§. [232] 253.

Unter den Zeichen die in allen, vorzüglich in den schnell entstandenen (acuten) Krankheiten, einen kleinen, nicht jedermann sichtbaren Anfang von Besserung oder Verschlimmerung zeigen, ist der Zustand des Gemüths und des ganzen Benehmens des Kranken das sicherste und einleuchtendste. Im Falle des, auch noch so[232] kleinen Anfanges von Besserung – eine größere Behaglichkeit, eine zunehmende Gelassenheit, Freiheit des Geistes, erhöhter Muth, eine Art wiederkehrender Natürlichkeit. Im Falle des, auch noch so kleinen Anfangs von Verschlimmerung aber, das Gegentheil – ein befangener, unbehülflicher, mehr Mitleid auf sich ziehender Zustand des Gemüthes, des Geistes, des ganzen Benehmens und aller Stellungen, Lagen und Verrichtungen, was bei genauer Aufmerksamkeit sich leicht sehen oder zeigen, nicht aber in Worten beschreiben läßt144.


144

Die Besserungszeichen am Gemüthe und Geiste lassen sich aber nur dann bald nach dem Einnehmen der Arznei erwarten, wenn die Gabe gehörig (d.i. möglichst) klein war; eine unnöthig größere, selbst der homöopathisch passendsten Arznei, wirkt zu heftig und stört Geist und Gemüth anfänglich allzu sehr und allzu anhaltend, als daß man an dem Kranken die Besserung bald gewahr werden könnte; anderer Nachtheile (§. 276) allzu großer Gaben hier zu geschweigen. Hier bemerke ich, daß gegen diese so nöthige Regel, am meisten von dünkelhaften Anfängern in der Homöopathik und von den, aus der alten Schule zur homöopathischen Heilkunst übergehenden Aerzten gesündigt wird. Diese scheuen in solchen Fällen, aus alten Vorurtheilen, die kleinsten Gaben der höheren Dynamisationen der Arzneien und müssen so, die großen Vorzüge und Segnungen jenes, in tausend Erfahrungen heilsamst befundenen Verfahrens entbehren, können nicht leisten, was die ächte Homöopathik vermag, und geben sich daher mit Unrecht für deren Schüler aus.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 232-233.
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