Wie man Geschenke gibt und empfängt.

[73] »Wollen gnädige Frau etwas Besseres,

oder soll es nur ein Geschenk sein?«


Diese Frage der Verkäuferin ist nicht nur ein Witz, sondern charakterisiert leider die Art und Weise einer großen Anzahl von schenkenden Menschen.

Sie fühlen sich bei verschiedenen Anlässen verpflichtet, Geschenke zu geben und würden sich eine Unterlassung in dieser Hinsicht schwer ankreiden, bedenken aber nicht, daß sie sich durch eine minderwertige Gabe unter Umständen einer schweren Sünde schuldig machen.

Geschenke sind die Begleiter der Festtage unseres Lebens, manchmal auch stille Tröster im Leide; sie sind der gestaltgewordene Wille eines Menschen einen anderen zu beglücken oder ihm wohl zu tun. Wir verpflichten den Beschenkten uns zu danken – machen wir ihm diese Pflicht nicht zu schwer, indem wir ihm etwas Minderwertiges schenken!

Alles, was man schenkt, muß in seiner Art vollkommen und tadellos sein. Es ist jemand nicht verpflichtet, einen Strauß Orchideen für fünfzig Mark zu schenken; er kann auch Maiblumen oder Hyazinthen schenken – aber in ihrer Art müssen die Blumen erlesen, tadellos frisch und nicht dürftig sein. Wenige Stiele von erlesener Schönheit zu geben ist entschieden vornehmer als durch einen großen Bund[74] billiger Durchschnittsgewächse den Schönheitssinn des Empfängers nicht zu befriedigen. Schenke nichts »Billiges«! Das Billige ist nie schön.

Man hat kein Recht auf Geschenke; denn sonst hörten sie ja auf Geschenke zu sein; aber man hat ein Recht zu verlangen, daß man nicht durch minderwertige Gaben einem anderen zu Dank verpflichtet wird. Warte also, bis du ein tadelloses Geschenk geben kannst oder gib weniger oft und dafür einwandfreie Gaben – oder wenn es schon sein muß, borge dir das Geld dazu! Es ist noch lange nicht so schlimm und so lächerlich als eine dürftige, geschmacklose Gabe.

Vermeide möglichst alle Imitationen. Warum werden heute noch manche Geschenke aus Großvaterszeiten – nicht nur aus Pietät – sondern wegen ihres Reizes gerne aufbewahrt und immer wieder gerne betrachtet? Eine einzige feine Tasse aus dünnem Porzellan mit altertümlichem Blumenmuster ist ungleich vornehmer als das heutige »Service« aus dem Warenhaus.

Geschenke tragen gleichsam das Gesicht und die Wesenszüge des Gebers, verkünden seinen guten oder schlechten Geschmack, seine vornehme oder niedrige Gesinnung.

Noch einmal: Zum Schenken ist das Beste gerade gut genug! Taktlos ist es allerdings durch unverhältnismäßig kostbare Geschenke jemanden in Verlegenheit zu bringen.

Bei Taufen gibt man ein Kettchen, Kreuzlein oder einen Zahnring. Zu Hochzeiten gibt man Geschenke aus Silber, einen Fächer oder ein gesticktes Taschentuch. Bei Krankenvisiten bringt man immer Blumen[75] mit oder schickt Blumen. Wenn man gut bekannt ist, schickt man bei Todesfällen einen Kranz. War man in einem Hause oft geladen, sendet man der Hausfrau zu Neujahr Blumen, entweder schon am Sylvesterabend oder am Morgen des Neujahrstages. Aber man bringt zu einer Einladung nicht Blumen mit, gleichsam als wollte man damit das Essen bezahlen. Einem Herrn kann man Blumen schicken, wenn er krank ist. Der Braut wird täglich ein weißer Strauß geschickt und zur Hochzeit der verschleierte Hochzeitsstrauß.

Nicht alle Beschenkten verstehen es, Geschenke mit Grazie und Takt anzunehmen.

Der in Seidenpapier eingehüllte Blumenstrauß wird nicht auf den Tisch gelegt, ohne daß man die Hülle zuvor geöffnet und die Gabe betrachtet hätte.

Ein Buch durchblättert man und spricht einiges darüber. Dosen und Schatullen öffnet man und sagt liebenswürdige Worte der Anerkennung. Ein Schmuckstück trägt man bei der nächsten passenden Gelegenheit.

Dem Ueberbringer eines Geschenkes ist Trinkgeld zu geben.

Quelle:
Gratiolet, K. (d.i. Struppe, Karin): Schliff und vornehme Lebensart. Naumburg a.S. 1918, S. 73-76.
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