XXXIX. Besuche beim Fürsten Metternich.

[404] Das erste Billett, das ich nach einer schweren Augenentzündung wieder selbst schrieb, ging an den Kurator der Akademie, Herrn von Bach, den ich um besondere Audienz bat. Ich erbat mir sein Gehör zugunsten der orientalischen[404] Kommission, die ich in der philologischen Klasse vergeblich zustande zu bringen versucht hatte. Ich erzählte ihm, daß in Paris trotz des Bestehens einer Asiatischen Gesellschaft die Herausgabe von Auszügen aus orientalischen Handschriften immer von der ›Academie des inscriptions‹ erfolgt, um so mehr müßte dies der Wiener Akademie zur Pflicht gemacht werden. Herr von Bach hörte mich geduldig an, ohne sich auf positive Zusagen einzulassen.

Während meiner Augenentzündung hatte mich Dr. Jäger behandelt, der auch der Arzt des Fürsten Metternich war. Er fragte mich, ob ich denn den Fürsten noch nicht besucht habe, was ich verneinte, seine Frage, ob ich ihn denn nicht besuchen wolle, bejahte ich, denn ich wollte ihn um das Amulett Lord Byrons bitten, weil ich Text und Übersetzung in den Denkschriften der Akademie zu veröffentlichen beabsichtigte. Wenige Tage später begab ich mich in die Villa am Rennweg. Ich wurde gleich empfangen, der Fürst war sehr mager und taub geworden. Seine Rede floß in noch breiterem Strom als einst und zu Wort zu kommen war noch schwieriger als früher. Er wollte wohl seine Taubheit durch ununterbrochenes Reden verbergen. Er sagte mir: ›Ich bin nun vom Schauplatz der politischen Geschäfte abgetreten und lebe als Privatmann. Mein Leben lang war ich ein großer Freund des Theaters. Auch ein Schauspieler, der sich von den Brettern zurückgezogen hat, geht noch gern ins Theater. Ich habe mich in eine Loge im ersten Stock zurückgezogen und sehe dem politischen Spiele zu. Andere Schauspieler haben sich herangedrängt und spielen meine Rolle, ich ging und machte ihnen Platz. Zuerst war ich in England, fand aber, daß Brüssel ein geeigneterer Platz sei, den politischen Begebenheiten zuzusehen. Und nun habe ich Brüssel mit Wien vertauscht. Der Fürst machte eine kurze Pause, die ich benützte, um den Zweck meines Kommens zur Sprache zu bringen. Der Fürst versicherte, er habe das Amulett noch und werde es mir in wenigen Tagen senden. Auf seine Sammlung von Briefen und Merkwürdigkeiten war der Fürst sehr stolz und nun sprach er lange über diese, zu der ich ihm auch so manche Kuriosität geliefert hatte. Später einmal erzählte er mir von einem Meßkleid, das er für die[405] Kapelle in Königswart hatte anfertigen lassen. Bei der Einführung der neuen Staatsuniform hatte der Schneider die des Kanzlers verdorben. Der Fürst ließ die schweren Goldstickereien herausnehmen. Alle persischen und türkischen Beglaubigungsschreiben an den Kaiser und den ersten Minister kamen immer in Säcken aus reichem Goldstoff. Fürst Metternich hatte diese Umhüllungen gesammelt und ließ aus ihnen ein Meßkleid machen, das mit den Goldstickereien der Uniform verziert wurde. Gewiß eine höchst originelle Verwendung moslimischen Goldbrokates.‹

Nachdem ich spät im November das Amulett noch immer nicht hatte, ging ich in den Salon Metternich, in den er mich eingeladen hatte, und wartete als passende Gelegenheit seinen Namenstag ab. Ich traf auch die Fürstin. Ihr Anblick war erbarmenswert durch den ungeheuren Unterleib, der durch ein schweres Leiden hervorgerufen, sie am Gehen hinderte. Sie trippelte mit kleinen, schnellen Schritten. Trotzdem hielt sie das Haus des Fürsten in Ordnung und weiß um alles besser Bescheid als er. Als ich im Laufe des Gespräches auf das Amulett kam, lief sie davon und brachte es.

Aus der Hofbibliothek hatte ich die Lebensbeschreibung von Menavi, aus der von Leyden die Lebensbeschreibung Sachawis erhalten, die ich in den Morgenstunden studierte. Vormittags arbeitete ich die Korrekturbogen meiner Geschichte der arabischen Literatur durch, deren einer mir jeden Abend regelmäßig zukam. Früher habe ich bis zu vierzehn Stunden im Tage gearbeitet, jetzt erlauben mir dies weder meine Augen noch sonstige Altersgebrechen. Ich bin glücklich, wieder meinen Studien leben zu können. Ich kann mir selbst das Zeugnis ausstellen, daß mir persönliche Eitelkeit und Ehrgeiz mein Leben lang fern war, nur höhere Beweggründe und Liebe zur Wissenschaft haben mich bestimmt. Seitdem ich in meiner Jugend dem Brotstudium des Türkischen an der Orientalischen Akademie und später in Konstantinopel genug getan, habe ich niemals das Studium als Mittel zur Erreichung irgendeines Vorteiles betrachtet, wenn ich auch manchmal meine wissenschaftlichen Arbeiten bei Ministern und Machthabern als Verdienst geltend machte.[406]

Ich kann es mir nicht versagen, allgemeine Betrachtungen über das Verhältnis von Gelehrten und Schriftstellern zum Staate Österreich anzustellen und über die ihnen gewährten Auszeichnungen und Vorteile einige Worte zu verlieren. Weder in England noch in Frankreich, Preußen oder Bayern, wohl aber in Österreich herrscht das Vorurteil, daß wissenschaftlich gebildete Männer sich weder zu Minister-noch zu sonstigen höheren Posten in der Staatsverwaltung eignen. Ein Vorurteil, das auch Fürst Metternich teilte, und mit ihm die meisten höheren Beamten. Der Fall, daß Gelehrte Beamten die Fähigkeit, wissenschaftlich etwas zu leisten, absprachen, ist mir nie vorgekommen, er kann auch in Österreich nicht vorkommen, weil sich jeder Beamte hüten muß, öffentlich als Schriftsteller vorzutreten, denn er weiß, daß er damit seiner weiteren Beförderung einen Riegel vorschiebt. In der jüngsten Zeit nach der Revolution sind wissenschaftlich gebildete Männer, wie Graf Hartig und Graf Ficquelmont, als Schriftsteller erfolgreich in die Öffentlichkeit getreten, beide nicht mehr als wirkliche, sondern als bereits abgetretene Minister. Ihre Werke, wie auch besonders das des Feldmarschalleutnant von Schönhals ›Erinnerungen eines österreichischen Veteranen aus dem italienischen Kriege des Jahres 1848/1849‹, sind für jeden Österreicher erfreuliche Erscheinungen, die den Beweis liefern, daß es auch in den hohen Posten der Verwaltung, des Inneren, des Äußeren und des Krieges nicht an schriftstellerischen Talenten fehlt. Dem Grafen Ficquelmont wünschte ich zu seinem Werke Glück, indem ich ihm sagte, er sei der erste Minister des Äußeren, der seine Feder auch als Schriftsteller zu gebrauchen wußte. Dies sage ich aus der Kenntnis von vielen hundert Aktenbündeln der Geheimen Registratur und des Geheimen Archivs. Die höheren Beamten und Minister, welche – wenige Ausnahmen abgerechnet – Gelehrten und Schriftstellern die Fähigkeit des Geschäftsmannes absprechen, begnügen sich nicht damit allein, sie gehen weiter und schließen diese auf ungerechte Weise auch von den im bürgerlichen Leben ihnen zugesicherten Vorteilen aus. Fürst Metternich verkleisterte als echter Diplomat diese Ungerechtigkeit durch die oft gegebene Versicherung, daß in seinen Augen politisches und[407] literarisches Verdienst auf gleicher Stufe ständen und auch gleichen Anspruch auf Anerkennung und Auszeichnung hätten. Andere – ich spreche hier nur von Österreich – geben sich nicht einmal diese Mühe, sondern stellen die Behauptung auf, literarisches Verdienst käme mit politischem in gar keinen Vergleich und dürfe keineswegs auf gleiche Anerkennung von Seite des Staates und der Regierung rechnen. Sie legen auf höhere Besoldung, auf Auszeichnungen, auf Orden und Titel ausschließlichen Beschlag. Gerade in letzter Zeit scheint es zum Prinzip geworden zu sein, daß nur politische, nicht aber literarische Verdienste auf den Titel Exzellenz oder auf ein Großkreuz ein Anrecht haben. Die Staatsmänner, die dies für Österreich aufstellen, sollten sich von dem wissenschaftlich gebildeten Freiherrn vom Stein eines Besseren belehren lassen. Er überreichte am 18. Juni 1812 dem Kaiser Alexander von Rußland in Wilna eine Denkschrift über die Lage in Deutschland, in der es heißt: ›Bei einer so leselustigen Nation bilden die Schriftsteller eine Art von Macht durch ihren Einfluß auf die öffentliche Meinung; es wird nützlich sein, sich sie durch eine Auszeichnung irgendwelcher Art, akademische Orden. Ehren und dergleichen, zu verbinden.‹ In Steins Schriften findet sich mehr als eine gute Lehre für Österreich, die aber bis jetzt wenig oder gar nicht beherzigt wurde. ›Österreich sollte also die deutschen Gelehrten mehr unterstützen, um auf die öffentliche Meinung in Deutschland zu wirken. Dieses würde geschehen, wenn es eine große Meinung für die Wissenschaft äußerte, dem Umlauf der Ideen weniger Hindernisse in den Weg legte, ausgezeichnete Gelehrte, besonders solche, die für die gute Sache schreiben, belohnte, öffentliche literarische Blätter sich zu eigen machte, seine wissenschaftlichen Anstalten verbesserte und dem in Deutschland herrschendem Vorurteile entgegenwirkte, als hielte es die Fortschritte des menschlichen Geistes zurück und lähme dessen Kraft durch die angebliche Vormundschaft, die es über ihn ausübt.‹ Und weiter. ›Österreich sollte die deutschen Gelehrten mehr benützen, um auf die öffentliche Meinung in Deutschland zu wirken – dies würde geschehen, wenn es eine Akademie der Wissenschaften errichtete und[408] dadurch seine Achtung für die Wissenschaften bewiese, wenn es dem Kreislauf der Ideen weniger Hindernisse in den Weg legte und ausgezeichnete Gelehrte, besonders solche, die für und in dem Sinn der guten Sache schreiben, belohnte, wenn es endlich eines der öffentlichen literarischen Blätter sich zu eigen machte. In Deutschland herrscht gegen Österreich das Vorurteil, daß es die Fortschritte des menschlichen Geistes zurückhalte und dessen Kraft lähme, und daß es daher seinen Ratschlägen, seinen Maßregeln und seinen Beschlüssen an Weisheit und Energie fehle.‹ (Leben des Ministers Freiherrn vom Stein III., S. 70, und II., S. 430 und 452.)

Dies schrieb Stein im Jahre 1810, vielleicht wurde Metternich durch Steins Vorschläge dazu bewogen, selbst mit dem Gedanken einer Akademie der Wissenschaften umzugehen und im ›Historischen Archiv‹ durch Hormayr und Ridler in diesem Sinne schreiben zu lassen, aber er fand an dem Studiendirektor und Leibarzt des Kaisers, Freiherrn von Stifft, ein unüberwindliches Hindernis.

Mit besonderer Freude hatte ich im letzten Bande der ›Memoires de l'academie des inscriptions‹ die von dem ständigen Sekretär derselben, Baron Walkenaer, meisterhaft geschriebene Geschichte dieser Akademie gelesen. Um so mehr ärgerte mich das Fehlen einer solchen Geschichte der Kaiserlichen Akademie, denn wiederum waren zwei Bände erschienen, die nichts von der Geschichte enthielten, obwohl der Kurator es mir vor zwei Jahren zugesagt hatte, darauf zu dringen, daß das Versäumnis nachgeholt werde. Nun lag mir ein so wichtiger Beleg wie Walkenaers Geschichte vor und ich richtete an den Ministerialrat Lewinski, der das Referat der Akademie hatte, ein Schreiben und fügte diesem den letzten Band der ›Memoires‹ und den ersten der ›Notices et extraits des manuscripts‹ bei, weil die Vorrede den Plan dieser Auszüge ausführlich darstellt. Ich bat den Ministerialrat, diese beiden Bände und mein Schreiben dem Herrn Kurator vorzulegen. Diesmal blieb meine Vorstellung nicht ganz wirkungslos. In der Sitzung am 25. November, der ich nicht beiwohnen konnte, wurde ein Schreiben des Kurators verlesen, durch welches die Akademie zur Einhaltung der Geschäftsordnung und die Sekretäre zum Schreiben der Geschichte[409] aufgefordert wurden. Durch meinen Freund Auer erfuhr ich, daß der Kurator dem Antrage des Finanzministeriums, die Akademie solle in Hinkunft die Papierkosten ihrer Drucke tragen, die Zustimmung gegeben hatte. Sobald ich dies erfuhr, bat ich um Gehör beim Kurator und sprach mit ihm sehr offen über die ›niederträchtige Plackerei des Finanzministeriums‹ – dies waren meine Worte. Ich sprach die Hoffnung aus, daß der Kurator dem nicht zustimmen, sondern der Akademie den Vorteil des kostenlosen Druckes, den sie nun schon fünf Jahre genoß, auch weiter wahren werde. Dieser Vorteil sei nicht nur in den Statuten niedergelegt, sondern auch durch die Dauer der Gewährung verjährt. Dies ließ der Kurator ebensowenig gelten, als meine Berufung auf den Fürsten Metternich und den damaligen Finanzminister Freiherrn von Kübeck, mit deren Zustimmung die Statuten entworfen wurden. Am nächsten Vormittag begab ich mich zum Fürsten Metternich, um ihn allein zu sprechen. Graf Münch war gerade bei ihm. Als dieser herausging, trat ich ein. Der Fürst war noch ganz erfüllt von der politischen Unterredung, die er gerade mit dem Grafen gehabt und setzte sie, ohne mich nach meinem Begehr zu fragen, fort. Es war der 15. Dezember 1851, an welchem alle Zeitungen voll waren von der steigenden Macht Louis Bonapartes, der die Zügel der Regierung in Frankreich mit starker Hand ergriffen und offenbar dem Kaiserthrone zustrebte. Ich ergriff die erste Pause und erzählte ihm das Verlangen des Finanzministeriums und fragte ihn geradezu, in welchem Sinne der Artikel in den Statuten, der von dem kostenlosen Druck der akademischen Veröffentlichungen handelte, gemeint sei: mit oder ohne Papier? Er sagte: ›Wie kann denn diese Begünstigung des kostenfreien Druckes anders als mit dem Papier verstanden werden? Kann man denn in die Luft drucken und ohne Papier? Wo hat man je gehört, daß, wenn etwas auf Kosten des Hofes gedruckt wird, dieser sich das Papier zahlen läßt? Es unterliegt keinem Anstande, daß Sie dies der Akademie als meine Meinung sagen; sollte man eine Deputation mit dieser Frage an mich schicken, so werde ich sie empfangen und ihr dasselbe wiederholen.‹[410] In der nächsten Sitzung der philologischen Klasse klagte Karajan, ihr Präsident, über die üblen Finanzzustände, er hatte auch einen Posten von fünf- bis sechstausend Gulden für das Papier in den Voranschlag aufgenommen. Dagegen protestierte ich und erzählte meine Vorsprachen beim Kurator und beim Fürsten Metternich und die Antwort, welche mir letzterer gab. Trotzdem teilten die meisten Mitglieder die Ansicht Karajans, daß künftig die Papierkosten zu bezahlen seien und stimmten für die Beibehaltung dieses Postens im Voranschlage.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 404-411.
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