rentier Zirbank: Er sei einer der ersten auf der Brandstätte gewesen. Der Staketenzaun sei geschlossen gewesen. Ein Fenster habe er weder ausgehängt noch offenstehen gesehen; er habe darauf allerdings nicht geachtet. Dagegen habe er gesehen, wie Klempner Merner und Heidemann ein Fenster eingeschlagen haben.

Frau Rentier Zirbank: Sie wisse ganz genau, daß das Holz am Staketenzaun am Tage des Brandes in ziemlicher Höhe aufgestapelt stand.

Arbeiter Zibell: Buchholz habe eines Tages mit ihm über den Tempelbrand gesprochen und dabei erzählt: Lesheim sei um sechs Uhr früh mit einer Petroleumkanne in die Synagoge gegangen. An welchem Tage das gewesen sein soll, wisse er nicht.

Frau Buchholz: Ihr Mann habe ihr einige Tage vor dem Brande erzählt, daß er Holz habe wegpacken und aus dem Staketenzaun zwei Bretter herausbrechen müssen. Ferner habe ihr Mann ihr erzählt, er habe den Tempeldiener mit einer Petroleumkanne in die Synagoge gehen sehen; welchen Tempeldiener ihr Mann meinte, wisse sie nicht. Ihr Mann sei gewöhnlich[28] gegen 6 1/2 Uhr früh zu Heidemann gegangen. Wann er am Tage des Brandes oder am Tage vorher zu Heidemann gegangen sei, wisse sie nicht mehr.

Schuhmachermeister Greiser: Frau Heidemann sagte mir auf der Brandstätte ins Gesicht: »Sehen Sie, das haben uns die Christen getan.« Ich habe darauf nichts erwidert. Als eine andere jüdische Frau mir gegenüber dieselbe Äußerung tat, antwortete ich: Das wird mir jetzt zum zweiten Male gesagt; wenn mir das noch ein Dritter sagt, dann schlage ich ihm ein paar zwischen die Ohren. (Heiterkeit.) Es gibt keinen Christen, der so dumm wäre, den Juden einen solchen Gefallen zu tun, versetzte ich. Die Juden haben sich ihren Tempel selbst angesteckt. Es ist ja bekannt, daß die Juden einen neuen Tempel haben wollten und daß sie jetzt erst ihren alten Tempel höher versichert haben. Als ich Rauch sah, wollte ich in das Innere des Tempels dringen. Der Qualm war aber so dick, daß sich dies nicht tun ließ. Ich lief wieder hinaus und sah an der einen Seite der Synagoge ein Fenster ausgehängt, auf der anderen Seite ein Fenster, das von innen mittels Kette geschlossen werden konnte, geöffnet. Der größte Qualm war in der Nähe des Allerheiligsten. Merkwürdig war es, daß gleich, als das Feuer noch gar nicht ausgebrochen war, Lesheim (Vater und Sohn) auf dem Synagogenplatz erschienen. Es fiel mir auf, daß das Holz am Staketenzaun, das jahraus, jahrein dort aufgestapelt stand, plötzlich weggeschafft wurde.

J.-R. Scheunemann: Weshalb hat der Zeuge erst nach der fünften Vernehmung seine Wahrnehmung bezüglich des Holzes gemacht?

Zeuge: Ich habe das bei Herrn Rat Völz nicht gesagt, weil dieser mich zu sehr »angebrüllt« und anderenteils habe ich dem Wegkarren des Holzes keine Wichtigkeit beigelegt, da diese Tatsache doch nichts mit dem Brande zu tun hat. Auch bin ich danach nicht gefragt worden.

J.-R. Scheunemann: Sie haben doch selbst Ihrer Frau noch vor dem Brande gesagt, daß Sie die Wegschaffung des Holzes merkwürdig finden?

Der Zeuge antwortete in sehr ausweichender Weise und äußerte: Er werde bloß dem Herrn Vorsitzenden antworten.

J.-R. Scheunemann: Sie sind verpflichtet, auch mir zu antworten.

Im[29] weiteren Verlauf bemerkte der Zeuge: Er habe eines Tages mit dem alten Heidemann über den Ausbau des Tempels gesprochen und zu diesem gesagt: Nun hat der Tempel viel Geld gekostet und er ist doch nicht schön. Nun dann werden wir noch einmal bauen und wenn es noch einige tausend Taler kosten sollte, antwortete Heidemann.

Vert. R.-A. Dr. Sello: Wodurch wußten Sie, daß die Versicherungssumme des Tempels erhöht war?

Zeuge: Eines Tages ging Herr Löwe mit einem fremden Juden über den Marktplatz. Ich ging hinter den Herren und hörte, wie Herr Löwe sagte: »Jetzt sind wir gut versichert.«

Löwe: Als im Jahre 1879 der Ausbau vollendet war, haben wir die Versicherungssumme, gemäß dem höheren Werte des Tempels, erhöht.

Ingenieur Schreiber: Der Tempel war, aufgenommener Taxe gemäß, bei der Magdeburgischen Feuerversicherungs-Gesellschaft versichert.

Es war inzwischen 10 3/4 Uhr abends geworden.

Vert. R.-A. Dr. Sello: Er sei nunmehr noch kaum imstande, der Verhandlung zu folgen. Er bitte, jetzt die Verhandlung zu schließen; er wäre anderenfalls vielleicht nicht in der Lage, morgen in der Verhandlung zu erscheinen.

Vors.: Das wäre kein Hinderungsgrund, die Verhandlung auszusetzen. Eventuell würde ein Verteidiger von Amts wegen gestellt werden.

Auf Antrag des Dr. Sello wurde noch aktenmäßig festgestellt, daß der Zeuge betreffs der beiden Lesheim sehr widersprechende Aussagen gemacht habe.

Pastor Klammroth (Neustettin): Er habe sich während des Tempelbrandes in der der Synagoge gegenüberliegenden Stadtschule befunden und aus dem auf der Straße stehenden Heidemannschen Kleiderspind Rauch dringen gesehen. Als Heidemann sen. das Spind öffnete und einen Schirm herausnahm, brannte dieser sofort lichterloh.

Tischlermeister Kubelke: Die Flügeltüren des Heidemannschen Kleiderspindes waren so locker, daß Feuerfunken wohl hineingeflogen sein können. Das von Greiser ausgehängte Synagogenfenster konnte von innen nicht gekettet werden. Auf Befragen des R.-A. Dr. Sello bekundete der Zeuge des weiteren: Es habe auf ihn nicht den Eindruck gemacht, als wäre der Fußboden der Synagoge mit einer brennenden[30] Flüssigkeit sigkeit begossen gewesen. Es kam ein dicker, schwarzer Rauch aus den Synagogenfenstern und in einem Augenblicke brannte der Tempel auf allen Seiten lichterloh. Der ganze Brand machte auf ihn den Eindruck, als wäre er durch eine Explosion entstanden.

Vert. J.-R. Scheunemann: Ist dem Herrn Zeugen über den Lebenswandel des Buchholz etwas bekannt?

Zeuge: Ich habe Buchholz oftmals betrunken gesehen. Buchholz ist früher Gefangenaufseher gewesen. Weshalb er aus dieser Stellung entlassen worden ist, weiß ich nicht. Ich habe ihn aber auch als Gefangenaufseher mehrfach betrunken gesehen.

Frau Schuhmacher Greiser: Buchholz mußte auf Befehl des Heidemann drei Wochen lang sehr hoch aufgestapeltes Holz, das viele Jahre schon dort lag, wegkarren. Ich fragte den jungen Heidemann, weshalb er das Holz wegschaffen lasse, Heidemann antwortete, damit mir nichts gestohlen werde. Ich versetzte: Herr Heidemann, da müßte ja jemand eine Leiter haben, wenn er von dem so hoch aufgestapelten Holze etwas stehlen wollte. Als das Feuer ausbrach, waren die Heidemanns sehr ruhig, sie wollten ihre Sachen nicht in Sicherheit bringen, da, so meinte Frau Heidemann, es heller Tag sei und mithin keine Gefahr zu befürchten sei. Als im Sommer 1880 ein polnischer Jude in den Tempel einsteigen wollte, habe sie, Zeugin, wahrgenommen, daß zur Synagoge noch eine Hintertür führe.

Fräulein Jasse meldete sich und äußerte in sehr aufgeregter Weise: Ich weiß sehr genau, daß Buchholz ein sehr nüchterner, ordentlicher Mensch ist. Er ist allerdings von den Juden, bei denen er in Dienst gestanden, sehr schlecht bezahlt worden. Buchholz klagte mir auch bisweilen darüber, indem er bemerkte: Die Juden haben mich so schlecht bezahlt, daß ich mich aus Ärger bisweilen betrinke. (Große Heiterkeit.)

Schuhmachermeister Sperling: Er habe in dem hinter dem Heidemannschen Grundstück belegenen Garten, aus dem man ebenfalls durch eine Hintertür in die Synagoge gelangen könne, Fußspuren im Schnee gesehen. Ob diese Spuren zur oder von der Synagoge geführt haben, wisse er nicht. Er habe nicht gesehen, daß, als das Feuer ausbrach, ein Synagogenfenster ausgehängt war.

Schuhmachermeister Stubbe: Am 18. Februar[31] vormittags gegen elf Uhr begegnete ich dem älteren Lesheim und hörte ihn Feuer rufen. Ich fragte: Wo ist denn Feuer? Unser Tempel brennt, antwortete Lesheim. Ich eilte zum Tempel, konnte aber zunächst kein Feuer sehen. Sehr bald zeigte mir der ältere Heidemann eine Fußspur mit dem Bemerken: Sehen Sie, hier ist eine Fußspur, hier ist der Täter hineingegangen. Ich sagte sogleich zu Heidemann: Auf diese Weise kann niemand in den Tempel gekommen sein, das ist eine gemachte Spur.

Vert. R.-A. Dr. Sello stellte fest, daß der Zeuge anfänglich bekundet habe: Er habe, als er die Spur sah, zu Sperling gesagt: da haben wir's ja, da ist der Täter herübergekommen. Heidemann sen. soll darauf bemerkt haben: Das sind keine Spuren, hier kann der Täter nicht durchgekommen sein. Sperling dagegen hat bekundet: Er habe sofort bezweifelt, daß die Fußspuren die des Täters seien?

Sperling: Möglich ist, daß ich es damals im Augenblick so gesagt habe; ich habe aber dann eine andere Auffassung gewonnen. Mir ist es vorgekommen, als sei ein Brennstoff im Tempel zusammengetragen gewesen, denn es züngelte eine kleine blaue Flamme in der Nähe des Allerheiligsten. Als ich mit dem alten Heidemann zusammen zum Bürgermeister geladen wurde, zitterte Heidemann an allen Gliedern und wurde während der Vernehmung ohnmächtig.

Auf Antrag des R.-A. Dr. Sello wurde festgestellt, daß der Zeuge bei seiner zweiten gerichtlichen Vernehmung bedeutend mehr als bei seiner ersten gewußt habe, obwohl er aufgefordert wurde, alles zu sagen, was er irgendwie wisse.

Es wurde darauf Stellmacher Schmidt, der wegen vorsätzlicher, in betrügerischer Absicht im Februar 1882 begangener Brandstiftung eine neunjährige Zuchthausstrafe verbüßte, vorgeführt. Er bekundete: Am fraglichen Freitagvormittag gegen zehn Uhr sah ich zwei Juden in aufgeregter Weise an den Synagogenfenstern stehen. Es drang Rauch aus den Fenstern. Der eine der Juden, den ich als den jüngeren Heidemann wiedererkannte, schlug mit einem Schlüssel ein Fenster ein. Ich sagte zu Heidemann: Weshalb schlagen Sie das Fenster ein, dadurch bekommt ja das Feuer Zug. Heidemann versetzte: Das geht Sie gar nichts an. Das Feuer griff infolgedessen auch mit großer Schnelligkeit[32] um sich. Einige Monate darauf begegnete mir Heidemann auf dem Marktplatz und sagte: Sie werden wir auch noch aus dem Wege zu räumen wissen. Kurze Zeit darauf kam der Jude Manasse zu mir und sagte: »Na, Sie wissen ja auch von der Sache, aber wir werden Sie schon aus dem Wege zu schaffen wissen.«

R.-A. Dr. Sello stellte fest, daß der Zeuge von seinen früheren Aussagen heute abgewichen und daß er auch bezüglich der Zeitangabe abweichende Angaben gemacht habe.

Kreiskassenkontrolleur Dahlitz: Am fraglichen Freitagvormittag, als ich zu dem Brande eilte, begegnete ich zunächst dem älteren Lesheim in ganz verwildertem Zustande. Lesheim gestikulierte heftig mit den Händen und schrie unaufhörlich: »Es brennt, es brennt, was soll ich tun?« Auf der Brandstätte angelangt, langt, sah ich ein Synagogenfenster ausgehängt, ein anderes geöffnet, und der ganze Brand kam mir so vor, als wäre er durch eine zusammengetragene brennbare Masse entstanden. Leo Lesheim, Aron und noch mehrere andere Juden äußerten sogleich in lauter Weise wiederholt: »Das haben uns die Christen getan, das ist das Resultat der Judenhetze.« Meine persönliche Überzeugung ist, daß der Tempel von den Juden selbst angezündet worden ist, um den Christen die Schuld aufzuhalsen. Ich bin auch der Überzeugung, daß der Brand lange vorbereitet war und daß viele Personen dabei beteiligt gewesen sind. Das ist auch die Überzeugung der meisten Christen in Neustettin.

Vors.: Welche Anhaltspunkte haben Sie für Ihre Überzeugung?

Zeuge: Die erwähnten Äußerungen der Juden.

Rabbiner Dr. Hoffmann: Nicht bloß Juden, sondern auch ein hochgeachteter Arzt christlicher Konfession, der jetzige Kreisphysikus Dr. Vanselow in Schlawe hat sofort geäußert: »Das ist das Resultat der Judenhetze.« Herr Dr. Vanselow ist dieser seiner Äußerung wegen von der »Norddeutschen Presse« beleidigt worden und hat deshalb den Redakteur verklagt.

Ingenieur Schreiber: Er sei der Meinung, daß das Feuer auf natürliche Weise entstanden sei. Daß der ganze Fußboden verbrannte, erkläre sich dadurch, daß er vollständig mit Wachs gebohnert war.

Bauinspektor Kleefeldt: Mir schien es, als sei der Fußboden imprägniert gewesen; daß die Imprägnierung mit[33] Petroleum geschehen, will ich nicht bestimmt behaupten. Auf Befragen des J.-R. Scheunemann bekundete der Sachverständige: Wachs verbreitet auch dicken Rauch, Petroleum dagegen brennt hell. Die Wachsbohnerung, die schon fast 1 1/2 Jahre alt war, konnte eine nur geringe Wirkung üben.

Klempnermeister Merner (jüdischer Konfession): Ich schlug, als ich auf der Brandstätte erschien, ein Fenster der brennenden Synagoge ein, um einige Reliquien, die mir teure Andenken meiner Eltern und Großeltern waren, zu retten. Hätte man mich am Einsteigen nicht gehindert, so wäre mir die Rettung vielleicht möglich gewesen. Ich hatte sofort die Überzeugung, daß das Feuer angelegt war, denn es brannte sofort furchtbar auf allen Seiten. Auf weiteres Befragen bekundete der Zeuge: Ich habe Frühgottesdienste, die an Wochentagen stattfanden, niemals besucht; allein sobald solche stattfanden, habe ich es gewußt, denn die Veranstaltung dieser Gottesdienste wurde allen Glaubensgenossen rechtzeitig bekannt gemacht. Ebensowenig kann einige Wochen vor dem Brande der Tempel des Morgens immer erleuchtet gewesen sein. Ich war mit dem Einkauf und Verwahrung der in der Synagoge gebrauchten Lichter betraut und kann aus dem darüber geführten Kontobuch den Beweis führen, daß zur angegebenen Zeit die Synagoge in keiner Weise erleuchtet war.

Auf Wunsch eines Geschworenen beschloß der Gerichtshof: dem Zeugen aufzugeben, das erwähnte Kontobuch zur Stelle zu schaffen.

Kaufmann Conrad (jüdischer Religion): Meiner Überzeugung nach ist das Feuer angelegt worden, und zwar schien mir der Brandherd am Allerheiligsten zu sein.

Kaufmann Fabian (jüdischer Konfession): Der die Synagoge und das Heidemannsche Haus trennende Staketenzaun war verschlossen, so daß ich durch diesen nicht durchkommen konnte.

Darauf erschien Fleischermeister Angermann als Zeuge: Ehe ich Zeugnis ablege, muß ich eine Einleitung machen. Ich habe nicht geglaubt, daß die Sache an die große Glocke kommen wird. Nun muß ich aber mein Herz erleichtern, mein Gewissen drängt mich dazu. Mit Herrn Stubbe habe ich bereits darüber gesprochen. (Sich umdrehend): Ist Herr Stubbe hier?

Vors.: Eine solche Frage dürfen Sie nicht[34] stellen. Benehmen Sie sich überhaupt etwas anders. Sie laufen fortwährend im Saale umher, gestikulieren mit den Händen und legen eine ganz auffällige Unruhe an den Tag. Sie müssen hier an dem Tische stehenbleiben und sich ruhig verhalten, das ist Ihre erste Zeugenpflicht.

Zeuge: Ja, mein Gewissen drängt mich, weil ich so lange mit der Wahrheit zurückgehalten und vor dem Herrn Staatsanwalt und dem Herrn Amtsgerichtsrat Völz etwas verschwiegen habe.

Vors.: Beruhigen Sie sich nur und erzählen Sie.

Zeuge: Als ich zum Herrn Staatsanwalt aufs Polizeibureau in Neustettin vorgeladen wurde, habe ich im Hausflur den verstorbenen Barbier Keller getroffen. Diesem sagte ich gleich: Na, wir wollen nicht alles an die große Glocke hängen, denn es wird ja doch nichts aus der Sache. Keller stimmte mir bei; würde er aber noch leben, er würde heute gewiß ebenfalls sein Gewissen erleichtern. Also vor einiger Zeit komme ich bei Herrn Stubbe vorüber; da sagte dieser: Bester Angermann, die Anklage ist erhoben, nun ist es aber auch Ihre Christenpflicht, daß Sie alles sagen, was Sie wissen; wir dürfen den Schimpf, den man uns Christen antun will, nicht auf uns sitzen lassen. Sprechen Sie also die Wahrheit. Ich ging nach Hause. Mir wurde so schwül im Kopfe, daß ich nichts essen konnte. Ich entschloß mich deshalb zur Anzeige.

Vors.: Was zeigten Sie an?

Zeuge: Also an jenem Freitagvormittag gegen zehn Uhr ging ich zu Lesheim und wollte mit ihm abrechnen. Ich hatte 4-5 M., er 12-13 M. von mir zu bekommen. Ich traf Lesheim Vater und Sohn zu Hause. Beide waren furchtbar aufgeregt. Leo Lesheim sah zum Fenster hinaus, und als ich in die Stube trat, schlug er das Fenster mit voller Heftigkeit zu. Beide Lesheim gingen in größter Aufregung im Zimmer auf und ab, der jüngere Lesheim mochte, währenddem ich im Zimmer weilte, etwa 5-6mal, der ältere mindestens zweimal aus dem Fenster gesehen haben. Jedesmal, wenn der jüngere Lesheim zum Fenster hinausgegeben hatte, griff er seinen Vater an die Hand. Ich sagte: Herr Lesheim, ich habe keine Zeit, wir wollen abrechnen. Nachdem dies geschehen, ging ich fort. Etwa eine halbe Stunde darauf hörte ich Feuerlärm.

Vors.: Aus welchem Grunde haben Sie diese Wahrnehmungen,[35] die Sie doch so erregt haben müssen, daß Sie sich noch heute nicht beruhigen können, nicht sofort zur Anzeige gebracht?

Zeuge: Ich glaubte nicht, daß die Sache an die große Glocke kommen würde.

Vors.: Ihr Verhalten ist aber sehr eigentümlich. Sie hätten Ihre Wahrnehmungen doch auf alle Fälle dem Sie vernehmenden Richter mitteilen müssen; dieser hat Sie doch jedenfalls aufgefordert, alles zu sagen, was Sie über die Angelegenheit wissen. Ob etwas daraus wird, hätten Sie doch dem Richter überlassen müssen?

Zeuge: Herr Vorsitzender, da war meine Frau schuld, die hat mir davon abgeraten.

Vors.: Wunderbar ist es jedenfalls, daß Sie einen Vorgang, der Sie heute noch so sehr in Aufregung versetzt, so lange und trotz zweimaliger gerichtlicher Vernehmung verschwiegen haben. Außerdem ist es auch wunderbar, daß, obwohl Lesheim so sehr aufgeregt war, er trotzdem mit Ihnen abrechnen konnte.

Zeuge: Ich sehe ja ein, daß ich Unrecht getan habe; ich glaube jedoch die Sache wieder gutzumachen, indem ich nun die Wahrheit sage.

Vors.: Hat Sie jemand bestimmt, heute eine solche Aussage zu tun, oder haben Sie sich mit jemandem darüber besprochen?

Zeuge: Ich habe mit niemandem darüber gesprochen.

Vert. R.-A. Dr. Sello: Ich mache darauf aufmerksam, daß der Herr Zeuge mit Stubbe über die Angelegenheit gesprochen hat.

Zeuge: Es ist richtig, mit Stubbe habe ich gesprochen.

Vert. J.-R. Scheunemann: Woher wußte Stubbe, daß Sie noch etwas auf dem Herzen hatten?

Zeuge: Das weiß ich nicht; möglich ist aber, daß ich irgendeinem meiner guten Freunde einmal davon erzählt habe.

Lesheim sen. bestritt die ganze Erzählung; er sei im Winter gar nicht in der Lage, ein Fenster zu öffnen.

Fleischermeister Haß: Er habe mit Heidemann in Geschäftsverbindung gestanden und sei sehr häufig bei Heidemann gewesen. Er habe eine Änderung bezüglich des am Staketenzaun aufgestapelten Holzes nicht wahrgenommen; ganz besonders habe er im Holzschuppen nicht großen Holzvorrat gesehen.

J.-R. Scheunemann: Buchholz behauptet, das in den Schuppen geschaffte und dort aufgestapelte Holz war ca. vier Meter lang und zwei Meter hoch; hätte eine[36] solch große Quantität Holz dem Herrn Zeugen auffallen müssen?

Zeuge: Das hätte ich bestimmt wahrgenommen.

Auf weiteres Befragen bekundete der Zeuge: Er habe am Tage des Brandes gegen Morgen eine große Anzahl Felle in den erwähnten Holzschuppen geschafft.

J.-R. Scheunemann: Wohin legten Sie die Felle?

Zeuge: Unter die Krippen.

J.-R. Scheunemann: Wäre es Ihnen möglich gewesen, all die Felle unterzubringen, wenn eine solch große Quantität Holz im Schuppen aufgestellt gewesen wäre?

Zeuge: Nein, dann hätte ich die Felle keineswegs sämtlich unter den Krippen unterbringen können.

Kanzlist Jordan: Als ich zur Brandstätte kam, sagte der alte Heidemann: Man hat uns unseren Tempel angesteckt, sehen Sie, da ist der Täter eingestiegen; dabei zeigte er auf ein eingeschlagenes Fenster. Es fiel mir jedoch auf, daß die Scherben der eingestoßenen ßenen Scheibe auf dem Straßenplatz lagen. Wenn die Scheibe von der Straße aus eingestoßen wäre, hätten die Scherben nach innen fallen müssen.

Heidemann bestritt entschieden, den Zeugen am Tage des Brandes auch nur gesehen zu haben.

Schreibergehilfe Rhode: Er sei gegen elf Uhr vormittags auf den Synagogenplatz gekommen und habe heftigen Rauch aus dem Tempel dringen sehen. Er sah in den Tempel hinein und beobachtete ein solch kleines Feuer, daß seiner Meinung nach ein paar Eimer Wasser zum Löschen genügt hätten. Ein Mann sagte zu dem alten Heidemann: Holen Sie doch ein paar Eimer Wasser, Herr Heidemann, damit ist ja das Feuer noch zu löschen. Heidemann erwiderte: »Spaß, das haben Christenhände getan.« Heidemann sen. bestritt das. Heidemann jun.: Es ist wohl nicht anzunehmen, daß jemand meinen alten, damals bereits 71jährigen Vater aufgefordert hat, ein paar Eimer Wasser zu holen.

Schreibergehilfe Schulze: Er sei mit Rhode zusammen auf den Synagogenplatz gekommen, habe das ausgehängte Fenster gesehen, das Feuer hatte jedoch schon eine ziemliche Ausdehnung gewonnen. Den alten Heidemann habe er überhaupt nicht gesehen.

Kaufmann Löwe teilte mit, daß Schuhmacher Greiser fortwährend auf dem Korridor die Zeugen zu beeinflussen suche.

Vors.: Es darf sich ohne meine Erlaubnis kein[37] Zeuge aus dem Saale entfernen.

Frau Schmidt: Am fraglichen Freitagvormittag gegen elf Uhr sah ich die beiden Lesheim, Vater und Sohn, und noch einen dritten, mir unbekannten jüdischen Mann in verdächtiger Weise aus der Synagoge kommen. Lesheim sen. rief sofort Feuer, obwohl davon noch nichts zu sehen war. Ich ging die Friedrichstraße hinauf und sagte zu zwei mir begegnenden alten jüdischen Herren: »Der Tempel brennt.« Die beiden Herren antworteten mit einer sehr unpassenden, hier nicht wiederzugebenden Redensart. Ich begab mich alsdann auf die Brandstätte und nahm Petroleumgeruch wahr.

Vors.: Woher kam dieser Geruch?

Zeugin: Der Rauch, der aus dem Tempel kam, roch so bitter.

Vors.: Daraus schlossen Sie, daß Petroleum im Tempel war?

Zeugin: Ja.

Vors.: Jeder Rauch hat doch aber einen bitteren Geruch?

Zeugin: Das war aber Petroleumgeruch. Meine Eltern brannten einmal ab; das Gebäude war, wie gerichtlich erwiesen wurde, mittels Petroleum angezündet worden, und der Rauch bei dieser Feuersbrunst roch genau so wie bei dem Tempelbrande.

J.-R. Scheunemann stellte aus den Akten fest, daß die Zeugin bei ihren früheren Vernehmungen bekundet, sie habe die drei Männer, die aus der Synagoge kamen, nicht gekannt. Als die beiden Lesheim ihr vorgestellt wurden, habe sie gesagt, es sei ihr nicht möglich, die beiden Lesheim wiederzuerkennen.

Zeugin: Den älteren Lesheim habe ich bestimmt wiedererkannt, Leo Lesheim habe ich nicht genau wiedererkannt, da dieser inzwischen gewachsen war.

J.-R. Scheunemann: Hat die Zeugin bei ihrer Vernehmung bei dem Herrn Amtsgerichts-Rat Völz gesagt, sie vermöge die beiden Lesheim nicht wiederzuerkennen?

Zeugin (nach längerem Zögern): Das weiß ich nicht mehr.

Maurer Bumke: Er habe auf der Brandstätte Reste von Petroleumlampen, Kronleuchtern und Gebetbüchern gefunden, die zumeist nach Petroleum rochen.

Die Frage des R.-A. Dr. Sello: Ob Zeuge von dem Petroleumgeruch dem Herrn Ingenieur Schreiber Mitteilung gemacht habe, verneinte er. Inzwischen vernahm man im Saale von der Straße aus

laute Hepp-Hepp-Rufe.[38]

Es war 11 3/4 Uhr abends geworden. Der Zuhörerraum war brechend voll und die Atmosphäre im Saale unerträglich. Im Zeugenzimmer, aber auch im Hintergrunde des Zuhörerraumes lag eine Anzahl Zeugen in tiefem Schlummer. Die Schlafenden im Zuhörerraum verursachten durch lautes Schnarchen oftmals Störung. Man sah es den Geschworenen an, daß sie an hochgradiger Ermüdung litten.

Gärtner Wiedemann: Eines Tages sah ich, wie der Handlungsgehilfe Blau zwei Körbe voll silberner Leuchter trug. Ich sagte zu Blau: Nun ist der Tempel schon seit sechs Wochen abgebrannt, und Sie haben noch soviel silberne Leuchter.

Die haben wir geschickt bekommen, versetzte Blau.

Ein Geschworener: Der Zeuge war 26 Jahre lang im Tempel beschäftigt; waren es Leuchter, die man im Tempel zu benutzen pflegte?

Zeuge: Solche Leuchter waren es nicht.

Vors.: Wozu machten Sie also solche Redensarten?

Zeuge: Ich machte Scherz.

Handlungsgehilfe Blau: Ich kann mich absolut nicht erinnern, mit Leuchtern in irgendeiner Weise über die Straße gegangen zu sein. Draußen im Zeugenzimmer hat Wiedemann heute gesagt: Es waren Wandleuchter, dann sagte er, es waren gewöhnliche, dann Armleuchter.

Auf Befragen des Staatsanwalts bemerkte der Zeuge: Er könne nicht behaupten, daß die betreffenden Zeugen die Unwahrheit sagen, er könne sich jedoch absolut nicht auf deren Angaben erinnern.

Rabbiner Dr. Hoffmann bekundete wiederholt, daß die jüdische Gemeinde silberne oder auch nur silberähnliche Leuchter niemals besessen habe.

Gegen 12 1/2 Uhr nachts meldete sich ein Geschworener mit dem Bemerken, daß die Geschworenen nunmehr so ermüdet seien, daß sie nicht mehr zu folgen vermögen.

Vors.: Ich möchte gern noch alle Zeugen vernehmen; wir sind damit bald fertig.

Geschworener: Wir sind geradezu unfähig; die jungen Herren beklagen sich schon und ich bin ein alter Mann.

Der Staatsanwalt fragte die Geschworenen, ob sie nicht noch aushalten wollen.

Die Geschworenen erklärten wiederholt, daß sie nicht fähig seien, weiter zu folgen. Der Vorsitzende ließ darauf eine Pause eintreten.

Nach Wiederaufnahme der Sitzung gegen 12 3/4 Uhr nachts wurde Frau Messerschmied Riedel vernommen.[39] Am fraglichen Freitagvormittag, kurz ehe ich den Feuerlärm hörte, begegnete ich in der Nähe des Scheunenweges dem Leo Lesheim. Er war sehr eilig und auf meine Frage: Nun, Leo, wohin läufst du denn so eilig? antwortete er nicht.

Leo Lesheim bezeichnete diese Angabe als Unwahrheit.

Frau Lesheim (Schwägerin des Angeklagten Lesheim heim sen.): Mein Schwager hat mich eines Tages arg beleidigt; deshalb sagte ich: Das schenke ich dir nicht, nun schweige ich nicht länger, ich zeige es an. Es ist eine infame Lüge, daß ich gesagt: Ich werde dich ins Zuchthaus bringen.

Gegen 1 3/4 Uhr nachts wurde endlich die Sitzung unterbrochen.

Am vierten Verhandlungstage legte, nach noch kurzer Zeugenvernehmung, der Vorsitzende den Geschworenen folgende Schuldfragen vor:

Sind die Angeklagten Heidemann, Vater und Sohn, schuldig, am 18. Februar 1881 zu Neustettin ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude vorsätzlich in Brand gesetzt, eventuell: Sind die Angeklagten schuldig, dem Täter zur Begehung des in der Hauptfrage erwähnten Verbrechens durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben. Sollten diese beiden Fragen verneint werden, so habe ich bezüglich dieser Angeklagten noch folgende dritte Frage formuliert: Sind die Angeklagten schuldig, von der am 18. Februar 1881 zu Neustettin ausgeübten vorsätzlichen Brandstiftung zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich war, glaubhafte Kenntnis erhalten und haben es unterlassen, hiervon der Behörde zur rechten Zeit Anzeige zu machen?

Der Gerichtshof hat beschlossen, bezüglich der übrigen rigen Angeklagten nur die zwei ersten Fragen zu stellen.

Staatsanwalt: Ich habe gegen die Fragestellung nichts zu erinnern.

Es nahm hierauf das Wort zur Schuldfrage Staatsanwalt Pinoff: Meine Herren Geschworenen! Es ist nun meine Aufgabe, Ihnen die Ergebnisse der Beweisaufnahme vorzuführen. Der Umstand, daß die öffentliche Meinung sich der vorliegenden Angelegenheit in so außergewöhnlichem Maße bemächtigt hat, kann und darf uns nicht veranlassen, etwas anderes zu tun, als die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu[40] prüfen. Im Gerichtssaale hat die öffentliche Meinung keine Stätte. Der Richter hat lediglich die Sache zu prüfen. Keinerlei Störung soll uns veranlassen, von diesem unserm geraden Wege abzuweichen. Charakteristisch ist es ja, daß Juden ihr eigenes Bethaus in Brand gesteckt haben und daß gleich nach Ausbruch des Feuers auf der Brandstätte wiederholt in lauter Weise die Behauptung ausgesprochen wurde: Die christliche Bevölkerung habe den Brand verschuldet. Dieser Umstand allein hat es auch nur veranlaßt, daß die Angelegenheit eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Dies wird mich nötigen, am Schlusse meiner Ausführungen einen kurzen politischen Streifblick zu werfen. Meine Herren! Ich werde mich dabei in der knappsten Form halten. Juden und Christen sind der übereinstimmenden den Überzeugung, daß der Brand ein vorsätzlicher war. Einzig und allein Ingenieur Schreiber hält es für möglich, daß der Brand in zufälliger Weise entstanden ist. Allein Herr Ingenieur Schreiber hat wohl nicht erwogen, daß alle Umstände eine zufällige Feuersbrunst ausschließen. Eine Feuerungsanlage hat die Synagoge nicht gehabt. Die Synagoge ist geständlich mehrere Tage vor dem Brande von niemandem betreten worden. Die Synagoge war stets verschlossen; das pflegte auch bezüglich der Fenster zu geschehen, von denen aber merkwürdigerweise einige Stunden vor dem Brande eins geöffnet und eins ausgehängt war. Sämtliche Fenster waren von innen mittels kleiner Ketten verschlossen und konnten auch nur von innen geöffnet werden. Dieser letztere Umstand macht es bereits zur Gewißheit, daß die Brandstiftung von Juden, die ausschließlich Zutritt zu dem Tempel hatten, verübt worden ist.

