Absud

[10] Absud (Decoctum). Aus verschiedenen Theilen der Gewächse und einigen thierischen Substanzen die Arzneikräfte mit Wasser durch Hülfe der Siedehitze auszuziehn, und zwar vollständiger und in einer kleinern Menge Flüssigkeit, als bei Aufgüssen geschehen kann, ist der Zweck der Abkochungen. Diese Bearbeitung schickt sich blos 1) für solche Körper, aus denen man kräftige Theile durch siedendes Wasser ziehen kann, ferner 2) für diejenigen, welche in dieser Hitze ihre wirksamen Theile nicht in die Luft gehen lassen, und endlich 3) diejenigen, von denen man keinen kräftigen Auszug durch blosen Aufguß gewinnen kann, und welche so hart und fest sind, daß nur die Siedehitze vermögend ist, ihre auflöslichen Theile dem Wasser einzuverleiben.

Man sieht ohne Erinnern ein, daß von Zinober und Mohnköpfen sich kein kräftiges Dekokt erwarten lasse, und daß Guajakholz durchaus mit langwierigem Sieden in Wasser behandelt werden müsse, wenn es seine wirksamen Theile von sich geben soll.

Deshalb müssen auch bei Dekokten, wozu mehrere Spezies kommen, immer nur diejenigen am längsten kochen, welche es am meisten vertragen, (Quecksilber, Spiesglanz u.s.w. in Leinwand gebunden (petia ligata) und in die Flüssigkeit gehangen,) und bedürfen (harte und trockne Hölzer, Rinden, Wurzeln); die aber die Siedehitze weniger leiden oder weniger bedürfen (frische Gewächstheile, zarte trockne Kräuter, auch schleimige Dinge, deren Gummi die Ausziehung der andern Theile hindern würde, Altheewurzel, Manna, Honig, Zucker u.s.w.) setzt man gegen das Ende des Absuds zu; und die, ohne unkräftig zu werden, auch dieses nicht ertragen können (gewürzhafte Gewächstheile) oder deren Kraft durch Kochen schnell vergeht, werden erst dann zugesetzt, wenn das Dekokt eben vom Feuer genommen wird, und also blos infundirt.[10]

Die Natur der Droguen in dieser Rücksicht muß der Apotheker aus Erfahrung lernen, und es würde allzuweitläuftig seyn, hier ins Spezielle zu gehen.

Verliert nicht, um nur einige Beispiele anzuführen, die scharfe Aronwurzel, die Küchenschelle, der Wasserpfefferknöterich, die Hahnefußarten, die Waldrebe u.s.w. verlieren nicht die tödlichsten Pflanzen, deren ungeheure Kraft in einem flüchtigen Bestandtheile liegt, der Wasserschierling, das Conium, die Belladonne, das Bilsenkraut, die Kirschlorber, der Sturmhut, die Alraunwurzel alle ihre Kräfte durchs anhaltende Kochen? verlieren ihre Kräfte hiedurch nicht größtentheils die Haselwurzel, das Tausendgüldenkraut, die schwarze Nießwurzel, die Myrobolanen, das Wolferlei, die Attichrinde, die Benediktwurzel, die Herbstzeitlose, die Wurmfarnwurzel, die Bitter süßstengel, die Ipekakuanha, die Aloe? Geht nicht die scharbockwidrige Schärfe im Hederich, den Rauken, der Iberis, dem Märrettiche, dem Löffelkraute, dem Wegsenfe auf diese Art verloren? Der gewürzhaften Wurzeln, Rinden, Blätter und Blumen gar nicht zu gedenken, deren Kraft in einem ätherischen Oele liegt.

Man werde wenigstens auf die verschiednen Grade der Kochung, die jeder Gewächstheil leidet und erfordert, aufmerksam, um dem Arzte wirksame Arzneien in die Hände zu liefern.

Die Chinarinde büßt viel von ihren Kräften durch langes Kochen ein, das Quassienholz verliert dadurch viel Bitterkeit, und der Absud der Sennisblätter und der Süßholzwurzel wird weit unkräftiger und ekelhafter am Geschmacke als ihr Aufguß ist. Die Rhabarber behält zwar ihre zusammenziehende, verliert aber viel an ihrer purgirenden Eigenschaft.

Man bemerke, daß harte Substanzen vorzüglich in wohlverdeckten Gefäßen gekocht werden müssen, weil das siedende Wasser dann mehr Kräfte darauf in kürzerer Zeit äussert, und weil die unnöthige Verdampfung des Wassers hierdurch gehindert wird.

Ist die Abkochung keine Magistralformel, so ist es sehr dienlich, die harten Gewächssubstanzen vorher Tag und Nacht an einem warmen Orte in Wasser aufweichen und quellen zu lassen.

Daß harte Rinden vorher gröblich gepülvert, die Hölzer geraspelt und die Stengel und Wurzeln klein geschnitten seyn müssen, damit dem Wasser mehr Berührungsflächen dargereicht werden, bedarf keiner Erinnerung.

Weit konzentrirtere und mit mehr ihrer wirksamen und geruchvollen Theile begabte Absude würde man freilich in der Offizin bereiten, wenn man sich des ganz verschlossenen Kochgeschirres dazu bediente, welches Digestor (welches siehe) genannt wird.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 10-11.
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