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[128] Den Anstoß dazu gab der Kunsthistoriker Dr. Gustav Heider, der im Unterrichtsministerium angestellt und beim Minister besonders beliebt war. Bei wem wäre er nicht beliebt gewesen, der stattliche Mann mit dem schönen Kopf, dem treuen Herzen und dem unerschöpflichen Humor! Seine Aufrichtigkeit hatte ihm ein förmliches Privilegium errungen, allen alles gerad' heraus zu sagen, mit oder ohne Grobheit. Dieser Mann, der durch sein Wissen und durch seinen energischen Geist dem Unterrichtsministerium die wertvollsten Dienste geleistet hat, sah sich als Sektionschef eines Tags plötzlich pensioniert. Seine unverblümt liberale und deutsche Gesinnung soll dem Klerus und den »interessanten Nationalitäten« unbequem geworden sein. Man hat ihn in den Freiherrenstand erhoben und in die Untätigkeit hinabgetaucht. Ich hatte Heider durch Professor Eitelberger kennengelernt, an dessen »Literaturblatt« zur »Wiener Zeitung« wir beide mitarbeiteten. Zu Heider von allem Anfang sympathisch hingezogen, ergriff ich mit Freude seinen Vorschlag, ins Unterrichtsministerium überzutreten. Er stellte mich dem Minister, Graf Leo Thun vor, der in einer kurzen Audienz mich in Universitätsangelegenheiten nicht uneingeweiht fand, und die Sache war abgetan.[128] Ich wurde ins Unterrichtsministerium berufen und dem Universitäts-Departement zugeteilt.

Das war ein anderes Leben als im Finanzministerium! Schon dadurch, daß die Aufgabe der Unterrichtsverwaltung eine idealere ist und bei ihren Beamten ein wissenschaftliches, literarisches, künstlerisches Interesse voraussetzt, fühlten wir uns alle einander nähergerückt. Auch der weniger zahlreiche Personalstand befördert ein gemütliches Zusammenwirken. Nächst Heider ragten zwei jüngere Beamte, beide Tiroler, durch Talent und umfassende Bildung hervor: Rudolf Kink und Vincenz von Ehrhart. Ersterer hat im Auftrage des Ministers die erste aktenmäßige Geschichte der Wiener Universität geschrieben. Letzterer gehörte dem Innsbrucker Dichterkreise an, der – mit Adolf Pichler und Hermann von Gilm an der Spitze – im Vormärz das poetisch-freisinnige »Jung-Tirol« repräsentierte. Ehrhart, von dem wir ein Bändchen sinniger, edelgeformter Gedichte besitzen, war als hochgebildeter Beamter und guter Stilist eine Zierde des Ministeriums. Von seiner strenggläubigen tiroler Erziehung und Umgebung war ihm nichts konfessionell Beschränktes, nichts Pfäffisches zurückgeblieben, wohl aber eine Reinheit des Gemüts und eine sittlich strenge Lebensführung, wie ich sie häufig an Tirolern wahrgenommen habe. Mit Heider und Ehrhart verband mich schnell die herzlichste Freundschaft, von allen Kollegen im Ministerium standen sie mir am nächsten. Erst mehrere Jahre später trat Dr. August von Honstetter ins Ministerium ein, heute ein wertvolles Direktionsmitglied der »Wiener Künstlergenossenschaft« und einer der sehr wenigen guten Freunde, die mir von so vielen noch geblieben sind. Ehrhart ist im Jahre 1873 im rüstigsten Alter als Ministerialrat gestorben. Nicht nur mit meinen Kollegen, auch mit meinen Vorgesetzten konnte ich zufrieden sein, in der Regel ein seltener Fall. Ich war dem Ministerialrat Tomaschek zugeteilt, der 1847 mein Professor gewesen und der als Mitredakteur der »Kaiserl. Wiener Zeitung« mich bei diesem Blatt installiert hatte. Er war eine zaghafte, aber freundliche Natur, großer Musikfreund und deshalb auch nachsichtig gegen meine musikalische Nebenbeschäftigung.

Endlich der Minister selbst, Graf Leo Thun! Von dem Manne ging ein eigener Zauber aus, dem sich niemand entziehen konnte. Auf der hohen, edlen Gestalt saß ein höchst ausdrucksvoller Kopf, aus dem zwei etwas tiefliegende, von buschigen Brauen beschattete[129] schwarze Augen leuchteten. Sein Blick hatte für den ersten Eindruck etwas Finsteres, konnte sich aber gar wohlwollend und liebenswürdig erhellen. Mit dem ernsten, dunklen Blick harmonierte die ernste, dunkle Stimme, ein Baß von seltener Tiefe, aber weichem Wohllaut. Gerade aus diesen Augen und aus dieser Stimme, deren düsterer Ernst so viele abschreckte, quoll die faszinierende Macht, von welcher ich früher sprach. Ich hätte Leo Thun immer ansehen, seiner Stimme immer lauschen mögen. Darum war ich glücklich, wenn er mich in einer Amtsangelegenheit rufen ließ, selbst wenn ich argwöhnte, er werde mir eine Ausstellung machen. Denn er las und prüfte jeden Akt aufs genaueste. Von seiner Tätigkeit als Minister zu sprechen, ist hier nicht meine Sache. Die Reformen, die das österreichische Schulwesen in seiner verworrensten, hülfsbedürftigsten Zeit ihm verdankt, sind unschätzbar und unvergessen. In seiner ersten Ministerperiode trat auch Thuns ultramontaner Standpunkt keineswegs hemmend hervor; berief er doch eine Reihe der ausgezeichnetsten protestantischen Professoren aus dem Deutschen Reich nach Österreich. Mit der Zeit nahm aber seine religiöse Strenge und seine Deferenz vor den Bischöfen in unheilvoller Weise zu und kreuzte nicht selten die Interessen des Unterrichts und der Wissenschaft. Ein treffendes Witzwort Ungers verglich den Grafen Thun mit Penelope: was er tagsüber als Unterrichtsminister geschaffen, trennte er nachts als Kultusminister wieder auf. Aus einem ähnlichen Gedanken entsprang das Epigramm Grillparzers:


»Ihr Herren laßt Euch sagen!

Der Kultus hat den Unterricht erschlagen!«

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 128-130.
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