Nun kommt hinzu, daß die meisten Angeklagten zur Zeit des Brandes von einer ganzen Reihe von Zeugen am Synagogenplatz gesehen worden sind. Von der Verteidigung könnte eingewendet werden, zugunsten der Angeklagten spricht der Umstand, daß der Brand am hellen Tage entstanden ist. Mir scheint es, daß die Feuersbrunst schon viel früher entstehen sollte. Die Wiedemannschen Eheleute haben schon des Morgens gegen neun Uhr Rauch aus der Synagoge dringen sehen. Das Feuer wollte nur nicht brennen,[41] deshalb öffnete man das eine Fenster und hob das andere aus. Man könnte vielleicht auch die Frage aufwerfen: die Angeklagten hätten ja am folgenden Tage den Brand veranlassen können, dann hätte man, in Berücksichtigung, daß am Freitagabend die Synagoge erleuchtet wird, eher auf einen zufälligen Umstand schließen können.

Allein die Beweisaufnahme hat ergeben, daß das Verbrechen lange vorher geplant war. Es waren bereits mehrere Tage vorher alle Vorbereitungen zur Inszenierung des Brandes geschehen. Der Tempel konnte aus diesem Grunde nicht benutzt werden. Nun kam der Freitag. Am Abend hätte man Gottesdienst in der Synagoge abhalten müssen und deshalb war der Freitag der letzte Moment. Eine ganze Reihe Zeugen hat gesehen, daß Leo Lesheim einen Stuhl auf dem Kopfe trug, diesen vor ein Synagogenfenster stellte, der ältere Lesheim auf den Stuhl trat und ein Fenster heraushob. Leo Lesheim bestreitet dies und gibt an, er sei während des Brandes im Auftrage der Frau Heidemann zu Jakoby gegangen, um für den alten Heidemann Strümpfe zu kaufen. Daß Frau Heidemann nach Strümpfen schickt, während dicht neben ihrem Hause der Tempel in vollen Flammen stand, ist wohl kaum denkbar. Der Glaserlehrling Geiserberg will Leo Lesheim zu Jakoby begleitet haben. Eine Reihe von Knaben ben hat dagegen zu derselben Zeit den Leo Lesheim allein, einen Stuhl auf dem Kopfe tragend, gesehen. Eine Zeugin hat ihn in vollster Eile an ihr vorüberlaufen sehen, ohne daß er ihr auf ihre Frage: wohin so eilig? eine Antwort gab. Nun werden die Zeugen ja seitens der Verteidigung bemängelt. Es ist eine alte Geschichte, daß man Belastungszeugen bemängelt, weil sie mit allen Angaben nicht sofort hervorgetreten sind und in der Angabe der Zeit Irrtümer begehen. Es ist auch bezweifelt worden, daß die Knaben von ihren Bänken den Synagogenplatz überschauen konnten. Allein wir haben gehört, daß zu jener Zeit eine Lehrerkonferenz stattfand und die Knaben sich ungezwungen im Schulzimmer bewegen konnten. Daß Pieper so spät mit seinen Angaben hervorgetreten? Nun, er hat es mit dem größten Freimut, unter Erzählung seiner intimsten Familienverhältnisse mitgeteilt. Seine Frau hat es ihm direkt verboten.[42] Wenn ich auch dem alten kanonischen Grundsatze: »Mulier taceat in ecclesia« huldige, so ist doch die Erzählung Piepers, er wollte seinen häuslichen Frieden nicht stören, ein hinreichender Erklärungsgrund für sein Verhalten. Sie haben ferner gehört, in welcher Gemütsaufregung Fleischermeister Angermann die beiden Lesheim angetroffen hat. Es ist das eine sehr erklärliche psychologische Erscheinung. Es beunruhigte sie der Gedanke: wird das in Szene gesetzte Verbrechen auch gelingen? gen? Daß das Fenster nicht geöffnet werden konnte, ist hinlänglich widerlegt worden. Leider hat Angermann aus denselben Gründen wie Pieper Schweigen beobachtet. Das ist doch aber kein Grund, sein Zeugnis zu bezweifeln. Sie haben gehört, daß Angermann bekundet hat: Wenn der Barbier Keller noch lebte, dann würde er jetzt auch die Wahrheit sagen. Der eine Umstand, daß Lesheim sen. wenige Tage vor der Hauptverhandlung zu Angermann ging und diesen zu veranlassen suchte, günstig auszusagen, ist der klarste Beweis, daß Lesheim die Aussagen des Angermann fürchtete. Merkwürdig ist es, daß zu gleicher Zeit die beiden Heidemanns wiederholt in die Synagoge gehend gesehen worden sind. Ich komme nun zu dem Zeugen Buchholz. Es ist naturgemäß, daß man auch das Zeugnis dieses Mannes, seinen Lebenswandel usw. anzugreifen bestrebt ist. Sie haben jedoch gehört, daß Buchholz wohl bisweilen einen Schnaps trinkt, aber keineswegs ein größeres Quantum als andere Leute seines Standes. Daß Buchholz sowohl als auch viele andere Zeugen mit ihren Angaben zurückgehalten haben, erklärt sich aus dem Umstande, daß ihnen nicht die Angeklagten allein gegenüberstanden, die infolge der gegen sie angebrachten Bezichtigungen alles mögliche aufboten, um ihren Charakter zu bemängeln und sie, wenn möglich, öffentlich bloßzustellen, und daß diesen Zeugen eine ganze Bevölkerungsklasse, rungsklasse, die gesamte Judenschaft zu Neustettin gegenüberstand.

Es ist ferner zu erwägen, daß in solchem Falle auch Existenzrücksichten für das Verhalten der Zeugen, in vorliegendem Falle zweifellos in sehr wesentlichem Maße, in Betracht kommen. Derartige Rücksichten haben sicherlich[43] auch den Buchholz, der bei Heidemann in Diensten gestanden, veranlaßt, so lange mit seinen Angaben zurückzuhalten. Als Buchholz diese Rücksichten nicht mehr zu beobachten brauchte, da trat er mit seinen Angaben hervor. Ein solches Verhalten verdient jedoch nicht Tadel oder gar Verachtung, sondern im Gegenteil, ein solches Verfahren verdient Lob. Der Umstand, daß Buchholz mit Heidemann in einer Zivilklage gestanden, kann ihn nicht zu einer derartigen Denunziation veranlassen. Die Bekundungen des Buchholz, welche von Beyer wesentlich unterstützt werden, in Verbindung mit allen weiteren Momenten lassen es als zweifellos erscheinen, daß die Angeklagten mit der Brandstiftung in unmittelbarer Verbindung stehen. Ich habe schon ausgeführt, daß es leider nicht gelungen ist, den eigentlichen Täter zu ermitteln, es ist jedoch meine volle Überzeugung, daß die Angeklagten gemeinschaftlich gehandelt haben. Noch ein Wort bezüglich des Beweggrundes, der die Angeklagten zur Begehung der Tat veranlaßt hat. Ich werde deshalb genötigt sein, ein kurzes Streiflicht auf die politischen Vorgänge jener Zeit zu werfen. Ich werde dies jedoch, wie versprochen, in der kürzesten Form tun. Sie werden mir nachrühmen, daß die politische Parteibewegung nur dann in den Gerichtssaal gezogen wird, wenn der dringendste Zwang dazu vorliegt. Sie alle, meine Herren, haben es erlebt, daß gerade zur Zeit des Brandes die Bevölkerung Neustettins in zwei Parteien gespalten war, die sich aufs heftigste bekämpften. Von der sogenannten antisemitischen Partei ist in öffentlichen Versammlungen und in der Presse erörtert worden, welch schädliche Wirkungen der Einfluß der Juden auf unsere öffentlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse übt. Es ist in einer in Neustettin erscheinenden Zeitung ein mittelalterliches Zitat erwähnt worden, welches als bestes Mittel, um den Einfluß der Juden zu brechen, das Niederbrennen ihrer Tempel empfiehlt. Daß sich aus diesem Anlaß der Juden eine hochgradige Erregung bemächtigte, finde ich sehr natürlich. Ich will keineswegs behaupten, daß der Brand von der gesamten Judenschaft Neustettins geplant wurde, und daß diese Angeklagten nur die vorgeschobenen Werkzeuge sind. Allein ich behaupte, die[44] Angeklagten zählen zu jenen Heißspornen unter den Juden, die das vorliegende Verbrechen ausführten, weil ihnen als Juden die antisemitische Bewegung unangenehm war, weil sie eine Gefährdung des öffentlichen chen Friedens oder eine Beschränkung der staatsbürgerlichen Rechte der Juden als eine Folge der Bewegung fürchteten. Sie suchten deshalb nach Mitteln, um den gesetzgebenden Faktoren klarzumachen, daß die Bewegung zu offenen Gewalttätigkeiten führt, den öffentlichen Frieden gefährdet, und daß es mithin geboten sei, der Antisemitenbewegung von Gesetzes wegen Einhalt zu tun. Eine Schädigung der Gemeinde war damit, angesichts der dem Werte des Tempels entsprechenden Versicherungssumme, nicht verbunden, im Gegenteil, die Angeklagten erzielten nur noch, der Gemeinde Gelegenheit zu geben, ein größeres Bethaus, das den Anforderungen besser entsprach, zu schaffen. Ich hoffe, meine Herren Geschworenen, Sie werden die erste Schuldfrage in vollem Umfange bejahen. Jedenfalls steht fest, daß die Angeklagten schuldig sind, dem Täter bei Begehung des Verbrechens wissentlich Hilfe geleistet zu haben. Zur Bejahung dieser Frage ist nicht die Annahme erforderlich, daß der Täter außerhalb des Kreises der Angeklagten zu suchen ist. Daß die beiden Heidemann sich im Sinne der dritten Frage schuldig gemacht haben, ist zweifellos. Das öffentliche Interesse, meine Herren, erfordert es, daß ein so schweres Verbrechen, wie das vorliegende, nicht ungesühnt bleibt. Gehen Sie an die Prüfung ohne alle Voreingenommenheit, halten Sie sich streng an die vorliegenden Tatsachen. Sollten Sie dabei, was ich hoffe, zu der Überzeugung von der Schuld der Angeklagten gelangen, dann werden Sie zweifellos auch jene Entschlossenheit an den Tag legen, die stets den deutschen Mann ausgezeichnet hat.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello (Berlin): Meine Herren Geschworenen! Nicht mit Unrecht hat die gegenwärtige Angelegenheit in der weitesten Kreisen, ja, ich kann wohl sagen, in der ganzen zivilisierten Welt das größte Interesse erregt. Es ist zweifellos, daß der gegenwärtige Prozeß das Resultat jener unerfreulichen Bewegung ist, die sich in den letzten Jahren in unserem Vaterlande kundgegeben[45] hat. Jedenfalls steht es fest, daß der gegenwärtige Prozeß sich zu jener Bewegung verhält wie das Symptom zur Krankheit. Ich will mich ebenso wie der Herr Staatsanwalt bemühen, die politische Seite der Sache in knappster Form zu behandeln, denn wir haben alle Veranlassung, den Mantel christlicher Nächstenliebe auf die in den letzten Jahren vorgekommenen Religionsausschreitungen zu decken, Ausschreitungen, die vor einigen Tagen selbst bis in diesen Gerichtssaal ertönten. Wir haben alle Veranlassung, dahin zu wirken, daß die religiöse Unduldsamkeit und Verfolgungssucht der Toleranz und Brüderlichkeit, welche die deutsche Nation stets ausgezeichnet hat, wieder weiche. Der Herr Staatsanwalt betonte den deutschen Geist – ich habe dasselbe Recht wie der Herr Staatsanwalt, auf den deutschen Geist hinzuweisen. Ich will deshalb die antisemitische Bewegung als eine gegebene Tatsache hinnehmen. Ich bin überzeugt, meine Herren Geschworenen, Sie werden mit richtigem, nüchternem Blick, wie es nur allein dem Richter ziemt, an die Prüfung der Tatsachen herantreten und sich von allen sonstigen Einflüssen fernhalten. Zunächst muß ich bemerken, daß die Verteidigung entfernt ist, der Behörde über ihr Verhalten irgendeinen Vorwurf zu machen; im Gegenteil, ich nehme keinen Anstand, das Vorgehen der Behörde als ein vollkommen korrektes zu bezeichnen. Das Verfahren lag sogar im Interesse der Angeklagten, die so lange unter dem Verdacht eines schweren Verbrechens gestanden haben. Den Angeklagten konnte es nur erwünscht sein, sich endlich verantworten zu können und ihr Schicksal in die Hände von Männern zu legen, die mitten im Leben stehen und die sich, trotz der hochgehenden Wogen der politischen Parteileidenschaften, ein vollständig gerechtes Urteil bewahrt haben. Soviel steht jedenfalls fest, haben die Angeklagten das Verbrechen begangen, dann ist es aus einem unerklärlichen Fanatismus geschehen, oder sie sind unschuldig, wovon ich aus innerstem Herzen überzeugt bin, dann sind sie das Opfer religiöser Verirrung. Der Herr Staatsanwalt tut uns Unrecht, wenn er behauptet, wir bemängeln die Glaubwürdigkeit der Zeugen. Ich bin entfernt davon; ich hätte nur gewünscht, daß der Herr Staatsanwalt[46] nicht bloß die Aussagen der Belastungszeugen, sondern auch die der Entlastungszeugen vorführte. Allein auf Grund solcher unsicheren, sich so sehr widersprechenden Beweise werden Sie, meine Herren Geschworenen, dessen bin ich gewiß, unmöglich vollständig unbescholtene Leute eines Verbrechens für überführt erachten, das sie für immer aus der menschlichen Gesellschaft ausschließen würde. Daß die Angeklagten sich durch ihr Benehmen verdächtig gemacht haben, kann man doch wohl nicht annehmen. Daß die Angeklagten sich widersprochen und sich nicht an alle Einzelheiten, die sie am Freitag vor dem Brande getan, erinnern, ist ihnen gewiß nicht übelzunehmen. Für die Angeklagten war der Morgen vor dem Brande nicht ein besonderer Tag, bezüglich dessen sie sich genau an alle Einzelheiten erinnern sollen. Daß die Angeklagten oftmals etwas direkt bestreiten, was sie besser zugegeben hätten, erklärt sich aus ihrem geringen Bildungsgrade. Im übrigen haben wir doch derartige Wahrnehmungen auch an einer Anzahl Zeugen gleichen Bildungsgrades gemacht. Ich habe schon gesagt, ich will, mit Ausnahme des Zeugen Angermann, den Zeugen nichts vorwerfen; allein eins steht fest: die meisten Belastungszeugen haben sich in ganz unerklärlicher Weise furchtsam benommen. men. Ein Teil der Zeugen fürchtet die Frau, ein Teil den Staatsanwalt und eine dritte Gruppe das »Brüllen« des vernehmenden Richters. Hier legten dieselben Zeugen eine solche Furchtsamkeit nicht an den Tag. Daß die Zeugen Existenzrücksichten hatten, ist wohl nicht anzunehmen. Wäre das der Fall, dann würden doch diese Rücksichten heute ebenfalls noch maßgebend sein. Zu erwägen ist, daß nun fast drei Jahre seit jenem verhängnisvollen Tempelbrande verflossen sind. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß jener Tempelbrand seit dieser Zeit bis auf den heutigen Tag das fast ausschließliche Tagesgespräch in Neustettin gebildet hat. Erwägt man noch die hochgradige Erregung jener Bevölkerung, dann kann es kaum wundernehmen, daß durch Hin- und Hergespräche Verdachtsmomente zusammengetragen wurden, die schließlich in so lawinenartiger Weise angewachsen sind. Man macht es den Angeklagten zum Vorwurf, daß auf der Brandstätte[47] die von mir beklagte Äußerung getan wurde: »Die Christen haben uns den Tempel angesteckt.« Eine Anzahl Frauen soll diese Äußerung getan haben. Ja, was schwatzen Frauen nicht alles. Und weshalb macht man es den Antisemiten nicht zum Vorwurf, daß von diesen mehrfach die Äußerung getan worden ist: »Die Juden haben sich den Tempel selbst angezündet.« Meiner Meinung nach liegt auch nicht der Schatten eines Beweises für die Schuld der Angeklagten vor. Es wird behauptet, daß die Angeklagten gemeinschaftlich das Verbrechen begangen haben. Es ist doch aber zu erwägen, daß niemand wählerischer in seiner Bundesgenossenschaft ist als Verbrecher. Feststeht, daß die beiden Heidemann, die zu den besseren Gesellschaftsklassen zählen, mit den übrigen Angeklagten nicht verkehrt haben. Zwischen dem jetzigen Tempeldiener Löwenberg und dem früheren Tempeldiener Lesheim bestand eine offene Feindschaft. Daß solch verschiedene Leute sich zu einem derartigen Verbrechen verbünden werden, ist doch wohl nicht anzunehmen. Der Herr Staatsanwalt nennt die Angeklagten Heißsporne. Ich habe mir nach den Shakespeareschen Schilderungen Heißsporne etwas anders vorgestellt. Zum mindesten haben doch die Angeklagten Heidemann nicht den Eindruck fanatisierter Menschen gemacht, Der Herr Staatsanwalt hält den alten Herrn Heidemann für schuldig, weil er sich gefaßt und ruhig verhalten, den Lesheim dagegen, weil er sehr aufgeregt war. Ich liebe es nicht, Zeugen anzugreifen, die sich nicht verteidigen können. Allein erwähnen muß ich die Tatsache, daß man alles mögliche tut, um die Verdachtsmomente lawinenartig anzuhäufen und daß viele Zeugen bemüht gewesen sind, den Staatsanwalt zu überstaatsanwalten. Ich erinnere, daß, als Herr Löwe mit einem Fremden über den Marktplatz ging, er von hier vernommenen Zeugen verfolgt wurde, welche hörten, daß Herr Löwe über eine Versicherungserhöhung sprach. Andere machten die Anzeige, daß die Heidemann ihr Feuerversicherungs-Schild in Milch getaucht haben, eine Tatsache, die mit der vorliegenden Brandstiftung absolut nichts zu tun hat. Andere sahen wieder einen jungen Mann jüdischer Konfession mit silbernen Leuchtern über die Straße[48] gehen, und obwohl sie wußten, daß solche Leuchter im Tempel nicht zur Verwendung zu kommen pflegten, so galt ihnen das als Belastungsmoment. Das am meisten Charakteristische für die Zustände in Neustettin ist die Bekundung des Zeugen Dahlitz. Sie werden mir beistimmen, wenn ich den Zeugen Dahlitz als einen sehr ruhigen, überlegten Mann bezeichne. Dieser Zeuge bekundete aber wörtlich: Er habe den Lesheim in aufgeregtem Zustande gesehen, und sofort sei er der Überzeugung gewesen, daß er den Täter vor sich habe und daß der Brand von den Juden in Szene gesetzt sei, um das Verbrechen den Christen in die Schuhe zu schieben. Und als der Zeuge gefragt wurde, worauf er seine Vermutung begründe, antwortete er: Lediglich deshalb, weil eine Anzahl Juden die Äußerung getan habe: »Die Christen haben uns den Tempel angesteckt.« Man prüft nicht mehr die Tat, denn man hat ja den Täter! Ich will mich nun mit den einzelnen Angeklagten beschäftigen. Ich frage zunächst, ist es möglich, daß, wenn Buchholz ein Mitwisser des Verbrechens ist, er von den bemittelten Heidemanns wegen einer Differenz von 60 M. entlassen werden wird? Die Heidemanns besaßen die Schlüssel zur Synagoge; sie konnten sie zu jeder Tages- und Nachtzeit betreten. War es nötig, daß die Heidemanns sich erst einen halsbrecherischen Weg von Buchholz haben bahnen lassen müssen? Und wenn das Herausbrechen zweier Bretter aus dem Staketenzaun irgendwie zur leichteren Betretung notwendig gewesen wäre, dann ist doch nicht anzunehmen, daß man einen Christen mit einer Arbeit beauftragen wird, die Heidemann jun. sehr gut selbst ausführen konnte. Welchen Zweck das Imbrandsetzen des Heidemannschen Spindes gehabt habe, vermag ich absolut nicht einzusehen. Zur Abbrennung des Tempels bedurfte es nicht des Feuers im Kleiderspind, das sich in der Heidemannschen Wohnung befand. Und nun zum Knaben Denzin. Ich habe eine andere Auffassung von dem Knaben Denzin wie der Herr Staatsanwalt. Ich meine, der Knabe Denzin hat noch ein jugendliches elastisches Gedächtnis und er hat den Vorzug, daß er vereidigt worden ist, während alle anderen Knaben ihres jugendlichen Alters wegen unvereidigt blieben. Als der Gesetzgeber unmündige[49] Kinder vom Eide ausschloß, hatte er zweierlei Gründe. Einmal weil er annahm, daß das jugendliche Gemüt fremden Einflüssen leicht zugänglich sei, und zweitens, weil die Phantasie des Kindes oftmals eine zu große ist. Der Knabe Denzin will nun Wahrnehmungen gemacht haben, die geradezu unerklärlich sind. Mindestens sechsmal sollen die Heidemann, Vater, Sohn und Enkel, aus ihrem Hause herausgekommen und in die Synagoge hineingegangen sein. Ich habe schon erwähnt, daß ein solch fortwährendes Laufen die Heidemanns nicht nötig hatten, sie hätten zu anderer, zur Ausübung eines Verbrechens günstigerer Zeit in die Synagoge gehen können. Außerdem bleibt doch zu erwägen, daß zur selben Zeit die Familie Heidemann gerade an jenem Tage am Bette eines todkranken Kindes stand, das am folgenden Tage in einer fremden Wohnung starb. Anfänglich behauptete der Knabe Denzin, er habe seine Wahrnehmungen von der Schulbank aus gemacht. Als ihm vorgehalten wurde, daß es unmöglich sei, von der betreffenden Bank aus sitzend derartige Wahrnehmungen zu machen, erwiderte er: Ich bin, sobald mich der Lehrer etwas fragte, stets aufgestanden. Als artiger Schüler hat er doch die Pflicht, nicht das Gesicht nach dem Fenster, sondern nach dem Lehrer zuzukehren. Als er hörte, die richterliche Lokalbesichtigung habe ergeben, daß von der Bank, auf der er gesessen haben will, die bekundeten Wahrnehmungen nicht gemacht werden konnten, da bemerkte er: »Ich weiß nicht mehr, auf welcher Bank ich gesessen habe.« Ich glaube, damit fällt das ganze Zeugnis des Denzin in sich zusammen. Daß der alte Heidemann im Schlafrock gewesen ist und die Hände in seiner Tasche gehabt hat, kann doch wohl auch nicht für seine Schuld sprechen. Und nun zum Petroleum. Ein großes Feuer muß mittels Petroleum angesteckt sein, und wo das Petroleum fehlt, da stellt ein Buchholz zu rechter Zeit sich ein. Buchholz weiß anfänglich von Petroleum gar nichts. Es werden in Zeitungen hohe Belohnungen auf Ermittelung des Täters ausgeboten, die Belohnung wird in der Stadt ausgeklingelt. Buchholz findet es jedoch nicht für erforderlich, seine so sehr wichtigen Wahrnehmungen dem Richter mitzuteilen. Endlich nach langer, langer Zeit kommt er mit der[50] Anzeige, er habe am Vormittage des Brandes, als er aufs Feld fuhr, den Lesheim sen. mit einer Petroleumkanne in die Synagoge gehen sehen. Dem Löwenberg sei er zu gleicher Zeit mit einer blauen Mappe begegnet. Als Zeugen hierüber beruft er sich auf seinen Freund Beyer. Letzterer erklärt: Den Lesheim habe ich mit Petroleum nicht gesehen, dagegen aber den Löwenberg. Nun tritt Buchholz mit der Behauptung auf: Ja, ich habe am Morgen des Brandes, gegen fünf Uhr, auch den Löwenberg mit einer Petroleumkanne gehen sehen. Beyer sagte jedoch: Nicht am Morgen des 18., sondern am Morgen des 17. Februar gegen fünf Uhr sah ich den Löwenberg mit einer Petroleumkanne die Nysedorbrücke entlang gehen. Nun behauptet Buchholz: Ich habe den Löwenberg auch am 17. des Morgens mit einer Petroleumkanne gesehen. Beyer behauptete jedoch: Am Morgen des 17. ist er mit Buchholz gar nicht zusammengetroffen. Ich kann nicht umhin, diese Bekundungen des Buchholz als den Gipfelpunkt aller märchenhaften Einbildung zu bezeichnen. Beyer will den Löwenberg zwischen vier und fünf Uhr morgens gesehen haben, zu einer Zeit, in welcher im Monat Februar das Wiedererkennen sehr unsicher ist. Ich bin der Meinung, Beyer und Buchholz werden den Löwenberg, der ja als Schuldiener mit Petroleumkannen hantiert hat, zu irgendeiner anderen Zeit in der bezeichneten Weise gesehen haben. Ihre mythenreiche Phantasie veranlaßte sie schließlich, diese Begegnung des Löwenberg mit dem Brande in Verbindung zu bringen. Ich gehe nun zu Lesheim über. Es wäre geradezu unerklärlich, daß die Lesheim an der belebtesten Seite der Synagoge am hellen Tage das Fenster ausgehängt haben sollen. Ich will nicht sagen, daß die Zeugen sämtlich in dieser Beziehung die Unwahrheit bekundet haben. Ich glaube vielmehr, Lesheim hat, als er das Feuer bemerkte, in der Tat ein Fenster ausgehängt. Er hat damit nichts Schlimmeres getan, als geständlich der Tischlermeister Kubelke, ein Mann christlicher Konfession, getan hat. Daß er nicht gleich Feuer gerufen und gezögert hat, die Spritzen zu holen, ist doch um so mehr erklärlich, als mehrere Leute bekundeten, das Feuer sei anfänglich mit mehreren Eimern Wasser zu löschen gewesen. Der Herr[51] Staatsanwalt nimmt selbst an, daß die jüdische Gemeinde in Neustettin keine Schuld an dem Brande habe. Nun soll aber auch als Belastungsmoment gelten, daß in den Wochen vor dem Brande die Synagoge des Morgens stets erleuchtet war, während sie in der Woche des Brandes unerleuchtet blieb. Ein solches Verfahren konnte doch bloß ausgeführt werden unter Mitwissenschaft aller Gemeindemitglieder. Hätten aber andererseits nicht gerade die Frühgottesdienste die beste Gelegenheit zur Vorbereitung des Brandes gegeben? Aber auch auf der Brandstätte aufgesammelte Gebetbuchreste sollen den Beweis liefern, daß das Feuer vorsätzlich mittels Petroleum angezündet worden ist. Wären die Gebetbücher wirklich mit Petroleum getränkt gewesen, dann wäre von ihnen auch nicht ein Atom übriggeblieben. Ist es nicht möglich, wie der Sachverständige, Herr Ingenieur Schreiber im übrigen ebenfalls bekundet hat, daß durch Unvorsichtigkeit ein brennendes Streichholz auf den mit Wachs gebohnerten Fußboden geworfen wurde, daß dies langsam glimmte und schließlich seine verheerende Wirkung übte? Die Beweisaufnahme hat kein Moment ergeben, das die Schuld der Angeklagten dargetan hätte; sie hat aber ebensowenig irgend etwas zutage gefördert, was zu der Annahme berechtigt, daß der Täter irgendwo anders zu suchen sei. Ich stelle deshalb aus voller Überzeugung den Antrag, die Angeklagten freizusprechen, und ich freue, mich feststellen zu können, daß der Täter auch auf keiner anderen Seite zu suchen ist. Unser Vaterland ist glücklicherweise vor dem Schimpf bewahrt geblieben, daß eine beklagenswerte Religions-Ausschreitung einzelner Bevölkerungklassen ein solch schweres Verbrechen gezeitigt hat. Ich schließe deshalb in der festen Überzeugung, Ihr Wahrspruch kann nur lauten: Die Angeklagten sind unschuldig.

Verteidiger Justiz-Rat Scheunemann (Neustettin): Ich kann mich im allgemeinen meinem Herr Mitverteidiger anschließen. Als ein Hauptbelastungsmoment führt die Staatsanwaltschaft die am Tage des Brandes seitens der Juden ausgesprochenen Behauptungen an: »Die Christen haben den Tempel in Brand gesteckt.« Wenn man die damalige Antisemitenhetze in Erwägung zieht, wenn man berücksichtigt,[52] daß kurz vor dem Brande Dr. Henrici aus Berlin eine gegen die Juden aufhetzende Rede in Neustettin hielt, wenn man vollends die Hetzereien der »Norddeutschen Presse« in Betracht zieht, dann wird man jene Behauptung der Juden sehr erklärlich finden. Es wird Ihnen ferner bekannt sein, meine Herren, daß diese antisemitische Hetze schließlich zu einem offenen Krawall in Neustettin stettin geführt hat. Welche Stimmung in der Bevölkerung Neustettins noch heute vorhanden ist, beweist doch der Umstand, daß Buchholz sich von seinem Prinzipal, dem Eisengießereibesitzer Ehmke in Neustettin, mittels Telegramms ein Leumundszeugnis ausstellen ließ. Es ist nicht gering anzuschlagen, daß die »Norddeutsche Presse« fünf Tage vor Ausbruch des Brandes ein mittelalterliches Zitat brachte, das ungefähr dahin lautete: »Brennt die Tempel der Juden nieder, macht sie der Erde gleich.« Ging doch die »Norddeutsche Presse« soweit, nicht bloß die Juden anzugreifen, sondern auch diejenigen zu beschimpfen, die nicht in den Ton der Antisemiten einstimmten. In jene Zeit fiel auch das Verlangen jenes Blattes, in Neustettin einen christlichen Anwalt anzustellen, obwohl man wußte, daß schon seit Jahren

Vors. (den Redner unterbrechend): Ich muß dem Herrn Verteidiger bemerken, daß die »Norddeutsche Presse« nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist.

Verteidiger: Es ist ein Zitat aus der »Norddeutschen Presse« hier verlesen worden.

Vors.: Es ist allerdings bei der Vernehmung des Zeugen Löwe ein Zitat aus der »Norddeutschen Presse« verlesen worden; ich wußte im Augenblick nicht, welche Tragweite dies hat. Ich kann jedoch dem Herrn Verteidiger ein weiteres Eingehen auf die »Norddeutsche Presse« nicht gestatten.

Vert.: Nun, meine Herren, ich muß bekennen, ich habe mich gewundert, daß die Anklage auf Grund eines solchen Materials erhoben worden ist. Erklärlich erscheint mir dies nur, weil die Staatsanwaltschaft es für nötig gehalten hat, die leidige Angelegenheit endlich einmal zur Erledigung zu bringen. Es kann ja den Angeklagten auch nur erwünscht sein, ihr Schicksal in Ihre Hände, meine Herren, zu legen, die Sie, des bin ich gewiß, die Angelegenheit mit nüchternem und unparteiischem Blicke prüfen werden. Es[53] ist doch wohl nicht anzunehmen, daß, während die Heidemanns am Krankenbette eines todkranken Kindes standen, der alte Heidemann mit seinem Sohne und zwei Enkeln in das, was den Juden am heiligsten ist, in den Tempel geht, um diesen in der Nähe des Allerheiligsten in Brand zu stecken. Hatte nicht Heidemann zu befürchten, daß sein Besitztum selbst ein Raub der Flammen werden könnte? Daß Heidemann ein Interesse für die Abbrennung seines Besitztums hatte, ist nicht erwiesen worden. Zum mindesten hätten doch die Heidemanns Veranstaltungen treffen müssen, um ihr Besitztum in Sicherheit zu bringen. Die Behauptungen des Zeugen Buchholz sind von dem Fleischermeister Haß vollständig widerlegt worden. Bezüglich der Bekundungen des Buchholz betreffs der Petroleumkannen-Angelegenheit hat mein Herr Mitverteidiger bereits erschöpfende Ausführungen gemacht. Bezüglich der beiden Lesheim ist der Alibibeweis vollständig als gelungen zu erachten. Drei klassische Zeugen haben übereinstimmend bekundet: Leo Lesheim sei zur Zeit, als er in Gemeinschaft seines Vaters die vielfach erwähnte Manipulation mit einem Stuhle am Synagogenfenster gemacht haben soll, bei ihnen gewesen, um Krankenkassenbeiträge einzuziehen. Gegen diese Zeugen könnte bloß sprechen, daß sie jüdischer Religion sind. Das gesamte Auftreten des Zeugen Angermann wird Sie von seiner Unglaubwürdigkeit vollständig überzeugt haben. Ich habe wohl kaum nötig, diesen Zeugen noch des näheren zu charakterisieren. 2 1/2 Jahre lang hielt der Zeuge, obwohl zweimal gerichtlich vernommen, mit seinen Angaben zurück und bekundete, an Lesheim nichts Auffälliges bemerkt zu haben. Jetzt tritt er nun mit ganz anderen Wahrnehmungen hervor, die ihn so aufgeregt haben, daß er sich heute vor Erregung noch nicht fassen kann. Ich muß gestehen, ich habe schon häufig in Kriminalsachen verteidigt, ein Verhalten, wie das der Angeklagten ist mir jedoch bei Verbrechern noch niemals vorgekommen. Wer die Vernehmung der Angeklagten mit angehört hat, der mußte zu der Annahme gelangen: Die Angeklagten sind nicht eines so schweren Verbrechens angeklagt, sondern stehen als klassische Zeugen vor Gericht. Der Verteidiger diger ging noch des[54] näheren auf die Einzelheiten der Beweisaufnahme ein und schloß: Meine Herren Geschworenen! Ich lege das Schicksal der Angeklagten, gleich meinem Herrn Mitverteidiger, vertrauensvoll in Ihre Hände. Sie werden auf Grund des vorliegenden Beweismaterials, des bin ich gewiß, bisher unbestrafte Leute nicht eines solchen Verbrechens für schuldig erachten.

