XL. Schluß der Erinnerungen 1852.

[411] Nachdem ich die Papierfrage der Akademie sowohl mit dem Kurator als mit Fürst Metternich und Freiherrn von Kübeck besprochen hatte, glaubte ich sie erledigt. Erst am 3. März erfuhr ich zu meiner Entrüstung, daß der Kurator die Angelegenheit dem Kaiser nicht vorgetragen, sondern dem Ansinnen des Finanzministers seine Zustimmung gegeben hatte. Dieser, obwohl Präsident der Akademie, hatte geäußert: ›Die Frage kann doppelt ausgelegt werden, nämlich dahin, daß der Druck allein, oder der Druck und das Papier in den Statuten bewilligt wurde.‹ Nach den Äußerungen Fürst Metternichs und Baron Kübecks war diese Auslegung vollständig unrichtig, und es war auch in den verflossenen fünf Jahren nie anders verstanden worden, als daß Druck und Papier bewilligt worden waren. Offenbar hatte Baron Kübeck seine Zusage, darüber mit dem Finanzminister zu sprechen, ganz vergessen. Am nächsten Tage ging ich zu Fürst Metternich und bat ihn, den Baron Kübeck an seine Zusage, mit dem Finanzminister zu sprechen, zu erinnern. Der Fürst versprach dies und hielt Wort. Ihm wie Freiherrn von Kübeck mußte daran gelegen sein, daß das, was sie als Minister zugunsten der Akademie bestimmt hatten, nicht durch ihre Nachfolger verstümmelt werde.

Schon in der nächsten Klassensitzung äußerte Karajan, er habe gehört, daß die Forderung der Zahlung des Papiers aufgehoben werde. Am folgenden Abend traf ich Baumgartner in einem musikalischen Abend bei Baronin Geymüller,[411] ich fragte ihn, ob die Äußerung Karajans richtig sei. Er bestätigte sie, setzte aber hinzu, man solle nicht darüber sprechen, sondern die Sache einschlafen lassen. Am 10. März war Graf Hans Karl Dietrichstein im Alter von achtzig Jahren begraben worden. Ich hatte mich bei der Beisetzung erkältet und konnte nicht ausgehen, sonst wäre ich sofort zu Fürst Metternich gegangen, um ihm zu danken. Als ich gegen Ende März wieder ausgehen konnte, war mein erster Weg zum Fürsten Dietrichstein, um ihm meine Teilnahme am Tode seines Bruders persönlich auszusprechen, und meine erste Abendausfahrt zum Fürsten Metternich, um ihm den guten Erfolg seiner Intervention bei Baron Kübeck zu melden und ihm dafür zu danken.

Kaiser Nikolaus von Rußland wurde in Wien erwartet, ich begab mich zu Herrn von Meyendorff, dem Gesandten, und bat, mich zur Audienz aufzuschreiben. Es blieb bei dieser Förmlichkeit, da der Kaiser keine Audienzen erteilte. Er empfing nur Generäle und Minister und keine Hofräte und Schriftsteller. Herr von Meyendorff war ein großer Liebhaber aller Wissenschaften, ich kündigte ihm an, daß ich ihm in den nächsten Tagen ein Exemplar meiner Abhandlung über die Daimonologie der Moslimen senden würde, die gerade unter der Presse war. Ich hatte diese Abhandlung nur geschrieben, um als Beleg das Amulett Lord Byrons in Text und Übersetzung vor die Öffentlichkeit zu bringen. Ich veranlaßte auch, daß der Direktor der Staatsdruckerei, Auer, Herrn von Meyendorff ein Exemplar der ausgezeichneten Übersetzung des ›Fruchtgartens Saadis‹, die Freiherr von Schlechta mir gewidmet hatte, zusandte.

Auch dem Fürsten Metternich sandte ich gleich den ersten Abzug der Daimonologie mit meinen Wünschen zu seinem achtzigsten Geburtstag, und als ich noch einige Abzüge erhielt, erachtete ich es als meine Pflicht, dem Nachfolger des Fürsten Schwarzenberg, dem Grafen Buol, einen und einen Abdruck meines akademischen Vortrages zu überreichen. Bei meiner ersten Aufwartung traf ich den Minister nicht an und ließ die Druckschriften in seinem Bureau. Bei meinem nächsten Versuche traf ich einige Diplomaten in seinem Vorzimmer, darunter den soeben aus Konstantinopel[412] eingetroffenen Baron Schlechta. Ich versprach, ihm bei dem Minister gerechtes Zeugnis über seine ausgezeichneten Leistungen in den orientalischen Sprachen zu erteilen. Nachdem ich zwei Stunden gewartet hatte, kam ich vor und sagte: ›Erlauben Eure Exzellenz, daß ich, ehe ich von mir selbst spreche, dem jungen Baron Schlechta das ehrenvollste Zeugnis für seine Leistungen als Orientalist gebe. Er hat sich durch ausgezeichnete Übersetzungen einen ehrenvollen Namen gemacht, genau so, wie unter den Türken durch seinen türkischen Auszug des Staats- und Völkerrechtes Mitravis, der in Konstantinopel auf Kosten der Pforte gedruckt wurde.‹ Dann fuhr ich fort: ›Ich weiß, daß Eure Exzellenz nicht Ministerpräsident sind, daß der Gegenstand Sie, als Minister des Äußeren, nicht unmittelbar angeht, aber ich möchte Sie, als meinen Chef, doch davon in Kenntnis setzen, daß ich vom Ministerrate einstimmig zur Ernennung zum Geheimen Rate vorgeschlagen wurde.‹ Ich bat ihn, sich bei dem Minister des Innern von der Wahrheit meiner Worte zu überzeugen und sich den vom Kanzleidirektor des Ministerrates erstatteten Vortrag vorlegen zu lassen. Er antwortete sehr unverbindlich: ›Das werde ich nicht tun. Ich weiß davon gar nichts und es geht mich auch nicht im geringsten an.‹ ›Ich dachte doch,‹ sagte ich, ›daß meinen Chef die dem Ältesten seiner Untergebenen angetane Ungerechtigkeit etwas angehe und meinte einigen Anspruch auf die Erfüllung meiner Bitte zu haben.‹ Der Graf sagte: ›Sie haben ein ehrenvolles Amt als Hofrat und ein glückliches Alter – was wollen Sie mehr?‹ Darauf verbeugte ich mich und verließ das Kabinett.

Die einzigen Kandidaten, die man in der diplomatischen Welt nach dem Tode des Fürsten Schwarzenberg für seinen Platz für geeignet hielt, waren Graf Buol und Graf Colloredo. Mehr als einmal nannte ich den talentvollsten unserer Diplomaten, den Freiherrn von Prokesch, bekam aber immer die Antwort, von ihm könne keine Rede sein. Die einen sagten, er habe sich durch die Wärme, mit der er in Berlin Österreichs Interessen vertrat, mit Preußen verfeindet, das gegen ihn protestieren würde, die anderen, und besonders Fürst Dietrichstein, behaupteten, Rußland sei gegen ihn, er habe sich in Athen sein Mißfallen zugezogen und es habe schon[413] Einspruch erhoben, als er als Internuntius nach Konstantinopel kommen sollte.

In Döbling begann ich die Übersetzung des Hohen Liedes der Liebe der Araber, des ›Tajie‹ des mongolischen Dichters Ibnol Foridh, das trotz seiner großen Schwierigkeiten von Wortspielen und unübersetzbaren Alliterationen doch einen Schatz von Mystizismus, verbunden mit großem Zartgefühl und arabischer Ritterlichkeit, enthält. Die Übersetzung will ich meinem Freunde Umbreit widmen. Ich beabsichtige, mich in den nächsten drei Monaten mit dieser Arbeit und der mir durch den Hofrat von Thiersch im Namen des Königs von Bayern aufgetragenen Auswahl von hundert persischen, arabischen und türkischen Sprüchen zu widmen und mich dann wieder ausschließlich mit den Arbeiten für die Beendigung meiner Geschichte der arabischen Literatur zu befassen. Diese würde freilich, wenn ich sie vollenden sollte, zwölf Quartbände füllen, dazu werde ich wohl kaum mehr die Kraft haben. Möge die Akademie der Wissenschaften dieses Werk samt den nötigen Kommentaren zu Ende führen.

Die vielen Unannehmlichkeiten und Anfeindungen, die ich in der Akademie erfuhr, die großen Enttäuschungen, die mir das öffentliche Leben gebracht hat, können mich doch in meinem Entschlusse, auf meinem Platz in der Akademie geduldig auszuharren und den Rest meines Lebens den orientalischen Studien zu widmen, nicht wankend machen.


Hainfeld, am 29. September 1852.[414]

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 411-415.
Lizenz: