XIX. Das Jahr 1814.

[218] Für den Winteraufenthalt in der Stadt hatte ich mir zwei große literarische Aufgaben gestellt: die Übersetzung der Reisen des großen türkischen Reisenden Ewlil ins Englische und die Durcharbeitung des englischen Wörterbuches von Johnson, die mir gerade bei dieser Übersetzung zustatten kam. Das Lesen von Wörterbüchern ist für den, der eine Sprache in ihrem ganzen Reichtum kennenlernen will, fast unerläßlich. Außerdem las ich in diesem Winter Lord Byrons Meisterwerke und machte aus ihnen Auszüge für die von Sartory herausgegebene ›Österreichische Literaturzeitung‹, in der ich auch später die vorzüglichsten englischen Reisewerke über den Orient anzeigte.

In der Gesellschaft suchte ich den Umgang mit Engländern, die in Wien immer gern gesehen waren, jetzt aber, nachdem Österreich den gegen Napoleon kriegführenden Mächten beigetreten war, doppelt gern empfangen wurden. Schon im vergangenen Sommer hatte ich den englischen Reisenden Hobhouse kennengelernt, im Winter machte ich die Bekanntschaft von Chaterton und Anderson und später im Jahre die persönliche von Rich, dem Residenten der ostindischen Compagnie in Bagdad.

Am Osterdienstag jubelte ganz Wien über die Nachricht vom Einzuge der Alliierten in Paris. Der Landgraf von Fürstenberg ritt mit hundert Postillionen in Wien ein. Ich sah diesen Einritt auf dem Josefsplatz vom Hause des Grafen Fries. Der Jubel der Stadt war ein Seitenstück zu dem vor vierundzwanzig Jahren, als Laudon Belgrad eroberte, und fand seine Fortsetzung am 16. Juni, als der Kaiser feierlich in Wien einzog.

Im Mai reisten Graf und Gräfin Rzewuska nach Polen ab, um dort nach den durch üble Wirtschaft in Unordnung[218] geratenen Gütern zu sehen. Für mich war es ein doppelter Verlust: durch die Gräfin verlor ich das Glück geistreicher Gesellschaft, durch den Grafen die Hoffnung auf weitere Unterstützung der ›Fundgruben‹. Vor seiner Abreise mußte ich ihm die vier Bände ›Tausendundeine Nacht‹, die mir Rosetti in Ägypten verschafft hatte, auf unbestimmte Zeit leihen. Ich wollte sie ihm nicht verkaufen, und selbst, wenn ich dies gewollt hätte, würde er mir nur eine Schuldverschreibung und nicht die 100 Dukaten, die sie mich gekostet hatten, gegeben haben. Ich habe die vier Bände nie wieder gesehen und weiß nicht, was daraus geworden ist, ebensowenig wie ich weiß, wohin sein kostbares arabisches Manuskript über die Kriegsmaschinen der Araber gekommen ist, aus dem ich in den ›Fundgruben‹ eine Stelle erläuterte, die beweist, daß die Araber das Schießpulver gekannt. Er lieh mir alle Handschriften aus seiner kostbaren Sammlung, die ich verlangte und über die ich ihm einen Empfangschein gegeben hatte. Nachdem es mir gelungen war, die orientalischen Handschriften, die Denon nach Paris mitgenommen hatte und von welchen sich schon Exemplare in der Pariser Hofbibliothek befanden, nach Wien zurückzubringen, erwartete ich mit Recht, daß ich den Auftrag bekommen würde, auch die noch in Paris zurückgebliebenen zu holen, besonders da ich den Katalog derselben in den ›Fundgruben‹ veröffentlicht hatte. Trotz meines Erfolges und der bibliographischen Kenntnisse wurde an meiner Stelle Ottenfels mit dieser Aufgabe betraut, dem die Handschriften der Hofbibliothek ganz unbekannt waren.

Ottenfels wurden alle von mir verfaßten Berichte und Kataloge übergeben und er zog nur aus meiner Arbeit Nutzen. Ende Juni teilte mir Ottenfels diese Sendung mit und die Verstellung, mit welcher er sie darstellte, als sei sie ohne sein Vorwissen und Betreiben erfolgt, empörte mich fast ebenso wie die Ungerechtigkeit Hudelists. Meinen Unwillen darüber sprach ich in Wien Harrach, Sinzendorf und Sickingen gegenüber aus und schrieb darüber an Böttger, Reinhard und de Sacy. Da ich wußte, daß Hudelist alle meine Briefe öffnen lies, schrieb ich um so unumwundener[219] jene Wahrheiten, die ich ihm nicht ins Gesicht sagen konnte.

