Pomeranzzitrone

[230] Pomeranzzitrone, Citrus Aurantium, L. [Zorn, pl. med. tab. 495.] mit geflügelten Blattstielen und zugespitzten Blättern, ein im südlichen Europa einheimischer, in unsern Gärten ohne künstliche Wärme, blos unter Schutz vor Kälte und freiem Zugange des Lichtes ausdauernder Baum.

Die weißen Blumen (Flores Naphae) haben einen bitterlichen Geschmack und, frisch, einen ungemein lieblich duftenden, beim Trocknen größtentheils verschwindenden Geruch, welcher bei der Destillation sich dem Wasser mittheilt (Aqua flor. Naphae) und zugleich ein ungemein geruchvolles pomeranzgelbes oder röthliches ätherisches Oel (Ol. dest. flor. Naphae, Ol. s. Essentia Neroli) obgleich in sehr kleiner Menge (1/9600 bis 1/2304 der frischen Blumen) liefert, wofür seiner Seltenheit wegen oft das mit den Blumen infundirte Behenöl genommen wird. Man bedient sich beider nur zum Wohlgeruche. Eingesalzen erhalten die Blumen ihren Geruch länger, um, wenn man damit zu Vorrathe gekommen ist, das Wasser daraus destilliren zu können.

Arzneilicher sind die Blätter (fol. aurantiorum), welche, gegen das Licht gehalten, durchsichtige Punkte oder mit ätherischem Oele gefüllte Bläschen zeigen und von bitterlichem Geschmacke, und, in den Händen gerieben, von schwachem, aber lieblichem Geruche sind. Ihre Kraft (zu einem halben Quentchen im Pulver täglich etlichemal oder doppelt so viel im Absud) hat sich bei allzu großer Beweglichkeit der Faser fast allgemein bestätigt, und es fehlt nicht an Beispielen durch sie geheilter fallsüchtiger und hysterischer Personen; wenigstens sind sie gebessert worden. Auch im Keichhusten fand man sie dienlich.

Die kleinen unreifen Früchte (Kurassaoäpfel, Fructus immaturi Aurantiorum, Poma, Aurantia Curassavica) kommen in der Größe einer Erbse bis einer Kirsche vor, welche getrocknet grünbraun sind und ein sehr liebliches[230] Gewürz und eine ungemeine Bitterkeit besitzen. Die gepflückten sind den von selbst abgefallenen vorzuziehn. Sie geben in der Destillation mit Wasser ein gelbes, wohlriechendes ätherisches Oel, und dienen zur Magenstärkung, größtentheils in der geistigen Tinktur. Auch legt man sie in Fontanellen, statt der Erbsen.

Die reife runde, an beiden Enden plattgedrückte Frucht (bittere, saure Pomeranzen, Aurantia hispalensia, Poma aurantiorum) enthält einen lieblich sauern, gewürzhaft bitterlichen Saft, welcher in Gallenfiebern, vorzüglich aber im Scharbock von großem Nutzen ist, zu letzterer Absicht, vorzüglich zum Schiffsvorrath, zum Rhob eingedickt, wovon fünf Unzen den Saft von etwa vier und zwanzig Pomeranzen enthalten. Ihre Schaale (Cort. Aurantiorum, oder vielmehr Flavedo Cort. aurantiorum) enthält ein wesentliches Oel, welches sowohl durch Destillation (ol. aether. Cort. aur.) von weißgelblichter Farbe und zu 3/512 an Gewichte, als durch Auspressen gewonnen wird. Das durch Auspressen (wie unter Bergamottöl gelehrt worden) erhaltene ist zugleich von starker angenehmer Bitterkeit, das destillirte aber blos hitzig aromatisch. Beides ermunternde, den Blutlauferhebende Magenmittel. Gebräuchlicher zur Arznei ist gleichwohl die trockne Schale, die zwar weit weniger Gewürz als die frische besitzt, sich aber doch kräftig genug in den im Handel befindlichen, dünnen, von allem Weißem befreieten sogenannten Kurassaoschalen (Cort. aurant. curassavicorum) erhalten hat. Sie sind nicht nur eins der vorzüglichsten Magen stärkenden Mittel, sondern haben sich auch zum Theil gegen Wechselfieber, am meisten aber gegen Mutterblutflüsse und falsche Wehen hülfreich erzeigt.

Der frischen Pomeranzen bedient man sich vorzüglich häufig zur Bereitung eines angenehmen Getränkes, (des Bischoffs) welches auch in arzneilicher Hinsicht Aufmerksamkeit verdient, als ein ermunterndes, Magenstärkendes Mittel. Man kerbet ihre Schale ein, röstet sie über glühenden Kohlen, bis die Schale schwarz wird, gießt, so heiß wie sie sind (gewöhnlich rothen) Wein darauf, zerquetscht sie in dem Gefäße, welches man verstopft, fügt den nöthigen Zucker hinzu, und genießt das liebliche Getränk wenn es einige Stunden gezogen hat.

Gebräuchlicher als das aus den gewöhnlichen Pomeranzenschalen gewonnene Oel zur Arznei und zum Parfümiren ist das aus einer zwischen der Sauerzitrone und der Pomeranzzitrone inne stehenden Abart, der Bergamotte, Bergamottöl.

Die Alten legten den länglicht runden, zusammengedrückten, der Länge nach riesigen Pomeranzenkernen (Sem. aurantiorum) eine schweißtreibende und wurmwidrige Kraft bei, und bedienten sich ihrer (mit Unrecht) in Pocken und Masern zum Austreiben.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 1. Teil, Leipzig 1798, S. 230-231.
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