§. [133] 80.

Unermeßlich ausgebreiteter, folglich weit bedeutender, als genannte beide, ist das chronische Miasm der Psora, bei welcher, (während jene beiden, die eine durch den venerischen Schanker, die andere durch die blumenkohl-artigen Auswüchse ihr specifisches inneres Siechthum bezeichnen) sich das innere, ungeheure, chronische Miasm ebenfalls erst nach vollendeter innerer Infection des ganzen Organisms durch den eigenartigen, zuweilen nur in einigen wenigen Blüthchen bestehenden[133] Haut-Ausschlag mit unerträglich kitzelnd wohllüstigem Jücken und specifischem Geruche beurkundet – die Psora, jene wahre Grund-Ursache und Erzeugerin fast aller übrigen, häufigen, ja unzähligen Krankheits-Formen78, welche unter den Namen von Nerven-Schwäche, Hysterie, Hypochondrie, Manie, Melancholie, Blödsinn, Raserei, Fallsucht und Krämpfen aller Art, von Knochen-Erweichung (Rhachitis), Skrophel,[134] Skoliosis und Kyphosis, Knochenfäule, Krebs, Blutschwamm, Afterorganisationen, Gicht, Hämorrhoiden, Gelb- und Blausucht, Wassersucht, Amenorrhöe und Blutsturz aus Magen, Nase, Lungen, aus der Harnblase, oder der Bärmutter, von Asthma und Lungenvereiterung, von Impotenz und Unfruchtbarkeit, von Migräne, Taubheit, grauem und schwarzem Staar, Nierenstein, Lähmungen, Sinnen-Mängeln und Schmerzen tausenderlei Art u.s.w., in den Pathologien als eigne, abgeschlossene Krankheiten figuriren.


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Zwölf Jahre brachte ich darüber zu, um die Quelle jener unglaublich zahlreichen Menge langwieriger Leiden aufzufinden, diese der ganzen Vor- und Mitwelt unbekannt gebliebene, große Wahrheit zu erforschen, zur Gewißheit zu bringen und zugleich die vorzüglichsten (antipsorischen) Heilmittel zu entdecken, welche diesem tausendköpfigen Ungeheuer von Krankheit in seinen so sehr verschiedenen Aeußerungen und Formen zumeist gewachsen wären.

Ich habe meine Erfahrungen hierüber in dem Buche: Die chronischen Krankheiten (4 Thle. Dresd. b. Arnold, 1828. 1830 und, zweite Ausgabe in 5 Bänden, bei Schaub) vorgelegt. – Ehe ich mit dieser Kenntniß im Reinen war, konnte ich die sämmtlichen chronischen Krankheiten nur als abgesonderte, einzelne Individuen behandeln lehren, mit den nach ihrer reinen Wirkung an gesunden Menschen bis dahin geprüften Arzneisubstanzen, so daß jeder Fall langwieriger Krankheit nach der an ihm anzutreffenden Symptomen-Gruppe, gleich als eine eigenartige Krankheit von meinen Schülern behandelt und oft so weit geheilt ward, daß die kranke Menschheit über den, schon so weit gediehenen Hülfs-Reichthum der neuen Heilkunst frohlocken konnte. Um wie viel zufriedner kann sie nun sein, daß sie dem gewünschten Ziele um so näher kommt, indem ihr die nun hinzuge fundenen, für die aus Psora hervorkeimenden, chronischen Leiden noch weit specifischern homöopathischen Heilmittel und die specielle Lehre sie zu bereiten und anzuwenden, mitgetheilt worden, unter denen nun der ächte Arzt diejenigen wählt, deren Arznei-Symptome der zu heilenden, chronischen Krankheit am meisten homöopathisch entsprechen, und so fast durchgängig vollständige Heilungen bewirken.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 133-135.
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