Geburt und Taufe

[75] Die Ankunft eines Kindes ist bei allen Völkern ein Familienereignis »das fast überall die freudigsten und zärtlichsten Empfindungen im Kreise der Familie wachruft.« Mit diesem Wort, das Geltung behalten hat, begrüßte ein Freund Schillers die Ankunft von dessen erstem Sohn in einem Glückwunschbrief. Das Auftreten eines neuen Weltbürgers auf der Lebensbühne, wird dem Bekanntenkreis auf angemessene Art angezeigt und von diesen durch freundlichen Glückwunsch erwidert. Die Form der Anzeige sei möglichst einfach zu halten unter Vermeidung jedes beschreibenden Eigenschaftswortes, ihr Tert richtet sich nach den Sitten von Stand und Stadt.

Die Griechen umwanden die Türpfosten mit Zweigen des Ölbaums oder mit wollenen Binden, je nachdem, ob ein Knabe oder ein Mädchen geboren war, die Römer schmückten ihre Haustür mit Lorbeer, Efeu und duftenden Kräutern, die vornehmen Germanen sandten einen Ansager zu Freunden und Sippegenossen. Heute beschränkt man sich im allgemeinen auf ein Zeitungsinserat oder gedruckte Benachrichtigung im Briefumschlag.

Welche Sitten auch immer bestehen, der Vater ist verpflichtet innerhalb eines festgesetzten Termins das Neugeborene beimStandesamt anzumelden, wobei Tag und Stunde der Geburt sowie die Vornamen des Kindes angegeben[75] werden. Damit ist das Kind als Staatsbürger oder -bürgerin offiziell in die Gemeinschaft aufgenommen. Heute – da die Geburten vielfach in der Klinik erfolgen – fallen die meisten gesellschaftlichen Umstände fort, wie der feierliche Empfang im Wochenbett, der einst zu den größten Familienzeremonien gehörte.

Wir sind überhaupt einfacher und bescheidener geworden in dieser Hinsicht und die moderne Hygiene herrscht mit segensreicher Energie, die vielen langgewohnten Förmlichkeiten ein Ende bereitete. In einem Anstandsbuch des vorigen Jahrhunderts finde ich einen Satz, der heute ebenso beherzigenswert ist wie damals und den ich anführe: »Das Gesprächsthema bei Wochenvisiten ist deshalb nicht unwichtig. Man soll nur von angenehmen, nicht tiefbewegenden Dingen reden, darf keine schreckhafte Geschichte erzählen, namentlich nicht von Krankheiten sprechen. Es gelten hier zwar nur dieselben Regeln, die man allen Rekonvaleszenten gegenüber zu beobachten hat, und doch wie häufig wird dabei gefehlt!«

Nach glücklich verlaufener Geburt pflegt der Gatte zumeist der Wöchnerin ein den Umständen entsprechendes, kostbares Geschenk zu machen, womöglich wird ein Schmuckstück gewählt. Die Gabe muß einen durchaus persönlichen Charakter tragen und nur dem eigenen Gebrauch der Dame dienen. Die Hauptsache ist, daß sie einem lebhaften Wunsch entspricht und wirklich Freude macht.[76]

Die Feierlichkeit der Taufe, die vom Mittelalter an bis weit in die neue Zeit ein Prunkfest war und Anlaß bot den Glanz des Hauses zu zeigen, beschränkt sich jetzt zumeist auf ein geladenes Frühstück nach der kirchlichen Zeremonie, zu welchem der amtierende Geistliche als Ehrengast gebeten wird.

Die Zeitdauer zwischen Geburt und Taufe wird von der Ortssitte bestimmt. Bei Katholiken findet der Taufakt gewöhnlich in der ersten Woche, bei Protestanten meist vier bis acht Wechen nach der Geburt des Kindes, zuweilen auch noch viel später statt.

