I. Aus den Kinderjahren

[86] Die erste dramatische Darstellung, welcher ich beiwohnte war die eines Trauerspiels in einem Privathause. Da die Darstellenden Dilettanten waren, so hatte sie eine unbesiegbare Lust in mir erweckt, ebenfalls Komödie zu spielen. Die Bitte an meine Eltern um die Erlaubniß, mich an den, öfters stattfindenden, dramatischen Vorstellungen thätigen Antheil nehmen zu lassen, wurde mir mit mehr Liebe als Einsicht von ihrer Seite gewährt. Auch die Darstellenden nahmen mich freundlich in ihren Verein auf, ungeachtet ich erst 8 bis 9 Jahre zählte, denn ich war für mein Alter sehr groß. Und so sollte ich denn zunächst in einer Operette als Landmädchen auftreten.

Ich war überglücklich, und in der That fing die fröhlichste Zeit für mich an. Die vielen Proben unterbrachen die Einförmigkeit des häuslichen Lebens aufs heiterste, und nächstdem war meiner Eitelkeit durch das Zusammenwirken mit Erwachsenen höchlichst geschmeichelt. Ein sehr musikalischer junger Mann, der sich für das lustige Unternehmen lebhaft interessirte, hatte es übernommen uns die Gesänge[87] einzustudieren. Ich dachte nur immer an die Zeit, zu welcher ich ihn zu diesem Zwecke bei mir zu erwarten hatte, und nahte sie, so trieb mich meine Ungeduld vor die Hausthür, von wo ich ausschaute, ob er denn immer noch nicht mit seiner Violine ankomme. Ja zuletzt gesellte sich zu dem Interesse für die Sache welche der junge Mann förderte ein sehr lebhaftes für seine Person.

Endlich war alles aufs beste eingerichtet, einstudirt, ein- und anprobirt. Denn selbst an den Costümen fehlte nichts mehr, und ich gefiel mir in dem Meinen so sehr, daß es mir noch heute vor Augen steht. Ein weißseidener Rock mit rosafarbenen Bändern besetzt, ein rosafarbenes Mieder, und alles mit glänzenden Silberflittern geschmückt, ein weißseidenes Hütchen mit vielen Porzellanblumen, – was konnte man sich Schöneres denken! – Schon war der nahe Tag der Aufführung bestimmt und das Theater, diesmal im Hause einer reichen Jüdin – wie denn auch alle Mitwirkenden Juden waren – aufgeschlagen, als plötzlich ein vernichtender Blitzstrahl in den frohen Kreis hineinfiel, und zwar in Gestalt eines Verbotes der Aufführung seitens der Gemeindeältesten.

Diese, welche aus den reichsten und angesehensten aber auch orthodoxesten Gemeindegliedern bestanden, regierten damals die jüdische Gemeinde fast unbeschränkt, und ihnen gab unsere, ihnen kund gewordene weltliche Belustigung schweren Anstoß. Eine Auflehnung gegen dieses Verbot, oder gar eine Nichtbefolgung desselben wäre in jener Zeit etwas Unthunliches gewesen. Wir waren höchst unglücklich. Man lief zueinander und durcheinander, angesehene Gemeindeglieder, weniger strengen Sinnes als die Vorsteher, verwendeten[88] sich für uns, man ging mehrere der Letzteren privatim an, – alles, alles vergebens!

Da faßte ich den Entschluß, mich am nächsten Sonntage, als dem Versammlungstage der Gemeindevorsteher, vor die ehrwürdigen Herren zu stellen, und um Gestattung der unschuldigen Belustigung zu bitten; aber ich sagte Niemandem von meinem Vorsatze, weder den Mitgliedern der Gesellschaft noch meinen Eltern. So ging ich denn an dem bestimmten Tage allein in den Versammlungssaal, und plötzlich stand das kleine dreiste Mädchen vor dem Gitter, hinter welchem die ehrwürdigen Väter der Gemeinde Rath hielten, die bald mich, bald sich untereinander mit Blicken höchsten Erstaunens ansahen. Zuerst sprach ich bittende Worte. Sie schienen wirkungslos. Mein Selbstgefühl war gekränkt, und ich erklärte ihnen nun mit gehobener Stimme, es zieme sich für so bejahrte und ernste Männer gar nicht, sich um Kinderspiele zu bekümmern! – War's dieser Grund, war's meine ganze Erscheinung welches wirkte, kurz ich erreichte meinen Zweck!

Außer mir vor Freude, lief ich jetzt von einem Mitgliede der Gesellschaft zum andern, um die beglückende Kunde zu bringen. Es war Winter, ich glitt, ich fiel, ich erhielt beim Nachhausekommen von meinen Eltern, die mich vermißt hatten, wohlverdiente Vorwürfe, alles ging in der Freude meines Herzens spurlos an mir vorüber.

Die Vorstellung fand statt, und noch zwei andere folgten ihr. Man bewunderte mein Spiel, meinen Gesang, und vor Allem meine Gestalt und mein Gesichtchen, man hob mich nach beendigtem Schauspiel von der Bühne hinab, und küßte und herzte mich, man sagte mir höchst Schmeichelhaftes,[89] kurz man that alles was mich verderben konnte, und dies wäre erreicht worden, hätte nicht eine bessere Einsicht der Eltern bald meiner Mitwirkung auf den Brettern ein Ende gemacht.

Es folgte hierauf eine lange Fastenzeit für meine Theaterliebhaberei. Nur einmal jährlich wurde ich von meinen Eltern in das Theater mitgenommen. Es war die Blüthezeit der Mara. Ungeachtet die Näschereien, welche ebenfalls mitgenommen wurden, meine Aufmerksamkeit ziemlich in gleichem Maße in Anspruch nahmen wie diese große Sängerin, so erinnere ich mich dennoch ihrer wunderherrlichen Stimme noch heute. Sang sie die durch sie berühmt gewordene Arie: mi paventi, so war die Wirkung, welche sie auf das volle Haus machte, fast zauberhaft. Zur Zeit Friedrichs des Großen bestand das Publikum des Parterres ausschließlich aus Soldaten, welche auf Befehl des Königs in die Oper geführt wurden. Wir hatten unsere Plätze in einer Parquet-Loge, und oft störte uns das Geräusch, welches die Masse der dicht aneinander gedrängten Soldaten fast nothwendig verursachen mußte wenn sich auch nur einige von ihnen bewegten, oder auch ihr Geflüster, denn laut durften sie freilich nicht werden. Sang aber die Mara eine Bravourarie, so hörte man auch von diesen, damals zum großen Theil sehr rohen Soldaten nicht den geringsten Laut, oder auch nur eine Bewegung. Mit zurückgehaltenem Athem standen selbst sie da, die lautloseste Stille herrschte im ganzen Hause. Hatte die große Sängerin geendet, so ging ein tiefer Athemzug durch die ganze gedrängte Menge.

Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 86-90.
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