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[146] Im Gegensatze zu den italienischen Theatern, wo der »Regisseur« als Institution überhaupt fehlt, hat jede deutsche Opernbühne ihren ständigen Regisseur. Aber welchen! Wie ist es häufig damit bestellt!
Ich habe im Laufe von siebenunddreißig Jahren die »Königin von Saba«, »Merlin«, »Heimchen am Herd«, »Götz v. Berlichingen« und »Wintermärchen« auf deutschen und italienischen Bühnen selbst inszeniert und kann daher in der Sache ein Wort mitreden.
Im allgemeinen sieht man den Komponisten am ersten Abend der Aufführung – zur Erhöhung des Applauses – sehr gerne, um so weniger aber bei den Proben. Diese Abneigung gegen den Komponisten ist auch anderseits begreiflich. Da gibt es verschiedene Autoritäten, die mit den Sonderwünschen des Komponisten nicht behelligt sein wollen. Der Kapellmeister hat andere Tempi, der Regisseur trifft andere, selbständige Anordnungen als die vorgeschriebenen, bereits früher erprobten. Jeder weiß es besser als der Komponist, jeder hat seine eigene Auffassung. Und hat der Komponist nicht die Autorität eines Richard Wagner,[146] so kann es ihm passieren, daß er auf zwanzig Bühnen, auch der kleinsten, ebensovielen verschiedenen »eigenen« Auffassungen be gegnet, nur nicht der seinigen. Wie weit das geht, mögen zwei niedliche Erlebnisse illustrieren.
Eine große deutsche Bühne bereitete die Aufführung einer meiner Opern vor und hatte die ungewöhnliche Aufmerksamkeit, ihren jugendlichen Kapellmeister zu mir zu schicken, um sich mit mir über alles zu verständigen. Er brachte seine Partitur mit und ich sah da von seiner Hand willkürliche Veränderungen sowie verschiedene ritardandi, accellerandi usw. eingeschrieben. Ich frage: »Warum?« Er: »Das ist meine Auffassung.« »Nun denken Sie mal,« sagte ich, »wie das Werk aussehen würde, wenn an zwanzig Bühnen ebenso viele verschiedene, willkürliche Auffassungen stattfänden! Und was glauben Sie, wenn Sie mit dieser Ihrer ›eigenen‹ Auffassung nach Bayreuth kämen – wie man ihnen da heimleuchten würde.« Er hatte fortan, wenigstens bei meinem Werk, keine solche eigene Auffassung mehr.
Und nun ein schier unglaublicher Fall von Willkür. Ich kam unerwartet zu den letzten Proben meines »Götz« auf einem Hoftheater. Aber wer beschreibt mein Erstaunen, meine Entrüstung, als ich zahlreiche Stellen in Wort und Musik willkürlich ohne jede Notwendigkeit geändert, auch Goethesche charakteristische, bekannte Worte durch andere ersetzt fand. »Der Herr Kapellmeister hat das so angeordnet«, hieß es. Er war glücklicherweise nicht anwesend, sonst hätte es einen anständigen Krach gegeben. Denn ich war etwas lebhaft empört.
Auf meine erregte Vorstellung über solch unqualifizierbares Vorgehen sagte mir der Herr Regisseur ganz naiv: »Wir konnten doch nicht vermuten, daß Sie hierher kommen werden.«
Und trotzdem, mit dem Kapellmeister läßt sich noch leicht reden, sich verständigen. Nicht so mit dem Regisseur. Im Schauspiel ist der Regisseur meist ein gebildeter, älterer Schauspieler, der in langjähriger Übung in der Darstellung der Charaktere, der sinnvollen Bedeutung des Wortes der gegenseitigen Beziehungen der handelnden Personen, immer auf das geist- und sinnvolle Wesen der Handlung und ihrer Darstellung hingeleitet wird und so tüchtige dramaturgische Fähigkeiten gewinnt, ein Werk seinen dramatischen Forderungen und Wirkungen gemäß zu inszenieren. Anders in der Oper.
