Vorwort zur ersten Ausgabe 1828

Wüßte ich nicht, zu welcher Absicht ich hier auf Erden war – »selbst möglichst gut zu werden und umher besser zu machen, was nur in meinen Kräften stand« – ich müßte mich für sehr weltunklug halten, eine Kunst vor meinem Tode zum gemeinen Besten hinzugeben, in deren Besitz ich allein war und welche daher, bei ihrer Verheimlichung, mir fort und fort möglichst einträglich zu machen, bei mir stand.

Indem ich aber der Welt diese großen Funde mittheile, bedauere ich, zweifeln zu müssen, ob meine Zeitgenossen die Folgerichtigkeit dieser meiner Lehren einsehen, sie sorgfältig nachahmen und den unendlichen daraus für die leidende Menschheit zu ziehenden Gewinn, welcher aus der treuen, pünktlichen Befolgung derselben unausbleiblich hervorgehen muß, erlangen werden – oder ob sie, durch das Unerhörte mancher dieser Eröffnungen zurückgeschreckt, sie lieber ungeprüft und unnachgeahmt, also ungenutzt lassen werden.

Wenigstens kann ich nicht hoffen, daß es diesen wichtigen Mittheilungen besser ergehen werde, als der schon bisher von mir vorgetragenen allgemeinen Homöopathie, wo man, aus Unglauben an die Kraft so kleiner und verdünnter (aber, was man übersah, desto zweckmäßiger für ihren homöopathischen Zweck in ihrer dynamischen Wirkungs-Fähigkeit entwickelter) Arznei-Gaben, wie ich sie nach tausend warnenden Versuchen endlich als die zweckmäßigsten der Arztwelt mittheilen[23] konnte, lieber erst Jahre lang mit großen und größern Gaben (meinen treuen Versicherungen und Gründen mißtrauend) die Kranken in Gefahr setzte, und daher (wie zuerst ich, ehe ich zu dieser Herabstimmung der Gaben gelangte) den heilsamen Erfolg gewöhnlich nicht erleben konnte.

Was würden sie gewagt haben, wenn sie meinen Angaben gleich anfänglich gefolgt und gerade diese kleinen Gaben zuerst in Gebrauch gezogen hätten? Konnte ihnen da etwas Schlimmeres begegnen, als daß diese Gaben nicht halfen? schaden konnten sie doch nicht! Aber bei ihrer unverständigen, eigenmächtigen Anwendung großer Gaben zu homöopathischem Gebrauche gingen sie nur, in der That, nur abermals denselben für die Kranken so gefahrvollen Umweg zur Wahrheit, den ich schon, um ihnen denselben zu ersparen, mit Zittern, aber glücklich zurückgelegt hatte, und mußten, nach Anrichtung manchen Unheils und nach vergeudeter schöner Lebenszeit, doch endlich, wenn sie wirklich heilen wollten, an dem einzig richtigen Ziele anlangen, was ich ihnen treulich und offen und mit Gründen längst zuvor schon dargelegt hatte.

Werden sie es mit dem ihnen hier mitgetheilten großen Funde besser machen!

Und wenn sie's nun nicht besser damit machten – wohl! – so wird eine gewissenhaftere und einsichtigere Nachwelt den Vorzug allein haben, in treuer, pünktlicher Befolgung der hier folgenden Lehren, die Menschheit von den unzähligen Qualen befreien zu können, welche von den unnennbaren, langwierigen Krankheiten auf den armen Kranken lasteten, so weit die Geschichte reicht – eine Wohlthat, welche durch das bisher schon von der Homöopathie Gelehrte noch nicht zu erreichen war.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Die chronischen Krankheiten. 5 Bände, Bd. 1, Dresden, Leipzig 21835, S. XXIII23-XXIV24.
Lizenz:
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