Im Theater und Konzert.

[71] Konzerte und Theater – unter letzteren namentlich die Erstaufführungen – sind der Treffpunkt der feinen Welt. Der Besuch derartiger Veranstaltungen stellt gewisse Anforderungen an die Kleidung.

Herren tragen auf einem Theaterplatz mittlerer Güte graugestreifte Hose mit schwarzem Sakko; ein guter Platz erfordert Smoking mit schwarzer Binde; Logen verpflichten zu Frack mit weißer Binde. Die Dame trägt entsprechendes Gesellschaftskleid. Wer derartige Veranstaltungen besucht, hat eben die Pflicht, dem mehr oder weniger festlichen Charakter derselben Rechnung zu tragen und darf nicht durch unsorgfältigen Anzug das ästhetische Empfinden der Anwesenden verletzen.

Es gilt wirklich nicht als vornehm, zu spät zu kommen – es ist bloß eine Rücksichtslosigkeit gegen andere. Hat man jemanden zu sich in die Loge geladen, muß man natürlich vor ihm da sein. Der Eingeladene soll es vermeiden, über das Stück ein abfälliges Urteil zu geben. Beim Vorbeigehen an den schon in der Reihe Sitzenden ist diesen nicht der Rücken zuzukehren. Jeder Besucher versorge sich selbst mit Programm und Opernglas.

Mit letzterem über die Anwesenden Heerschau zu halten, ist nur den Damen gestattet, deren Takt sie vor geschmacklosen Uebertreibungen bewahren soll. Nur ungebildete Menschen, dienen die Anfangsgründe gesellschaftlicher Rücksichtnahme unbekannt sind, stören die übrigen Besucher durch Mitsummen und[72] Mitsprechen, Essen, Hin- und Herwetzen auf dem Platz, nervöse Hand- und Fußbewegungen, Schwätzen usw. Natürlich schläft man auch nicht. Man braucht kein tiefgründiger Psychologe zu sein, um aus dem Lachen der Zuschauer auf ihre Bildung schließen zu können. Unangebrachtes Lachen wirkt immer peinlich. Besser übersieht man einen feinen Witz durch Lachen zu quittieren, als daß man bei ganz unpassenden Stellen auf solch laute Weise seinen Mangel an Verständnis offenbart.

Während der Vorstellung irgend eine hörbare Kritik zu üben und seinem Nachbarn geistreiche Ansichten aufzudrängen, beweist zunächst etwas ganz anderes als Intelligenz und Kunstverständnis. Zu diesem Zwecke sind die Pausen da. Während derselben kann man auch Erfrischungen zu sich nehmen, jedoch nur in dem dazu bestimmten Raum, wenn man sie nicht in die Loge bringen läßt. Ist man Gesellschafter einer Dame, so hat man ihre Wünsche zu erfüllen und darf sie in den Pausen nicht allein lassen.

Quelle:
Gratiolet, K. (d.i. Struppe, Karin): Schliff und vornehme Lebensart. Naumburg a.S. 1918, S. 71-73.
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