Hier muß die Darstellung aus dem Geiste der Musik entstehen. Die Musik untermalt die Szene, gibt die Stimmung, vertieft und beseelt das Wort, macht es dramatisch wirksam bis zu einem Grade des Ausdruckes, den es allein nicht hat. Deswegen machen wir Musik, und all das kann und darf nicht übersehen werden. Der Sänger studiert seinen Part mit dem Kapellmeister und immer nur in rein musikalischer Beziehung. Von der Darstellung ist – mit wenigen Ausnahmen – hier selten die Rede. Der Regisseur, ist er nicht sonst auch ein tüchtig durchgebildeter Musiker, wird leicht in der szenischen Darstellung die Forderungen und Wirkungen der alles belebenden, vertiefenden und verklärenden Musik übersehen, ja vielleicht kaum empfinden, daher ohne Rücksicht auf sie, also eigentlich gegen sie alles anordnen und so die innere lebensvolle Beziehung der Musik zur Darstellung aufheben oder doch herabmindern. Habe ich es doch selbst erlebt, daß Regisseure nur nach dem Textbuch, ohne Rücksicht auf den Klavierauszug inszeniert haben.
Der Wahrheit gemäß muß ich gestehen, daß ich, namentlich in späteren Jahren, fast überall herzliches Entgegenkommen fand. Ohne selbst etwas Unrichtiges durchgehen zu lassen, überließ ich dem Regisseur alles Technische und beschränkte mich wesentlich[148] auf die Darstellung der Rolle, der Handlung, der intimen Aussprache mit den Künstlern; aber hier voll und ganz. Ich fand in allem, was das Technische der Inszenierung betrifft, erfahrene, tüchtige und geschulte Männer; auch in bezug auf das Ganze der Handlung, Anordnung der Szene, Dekorationen, Maschinen, Requisiten, Beleuchtung, Kostüme, Stellung, Führung und Belebung der Massen. Nur in einem überaus wichtigen Punkte, der geist- und sinnvollen Darstellung der Rollen im Zusammenhang mit der musikalischen Forderung, fand ich sie unzulänglich, ohne jeden Einfluß, ohne jede Initiative, was namentlich bei jungen Leuten, die eben erst aus der Schule kommen, die der Unterweisung noch dringend bedürfen, von Übel ist.
Und wie dankbar und willig ist diese Jugend, die gesanglich reif, aber schauspielerisch unfertig die Bühne betritt! In Köln machte mir eine junge Sängerin mit Tränen in den Augen Vorwürfe – ob ich denn etwas gegen sie habe, denn ich zeige den andern mehr als ihr.
Ich habe fast alle meine Opern auf deutschen und italienischen Bühnen selbst inszeniert, darunter auch – in Linz. In letzterer Stadt, ein Theater mit verhältnismäßig kleinen Mitteln, sollte ich aber eine ganz besondere Genugtuung erleben. Man führte da meinen »Götz« auf, ich erhielt eine Einladung zu den Proben. Eine Stunde von Gmunden, meinem Aufenthalt, fuhr ich nach Linz, um das oft zweifelhafte Vergnügen einer Klavierprobe zu genießen. Aber ich fand zu meiner Überraschung lauter junge und frische Stimmen, mit guter, reifer Gesangsbildung, aber schauspielerisch noch gänzlich unfertig, Konservatoristen, die kaum noch ein halbes Jahr auf der Bühne standen. Das reizte mich, ich blieb vierzehn Tage, studierte mit den jungen Leuten szenisch und musikalisch. Das Orchester (vier erste Geigen und demgemäß alles übrige) konnte allerdings den Ansprüchen der »Götz«-Partitur[149] nur dürftig genügen, aber am Dirigentenpult saß ein junger, talentvoller Kapellmeister (Sommer), und so hatte ich die Freude, eine schöne, abgerundete Vorstellung (schöner als vier Wochen vorher auf einem der größten Stadttheater mit seinen reichen Mitteln) zu erleben.
