§. [132] 61.

Wären die Aerzte fähig gewesen, über[132] solche traurige Erfolge von opponirter Arzneianwendung nachzudenken, so würden sie schon längst die grosse Wahrheit gefunden haben, dass im geraden Gegentheile von solcher antipathischen Behandlung der Krankheitssymptome die wahre, dauerhafte Heilart zu finden seyn müsse; sie würden inne geworden seyn, dass, so wie eine den Krankheitssymptomen entgegengesetzte Arzneiwirkung (antipathisch angewendete Arznei) nur kurzdauernde Erleichterung und nach ihrer Verfliessung stets Verschlimmerung zur Folge hat, nothwendig das umgekehrte Verfahren, die homöopathische Anwendung der Arzneien nach ihrer Symptomen-Aehnlichkeit eine dauernde, vollständige Heilung zuwege bringen müsse, wenn dabei das Gegentheil ihrer grossen Gaben, die allerkleinsten gegeben würden. Aber weder hiedurch, noch dadurch, dass kein Arzt je eine dauerhafte Heilung in ältern oder alten Uebeln bewirkte, wenn sich in seiner Verordnung nicht ein vorwirkendes homöopathisches Arzneimittel befand, auch nicht dadurch, dass alle schnelle, vollkommne Heilung, die je von der Natur zu Stande gebracht worden (§. 46.), stets nur durch eine ähnliche, zu der alten hinzugekommene, Krankheit bewirkt ward, kamen sie in einer so grossen Reihe von Jahrhunderten auf diese einzig heilbringende Wahrheit.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Dresden, Leipzig 51833, S. 132-133.
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