Nota bene für meine Recensenten.

(Zum Zeugnisse, wie viel Anfeindung die bessere Heilkunst bis zum Jahre 1817 von den allopathischen Aerzten erlitten, mögen die folgenden Zeilen auch in dieser zweiten Ausgabe stehen bleiben, und zwar um desto mehr, da es auch in den letzten, sieben Jahren, bis jetzt, an öffentlichen Verleumdern der Wahrheit und ihres Begründers nicht gefehlt hat.)


Ich habe mehre schiefe Bekrittelungen über den zweiten Theil meiner reinen Arzneimittellehre, besonders über die voran stehende Abhandlung: »Geist der homöopathischen1 Heillehre«, gelesen.[3]

Nun könnte ich wohl nach herkömmlicher Schriftstellerart sie gerade hier abfertigen und in ihrer Blösse darstellen. Ich werde es aber nicht thun. Ich mag die Sünde nicht auf mich laden, diese Thorheiten und ihre Urheber zu verewigen, und möchte der gewiss einsichtsvollern Nachwelt die Schwächen meiner Mitwelt lieber nicht aufdecken.

Nur so viel im Allgemeinen!

Wort- und Sinn-Verdrehungen, unverständiges Geschwätz, was gelehrt aussehen soll, Schmähungen und theoretisch zweifelsüchtiges Kopfschütteln, wo factische Beweise des Gegentheils stehen sollten, deuchten mir allzualberne Kniffe gegen[4] ein Wesen, wie die Homöopathie ist; sie mahnen mich an die Peter-Männchen, welche die leichtfertigen Knaben, aus Pulver geknetet, abbrennen, um die Leute zu necken – aber die Dinger können nur zischen und sprützeln, machen aber keinen sonderlichen Effect und nehmen sich schlecht aus.

Mit solchen Possen, deren Elendigkeit bloss auf ihre Urheber zurückfällt, lässt sich die Homöopathie nicht sprengen.

Da weiss ich Ihnen, meine Herren Brüder auf der Gegenbank! einen kräftigern Rath zu geben, um, wo möglich, diese Lehre zu stürzen, welche Ihre Vermuthungskunst zu ersticken und ihrem ganzen Arznei-Plunder den Garaus zu spielen droht. Folgen Sie mir!

In der systematischen Darstellung derselben, dem »Geist der homöopathischen Heillehre«, sind Ihre Versuche, wie Sie sehen, verunglückt. Lassen sie den! Es ist auch mit den Geistern, wie dieser, nicht zu spassen. Es soll ihrer geben, deren Erscheinung eine lebenslängliche Unruhe in dem Gewissen der Frevler und der wider besser Wissen Handelnden zurücklässt und sie nächtlich foltert für die Unterlassung anerkannter und dennoch unterlassener Menschenpflichten! Merken Sie sich das; Sie möchten sonst den laut gewordenen innern Richter dann nicht wieder zum Schweigen bringen können!

Nein! Es giebt eine andre Methode, diese Lehre, wo möglich, zu stürzen, eine unfehlbare.

Diese Lehre beruft sich nämlich nicht nur hauptsächlich, sondern einzig auf den Ausspruch der Erfahrung – »macht's nach!« ruft sie laut, »aber macht's genau und sorgfältig nach, und ihr[5] werdet sie auf jedem Schritte bestätigt finden« – und (was keine Arzneilehre, kein medicinisches System, keine sogenannte Therapie bisher that oder thun konnte) sie dringt darauf, »nach dem Erfolge beurtheilt seyn zu wollen.«

Da haben wir die Homöopathie gerade da, wo wir sie haben wollten; hier können wir ihr (folgen Sie nur, liebe Herren! es wird gut gehen) von dieser Seite den Todesstreich versetzen.

Nehmen Sie einen Krankheitsfall nach dem andern, zeichnen Sie ihn nach Anleitung des Organons speciell nach allen seinen auffindbaren Symptomen so genau auf, dass der Urheber der Homöopathie selbst nichts an der Genauigkeit des Aufgezeichneten aussetzen könnte (versteht sich, dass jeder ein Fall sey, wofür schon unter den, nach ihren eigenthümlichen Symptomen bekannt gemachten, eine homöopathisch ähnliche Arznei zu finden ist), und wenden die passendst homöopathisch aufgefundene Arzneisubstanz rein und unvermischt gegen den jedesmaligen Krankheitsfall an, in einer Gabe von Kleinheit, wie sie diese Lehre vorschreibt, doch, wie die ausdrückliche Vorschrift lautet, unter Entfernung aller andersartigen arzneilichen Einflüsse auf den Kranken, und beschämen, wenn es nicht hilft, nicht bald hilft, nicht gelind hilft, nicht dauerhaft hilft, beschämen Sie, sage ich, durch Vorlegung der aktenmässig beglaubigten Kur-Geschichten nach streng befolgter homöopathischer Lehre, diese, der alten Finsterniss so ernstlich drohende Lehre öffentlich.

Aber nehmen Sie sich, ich bitte Sie, vor irgend einem Falsum dabei in Acht! – alle Schurkerei kommt an den Tag[6] und brandmarkt mit unauslöschlichen Warnungszeichen2.