Nietzsche glaubt Richard Wagner damit zu tadeln, indem er ihn einen Schauspieler nennt. Ein Komponist, der dies – im Sinne »Raffael ohne Hände« – nicht ist, hat seine dramatische Aufgabe schlecht erfaßt; er ist jedenfalls ein Regisseur, wie ich ihn meine.
Freilich, in jüngeren Jahren hatte ich mit Regisseuren manch harten Kampf zu bestehen. In seiner Machtfülle, gewohnt zu kommandieren, wird der Regisseur leicht hochmütig und sieht auf den Komponisten, der eine Meinung hat, gerne von oben herab. Doch ich wußte, was ich wollte und sollte und ließ mir nichts bieten. An einem großen deutschen Stadttheater wollte der Regisseur, einer der hochmütigsten und unfähigsten, den Einzugsmarsch, bei dem ich in wohldurchdachtem und sich immer steigerndem Aufbau die Königin von Saba im Triumphe, unter dem Jubel des Volkes und dem König als Höhepunkt, als Peripetie des Ganzen erscheinen lasse, da wollte der Renisseur König und Königin gleich zu Anfang mit dem leise beginnenden Orchester auf einen Thron setzen – szenisch unmöglich und ohne jede Rücksicht, ohne jeden Zusammenhang mit der Musik – und so den Aufmarsch vollziehen. Ich klappte meine Partitur zu und sagte dem Direktor: »Entweder so, wie ich es will, oder gar nicht.« Der Regisseur zog sich schmollend zurück und ich inszenierte mit Hilfe des Inspizienten die Oper allein. Aber auf der Generalprobe, wo alles fertig steht, erschien mein lieber Regisseur und am Abend der ersten Vorstellung erschien er dankend mit den übrigen.
Leider sind unsere jungen Komponisten nicht frei von Schuld. Sie schreiben eine Oper und kennen den Mechanismus des Theaters nicht. Und wie notwendig ist doch die Kenntnis dieses Mechanismus in allen Teilen, will er sein Werk in seinen Intentionen dargestellt sehen. Ich hatte das Glück (?), zehn Jahre im Orchester zu sitzen und lernte so die Bühne, die Handlung jeden Abend vor Augen, genügend kennen. Aber der theaterunkundige Komponist einer Oper, deren dramatischen und musikalischen Forderungen er ganz und voll in seiner Partitur gerecht wird, kommt er aufs Theater, so ist er den Künstlern, dem Regisseur gegenüber hilflos, kann er den künstlerischen Inhalt seines Werkes nur in ungenügender Weise dramatisch, schauspielerisch explizieren. Merken das die Sänger und der Regisseur – und sie haben es bald weg – so ist er verloren, er hat nichts mehr dreinzureden.
Der Komponist – auch der erfahrene – wird häufig zu den letzten zwei Proben eingeladen. Er findet das Werk fertig studiert, aber vieles nicht nach seinem Sinn. Die Künstler haben ihren Part für sich gelernt, aber ohne lebendige Beziehung zum Ganzen. Die Darstellung des einzelnen, auf welche der Regisseur nur geringen oder gar keinen Einfluß nimmt, läßt viel zu wünschen übrig, noch mehr das Zusammenspiel. Der Kapellmeister hat seine eigene Empfindung und demgemäß seine eigenen Tempi, der Regisseur hat manche Buchangaben falsch verstanden, manche willkürlich geändert. Man steht knapp vor der Aufführung, die ganze Künstlergesellschaft, wie fast immer nahe der Aufführung, sehr nervös. Jede noch so vorsichtige Bemerkung wird mit gereizter Stimmung aufgenommen. Das schlimmste ist, daß hier beide Teile im Recht sind, denn man kann im letzten Augenblick ein in allen Teilen fertig studiertes Werk nicht auf den Kopf stellen. Der Komponist ist nicht mehr imstande, in dieser vorletzten Probe[151] – die Generalprobe zählt nicht – etwas zu ändern, sieht und hört allerlei Verkehrtheiten und bekommt Herzkrämpfe, denn er weiß, das Publikum hat keine Ahnung davon, was und wieviel man seinem Werke schuldig bleibt. Aber das ist noch immer der günstigere Fall; man hat, wenn auch unwillig, ihn doch angehört. Wehe aber dem armen Komponisten, der ungerufen, ohne die nötige Autorität an ein größeres Hoftheater kommt; er ist für die teuer bezahlten Sänger, für den hochmögenden Regisseur nur Luft, er ärgert sich die Schwindsucht an den Hals und hat nichts gerichtet.
