Die verschiedene Art des Lächelns.

[56] Das Lächeln ist eines der feinsten Hilfsmittel in der Konversation; als Ausfluß einer gewissen Ueberlegenheit kann es oft an die Stelle der Worte und Gebärden treten und den Sinn derselben verändern.

Selbstverständlich handelt es sich hier nicht um das verlegene blöde Lächeln, das ist natürlich als Produkt befangener Unsicherheit ein wenig geeignetes Mittel in Gesellschaft gute Figur zu machen. Von den vielerlei Arten des Lächelns kommen in Gesellschaft in Anwendung das liebenswürdige Lächeln, mit dem man dankt und verspricht und verweigert, das überlegen hochmütige Lächeln, mit dem man unliebsame Konversation ablehnt und über peinliche Situationen hinweggleitet, das geringschätzig spöttische Lächeln, mit dem man wortlos einen Menschen verdammen kann, und das mitleidige Lächeln, mit dem man einen Menschen lächerlich macht. Dann gibt es noch ein verheißendes Lächeln, die einzige Gefühlsprache, die in Gesellschaft gestattet ist ... Unzählige Nüancen des Lächelns gibt es vom harmlos gefälligen bis zum malitiös impertinenten. Für jede Stimmung gibt es ein anderes Lächeln, das bei den Worten die Seele durchschimmern läßt und ihnen Schwung und Leben verleiht.

Unser Lächeln ist nur dann harmonisch und reizvoll, wenn es der wahre und doch beherrschte Ausdruck[57] unserer augenblicklichen Stimmung ist. Nie darf es geziert, unbeholfen und verzerrt sein.

Anmutiges Lächeln verschönt namentlich jedes weibliche Antlitz. Es soll sein wie ein Duft, der die Worte umschwebt. Möge jede Dame jenes Lächeln studieren, das ihr Gesicht am reizvollsten macht und ergründen, ob es für sie vorteilhafter ist, mehr mit den Augen als mit dem Mund zu lächeln.

Quelle:
Gratiolet, K. (d.i. Struppe, Karin): Schliff und vornehme Lebensart. Naumburg a.S. 1918, S. 56-58.
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