Rich war in Wien angekommen und hatte seine geistreiche und liebenswürdige Gemahlin mitgebracht. Die Monate Mai, Juni und Juli verlebte ich fast ganz in der Gesellschaft dieser beiden, ich führte sie in die Häuser von Bekannten ein und unternahm mit ihnen Ausflüge auf das Land. Am letzten Juli war ich nach der Beethovenschen Oper ›Fidelio‹ mit Rich zu einer Soirée beim Prince de Ligne gefahren. Um Mitternacht brachen wir auf. Während die anderen einstiegen, ging ich dem Wagen voraus die kleine Anhöhe an der Bastei hinunter. Aus der benachbarten Schmiede sprang ein Hund heraus und warf mich so unglücklich um, daß ich mir das Wadenbein des linken Fußes brach. Die Herren und Damen der Gesellschaft bezeugten mir die größte Teilnahme, der Prinz lieh eine Matratze, auf der mich Graf Waldstein, der Fürst Gallitzin, mein Freund Rich und der Engländer Bruce von der Löbelbastei bis in meine Wohnung auf den Neuen Markt trugen.

Noch in der Nacht kam der erste Arzt Rudorfer, richtete das Bein ein und stellte mich in vier Wochen wieder her. Während dieser Zeit besuchten mich viele meiner Freunde täglich, andere das eine oder andere Mal, nur Mitglieder aus der Staatskanzlei kamen außer Hoppé und Krufft nicht aus Furcht vor Hudelists gehässiger Tyrannei. Sogar der Minister Metternich ließ sich durch Bediente nach meinem Befinden erkundigen, nur Hudelist nahm keinerlei Notiz von meinem Unglücksfall. Gerade einen Monat, nachdem ich mir das Bein gebrochen, fuhr ich nach Baden, um in Natur und Gesellschaft Zerstreuung und Aufheiterung nach dem vierwöchigen Krankenlager zu suchen. Auch meine Freunde Rich gingen dorthin. Wir machten viele Wagenfahrten und Ausflüge zusammen. Mit Heißhunger las ich ›Waverley‹, den ersten Roman Walter Scotts, dessen Name damals noch ein Geheimnis. Auch meine Vorgesetzten, der Minister und der Staatsrat, waren für einige Tage nach Baden gekommen. Ich machte dem ersten sogleich meine Aufwartung und dankte dafür, daß er sich nach meinem Befinden hatte erkundigen lassen. Er[220] empfing mich sehr ungnädig, was ich mir nicht erklären konnte und, da es in Gesellschaft geschah, auch um keine Aufklärung bitten konnte. Als Ursache vermutete ich meine Briefe, in denen ich mich unumwunden über Hudelist geäußert hatte. Zwei Tage später verfügte ich mich abermals zu Metternich, der mir jetzt auch kein Geheimnis daraus machte, daß er von meinen freimütigen Briefen erfahren habe und mir über diese ernste Vorwürfe machte. Ich bekannte mich der zu heftigen Ausdrücke schuldig, bat aber meinen Chef, zu bedenken, daß zwischen diesen in Briefen an Freunde ausgesprochenen Aufwallungen und der Ungerechtigkeit, die sie hervorgerufen, gar kein Verhältnis sei. Schließlich sagte ich, daß ich keine Möglichkeit sehe, in der Staatskanzlei unter Hudelist nützliche Dienste zu leisten und bat um Verwendung im Auslande. Dies wurde mir rundweg abgeschlagen.

Danach blieb mir nichts übrig, als mich am nächsten Tag zu Hudelist zu begeben und den vollen Ausbruch seines Ingrimms über mich ergehen zu lassen. Seinen Insolenzen setzte ich nur den Vorwurf über das mir angetane Unrecht und die Verletzung des Briefgeheimnisses entgegen. Am 1. Oktober war ich wieder in Wien, um wenigstens die öffentlichen Feste und gesellschaftlichen Vergnügungen mitzumachen, da ich von aller Geschäftsteilnahme am Kongresse weit entfernt war. Ich kann daher nur rein persönliche Eindrücke und Verhältnisse erzählen. Ich drängte mich zu keinem der Souveräne und leitenden Minister, machte nicht einmal Talleyrand meine Aufwartung, bei dem ich in Paris einige Male gewesen, und ließ mich auch dem Herzog von Wellington nicht vorstellen. Mein hauptsächlichster Umgang waren Engländer, besonders der mit meinem Freund Sir Sidney Smith, der gekommen war, um bei den vereinten Souveränen die Aufhebung der mittelländischen Sklaverei durch die Vernichtung der Raubstaaten zu betreiben, dann mit der Familie Sir Thomas Dyke Asland, welche der Gräfin Purgstall und von dieser mir empfohlen war. An ihrem Tische traf ich Stratford Canning, Mr. Morin und Flanta, die Sekretäre Lord Castlereaghs, und wurde auch diesem selbst vorgestellt. Ich lernte den[221] dänischen Orientalisten Rassmussen kennen, den mir Bischof Muenter empfohlen hatte. Mit eisernem Fleiß und bleierner Geduld betrieb er das Studium des Arabischen. Seine wertvolle synchronistische Zusammenstellung arabischer Dynastien, seine Beiträge zur ältesten arabischen Geschichte und sein Katalog der Handschriften der Kopenhagener Bibliothek lassen seinen frühen Tod sehr bedauernswert erscheinen.

Die erste Gelegenheit, die Souveräne und ihre Minister zu sehen, bot der 18. Oktober auf dem zur Erinnerung an den Jahrestag der Schlacht von Leipzig vom Fürsten Metternich gegebenem großem Ball. Seinen Besuch konnte ich mir nicht versagen. Ich sah dort den Kaiser von Rußland, den König von Preußen, Talleyrand, Lord Castlereagh, Graf Münster, Graf Hardenberg und alle anderen Diplomaten. Der große Mittelpunkt der Abendgesellschaften des Kongresses war der Salon des Lord Castlereagh, in dem sich alle Fürstlichkeiten, alle großen und kleinen Diplomaten und die ganze Aristokratie der Hauptstadt zusammenfanden. Dort wurde ich auch dem Kronprinzen von Bayern vorgestellt und dem gelehrten Lord Guilford, der sich um die griechische Universität in Korfu große Verdienste erwarb. Beim Prince de Ligne traf ich wiederholt den Herzog von Weimar, der mir als Förderer deutscher Literatur höchste Ehrfurcht einflößte; da er sich aber immer sehr bequem gehen ließ, war seine Erscheinung keine ehrfurchtgebietende.

Am 1. Dezember fand das große Karussel in der Reitschule statt. Nachdem kein türkischer Botschafter in Wien war, konnte auch nicht gegen die Türkenköpfe, die von den Kavalieren herabgestochen wurden, protestiert werden, wie dies im folgenden Jahre geschah, worauf diese durch Mohrenköpfe ersetzt wurden. Die Abwesenheit eines türkischen Botschafters in Wien war eine Anomalie der Politik. Fürst Metternich versäumte der Heiligen Allianz zuliebe die schöne Gelegenheit, die Erhaltung des Osmanischen Reiches und die Verhinderung weiterer Eingriffe von Seiten Rußlands bei dieser Gelegenheit durch Verträge zu befestigen.

Allbekannt sind die Worte des Prince de Ligne: ›Le congrès danse, mais ne marche pas‹, und als er sich sterbend[222] fühlte: ›Je vais donner au congrès le spectacle d'un convoi de Feldmaréchal.‹ Nirgends fand ich das Wort Kaiser Alexanders, das er im Salon des Fürsten Metternich sprach: ›Je n'aime pas les scribes et les phariséens‹, und die Antwort der jungen Gräfin Szechenyi an den König von Preußen, der sich ihrer in der Gesellschaft provisorisch annehmen wollte: ›Vous me prenez, Sire, pour une province pour me gouverneur provisoirement.‹ Das Wort des Prince de Ligne ging am 16. Dezember in Erfüllung. Es war ein heiterer schöner Wintertag. Das Schauspiel des Leichenzuges sah ich nicht, da ich selbst in ihm schritt und den Sarg bis in den Friedhof auf den Kahlenberg begleitete. Leicht sei ihm die Erde, wie sein Geist und Witz leicht durch das Leben ging.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 218-223.
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