Staatsanwalt Pinoff: Ich muß es zurückweisen, daß die Staatsanwaltschaft lediglich deshalb die Anklage erhoben hat, um die Angelegenheit zur Erledigung zu bringen. Wenn von dieser Stelle aus eine Anklage erhoben und aufrechterhalten wird, dann geschieht es, weil die Staatsanwaltschaft von der Schuld der Angeklagten überzeugt ist. Die Art, wie die Verteidigung die Zeugen angegriffen hat, ist für mich ein neuer Beweis, daß die Zeugen zu entschuldigen sind, wenn sie mit ihren Angaben gezögert haben. Der Staatsanwalt ging alsdann nochmals auf die einzelnen Zeugenaussagen ein. Die Verteidigung habe eine Anzahl Momente angeführt, die er (Staatsanwalt) unterlassen habe und die für die Beurteilung der vorliegenden Frage recht unerheblich seien. Er ersuche nochmals die Herren Geschworenen, die Ruchlosigkeit des vorliegenden Verbrechens nicht ungesühnt zu lassen. Der Schuldbeweis sei hinlänglich erbracht, und er sei überzeugt, die Geschworenen werden zu einem Schuldig dig gelangen.

Nach einer kurzen Erwiderung des Justizrats Scheunemann nahm noch einmal das Wort Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello: Ich will ebenso kurz sein, als ich vorhin lang sein mußte. Daß dem Herrn Staatsanwalt bisher Bedenken aufgestiegen sind, ebenso wie wir im Laufe der Verhandlung bisweilen Bedenken gehabt haben, ist wohl zweifellos. Ich habe noch niemals für die Freisprechung eines Angeklagten plädiert, wenn ich nicht von seiner Unschuld überzeugt war. Ich habe dasselbe Recht wie der Herr Staatsanwalt, meine Überzeugung auszusprechen, ob ich die Angeklagten für schuldig oder unschuldig halte. Die Nebenmomente, von denen der Herr Staatsanwalt sprach, füllten einen sehr großen Teil unserer Verhandlungen aus, und es wurde ihnen, ganz besonders dem ominösen Brande in dem Heidemannschen[55] Kleiderspinde, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gerichtssaales eine sehr große Bedeutung beigelegt. Den Beweis hierfür haben die vielen eingelaufenen Telegramme geliefert. Es ist auch weniger Aufgabe der Verteidigung, auf die Ausführungen des Staatsanwalts einzugehen, sie hat es vielmehr hauptsächlich mit dem vorhandenen Beweismaterial zu tun. Das Recht, die Aussagen der Zeugen anzugreifen, ihr Zeugnis erschüttern zu suchen, ist das heiligste Recht der Verteidigung, das ich mir niemals auch nur im mindesten verkümmern lassen werde. Der Verteidiger ging noch des näheren auf die Einzelheiten der Anklage ein und schloß: Ich richte nochmals das dringende Ersuchen an Sie, meine Herren Geschworenen, sprechen Sie die Angeklagten frei, denn es liegt nicht der mindeste Beweis einer Schuld vor. Würden Sie zu einem entgegengesetzten Wahrspruch gelangen, den ich jedoch für unmöglich halte, dann dürfte dies zur Herbeiführung des konfessionellen Friedens wenig beitragen. Es dürfte alsdann nicht ausbleiben, daß die Juden sagen werden, das haben uns die bösen Antisemiten getan.

Die Angeklagten versicherten sämtlich ihre Unschuld.

Der Vorsitzende erteilte hierauf die Rechtsbelehrung, worauf die Geschworenen in Beratung traten. Nach einstündiger Beratung verkündete der Obmann, Regierungsrat Delsa (Köslin) folgenden Wahrspruch: Die Angeklagten sind von der vorsätzlichen Brandstiftung sämtlich freizusprechen, dagegen sind bezüglich der Heidemann die Fragen ad 3: Von einem Verbrechen zu einer Zeit, in welcher die Verhütung noch möglich war, glaubhafte Kenntnis erhalten und es unterlassen zu haben, der Behörde rechtzeitig Anzeige zu machen, die Frage ad 2: Sind die Angeklagten schuldig, dem Täter zur Begehung des Verbrechens durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben, bezüglich der beiden Lesheim bejaht worden. Bezüglich des Leo Lesheim ist es verneint worden, daß dieser die erforderliche Einsicht besessen hat. Bezüglich des Löwenberg sind alle Schuldfragen verneint worden.

Der Staatsanwalt beantragte gegen die Heidemann, Vater und Sohn, je ein Jahr Gefängnis, gegen Lesheim sen. fünf Jahre Zuchthaus, gegen[56] Leo Lesheim Überweisung an eine Besserungsanstalt und gegen Löwenberg Freisprechung. Die Verteidiger verzichteten auf jede weitere Äußerung.

Darauf zog sich der Gerichtshof zur Beratung zurück.

Die Angeklagten, sowie deren anwesende Frauen und Kinder brachen in lautes Weinen und Wehklagen aus. Die Angeklagten versicherten wiederholt ihre volle Unschuld.

Es herrschte in dem überfüllten Saale eine furchtbare Aufregung. Nach ziemlich langer Beratung erkannte der Gerichtshof gegen Heidemann sen. auf drei Monate Gefängnis, gegen Heidemann jun. auf sechs Monate Gefängnis, gegen Lesheim sen. auf vier Jahre Zuchthaus und vier Jahre Ehrverlust, gegen Lesheim jun. auf Überweisung an eine Besserungsanstalt und gegen Löwenberg auf Freisprechung. Bei Abmessung der Strafe – so äußerte der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Buhrow – ist als erschwerendes Moment die Absicht in Betracht gezogen worden, die Schuld des Verbrechens den Christen in die Schuhe zu schieben. Ein anderes Motiv hat die Untersuchung nicht ergeben. Den Angeklagten sind die Kosten des Verfahrens zur Last zu legen. Ferner hat der Gerichtshof beschlossen, den Angeklagten Lesheim sen. sofort in Haft zu nehmen.

Gegen dies Urteil legte R.-A. Dr. Sello Revision ein.

Die Sache gelangte am 4. Januar 1884 vor dem zweiten Strafsenat des Reichsgerichts zur Verhandlung. Den Vorsitz führte Reichsgerichts-Senatspräsident Drenkmann. Die Reichsanwaltschaft vertrat Reichsanwalt Dr. v. Wolff. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Dr. Sello (Berlin) und Justizrat Dr. Lüntzel (Leipzig). Nachdem R.-A. Dr. Sello eine Anzahl in der Kösliner Schwurgerichtsverhandlung vorgekommener Rechtsverletzungen begründet hatte, die die Aufhebung des Urteils nötig machten, schloß der Verteidiger:

Ich will zum Schluß mir nur noch erlauben, mit ganz kurzen Worten einige Verhältnisse zu berühren, die mit mir wohl jeder Vaterlandsfreund aufs tiefste beklagen wird. Es wird auch dem hohen Gerichtshofe nicht unbekannt sein, daß seit einigen Jahren einige Gegenden unseres Vaterlandes von einer Krankheit infiziert sind, die ich hier nicht[57] näher bezeichnen will, von der aber ganz besonders die Provinz Pommern und hauptsächlich der Teil der Provinz heimgesucht ist, in dem die Hauptverhandlung stattgefunden hat. Der hohe Gerichtshof wird mir beistimmen, daß unter solchen Verhältnissen ein Schwurgericht und wäre es selbst aus lauter jüdischen Geschworenen gebildet, nicht imstande ist, in dem vorliegenden Falle ein objektives Urteil zu fällen. Ich würde den hohen Gerichtshof ersuchen, wenn er, woran ich nicht zweifle, meinen Prinzipalantrag akzeptiert, die Verhandlung vor das benachbarte Schwurgericht Stargard zu verweisen. Das ebenfalls benachbarte Schwurgericht zu Stolp würde, wie Tatsachen lehren, ebensowenig zur Abgabe eines unparteiischen Urteils geeignet sein, als das Schwurgericht Köslin. Ich beantrage daher ganz ergebenst: das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Schwurgericht zu Stargard zu verweisen.

Justizrat Dr. Lüntzel: Nach der ausführlichen Rede meines Herrn Kollegen kann ich mich kurz fassen. Ich bin allerdings der Meinung, daß der Zeuge Kleefeldt, der einmal in Bausachen vereidigt worden ist, von neuem einen Sachverständigeneid hätte leisten müssen. Von vollkommen durchschlagender Bedeutung erachte ich auch die sub 10 erwähnten unstatthaften Verlesungen. Eine solche Praxis würde unser gesamtes mündliches Verfahren vollständig überflüssig machen; chen; es würde alsdann nur nötig sein, die Zeugenaussagen zu verlesen, um ein Urteil zu fällen. Der hohe Gerichtshof wird mir beistimmen, daß das gerügte Verfahren eine Herabwürdigung des Prinzipes des Mündlichkeit in sich schließt. Das gerügte Verfahren ist aber um so schlimmer, wenn man die schwüle Atmosphäre, die in jener Gegend herrscht, in Betracht zieht, wenn man erwägt, daß der Chorus des Publikums auf Grund von Zeitungsberichten usw. unaufhörlich in die Verhandlung eingriff. Wenn nun diese Skripta vom Vorsitzenden in öffentlicher Sitzung mitgeteilt worden sind, dann ist es gewiß dringend geboten, das Urteil zu vernichten und die Sache von einem objektiven Schwurgerichtshofe nochmals prüfen zu lassen.

Reichsanwalt Dr. v. Wolff: Ich erachte lediglich den Punkt 7 der Revisionsschrift für ausschlaggebend. Alle übrigen[58] in der Revisionsschrift angeführten Punkte sind zur Vernichtung des Urteils nicht geeignet. Es ist wohl statt, haft, den Inhalt von eingegangenen Schreiben mitzuteilen. Solange nicht feststeht, daß die Briefschreiber ihre mitgeteilten Wahrnehmungen beeidigt haben, können sie für die Beurteilung der Sache nicht von Einfluß sein. Bezüglich des Punktes 7 liegt allerdings eine Rechtsverletzung vor. Ich beantrage daher: die Vernichtung des Urteils und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Schwurgericht zu Konitz zu verweisen.

Nach längerer Beratung verkündete Senatspräsident Drenkmann: Der Senat hat beschlossen: das Urteil des Schwurgerichts zu Köslin in Sachen Heidemann und Genossen aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das Königliche Landschwurgericht zu Konitz zu verweisen. Der Senat hat, mit Ausnahme des Punktes 7, alle von der Verteidigung angeführten Revisionsgründe für hinfällig erachtet. Es ist aktenmäßig nicht erwiesen, daß der von dem Zeugen Kleefeldt geleistete Sachverständigeneid ein unzulänglicher war. Eine Verlesung von Telegrammen und Briefen ist allerdings in der Hauptverhandlung nicht zulässig, dagegen ist es statthaft, von dem Inhalt solcher Schreiben Mitteilung zu machen. Lediglich das letztere ist geschehen. Dagegen steht es aktenmäßig fest, daß der Zeuge Engel über das ihm zustehende Recht, die Beeidigung seines Zeugnisses verweigern zu dürfen, nicht belehrt worden ist. Wenn auch Engel zweifellos zugunsten des Gustav Heidemann ausgesagt hat, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß er zuungunsten der übrigen Angeklagten etwas bekundet und infolge seiner Vereidigung das Urteil der Geschworenen beeinflußt hat. Lediglich aus diesem rechtlichen Gesichtspunkte mußte, wie geschehen, erkannt werden.

Am 29. Februar 1884 gelangte die Sache vor dem Schwurgericht Konitz zur nochmaligen Verhandlung. Den Gerichtshof bildeten Landgerichtsrat Arndt (Danzig) Vorsitzender, Landrichter v. Kaltenborn und Gerichtsassessor Dr. Kayser (Beisitzende). Die Staatsanwaltschaft vertrat Erster Staatsanwalt Schlingmann; die Verteidigung führten[59] Justizrat Makower und Rechtsanwalt Dr. Sello (Berlin), Justizrat Scheunemann (Neustettin) und Rechtsanwalt Meibauer (Konitz). Gleich nach dem Erscheinen des Gerichtshofes wurden die Angeklagten eingeführt. Der in Köslin in Haft genommene Lesheim sen. halte sich seit dieser Zeit furchtbar verändert. Der erst 40 Jahre alte Mann war fast grau geworden.

Nach Bildung der Geschworenenbank nahm der Vorsitzende mit dem Angeklagten Heidemann sen. eine sehr eingehende Vernehmung vor.

Vors.: Wie oft fanden gottesdienstliche Versammlungen in der Synagoge statt?

Angekl.: Jeden Freitagabend und Sonnabend vormittags regelmäßig; außerdem fand an Wochentagen Frühgottesdienst statt, wenn eine Beschneidung vorgenommen werden sollte oder irgendein Gemeindemitglied den Todestag seiner Eltern durch gottesdienstliche Handlungen begehen wollte.

Vors.: War in der Woche, in der der Brand stattfand, Gottesdienst im Tempel?

Angekl.: Das ist möglich, ich erinnere mich aber nicht mehr.

Vors.: Wurde bei jeder gottesdienstlichen Handlung im Tempel Licht gebrannt?

Angekl.: Nein, die Lichter wurden nur angezündet, wenn es erforderlich war.

Vors.: Wurden die Lichter angezündet, wenn an Wochentagen Frühgottesdienst stattfand?

Angekl.: Nein, das brauchte schon deshalb nicht zu geschehen, da wir Juden unser Morgengebet, ehe der Tag angebrochen, nicht verrichten dürfen.

Vors.: Es wird nun behauptet, Sie hätten einem Ihrer Bediensteten einige Tage vor dem Brande den Auftrag erteilt, das in Ihrem Hofe aufgestapelte Holz abzutragen und aus dem Zaune, der gewissermaßen eine Scheidewand zwischen Ihrem Hofe und der Synagoge bildete, zwei Latten auszubrechen, um so einen bequemeren Zugang zu der Synagoge zu haben?

Angekl.: Das bestreite ich ganz entschieden.

Vors.: Was taten Sie an dem Freitagvormittag, an dem der Brand stattfand?

Angekl.: Etwa gegen elf Uhr kam Lehrer Hübner in meine Wohnung und sagte, daß aus dem Tempel dicker Qualm dringe. Ich besaß einen Reserveschlüssel zur Synagoge; mit diesem begab ich mich eiligst in Begleitung des Hübner hinunter und schloß[60] die Synagoge auf; ich vermochte jedoch bloß bis in die Vorhalle zu gelangen, denn der Innenraum des Tempels war mit dickem Qualm angefüllt. Ich lief mit Hübner eiligst aus der Vorhalle, lief um die Synagoge herum und sah auch sehr bald helle Flammen aus dem Inneren des Tempels herausschlagen.

Vors.: Es wird behauptet, daß Sie furchtbar gezittert haben, als Sie zum Untersuchungsrichter geladen und beschuldigt wurden, die Synagoge angezündet zu haben?

Angekl: Daß ich gezittert habe, gebe ich zu; ich leide schon seit fünfzehn Jahren an heftigem Gliederzittern.

Vors.: Die Flammen ergriffen auch Ihr Gebäude?

Angekl.: Jawohl.

Vors.: Sie ließen aus Ihrer Wohnung die Sachen hinunterräumen, und als Ihr Kleiderspind auf die Straße gesetzt war, bemerkte man, daß es in diesem ebenfalls brenne; wie erklären Sie sich das?

Angekl.: Die Spindtür war sehr locker; es ist möglich, daß Feuerfunken durch die Fugen der Spindtür geflogen sind.

Vors.: Es wird behauptet, Sie hätten auch beabsichtigt, Ihr eigenes Grundstück in Brand zu setzen?

Angekl.: Dazu fehlt mir jeder Grund; denn ich war sehr schlecht versichert.

Vors.: Es wird im weiteren behauptet, daß Sie auch die Synagoge in Brand gesetzt haben?

Angekl.: Dazu hatte ich absolut keine Veranlassung. sung. Es ist zu erwägen, daß mein niedrig versichertes Besitztum dicht neben der Synagoge belegen war, ich somit gefährdet gewesen wäre, mein Besitztum zu verlieren. Außerdem war eine achtjährige Enkelin zu jener Zeit gerade schwer krank. Da wir anläßlich des Feuers genötigt waren, das Kind aus dem Bette zu reißen und es in die Wohnung einer befreundeten Familie zu bringen, so ist das Kind auch jedenfalls infolge des Feuers am folgenden Tage gestorben.

Heidemann jun. bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Mein Vater leidet etwas an Gedächtnisschwäche; bei den Frühgottesdiensten, die an Wochentagen stattfanden, wurden stets Lichter, allerdings nur am Altar, angezündet. Im weiteren schließe ich mich im allgemeinen den Ausführungen meines Vaters an. Ich bestreite die mir zur Last gelegte Handlung. Unser Grundstück, das eigentlich jetzt ausschließlich mein Eigentum ist, ließ ich etwa fünf Jahre[61] vor dem Brande mit 11175 Mark versichern. Etwa zwei Jahre vor dem Tempelbrande ließ ich mein Grundstück renovieren, diese Instandsetzung kostete mich etwa 10 bis 1200 Mark; ich ließ jedoch die Versicherung nicht erhöhen. Mein Mobiliar war mit 6949 Mark und meine Handelswaren (Felle), die zur Zeit des Brandes einen Wert von etwa 9000 Mark repräsentierten, waren mit 3000 Mark versichert. Von den Fellen ist nichts verbrannt, dagegen wurde mein Haus und viele Möbel arg beschädigt, und eine große Anzahl von wertvollen Möbeln kam mir abhanden. Ich erhielt 3000 Mark Entschädigung von der Feuerversicherungs-Gesellschaft, ich hatte aber trotzdem einen Schaden von 1500 Mark.

Vors.: Die jüdische Gemeinde in Neustettin soll zur Zeit sehr arm gewesen sein?

Angekl.: Das ist richtig.

Vors.: Die abgebrannte Synagoge soll ein sehr klappriges Gebäude gewesen sein?

Angekl.: Nach dem Ausbau war das Aussehen ein besseres.

Vors.: Es wird behauptet, auch nach dem Ausbau wäre das Gebäude äußerlich nicht viel besser geworden.

Angekl.: Das ist wohl wahr, allein es genügte jedenfalls den erforderlichen Zwecken.

Vors.: Sie gehörten zur Zeit des Brandes zu den Repräsentanten der Neustettiner jüdischen Gemeinde?

Angekl.: Jawohl.

Vors.: Die jüdische Gemeinde beabsichtigte aber doch einige Jahre vor dem Brande, einen neuen Tempel zu bauen; es ist auch zum Bau eines neuen Tempels ein Bauplatz angekauft worden?

Angekl.: Das ist richtig; die Gemeinde war aber zum Bau eines neuen Tempels außerstande, deshalb wurde der Bauplatz wieder verkauft und der Ausbau des Tempels beschlossen.

Vors.: Woher nahm die Gemeinde das Geld zu dem Ausbau?

Angekl.: Aus dem Erlös, der durch den Verkauf des Bauplatzes erzielt wurde.

Vors.: Wann sind Sie vor dem Brande das letztemal in der Synagoge gewesen?

Angekl.: Am Sonnabend vor dem Brande.

Vors.: Haben Sie vor dem Brande den Buchholz beauftragt, das auf ihrem Hofe aufgestapelte Holz abzutragen und aus dem Bretterzaune zwei Latten herauszubrechen, um sich so vom Hofe aus einen Weg zur Synagoge zu bahnen?

Angekl.: Das bestreite ich ganz entschieden.

Vors.: Es wird behauptet,[62] Sie hätten den Tempel in Brand gesteckt?

Angekl.: Wenn jemand ein todkrankes Kind hat, dann wird er wohl nicht ein Gebäude in Brand stecken, das dicht neben seinem eigenen belegen ist.

Vors.: Erinnern Sie sich, daß, als Sie auf den Synagogenplatz kamen, Ihnen ein Mann, namens Schmidt, begegnete? Sie sollen zu dem Manne gesagt haben: »Was wollen Sie hier? Machen Sie, daß Sie fortkommen!

Angekl.: Das ist nicht wahr.

Vors.: Sie sollen ebenfalls, gleich Ihrem Vater, einen Fensterflügel ausgehängt gesehen haben?

Angekl.: Jawohl, aus diesem Umstande schloß ich die Vermutung, daß das Feuer angelegt sei.

Vors.: Hatten Sie bestimmte Verdachtsgründe gegen jemanden?

Angekl.: Nein.

Vors.: Sie sollen doch, gleich Ihrem Vater, gesagt haben: Das Feuer ist von Christen angelegt?

Angekl.: Das ist nicht wahr.

Vors.: Angeklagter Hirsch Heidemann: Sie sollen gesagt haben, das Feuer haben die Christen angelegt?

Angekl.: Wie konnte ich wohl so etwas sagen!

Der Angeklagte Lesheim sen. erzählte mit großer Weitschweifigkeit, was er am Vormittage des Brandes begonnen. Gegen elf Uhr vormittags sei sein Sohn Leo zu ihm ins Arbeitszimmer gestürzt mit dem Rufe: »Die Synagoge brennt!« Er habe sich eiligst auf die Brandstätte begeben und dort die beiden Heidemann, den Lehrer Hübner und andere getroffen. Da bis dahin nur dicker Qualm aus der Synagoge drang, so zog er sich an einem offenstehenden Fenster in die Höhe, um zu sehen, ob es noch möglich sei, die Gesetzesrollen und einige Gebetmäntel zu retten.

Vors.: Besitzen Sie denn eine solche Gewandtheit?

Angekl.: Jawohl, ich bin Mitglied des Neustettiner Turnvereins.

Vors.: Es wird behauptet, daß Sie sich nicht in die Höhe gezogen, sondern einen Stuhl geholt, auf den Sie sich gestellt haben. Ihr Sohn Leo soll den Stuhl getragen haben?

Angekl.: Das ist nicht wahr.

Vors.: Es wird behauptet, daß Sie am Tage des Brandes mit einer Blechkanne, die zu Petroleum benutzt zu werden pflegte, in den Tempel gegangen sind?

Angekl.: Das ist nicht wahr.

Vors.: Haben Sie eine andere Kanne besessen, mit der Sie bisweilen über die Straße gegangen sind?

Angekl.: Jawohl,[63] ich besaß eine irdene Kanne, in der ich bisweilen des Morgens Milch holte.

Vors.: Haben Sie etwa einen Doppelgänger in Neustettin?

Angekl.: Jawohl, mein Bruder in Neustettin sieht mir zum Verwechseln ähnlich.

Vors.: Besitzt die Gemeinde überhaupt Petroleumkannen?

Angekl.: Jawohl, es wurde im Winter stets Petroleum in der Religionsschule gebrannt, und auch im Tempel selbst wurde in früheren Jahren Petroleum gebrannt.

Vors.: Wo standen diese Kannen?

Angekl.: Das weiß ich nicht, seit 1880 bin ich nicht mehr Tempeldiener.

Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden äußerte der Angeklagte noch: Er habe, als er auf die Brandstätte stätte kam, die Umstehenden sehr bald gefragt, ob er Feuer rufen solle. Als ihm dies bejaht wurde, habe er sofort Feuer gerufen, und unter fortwährendem Rufen sei er auf den Marktplatz gelaufen, um die Spritzen zu holen. Vor der Rathaustür habe er den Stadtkämmerer getroffen und diesen von dem Feuer benachrichtigt. Auf dem Marktplatz haben ihm einige Leute zugerufen: »Was ist denn dabei, wenn der Judentempel brennt?«

Es sei unwahr, daß er zu jemandem geäußert habe: »Die Christen haben den Tempel angesteckt.«

Leo Lesheim äußerte sich in ähnlicher Weise wie sein Vater. Er habe an jenem Freitagvormittag im Auftrage seines Vaters Beiträge für den jüdischen Krankenverein einkassiert. Etwa gegen 11 1/2 Uhr vormittags habe er auf dem Marktplatze gehört, daß die Synagoge brenne. Er habe eiligst seinen Vater davon benachrichtigt und sei mit diesem sofort zur Brandstätte geeilt. Die Behauptung, daß er einen Stuhl getragen habe, bestreite er.

Ingenieur Schreiber: Als die Synagoge ausgebaut war – etwa zwei Jahre vor dem Brande – sah sie ganz gut aus; sie entsprach auch bezüglich der Sitze allen Anforderungen der Gemeinde. Die Synagoge hatte inkl. des Gestühls usw. einen Wert von 7500 Mark; die Kronleuchter usw. waren in dieser Wertsumme jedoch nicht mitgerechnet. Wie hoch der Tempel nach dem Ausbau versichert war, weiß ich nicht, ebensowenig wie hoch das Heidemannsche Grundstück versichert war. Es ist mir jedoch erinnerlich, daß die Versicherungssumme dem Werte vollständig entsprach.

[64] Vors.: Wie erklären Sie sich die Entstehungsursache des Feuers?

Sachverst.: Ich nehme an, daß es durch Fahrlässigkeit entstanden ist.

Vors.: Woraus schließen Sie das?

Sachverst.: Es wurde ja damals mehrfach die Behauptung aufgestellt, die Christen hätten das Feuer angesteckt. Mir schien es jedoch von vornherein, daß das Feuer durch Unvorsichtigkeit entstanden ist. Ich nahm Terpentingeruch wahr und glaubte infolgedessen um so mehr an eine Fahrlässigkeit, da die Bänke in der Synagoge mit Terpentinfarbe gestrichen waren.

Vors.: Haben Sie Petroleumgeruch wahrgenommen?

Sachverst.: Nein.

Vert. R.-A. Dr. Sello: Haben Sie, als Sie die Brandstätte untersuchten, irgendeine Wahrnehmung gemacht, die auf einen künstlichen Brandherd schließen ließ?

Sachverständiger: Nein.

Dr. Sello: Haben Sie von jemandem gehört, daß es bei dem Brande nach Petroleum gerochen habe?

Sachverständiger: Nein.

Dr. Sello: Hat Ihnen einer Ihrer Arbeiter irgendeinen auf der Brandstätte vorgefundenen Gegenstand gebracht, aus dessen Befund zu schließen war, daß er mit Petroleum oder sonst einer brennbaren Flüssigkeit getränkt war?

Sachverständiger: Nein.

Kreis-Bauinspektor Kleefeldt: Er habe Petroleumgeruch nicht wahrgenommen, allein er habe die Überzeugung, daß das Feuer vorsätzlich angelegt war. Dies schließe er einmal aus dem Umstande, daß so wenig Reste von den verbrannten Sachen vorgefunden wurden, daß das Feuer mit so großer Schnelligkeit um sich griff, und das verheerende Element sich sofort über alle Teile des Tempels verbreitete. Das Feuer entstand gegen 11 1/4 Uhr, und bereits gegen 12 Uhr war das ganze Gebäude total, einschließlich der Dielen, niedergebrannt. Es ist zu erwägen, daß die Synagoge nicht unterkellert war. Feuer brennt stets nach oben, niemals aber nach unten; auch kann sich Feuer gewöhnlich nicht so ausbreiten, wie es bei jenem Brande geschehen ist. Aus allen diesen Umständen schließe er, daß der ganze Fußboden mit einer brennbaren Flüssigkeit getränkt gewesen sei.

Sachverständiger Regierungsbaurat Benoit (Köslin): Auf Grund dieses Gutachtens kann ich noch nicht sagen,[65] daß die Brandstiftung eine vorsätzliche gewesen ist.

Ingenieur Schreiber: Ich kann dem Gutachten des Herrn Sachverständigen Kleefeldt nicht beipflichten. Einmal lag unter den Dielen eine drei Zoll dicke Holzschicht, und das andere Mal fielen die eingehauenen Wände auf den Fußboden, in welcher Folge es sehr natürlich ist, daß das Feuer den gesamten Fußboden erfaßte.

Regierungsbaurat Benoit: Diese Bekundung des Ingenieurs Schreiber macht es erklärlich, daß der gesamte Fußboden abgebrannt ist.

Die Frage des J.-R. Makower, ob Petroleum die totale Verbrennung von Holzgegenständen bedinge, beantworteten die Sachverständigen mit nein. Darauf wurde die von dem Bauinspektor Kleefeldt am 24. Februar 1881 vor dem Staatsanwalt abgegebene Aussage verlesen. Danach hat der Sachverständige damals gesagt: Der Fußboden war in der Nähe des Allerheiligsten total verbrannt, teilweise sogar das Fußbodenlager verkohlt.

Vors.: Herr Regierungsbaurat Benoit! Haben Sie nach dieser Bekundung an Ihrem Gutachten etwas zu ändern?

Sachverständiger: Nein, die vorgelesene Bekundung bestätigt ja nur mein Gutachten. Der Fußboden in der Nähe des Allerheiligsten, wo jedenfalls der Herd des Feuers war, ist vollständig verbrannt; daraus geht noch nicht hervor, daß der Fußboden mit einer brennbaren Flüssigkeit imprägniert war.

Zimmermeister Reinke (Neustettin): Die abgebrannte Synagoge in Neustettin hatte vor ihrem Ausbau höchstens einen Wert von 1000 Mark. Ich verstehe darunter allerdings nur das Gebäude, ohne das Gestühl, Gerätschaften usw.

Ingenieur Schreiber: Es kommt darauf an, nach welchen Grundsätzen man eine Taxe macht. Wenn man den Kaufwert taxiert, dann kann man zu jener Schätzung gelangen. Ich schätze den Wert jedoch, mit Rücksicht auf das zum Ausbau geeignete Gebäude, auf 3000 Mark. Es ist etwas wesentlich anderes, ob man ein Gebäude mit Rücksicht auf einen vorzunehmenden Ausbau oder nach dem einfachen Kaufwert taxiert.

Maurermeister Neubauer (Neustettin) bezeichnete ebenfalls den Wert der abgebrannten Synagoge vor geschehenem Ausbau, und zwar ausschließlich das Gebäude ohne Gestühl, Materialien usw., auf 3000 Mark.

Regierungs-Feldmesser[66] Zwick (Neustettin): Ich war zur Zeit des Synagogenbrandes Agent der Stettiner National-Feuer-Versicherungsgesellschaft, bei der Heidemann zur Zeit versichert war. Wie hoch die Versicherungssumme sich belief, weiß ich nicht mehr. Ob die Versicherung eine angemessene war, weiß ich auch nicht, da ich von Gebäuden nicht Fachkenner bin. Allein ich habe mich überzeugt, daß die dem Heidemann gehörenden Felle viel zu niedrig versichert waren. Heidemann erhielt für Beschädigung des Gebäudes, Mobiliarversicherung usw. im ganzen 3000 Mark Entschädigung von der Gesellschaft. Auf Befragen des Staatsanwalts bemerkte der Zeuge: Als er das Feuer von der Nisydopbrücke sah, brannte das ganze Dach der Synagoge von allen Seiten lichterloh.

Auf Befragen des Verteidigers Rechtsanwalts Dr. Sello bekundete der Zeuge noch: Die beiden Heidemann seien ihm als sehr redliche Leute bekannt.

Tischlermeister Schuhkraft: Er habe zur Zeit die Fenster der abgebrannten Synagoge angefertigt. Ein Teil der Fenster konnte nur von innen, ein Teil aber auch, und zwar mit großer Leichtigkeit, von außen geöffnet und auch ausgehoben werden.

Glasermeister Geisenberg bestätigte diese Bekundung. Er wolle noch bemerken, daß er die vielerwähnten Kirchenleuchter von Wolf Rosenberg aus Bärwalde nach Neustettin gebracht habe. Das sei einige Wochen nach dem Brande gewesen. Rabbiner Dr. Hoffmann (Neustettin) bekundete auf Befragen: Die Thora gilt jedem Juden, auch denen, die sich von den Zeremonien losgesagt haben, als Heiligtum. Eine Beschädigung der Thora hat ihre Unbrauchbarkeit zur Folge.

Am zweiten Verhandlungstage wurde die am 24. Februar 1881 vor dem Staatsanwalt zu Neustettin abgegebene gegebene Aussage des Bauinspektors Kleefeldt verlesen. Danach hatte Kleefeldt damals bekundet: Er habe, als er am 20. Februar 1881 die Brandstätte besichtigte, fast ausschließlich Steine, einige verkohlte Balken, mehrere Reste von Petroleumlampen und eine unversehrte hölzerne Schwelle gefunden.

Maurergeselle Bumke, der mit den Aufräumungsarbeiten auf der Brandstätte beschäftigt war, bestätigte im wesentlichen die Bekundungen des Kleefeldt. Im weiteren[67] bemerkte er: Er habe eine Anzahl Blätter, anscheinend aus Gebetbüchern stammend, vorgefunden, die sehr nach Petroleum rochen.

Vors.: Woraus schlossen Sie, daß es Petroleumgeruch war?

Zeuge.: Die Blätter waren so fettig.

Vors.: Aus diesem Umstande schlossen Sie, daß die Blätter mit Petroleum getränkt waren?

Zeuge: Nein, es roch nach Petroleum.

Vors.: Ist es möglich, daß dieser Geruch von irgendeiner anderen Fettigkeit herrührte?

Zeuge: Nein, es war Petroleumgeruch.

Vors.: Sie waren zugegen, als der Tempel brannte; roch es da auch schon nach Petroleum?

Zeuge: Ich konnte es nicht riechen, allein es wurde allgemein gesagt, es rieche nach Petroleum.

Vors.: Haben Sie sich durch diese Äußerungen irgendwie beirren lassen?

Zeuge: Nein.

Vors.: Sie haben auch Schlösser gefunden?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Was taten Sie mit den Schlössern?

Zeuge: Ich ging zu Herrn Löwe und verlangte Bezahlung für die Aufräumungsarbeiten; da dieser jedoch nicht bezahlen wollte, ging ich zu Jacoby und verkaufte die Schlösser als altes Eisen.

Vors.: Waren Sie denn dazu berechtigt?

Zeuge: Ja, Herr Löwe wollte mir doch nicht bezahlen.

Maurer Klatt: Er habe sich ebenfalls an den Aufräumungsarbeiten beteiligt und dabei eine Anzahl Gebetbuchreste gefunden. Diese Blätter waren weder fettig, noch rochen sie nach Petroleum. Auch Kronleuchter habe er auf der Brandstätte gefunden. Petroleumgeruch habe er in keiner Weise wahrgenommen.

Vors.: Nun, Bumke, was sagen Sie dazu?

Bumke: Ich kann nur sagen, daß ich Petroleumgeruch wahrgenommen habe; es wurde auch allgemein davon gesprochen.

Maurer Dorow: Ich habe mich ebenfalls an den Aufräumungsarbeiten beteiligt und dabei Petroleumgeruch nicht wahrgenommen. Ich habe u.a. vier unversehrte Petroleumlampen gefunden. Im weiteren muß ich bemerken, daß ich in Köslin etwas nicht gesagt habe, weil ich nicht wußte, daß es darauf ankommt. kommt. Ich habe gesehen, daß in dem Stalle von Heidemann viel Holz gepackt war.

Vors.: Das ist ja ganz neu, wie kommen Sie jetzt darauf?

Zeuge: Ich wußte in Köslin nicht, daß es darauf ankommt.

Vors.: Wer hat Ihnen gesagt, daß es darauf ankommt?

Zeuge: Der Schuhmacher Greiser hat[68] mich darauf aufmerksam gemacht.

Vors.: Sagte Ihnen Greiser: Das mußt du noch sagen?

Zeuge: Nein, ich habe so im allgemeinen Gespräch gehört, daß es darauf ankommt.

Vors.: Nun, wieviel Holz lag wohl im Stalle?

Zeuge: Etwa drei bis vier Klafter.

Vors.: Das muß ja schon sehr viel gewesen sein?

Zeuge: Ja, es war eine ganze Masse.

Vors.: Wann sahen Sie das Holz?

Zeuge: Am Sonnabendnachmittag nach dem Brande.

Angekl. Heidemann jun.: Der Zeuge spricht vollständig die Unwahrheit; weder vor noch nach dem Brande war Holz in meinem Stalle aufgestapelt. Am Sonnabend nach dem Brande war mein Stall noch mit Möbeln und Fellen vollgepackt. Im übrigen war der Stall verschlossen, der Zeuge konnte also die Wahrnehmung nehmung absolut nicht machen. Der Fleischergeselle Backhaus in Neustettin, der mir half, die Möbel und Felle in den Stall packen, wird meine Behauptungen bestätigen. Im übrigen kann ich mitteilen, daß Greiser dem Zeugen im Zeugenzimmer in Köslin gesagt hat, er solle bekunden, daß in dem Stall bei mir Holz aufgestapelt war.

Vors.: Wer hat das gehört?

Heidemann: Meine Frau.

Auf Antrag des Verteidigers Rechtsanwalts Dr. Sello beschloß der Gerichtshof, den Fleischergesellen Backhaus telegraphisch als Zeugen zu laden.

Maurer Wischnewski: Er habe bereits am Sonnabend nach dem Brande auf der Brandstätte aufgeräumt und dort einige Reste von Sparren, eine Kasse, in der jedoch kein Geld enthalten war, geschmolzenes Metall, Schlösser und einige Gebetbuchreste gefunden. Petroleumgeruch habe er in keiner Weise wahrgenommen.

Vors.: Bereits am Sonnabend nach dem Brande nahmen Sie Aufräumungsarbeiten vor?

Zeuge: Ja.

Vors.: Am Sonnabend war ja noch Glut, da konnten Sie doch noch nicht aufräumen?

Zeuge: Dann war es am Sonnabend darauf.

Vors.: Aber wenn Sie derartig mit einer Woche herumwerfen, wo bleibt da Ihr Eid?

Zeuge: So genau weiß ich das nicht mehr.

Vors.: Rauchte es auf der Brandstätte noch?

Zeuge: Jawohl, es rauchte noch sehr.

Vors.: Dann wollten Sie wohl auf der Brandstätte stehlen?

Der Zeuge schwieg.

Staatsanwalt: Haben Sie auch des Nachts auf der Brandstätte nachgesucht?

Zeuge:[69] Nein, nur am Tage.

Gärtner Wiedemann: Am Sonnabend nach dem Brande ging ich auf die Brandstätte und sah eine Anzahl armer Leute, die alle möglichen Sachen von dort forttrugen. Zumeist wurde Holz, bisweilen halbe Balken fortgetragen. Als ich mich einige Tage darauf an den Aufräumungsarbeiten beteiligte, fand ich noch so große unversehrte hölzerne Schwellen, daß sie wohl geeignet gewesen wären, bei dem Wiederaufbau der Synagoge verwendet zu werden.

Vors.: Bumke, Sie sagten, das von Ihnen gefundene Holz wäre fast vollständig verkohlt gewesen.

Bumke: Jawohl.

Vors.: Nun hören Sie, daß so große unversehrte Schwellen gefunden wurden, daß sie eventuell zum Wiederaufbau der Synagoge hätten verwendet werden können.

Bumke: Solche Schwellen habe ich nicht gesehen; kleine Reste von Schwellen, die noch nicht verkohlt waren, habe ich gesehen.

Vors.: Aber Bumke! Die Schwellen, die Wiedemann gefunden haben will, waren doch nicht kleine Reste!

Bumke: Ich kann nicht anders sagen.

Im weiteren bekundete Wiedemann: Er habe Reste von Gebetmänteln, von Thorarollen, von Gebetbüchern usw. gefunden. Die Gebetbuchreste sahen teilweise fettig aus, nach Petroleum rochen sie aber nicht.

Vors.: Herr Rabbiner Dr. Hoffmann! Woraus erklären Sie das fettige Aussehen der Gebetbuchreste?

Dr. Hoffmann: Die Gebetbücher waren zum Teil schon sehr alt und hatten infolgedessen ein sehr gelbliches Aussehen. Pergament, woraus die Thorarollen, vielleicht auch einige alte Gebetbücher hergestellt waren, hat überhaupt ein fettiges Aussehen.

Vors.: Bumke! Wissen Sie, was Pergament ist?

Bumke: Nein.

Vors.: Sie hielten das Fett für Petroleum?

Bumke: Ja, mir schien es so; es kann auch eine andere Fettigkeit gewesen sein.

Wiedemann bemerkte im weiteren: Greiser, der von dem Verkauf der Schlösser Kenntnis hatte, habe dem Bumke 60 Pfennig gegeben, um die Schlösser von Jacoby zurückzuholen und den Bumke somit von einer eventuellen Anklage wegen Diebstahls zu schützen.

Maurermeister Duske (Neustettin): Die abgebrannte brannte Synagoge hatte vor dem Ausbau einen Wert von 2800 M.; nach dem Ausbau, der etwa 1200 Mark kostete, 4000 Mark;[70] und zwar ohne die innere Einrichtung.

Bauinspektor Kleefeldt: Ich habe heute einen Kloben Holz mit Petroleum begossen; dies ist nicht vollständig verbrannt. Allein ich muß hervorheben, daß dieser Kloben aus dem Keller geholt wurde und feucht war.

Vors.: Halten Sie nach den heute geschehenen Bekundungen Ihr Gutachten aufrecht, daß das Feuer vorsätzlich mit Hilfe von Petroleum in Szene gesetzt worden ist?

Sachverständiger: Der Umstand, daß die Dielen total verkohlten und nur kleine Reste von verkohltem Holz gefunden wurden, bringt mich zu der Überzeugung, daß das Feuer vorsätzlich angelegt und die Dielen usw. mit Petroleum getränkt worden sind.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello: Der Herr Sachverständige scheint noch immer von dem Grundsatze auszugehen, daß nur wenige verkohlte Holzreste auf der Brandstätte gefunden wurden?

Vors.: Das habe ich mit anderen Worten dem Sachverständigen schon vorgehalten.

Dr. Sello: Ich wollte das bloß etwas mehr betonen.

Vors.: Die Herren Geschworenen werden mich ja bereits verstanden haben.

Kleefeldt: Ich bleibe bei meiner Behauptung, daß der Fußboden niemals in dieser Weise hätte verbrennen können, wenn er nicht mit Petroleum oder einer anderen brennbaren Flüssigkeit getränkt gewesen wäre. Das Feuer hätte sonst in der Weise, wie es geschehen, nicht zusammenkommen können.

Verteidiger Justizrat Scheunemann: Der Herr Sachverständige hat soeben bekundet, daß er heute selbst ein Petroleumexperiment gemacht, wobei er wahrgenommen hat, daß das Feuer, auf verschiedenen Seiten angezündet, nicht zusammenkommt.

Vors.: Wenn die Zweifel in dieser Beziehung noch weiter bestehen, dann werde ich das Experiment mittels eines Kloben Holz hier im Saale vornehmen lassen.

Regierungsbaurat Benoit: Ich kann dem Gutachten des Herrn Bauinspektors Kleefeldt nicht beistimmen. Wenn, wie Herr Ingenieur Schreiber bekundet, er die brennenden Wände hat einhauen lassen, die auf den Fußboden fielen, dann wäre es geradezu ein Wunder, wenn die Dielen nicht verbrannt wären. Es ist richtig, daß Feuer nicht nach unten brennt, allein die Hitze wirkt doch nach unten.

Ingenieur Schreiber: Herr Bauinspektor Kleefeldt sagte: Die[71] Dielen hätten nicht verbrennen können, wenn sie nicht mit Petroleum getränkt gewesen wären. Nun sind aber die unter den Dielen befindlichen Fußbodenlager bodenlager ebenfalls verbrannt; letztere konnten doch nicht mit Petroleum getränkt sein!

Kleefeldt: Das Petroleum der Dielen dürfte wohl auch auf die Holzlager Wirkung geübt haben.

Fräulein Anna Friedrich: Ich besuchte früher in Neustettin die Schule. Einige Zeit nach dem Synagogenbrande sagte ich einmal zu einer meiner Mitschülerinnen, namens Rosenberg: Es ist doch sehr bedauerlich, daß so viele Silbersachen bei der Feuersbrunst verbrannt sind. Da antwortete mir die Rosenberg: Die Silbersachen sind glücklicherweise nicht mitverbrannt, sie sind bereits vor dem Brande zufällig weggeschafft worden.

Vors.: Wieso erscheinen Sie hier als Zeugin?

Zeugin: Ich erzählte diese Unterhaltung meiner in Neustettin verheirateten Schwester; diese sagte mir, ich solle davon dem Bürgermeister Anzeige machen, da es doch von Erheblichkeit sein könnte.

Rabbiner Dr. Hoffmann: Die Silbergehänge unserer Thorarollen waren sämtlich Privateigentum und wurden am Ausgange des Sabbats den Eigentümern stets zurückgegeben. In der Synagoge hatten wir bloß eine silberne Hand, die beim Thora-Vorlesen gebraucht wird, und einen silbernen Becher. Diese beiden Gegenstände sind jedenfalls mitverbrannt; denn sie wurden auf der Brandstätte nicht gefunden.

Rentier Biedenweg: Er wohnte in der Nähe der Synagoge und habe beobachtet, daß mehrere Wochen vor dem Brande an den Wochentagen des Morgens stets Gottesdienst im Tempel war; er habe das angenommen, da die Synagoge erleuchtet war. In der Woche vor dem Brande habe er jedoch solche Wahrnehmungen nicht gemacht.

Vors.: Am Montag vor dem Brande ist doch aber Gottesdienst gewesen?

Zeuge: Davon weiß ich nichts.

Der Zeuge bekundete im weiteren: Am Morgen des Brandtages, etwa gegen 81/2 Uhr, machte mich meine Frau aufmerksam, daß in der Synagoge ein Fenster geöffnet stand. Ich überzeugte mich von der Richtigkeit dieser Mitteilung. Als in der elften Stunde der Feuerlärm entstand, war das Fenster wieder geschlossen. Als das Feuer ausgebrochen war, wollte Klempner Merner[72] mit einer Axt ein Fenster einschlagen.

Vors.: Weshalb wollte er das tun?

Zeuge: Er sagte: das Feuer muß Luft haben.

Vors.: Schlug er das Fenster wirklich ein?

Zeuge: Nein; ehe er dazu kam, sprangen die Fenster von selbst.

Staatsanwalt: Als die Fenster gesprungen waren, schlug da sofort die Flamme heraus?

Zeuge: Jawohl, zu allen Fenstern.

Verteidiger Justizrat Makower: Der Zeuge ist dreimal gerichtlich vernommen worden; er hat jedoch heute zum ersten Male bekundet, daß Merner gesagt: Das Feuer müsse Luft haben.

Zeuge: Entschuldigen Sie! ich habe das immer gesagt.

Justizrat Makower: Ich beantrage, das festzustellen; es ist ja möglich, daß diese Ihre Bekundung alle dreimal nicht aufgeschrieben worden ist.

Auf Beschluß des Gerichtshofes wurden die Protokolle verlesen, in denen die erwähnte Bekundung nicht verzeichnet war.

Frau Rentier Biedenweg bekundete, gleich ihrem Gatten, daß mehrere Wochen vor dem Brande die Synagoge des Morgens erleuchtet war, während in der Woche des Brandes eine Erleuchtung nicht gesehen wurde. Am Morgen des Brandes, gegen 81/2 Uhr, habe sie in der Synagoge ein Fenster geöffnet gesehen, gegen 10 Uhr sei es jedoch geschlossen gewesen.

Frl. Friederike Jasse: Wir wohnten dicht neben der Synagoge. Viele Wochen vor dem Brande war in der Synagoge täglich des Morgens Gottesdienst, die Woche vor dem Brande aber nicht.

Vors.: Wodurch wissen Sie das?

Zeugin: Die Juden »sabberten« in der letzten Zeit nicht mehr. (Heiterkeit.)

Vors.: Sie meinen, in der letzten Zeit hörten Sie am Morgen kein Gemurmel, während Sie mehrere Wochen vor dem Brande stets am Morgen Gemurmel hörten?

Zeugin: Ja; ich sagte damals gleich zu meiner Mutter, sie werden sich wohl den Tempel anstecken wollen.

Vors.: Zeugin, das ist doch ein sehr kühner Spruch! Aus dem Umstande, daß keine Gottesdienste mehr des Morgens stattfanden, können Sie doch nicht behaupten: Die Juden haben ihren Tempel in Brand gesteckt?

Zeugin: Na, wer soll es denn gewesen sein? Wir Christen haben es doch nicht getan. (Bewegung.)

Vors.: Der Umstand, daß es die Christen nicht getan haben, beweist doch durchaus noch nicht, daß die Angeklagten[73] oder überhaupt Juden es gewesen sind.

Zeugin: Zwei Jahre vorher ist schon den Juden ein Badehaus abgebrannt.

Vors.: Wer hat das angezündet?

Zeugin: Das weiß ja niemand. Ich sagte aber zu meiner Mutter schon einige Tage vor dem Brande: Die Juden haben sich ihr Badehaus angesteckt, sie werden sich jetzt wohl auch ihren Tempel anzünden wollen.

Vors.: Haben Sie Ihre Vermutungen auch noch anderen Leuten mitgeteilt?

Zeugin: Ja, ich habe es dem verstorbenen jüdischen Kantor einmal gesagt, als der Tempel niedergebrannt war.

Vors.: Soweit sind wir noch nicht; benehmen Sie sich etwas ruhiger!

Zeugin: Ja, ich bin immer etwas unruhig.

Vors.: Was haben Sie weiter für Wahrnehmungen gemacht?

Zeugin: Ich sah am Vormittage des Brandes etwa gegen zehn Uhr ein Fenster geöffnet, das immer auf und zu fiel.

Vors.: Was wissen Sie weiter von dem Feuer?

Zeugin: Ich habe nur beobachtet, daß, als der Staatsanwalt Pinoff die Brandstätte absuchen ließ, die Kronleuchter alle verschwunden waren.

Vors.: Das war nach dem Brande, soweit sind wir noch nicht. Haben Sie vor oder nach dem Brande noch weitere Wahrnehmungen gemacht?

Zeugin: Nein.

Vors.: Haben Sie nicht einmal etwas von einer Hand gesagt, die Sie aus der Synagoge haben herauslangen sehen?

Zeugin: Das weiß ich nicht mehr.

Vors.: Sie haben das doch früher aber mit voller Bestimmtheit bekundet?

Zeugin: Ja, ich habe das nur aus Ärger gesagt.

Vorsitzender: Weshalb ärgerten Sie sich?

Zeugin: Weil Frau Löwenberg zu mir sagte: Die Christen haben den Tempel angesteckt. Ich sagte sogleich: Christen tun so etwas nicht, das können bloß die Juden getan haben.

Vors.: Also die Geschichte mit der Hand haben Sie bloß aus Ärger gesagt, gesehen haben Sie eine solche Hand nicht?

Zeugin: Ja, ich habe sie doch gesehen; ich kann aber nicht sagen, ob es eine Judenhand war. (Große allgemeine Heiterkeit.)

Vors.: Einer Hand kann man es wohl nicht ansehen, ob sie einem Juden oder einem Christen gehört. Sonst haben Sie keine Wahrnehmungen gemacht?

Zeugin: Nein.

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Ich will nur noch bemerken, daß die Zeugin sich alle Mühe gab, Belastungszeugen[74] zu schaffen und einmal zu einem Manne in Neustettin sagte: »Grüßen Sie mir den Herrn Landrat und sagen Sie, Senff ist auch noch ein guter Zeuge.«

Zeugin: Das ist richtig. Die Juden beschuldigten uns fortwährend, wir Christen hätten den Tempel angezündet, und da Herr Senff auch alles mit angesehen hat, so schlug ich ihn als Zeugen vor.

Frau Arbeiter Kapitzke: Mir fiel es auf, daß mehrere Wochen vor dem Brande des Morgens Gottesdienst im Tempel war, während in der Woche vor dem Brande Gottesdienst nicht mehr stattfand.

Vors.: Wodurch wissen Sie das?

Zeugin: Die Synagoge war mehrere Wochen vor dem Brande des Morgens stets erleuchtet, während sie in der Woche des Brandes nicht erleuchtet war.

Vors.: Wann haben Sie die Synagoge zum letzten Male erleuchtet gesehen?

Zeugin: Am Sonnabend.

Rabbiner Dr. Hoffmann: Das ist entschieden unwahr; am Sonnabend beginnt bei uns der Gottesdienst gewöhnlich erst um neun Uhr morgens, infolgedessen wird niemals Licht angezündet.

Zeugin: Es ist auch möglich, daß es ein anderer Tag gewesen ist.

Vors.: Was haben Sie weiter für Wahrnehmungen gemacht?

Zeugin: Ich sah am Vormittage vor dem Brande ein Synagogenfenster geöffnet und in der Synagoge einen Menschen.

Vors.: Haben Sie diesen Menschen erkannt?

Zeugin: Nachdem ich nachgedacht, ist es mir eingefallen, daß es der kleine Lesheim gewesen ist.

Vors.: Dazu bedarf es doch keines Nachdenkens, Sie müssen doch wissen, wen Sie gesehen haben. Wie kamen Sie auf den Gedanken, daß es Lesheim gewesen ist?

Zeugin: Es schien mir so; aber genau weiß ich es nicht mehr.

Vors.: War es denn ein Mann, den Sie in der Synagoge sahen?

Zeugin: Jawohl.

Vors.: Wie sah der Mann aus?

Zeugin: Er war klein.

Vors.: Hielten Sie den Mann für einen Juden oder einen Christen?

Zeugin: Es war ein Jude.

Vors.: Woraus schließen Sie das?

Zeugin: Er trug einen schwarzen Anzug.

Vors.: An dem schwarzen Anzuge erkennt man aber doch keinen Juden?

Zeugin: Er hatte auch schwarzes Haar.

Vors.: Halten Sie jeden Mann, der schwarzes Haar hat, für einen Juden?

Zeugin: Christen haben allerdings auch bisweilen[75] schwarze Haare; ich sagte aber gleich: das kann nur ein Jude sein, denn so schwarz ist doch wohl kein Christ.

Vors.: Was machte der Mann in der Synagoge?

Zeugin: Er bewegte sich hin und her und ging nach dem Allerheiligsten zu.

Vors.: Sie haben schließlich mit Bestimmtheit bekundet, daß dieser Mann Lesheim gewesen ist?

Zeugin: Ich ging einmal zu Lesheim, um mir ein Stück Glanzleder zu kaufen; da sagte Lesheim zu mir: Nun, Frau Kapitzke, Sie haben gut ausgesagt, es kommt mir auch auf ein Stück Glanzleder nicht an.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello: Das ist ganz neu.

Vors.: Zeugin! Das haben Sie heute zum ersten Male gesagt; weshalb haben Sie früher diese Bekundung nicht gemacht?

Zeugin: Ich habe es mir jetzt erst bedacht.

Vors.: Bleiben Sie eine ehrliche Frau, und lassen Sie sich nicht verleiten, einen Meineid zu leisten!

Zeugin: Ich sage bloß die Wahrheit; man kann sich ja doch nicht immer gleich auf alles besinnen.

Vors.: Konnten Sie das Gesicht des Mannes sehen?

Zeugin: Von der Seite habe ich ihn gesehen.

Vors.: Bei Ihren früheren Vernehmungen haben Sie aber gesagt, Sie hätten den Mann bloß von hinten gesehen.

Zeugin: Nein, ich habe ihn von der Seite gesehen.

Der Vorsitzende ließ die betreffenden Protokolle verlesen, die die Äußerungen des Vorsitzenden bestätigten.

Vors.: Sie haben einmal den Tempeldiener Löwenberg, ein anderes Mal wieder den Lesheim als den Mann bezeichnet, der in der Synagoge gewesen sei?

Zeugin: So genau konnte ich ja das nicht sehen.

Vors.: Gerichtsdiener! Lassen Sie einmal Löwenberg eintreten! Und Sie, Angeklagter Lesheim, treten Sie aus der Anklagebank und stellen Sie sich neben Löwenberg! Nun, Zeugin, wie konnten Sie diese beiden Männer miteinander verwechseln?

Zeugin: So genau konnte ich das ja nicht sehen.

Vors.: In Neustettin wurde Ihnen Lesheim einmal vorgestellt; da haben Sie gesagt: Sie können ihn nicht wiedererkennen?

Zeugin: Das konnte ich nicht genau sagen.

Vors.: Später haben Sie aber den Lesheim mit Bestimmtheit als den Mann bezeichnet, den Sie in der Synagoge gesehen haben?

Zeugin: Ja, ich habe es mir eben so überdacht; heute weiß ich es nicht mehr genau.

Verteidiger[76] Rechtsanwalt Meibauer: Ich bezweifle, ob die Zeugin überhaupt imstande ist, mit ihrem augenscheinlich schlechten Sehvermögen die bekundeten Wahrnehmungen zu machen.

Vors.: Das Sehvermögen der Zeugin scheint allerdings kein sehr gutes zu sein; die Frau blinzelt fortwährend.

Auf Antrag des Verteidigers Rechtsanwalts Dr. Sello stellte Regierungsbaumeister Benoit fest, daß die Zeugin in der bekundeten Weise unmöglich das Allerheiligste habe sehen können.

Die Zeugin bemerkte schließlich: Sie wisse nicht mehr genau, ob sie den Mann in der Nähe des Allerheiligsten gesehen habe.

Fräulein Harnisch: Am Vormittage des 18. Februar 1881, etwa gegen zehn Uhr morgens, sah ich aus einem geöffneten Fenster der Synagoge Rauch dringen. gen. Ich sagte gleich, nun haben sie doch die Synagoge angezündet.

Vors.: Wie kamen Sie auf diesen Gedanken?

Zeugin: Ich hatte schon um Weihnachten 1880 eine Ahnung, daß der Tempel abbrennen würde.

Vors.: Wie kamen Sie auf den Gedanken, daß der Tempel angezündet worden sei?

Die Zeugin schwieg.

Lehrer Schiefelbein: Es sei ihm aufgefallen, daß mehrere Juden, unter diesen Kaufmann Aaron, sagten: Die Christen haben das Feuer angezündet. Aaron fügte noch hinzu: »Es fehlt bloß noch, daß man uns Juden alle ins Feuer wirft!«

Vors.: Es war damals in Neustettin eine sehr aufgeregte Zeit?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Es wurden antisemitische Versammlungen abgehalten, in denen Dr. Henrici aus Berlin als Redner auftrat?

Zeuge: Jawohl.

Staatsanwalt: Haben Sie diesen Versammlungen auch beigewohnt?

Zeuge: Einer wohnte ich bei.

Staatsanwalt: Forderte Dr. Henrici auf, gegen die Juden vorzugehen?

Zeuge: Jawohl.

Staatsanwalt: Forderte er auch auf, den jüdischen Tempel in Brand zu stecken?

Zeuge: Nein, das nicht; er sagte ganz besonders, man solle bei den Juden nicht kaufen.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello: Diese Fragen des Herrn Staatsanwalts veranlassen mich, zu beantragen, aus der von mir im Kösliner Prozeß zu den Akten überreichten »Norddeutschen Presse« das Feuilleton zu verlesen, das wenige Tage vor dem Brande erschien, und in[77] dem allerdings zur Niederbrennung der jüdischen Bethäuser aufgefordert wurde.

Lehrer Hübner: Kurz vor elf Uhr vormittags sah ich aus meinem der Synagoge gegenüberliegenden Klassenzimmer Rauch aus den Fenstern der Synagoge dringen. Ich eilte zu den mir bekannten Heidemanns und traf beide an. Ich sagte: »Herr Heidemann, räuchern Sie?«

»Sie wissen doch, daß wir nicht räuchern!« erwiderte der alte Heidemann.

»Dann kommen Sie schnell mit den Schlüsseln in die Synagoge! Wenn Sie in der Synagoge nicht räuchern, dann muß es brennen.« Die beiden Heidemanns kamen sofort mit mir herunter; der alte Heidemann schloß die Synagoge auf. Wir konnten jedoch nur bis in die Vorhalle dringen, denn im Innenraum war alles voller Rauch. Wir eilten hinaus; eine Flamme konnte man jedoch noch nicht sehen. In demselben Augenblick sah ich auch den älteren, und, wenn ich nicht irre, auch den jungen Lesheim. Ich sagte zu dem älteren Lesheim: »Das Feuer ist vielleicht noch zu löschen; eilen Sie doch schnell zum Bürgermeister und holen Sie die Spritzen!« Lesheim lief fort; nach kaum fünf Minuten war er jedoch wieder da. Ich fragte Lesheim: »Sind Sie bei dem Bürgermeister gewesen?«

»Nein!« erwiderte er.

»Nun, zum Donnerwetter! Da schreien Sie doch Feuer, und laufen Sie zum Bürgermeister!« versetzte ich. Lesheim fragte den alten Heidemann: »Soll ich Feuer schreien?«

»Schreien Sie schon!« sagte der alte Heidemann. Nun erst lief Lesheim die Friedrichstraße hinauf und rief »Feuer!«

Vors.: Nun, Lesheim, wie erklären Sie das?

Lesheim: Ich kann nur wiederholen, daß ich erst infolge Benachrichtigung meines Sohnes auf die Brandstätte gegangen bin.

Leo Lesheim: Ich kann nur wiederholen, daß ich von dem Heidemannschen Dienstmädchen Hilger, der ich auf dem Markte begegnete, von dem Feuer benachrichtigt wurde.

Die beiden Heidemann behaupteten, sie haben die Hilger nicht zu Lesheim geschickt.

Im weiteren erzählte Hübner: Etwa zehn Minuten, nachdem er mit den Heidemanns auf dem Synagogenplatze war, hatten sich noch andere Leute dort versammelt, sammelt, unter diesen der Schuhmacher Geiser, der bemüht war, ein an der Außenwand[78] stehendes ausgehängtes Fenster wieder einzuheben, damit das Feuer nicht unnötig Luft erhielt.

Kanzlist Ebel: Am 18. Februar 1881 gegen 11 1/4 Uhr vormittags hörte ich in meinem Bureau einen Feuerruf. Ich lief auf die Straße und hörte, daß die Synagoge brenne. Ich begab mich eiligst auf den Synagogenplatz und sah dicken Qualm aus der Synagoge dringen. Vor der Synagoge sah ich lediglich die beiden Heidemanns stehen; der junge Heidemann war sehr bestürzt.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello machte darauf aufmerksam, daß der Zeuge im Kösliner Prozeß bekundet hat, der junge Lesheim sei sehr bestürzt gewesen.

Zeuge: Das kann nicht sein; die beiden Lesheim habe ich gar nicht auf der Brandstätte gesehen.

Vors.: Haben Sie Hübner gesehen?

Zeuge: Nein.

Der Vorsitzende stellte aus den Akten fest, daß die Behauptungen des Dr. Sello sich bewahrheiteten.

Dienstmädchen Hilger: Ich bin seit fast sechs Jahren bei Heidemann in Stellung. Frau Heidemann sagte mir, ich solle eiligst die Spritzen holen, da der Tempel brenne. Ich lief die Friedrichstraße hinauf, um zu Lesheim zu gehen, traf jedoch den Leo Lesheim auf dem Marktplatze, und da dieser mich zu Löwenberg schickte, so lief ich zu diesem. Löwenberg war jedoch nicht zu Hause. Als ich nun wieder nach Hause kam, waren die Spritzen bereits da.

Vors.: Lesheim sen.! Wer holte denn die Spritzen?

Lesheim: Greiser kam mit den Spritzen an.

Ein Geschworener fragte die Zeugin Hilger, ob und welcher Verkehr zwischen Lesheim und Heidemann stattgefunden habe?

Zeugin: Es fand gar kein Verkehr zwischen Heidemann und Lesheim statt.

Kanzlist Jordan: Als ich Feuer rufen hörte und mich auf den Synagogenplatz begab, da sagte ich dem alten Heidemann: »Nanu, Herr Heidemann! Was ist denn das für eine Geschichte?«

»Da sehen Sie,« sagte der alte Heidemann, »durch diesen Gang ist der Täter durchgegangen, er hat ein Fenster eingeschlagen, ist eingestiegen und hat dann den Tempel angesteckt.« Ich ging durch den Gang durch, und nun fiel es mir auf, daß die Scherben des eingeschlagenen Fensters außen lagen. Wenn das Fenster von außen eingeschlagen worden wäre, dann hätten die Scherben doch nach innen fallen müssen.

Der[79] Angeklagte Heidemann bestritt, eine derartige Äußerung dem Zeugen gegenüber getan zu haben; durch den erwähnten Gang könne ein erwachsener Mensch überhaupt nicht durchgehen.

Lehrer Hübner: Als Kind vermochte er durch den Gang wohl durchzugehen, ein erwachsener Mensch kann nicht durchgehen, sich aber eventuell durchzwängen. Gärtner Wiedemann bestätigte das.

Klempnermeister Merner: Als ich auf den Synagogenplatz kam, waren die Spritzen noch nicht eingetroffen. Kaufmann Lehmann rief: »Ich zahle 300 Mark demjenigen, der die Thora rettet.« Da ich auch einen wertvollen Gebetmantel und mehrere Gebetbücher, die mir wertvolle Andenken von meinen Eltern waren, in der Synagoge hatte, so schlug ich mit einer Axt ein Fenster ein und machte den Versuch, einzusteigen; ich wurde jedoch daran gehindert. Ich bestreite, daß durch den erwähnten Durchgang ein Mensch durchgehen kann.

Glasermeister Geisenberg bestätigte das.

Lehrer Pieper: Am Tage des Brandes gegen elf Uhr vormittags sah ich aus meinem der Synagoge gegenüberliegenden Klassenzimmer aus den Dachsteinen der Synagoge Rauch dringen. Ich sah die beiden Lesheim um die Synagoge herumlaufen; es hatte den Anschein, als suchten sie etwas. Ich will es nicht ganz genau sagen, aber mir schwebt es so vor, als wäre der ältere Lesheim auf einen von dem jungen Lesheim gebrachten Stuhl gestiegen und hätte ein Fenster herausgenommen. Ich dachte mir: Na, wenn die Lesheims da sind, dann werden wohl noch mehr Juden in der Synagoge agoge sein. Ich war bestimmt der Meinung, es würde im Tempel geräuchert, und Lesheim, der, wie mir bekannt, Tempeldiener war, solle die Fenster öffnen, um frische Luft in den Tempel hineinzulassen. Inzwischen wurde der Rauch immer größer, und da auch meine Schüler mich darauf aufmerksam machten, gelangte ich doch zu der Vermutung, daß in der Synagoge Feuer sei. Ich ging deshalb auf die Straße, und als ich aus dem Schulhause trat, liefen die beiden Lesheim an mir vorüber. Auf meine Frage, ob denn Feuer in der Synagoge sei, antworteten sie nicht.

Auf die Frage des Vorsitzenden, ob es wahr sei, daß er (Zeuge) zu einem gewissen Lesser[80] geäußert habe, »wenn die Lesheim nicht so grob zu mir gewesen wären, dann hätte ich anders ausgesagt«, erwiderte der Zeuge: »Ich habe bloß gesagt, wenn die Lesheim sich anders benommen hätten, dann wäre ich von ihrem Schuldbewußtsein weniger überzeugt gewesen.«

Vors.: Sie haben mit Ihren Bekundungen lange zurückgehalten; erst am 24. März 1882 sind Sie damit hervorgetreten!

Zeuge: Ich habe schon im Kösliner Prozesse gesagt, daß meine Frau es nicht leiden wollte, und deshalb zeigte ich es nicht an.

Vors.: Wenn man bei einem mutmaßlichen Verbrechen eine solch wichtige Wahrnehmung macht, dann fragt man doch nicht erst die Frau, ob man es zur Anzeige bringen soll!

Zeuge: Ich wollte gegen den Willen meiner Frau nicht handeln.

Vors.: Wußten Sie denn nicht, daß der Staatsanwalt öffentlich aufgefordert hatte, ihm über die Entstehungsart des Brandes Mitteilung zu machen, und daß öffentlich hohe Belohnungen für die Ermittelung der Täter ausgesetzt worden waren?

Zeuge: Ich wußte das, wollte mich aber mit meiner Frau nicht zanken. (Heiterkeit.)

Vors.: Wie kamen Sie nun doch zur Anzeige?

Zeuge: Ich erzählte es dem Hübner, und dieser konnte nicht schweigen; er erzählte es dem Restaurateur Herzberg, dieser dem Landrat, und infolgedessen bekam ich Termin.

Staatsanwalt: Sie sollen in dem Kösliner Prozeß den Vorsitzenden um Schutz vor dem Staatsanwalt gebeten haben?

