Empfangstage.

[36] Man nannte sie früher »Jours Fixes ...«

Diese Art von Geselligkeit, welche wir von unseren westlichen Nachbarn übernommen haben, besteht darin, daß eine Dame einen bestimmten Tag der Woche wählt, an dem sie Besuche empfängt. Dazu wird nicht speziell geladen.

Im Herbst, wenn man vom Landaufenthalt zurück ist, und die gesellschaftlichen Veranstaltungen wieder beginnen, werden die Bekannten gebeten, diesen Tag nicht zu vergessen. Man bedient sich hierzu meist gedruckter Anzeigen, kann es aber bei Gelegenheit auch persönlich tun.

Zweifellos hat dieser Brauch für beide Teile neben manchen Gebundenheiten auch viele Annehmlichkeiten. Er gibt vor allem Gelegenheit in zwangloser Form einen ständigen Kreis feiner Menschen um sich zu sammeln und diesen immer wieder nach Bedürfnis zu ergänzen und zu erweitern. Guten Bekannten ist es gestattet, andere Personen zu Empfangstagen mitzubringen und dort einzuführen.

Die Dame des Hauses hat beim Empfang der ersten Gäste im Salon zu sein, beschäftigt mit einem Buch oder einer feinen Handarbeit, jedoch nicht mit dem Lesen der Zeitung. Der Raum hat den Eindruck behaglicher Bewohntheit zu machen und darf nicht die kalte Steifheit eines wenig benützten und nur eben schnell in Ordnung gebrachten Zimmers machen.

Die Herren lassen im Vorzimmer Mantel, Stock und Hut. Die Damen erscheinen im eleganten Straßenanzug[37] mit Hut, Muff, Mantel oder Jacke. Die Hausfrau trägt ein leichtes Tüllkleid in schwarz oder weiß. Sie geht jedem Besucher mit einer liebenswürdigen Geste der Begrüßung entgegen. Einem Herrn wird niemals das Sofa angeboten. Dieser Platz wird von der Hausfrau und einer Dame eingenommen, die sich zu erheben hat, wenn eine andere Dame eintritt. Ist es eine Bekannte, so bleibt sie stehen, um sie zu begrüßen. Andernfalls setzt sie sich auf einen naheliegenden Platz und erhebt sich bei der Vorstellung leicht. Bei Ankunft eines Herrn hat eine Dame nicht aufzustehen. Wird er ihr vorgestellt, so reicht sie ihm sitzend die Hand.

In einer Ecke befindet sich ein großer Tisch mit dem brodelnden Teekessel, einer Teekanne mit Extrakt, Tassen, Löffelchen und Mundtüchern. Außerdem findet man noch Gläser und Portwein für die Herren, erfrischende Getränke, warme Schokolade, belegte Brötchen, Tellerchen und Gabeln.

Sobald einige Gäste im Salon versammelt sind, bietet die Hausfrau die Jause an. Sie läßt sich dabei von einem jungen Mädchen, vielleicht von der Tochter helfen. Sie fragt: Was darf ich Ihnen anbieten? Die Tasse wird halb mit Tee-Extrakt und halb mit heißem Wasser gefüllt. Man reicht sie mit einer Hand und mit der andern die Zuckerbüchse. Hernach gibt man, auf einer kleinen Platte vereinigt, Rahm, feine Zitronenscheiben und Rum.

Kleine fliegende Teetische werden den Sitzgelegenheiten genähert. Man bietet noch Kuchen und belegte Brötchen an. Jede Tasse wird zweimal gefüllt.

Bei sehr zahlreichem Besuch bittet man die Herren sich selbst zu bedienen.[38]

Es herrscht ein heiterer ungezwungener Ton. Man spricht von den Ereignissen der Woche und des Monats, von Neuerscheinungen der Literatur, von Theater, Kunst und Ausstellungen und auch von Toiletten. Man hat eben über all diese Gebiete orientiert zu sein, wenn man als moderner Gesellsellschaftsmensch gelten will.

Herren und auch Damen dürfen Zigaretten rauchen. Sonst bietet man den Damen gewöhnlich ein Bonbon in einer hübschen Dose an.

Die Ankunft einer neuen Person benützt man oft, um sich mit irgend einer glaubhaften Ausrede zu verabschieden. Wer sich ohne plausiblen Grund lange Zeit von den Empfängen eines Hauses fern hält, darf sich nicht wundern, wenn er bei der nächsten größeren gesellschaftlichen Veranstaltung nicht geladen wird.

Quelle:
Gratiolet, K. (d.i. Struppe, Karin): Schliff und vornehme Lebensart. Naumburg a.S. 1918, S. 36-39.
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