Als Taufzeugen [Paten] kommen nur Verwandte und intime Freunde des Hauses in Frage. Höherstehende Personen, Vorgesetzte usw. können nicht ohne weiteres zur Patenschaft aufgefordert werden; es hängt von ihnen ab, sich zur Übernahme einer Patenstelle bereit zu erklären oder anzudeuten, daß sie eine solche nicht ablehnen würden.

Das Patengeschenk für den Täufling richtet sich nach den Verhältnissen des Gebers und des Empfängers; in vielen Orten ist es Sitte, dasselbe nicht am Tauftage, sondern zum ersten Jahrestage der Geburt des Kindes den Eltern persönlich zu überreichen. Passende Geschenke für diesen Zweck sind Sparkassenbücher mit größerem oder kleinerem eingezahlten Betrag und Gebrauchsgegenstände [Löffel, Bestecke, Becher usw.] von Gold oder Silber.[77]

Der Taufakt kann in der Kirche oder im Hause stattfinden.

In der Kirche sitzt die Mutter gewöhnlich rechts vom Altar, und die Taufzeugen stehen im Halbkreis vor demselben. Das Kind wird von der Wärterin einem der Paten oder Patinnen übergeben und – an manchen Orten – nach einigen Minuten an den zunächst stehenden Paten weitergereicht. Während des eigentlichen Taufaktes [in vielen Gegenden während der ganzen Zeit] hält der am höchsten zu ehrende Hauptpate das Taufkind auf seinen Armen. Zum Schluß der heiligen Handlung wird der Täufling seiner Mutter gereicht und der Geistliche segnet Mutter und Kind. Danach erfolgen die Glückwünsche des Geistlichen, der Paten und sonstigen Geladenen an die Eltern.

Die Taufe im Hause unterscheidet sich von der kirchlichen nur dadurch, daß ein Zimmer mit Tauftisch, der den Altar vertritt, recht feierlich für die heilige Handlung hergerichtet wird.

Ein Tisch ist mit einem seinen, weißen Tuch ganz verhüllt und dieses mit einzelnen Blumen zierlich besteckt. Sehr schön sieht ein Kreuz aus Blättern oder Blüten aus, in der Mitte der Vorderseite befestigt. Eine Girlande schmückt den Rand des Tisches; auf demselben befinden sich eine Bibel, eine wertvolle Schale mit dem Taufwasser und zu beiden Seiten Lichter in schönen Armleuchtern. Rechts und links vor dem improvisierten Altar stehen hohe Blattpflanzen, der Fußboden[78] wird durch einen Teppich verdeckt. Die kirchlichen Gegenstände werden, wenn sie im Hause nicht vorhanden sind, auf Wunsch von der Kirche geliefert und aufgestellt.

Der Wagen für den Geistlichen ist von dem Taufvater zu stellen; das Honorar für die Taufe wird – den Vermögensverhältnissen der Eltern entsprechend bemessen – sobald wie möglich in einem verschlossenen Umschlag und mit Hinzufügung herzlicher Dankworte an den Geistlichen gesandt.

Wenn der Taufe eine Festlichkeit folgen soll, so wird gewöhnlich bald nach Beendigung der Feierlichkeit zur Tafel geschritten. Die Ehrenplätze gebühren den Taufpaten, dann folgen die Gastgeber, Verwandte und die übrigen Gäste. Das Mahl selbst verläuft genau so, wie es bei jeder anderen größeren oder kleineren Festtafel der Fall sein würde. Toaste werden auf das Wohl des Täuflings, auf die Eltern und Paten des Kindes, gegebenenfalls auf dessen Geschwister und Großeltern gesprochen.

Die Gesellschaftskleidung richtet sich nach der Größe der Festlichkeit und der Tageszeit. Trinkgelder sind nach Tauffeierlichkeiten besonders reichlich zu bemessen; in kleinen Städten werden sie auch von der Wärterin des Täuflings erwartet.[79]

Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 75-80.
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