Wenn dann, nach Ihrem gewissenhaften Vorgange jeder andre, ebenfalls gewissenhafte und sorgfältige, ärztliche Nachversucher denselben Erfolg findet – wenn das Alles nicht zutrifft, was die homöopathische Lehre nach ihrer treuen Befolgung verheisst – dann ist die Homöopathie schon so gut als verloren; sie ist verloren, wenn sie nicht hülfreich, ja selbst wenn sie nicht ausgezeichnet hülfreich ist.

Oder wissen Sie es besser, meine Herren auf der zunftmässigen Oppositionsbank! wie dieser verwünschten Lehre mit ihren, durch die Seele des auch viel bepanzerten Alt- und Neu-Dogmatikers schneidenden3 Wahrheiten – ignea inest illis vis[7] et coelestis origo – wie dieser Lehre, die, wie man für gewiss versichern will, nur an Vorurtheillosigkeit[8] und gesunden Menschenverstand zu appelliren braucht, um Eingang in unverdorbenen Sinn zu finden und auf unausbleiblich heilsamen Erfolg der treu ausgeführten Vorschriften pochen kann, und so über alle Verstocktheit zu siegen gewiss ist; wissen Sie's besser, meine Herren! wie anders und kräftiger diese Lehre zu unterdrücken wäre?

Ja! Sie scheinen es besser wissen zu wollen.

Fahren Sie dann fort, in Recensionen und Büchern, recht in's Blaue hinein das Alltags-Geschwätz Ihrer Schule bis zum Ekel zu erheben und was Unwissenheit nicht verdrehet, durch bösen Willen zu verdrehen und zu verdeuteln; fahren Sie fort, zu verleumden, zu schmähen, zu schimpfen: – und der Unbefangene wird nun deutlich inne werden, auf wessen Seite die böse, auf wessen die gute Sache sey.

Die verbesserte (homöopathische) Heillehre wird gegen diesen Nonsens nur desto vortheilhafter abstechen und (– wer wollte an dem Wahrheitssinne der bessern Menschheit verzweifeln? –) wird die Nacht der verjährten Thorheiten verscheuchen, indem sie gewisse Hülfe in Krankheiten bringen lehrt, wo bisher nur verstandlos gelehrtes Gewäsch, am Bette des selig Verstorbenen, den Schaden von Pfund- und Zweipfund-Flaschen voll zweckwidriger Gemische ungekannter, Leben angreifender Arzneien vergeblich zu vertuschen suchte.

Und was sagt Ihr dazu, wenn Ihr den Urheber und ersten Lehrer der Homöopathie nebst seinen ächten Schülern nach Verhältniss weit mehr Kranke und an den schlimmsten, langwierigsten Uebeln Leidende mit ganz weniger, milder, nicht übelschmeckender Arznei unbeschwerlich und dauerhaft herstellen seht? Kann eure sogenannte[9] Kunst das? Spottet ein solcher Erfolg nicht Eurer armen, theoretischen Zweifelsucht und dem unmächtigen Schlendrian Eurer zunftmässigen Praxis?

Wollt Ihr's eben so gut haben, so macht's verständig und redlich nach!

Wollt Ihr's nicht? nun, so leiert – wir hindern Euch nicht – leiert so fort auf Euerm trostlosen Wege blinder Observanz, in erträumter Systeme Mitternacht, hie und dahin gelockt von den Irrlichtern Eurer gefeierten Autoritäten, die gerade da, wo Hülfe Noth thut, Euch im Stiche lassen, – blenden und verschwinden.

Und häuft Euer unseliges Arztgeschäft, wo gewöhnlich das nicht erfolgt, was Ihr beabsichtigt, wünscht und versprecht, grämliche Galle in Euch an, die sich zu entladen sucht durch Verleumdung des Bessern, so fahrt fort, die Trauben da oben, welche Zunftstolz, Wirrköpfigkeit, Schwäche oder Bequemlichkeit Euch zu erreichen hindert, sauer zu nennen und sie würdigern Erreichern zu überlassen.

Fahrt fort, wenn's Euch behagt, die hehre Kunst neidisch zu lästern; doch wisst, dass Neid vergeblich an felsenfester Wahrheit nagt, nur dem Neider selbst das Mark aus den Knochen frisst4.


Leipzig, im Februar 1817.


Dr. Samuel Hahnemann.

