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[271] Erfüllt von künstlerischen, geselligen und Natureindrücken jeder Farbe, reich beladen mit persönlichen Erinnerungen, kehrte ich von meinem viermonatlichen Pariser Aufenthalt in meine stille Studierstube in Wien zurück. Da trat eine Erscheinung in mein Leben, die ich als ein unerwartetes Geschenk der Vorsehung hege und preise: Theodor Billroth. Nicht, als ob ich seiner hilfreichen chirurgischen Hand bedurft hätte, – er ist mir ohne Messer tief ins Herz gedrungen. Eines Morgens trat er bei mir ein: ein kräftiger, stattlicher Mann mit dichtem, braunem Vollbart, schön gewölbter Stirn und etwas tiefliegenden blauen Augen, aus denen Geist, Lebensfreude und Wohlwollen glänzten. Was mir die Ehre eines so auszeichnenden Besuches verschaffte? Ich konnte es nur ahnen: es war der Musiker in Billroth. Als ich im Sommer 1864 Zürich besuchte, hörte ich seinen Namen zum ersten Mal. »Wie schade, daß Billroth nicht da ist!« rief mir dort Professor Lübke entgegen. »Wenn nur Billroth nicht verreist wäre!« wiederholte der Komponist Theodor Kirchner, zu dem mich Lübke geführt hatte. »Billroth«, fügte er hinzu, »ist heute telegraphisch nach Luzern gerufen worden, um den im Duell mit Rakowitz schwer verwundeten Ferdinand Lassalle zu verbinden.« Meine Frage, was den berühmten Kliniker denn an mir interessieren könne, beantwortete man mir mit der Schilderung von Billroths großer Musikliebe und seines weit über den Dilettantismus hinüberreichenden Musiktalents. Er sei ein trefflicher Klavierspieler und versammle[271] ein Quartett bei sich, in welchem er selbst die zweite Geige oder auch die Viola übernehme. Die in Zürich versäumte Bekanntschaft wurde mir also zwei Jahre später doch in Wien zuteil. Glücklicherweise kannte ich Billroths Namen und Bedeutung sehr wohl und entging dem komischen Mißverständnis, welches ihm selbst bald nachher mit dem großen Rechtsgelehrten Professor Ihering in Wien begegnet ist. Ihering, als Professor an die Wiener Universität berufen, macht seine Antrittsbesuche und kommt auch zu Billroth während der Ordinationsstunde. »Ich heiße Ihering.« – »Womit kann ich dienen?« – »Ich heiße Ihering.« – Pause. – »Ja, was fehlt Ihnen?« – »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich heiße Ihering!« ruft barsch und gereizt der Professor des römischen Rechts, dreht sich um und stürzt davon. Billroth hat diese Ordinationsszene oft lachend erzählt und mit Recht gemeint, daß ein Mediziner doch nicht notwendig die Namen aller bedeutenden Juristen kennen müsse. Die beiden Herren haben sich übrigens später in geselligen Kreisen ganz gut gesprochen. War doch Ihering, bei allerdings hitzigerem Temperament als Billroth, ein ebenso geistvoller Mann und großer Musikfreund wie dieser.

Ein Glück für Wien, wie für Billroth selbst, daß er aus den engen Verhältnissen von Zürich in die Flut höherer, breiterer Wogen geworfen wurde. Ebenso eine Künstler- wie Gelehrtennatur, ein Forscher ohne Pedanterie, ein geselliges Talent voll Lebenslust und Lebensfrische, hing Billroth bald mit »klammernden Organen« an allem, was Wien Schönes, Großes, Sehenswertes bietet. Jeder Abend fand ihn in einem Theater oder Konzert, auf einem Ball, einer Maskerade oder Soirée, überall mit Leib und Seele bei der Sache. Nach Hause zurückgekehrt aus solcher Lustbarkeit, zündete er seine Studierlampe an und schrieb ununterbrochen bis zum frühen Morgen! In diesen Nachtstunden sind Billroths epochemachende Arbeiten entstanden. Dann verging der Vormittag auf der Klinik, wo der kühne Operateur bald die Bewunderung seiner Kollegen, der Abgott seiner Schüler ward. Nie ist mir eine ähnliche Arbeits- und Lebensenergie vorgekommen. »Ein außerordentlicher Mensch!« riefen bald die Ärzte, die Studenten, die Musiker – und wer nicht sonst.