Zeuge: Ich bat um Schutz gegen den Herrn Justizrat Scheunemann.

Staatsanwalt: Das ist etwas anderes.

Zeuge: Ich habe bloß gesagt, ich hätte mit meiner Anzeige zurückgehalten, da der Herr Staatsanwalt Pinoff geäußert, mit uns Neustettinern werde er schon fertig werden.

Vert. Rechtsanwalt Dr. Sello: Ich kann eventuell für diese Tatsache Zeugen vorschlagen, will aber vorläufig davon abstehen. Allein über eine Tatsache möchte ich von dem Zeugen Auskunft haben, ich bitte jedoch, daß der Herr Vorsitzende die Fragestellung übernimmt. Der Zeuge soll einmal, als er Religionsunterricht erteilte, eine beleidigende Äußerung gegen eine alttestamentarische Persönlichkeit getan und deswegen von seiner vorgesetzten Behörde einen Verweis erhalten haben.

Vors.:[81] Herr Pieper, ist das so?

Zeuge: Das kann ich nur dann sagen, wenn mir bestimmte Tatsachen angegeben werden.

Vors.: Das haben Sie schon in Köslin gesagt; Sie müssen aber auf meine Frage antworten. Haben Sie eine Äußerung gegen eine alttestamentarische Persönlichkeit getan, wodurch die Juden sich beleidigt fühlen konnten?

Zeuge: Daß ich nicht wüßte.

Vors.: Haben Sie von Ihrer vorgesetzten Behörde einmal einen Verweis erhalten?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Vors.: Es muß Ihnen doch bekannt sein, ob Sie jemals wegen eines Vergehens im Amte einen Verweis erhalten haben?

Zeuge: Das kann vielleicht die Regierung oder mein Schulinspektor wissen.

Vors.: Herr Pieper, Sie sind Beamter! Sie müssen doch wissen, ob Sie von Ihrer vorgesetzten Behörde jemals einen Verweis erhalten haben!

Zeuge: Ich weiß ja nicht, welchen Verweis Sie meinen.

Vors.: Aber Herr Pieper! Haben Sie denn schon so viele Verweise erhalten, daß Sie nicht wissen, welchen ich meine?

Der Zeuge schwieg.

Vors.: Herr Pieper! Ich rate Ihnen, sagen Sie: »Ja, ich habe einen Verweis erhalten!« Ich sehe es Ihnen an, daß Sie mit der Wahrheit zurückhalten wollen; machen Sie sich nicht unglücklich!

Der Zeuge begann an allen Gliedern zu zittern; es wurde ihm ein Stuhl gebracht, auf dem er in Ohnmacht fiel.

Der Vorsitzende befahl, den Ohnmächtigen mit Wasser zu besprengen. Als er sich erholt hatte, wurde er hinausgeführt.

Kassenkontrolleur Dahlitz: Er sei gleich nach dem Ausbruch des Feuers dem Lesheim sen. in der Friedrichstraße begegnet; dieser sei derartig aufgeregt gewesen, daß er ihn sofort für den Täter gehalten habe. Auch er habe ein Fenster der Synagoge, und zwar, wie er sich überzeugte, ein solches, das nur von innen zu öffnen und auszuhängen war, ausgehängt gesehen. Zeuge Dahlitz äußerte ferner: Ich bin Spritzenmeister in Neustettin und kann bekunden, daß die Flamme, die aus der brennenden Synagoge herauszüngelte, eine Farbe hatte, wie ich sie noch niemals bei einem Feuer gesehen habe. Die Flamme sah graublau aus. Lesheim sen. benahm sich derartig aufgeregt, daß, wenn ich Polizeidiener gewesen wäre, ich ihn sofort verhaftet[82] hätte.

Vors.: Wie muß denn ein Mensch aussehen, damit Sie seine Verhaftung für notwendig halten?

Zeuge: Ich kann das nicht mit Worten ausdrücken, allein das Benehmen des Lesheim sen. war mir doch ganz außerordentlich verdächtig.

Vors.: Sie haben diese Ihre Vermutung auch sofort geäußert?

Zeuge: Ich war sofort der Überzeugung, daß der Brand von den Juden angelegt war.

Vors.: Woraus schlossen Sie das?

Zeuge: Weil die Juden sofort sagten: Das haben uns die Christen getan.

Vors.: Haben Sie noch andere Anhaltspunkte für Ihre Überzeugung?

Zeuge: Nein.

Auf Antrag des Verteidigers Rechtsanwalts Dr. Sello wurde nunmehr das erwähnte Feuilleton mit der Überschrift: »Dr. Martin Luther und die Judenfrage« verlesen. Es hieß darin: »Was wollen wir Christen nun tun mit diesem verdammten Volk der Jüden? Ich will meinen treuen Rat geben: Erstlich, daß man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erden überhäufe und beschütte, daß kein Mensch ein Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich.«

Staatsanwalt: Eine derartige Sprache ist ja allerdings horrend, allein das hat doch keineswegs die »Norddeutsche Presse« geschrieben, sondern es ist lediglich ein aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammendes Zitat angeführt worden. Wenn man die Zeit in Erwägung zieht, aus der diese Worte stammen, dann wird man doch nicht zu der Ansicht gelangen können, daß diese Worte irgendeinen Einfluß ausgeübt haben.

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer beantragte, Beweis darüber zu erheben, daß Pieper vor einigen Jahren auf eine seiner Schülerinnen einzuwirken suchte, damit sie aussage: Ein Kollege von ihm habe mit ihr unzüchtige Handlungen vorgenommen. Da das Mädchen dies in Abrede stellte, so suchte Frau Pieper durch Verabreichung von Zucker das Kind zur Aussage zu veranlassen.

Der Gerichtshof beschloß, den Beweis, daß Pieper auf ein Mädchen behufs Abgabe eines falschen Zeugnisses habe einwirken wollen, zu erheben.

Hebamme Kaske: Ich habe das kranke Kind bei Heidemann gepflegt. Ich befand mich kurz vor Ausbruch des[83] Feuers in der Heidemannschen Wohnung und habe etwas Auffälliges in keiner Weise wahrgenommen. nommen. Das Kind ist am Tage nach dem Brande in meiner Wohnung gestorben.

Zimmermeister Duskee: Nachdem die Synagoge schon lange brannte, wurde das Heidemannsche Haus von der Flamme ergriffen. Meiner Meinung nach hat sich das Feuer von der Synagoge aus dem Heidemannschen Hause mitgeteilt.

Es erschien alsdann als Zeuge Schuhmachermeister Engfer (Neustettin), dessen Vereidigung auf die größten Schwierigkeiten stieß. Mindestens sechsmal mußte der Vorsitzende von neuem die Vereidigung beginnen, da der Zeuge absolut nicht den Eid nachzusprechen vermochte. Der Zeuge, dessen Aussagen ziemlich verwirrt waren, bekundete u.a.: Er habe wahrgenommen, daß, noch ehe der Tempel brannte, es im Innern des Heidemannschen Hauses »schweelte«.

Vors.: Engfer, Sie sind der erste Zeuge, der dies bekundet. Sie sind im übrigen bis jetzt als Zeuge noch nicht aufgetreten, sondern haben sich erst jetzt bei dem Kriminalkommissar Höft gemeldet; weshalb haben Sie Ihre Wahrnehmungen nicht früher angezeigt?

Zeuge: Wenn ich hier gewesen wäre, dann wäre ich auch nach Köslin gegangen.

Vors.: Sie wohnen doch in Neustettin?

Zeuge: Ja, aber vierzehn Tage nach dem Brande ging ich weg; ich wohne erst seit dem Kösliner Prozeß wieder in Neustettin.

Nach weiterem Befragen bemerkte der Zeuge, daß er Ostern 1883 nach Neustettin zurückgekommen sei. Regierungsbaurat Benoit: Daß durch die Hitze in der Synagoge im Innern eines Nebengebäudes ein Balken kohlte, ist unmöglich.

Engfer erklärte weiter, er könne sich seiner Wahrnehmungen noch ganz genau erinnern. Als er kurz nach Ausbruch des Feuers auf den Heidemannschen Boden kam, war dieser vollständig ausgeräumt. Ob die Ausräumung kurz vorher erfolgt war, wisse er nicht.

Lehrer Hübner: Er habe derartige Wahrnehmungen nicht gemacht.

Maurer Kaleske: Am Tage des Brandes gegen 11 1/2 Uhr vormittags kam ich auf die Brandstätte. Der Tempel stand bereits in hellen Flammen, aber auch der Giebel des Heidemannschen Hauses brannte. Der Feuerversicherungsagent Zwick befahl mir, auf den Heidemannschen Boden zu gehen[84] und eine Anzahl Eimer Wasser auf das Dach zu gießen. Der alte Heidemann sagte mir jedoch: »Zum Teufel noch einmal! Was wollen Sie hier? Lassen Sie es doch brennen!«

Angeklagter Heidemann sen.: Ich kenne den Zeugen gar nicht; die von ihm bekundete Wahrnehmung habe ich jedenfalls nicht gemacht.

Im weiteren bekundete Kaleske, daß es auch im Innern des Heidemannschen Hauses brannte.

Feuerversicherungsagent Zwick: Ich habe nicht wahrgenommen, daß das Heidemannsche Haus brannte, ehe die Flammen aus der Synagoge herausschlugen. Im Innern des Heidemannschen Hauses hat es nicht gebrannt.

Mietsfrau Sonnenberg: Sie habe aus dem aus dem Heidemannschen Hause geschafften Kleiderspinde Rauch dringen sehen. Sie machte den alten Heidemann darauf aufmerksam. Als dieser die Spindtür öffnete, schlug die helle Flamme heraus.

Vors.: Wodurch mag wohl das Feuer in das Spind gekommen sein?

Zeugin: Die Spindtür war ganz dicht verschlossen, Funken konnten in das Spind absolut nicht dringen.

Angeklagter Heidemann jun. bemerkte, daß die Frau bei ihm Mehl gestohlen habe.

Die Zeugin gab dies nach längerem Zögern zu; »es geschah dies während des Feuers, wo ja jeder etwas mitnimmt.« (Heiterkeit.)

Seminarist Lange: Ich sah aus den Türfugen des aus der Heidemannschen Wohnung geschafften Spindes Rauch dringen. Als das Spind geöffnet wurde, schlug eine helle Flamme heraus. Das Spind war von einer derartigen Beschaffenheit, daß ich der bestimmten Meinung bin, das Feuer im Spinde muß hineingelegt legt worden sein; Funken konnten nicht hineinfliegen.

Tischlermeister Kapelke: Ich kann ganz genau bekunden, daß das Heidemannsche Haus erst infolge des Tempelbrandes vom Feuer erfaßt worden ist. Ich weiß nicht, welches Spind hier gemeint wird; die Türen des von mir einmal reparierten Spindes waren so locker, daß Feuerfunken wohl hineinfliegen konnten.

Pastor Klamroth: Ich sah ebenfalls aus dem Spinde Rauch dringen; als es geöffnet wurde, schlug die helle Flamme heraus. Ritzen oder Fugen hatte das Spind nicht, so daß Funken unmöglich hineinfliegen konnten.[85] Ich muß mein Kösliner Zeugnis noch ergänzen, da in Köslin nach meiner Entfernung mein Zeugnis verrückt worden ist, nach den Zeitungsberichten nämlich.

Vors.: Ich bitte, Herr Prediger, sagen Sie mir, was Sie zu ergänzen haben! Sprechen Sie aber nicht von Zeitungsberichten, die uns absolut nichts angehen!

Zeuge: Ich bitte, mich nicht zu unterbrechen, lassen Sie mich gefälligst ausreden! Ich habe gegen ein Zeugnis, das in Köslin nach mir abgegeben wurde, etwas zu sagen.

Vors.: Das läßt sich aber nicht tun, Herr Prediger! Sie sind doch hier nicht Ankläger, sondern lediglich Zeuge! Bis jetzt haben Sie sich aber ausschließlich in Räsonnements bewegt.

Zeuge: Ich bitte, mich aussprechen zu lassen.

Vors.: Aber Herr Prediger! Bedenken Sie doch, an welchem Orte Sie stehen? Ich hätte nicht geglaubt, daß bei Ihrer Vernehmung so etwas vorkommen werde.

Nach noch langen Auseinandersetzungen bekundete der Zeuge endlich: Tischler Kapelke sei in Köslin nach ihm vernommen worden. Dieser habe damals gesagt, das Spind sei locker gewesen und hätte zwei Flügel gehabt. Er bestreite das.

Tischler Kapelke: Das Spind, das ich meine, war locker und hatte zwei Türen.

Verteidiger Justizrat Scheunemann: Ich bitte, den Kapelke darüber zu fragen, ob es wahr ist, daß er seines in Köslin abgegebenen Zeugnisses wegen vielfach in Neustettin behelligt worden sei.

Vors.: Kapelke, ist es so?

Kapelke: Nicht bloß in Neustettin, sondern auch hier im Gerichtsgebäude bin ich von Zeugen meiner Bekundung wegen beleidigt worden.

Vors.: Wer hat Sie beleidigt?

Kapelke: Der Schmied Wienicke.

Schmied Wienicke machte den Eindruck eines betrunkenen Menschen. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er heute schon Schnaps getrunken habe, antwortete er mit etwas lallender Stimme: Einen, vielleicht auch zwei Schnäpse werde ich wohl getrunken haben, mehr glaube ich nicht. (Heiterkeit.)

Der Vorsitzende befahl dem Zeugen, im Saale auf und ab zu gehen, um zu sehen, ob er betrunken sei. Die hierauf vorgenommene Vernehmung des Wienicke veranlaßte den Staatsanwalt zu dem Antrage, den Zeugen wegen ungehörigen Betragens vor Gericht sechs Stunden in Haft zu[86] nehmen. Der Gerichtshof lehnte den Antrag ab. Nach noch längerer Vernehmung gab Wienicke endlich zu, dem Kapelke heute früh im Gerichtsgebäude Vorwürfe gemacht zu haben.

Rektor Westphal bestätigte zunächst die Bekundung des Seminaristen Lange. »Ich muß jedoch heute meinem Zeugnis noch etwas hinzufügen, was ich bisher nicht gesagt habe, da ich es für unerheblich hielt. Herrn Amtsgerichtsrat Völz in Neustettin habe ich es schon vor Jahren gesagt; ich habe aber den Herrn Amtsgerichtsrat gebeten, es nicht zu Protokoll zu nehmen, da mir die Heidemanns als redliche Leute bekannt waren. Ich bedauere jedoch, daß ich zu solchen Schlüssen kommen muß.«

Vors.: Nun, und was für Schlüsse haben Sie?

Zeuge: Die Schlüsse des Verdachtes.

Vors.: Welche Verdachtsgründe haben Sie?

Zeuge: Die Unruhe der Heidemanns und der Umstand, daß Frau Heidemann das Dienstmädchen nach den Spritzen schickte, macht die Leute doch sehr verdächtig.

Vors.: Weitere Wahrnehmungen haben Sie behufs Unterstützung Ihrer Verdachtsgründe nicht gemacht?

Zeuge: Nein. (Heiterkeit.)

Vors.: Sie sehen, meine Herren Geschworenen, wie schwer es ist, die Zeugen darüber zu belehren, daß sie Urteile und objektive Wahrnehmungen auseinanderhalten.

Hilger, Dienstmädchen bei Heidemann: Das Spind hatte zwei Türen und war so locker, daß wohl Funken hineinfliegen konnten.

Schuhmacher Born bestätigte das. Es sei möglich, daß das Spind infolge der herabgeworfenen brennenden Kleider gebrannt habe.

Vors.: Weshalb erscheinen Sie hier als Zeuge?

Zeuge: Ich las die Berichte über den Kösliner Prozeß in den Zeitungen, und da mir etwas nicht richtig vorkam, so telegraphierte ich an das Kösliner Schwurgericht.

Vors.: Wer hat das Telegramm bezahlt?

Zeuge: Das habe ich bezahlt.

Vors.: Ist das auch wahr? Hatten Sie wirklich ein solches Interesse?

Zeuge: Ja.

Vors.: Wer hat das Telegramm verfaßt?

Zeuge: Ich.

Vors.: Das ist eine Unwahrheit, Zeuge! Ich warne Sie, hier einen Meineid zu begehen! Es ist geradezu unmöglich, daß Sie das Telegramm verfaßt haben.

Zeuge: Der Kaufmann Rosenberg in Neustettin hat es verfaßt. Vors.:[87] Der hat auch das Telegramm bezahlt?

Zeuge (nach längerem Zögern): Jawohl.

Kaufmann Orbach bestätigte die Bekundung des Dienstmädchens Hilger.

Bürgermeister Kasch (Bärwalde, zur Zeit des Brandes Stadtsekretär in Neustettin): Einige Tage nach dem Brande überbrachte mir der Polizeidiener Conradt ein zum Teil verbranntes Gebetbuch, das er in der Wilhelmstraße in der Nähe des Brandortes gefunden hatte. Dies sollte lauf Bekundung des Polizeidieners nach Petroleum riechen; ich konnte jedoch einen solchen Geruch nicht wahrnehmen. Ich zeigte das Buch dem verstorbenen Bürgermeister Zingler, der ebenfalls keinen Petroleumgeruch wahrnehmen konnte.

Polizeidiener Conradt: Er und sein Kollege und auch Bürgermeister Kasch nahmen an dem Gebetbuche, das er direkt auf der Brandstätte gefunden, Petroleumgeruch wahr.

Vors.: Hat Herr Bürgermeister Kasch wirklich auch Petroleumgeruch wahrgenommen?

Zeuge: Genau weiß ich es nicht mehr.

Polizeidiener Kasch bestätigte zunächst die Aussage seines Kollegen. Auf Befehl des verstorbenen Bürgermeisters Zingler – so bekundete der Zeuge im weiteren – teren – habe er noch am Tage des Brandes eine Belohnung von 1000 Mark für Ermittelung des Täters mittels Ausklingelns an allen Ecken der Stadt bekanntgemacht. Diese Belohnung hatte die Neustettiner jüdische Gemeinde ausgeschrieben. Es kam ihm vor, als hätte es auch auf der Brandstätte nach Petroleum gerochen; genaues hierüber könne er jedoch nicht angeben.

Stellmacher Tietz: Er habe einige Tage nach dem Brande Reste von Gebetbüchern und Thorarollen gefunden, die stark nach Petroleum rochen. Er halte es wenigstens für sehr wahrscheinlich, daß der Geruch Petroleumgeruch war.

Schmied Neitzel: Er habe dieselben Wahrnehmungen wie der Vorzeuge gemacht.

Der Vorsitzende ließ auf ein Stück Papier Petroleum gießen und fragte die beiden letzten Zeugen, ob der Geruch, den sie wahrgenommen haben, derselbe war. Die Zeugen bemerkten: Der Geruch sei derselbe, nur nicht so stark wie der gegenwärtige gewesen.

Auf Befragen des Staatsanwalts bemerkte Polizeidiener Conradt: Es seien auf der Brandstätte noch ganze Fuder angebrannten[88] Holzes, Balken usw. gefunden worden, die in der ersten Nacht nach dem Brande von den armen Leuten zumeist fortgetragen wurden.

Die Frage des Verteidigers Rechtsanwalts Meibauer, er, ob es wahr sei, daß Polizeidiener Conradt auf der Brandstätte gefundenes geschmolzenes Messing verkauft habe, beantwortete Conradt mit ja.

Arbeiter Buchholz: Er sei bei Heidemann in Dienst gewesen und von dem jungen Heidemann aufgefordert worden, das auf dem Hofe des Heidemann aufgestapelte Holz in den Schuppen zu schaffen und aus dem Zaun, der an die Hinterseite der Synagoge stieß, zwei Latten herauszubrechen. Von der Entstehungsart des Brandes wisse er nichts; nur habe er am Morgen des 17. und 18. Februar 1881 den Löwenberg mit einer Petroleumkanne gesehen. Es sei dies auf der Nysidopbrücke gewesen. Löwenberg habe den Weg nach dem Tempel zu genommen. Es sei wahr, daß er Heidemann wegen 60 Mark Lohndifferenzen verklagt habe. Er habe den Maurer Kaske der Schuldforderung wegen zu Heidemann geschickt und diesem sagen lassen, wenn er nicht bezahlen wolle, dann werde er ihm etwas zu schaffen machen, daß er daran denken solle. Am Vormittage des Brandes gegen 10 1/2 Uhr sei er, allem bisherigen Brauch zuwider, von dem jungen Heidemann aufgefordert worden, mit Dung aufs Feld zu fahren. Kaum sei er außerhalb der Stadt gewesen, da habe er den Tempel brennen sehen und sofort gedacht: Die Juden haben dich bloß aufs Feld geschickt, um den Tempel anstecken zu können. Er habe, als er aufs Feld fuhr, den älteren Lesheim mit einer Petroleumkanne leumkanne gehen sehen. Auch habe er kurz vor dem Brande auf dem Heidemannschen Wagen ein Stück Zündschnur gefunden, die er jetzt dem Polizeikommissar Höft überreicht habe.

Vors.: Mit dieser Zündschnur sind Sie erst jetzt hervorgetreten; wie kam das?

Zeuge: Ich wußte nicht, ob es wichtig sei.

Vors.: Wenn man jemand im Verdacht der Brandstiftung hat und findet auf dessen Wagen ein Stück Zündschnur, dann macht man doch davon Anzeige. Wie kommt es, daß Sie überhaupt mit diesen Ihren Angaben nach Jahr und Tag hervorgetreten sind, obwohl[89] Sie gleich nach dem Brande mehrfach von dem Staatsanwalt und dem Amtsrichter in Neustettin vernommen worden sind?

Buchholz: Ich wurde nicht nach dem Petroleum gefragt.

Vors.: Sie sollen einmal kurz vor dem Kösliner Prozeß in einem Laden des Kaufmanns Michow in Neustettin gesagt haben: Sie wissen, wer der Täter sei; Lesheim sei unschuldig, aber die Heidemanns müßten ins Zuchthaus?

Zeuge: Das ist nicht wahr.

Vors.: Es werden aber Zeugen auftreten, die das bekunden werden. Sind Sie vielleicht, als Sie diese Äußerung taten, etwa animiert gewesen?

Zeuge: Ich weiß von gar nichts.

Vors.: Trinken Sie nicht überhaupt gern Schnaps?

Zeuge: Ich trinke wohl Schnaps, aber nicht zuviel; besoffen bin ich niemals.

Vors.: Sie sollen auch einmal zu jemandem, der Sie fragte: »Weshalb bist du denn noch immer bei dem Juden?« gesagt haben: »Das ist wegen des Tempelbrandes?«

Buchholz: Ich meinte, das Geschäft geht schlecht, und da muß man da bleiben.

Vors.: Was hat das aber mit dem Tempelbrande zu tun?

Der Zeuge schwieg.

Vors.: Wie kam es, daß Sie doch endlich, und zwar zunächst der Redaktion der »Norddeutschen Presse«, Anzeige machten?

Zeuge: Ich habe Tag und Nacht darüber nachgedacht.

Vors.: Wie kamen Sie denn zur »Norddeutschen Presse«?

Zeuge: Ich hörte, daß man sich dort melden solle.

Vors.: Von wem hörten Sie das?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Vors.: Warum zeigten Sie diese Ihre Wahrnehmungen nicht der Behörde an?

Zeuge: Ich glaubte, die »Norddeutsche Presse« wäre eine Behörde.

Auf Antrag der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello und Justizrat Scheunemann wurde aus den Akten festgestellt, daß Buchholz sich auf das Zeugnis des Beyer berufen habe, daß er den Löwenberg am Morgen des 17. und 18. Februar 1881 mit einer Petroleumkanne nach der Synagoge zu habe gehen sehen, und daß Buchholz ferner gesagt habe, er habe, als er aufs Feld fuhr, den Lesheim mit einer Petroleumkanne in die Synagoge gehen sehen, während er heute bekundet. Lesheim sei mit der Petroleumkanne von der Synagoge gekommen.

Buchholz: Ich habe immer gesagt: Lesheim ist mit der Petroleumkanne von der Synagoge[90] gekommen.

Der Vorsitzende ließ aus den Akten feststellen, daß die Behauptungen der Verteidiger sich bewahrheiten.

Steinsetzmeister Beyer: Ich stand am Morgen des 17. Februar 1881 gegen fünf Uhr auf der Nysidopbrücke und habe den Löwenberg mit einer Petroleumkanne vorübergehen sehen. Löwenberg ging nach der Synagoge zu.

Vors.: War an diesem Morgen Buchholz dabei?

Beyer: Nein, Buchholz war am 18. Februar des Morgens dabei, als Löwenberg wieder die Nysidopbrücke entlang kam; da hatte letzterer aber keine Kanne.

Buchholz: Ich habe genau gesehen, daß Löwenberg eine Kanne hatte.

Vors.: Sie haben bei Ihrer ersten Vernehmung überhaupt von einer Petroleumkanne nichts gesagt; als Sie die Angabe bezüglich des Petroleums machten, sagten Sie auf Befragen, Buchholz habe Sie darauf aufmerksam gemacht?

Beyer: Das kann sein.

Vors.: Sie müssen mir bestimmt antworten!

Beyer: Es ist schon so lange her, ich weiß es nicht mehr.

Vors.: Sie wissen aber ganz genau, daß am Morgen des 17. Februar, als Sie den Löwenberg mit einer Petroleumkanne gesehen, Buchholz nicht dabei war, und daß am Morgen des 18. Februar Löwenberg keine Petroleumkanne hatte?

Zeuge: Jawohl.

Arbeiter Zibell: Buchholz hat mir einmal erzählt, er habe am Morgen des Brandes gegen elf Uhr den Lesheim mit einer Petroleumkanne aus der Synagoge kommen sehen, und ferner habe er gesehen, wie die beiden Heidemanns, als das Feuer noch nicht ausgebrochen war, die Fenster der Synagoge einschlugen.

Buchholz bestritt das.

Vors.: Buchholz! Sie haben sehr viel geredet; Sie sind vielfach vernommen worden und haben bei jeder Vernehmung Ihre Aussagen geändert; erinnern Sie sich, Sie werden die bekundete Äußerung wohl zu dem Zeugen getan haben?

Buchholz: Nein, das habe ich nicht gesagt.

Frau Zibell bestätigte die Bekundung ihres Gatten.

Vors.: War Buchholz, als er die Äußerung tat, betrunken?

Zeugin: Ich glaube, er hatte einen guten Schnaps getrunken. (Heiterkeit.)

Frau Winkler: Buchholz hat einmal im Laden bei Michow in Neustettin geäußert: »Ich werde einen schönen Text den Juden in die »Norddeutsche Presse« einsetzen[91] lassen; die Heidemanns sollen an mich denken.«

Maurermeister Kaske: Buchholz ersuchte mich einmal, zu Heidemann zu gehen und diesen aufzufordern, ihm die schuldenden 60 Mark zu geben, widrigenfalls werde er es ihm besorgen.

Auf Antrag des Rechtsanwalts Dr. Sello wurde dem Zeugen seine frühere Aussage vorgelesen. Danach hat er gesagt, er sei der Meinung gewesen, Buchholz habe bei seiner drohenden Redensart den Tempelbrand im Auge gehabt. Auf weiteres Befragen des Rechtsanwalts Dr. Sello bemerkte Kaske, die Heidemanns seien ihm als ordentliche, friedfertige und keineswegs als religiös-fanatische Leute bekannt.

Restaurateur Engel (Nette des alten und Vetter des jungen Heidemann): Einige Tage nach dem Brande äußerte Buchholz: »Der Heidemann ist doch recht dumm! Die alte Häckselmaschine kann man doch mit einem Hieb entzweischlagen, und dann erhält man sie von der Feuerversicherungsgesellschaft ersetzt. Das alte Ding ist doch nicht einmal das Verbrennen wert!«

Buchholz: Das ist eine Lüge.

Vors.: Ich bemerke Ihnen, Buchholz, daß Sie sich solcher Äußerungen zu enthalten haben.

Frau Buchholz: Kurz vor dem Brande erzählte mir mein Mann, daß er Holz aus dem Heidemannschen Hofe habe wegpacken und zwei Bretter aus dem Zaune brechen müssen. Nach dem Brande sagte mir mein Mann, er habe den Löwenberg oder den Lesheim, genau weiß ich das nicht mehr, mit einer Petroleumkanne in die Synagoge gehen sehen. Ich habe auch selbst gesehen, daß einen Tag vor dem Brande die zwei Bretter herausgebrochen waren.

Vors.: Wissen Sie, was eine Zündschnur ist?

Zeugin: Nein.

Vors.: Haben Sie diese Schnur bei Ihrem Mann einmal gesehen?

Zeugin: Ja, die zeigte mir einmal mein Mann mit dem Bemerken: »Damit werden die Juden wohl den Tempel angesteckt haben.«

Vors.: Wann zeigte Ihnen Ihr Mann die Schnur?

Zeugin: Im vergangenen Sommer.

Vors.: Buchholz, was sagen Sie dazu? Sie haben die Schnur Ihrer Frau schon im vergangenen Sommer gezeigt?

Buchholz: Das ist nicht wahr.

Vors.: Ihre Frau sagt es doch aber!

Buchholz: Die Frau irrt sich.

Vors.: Nun, Frau Buchholz, bleiben[92] Sie dabei, daß Ihnen Ihr Mann die Schnur schon im vergangenen Sommer gezeigt hat?

Zeugin (sich umdrehend): Buchholz! Wann war es wohl, war es vielleicht erst jetzt?

Vors.: Sie sollen nicht Ihren Mann fragen, sondern sagen, was Sie selbst wissen. Bleiben Sie ja streng bei der Wahrheit, es könnte Ihnen sonst schlimm gehen, Sie könnten eventuell mit Ihrem Mann ins Zuchthaus wandern!

Zeugin: Genau weiß ich ja nicht mehr, wann es war.

Vors.: Sie haben vorhin mit Bestimmtheit gesagt, Ihr Mann hätte Ihnen im Sommer vergangenen Jahres schon die Schnur gezeigt.

Zeugin: Ich hatte das vergessen; denn mein Mann hatte die Schnur verlegt und erst nach dem Prozeß wiedergefunden.

Vors.: Zeigte Ihnen Ihr Mann die Schnur, als er sie gefunden, gleich wieder?

Zeugin: Ich glaube, vielleicht war es auch später.

Dienstmädchen Hilger bestritt mit vollster Entschiedenheit, daß sie die Schnur auf dem Heidemannschen Spinde gefunden, oder eine solche Schnur in der Heidemannschen Wohnung jemals gesehen habe.

Rentier Sirvent: Ich sah am Tage vor und noch am Vormittage kurz vor dem Brande das Holz auf dem Heidemannschen Hofe mannshoch aufgestapelt. Von aus dem Zaune gebrochenen Brettern habe ich nichts wahrgenommen.

Frau Sirvent bestätigte die Bekundung Ihres Gatten. Ich weiß mich schon um deshalb so genau auf das Vorkommnis zu erinnern, da mein damals achtjähriger Sohn während des Brandes den hohen Holzhaufen erkletterte und ich mich deswegen sehr ängstigte.

Frau Bütow schloß sich den Bekundungen der Sirventschen Eheleute an.

Vors.: Nun, Buchholz, wenn die Bekundungen der drei letzten Zeugen richtig sind, dann fallen die ihrigen in sich zusammen.

Buchholz: Ich habe die Wahrheit gesagt.

Rendant Gripp: Der Polizeidiener Conradt übergab mir einige Tage nach dem Brande ein angekohltes jüdisches Gebetbuch, das ganz fettig und klebrig war und nach Petroleum roch.

Ein Geschworener: Ich ersuche den Herrn Regierungsbaurat Benoit, zu sagen, ob ein Buch, das mit Petroleum durchtränkt ist, vollständig verbrennt.

Regierungsbaurat Benoit: Wenn ein Buch mit Petroleum durchtränkt[93] ist, so verbrennt es vollständig.

Die Frage des Staatsanwalts, ob die mit Petroleum getränkten Bücher auch vollständig hätten verbrennen müssen, wenn sie unter dem Schutt gelegen hätten, verneinte der Sachverständige.

Handelsmann Beer: Der Steinsetzmeister Beyer sagte kurz nach dem Kösliner Prozesse: »Nun ist es raus mit dem Tempelbrande; ich habe aber gegen die Juden nichts Schlimmes gesagt.« Da sagte Frau Beyer: »Mein Mann wußte ja von gar nichts; Buchholz hat ihn bloß zur Aussage verleitet.« Beyer sagte zu seiner Frau: »Halts Maul!« Die Beyerschen Eheleute zankten sich noch lange darüber, ich verließ jedoch inzwischen die Beyersche Wohnung.

Beyer: Ich habe bloß geäußert, wenn Buchholz nicht gewesen wäre, dann wäre ich nicht als Zeuge gekommen, denn ich hätte es nicht angezeigt.

Frau Buchholz: In unserer Wohnung zeigte einmal mein Mann dem Schmied Wienicke die Schnur mit den Worten: »Damit werden die Juden wohl den Tempel angesteckt haben.« Wann das gewesen ist, weiß ich nicht. Ich bin bei Auffindung der Zündschnur nicht zugegen gewesen.

Kriminalkommissar Höft (Berlin): Im Auftrage des Ministers des Innern und mit Zustimmung des Ministers der Justiz war ich in der gegenwärtigen Prozeßangelegenheit nach Neustettin gereist, um Erhebungen anzustellen. Ich bestellte den Zeugen Buchholz zu mir in Mundts Hotel. Buchholz sagte mir, er könne nichts weiter sagen, als was er bereits gesagt habe. Am Abend wurde plötzlich die Tür in meinem Zimmer ganz ungestüm aufgerissen, und Buchholz trat in vollständig angetrunkenem Zustande herein. Er sagte: »Nun, Herr Kommissar, sehen Sie! Nun ist es doch klar, daß die Juden den Tempel angezündet haben. Nun liegen die Juden ordentlich drin, nun werden die Juden alle aufgehängt, und wir Christen, sind frei. Dies habe ich in der Heidemannschen Wohnung gefunden, und es ist klar, daß die Juden damit den Tempel angezündet haben.« Buchholz überreichte mir ein Papier, in dem die Zündschnur eingewickelt war. Ich entfaltete das Papier, besah mir die Schnur und fragte: »Wann haben Sie die Schnur gefunden?« Buchholz erwiderte: »Am Tage nach dem Brande fand sie die Berta Hilger in der[94] Heidemannschen Wohnung. Im Sommer 1883 habe ich die Schnur meinem Freunde Wienicke gezeigt; wir haben ein Stück von der Zündschnur abgeschnitten, es angezündet und gefunden, daß Pulver darin sei.« Ich versetzte: »Aber Buchholz, weshalb treten Sie denn erst jetzt mit einem solch wichtigen Belastungsmaterial vor? Weshalb haben Sie das nicht wenigstens beim Schwurgericht in Köslin vorgebracht?« Buchholz antwortete: »In Köslin war das nicht notwendig, da wußte ich ja, daß die Juden ohnehin drin liegen.« Ich bestellte mir an demselben Abende noch den Wienicke; dieser war aber so betrunken, daß ich nicht mit ihm verhandeln konnte. Ich ließ ihn deshalb am andern Morgen kommen; Wienicke antwortete mir jedoch, er müsse erst mit seiner Frau sprechen, ehe er etwas sage. Trotz wiederholter Vorhaltungen war er zu einer Aussage nicht zu bewegen. Ich bestellte ihn wiederum, und da sagte mir Wienicke: »Ich sage nichts; meine Frau meint, ich soll nichts sagen.« Inzwischen hatte ich Frau Buchholz laden lassen. Diese erzählte mir auch von dem mit der Schnur in der Schmiede vorgenommenen Experiment, das – und so sagte auch Buchholz – 14 Tage nach dem Brande stattgefunden habe. Frau Buchholz bemerkte ferner, sie sei, als die Schnur in der Heidemannschen Wohnung gefunden wurde, zugegen gewesen; sie wußte aber nichts von dieser Auffindung.

Buchholz und Wienicke bestätigten, daß der erstere die Schnur 14 Tage nach dem Brande vorgezeigt habe; Experimente hätte sie jedoch nicht vorgenommen.

Der Vorsitzende verwarnte Buchholz in eindringlichster Weise; letzterer blieb jedoch bei seiner Behauptung.

Kriminalkommissar Höft: Ich habe die Vernehmung dieses Zeugen sofort verbotenus niedergeschrieben und das Protokoll zu den Akten eingereicht.

Der Vorsitzende bestätigte das.

Dienstmädchen Hilger bestritt mit voller Entschiedenheit, denheit, die vorliegende Zündschnur gefunden zu haben.

Kriminalkommissar Höft: Ich habe ein Stückchen Schnur angezündet; dies enthielt in der Tat Pulver.

Fräulein Friederike Jasse: Solange Buchholz bei Heidemanns war, war er niemals betrunken, nachher betrank er sich bisweilen, wie er sagte, aus Ärger, da die[95] Juden ihm die 60 Mark nicht bezahlen wollten.

Dienstmädchen Hilger bestritt, daß kurz vor dem Brande Buchholz das auf dem Heidemannschen Hofe aufgestapelte Holz weggekarrt habe.

Schmied Wienicke, dessen Vernehmung wiederholt zu großer Heiterkeit Veranlassung gab, bekundete: Buchholz habe ihm von dem Wegpacken des Holzes und auch von der Pelroleumkanne erzählt; die letztere Angelegenheit habe er jedoch bereits vergessen.

Steinsetzer Janitz bekundete ebenfalls, Buchholz habe ihm von dem Wegpacken des Holzes, von der Auffrischung des Heidemannschen Feuerversicherungsschildes mittels Milch usw. erzählt. Von der Zündschnur habe er ihm keine Mitteilung gemacht Zündschnur, wie die vorliegende, werde von Steinsetzern behufs Sprengung der Steine vielfach benutzt. Buchholz habe ihm bisweilen geholfen, Steine entzweischlagen.

Arbeiter Liebling (Schwager des Buchholz): Kurz nach dem Brande kam Buchholz zu mir und stützte nachdenkend den Kopf in die Hand. Meine Frau fragte ihn, was ihm denn fehle. Buchholz erwiderte: »Mir geht es im Kopfe herum wegen des Tempelbrandes; daß ich das Holz wegpacken und zwei Bretter aus dem Zaune habe ausbrechen müssen, kommt mir nicht richtig vor. Buchholz zeigte mir auch die Bretter, die er habe losbrechen müssen.

Schuldiener Lange: Ihm habe Buchholz dieselbe Mitteilung wie dem Liebling gemacht. Es sei ihm auch, gleich seiner Frau, aufgefallen, daß in den kalten Januartagen und ebenso in der ersten Hälfte des Monats Februar täglich Frühgottesdienste im Tempel stattfanden, während in der Woche des Brandes, in der schönes Wetter war, sich kein Jude mehr im Tempel sehen ließ.

Schneidermeister Zülsdorf: Am Zaune habe er keine Bretter aufgebrochen gesehen, wohl aber habe er bemerkt, daß das Holz fast vollständig abgetragen war.

Fleischermeister Haß: Er habe am Tage des Brandes dem Heidemann Felle gebracht, die er in denselben Stall packte, in welchen Buchholz das Holz hineingebracht haben will. Er habe Holz in dem Stalle nicht wahrgenommen; er hätte eine solch große Quantität, wie sie Buchholz dorthin geschafft haben will, bemerken müssen. An dem Zaune habe er auch keinerlei Veränderung wahrgenommen.[96]

Kaufmann Frankenstein (entfernter Verwandter des Heidemann) hatte die Wahrnehmungen bezüglich des Holzes und des Zaunes ebenfalls nicht gemacht.

Maurer Dorow: Er habe einen Tag vor dem Brande das Holz aus dem Heidemannschen Hofe abgetragen und es, etwa drei bis vier Klafter, in dem Stalle untergebracht gesehen.

Fleischergeselle Backhaus: Er habe mit Haß am Vormittage des Brandes Felle in den Heidemannschen Stall gebracht, Holz jedoch dort nicht wahrgenommen. Eine große Quantität Holz hätte er bemerken müssen.

Kaufmann Fabian: Er könne mit Bestimmtheit bekunden, daß das Holz von dem Heidemannschen Hofe nicht weggeschafft und die Bretter von dem Zaune nicht ausgebrochen waren.

Schuhmacher Greiser (Schwager des Buchholz) kam mit einem Zettel in der Hand in den Saal und will sich die Brille aufsetzen. Der Vorsitzende ließ sich den Zettel überreichen und stellte fest, daß der Zeuge sich Notizen behufs seiner Aussage gemacht habe. Greiser bekundete: Vierzehn Tage vor dem Brande habe Buchholz täglich, und zwar den ganzen Tag, das Holz von dem Heidemannschen Hofe weggekarrt und in den Stall geschafft.

Vors.: Aber Greiser! Das behauptet ja Buchholz selbst nicht; seien Sie hübsch vorsichtig und sagen Sie: Hat Buchholz wirklich 14 Tage lang den ganzen Tag über Holz gekarrt?

Zeuge: Ja.

Vors.: Buchholz wird doch noch etwas anderes gemacht haben?

Zeuge: Das ist möglich. Der Staatsanwalt und die Verteidiger ließen sich darauf den Zettel des Greiser überreichen.

Greiser: Den Zettel habe ich mir gemacht, damit, wenn ich von den Verteidigern gedrängt werde, ich weiß, wo ich wieder anfangen soll. Im weiteren bemerkte der Zeuge auf Befragen: Mir schien es, als wäre das Holz aufgestapelt gewesen, damit man den Juden nicht in den Tempel sehen könne.

Vors.: Weshalb wurde nun nach Ihrer Meinung das Holz weggeschafft?

Zeuge: Das habe ich mir nicht klargemacht. Wenige Tage nach dem Brande sagte Buchholz zu mir: »Nun weiß ich, weshalb ich das Holz wegpacken und vom Zaune zwei Bretter ausbrechen mußte.«

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Hat der Zeuge dem Tischler Kapelke mit den Worten gedroht:[97] »Na warte einmal! Mit deinem Zeugnis werden wir dich schon kriegen?«

Greiser: Ich habe bloß gesagt: Wenn du Zeugnis ablegst, dann mußt du auch genau wissen, in welchem Spind es gebrannt hat.«

Auf weiteres Betragen des Vorsitzenden bekundete der Zeuge: Buchholz trinke wohl gern einen Schnaps, betrunken habe er ihn aber niemals gesehen. Er (Zeuge) wohnte bei Heidemann, sei mit 2100 Mark versichert gewesen und habe für entstandenen Brandschaden 450 Mark erhalten. Daß er seinen Brandschaden zu hoch angegeben, bestreite er.

Tischlermeister Kapelke bestätigte, daß ihm in der vom Rechtsanwalt Meibauer angegebenen Weise von Greiser gedroht worden sei.

Dienstmädchen Retzmer (16 Jahre alt): Ich sah, daß am Vormittage, als die Synagoge schon brannte, aus dem Zaun zwei Bretter ausgebrochen waren und Heidemann jun. über den Zaun stieg, um nach der Synagoge zu gehen. Zu dieser Zeit waren noch nicht viele Leute auf der Brandstätte.

Vors.: Du erscheinst heute zum ersten Male als Zeugin; wer hat dich als Zeugin vorgeschlagen?

Zeugin: Der Herr Landrat.

Vors.: Hast du deine Wahrnehmungen dem Herrn Landrat mitgeteilt.

Zeugin: Ich erzählte es Bekannten, und diese berichteten es wieder dem Herrn Landrat. Die Zeugin wollte im weiteren beobachtet haben, daß wenige Tage vor dem Brande der Zaun heil war.

Vors.: Du warst damals 13 Jahre alt; es ist doch höchst wunderbar, daß du dir damals gemerkt hast, der Zaun sei vor dem Brande ganz heil gewesen. Aus welchem Grunde bist du dem jungen Heidemann nachgegangen?

Zeugin: Ich wollte sehen, wo er hinging.

Regierungsbaurat Benoit: Ich erkläre auf Grund des amtlich aufgenommenen Situationsplanes, daß die Zeugin von der Stelle aus, auf der sie gestanden, ihre Wahrnehmungen nicht gemacht haben kann.

Die Zeugin blieb trotz eindringlichster Ermahnung des Vorsitzenden dabei, die Wahrheit gesagt zu haben.

Kaufmann Fabian: Ich bestreite entschieden die Richtigkeit der von der Zeugin bekundeten Wahrnehmungen. Ich wollte, als das Feuer ausbrach, über den Zaun steigen; es war mir aber unmöglich, da einmal der Zaun ganz war und vor ihm Holz stand.

Auf Antrag des Rechtsanwalts Dr.

[98] Sello beschloß der Gerichtshof, den Ingenieur Schreiber behufs Klarstellung dieser Sache noch einmal vorzuladen.

Kriminalkommissar Höft überreichte einen ihm soeben übergebenen Brief, wonach ein Anonymus mitteilte, daß ein großer Herr jüdischen Aussehens fortwährend aus dem Saale in den Korridor gehe und die Zeugen zu beeinflussen suche. Die Gerichtsdiener erklärten, daß sie derartige Wahrnehmungen nicht gemacht haben.

Alsdann wurde nochmals Lehrer Pieper vernommen.

Vors. Herr Pieper! Sie sind am Sonnabend unwohl geworden; ich mußte deshalb die Vernehmung mit Ihnen abbrechen. Ich stelle also jetzt nochmals die Frage an Sie, haben Sie jemals von Ihrer Behörde einen Verweis erhalten, weil sie beim Religionsunterricht eine Beschimpfung gegen eine alttestamentarische Persönlichkeit getan haben?

Zeuge: Ich war am Sonnabend zu erschöpft, um richtig antworten zu können. Ich muß bemerken, daß ich seit 35 Jahren im Amte bin und mich nicht an alle Vorkommnisse, die mir während dieser Zeit passiert sind, erinnern kann.

Vors.: Haben Sie in Ihren Personalien einen Verweis stehen?

Zeuge: Das ist mir nicht bekannt; ich habe allerdings einmal vor vielen Jahren eine Ordnungsstrafe erhalten, der Grund dieser Strafe ist mir nicht mehr erinnerlich.

Vors.: Wird noch von irgendeiner Seite auf die Beantwortung dieser Frage Wert gelegt?

Der Staatsanwalt und die Verteidiger bemerkten, daß sie auf die Beantwortung dieser Frage kein weiteres Gewicht legen.

Vors.: Herr Pieper, Sie sollen zu dem Kürschner Lesser einmal gesagt haben: »Wenn der junge Lesheim heim bei dem Amtsgerichtsrat Völz nicht so grob zu mir gewesen wäre, dann hätte ich anders gegen ihn ausgesagt?«

Zeuge: Das bestreite ich entschieden.

Kürschner Lesser bestätigte die Frage des Vorsitzenden. Lehrer Pieper bemerkte dem Lesser, daß er wohl ein Interesse an der Sache habe.

Vors.: Ich verbitte mir derartige Redensarten; Sie haben am allerwenigsten das Recht, jemanden in dieser Weise zu beleidigen.

Töpferlehrling Ihwert (15 Jahre alt): Ich war zur Zeit des Synagogenbrandes in der zweiten Klasse der Neustettiner[99] Stadtschule. Am Tage des Brandes von elf bis zwölf Uhr vormittags sollte Herr Pieper uns Musikunterricht geben. Kaum hatte er jedoch angefangen, die Geige zu stimmen, da sagte der Knabe Kann: »Da drüben raucht es!« Lehrer Pieper sagte: »Die Juden werden wohl zu morgen räuchern.« Ich stellte mich auf die Bank und sah zwei Juden aus der Synagoge kommen. Der eine hatte einen schwarzen Rock und einen schwarzen Hut, der andere war ein noch ganz junger Mann mit kurzem Jackett und einem kleinen runden Hut. Der jüngere hatte einen rotgestrichenen Stuhl in der Hand.

Vors.: Kanntest du diese Leute?

Zeuge: Nein.

Vors.: Sieh dir einmal die Leute da an! Kennst du sie?

Zeuge: Nein, aber bekannt kommen Sie mir vor, die Heidemanns kenne ich, die waren es nicht.

Pieper wollte wiederholt den Zeugen ergänzen.

Vors.: Herr Pieper, Sie haben sich vollständig ruhig zu verhalten und nur hervorzutreten, wenn Sie gerufen werden. Wenn Sie noch einmal den Versuch machen, in die Verhandlung einzugreifen, dann lasse ich Sie hinausführen. Nun Ihwert! Hat Herr Pieper mit dir über dein Zeugnis gesprochen?

Zeuge: Nein.

Vors.: Hat sonst jemand versucht, auf dein Zeugnis Einfluß auszuüben?

Zeuge: Nein.

Vors.: Höre einmal! Du bist noch so jung, du willst doch einmal ein ehrlicher Mensch werden?

Zeuge: Ja.

Vors.: Das kannst du aber nicht werden, wenn du hier ein falsches Zeugnis ablegst. Es ist doch sehr eigentümlich, daß du nach vollen drei Jahren so genau weißt, auf welcher Bank du an jenem Tage gesessen, wie der Stuhl ausgesehen hat usw. Kannst du dich nicht irren? Ist das Ganze nicht etwa ein Märchen, das du glaubst, weil du es von anderen Leuten gehört hast?

Zeuge: Ich weiß mich genau zu erinnern.

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Weshalb hast du deinem Vater von deiner Wahrnehmung keine Mitteilung gemacht?

Der Zeuge schwieg.

Vors.: Warum hast du das alles erst nach länger als einem Jahr erzählt?

Zeuge: Ich wurde nicht danach gefragt.

Vors.: Von wem wurdest du zuerst gefragt?

Zeuge: Herr Lehrer Pieper fragte in der Schule, wer von dem Brande des Judentempels etwas wisse, und da meldete ich mich.

Auf Antrag[100] des Justizrats Scheunemann wurde Fleischermeister Haß vernommen, welcher bekundete: Der Hotelier Mundt in Neustettin habe zur Zeit gesagt, Ihwert habe überhaupt gar nichts gesehen.

Auf Antrag der Verleidiger wurde aus den Akten festgestellt, daß der Zeuge sich bei seinen Vernehmungen vielfach widersprochen habe.

Malerlehrling Denzin (16 Jahre alt): Ich war ebenfalls Schüler bei Pieper und sah am Vormittage des Brandes die Heidemanns, Vater und Sohn, mit noch einem kleinen Knaben etwa sechsmal in die Synagoge gehen und wieder herauskommen.

Vors.: Wer war der Knabe?

Zeuge: Den kannte ich nicht.

Vors.: Hast du wirklich gesehen, daß die Leute sechsmal in die Synagoge aus und ein gingen?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Rauchte es damals schon?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Also am hellen Tage, sind diese Leute wirklich mehrere Male in die Synagoge aus und ein gegangen, während aus dem Tempel bereits Rauch drang?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Aber Denzin, ich rate dir, sage die Wahrheit! Bedenke doch, die Leute sind hier wegen Brandstiftung angeklagt! Es ist kaum denkbar, daß die Leute in solchem Falle am hellen Tage sechsmal und sogar mit einem kleinen Knaben in die bereits rauchende Synagoge gehen! Hat Herr Pieper nicht etwa gesagt: »Liebe Kinder! Ihr wißt doch noch, daß die Juden es so gemacht haben!« und du bildest dir bloß ein, daß du deine Wahrnehmungen gemacht hast?

Zeuge: Nein, ich habe alles genau gesehen.

Vors.: Hast du bloß die Heidemanns gesehen?

Zeuge: Ja.

Vors.: Hast du nicht auch die Lesheims gesehen?

Zeuge: Ja, diese sah ich später.

Vors.: Wann war das?

Zeuge: Bald darauf.

Vors.: Was taten die Lesheims?

Zeuge: Der alte Lesheim stieg auf den Stuhl und hob ein Fenster aus; er reichte es dem jungen Lesheim, der es auf die Erde stellte.

Vors.: Konnte Lesheim das Fenster erreichen?

Zeuge: Ich glaube, er stieg auf einen Stuhl.

Vors.: Du sagst: »ich glaube«; weißt du das nicht genau?

Zeuge: Nein, ich glaube das.

Vors.: Woher kamen die Lesheims?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Vors.: Du hast das früher ganz genau gewußt.

Der Vorsitzende verlas die erste gerichtliche Aussage des Zeugen,[101] danach hat dieser damals gesagt: »Die Lesheims sind von der Friedrichstraße heruntergekommen.«

Verteidiger Justizrat Makower: Der Zeuge sah den alten Heidemann, den jungen Heidemann und den jüngsten Heidemann sechsmal in die Synagoge aus und ein gehen. Nun hatte Heidemann jun. drei Kinder. Das älteste lag schwer krank danieder und ist am Tage des Brandes gestorben; das zweite, ein Knabe von sieben Jahren, war an dem Vormittage des Brandes zwischen zehn und elf Uhr in der Schule des Lehrers Lewin; der jüngste Sohn war zwei Jahre alt.

Vors.: Nun, Denzin, wie ist das? Wie alt war wohl der Knabe?

Zeuge: Ich weiß es nicht mehr genau, sieben Jahre wird er wohl gewesen sein.

Vors.: Ich bemerke allerdings, daß der Zeuge gesagt, er wisse nicht, wer der Knabe gewesen ist.

Der Vorsitzende stellte aus den Akten fest, daß der Zeuge die verschiedensten Aussagen gemacht, namentlich, daß er zunächst gesagt hat, der Lehrer Niemeyer habe gerade Unterricht erteilt, während er jetzt, nachdem Ihwert ihm entgegentritt, sagt, Lehrer Pieper habe gerade Unterricht erteilt.

Vors.: Als die Heidemanns zwischen zehn und elf Uhr vormittags sechsmal in die Synagoge gingen, da drang aus der Synagoge schon Rauch heraus?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Woher kam der Rauch?

Zeuge: Aus der Synagogentüre.

Vors.: Hast du davon dem Lehrer etwas gesagt?

Zeuge: Nein.

Vors.: Weshalb tatest du das nicht?

Zeuge: Wir durften in der Schule nur sprechen, wenn wir gefragt wurden.

Vors.: Denzin! Ich ermahne dich, die Wahrheit zu sagen, du hast geschworen! Wenn du heute sagen würdest, ich kann das nicht mehr wissen, so würde jeder Erwachsene sagen: Das ist auch nicht zu verlangen. Aber du bleibst dabei, daß das, was du gesagt hast, richtig ist.

Zeuge (nach längerem Zögern): Jawohl.

Verteidiger Justizrat Scheunemann: Ist es wahr, Denzin, daß du hier in einem Laden in Konitz vor wenigen Tagen gesagt hast, indem du eine Schnapsflasche in die Höhe hieltest: »Mit diesem Zeichen werden den wir siegen, die Juden müssen unterliegen!« (Heiterkeit.)

Vors.: Ist das wahr, Denzin?

Denzin: Nein, das ist nicht wahr.

Justizrat Scheunemann beantragte,[102] den Handlungsgehilfen und den Handlungslehrling des Kaufmanns H. Berent hierselbst zu laden, welche diese Tatsache bekunden werden.

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Ich habe auch noch einen Antrag zu stellen. Dem Schlächtermeister Hoffmann von hier ist in diesen Tagen von einem aus Neustettin geladenen Knaben eine Wurst gestohlen worden. Herr Hoffmann will den Zeugen wiedererkennen; es ist das zur Beurteilung der Wahrhaftigkeit der Knaben von Belang.

Der Gerichtshof beschloß, den gestellten Anträgen stattzugeben.

Am sechsten Verhandlungstage nahm sogleich nach Eröffnung der Sitzung das Wort Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello: Ich erlaube mir folgende Mitteilung zu machen; Der Steinsetzmeister Beyer hat gestern Herrn Justizrat Scheunemann in dessen Hotel aufgesucht und ihm gesagt, sein Gewissen dränge ihn zu folgendem Geständnis: Der Maurer Bumke habe ihm einmal erzählt, daß Buchholz einem Arbeiter Dobberstein zehn Taler geboten, wenn dieser die Synagoge anstecke. (Große allgemeine Bewegung.) Ich beantrage, zunächst den Steinsetzmeister Beyer über diese Tatsache zu vernehmen.

Der Gerichtshof entsprach dem Antrage des Verteidigers und ließ den Steinsetzmeister Beyer eintreten.

Vors.: Haben Sie immer die Wahrheit gesagt?

Zeuge: Ja.

Vors.: Sie haben sich allerdings im Widerspruch mit mehreren anderen Zeugen befunden. Ist es wahr, daß Buchholz mit der Brandstiftung in Verbindung steht?

Zeuge: Ich weiß bloß, daß Bumke mir erzählt hat, Buchholz habe dem Dobberstein zehn Taler geboten, wenn dieser den Tempel anstecken wolle.

Vors.: Wann hat dies Ihnen Bumke erzählt?

Zeuge: Nach dem Kösliner Prozeß.

Vors.: Weshalb haben Sie das nicht schon früher gesagt? Ich habe Sie doch aufgefordert, alles zu sagen, was Sie über die Brandstiftung wissen?

Der Zeuge schwieg.

Vors.: Ist Ihre Erzählung auch wahr?

Der Zeuge: Ja.

Vors.: Sind Sie etwa hier in Konitz von irgend jemandem beeinflußt worden?

Zeuge: Nein.

Staatsanwalt: Hat Ihnen auch Bumke gesagt, daß Dobberstein die Synagoge angesteckt hat?

Zeuge: Das hat er nicht gesagt.

Vors.: Gerichtsdiener! Lassen Sie einmal[103] Buchholz eintreten!

Buchholz, wissen Sie, wer den Tempel angesteckt haben kann?

Zeuge: Nein.

Vors.: Kennen Sie einen Arbeiter Dobberstein?

Der Zeuge schwieg.

Vors.: Kennen Sie Dobberstein?

Zeuge (nach längerem Zögern): Ja.

Vors.: Weshalb zögern Sie so sehr? Sie kennen ihn ja doch jedenfalls schon seit lange?

Zeuge: Es gibt mehrere Dobbersteins.

Vors.: Auch mehrere Arbeitsleute, die Dobberstein heißen?

Zeuge: Ja.

Vors.: Sie sollen einem Arbeiter Dobberstein zehn Taler geboten haben, wenn er die Synagoge anstecken wolle?

Zeuge: Das ist nicht wahr.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello erklärte, daß er keinen Antrag stellen wolle.

Staatsanwalt: Ich werde den Bumke sofort telegraphisch laden.

Schneidergeselle Bensemer: Ich war zur Zeit des Brandes 15 Jahre alt und damals Maurerlehrling. Ich fühlte mich veranlaßt, Hilfe zu leisten und lief mit einer Axt durch den Heidemannschen Hausflur. Infolge ge Schwenkens der Axt fiel die Tür eines im Hausflur stehenden Kleiderspindes ein. Ich bemerkte, daß es in diesem Kleiderspinde brannte.

Der Vorsitzende und die Verteidiger bedeuteten dem Zeugen, daß das von ihm beschriebene Axtschwenken wohl schwerlich die bekundete Wirkung auf das Spind gehabt haben könne. Der Zeuge blieb bei seiner Bekundung.

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Ich beantrage, den Postsekretär Schmoll in Neustettin zu laden, der bekunden wird, daß Buchholz einmal in einem Schnapsladen trunken gemacht und alsdann belehrt wurde, was und wie er vor Gericht bekunden soll. Herr Postsekretär Schmoll werde auch die Leute nennen, die dies getan haben. Ferner beantrage ich, die Frau Mehlhändler Unger in Neustettin zu laden. Diese wurde kurz vor Beginn dieser Verhandlung veranlaßt, sich als Zeugin zu melden, um die unwahre Tatsache zu bekunden, daß Frau Lesheim, als sie gehört, ihr Mann sei in Köslin verurteilt worden, ausgerufen habe: »Nun werde ich die anderen Schuldigen namhaft machen!« Es wurde der Unger gesagt, und zwar geschah diese Beeinflussung vielfach: sie solle im Interesse des Christentums, das die Juden beschimpfen wollen, das bekunden.

Der [104] Staatsanwalt hielt den letzten Antrag für unerheblich.

Vert. Justizrat Makower: Der Königlichen Staatsanwaltschaft stehen allerdings andere Mittel zu Gebote als der Verteidigung. Der Staatsanwalt hat eventuell auch die Polizei zur Verfügung; er ist deshalb eher in der Lage, das Thema probandum anzugeben als wir. Hätten wir dieselben Mittel, dann wären wir in der Lage, genauer anzugeben, was die Zeugin hier bekunden soll.

Der Gerichtshof beschloß, dem ersten Antrage zu entsprechen, den zweiten Antrag jedoch abzulehnen.

Kaufmann Wilhelm Schulz: Ich habe gehört, daß bei Ausbruch des Feuers Kaufmann Lehmann 1000 Mark demjenigen geboten hat, der die Thorarollen rette. Ferner habe ich noch zu bekunden, daß ich bemerkte, wie am Brandlage etwa gegen 10 1/2 Uhr vormittags in der Lesheimschen Wohnung zweimal ein Fenster geöffnet wurde, jemand einen Augenblick hinaussah und alsdann das Fenster gleich wieder zuschlug.

Vors.: Legten Sie dieser Tatsache eine Bedeutung bei?

Zeuge: Anfänglich nicht; allein ich las die seitens des Fleischermeisters Angermann im Kösliner Prozeß gemachten Bekundungen, und infolgedessen hielt ich mich zur Anzeige verpflichtet.

Maurer Buhse: Am Vormittage des Brandes sah ich die Herren Löwe, Lehmann und Freundlich auf dem Scheunenberge etwa zwei Stunden auf und ab gehen und unaufhörlich auf die Synagoge hinsehen.

Staatsanwalt: Wann war das?

Zeuge: Zwischen zehn und zwölf Uhr etwa.

Vors.: Das kann ja aber kaum sein?

Zeuge: Dann war es bis elf Uhr.

Schuhmachermeister Haack: Ich sah ebenfalls am Brandtage, kurz vor Ausbruch des Feuers, die Juden Löwe und Lehmann, die nach der Synagoge sahen.

Vors.: Wodurch wissen Sie so genau, daß die Männer gerade auf die Synagoge sahen? Der Scheunenberg liegt doch etwa 1200 Schritte von der Synagoge entfernt!

Zeuge: Genau kann ich es nicht sagen, wohin die Juden gesehen haben, es waren auch noch mehr Juden dabei.

Auf Befragen des Justizrats Makower bemerkte Haack: Er habe die Juden Löwe und Lehmann zusammen gehen sehen, außerdem noch mehrere Juden.

Buhse: Ich habe nur die drei Juden Lehmann, Löwe und Freundlich gesehen, andere[105] nicht.

Justizrat Makower: Zwei Stunden lang haben Sie diese drei Männer beobachtet und weiter keine Leute gesehen?

Zeuge: Nein.

Justizrat Makower: Dann mögen die Zeugen Ihre Widersprüche untereinander aufklären.

Frau Nachtwächter Schulz: Kurz vor Ausbruch des Brandes sah ich die verstorbene Frau Tempeldiener Löwenberg und den Kürschner Goldstandt ganz bestürzt auf dem Scheunenberg stehen. Andere Leute, ganz besonders die Juden Löwe und Lehmann, habe ich nicht gesehen.

Frau Schurig: Lesheim sen. tat einmal seiner jetzt im Irrenhause befindlichen Schwägerin gegenüber eine sehr unpassende Redensart. Die Schwägerin sagte infolgedessen: »Nun schweige ich nicht länger, ich bringe dich ins Zuchthaus«

Handelsmann Hain: Er habe eine ähnliche Redensart gehört, genaues könne er aber nicht bekunden.

Frau Grafunder, Schuhmacher Brodde und Klempner Laser bestätigten die Bekundungen des Schurig. Laser bemerkte noch: Er sei ganz bestürzt gewesen, als Frau Lesheim, die Schwägerin des Angeklagten Lesheim sen., in der Kösliner Verhandlung in Abrede stellte, eine solche Äußerung getan zu haben.

Vors.: Sind Sie denn so sehr empfindlich?

Zeuge: So etwas kann einen doch ärgern.

Vors.: Womit brachten Sie diese Redensart in Verbindung?

Zeuge: Mit dem Tempelbrande.

Vors.: Wie kamen Sie darauf?

Zeuge: Lesheim war doch der erste beim Tempelbrande.

Die Verlesung der früheren gerichtlichen Aussagen der Frau Lesheim ergab, daß sie ihrem Schwager wohl einmal gedroht habe, ihn wegen arger Beschimpfung anzuzeigen, von Zuchthaus habe sie jedoch nicht gesprochen; sie wisse auch nicht, daß ihr Schwager jemals etwas Böses begangen habe.

Kaufmann Theodor Schulz: Kurz vor elf Uhr sah ich die beiden Lesheim von der Friedrichstraße her auf den Markt kommen und Feuer rufen.

Vors.: Wissen Sie ganz genau, daß es noch nicht elf Uhr war?

Ganz bestimmt; mein Laden liegt gegenüber der Stadtuhr. Es ist allerdings auch möglich, daß die Stadtuhr gerade gestanden hat.

Verteidiger Justizrat Makower: Es ist hier in öffentlicher Sitzung den Herren Geschworenen je ein Exemplar des »Deutschen Tageblattes« und der »Neuen deutschen Volkszeitung« aus[106] Berlin übersandt worden, in denen die Verhandlung bezüglich der Angeklagten in ungünstigem Lichte dargestellt wird. Alle Schlagworte in diesen Artikeln sind rot unterstrichen.

Vors.: Es genügt, das hier zu konstatieren; ich bin überzeugt, daß die Herren Geschworenen sich durch Zeitungsschreibereien in keiner Weise beeinflussen lassen werden.

Dienstmädchen Ratzmer: Gegen elf Uhr vormittags, tags, als es schon sehr rauchte, sah ich den älteren Lesheim mit einer Petroleumkanne aus der Synagoge kommen, die Friedrichstraße hinauflaufen und »Feuer« schreien. Zur selben Zeit bemerkte ich auch den Löwenberg in der Nähe der Synagoge.

Witwe Kayser: Ich wunderte mich, daß mehrere Wochen vor dem Brande die Juden alle Morgen in den Tempel gingen, in der Woche des Brandes jedoch nicht mehr. Außerdem sah ich einige Tage vor dem Brande eine Anzahl Juden vor der Synagoge stehen und nach allen Seiten hinzeigen. Ferner bemerkte ich am Tage des Brandes zwischen fünf und sechs Uhr morgens den Lesheim in den Tempel hineingehen und bald darauf zwei Juden aus dem Heidemannschen Hause zurückkommen.

Vors.: Weshalb haben Sie sich aber nicht früher gemeldet?

Zeugin Ich fürchtete mich vor den Juden.

Vors.: Wie viele Juden gibt es in Neustettin, so daß Sie Ursache hätten, sich zu fürchten?

Die Zeugin schwieg.

Vors.: Wann zeigten Sie Ihre Wahrnehmungen an?

Zeugin: Ich erzählte es einer Bekennten, und diese erzählte es dem Klempner Laser. Laser sagte zu mir, er müsse das anzeigen, und da wurde ich von dem Herrn Landrat von Bonin vernommen.

Vors.: Wann wurden Sie vernommen?

Zeugin: Am 18. Februar 1884.

Vors.: Haben Sie den Lesheim genau erkannt?

Zeugin: Ich kann mich nicht irren, ich kenne den Lesheim zu genau.

Justizrat Makower: Sagten Sie selbst dem Herrn Landrat, daß Sie sich vor den Juden gefürchtet haben?

Zeugin: Ja.

Justizrat Makower: Jetzt fürchten Sie sich aber nicht mehr?

Zeugin: Ja, die Juden sind ja zu schlimm, die schimpfen ja so!

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Die Zeugin soll zu einer Frau Michaelis geäußert haben, als sie von der Verurteilung des Kösliner Schwurgerichts gehört: »Der Lesheim tut mir sehr[107] leid; der ist bestimmt unschuldig«?

Zeugin: Das ist nicht wahr.

Staatsanwalt: Sind Sie hier von jemandem beschimpft worden?

