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[100] Ich hatte im Jahre 1849 mit großen Fleiße nachgeholt, was durch den politischen Sturm des Jahres 48 zurückgedrängt worden war.[100] Das Winterhalbjahr gehörte der Hofkammerprokuratur, deren jüngster Konzeptspraktikant ich geworden, das Sommersemester der Kriminalpraxis im Landesgericht. Drei juridische Rigorosen und die Richteramtsprüfung waren »mit Auszeichnung« abgelegt. Ich war nun Doktor der Rechte und geprüfter Richter, – welche Opfer an Zeit, Anstrengung und Geld hat es bedurft, um diese Würden zu erreichen, die für meinen späteren Beruf von gar keinem Nutzen waren! Sich in einer Wissenschaft und deren praktischer Anwendung heimisch gemacht, überhaupt ernsthafte Kenntnisse erworben zu haben, darf uns niemals reuen. Nur der Gedanke schmerzt mich, daß es mir nicht vergönnt gewesen, die Zeit und Mühe, die mich das Studium der Rechte gekostet, auf mein Lieblingsfach, die Musik zu verwenden.

Und dennoch – mittelbar, auf weitem Umweg, hat mich die Beamtenkarriere schließlich zu dem ersehnten Ziel, der Musikprofessur, geführt. Denn nur als Beamter des Unterrichtsministeriums unter Leo Thun, der meine musikalischen Bestrebungen wohlwollend beurteilte, vermochte ich mir allmählich den Weg zu bahnen zu meiner jetzigen Stellung. Die Mauer, die mich für immer von meinem Ziele abzusperren schien, ward mir zur Brücke. Das konnte ich damals, im Jahre 49, freilich noch nicht hoffen. Ich war einmal in den Staatsdienst getreten und mußte trachten, darin vorwärts zu kommen, durfte nicht murren, wenn die ersten Konsequenzen dieses Berufs mich schmerzlich drückten. Und das taten sie in hohem Grade. Da viele der tüchtigsten Fiskalbeamten zu den neu errichteten Staatsanwaltschaften übertraten, entstand plötzlich bei den Fiskalämtern in der Provinz ein Mangel an Arbeitskräften. Es ergingen Notrufe nach Wien um rasche Aushülfe. Unter den Konzeptspraktikanten der Hofkammerprokuratur, die als Aushülfsreferenten in die Provinz abgesandt wurden, war ich einer der jüngsten und unerfahrensten. Ich wurde dem Fiskalamt in Klagenfurt zugeteilt und bezog für die Dauer meiner dortigen Verwendung eine Remuneration (nicht »Gehalt«) von 50 Gulden monatlich. Diese Summe schien mir zwar an sich recht ansehnlich; aber sie hätte, auch zehnmal größer, mich nicht mit meiner neuen Bestimmung zu versöhnen vermocht. In Wien ließ ich ja alles zurück, was mir lieb war, mir das Leben verschönte: meine Verwandten, meine Freunde, musikalische Genüsse und wissenschaftliche Bildungsmittel, eine Atmosphäre edelster Geselligkeit! Obendrein hatte ich hier als Musikkritiker[101] der »Wiener Zeitung« eine Nebenbeschäftigung, die mir lieber und wichtiger war als mein offizieller Beruf. Mein Name hatte eben begonnen, in den musikalischen Kreisen bekannt zu werden, – und alles sollte ich plötzlich verlassen, um als Beamter und nur als Beamter in einer entlegenen Provinzialstadt, Gott weiß wie lange, zu vegetieren! Im Februar 1850 nahm ich schmerzlich bewegt Abschied von den Freunden, von der Musik, Abschied von Wien, Abschied von einem geliebten Mädchen, dessen Hand ich durch ein baldiges Avancement zu erringen hoffte.

Es ist alles ganz anders gekommen.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 100-102.
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