Fußnoten

1 Welche ausgezeichnete Gelehrsamkeit verrathen nicht meine Herren Recensenten! Ich will nur diejenigen hier berühren, welche homopathisch und Homopathie statt homöopathisch und Homöopathie schreiben und drucken lassen, und dadurch verrathen, dass sie den himmelweiten Unterschied von ὁμον und ὃμοιον gar nicht kennen, sondern beide für synonym halten. Sollten sie denn noch kein Wörtchen davon gehört haben, was doch die ganze Welt weiss, wie die unendliche Differenz zwischen ὁμοούσιος und ὁμοιούσιος einst die ganze christliche Kirche in zwei unvereinbare Theile zerspaltete? Sollten sie nicht einmal so viel Griechisch verstehen, um zu wissen, dass (einzeln und in Zusammensetzung) ὁμον gemeinsam, gleich, dasselbe bedeutet (z.B. εἰς ὁμον λέχος εισαναβαίνοι, Iliad. ϑ.), ὃμοιον aber nur ähnlich, sich dem Gegenstande nähernd, nie aber ihn an Natur und Art erreichend, nie zur Identität mit ihm kommend, bedeutet? Nie hat die homöopathische Heillehre durch dieselbe und gleiche Potenz, von welcher die Krankheit erzeugt worden war, diese Krankheit heilen wollen – diess ist den unverständigen Widersachern schon oft genug, aber, wie man sieht, vergeblich eingekauet worden; – nein! bloss durch eine mit der Krankheitsursache nie übereinstimmende, nie gleiche Potenz, vielmehr durch eine Arznei, die nur einen ähnlichen Krankheitszustand (ὃμοιον πάϑος) eigenthümlich hervorbringen kann, heilet sie naturgemässest. Können denn diese Menschen nicht einmal den Unterschied zwischen »Gleich« (»Dasselbe«) und »Aehnlich« fühlen? Kränkeln sie denn alle homopathisch an derselben Krankheit des Stumpfsinns? Sollte denn der nicht wenigstens einen Anfangs-Begriff des Wortes Homöopathie haben, der sich unterfängt, als Recensent des »Geistes der homöopathischen Heillehre« aufzutreten?

2 Man sehe zur Warnung z.B. die berüchtigte (allerliebst erzählte) Geschichte einer Krankheit, die Kotzebue erlitten haben, und woran er durch die Erregungs-theoretische Methode wie durch Wunder geheilt worden seyn sollte. Sie war aber, wie sich bald auswies, rein erdichtet, erdichtet zu Gunsten der damaligen Erregungstheorie, und die Schande dieses Betrugs lastet noch jetzt, lastet ewig auf dem Namen des Thäters.

3 Die Wahrheit dieser einzigen Lehre musste, wenn nur noch ein Fünkchen von Menschenverstand in diesen Herren glimmte, ihre Ueberzeugung ergreifen und ergriff sie zum Theil wirklich, wie man hie und da in ihrem Geschreibsel aus dem Jammergeschrei um den nahe zu befürchtenden Hinsturz ihres uralten Zunftgebäudes deutlich abnehmen kann. Aber, siehe, sie fühlen ihr Gehirn von den hunderttausend Quer-Ideen, den Wahnsatzungen, Systemen und Dogmen und der Last des ewigen praktischen Wustes so voll angepfropft, und unfähig förder, diese unnütze Geräthschaft bei Seite zu legen, um dann, freien Sinnes, eine so einfache Lehre, wie die Homöopathie ist, vorurtheillos zum Segen für die Menschheit in Ausübung zu bringen, so unfähig, sage ich, dass der Unmuth hierüber wie ihr Inneres, so ihre Geberde verzuckt und sich nicht anders auszusprudeln weiss, alt durch unmächtige Schmähungen des ihnen unerreichbaren Bessern. Fast dauern sie mich; denn die alten, ihnen als Wahrheiten so oft vorgepredigten Lügen schweben ihnen unablässig vor dem Gedächtnisse, immer noch als Wahrheiten; die ihnen als Glaubensartikel vorgetragnen, mit berühmten, vornehmen Namen beglaubigten Fictionen sind so oft als wichtige und richtige Dinge durch ihre Ohren gedrungen, dass sie noch fort und fort darin ertönen; die Wahn-Lehrsätze und als Axiome ihnen dargestellten Vermuthungen, apriorischen Erklärungen, Definitionen und Distinctionen der Schule sind so oft von ihnen gedruckt und abermals gedruckt gelesen worden, und praktische Observanz hat ihrer ganzen Handlungsweise schon eine so geläufige Schlendriansfertigkeit eingeübt, dass sie nun nicht mehr dem Drange dieser allgewöhnlichen, ihnen zur andern Natur gewordnen Dinge widerstehen können, und sie nun auch wider Willen fortdenken und forttreiben müssen – (schon beim ersten Anblick des Kranken fällt ihnen eine anatomische Stelle im Körper als unbezweifelter Sitz der Krankheit ein, drängt sich ihnen ein Name aus der Pathologie für die Krankheit auf, fühlen sie in ihren Fingern schon das componirte, elegante Recept, was sie auf die nächste Streife Papier hinzuwerfen gedenken) – so dass, wenn sie auch ernstlich wollten umkehren und in Einfachheit und Wahrheit ein neues Arzt-Leben führen, würdig des allsehenden Urhebers unsers zum Heile der kranken Menschheit geschaffenen Geistes, sie nun nicht mehr können. So sind die sogenannten Recensenten der verbesserten Heilkunst und ihre Consorten beschaffen; wie könnten wohl ihre Recensionen anders ausfallen? Gott genade ihrer armen Seele!

4 Αυόνα Βροτοις, Aeschyl. Eumen. 329.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Reine Arzneimittellehre. Bd. 3, Dresden, Leipzig 21825, S. 3-10.
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