Zeugin: Es ist mir gesagt worden, daß Frau. Michaelis meiner Aussage wegen sehr böse auf mich sei. Und hier in Konitz hat der jüdische Fleischer Davidsohn gesagt, als wir christlichen Zeugen vom Gericht kamen: »Da kommen die Kühe!«

Frau Rechlin: Am Mittwoch vor dem Brande habe ich des Morgens gegen drei Uhr Licht in der Synagoge gesehen. Am Donnerstagabend vor dem Brande sah ich den Lesheim sen. aus der Synagoge mit einem Sacke kommen. Auf meine Frage, was er darin trage, antwortete er: »Das sind Leuchter, die ich zum Klempner Merner bringe.«

Merner: Löwenberg ist nach dem Brande wohl einmal mit Leuchtern bei mir gewesen, Lesheim jedoch niemals.

Auf die Frage des R.-A. Meibauer, weshalb die Zeugin erst jetzt mit ihren Wahrnehmungen hervortrete, antwortete sie: Sie sei vor einigen Tagen nach Neustettin als Zeugin gekommen; als da über den Tempelbrand gesprochen wurde, habe sie ebenfalls ihre Wahrnehmungen erzählt, worauf eine Anzahl Leute gemeint hätten: »Sie müssen auch Zeugin sein; wir werden es dem Landrat anzeigen.«

Vors.: Weshalb haben Sie Ihre Wahrnehmungen aber nicht früher angezeigt?

Zeugin: Ich habe es ja dem verstorbenen Herrn Bürgermeister Zingler angezeigt, der hat es aber unterschlagen.

Frau Schilke: Am Morgen des Brandtages zwischen acht und neun Uhr sah ich den älteren Lesheim mit einer Petroleumkanne aus der Synagoge kommen.

Buchbinder Vanselow: Ich sah den älteren Lesheim in der Woche des Brandes, wohl an drei Tagen hintereinander mit einer Petroleumkanne kommen. Täuschen kann ich mich nicht, da ich den Lesheim zu genau kenne.

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Weshalb haben Sie Ihre Wahrnehmungen erst jetzt angezeigt?

Zeuge: Ich hielt es nicht für wichtig.

Frau Heidemann (Gattin des Angeklagten Heidemann jun.): Sie erinnere sich wohl, während der Feuersbrunst jemanden nach Strümpfen geschickt zu haben, wer dieser Bote gewesen sei, wisse sie aber nicht.

Verteidiger R.-A. Dr. Sello teilte mit: Es gehe ihm die Mitteilung zu, daß[108] Lehrer Hübner und Kaufmann Bessert dem Beyer über die von ihm getanen Enthüllungen Vorstellung gemacht haben. Da Beyer erklärt, er habe noch weitere Enthüllungen zu machen, so beantrage er, Beyer observieren zu lassen.

Der Gerichtshof entsprach diesem Antrage.

Kriminalkommissar Höft: Buchholz teilte mir mit, er stehe deshalb augenblicklich von seiner Forderung gegen Heidemann, die sich auf 60 Mark belaufe, ab, bis die Verhandlung in Konitz beendet sein werde, damit er nicht als befangen gelte.

Buchholz bestätigte das.

Kriminalkommissar Höft bekundete im weiteren: Ein Polizeidiener in Neustettin machte mir die Mitteilung, daß der Wagenschmierer Gärtner etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich bestellte letzteren; dieser teilte mir mit: 14 Tage nach dem Kösliner Prozeß, und zwar am 2. November 1883, sei er als Wagenschmierer und Hilfsweichensteller in der vierten Wagenklasse von Neustettin nach Köslin gefahren. Auf dem Kietz, einer Station hinter Neustettin, seien Frau Lesheim und Frau Heidemann eingestiegen. Die erstere habe ihm gesagt: »Ich fahre jetzt nach Köslin, um meinen unglücklichen Mann zu befreien, ich werde dem Staatsanwalt sagen, daß mein Mann durch Geldgeschenke zur Brandstiftung verleitet worden ist.« Gärtner bemerkte mir im weiteren auf mein Befragen: Er könne sich nicht irren, denn diese Frauen seien ihm genau bekannt. Ich bestellte nun die Frauen auch zu mir und konfrontierte sie mit Gärtner. Gärtner entsprach meiner Aufforderung, seine Bekundung den Frauen ins Gesicht zu sagen. Als die Frauen ihm jedoch erwiderten, daß er lüge, und ich ihn eindringlichst verwarnte, begann er an allen Gliedern zu zittern und sagte, er irre sich. Ich stellte nun fest, daß auf dem Kietz Billette vierter Klasse nur bis Samenthin oder Gramenz verkauft werden, und daß in diesen Orten an betreffendem Tage solche Billette überhaupt nicht verkauft wurden.

Auf weiteres Befragen bekundete der Kommissar: Er habe absolut nichts ermitteln können, was die Angeklagten irgendwie belasten könnte. Den wirklichen Täter habe er allerdings auch nicht zu ermitteln vermocht. Er habe sich überzeugt, daß die Thorarollen sämtlich verbrannt und die jetzigen Thorarollen teils neu angeschafft,[109] teils von anderen jüdischen Gemeinden nach dem Brande geschenkt worden seien.

Frau Munk und Kaufmann Reppen bekundeten übereinstimmend, daß etwa zehn bis fünfzehn Minuten vor Ausbruch des Feuers Leo Lesheim bei ihnen gewesen, um für den jüdischen Krankenverein Beiträge einzuziehen. Die wegen Krankheit kommissarisch vernommene Frau Wolfram hatte dasselbe bekundet

Angeklagter Lesheim sen.: Er sei bis zum 22. November 1880 Tempeldiener gewesen, und als solcher habe er das Petroleum für die der Nysidopbrücke gegenüberliegende Religionsschule zu besorgen gehabt. Er sei infolgedessen oftmals genötigt gewesen, mit Petroleumkannen über die Straße zu gehen.

Buchbinder Vanselow: Ich kann mich ganz genau erinnern, Lesheim in der Woche des Brandes mit einer Petroleumkanne gesehen zu haben.

Vors.: Können Sie sich nicht irren? Angesichts des Umstandes, daß Sie mit Ihren Wahrnehmungen erst nach drei Jahren hervorgetreten sind, ist es doch immerhin möglich, daß Sie die Zeit verwechseln?

Zeuge: Nein, das ist unmöglich. Ich kann auch noch mitteilen, daß während des Brandes eine Anzahl Juden, die an dem Fenster meiner Wohnung vorüberkamen, sehr vergnügte Gesichter machten.

Vors.: Das ist doch wohl mehr Phantasie?

Zeuge: Ich erinnere mich dessen ganz genau.

Rabbiner Dr. Hoffmann und Vorsteher Löwe bestätigten die Bemerkungen des Lesheim. Auf weiteres Befragen äußerte Rabbiner Dr. Hoffmann: Gegen die Behauptung des Zeugen Vanselow, daß er u.a. auch ihn während des Brandes mit vergnügtem Gesicht gesehen, könne er nichts sagen; das sei eine subjektive Auffassung, gegen die man nichts einwenden könne. Er sei in größter Bestürzung auf die Brandstätte geeilt; da er aber dort viele Leute mit schadenfrohen Gesichtern gesehen, die ihn anläßlich des die Gemeinde betroffenen Unglücks noch verhöhnten, so sei er sehr bald wieder nach Hause gegangen.

Verteidiger Rechtsanwalt Meibauer: Vanselow hat bekundet, er habe den Lesheim mit einer Petroleumkanne stets unter einem Haufen Schulkinder gesehen; ist dem Lehrer Hübner vielleicht einmal von einem seiner Schüler davon Mitteilung gemacht worden?

Hübner:[110] Nein.

Maurer Kaleske: Er habe am Donnerstagabend vor dem Brande den Löwenberg in die Synagoge gehen sehen und kurze Zeit darauf den Löwenberg in der Friedrichstraße getroffen. Löwenberg habe etwas in einer roten Decke gehüllt getragen und sei damit zu dem Juden Leibholz gegangen.

Löwenberg bezeichnete das als unwahr.

Es wurde alsdann nochmals Steinsetzer Beyer aufgerufen gerufen und ihm vom Vorsitzenden in eindringlichster Weise Vorhaltung gemacht, weshalb er nicht früher mit seiner Bekundung hervorgetreten ist.

Beyer: Mein Gewissen drängte mich.

Vors.: Hat Ihnen jemand etwa gesagt: »Sagen Sie das aus, es wird Ihr Schaden nicht sein?«

Zeuge: Nein.

Maurer Bumke: Kurz nach dem Kösliner Prozeß arbeitete ich mit dem Arbeitsmann Dobberstein zusammen. Da erzählte mir letzterer: »Buchholz hat zu mir einmal gesagt: »Wenn du den Judentempel anstecken willst, so kannst du zehn Taler verdienen und soviel Schnaps erhalten, wie du willst.«

Vors.: Weshalb haben Sie das nicht früher gesagt?

Zeuge: Ich wußte nicht, daß es darauf ankommt.

Arbeiter Dobberstein: Buchholz sagte mir einmal vor dem Brande, der Zeit kann ich mich nicht mehr genau erinnern: »Ich kann dir einen guten Verdienst verschaffen. Wenn du den Judentempel anstecken willst, so erhältst du zehn Taler.« Ich sagte zu Buchholz: »Ich lasse mich auf solche Sachen nicht ein.«

Vors.: Ist das auch wahr?

Dobberstein: Ich werde meine Seele nicht verschwören.

Vors.: Weshalb haben Sie sich nicht früher gemeldet?

Zeuge: Ich habe ja damit gar nicht zurückgehalten, ich habe es dem Bumke und auch anderen erzählt.

Vors.: War Buchholz damals betrunken?

Dobberstein: Nein, keineswegs.

Vors.: Buchholz, kennen Sie diesen Mann?

Buchholz: Ja, das ist Dobberstein.

Vors.: Seit wann kennen Sie ihn?

Buchholz: Erst seit zwei Jahren.

Vors.: Wenn nun aber Leute hier auftreten und sagen, Sie seien mit dem Mann schon vor dem Brande bekannt gewesen.

Buchholz: Möglich ist das auch.

Vors.: Sie sollen nun zu Dobberstein vor dem Brande einmal gesagt haben, wenn er den Tempel anstecke, dann könne er zehn Taler verdienen?

Buchholz: Das ist[111] nicht wahr.

Dobberstein: Das ist aber doch wahr, Buchholz!

Buchholz: Wo soll ich dir das gesagt haben?

Dobberstein: In der Destillation von Freundlich.

Buchholz: Das bestreite ich ganz entschieden.

Vors.: Einer von beiden ist nun meineidig!

Dobberstein: Ich kann mich bekreuzen, und wenn ich auch nicht gleich Buchholz Ehrenzeichen habe, so steht der liebe Gott auf meiner Seite. (Bewegung.)

Buchholz: Das ist alles nicht wahr.

Postsekretär Schmoll: Buchholz wurde kurz vor diesem Prozeß trunken gemacht und ihm gesagt: »Du weißt doch, was du in Konitz auszusagen hast?«

Handlungsgehilfe Wilhelm Gaschkowski: Ein Knabe aus Neustettin, der hier als Zeuge geladen ist, holte am vergangenen Freitag bei uns (Hermann Berent hier) Schnaps. Wir sprachen über den Synagogenprozeß, und da sagte der Knabe, indem er die Schnapsflasche emporhob: »Das ist das Zeichen, mit dem wir die Schlacht gewinnen.« Ich glaube, daß er so gesagt hat; genau kann ich es nicht mehr angeben.

Vors.: Sehen Sie sich einmal die Knaben an! Welcher war es?

Ihwert: Ich war es. (Heiterkeit.)

Vors.: Nun sieh einmal an, Junge! Warum hast du das nicht gleich gesagt? Du hast doch die ganze Verhandlung mit angehört! Also, was hast du gesagt?

Ihwert: Ich wurde am Freitag nach Schnaps geschickt, und da wollten mich die Leute aushorchen. Ich sagte: »Ich lasse mich nicht aushorchen!« hielt die Schnapsflasche in die Höhe und fügte noch hinzu: »Die Preußen geben keine Schlacht auf; mit diesem Zeichen werden wir siegen.« (Heiterkeit.)

Vors.: Und unter dem Zeichen verstandst du die Schnapsflasche?

Ihwert (lächelnd): Ja.

Vors.: Du bist ja ein toller Kerl! (Heiterkeit.) Bedenke doch, es handelt sich hier um Ermittelung der Wahrheit und nicht um einen Kampf, in dem sich zwei Parteien gegenüberstehen!

Ihwert: Das meine ich ja auch nicht.

Vors.: Es ist doch aber vom Synagogenbrandprozeß die Rede gewesen.

Ihwert: Ja.

Handlungslehrling Alois Kuschnewier bestätigte die Bekundung des Gaschkowski.

Der Vors. fragte alsdann die als Zeugen vernommenen Knaben, welchen Fensterflügel der ältere Mann ausgehoben habe. Hierbei[112] traten die größten Widersprüche zutage. Der Vorsitzende stellte fest, daß die Knaben bei den verschiedenen gerichtlichen Vernehmungen die widersprechendsten Angaben gemacht haben.

Schulknabe Liebling (14 1/2 Jahre alt) bekundete dasselbe wie der Vorzeuge, verwickelte sich jedoch bei der Frage, welches Fenster die Lesheim ausgehoben haben, in Widersprüche.

Im weiteren erzählte Liebling: Er habe, als das Feuer ausgebrochen war, den Leo Lesheim mit dem Stuhle auf dem Kopfe gehen sehen. Leo Lesheim habe nicht recht gewußt, wohin er gehen solle.

Vors.: Das ist doch aber sehr eigentümlich, du hast dem Leo Lesheim sogar angesehen, daß er nicht wußte, wohin er gehen sollte?

Zeuge: Ja.

Vors.: Das beobachtetest du, während der Tempel in hellen Flammen stand?

Zeuge: Ja.

Vors.: Da hast du solche genaue Wahrnehmungen gemacht und weißt dich heute noch ganz bestimmt daran zu erinnern?

Zeuge: Ja.

Maurergeselle Markardt: Ich hatte früher in der Synagoge die Bedienung zu machen; es gab im Tempel keinen Stuhl, nur einen Schemel ohne Lehne.

Vors.: Ist jemand einmal bei Ihnen gewesen, der auf Ihr Zeugnis einwirken wollte?

Zeuge: Ja, Jassens Fritze ist bei mir gewesen..

Friederike Jasse: Ich bin bei dem Markardt gewesen. Der Polizeidiener Knaak fragte mich: ob im Tempel ein Stuhl gewesen ist. Ich sagte, ich wüßte es nicht, könne mich aber erkundigen; deshalb ging ich zu Markardt.

Hütejunge Kunte (17 Jahre alt): Ich sah am Tage des Brandes von der Schule aus zwischen acht und neun Uhr morgens den älteren Lesheim aus der Synagoge herauskommen. Lesheim sah sich noch einmal um; bald darauf drang Rauch aus der Synagoge.

Vors.: Weshalb erscheinst du heute erst als Zeuge?

Zeuge: Als die Zeugen von Köslin zurückkamen und ich die Berichte in den Zeitungen las, da sagte ich zu meinem Dienstherrn, ich wüßte auch etwas von dem Brande. Mein Dienstherr zeigte es dem Landrat v. Bonin an.

Glaserlehrling Geisenberg: Er sei zu der Zeit, als die Knaben den Leo Lesheim mit einem Stuhle auf dem Kopfe auf der Nysidopbrücke gesehen haben wollen, mit Leo Lesheim zu Jacoby gegangen, um für den alten Heidemann Strümpfe zu holen.

[113] Sie seien nicht über die Nysidopbrücke, sondern längs des Flusses über die Bergstraße gegangen. Einen Stuhl habe Leo Lesheim nicht getragen.

Frau Riedel: Ich kann genau bekunden, daß ich kurz vor dem Ausbruch des Feuers dem Leo Lesheim am Lohmühlengraben begegnet bin. Er lief eiligst an mir vorüber und sah ganz verstört aus. Ich rief: »Leo! wohin! wohin!« Leo antwortete mir aber nicht, sondern lief eiligst weiter. Er war allein und trug nichts bei sich. Etwa zehn Minuten nachher wurde »Feuer« gerufen.

Leo Lesheim bestritt, an jenem Tage den Lohmühlengraben passiert zu haben.

Dienstmädchen Hilger: Sie habe gleich nach Ausbruch des Feuers den Leo Lesheim auf dem Markte gesprochen und nichts Auffälliges an ihm wahrgenommen.

Uhrmacherlehrling Hugo Perl (17 Jahre alt): Ich war zur Zeit des Brandes Schüler bei Herrn Pieper. Gegen zehn Uhr vormittags sah ich aus der Synagoge mehrere Juden herauskommen. Rauch habe ich nicht gesehen. Ich kannte die Männer nicht, ich glaube jedoch, doch, ein Kürschner Lesser oder Lesheim ist dabei gewesen.

Vors.: Wodurch wissen Sie so genau, daß diese Ihre Wahrnehmung am Vormittage des Brandes gewesen ist?

Zeuge: Ich war zwei Tage vorher krank.

Vors.: Trugen die Juden etwas bei sich?

Zeuge: Sie trugen schwarze Bücher unter dem Arme.

Dienstmädchen Ratzmer: Sie habe ihre Wahrnehmungen gemacht, als sie vor dem Heidemannschen Hause gestanden sei.

Vors.: Aber gestern sagtest du doch mit vollster Bestimmtheit, daß du vor dem Jasseschen Hause gestanden bist?

Zeugin: Nein, ich stand vor dem Heidemannschen Hause.

Vors.: Aber wie kommst du dazu, heute deine Aussage zu ändern?

Die Zeugin schwieg.

Ingenieur Schreiber: Auch von dieser Stelle, auf der die Zeugin gestanden haben will, kann sie ihre Wahrnehmungen kaum gemacht haben.

Vors.: Es ist mir soeben von dem Vorstande der Kreissynagogengemeinde zu Gumbinnen ein jüdisches Gebetbuch zugegangen mit dem Bemerken, daß, wie das Buch bezeugt, die alten Gebetbücher durch das Betropfen von Wachslichtern ein fettiges Aussehen erhalten. Der Vorsitzende ließ das Gebetbuch auf[114] der Geschworenenbank kursieren.

Es wurde Lehrer Pieper aufgerufen.

Verteidiger Justizrat Makower: Hat der Zeuge die Denunziation gegen den Lehrer Gaffke in Neustettin verfaßt, in welcher Folge Gaffke wegen Vornahme unzüchtiger Handlungen angeklagt, vom Schwurgericht aber freigesprochen wurde? Die Denunziation ist unterschrieben: »Mehrere Bürger«. Ferner: Ist es richtig, daß die von Pieper als Zeugen vorgeschlagenen Schulkinder vor Gericht das Gegenteil von den Behauptungen des Pieper bekundeten?

Vors.: Nun, Herr Pieper, haben Sie die erwähnte Denunziation verfaßt?

Pieper: In Köslin konnte ich die Antwort hierauf verweigern.

Vors.: Was in Köslin geschehen ist, geht uns nichts an; ich frage Sie: Sind Sie der Verfasser der Denunziation?

Pieper: Wenn ich die Frage beantworten muß?

Vors.: Ein Zeuge hat das Recht, die Beantwortung zu verweigern, wenn er dadurch eine strafrechtliche Verfolgung gegen sich selbst oder einen seiner Angehörigen zu befürchten hat. Wenn also dieser Fall bei Ihnen zutrifft, dann haben Sie das Recht, die Antwort zu verweigern.

Pieper: Dann verweigere ich die Antwort.

Vors.: Und was antworten Sie auf die zweite, vom Herrn Verteidiger gestellte Frage?

Pieper: Auf diese angebliche Tatsache kann ich mich nicht mehr besinnen.

Schlossenmeister Schmiedicke: Rentier Lindenberg hat in meiner Werkstätte einmal furchtbar auf die Kaufleute Löwe, Rosenberg und Lesser geschimpft und diese u.a. »Tempelanzünder« genannt.

Lindenberg bestritt das.

Kaufmann Bessert: Er habe sehr viele Feuersbrünste gesehen, niemals aber eine solch dunkle Flamme, wie bei dem in Rede stehenden Brande beobachtet. Bisweilen kamen sogenannte Stichflammen zum Vorschein.

Vors.: Daß die Flamme dunkel war, ist wohl kein Wunder. Es lagen Matten, Teppiche usw. in der Synagoge.

Zeuge: Matten brennen aber hell.

Vors.: Das stimmt nicht ganz, das ist aber Ihre Meinung?

Zeuge: Jawohl. Im weiteren bemerkte der Zeuge auf Befragen: Eine Anzahl Juden in Neustettin rief sofort: »Die Christen haben uns den Tempel angesteckt!« Ein Jude sagte mir sogar ins Gesicht: »Sie sind der Brandstifter!« Greiser brachte mir kurz nach[115] dem Brande ein Gebetbuch, das ungeheuer nach Petroleum troleum roch. Der Geruch war so stark, daß meine Finger noch lange nachher nach Petroleum rochen. Außerdem habe ich einmal kurz vor dem Brande ein Gespräch von mehreren Juden mit angehört, wobei diese äußerten: »Unser Tempel ist doch trotz des Anbaues viel zu klein; wir haben nur zu einem Neubau kein Geld!« Wer die betreffenden Juden waren, weiß ich nicht mehr.

Frau Alwine Schmidt: Ich ging am Tage des Brandes die Friedrichstraße hinunter und sah, daß der Tempel brannte. Ich begegnete zwei jüdisch aussehenden Herren. Als ich diesen sagte: »Der Tempel brennt!« antworteten sie mir mit unpassenden Redensarten. Auf der Brandstätte angelangt, sah ich, daß drei jüdische Männer in sehr aufgeregtem Zustande über den Zaun des Heidemannschen Hofes stiegen. Der eine dieser Männer ist bestimmt der ältere Leisheim gewesen. Zu dieser Zeit waren mehrere Leute auf der Brandstätte. Der Qualm roch sehr stark nach Petroleum.

Der Vorsitzende stellte aus den Akten fest, daß die Zeugin sehr wesentlich von ihren früheren Aussagen abgewichen sei.

Die Zeugin bemerkte, sie sei krank gewesen und leide infolgedessen etwas an Gedächtnisschwäche.

Auf die Frage des Verteidigers Rechtsanwalts Dr. Sello bekundete die Zeugin des weiteren: Sie glaube deshalb, das Feuer sei mittels Petroleum angelegt worden, weil, als einmal das Grundstück ihrer Eltern abbrannte, der Qualm des Brandes, der damals, wie gerichtlich erwiesen, mittels Petroleum in Szene gesetzt worden war, genau so wie das Feuer beim Tempelbrande roch. Bei jenem Brande habe sogar das Wasser im Brunnenkessel derartig nach Petroleum gerochen, daß es absolut nicht zu gebrauchen war.

Vors. Das Petroleum aus dem Gebäude kann sich doch nicht dem Brunnen mitteilen!

Zeugin: Ja, das ist doch wahr. (Heiterkeit.)

Lehrer Hübner: Ich habe den Lesheim nicht über den Zaun steigen sehen; andere Leute sind allerdings, nachdem das Feuer ausgebrochen war, über den Zaun gestiegen.

Hausbesitzer Erbguth: Ich sprach einmal mit dem Kantor Lewin über den Synagogenbrand. Lewin sagte zu mir: »Lesheim tut mir leid, Löwe[116] hat an allem schuld.« Ich äußerte, ich glaube bestimmt, Lesheim habe es nicht aus eigenem Antriebe getan; wenn Lesheim klug wäre, dann würde er sagen, wer ihn dazu verleitet hat. Lewin sagte: »Ja, ja, der Löwe, der Löwe!« Ähnliche Äußerungen soll Lewin auch kurz vor dem Brande zu dem Schuhmachermeister Stubbe getan und dabei bemerkt haben: »Da wird nichts herauskommen, denn die Juden lügen so furchtbar und gestehen nicht, selbst wenn sie schon den Strick um den Hals haben.«

Vors.: Herr Stubbe! Das hat Lewin wirklich gesagt?

Stubbe: Das behaupte ich mit vollster Entschiedenheit.

Vors.: Fiel es Ihnen nicht auf, daß ein Jude eine solche Redensart machte?

Stubbe: Nein.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello: Warum teilten Sie Ihre heutigen Bekundungen nicht in der Kösliner Schwurgerichtsverhandlung mit?

Zeuge: Da wurde ich nicht danach gefragt.

Kantor Lewin bestritt entschieden, die bekundeten Äußerungen getan zu haben. Es sei möglich, daß er gesagt: »Löwe ist an allem schuld«, damit habe er aber etwas ganz anderes im Auge gehabt. Er sei mit Löwe verfeindet, da dieser ihn gewissermaßen aus seiner Stellung gedrängt habe.

Gefreiter Tietz: Wenige Tage nach dem Brande sah ich, daß der Tempeldiener Löwenberg eine Anzahl Kronleuchter trug.

Tempeldiener Löwenberg: Er gebe zu, solche Kronleuchter einmal über die Straße getragen zu haben, das müsse aber etwa vierzehn Tage nach dem Brande gewesen sein. Diese Kronleuchter habe sich die Gemeinde von der zu Bärwalde geliehen gehabt.

Rabbiner Dr. Hoffmann bestätigte das. Er wisse nicht genau, wann die Kronleuchter aus Bärwalde gekommen seien; jedenfalls seien sie einige Tage nach dem Brande noch nicht in Neustettin gewesen. Die Leuchter seien gleich nach ihrer Ankunft auf Befehl des Staatsanwalts Pinoff mit Beschlag belegt, nach etwa acht Tagen jedoch wieder freigegeben worden.

Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Neustettin, Kaufmann Wolff Löwe: Schon 1876 machte sich das Bedürfnis nach einer größeren Synagoge geltend. Wir kauften deshalb einen Bauplatz für 5250 Mark, überzeugten uns jedoch sehr bald, daß uns zu einem Neubau die Mittel fehlten. Wir[117] verkauften deshalb den Bauplatz wieder und ließen die Synagoge ausbauen. Sie wurde erweitert, die Bänke renoviert, neue Teppiche gelegt, die Sitze derartig vermehrt, daß nicht bloß alle Gemeindemitglieder hinlänglich Platz hatten, sondern auch noch eine Anzahl Reservesitze vorhanden waren. Die Synagoge hatte nach dem Ausbau, ohne die innere Einrichtung, einen Wert von etwa 6000 Mark. Der Ausbau hat nur etwa 4500 bis 4800 Mark gekostet. Da wir auch alle Privat-Thorarollen, Kronleuchter usw. versichern wollten, so ließen wir die Synagoge, einschließlich allem Inventar, mit 12000 Mark versichern. Bei der Regulierung des Schadens erhielten wir allerdings nur 9000 Mark. Jedes einzelne Mitglied der Gemeinde hat infolge des Brandes Schaden erlitten. Mir sind verschiedene Sachen, chen, u.a. ein wertvolles Gebetbuch, verbrannt, das noch ein Andenken von meinen Urgroßeltern war. Der mir persönlich erwachsene Schaden belief sich, einschließlich der von mir gekauften Sitze, auf etwa 600 Mark. Ich erhielt von dem Brande gegen 11 1/4 Uhr vormittags Kenntnis. Anfänglich glaubte ich die Nachricht nicht, da damals in Neustettin ähnliche Dinge häufig kolportiert wurden. Das Gebäude brannte in zwei Stunden nieder. Daß das Feuer mittels Petroleum angesteckt war, glaube ich nicht, denn es roch nicht danach. Dagegen war ich anfänglich davon überzeugt, daß das Feuer von ruchloser Hand angelegt worden, weil bereits im Jahre 1863 uns eine Anzahl Thorarollen von ruchloser Hand zerschnitten wurden. Der oder die Täter sind damals mittels Fenstereinschlagens in die Synagoge eingedrungen. Die Gemeinde hat durch den Brand bedeutenden Schaden gehabt; denn wir sind genötigt gewesen, einen Neubau auszuführen, der 50000 Mark gekostet hat.

Vors.: Die Gemeinde in Neustettin ist aber doch arm?

Zeuge: Arm ist sie gerade nicht, sie ist aber auch nicht reich.

Vors.: Wie trieben Sie die 50000 Mark auf?

Zeuge: 9000 Mark erhielten wir Versicherungsgelder, 30000 Mark nahmen wir leihweise auf, und etwa 7 bis 8000 Mark erhielten wir von Glaubensgenossen geschenkt.

Vors.: Sind Silbersachen auch mitverbrannt?

Zeuge: Die Silberbehänge der Thorarollen wurden den Privatbesitzern[118] jedesmal am Ausgange des Sabbats zurückgegeben. Im weiteren bekundete der Zeuge: Daß mehrere Wochen vor dem Brande regelmäßig Frühgottesdienste in der Synagoge stattfanden, ist unwahr. Wenn Zeugen derartige Bekundungen machen, so beruht das auf Einbildung. Wir ersuchten noch am Tage des Brandes den verstorbenen Bürgermeister Zingler, eine Belohnung von 1000 Mark für Ermittelung der Brandstifter an allen Straßenecken auszubieten. Auch baten wir gleich nach dem Brande den Polizeipräsidenten von Berlin, Geheimen Regierungsrat v. Madai, einen Kriminalkommissar behufs Ermittelung des oder der Täter nach Neustettin zu schicken. Dieses unser Gesuch wurde jedoch »aus dienstlichen Gründen« abgelehnt. Einige Zeit vor dem Brande hatten wir einmal Petroleumbeleuchtung im Tempel; diese erwies sich jedoch als vollständig unpraktisch, weshalb wir sie wieder abschafften.

Klempnermeister Merner bestätigte die letzte Bekundung des Vorzeugen. Das von mir geführte, beim Kösliner Prozeß zu den Akten überreichte Kontobuch, woraus hervorgeht, daß wir einige Wochen vor dem Brande nicht mehr Lichter verbrannten, als dies verhältnismäßig in der Woche des Brandes geschah, ist richtig.

Frau Schuhmachermeister Greiser (Schwester des Buchholz): Wir wohnten bei Heidemanns und lebten durchaus friedlich miteinander. Kurz vor dem Brande mußte Buchholz das auf dem Hofe aufgestapelte Holz wegkarren. Ich sagte zu dem jungen Heidemann: »Weshalb lassen Sie denn das Holz wegpacken?«

»Es könnte gestohlen werden,« erwiderte Heidemann.

»Aber Herr Heidemann, von diesem hohen Holzstoß kann doch niemand etwas stehlen!« erwiderte ich. Mir fiel das Wegkarren des Holzes um so mehr auf, da es in gleicher Höhe wohl schon seit sieben Jahren dort gestanden hatte.

Es wurde hierauf Stellmacher Schmidt, der wegen vorsätzlicher Inbrandsetzung seiner eigenen Besitzung neun Jahre Zuchthaus verbüßte, vorgeführt.

Vors.: Sind Sie mit den Angeklagten verwandt oder verschwägert?

Zeuge: Ich bin Christ.

Vors.: Deshalb wäre eine Verschwägerung doch aber möglich.

Zeuge: Bei mir nicht.

[119] Zur Sache bekundete der Zeuge auf Befragen des Vorsitzenden: Ich bin am Brandtage zwischen zehn und elf Uhr vormittags auf den Synagogenplatz gekommen. Dort habe ich vor der Synagoge mehrere Juden stehen sehen; der eine war der junge Heidemann. Es drang Rauch aus der Synagoge, und es roch furchtbar nach Petroleum. Ich wollte in den Tempel hineinsehen und schwang mich auf die Fensterbrüstung; da zog mich der junge Heidemann zurück mit den Worten: »Lassen Sie es doch brennen!« Der Jude schlug alsdann in der Nähe des Allerheiligsten ein Fenster ein, in welcher Folge das Feuer erst recht Luft bekam. Ich wollte mich anfänglich nicht als Zeuge melden, da ich die vielen Laufereien fürchtete. Der damalige Stadtsekretär von Neustettin, Herr Kasch, sagte jedoch zu mir: Wenn Sie ein deutscher Patriot sein wollen, dann müssen Sie alles sagen, was Sie wissen; denn die Juden bezichtigen die Christen der Brandstiftung. Einige Zeit darauf, nachdem ich mit dem jüngeren Heidemann Termin gehabt hatte, traf mich Heidemann in Neustettin auf dem Wochenmarkte. Da sagte Heidemann zu mir: »Sie werden wir auch noch aus dem Wege räumen.« Einige Zeit darauf kam der Jude Manasse zu mir nach Küdde und sagte: »Sie hätten besser getan, wenn Sie sich nicht als Zeuge gemeldet hätten; das wird Ihnen noch übel bekommen!« Dieser Jude trat in dem gegen mich verhandelten Brandstiftungsprozesse als Hauptzeuge auf.

Der Vorsitzende richtete alsdann an Schuhmachermeister Greiser die Frage, aus welchem Grunde Heidemann das Holz habe wegkarren lassen.

Zeuge: Die Erklärung überlasse ich Ihnen. (Heiterkeit.)

Vors.: Sind Sie nicht so naseweis, Greiser, wenn ich eine Frage an Sie stelle, dann habe ich einen Grund dazu.

Greiser: Ich kann doch nicht wissen, weshalb Heidemann das Holz hat wegpacken lassen, ich habe ja nicht gesehen, daß er die Synagoge angesteckt hat (Heiterkeit.)

Vors.: Weshalb haben Sie Ihre Wahrnehmungen bezüglich des Holzes so spät angezeigt?

Zeuge: Einmal dachte ich nicht gleich, daß das mit der Brandstiftung in Verbindung steht und andererseits bin ich von dem Amtsrichter Völz in Neustettin zu sehr[120] »angebrüllt« worden.

Vors.: Sie konnten von Ihrer Wohnung aus in die Synagoge sehen?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Taten Sie das häufig?

Zeuge: Nein, ich sah nur selten hinein; ich glaubte, man störe dadurch die Juden.

Vors.: Sie haben früher gesagt, Heidemann habe das Holz so hoch aufstapeln lassen, damit niemand in die Synagoge hineinsehen könnte?

Greiser: Ja.