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Zur Illustration, wie beliebt der Komponist bei den Proben ist, hier ein Musterbeispiel:
Ich schrieb (vor ungefähr dreißig Jahren) an den Intendanten eines der größten Hoftheater, ich wolle den Proben der ersten Aufführung meiner »Königin von Saba« assistieren. Ich erhielt die Antwort: »Lieber nicht.« –
Auf einen etwas lebhaft gefärbten Brief meinerseits hierauf mit der Bemerkung, daß man in Wien Richard Wagner, Verdi, Gounod mit erheblichen Geldopfern habe kommen lassen, ihre Werke selbst zu inszenieren oder zu dirigieren, lud mich der Intendant – zur Generalprobe!! – Da ich in dieser Probe gar keinen Einfluß auf die Darstellung mehr nehmen konnte, dankte ich mit den Worten, daß es mir nicht darum zu tun sei, mich herausrufen zu lassen – und blieb weg.
Und doch hat Hektor Berlioz tausendmal recht, wenn er behauptet: der Komponist ist Mittelpunkt und Seele seines Werkes.
Die enorme Autorität Richard Wagners hat nicht hingereicht,[152] ihn vor Unannehmlichkeiten beim Theater zu schützen. Er klagt hundertmal, er, der nur fürs Theater schrieb, wolle nichts mit dem Theater zu tun haben – geht hin und baut sich sein eigenes Theater. Das ist aber bekanntlich nicht jedermanns Sache.
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Nach der »Königin von Saba« wartete ich weiter auf ein Opernbuch. Ich schrieb unterdessen Kammer-und Orchestermusik, »Klavierquartett«, »Ländliche Hochzeit« usw. Wohl erhielt ich Bücher in Masse, aber sie glaubten alle, sich dadurch empfehlen zu müssen, daß sich reichlich Gelegenheit findet für große Ensembles, Massenaufzüge, Ausstattung, Ballett usw. Ich wartete zehn Jahre vergebens. Da brachte mir der begabte Siegfried Lipiner den »Merlin«. Das neue poetische Stoffgebiet reizte mich; nach mannigfachen Veränderungen und Umarbeitungen des Buches ging ich an die Arbeit. Nach »Merlin« ergoß sich abermals ein Strom von Textbüchern, aber fast keines spielte unter dem 70. Grad nördlicher Breite, mit unaussprechlichen Namen. Ich sehnte mich nach einem Buche, einer Handlung mit einfachen, glücklichen Menschen. Ich suchte in dieser Richtung lange vergebens. Ich ließ mir auch eine Reihe ungarischer Volksstücke übersetzen, aber fand ich einen zusagenden Stoff, fand ich nicht den Dichter hiefür; fand ich diesen, so paßte mir sein Stoff nicht. Und so vergingen abermals zehn Jahre.
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Anfangs des Jahres 1894 wurde ich von Dr. A. M. Willner auf das »Heimchen am Herde« von Dickens aufmerksam gemacht; es war was ich suchte: ein Kreis einfacher, glücklicher[153] Menschen am traulichen Herd, in Liebe verbunden, durch eine kleine, aufregende Handlung vorübergehend gestört, aber bald wieder gelöst, das Ganze vom Zauber des Märchens umflossen.
»Heimchen am Herd« wurde im Winter 1896 zum ersten Male aufgeführt.[154]
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