Billroth erwarb das einstöckige Haus in der Alserstraße, das früher sein Kollege Hofrat Bamberger bewohnt hatte, und ließ insbesondere den geräumigen Musiksaal mit künstlerischem Geschmack[272] auszieren. Wieviel schöne Erinnerungen hängen an diesem, durch die beste Musik, die edelste Geselligkeit geweihten Saal! Seit jeher war Billroth ein warmer Verehrer von Brahms, den er auch persönlich von Zürich her kannte. Die drei Streichquartette, die beiden ersten Violinsonaten und andere Instrumentalwerke von Brahms sind bei Billroth zum ersten Male gespielt worden. Auch einzelne Vokalquartette und Frauenchöre hörten wir da früher als in öffentlichen Aufführungen. Das ältere Hellmesberger-Quartett und Brahms am Klavier besorgten die Kammermusik; auch Saint-Saëns, Amalie Joachim, Georg Henschel und andere fremde Künstler gaben hier gerne ihr Bestes. Billroth selbst wirkte nicht mit – also ein »Dilettant« von der seltenen guten Art, die nicht persönlich glänzen will –; er machte den liebenswürdigsten Hausherrn und verhielt sich während der Produktion, abseits in einem Fauteuil, als aufmerksamster, stillvergnügter Hörer. Den Musikabend schloß immer ein heiteres Souper – auch dafür pflegte Billroth als feiner Kenner und wählerischer Geist das Programm selbst zu verfassen. Mitunter gab es auch einen zwanglosen Herrenabend; Billroth hatte bald die besseren musikalischen Geister Wiens an sich herangezogen und sah Goldmark, Nottebohm, Door, Epstein, Brüll, Robert Fuchs, Richard von Perger, Kalbeck u.a. gern als seine Gäste. Den engeren musikalischen Dreibund bildeten aber doch wir Drei: Billroth, Brahms und ich. Es war ein gar traulicher Abend nach einer schönen Konzertaufführung, als Brahms und Billroth das brüderliche »Du« mit mir tauschten. Das hat mich mehr gefreut, als zwei Orden! Ich habe viel mit Billroth vierhändig gespielt, insbesondere alle neuen Sachen von Brahms, sobald sie im Arrangement gestochen oder soweit sie in Brahms Handschrift leserlich waren. Billroth war ein tüchtiger Spieler von mächtigem Anschlag, ein schneller Avistaleser und sicherer, treffender Beurteiler. Bei ersten Vorstellungen, namentlich in der Oper, fand ich sein Urteil oft von augenblicklichen Stimmungen beeinflußt, ihn aber stets bereit, dasselbe zu korrigieren, wenn späteres Hören ihm einen anderen Eindruck gemacht hatte.

Unser musikalischer Geschmack stimmte meistens überein, insbesondere bezüglich Brahms' und Richard Wagners. Ich besitze sehr viele Briefe, die mir Billroth, alle in später Nachtstunde, nach irgendeinem interessanten Opern- oder Konzertabend geschrieben, Briefe von zwölf, sechzehn und mehr Seiten seiner[273] weichen runden Handschrift. Alles im ersten Impuls ausgeströmt, ohne ängstliches Abwägen, ohne kritische Prätension, nur als treues Spiegelbild seines individuellen Empfindens. Wie schnitt das Messer des großen Chirurgen unbarmherzig ins Fleisch von Tristan und Isolde, von Siegfried, Wotan und Parsifal! Im persönlichen Verkehr von liebenswürdiger, guter Laune bewahrt Billroth stets jene wohltuende Gleichmäßigkeit der Temperatur, die uns kein Überspringen von Hitze in Kälte fürchten läßt. Niemals habe ich in den fünfundzwanzig Jahren unseres Verkehrs ihn zornig oder verdrießlich gesehen, niemals heftig oder anzüglich im Streite von Meinungsverschiedenheiten. Wie ein leichter Sonnenschein haftet stets ein freundliches Lächeln auf seinem Munde. Der Zauber, welchen diese mächtige und doch milde, harmonisch abgerundete Persönlichkeit auf alle ihr Nahetretenden ausübt, läßt sich schwer schildern; in mir zeitigte er eine tiefe, zärtliche Zuneigung. Unser Erwerb neuer bleibender Männerfreundschaften reicht selten über die Universitätsjahre hinaus; mit vierzig Jahren noch einen Freund zu finden, mit dem wir nicht bloß allgemeine Interessen besprechen, sondern vertrauensvoll intimes Wohl und Wehe austauschen, das ist ein seltenes Geschenk des Himmels.

Für die Lücken unseres Verkehrs, wie sie in Wien durch die Verschiedenheit des Berufs entstanden, entschädigte mich mancher Ausflug mit Billroth, mancher Besuch auf seiner Villa in St. Gilgen am Wolfgangsee. Das Frühjahr 1875 bescherte mir eine Reise mit Billroth nach Italien. Über Padua, Bologna und Florenz ging es nach Rom und Neapel, Capri, Sorrent und Amalfi. Billroth fand, daß ich ein guter Reisekamerad sei, weil auf der Reise mich alles freut und alles mir recht ist. Das war nicht schwer an seiner Seite. Später machte ich mit meiner Frau in Billroths Gesellschaft einen Ausflug an die Riviera, mit Stationen in den reizenden Orten San Remo, Mentone, Bordighera, Monte-Carlo, Nizza. Auch eine Osterwoche verbrachten wir mit Billroth in dem ihm vorzugsweise lieben Abbazia.

Ich wüßte keine Persönlichkeit, namentlich keine aus Norddeutschland herübergekommene, zu nennen, die in Wien eine so allgemeine Verehrung und Liebe genossen hätte wie Billroth. Das zeigte sich am deutlichsten bei seiner schweren Erkrankung im Frühjahr 1887. Vom frühesten Morgen bis zum späten Abend umstand eine dichte Menschenmenge sein Haus, jeden Augenblick[274] Nachricht verlangend. Alle Zeitungen brachten zweimal des Tages Bulletins über sein Befinden, sie waren das erste, wonach man begierig blätterte. Durch mehrere Tage galt Billroth für einen verlorenen Mann. Ich war wütend, wenn mir Leute mit dem Ausruf kamen: »Welcher Verlust für die Wissenschaft!« Was kümmerte mich die Wissenschaft – die wird sich schon weiter helfen. Auch große Ärzte werden wiederkommen. Aber der Mensch Billroth! Dieser einzige, auch ohne seine medizinische Kunst und Wissenschaft schlechterdings einzige Mensch, der wird nie seinesgleichen haben, wird so niemals wiederkommen! Zum Glück ist das Gefürchtete nicht eingetreten. Billroth ward gerettet durch seine energische Natur und eine beispiellose Pflege. Wien überströmte von Kundgebungen des freudigsten Dankgefühls. Bald hatte Billroth sich erholt und mit verdoppeltem Eifer seine Tätigkeit wieder aufgenommen. Die Jahre haben seine Kraft nicht gemindert, seinen Geist nicht getrübt, seine Empfänglichkeit für alles Schöne und Große nicht geschwächt; sie haben ihn nur noch milder und liebenswürdiger gemacht.

Jüngst, im Sommer 1893, ist eine Eisenbahn von Ischl nach Salzburg eröffnet worden, die über St. Gilgen geht und dicht hinter Billroths Villa eine Minute anhält. Das ist die »Haltestelle Billroth«. Es bewegte mich ganz eigentümlich froh, als der die Stationen ansagende Kondukteur mit lauter Stimme ausrief: Billroth! So ist dieser Name, welcher für alle Zukunft im goldenen Buch der Wissenschaft prangt, nun auch geographisch befestigt und popularisiert. Fügt es sich nicht schön, daß noch in spätesten Zeiten unzählige Reisende ihn werden ausrufen hören, leise angeweht von dem Genius des Ortes? Ich steige aus dem Waggon die kleine Waldböschung herab, welche zu der stattlichen Villa führt. Billroth kommt mir entgegen mit dem alten freundlichen Lächeln und reicht mir die Hand. Er trägt wollene Kniestrümpfe und einen Lodenrock; ein rotes Halstuch flatterte lose um den kräftigen Hals. Der weiße Patriarchenbart läßt seinen Kopf noch edler, schöner erscheinen als vor fünfundzwanzig Jahren. In der offenen Halle, mit dem herrlichen Ausblick auf den See, begrüßen wir Billroths hochgebildete, von lebhaftem Geist bewegte Frau und die drei Töchter, Else, Martha und Helene, in ihrer schmucken, steierischen Bauerntracht. In dem Garten, der, wie das Landhaus selbst, Billroths eigenste Schöpfung ist, bilden die Rosenstöcke den Gegenstand seiner besonderen Sorgfalt und[275] Vorliebe. Von Zeit zu Zeit hält er im Gespräch inne, um ein unnützes Zweiglein abzuschneiden oder eine sich neigende Rose zu befestigen. Nur zu schnell ist mir der Tag entschwunden. Brahms kommt von Ischl herüber und holt mich ab. Die Lokomotive mit dem kleinen Eisenbahnzug dampft heran, der Kondukteur ruft sein »Billroth!«, und wir fahren bewegten Herzens von dannen. Von unten winkt uns noch lange die treue Hand des Freundes nach. Der Name »Billroth« bezeichnet eine der lieblichsten Stationen des neuen Schienenwegs und eine der schönsten auf meiner ganzen Lebensreise.


Nachwort (Mai 1894)


Vorstehendes Kapitel hat Billroth im Februarheft der »Deutschen Rundschau« wenige Tage vor seinem Tode gelesen. Ich kann es nicht über mich bringen, etwas daran zu ändern, denn – wie Billroths Schwiegersohn Dr. Otto Gottlieb mir aus Abbazia schrieb – ist es »die letzte Freude seines Lebens« gewesen. So mag denn das Kapitel ganz so stehen bleiben, wie es war, als Billroths brechende Augen darauf ruhten.

Die Besserung in Billroths Befinden war nur scheinbar, nur vorübergehend gewesen. Sein Herzleiden steigerte sich allmählich und bereitete ihm quälende Atemnot. Am 11. September 1893 war er noch eigens von St. Gilgen nach Salzburg gekommen, um dort meinen 68. Geburtstag mit mir und meiner Frau zu feiern. Er hatte einen erträglich guten Tag, war heiter, herzlich und mitteilsam. Den Weihnachtsabend verbrachte er noch mit seiner Familie in Wien. Dann eilte er allein nach seinem geliebten Abbazia, um sich dort »zu erholen« – in Wahrheit, um ruhig dort zu sterben. Er hegte keine Illusion über sein nahes Ende. »Armes Herz!« mit diesem Wehruf schloß er seinen Neujahrsbrief an mich. Bald darauf, am 5. Februar, hatte das »arme Herz« zu schlagen aufgehört. »Man wird mich mit viel Liebe begraben«, schrieb mir Billroth in einem seiner letzten Briefe. Das ist eingetroffen und in viel, viel höherem Maße als er selbst ahnen konnte. Ganz Wien – in Wahrheit Billroths zweite Witwe – trauert an seiner Bahre. Angesichts dieses allgemeinen großen Verlustes will ich nicht aussprechen, was ich persönlich an Billroth verlor.


Im Anhang dieses Buches biete ich dem Leser eine Auswahl aus Billroths Briefen an mich. Tatsächlich ein Stück »aus meinem[276] Leben«, finden sie hier ihren rechten Platz. Man wird aus diesen intimen Mitteilungen erst den ganzen großen und liebenswerten Menschen kennen lernen1. Der medizinischen Welt hat Billroth Wunderdinge geboten, die wir Laien nicht verstehen können; uns andere überhäufte er mit Schätzen des Geistes und des Herzens, die jeder versteht und die jeden beglücken. Welchen Reichtum vertraulicher Mitteilungen hat Billroth im Laufe von 26 Jahren mir zugesandt! Von der ersten Einladung zu einem »ungezwungenen Herrenabend« 1867 bis zu dem letzten Billett aus Abbazia, worin der Schwerkranke mir für das Billroth-Kapitel in meinen Erinnerungen dankt und mit den Worten schließt: »Ein ausführlicher Brief folgt nach.« Dieser Brief ist nicht mehr geschrieben worden – der erste und einzige Fall, wo der Freund mir nicht Wort gehalten hat.

Billroth war auch als Briefschreiber eine ungewöhnliche, imponierende Erscheinung. Er schrieb nach aufreibendem Tagewerk seine Briefe meistens gegen Mitternacht oder noch später; da fühlte er noch das Bedürfnis, sich zwanglos auszusprechen über die Musik, die Bücher, die Ereignisse, die ihn eben beschäftigten, über alles, was seinen Geist, sein Gemüt bewegte. Darin mahnt er fast an die entschwundene Literaturperiode der umfangreichen, intimen Briefe, die heute in der rasenden Bewegungsschnelle des modernen Lebens den lakonischen Korrespondenz-Billetten und Postkarten Platz gemacht haben. Die Auswahl ist mir allerdings schwer gefallen und diejenigen Briefe, die mich am meisten gefreut, mußten zu allererst beseitigt werden. Denn Billroth ließ in seiner grenzenlosen Liebenswürdigkeit kaum ein Feuilleton von mir vorübergehen, ohne mir einige herzlich zustimmende Worte darüber zu schreiben. Sie haben in Momenten der Selbstbezweifelung, wie sie ja mit den Jahren zunehmen, mich jedesmal erquickt und aufgemuntert. »Un bon approbateur« ist nach dem französischen Sprüchwort oft soviel wert wie un bon correcteur. Auch andere intime Mitteilungen, schöne Zeugnisse seiner unbedingten Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit, konnten hier nicht Aufnahme finden. So bleiben denn in letzter[277] Linie Billroths Briefe über musikalische und literarische Werke als Äußerungen von allgemeinem Interesse stehen. Ein reiches Gedankenleben, feinsinnig und entschieden zugleich, liegt entfaltet vor uns da. Es ist ein lautes Denken vor dem Freunde, einmal ein Selbstgespräch, das von einem lieben Zeugen belauscht sein will, dann wieder anmutig beredte und geistreiche Mitteilung, die nicht müde wird, sich in wechselnden Wendungen auszusprechen. So mächtig Billroth als genialer Chirurg wissenschaftlich und praktisch nach außen wirkte, so war hingegen sein innerstes Seelenleben von eigenartiger Zartheit und Tiefe, ganz durchklungen von Musik, und sonst auch nur höheren Anschauungen zugewendet. Aber der Drang, zu untersuchen, zu prüfen, zu sondieren, der ihm von seiner wissenschaftlichen Methode und Praxis eigen war, wendet sich auch gegen ihn selbst, und er sondiert oft ganz subtil seine Stimmungen, seine inneren Zustände, sein Verhältnis zu den Kunsteindrücken. Ihm auf solchen Wegen der Selbstschau in den Briefen zu begegnen, hat einen ganz besonderen Reiz.

Noch steht Billroths ideale Gestalt lebendig vor unseren Augen, noch klingt der warme Ton seiner Stimme deutlich in uns nach. Wir werden nimmer seinesgleichen sehen. An der Schwelle des prosaisch-praktischen neuen Jahrhunderts steht Billroth als der ganz einzige große Arzt, den ein poetischer und romantischer Hauch umwittert und von dessen Künstlernatur und reinem Menschenadel ein alle Herzen bezwingender Zauber ausging. Sein berühmter Kollege Nothnagel hat ihn schön und treffend mit einem geschliffenen Edelstein verglichen: »Von welcher Seite man ihn betrachten mag, immer leuchtet er in neuer Pracht.«

1

Statt der hier erwähnten Briefe von Billroth werden in dieser Ausgabe drei charakteristische Aufsätze von Eduard Hanslick abgedruckt, nämlich:

Grillparzer und die Musik

Begegnungen mit Friedrich Theodor Vischer

R. Wagners »Parsifal«

P.W.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 271-278.
Lizenz:

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