Vors.: Und wenn Heidemann das Holz wegschaffen ließ, da konnte man ja erst recht in die Synagoge hineinsehen. einsehen. Ihre Schlußfolgerungen treffen also nicht ganz zu?

Greiser schwieg.

Schmied Rhode: Ich kam gegen elf Uhr vormittags mit meinem Freunde Schulz auf die Brandstätte; das Feuer war noch sehr unbedeutend. Es brannte am Allerheiligsten eine Flamme etwa zwei Fuß hoch.

Vors.: Bei Ihren früheren Vernehmungen sagten Sie, die Flamme sei mannshoch gewesen?

Zeuge: Ich weiß das nicht mehr so genau.

Auf weiteres Befragen äußerte der Zeuge: Es sagte jemand zu dem alten Heidemann: »Holen Sie doch ein paar Eimer Wasser, damit ist ja das Feuer zu löschen!« Heidemann antwortete: »Spaß, das haben Christenhände getan.«

Vors.: Nun, Heidemann, wie ist das?

Heidemann: Ich habe niemals eine derartige Äußerung getan.

Vors.: Sie haben früher gesagt, es sei eigentlich wunderbar, wie man Ihnen als so altem Manne zumuten konnte, ein paar Eimer Wasser zu holen?

Angekl.: Das meine ich auch.

Vors.: Rhode! wie ist das?

Rhode: Ich habe meine Aussage beschworen und bleibe dabei; ich weiß genau, was ein Eid zu bedeuten hat.

Schlächtermeister Angermann wurde infolge seines unruhigen und vorlauten Auftretens wiederholt vom Vorsitzenden zurechtgewiesen. Der Zeuge erzählte mit fieberhafter Unruhe und in einer Weise, daß ihm der Vorsitzende mehrfach mit Verhaftung drohte. Ich bin am Vormittage des Brandes bei Lesheim gewesen und habe beide (Vater und Sohn) ungemein aufgeregt gesehen. Die von diesen miteinander gewechselten Blicke werde ich niemals vergessen. Lesheim sen. lief unaufhörlich mit fieberhafter Unruhe in der Stube auf und ab, Leo Lesheim sah ebenfalls ganz verstört[121] aus; er öffnete sechsmal hintereinander das Fenster und sah hinaus, schlug es dann wieder zu und warf seinem Vater einen lächelnden Blick zu.

Vors.: Was schlossen Sie aus dieser Aufregung?

Zeuge: Anfänglich wußte ich nichts, später aber, als ich hörte, Lesheim stehe im Verdacht der Brandstiftung, da erinnerte ich mich des Vorganges.

Vors.: Sie sind mit Ihren Wahrnehmungen sehr spät hervorgetreten?

Zeuge: Ja, ich bin Geschäftsmann und stand mit den Juden immer gut. Meine Frau sagte auch, ich solle aus der Sache nichts machen.

Vors.: Sie haben anfänglich vor dem Untersuchungsrichter gesagt, Lesheim sei sehr ruhig gewesen?

Zeuge: Ja, da trat ich eben mit der Wahrheit noch nicht hervor. Barbier Keller wußte es auch, er sagte mir aber einmal: »Du, wir sind beide Geschäftsleute, wir wollen nichts daraus machen.« Aber später sagte mir Stubbe: »Du bist doch verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Du bist ein Christ, jeder Christ hat eine Religion, und du weißt doch, welchen Schimpf uns die Juden antun wollen.« Von diesem Augenblick an hatte ich keine Ruhe mehr.

Lesheim sen.: Es ist richtig, daß Angermann am Vormittage kurz vor dem Brande bei mir gewesen ist, alles übrige bestreite ich.

Leo Lesheim: Ich bin zur Zeit, als Angermann bei uns war, gar nicht zu Hause gewesen.

Vors.: Nun, Angermann, bleiben Sie bei Ihrer Aussage?

Angermann: Ich bleibe fest wie Eisen. (Heiterkeit.)

Vors.: Angermann, benehmen Sie sich hier anständig!

Auf Antrag des Rechtsanwalts Meibauer wurde die Aussage des inzwischen verstorbenen Barbiers Keller verlesen. Danach hatte dieser gesagt, er sei zwischen zehn und elf Uhr bei Lesheim gewesen, habe den alten Lesheim angetroffen und Auffälliges an ihm nicht wahrgenommen.

Frau Goldstandt: Am Tage vor dem Kösliner Prozesse sagte Angermann zu mir: »Ich muß nach Koslin fahren, obwohl ich nicht das mindeste weiß.« Als die Aussage Angermanns in Neustettin durch die Zeitungen gen bekannt wurde, sagte Frau Angermann zu mir, die Angermanns sind alle ein bißchen verrückt.

Vors.: Nun, Angermann, was sagen Sie dazu?

Angermann: Ich werde doch der Frau nicht sagen, was ich weiß.

Vors.:[122] Sie sollen mir auf meine Frage antworten?

Angermann: Es ist ja möglich, aber ich werde Frau Goldstandt verklagen, wie kann die so meine Frau beleidigen! (Heiterkeit.)

Vors.: Die Zeugin hat doch aber Ihre Frau in keiner Weise beleidigt.

Kaufmann Gustav Orbach: Angermann hat mir selbst einmal erzählt, er habe an Lesheim Auffälliges nicht wahrgenommen. Der verstorbene Barbier Keller sagte einmal zu mir: »Ich begreife gar nicht, daß man den Lesheim der Brandstiftung bezichtigen will; ich bin am Vormittage des Brandes zwischen zehn und elf Uhr bei ihm gewesen und habe absolut nichts Auffälliges wahrgenommen.

Am siebenten Verhandlungstage erklärte der Vorsitzende die Beweisaufnahme für geschlossen und verlas die Schuldfragen. Diese lauteten: Sind die Angeklagten schuldig, im Februar 1881 zu Neustettin ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude vorsätzlich in Brand gesetzt zu haben. Im Falle der Verneinung dieser Frage: Sind die Angeklagten schuldig, dem Täter zur Begehung des in der Hauptfrage erwähnten Verbrechens durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben? Bezüglich der beiden Heidemann wurde für den Fall der Verneinung der beiden ersten Fragen noch folgende dritte Frage gestellt: Sind die Angeklagten schuldig, von der am 18. Februar 1881 zu Neustettin ausgeübten vorsätzlichen Brandstiftung zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens noch möglich war, glaubhafte Kenntnis erhalten und es unterlassen zu haben, hiervon der Behörde zur rechten Zeit Anzeige zu machen?

Es nahm darauf das Wort zur Schuldfrage Staatsanwalt Schlingmann: Meine Herren Geschworenen! Die gegenwärtige Verhandlung hat bereits das Schwurgericht zu Köslin und auch das Reichsgericht zu Leipzig beschäftigt. Ich sage das nicht, meine Herren, um Sie auf diese Verhandlungen hinzuweisen. Ich bin überzeugt, Sie werden Ihr Urteil ausschließlich, wie es Ihre Pflicht ist, auf Grund der hier im Saale geschehenen Beweisaufnahme fällen. Es ist nicht zu leugnen, daß in Neustettin zur Zeit des Brandes eine sogenannte antisemitische Bewegung[123] stattfand. Es ist ja hier auch ein Artikel aus der in Neustettin erscheinenden »Norddeutschen Presse« verlesen worden, in welchem allerdings eine Sprache geführt wird, die mich selbst geradezu in Staunen setzte. Allein als wir uns den Artikel etwas näher betrachteten, da sahen wir, daß er einmal am 22 November 1530 erschienen ist, und daß er lediglich ein Zitat aus Dr. Martin Luther war. Ich habe nicht nötig, Dr. Martin Luther zu verteidigen. Der Inhalt des Artikels zeugt lediglich von der Kraftprobe des Mittelalters, die damals gang und gäbe war. Ich glaube also nicht, daß dieser Artikel irgendwelche Wirkung geübt hat. Die Neustettiner Synagoge war bekanntlich ein altes Gebäude, das allerdings zwei Jahre vor dem Brande ausgebaut war, das alsdann einen Wert von etwa 6000 Mark hatte, trotzdem aber ein altes Gebäude blieb. Als nun am 18. Februar 1881 dies Gebäude ein Raub der Flammen wurde, da war eine ganze Reihe von Leuten sofort der Überzeugung, daß das Feuer von ruchloser Hand angelegt war. Eine ganze Anzahl von Leuten jüdischer Religion hat sofort die Behauptung ausgesprochen: »Das haben uns die Christen getan; das ist das Werk der Antisemitenhetze.« Ich kann mich dem Gutachten des Bauinspektors Kleefeldt nicht ganz anschließen, denn die schnelle Verbreitung des Feuers ist auch dadurch zu erklären, daß es in der Synagoge durch das viele trockene Holz sehr große Nahrung fand. Allein andererseits vermag ich mich auch nicht dem Gutachten des Regierungsbaurats Benoit anzuschließen. Herr Baurat Benoit sagte, wenn Petroleum mitgewirkt hätte, dann wäre eine Explosion erfolgt, so daß sofort nach Ausbruch des Feuers die Wände eingestürzt gestürzt wären. Allein, dies könnte man doch nur dann annehmen, wenn man wüßte, welch große Quantität Petroleum verwendet worden ist. Eine Reihe durchaus glaubwürdiger Zeugen hat bekundet, sie hätten teils auf der Brandstätte, teils an gefundenen Gebetbuchresten Petroleumgeruch wahrgenommen. Nun ist Petroleumgeruch bekanntlich ein solch eigentümlicher, daß ein Irrtum wohl kaum möglich ist. Daß die Synagoge vorsätzlich in Brand gesetzt worden ist, ist für mich zweifellos. Von selbst entsteht kein Feuer,[124] am allerwenigsten in einem Gebäude, in dem keine Feuerungsanlage war, und was noch ganz besonders zu beachten ist – in das mehrere Tage vorher kein Mensch hineingekommen sein soll. Die Zeugen haben übereinstimmend bekundet, daß seit dem letzten Montag vor dem Brande niemand mehr die Synagoge betreten hatte. Daß das Feuer aber nur von einer Person angelegt worden sein kann, die in den Innenraum der Synagoge Zutritt hatte, ist wohl zweifellos. Nun hat der Lehrer Pieper äußerst wichtige Wahrnehmungen gemacht. Die Verteidigung wird ja das Zeugnis des Pieper sehr anzugreifen suchen. Es wird behauptet, Pieper habe von seiner vorgesetzten Behörde einen Verweis erhalten, weil er beim Religionsunterricht gegen eine alttestamentarische Persönlichkeit eine beleidigende Äußerung getan hat. Allein dieser Umstand dürfte doch nicht geeignet sein, die Glaubwürdigkeit würdigkeit des Pieper in Frage zu stellen. Es kommt hinzu, daß die Bekundungen des Pieper von einer ganzen Reihe von Zeugen, besonders von vielen seiner ehemaligen Schüler unterstützt werden. Daß ein Fensterflügel in der bekundeten Weise in der Tat ausgehoben war, haben noch mehrere andere Zeugen gesagt, ja, es wurde sogar bekundet, daß das Fenster nur von innen zu öffnen war. Im weiteren ist die Aussage des Lehrers Hübner in Betracht zu ziehen, der, als er zu Heidemann ging, das Fenster noch nicht ausgehängt sah, und daß Lesheim sen. sich bei Ausbruch des Feuers höchst auffällig benommen hat. Er wurde von Hübner zum Bürgermeister geschickt; er lief fort, kam aber nach fünf Minuten wieder zurück, ohne bei dem Bürgermeister gewesen zu sein. Als nun Hühner ihm sagte: »Aber, zum Donnerwetter! Laufen Sie doch zum Bürgermeister und schreien Sie Feuer!« da fragte Lesheim den alten Heidemann: »Soll ich schreien?« Erst als dieser sagte: »Schreien Sie schon!« begann Lesheim Feuer zu rufen. Es ist endlich der Zeugen zu erwähnen, die den Lesheim am Morgen des Brandes, der Buchbinder Vanselow sogar mehrere Tage in der Woche des Brandes mit einer Petroleumkanne in die Synagoge haben gehen sehen. Eine Zeugin hat Lesheim am Vorabende des Brandes mit voller Bestimmtheit mit[125] einem Sack auf dem Rücken aus der Synagoge kommen sehen. Die Zeugin hat mit Lesheim heim gesprochen, und auf ihre Frage, was er im Sacke habe, antwortete er, es seien Leuchter, die er zum Klempner trage; die Zeugin berührte den Sack und fand die Angabe des Lesheim bestätigt. Gegen die Bekundung des Fleischermeisters Angermann dürfte sich auch wohl nichts einwenden lassen. Daß dieser zu einer Frau gesagt: »Ich bin zum Kösliner Schwurgericht als Zeuge geladen, weiß aber gar nicht, was ich bekunden soll,« dürfte sehr wenig ins Gewicht fallen. Daß beide Lesheims sich sehr auffällig benommen haben, ist von einer Reihe anderer Zeugen bestätigt worden. Nicht minder auffällig haben sich aber auch die beiden Heidemanns benommen. Ich erinnere Sie bloß an die Bekundungen, daß der alte Heidemann gesagt hat: »Sehen Sie! Dort ist das Feuer hineingeworfen worden, dort ist der Täter übergestiegen!« obwohl die Unmöglichkeit dieses Unternehmens jedem klar in die Augen sprang. Ich erinnere Sie auch daran, daß der alte Heidemann zum Löschen sich nicht herbeilassen wollte, sondern auf die bezügliche Aufforderung einfach antwortete: »Spaß, das haben uns Christenhände getan!« Am auffälligsten ist aber der Brand im Heidemannschen Spinde. Daß das Feuer in das verschlossene Spind vorsätzlich hineingelegt war, haben wir aus den Bekundungen einer ganzen Reihe von klassischen Zeugen vernommen. Das Motiv zu einer Tat ist mit Sicherheit stets sehr schwer festzustellen. Der Beweggrund zu einem Verbrechen beruht stets auf einem inneren seelischen Vorgange, in den schwer einzudringen ist. Allein das Motiv zur Tat ist mir vollständig klar. Ich will nicht behaupten, daß die Feuersbrunst deshalb in Szene gesetzt worden ist, um die verhältnismäßig etwas hohe Versicherungssumme zu erhalten und damit ein schöneres, größeres und stattliches Bethaus aufzubauen. Nein, ich suche den Grund auf einer ganz anderen Seite. Wir haben gehört, daß zu jener Zeit die antisemitische Bewegung hohe Wellen schlug. Am Sonntag vor dem Brande ist Dr. Henrici aus Berlin in Neustettin gewesen und hat dort eine Rede gegen die Juden gehalten. Ich behaupte, die Angeklagten sagten sich, wenn man der Gesetzgebung den[126] Beweis liefern könnte, daß infolge der Antisemitenbewegung ein solch großes Verbrechen passiert ist, so würde diese der Bewegung wohl einen Damm entgegensetzen. Für diese meine Behauptung spricht auch der Umstand, daß, wie mehrere Zeugen bekundeten, tatsächlich eine Anzahl Gegenstände vor dem Brande aus der Synagoge weggeschafft worden sind Es kommt ferner hinzu, daß mehrere Zeugen einige Vorstandsmitglieder der jüdischen Gemeinde, welche unaufhörlich auf die Synagoge hinsahen, zwei Stunden lang auf dem Scheunenberge stehen gesehen haben, sowie die Bekundung des Buchholz, der allerdings ein sehr unsicherer cherer Zeuge ist. Ich gebe zu, die einzelnen Tatsachen sind keine direkten Beweise; allein das Gesamtbild, das sich eine volle Woche lang vor Ihnen entrollt hat, muß Sie von der Schuld der Angeklagten überzeugen. Ein ausgehobenes Fenster, eine Petroleumkanne, aufgeregtes Wesen usw. sind an sich nicht besonders gravierende Umstände; allein der Umstand, daß diese Tatsachen zusammenfallen, bringt die Überzeugung von der Schuld der Angeklagten. Daß Leo Lesheim seinem Vater Hilfe geleistet, ist zweifellos. Ebenso dürfte zu bejahen sein, daß Leo Lesheim die zur Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen hat. Ich beantrage daher gegen alle Angeklagten das Schuldig wegen vorsätzlicher Brandstiftung. Sollten Sie nicht zu dieser Schlußfolgerung kommen, dann ist es doch jedenfalls zweifellos, daß die Angeklagten dem Täter bei Begehung der Tat Hilfe geleistet haben.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sello (Berlin): Meine Herren Geschworenen! Ich warne Sie, dem Rate des Ersten Herrn Staatsanwalts Folge zu leisten: nicht die einzelnen Tatsachen zu prüfen, sondern das Gesamtbild auf sich wirken zu lassen. Es wäre das ein Weg, der zweifellos Ihr Urteil trüben würde. Das Unglück bei der ganzen Geschichte ist, daß die ganze Anklage zur Parteisache geworden ist. Wenn Ihrer Beurteilung lediglich die Frage unterbreitet wäre: Ist das jüdische Bethaus in Neustettin von den Angeklagten ten in Brand gesteckt worden, dann würden Sie zweifellos entscheiden: »Nein, die Angeklagten sind unschuldig.« Allein, das Schlimme ist, daß die politische Parteibewegung[127] sich der Sache bemächtigt hat, deren Anklänge gestern sogar bis in diesen Gerichtssaal drangen. Der Herr Staatsanwalt hält den Lesheim zunächst für schuldig, da ihn Frau Kapitzke in der Synagoge gesehen haben will. Sie wissen, meine Herren, wie unsicher die Zeugin gewesen ist und in welche Widersprüche sie sich verwickelt hat. Die Zeugin hat schließlich zugeben müssen, sie könne durchaus nicht sagen, wer die Person gewesen, die sie in der Synagoge gesehen hat. Ja, der Herr Staatsanwalt selbst richtete an die Zeugin die Frage, ob der Gegenstand, den sie gesehen, in der Tat ein Mensch gewesen ist. Die Zeugin wußte mit Sicherheit eine Antwort nicht zu geben. Ähnlich unsicher waren aber auch die Zeugen, die der Herr Staatsanwalt zur Unterstützung der Aussagen der Kapitzke anführte. Das Schlimme bei der ganzen Sache war ferner, daß alle Welt von vornherein annahm, der Brand ist ein vorsätzlicher gewesen und das Feuer ist mittels Petroleum in Szene gesetzt worden. Nun haben wir aber von dem Regierungsbaurat Benoit gehört, daß Petroleum nicht verwendet sein kann. Der Herr Staatsanwalt meinte, nur dann hätte eine Explosion stattfinden können, wenn die Quantität des Petroleums eine sehr große gewesen wäre; dazu fehlt es aber an jedem Anhalt. Die von dem Herrn Staatsanwalt vorgeführten Belastungszeugen, die selbst die inneren Teile der Gebetbücher mit Petroleum getränkt fanden, widerlegen den Herrn Staatsanwalt. Wenn diese Bekundungen der Zeugen richtig sind, dann muß die Quantität des Petroleums eine sehr beträchtliche gewesen sein. Sobald wir das Petroleum ausscheiden, ist die Sachlage sofort eine andere. Ich will nicht die Behauptung aufstellen, daß das Feuer vom Montag bis zum Freitag geschweelt habe; allein ich behaupte, daß Löwenberg in der Zwischenzeit im Tempel gewesen ist. Ich würde es wirklich für sehr sonderbar finden, wenn der Tempeldiener während dieser Zeit nicht einmal die Synagoge betreten hätte. Löwenberg bestreitet dies allerdings. Nun, meine Herren, Sie haben ja den Löwenberg gesehen; es wird Sie nicht wundern, daß ein geistig so beschränkter Mensch solche geringfügigen Nebensachen, aus Furcht, verdächtigt zu werden, in Abrede stellt. Die Vorstandsmitglieder[128] oder der Rabbiner brauchen von diesem Betreten doch nicht etwa Kenntnis zu haben. Ich stimme dem Herrn Staatsanwalt bei, wenn er sagt, es sei für die Entwicklung unserer Kulturgeschichte ein sehr trauriges Zeichen, daß in einem Teile unseres Vaterlandes sich eine konfessionelle Spannung entwickelt hat. Ich sage ausdrücklich »konfessionelle Spannung«; denn mit der Religion hat diese Bewegung, die tief zu beklagen ist, absolut nichts zu tun. Sie haben ja gehört, daß wenige Tage vor dem Brande Dr. Henrici aus Berlin in Neustettin in einer Volksversammlung einen Vortrag gehalten hat. Es ist nicht gelungen, den Inhalt dieses Vortrages festzustellen; allein das dürfte wohl anzunehmen sein: zum Frieden mit unseren israelitischen Mitbürgern hat Dr. Henrici nicht aufgefordert. In welcher Weise in Neustettin die antisemitische Agitation betrieben worden ist, hat uns ferner der zur Verlesung gelangte Artikel der in Neustettin erscheinenden »Norddeutschen Presse« bewiesen. Der Herr Staatsanwalt sagte, dieser Artikel, der ein mittelalterliches Zitat von Luther sei, könne unmöglich auf die Leser des Blattes einen Einfluß ausgeübt haben. Ich meine, gerade da der Redakteur der »Norddeutschen Presse« sich bei dem Zitat auf die Autorität Dr. Martin Luthers berief, hat der Artikel erst recht eine Erregung hervorgerufen. Ist es angesichts dieser Zustände zu verwundern, wenn eine Anzahl Juden zu der Vermutung kamen und es auch sofort offen aussprachen, daß ihnen das die Christen getan haben? Ich stehe nicht an, dieses Benehmen der Juden in herbster Weise zu tadeln; aber entschuldbar ist ihr Verhalten auf alle Fälle. Diese Beschuldigung rief auf der Gegenseite naturgemäß eine große Erbitterung hervor; es wurde den Juden sofort erwidert, daß sie selbst ihren Tempel angesteckt haben. Die Beschuldigung geht herüber und hinüber. Hier Jude, da Christ. Und nun werden Verdachtsmomente zusammengetragen, die den Juden das Verbrechen beweisen sollen. Alles erscheint auffällig und verdächtig. Der Kassenkontrolleur Dahlitz, ein sonst sehr ruhiger Mann, ist sofort, als er den Lesheim sieht, der Überzeugung, daß dieser der Täter ist, da er – sehr aufgeregt war. Ich glaube, wäre Lesheim ruhig gewesen,[129] Dahlitz hätte sich ebenfalls zu einer sofortigen Verhaftung des Lesheim veranlaßt sehen können, denn wie darf jemand bei einer großen Feuersbrunst ruhig bleiben! Nun könnte man fragen: Haben denn die Zeugen sämtlich gelogen, die den Lesheim mit einer Petroleumkanne gehen, das Fenster ausgehängt gesehen haben? Die Zeit, zu der die Handlungen angeblich geschehen sind, ist keineswegs festgestellt. Daß Lesheim mit Petroleumkannen über die Straße gegangen, daß ein Fenster ausgehoben war, und daß Lesheim sich an diesem in die Höhe gezogen, um in den Tempel hineinzusehen, hat er zugegeben. Wenn man erwägt, daß seit dem Brande drei volle Jahre vergangen sind, daß angesichts der Erregung in Neustettin die Phantasie ungeheuer mitspielte, dann wird man wohl annehmen müssen, daß die Wahrnehmungen bezüglich der Handlungen der beiden Lesheim teils auf Einbildung beruhten, teils zu anderer Zeit, wie bekundet, gemacht wurden. Jeder rechtschaffene fene Mann, der über eine Tatsache vor Gericht gefragt wird, die vor drei Jahren passiert ist, wird erklären, daß er sich der Vorgänge nicht mehr ganz genau erinnere und aus dem Grunde annehme, seine erste Aussage sei wahr, weil er damals die Sache besser im Gedächtnis hatte. So handelt nach meiner Erfahrung jeder rechtschaffene Mann, es sei denn, er wäre ein Neustettiner Zeuge. In welcher Weise man bemüht gewesen ist, Verdachtsmomente gegen die Juden zusammenzutragen, haben wir von dem Kriminalkommissar Höft gehört, dem Buchholz eine Zündschnur überbrachte mit dem Bemerken, daß damit die Juden den Tempel angesteckt hätten, und daß sie nun alle gehängt werden müßten. Selbstverständlich braucht man zur Erklärung dieses großen Verbrechens ein Motiv. Die Erlangung der angeblich hohen Versicherungssumme genügt nicht; deshalb wird noch ein anderes Motiv gefunden. Die Anklagebehörde behauptet, die Brandstiftung sei geschehen, um der Gesetzgebung den Beweis zu liefern, zu welchem Verbrechen die antisemitische Bewegung führe, und um zu veranlassen, daß Repressivmaßregeln gegen die Bewegung ergriffen werden. Meine Herren Geschworenen! Ich kann mir nicht denken, daß die Angeklagten den Eindruck[130] von Menschen machen, die zu einer fanatischen Handlung fähig wären, welche an die finstersten Zeiten des Mittelalters erinnert. Ist es aber auch andererseits seits denkbar, eine Religionsgemeinde werde eine solch verruchte Tat begehen, daß sie ihr Heiligtum schändet lediglich aus Haß gegen die Christen?! Einen solchen Eindruck haben die hier vernommenen Zeugen jüdischer Konfession doch sämtlich nicht auf Sie gemacht! Sie sind gewiß weit entfernt davon, zu glauben, daß eine christliche Gemeinde aus ähnlichem Anlaß ein solches Verbrechen begehen könnte. Sie haben zu alledem von dem Herrn Kriminalkommissar Höft gehört, daß die Thorarollen in der Tat mitverbrannt sind. Rabbiner Dr. Hoffmann, der doch gewiß einen glaubwürdigen Eindruck macht, hat beteuert, er habe, als er den Verlust der Thorarollen vernommen, Tränen vergossen. Die Heidemanns sollen aber auch an der Brandstiftung beteiligt sein, denn der Knabe Denzin will sie mehrfach in die Synagoge gehen gesehen haben. Daß sie, und zwar in Begleitung des Lehrers Hübner, in der Tat in die Synagoge gegangen sind, geben sie selbst zu. Aus welchem Grunde sie nun wiederholt in die Synagoge gegangen sein sollen, ist absolut unerfindlich. Ich habe wohl nicht nötig, noch einmal auf die Widersprüche hinzuweisen, die bei der Vernehmung des Denzin zutage getreten sind. Ich bitte Sie bloß, die Tatsache in Betracht zu ziehen, daß Heidemann am Tage des Brandes ein todkrankes Kind hatte, das einen Tag nach dem Brande, jedenfalls infolge der ihm aus Anlaß des Feuers widerfahrenen nen unsorgsamen Behandlung, gestorben ist. Ein weiteres Belastungsmoment ist das brennende Spind. Ich würde befürchten müssen, Ihre Zeit unnötig in Anspruch zu nehmen, wenn ich mich hierbei des längeren aufhielte. Daß das Innere des in der Heidemannschen Wohnung gestandenen Spindes, in dem eine Reisedecke und ein Regenschirm, beides schwer brennbare Gegenstände, enthalten waren, nicht als Herd des Feuers dienen sollte, um die Synagoge in Asche zu legen, dürfte wohl jedem vernünftigen Menschen klar sein. Man macht den Heidemanns noch den Vorwurf, daß sie nicht genau angeben können, was sie am Vormittage des Brandes getan haben.

[131] Ich finde das sehr erklärlich; es erfreut sich eben nicht jeder Mensch eines solchen Gedächtnisses wie die Schüler des Herrn Pieper. Der Herr Staatsanwalt hat die Zeugen Buchholz und Greiser einfach über Bord geworfen. Ich behaupte, mit dem Zeugnis des Buchholz fällt auch die Anklage. Auf das Zeugnis dieses Menschen hin ist die Anklage erhoben worden. Buchholz behauptete, Löwenberg und Lesheim mit Petroleumkannen in die Synagoge gehen gesehen zu haben; Buchholz wollte die Bretter aus dem Heidemannschen Zaun ausgebrochen und das Holz weggekarrt haben. In Köslin war er noch der Hauptbelastungszeuge. Ich freue mich, daß es endlich gelungen ist, festzustellen, daß die Schuld der Brandstiftung, wenn eine solche in der Tat vorsätzlich begangen worden ist, auf einer anderen Seite als der der Angeklagten zu suchen ist. Ich will schließen mit dem vom Herrn Staatsanwalt ebenfalls getanen Ausspruche: Ich bin überzeugt, meine Herren Geschworenen, Sie werden nur das Beweismaterial prüfen, das hier im Saale Ihnen vorgeführt worden ist; denn in Köslin lagen die Verhältnisse wesentlich anders. In Köslin war Dobberstein noch nicht mit seinem Zeugnis und Buchholz noch nicht mit seiner Zündschnur hervorgetreten; der Knabe Ihwert hatte noch nicht gerufen: »Mit diesem Zeichen werden wir siegen, die Preußen geben die Schlacht nicht auf!« Ich bin nicht einen Augenblick im Zweifel, daß Sie gleich uns der Überzeugung sind: die Angeklagten sind unschuldig.

Verteidiger Justizrat Makower (Berlin): Meine Herren Geschworenen! Ich will nicht anklagen, sondern verteidigen. Nach den erschöpfenden Ausführungen meines Kollegen Sello ist eine weitere Verteidigung kaum noch nötig; allein da ich dem Herrn Kollegen Sello auf dessen Ansuchen versprochen habe, ihn in der Verteidigung zu unterstützen, will ich mein Wort auch einlösen und noch einiges zur Ergänzung bemerken. Meine Herren Geschworenen! Wenn sonst irgendwie ein Verbrechen geschieht, dann werden seitens der Polizei, Staatsanwaltschaft usw. die nötigen Erhebungen angestellt, und auf Grund dieser wird die Anklage erhoben. Anders ist es jedoch in dem gegenwärtigen Falle gewesen. Hier haben sich außer den Behörden des[132] Staates noch andere Anklagebehörden konstituiert, von denen die eine sogar den Versuch gemacht hat, die Königliche Staatsanwaltschaft zu verdrängen. Von der einen Seite werden Zeugen vorgeladen, vernommen, die Zeugenaussagen protokolliert und die Protokolle dem Gericht ohne Namensunterschrift eingereicht; auf der anderen Seite ist man bemüht, das Belastungsmaterial nach Kräften zusammenzutragen. Wer da weiß, wie sehr es bei ungebildeten Menschen gerade auf die erste Vernehmung ankommt, der wird ein solches Verfahren für äußerst bedenklich finden. Gott wolle uns davor bewahren, daß solche Zustände bei uns ferner Platz greifen. Sehr bedenklich ist es, daß es solchen Privatanklagebehörden nicht darauf ankommt, die Wahrheit zu ermitteln, sondern lediglich die Gegenpartei zu belasten. Daß drei Viertel aller hier vernommenen Zeugen unter solchem Eindrucke standen, werden Sie gesehen haben. Daß angesichts dieser Tatsachen die Verdachtsmomente gegen die Angeklagten sich lawinenartig angehäuft haben, ist nicht zu verwundern. Ich finde es sehr natürlich, daß unter den erwähnten Umständen sich der Verdacht der Täterschaft zunächst auf Löwenberg lenkte. Die Heidemanns wohnen neben der Synagoge, sie haben somit die beste Gelegenheit zum Tempelanzünden. zünden. Lesheim ist der frühere Tempeldiener. Daß auch Leo Lesheim mit auf die Anklagebank gekommen ist, ist wohl bloß geschehen, um eine Gleichstellung zu bewirken. Man hielt es für besser, auch hier gleich den Sohn mit unter Anklage zu stellen. Heidemann soll sich verdächtig gemacht haben, weil es in seinem Kleiderspind, das auf die Brandstätte geschafft wurde, gebrannt hat. Das genügt noch nicht; es findet sich noch ein weiterer Zeuge, der auch ein im Hausflur stehendes Spind, das infolge seines Schwenkens mit einer Axt eingeschlagen worden, im Innern brennen gesehen hat. Auf die Frage, was in dem Spinde gewesen, antwortete er flottweg, eine Reisedecke und ein Schirm. Der Zeuge hat augenscheinlich von dem Spinde gehört, das die anderen Zeugen meinten. Es genügt auch nicht, daß die Synagoge allein brennt, im Heidemannschen Hause muß es ebenfalls gebrannt haben. Es hat das allerdings niemand[133] gesehen, allein wozu wäre Engfer da? Dieser hat im Widerspruch mit allen anderen Zeugen sogar im Innern des Heidemannschen Hauses Feuer gesehen. Ich glaube, man geht nicht fehl, wenn man diese ganze Geschichte als einen Nachtspuk bezeichnet. Damit ist man aber noch nicht fertig. Man beschuldigt die ganze jüdische Gemeinde in Neustettin der Brandstiftung. Wie denkt man sich wohl ein solches Verfahren? Glaubt man, daß die ganze Gemeinde den Beschluß faßt, den Tempel pel in Brand zu stecken, oder beschließen das die Kirchenältesten allein? Für die letztere Annahme findet sich auch ein Zeuge in der Person des Maurers Buhse. Dieser will aus seiner Tenne – wahrscheinlich war es ein Glashaus – gesehen haben, wie die Repräsentanten der Gemeinde auf dem Scheunenberge zwei Stunden lang auf und ab gingen, um abzuwarten, bis das Feuer ausbrechen werde. Eine andere Zeugin war zur selben Zeit auf dem Scheunenberge, hat aber die drei Repräsentanten nicht gesehen.

Der Verteidiger schloß mit der Versicherung, nach seiner innersten Überzeugung seien die Angeklagten sämtlich unschuldig.

Nachdem noch die Verteidiger Justizrat Scheunemann (Neustettin) und Rechtsanwalt Meibauer (Konitz) für die Freisprechung aller Angeklagten plädiert hatten, fand eine Replik und Duplik zwischen Staatsanwalt und Verteidigern statt. Der Vorsitzende erteilte die nötige Rechtsbelehrung, worauf die Geschworenen nach sehr kurzer Beratung alle Schuldfragen bezüglich sämtlicher Angeklagten verneinten. Der Gerichtshof erkannte hierauf auf Freisprechung aller Angeklagten, legte die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auf und beschloß, den Angeklagten Lesheim sen. sofort aus der Haft zu entlassen.[134]

Quelle:
Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung. 1911-1921, Band 9, S. 13-135.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon