Briefe an den Herausgeber der »Hamburger Nachrichten«.

[46] Sie sagen mir freundlichst, daß Manche gern lesen, was ich schreibe. Es wird mir oft gesagt – das will aber nichts bedeuten – es wurde bisweilen gedruckt, und das sagt schon mehr, denn veröffentlichtes Lob zeugt von der Opferfreudigkeit derer, von welchen es ausgeht – der unwiderlegliche Beweis aber für Ihre Behauptung, der einzige vollgütige, ist der, daß anerkannt gescheite Herausgeber bedeutender Zeitungen mich um Beiträge angehen und bereit sind, dieselben zu honoriren. Honoriren, welch ein verbindlicher, echt französischer Ausdruck! Man fühlt sich geehrt, indem man zahlt – und geehrt, indem man bezahlt wird. Und handelt es sich bei den meisten Dingen, welche die Geister bewegen, die Leidenschaften erregen, nicht um's Honorar? Freihandel und Schutzzoll, Unfallversicherungen und Invalidenkassen, Feldzüge in Tunesien und Aufstände in Irland, Verpflanzung europäischer Cultur in ferne Welttheile, wo man hinsieht und hinhört, überall begegnet man jenem Symbol des Werthes irdischer Dinge, wie glanzvoll auch die Fahne der Humanität darüber[47] flattern mag. – Fern liegt es mir, mit diesem Hinweis auf die bewegende Macht des Mein und Dein jenen Streitern zu nahe treten zu wollen, die für echtes, edles Menschenthum mit Geist und Herz kämpfen – sie thun es zu Gunsten Anderer. Liegt doch der Schwerpunct des humanen Fortschrittes darin, daß der Egoismus sich verwandle in Aufopferungspflicht.

Aber wohin gerathe ich, der ich plaudern wollte von meinen Dingen, die mit den Kämpfen um die höchsten oder wenigstens um die allgemeinsten Interessen der Völker so ganz und gar nichts zu thun haben. Von meiner unschuldigen Kunst, von ihren Wirkungen, von ihren hervorragenden Vertretern, ihrer Persönlichkeit und ihren Werken zu sprechen, das ist's, was man mir erlaubt, auch wohl von mir begehrt. Das ist ja auch ganz hübsch und findet Anklang bei denen, die lieben, was ich liebe – deren Erfahrungen ähnlich sind den meinen – und die mich denn mit den Worten ehren: »Sie haben mir ganz aus der Seele gesprochen.« Auch die Gleichgültigen lassen sich's gefallen, wenn es nur leidlich klingt. Aber wehe mir! bei solchen, die anderer Meinung sind – fanatischer wird's ja in den erdgeschichtlichsten Reichen nicht getrieben als in dem süßer Harmonie. Und gern gestehe ich zu, daß es sich hier nicht um den Bi-metallismus handelt – nicht einmal um den einfachen. Auch um die Sache handelt es sich nur in zweiter Reihe. Die Persönlichkeiten spielen die Hauptrolle – die Eingebildetheit auf die eigene Meinung – die Unverletzbarkeit derselben und desjenigen, dem man Vasallendienst zugeschworen.

Lob und Tadel muß ja sein und die Ansichten, Liebhabereien, Enthusiasmusse, Fanatismusse kämpfen ihren Kampf um's Dasein so gut wie aufstrebende und untergehende Völkerschaften. Thäten sie es nur mit etwas weniger Grobheit, ohne unwürdige Bosheit. Sagte sich doch jeder, daß er mit oder ohne Talent, Gold oder Ruhm eine Eintagsfliege ist und daß die weisen Dinge, die er mit der Ueberzeugung an seine Unfehlbarkeit vorbringt, sehr möglicher Weise in wenigen Jahren in die ungeheure Rumpelkammer geworfen sein werden, welche die Speicherräume des weitläufigen und stets[48] anwachsenden Gebäudes der Geschichte bilden, dessen Prachtsäle von einigen Dutzend Völkern und Männern bewohnt sind. Wird es unseren späteren Nachkommen leichter oder schwerer werden, sich Geschichtskenntnisse zu erwerben, als uns? Ich glaube das Erstere. Von den Forschern ist hier keine Rede, aber die Masse der Gebildeten wird sich damit begnügen müssen, von den Trägern der Kultur so viel zu erfahren, als unsere Kunstdilettanten von der Geschichte der Künste. Ein paar alte Schulen, Uebergangszeiten, einige hervortretende Epochen und Individuen, Wiederholungen ähnlicher Entwicklungen in geringern und bedeutendern Verhältnissen. Mit Siebenmeilenstiefeln reisen wir fast schon jetzt – mit Jahrhundert- – Jahrtausendstiefeln wird man über die Ebenen und Berge, die Wüsten und Meere der Geschichte hinwegeilen, um sich dann sagen zu dürfen, »wie herrlich weit man es gebracht«.

Und doch, – es gibt ein Schönes und ein Wahres – diese Hoffnung dürfen wir nicht sinken lassen, trotz aller Unbeständigkeit der Anschauungen. Ich spreche nicht von der materiellen oder gar mathematischen Wahrheit, die aus der Erkenntniß ewiger Gesetze hervorgeht – sondern von der Wahrheit im Schönen, von der Schönheit im Wahren. Allzu traurig würde es sein, wäre dem nicht so – wären die Schöpfungen der höchsten Genien der Menschheit nur schnell verwehte Erzeugnisse einer die Bedürfnisse des Augenblicks befriedigenden Geschicklichkeit. Ob unsere Welt jung oder alt, ist eine Frage, auf welche die Antwort verschiedenartig lauten wird, je nach dem Standpunct, auf welchen man sich stellt. Immerhin ist sie in Beziehung auf Pflege von Dichtung und Kunst alt genug, um der Ueberzeugung Raum zu geben, daß das, was nach Jahrhunderten, Jahrtausenden immer von Neuem zu liebender Bewunderung führt, ein Ewiges in sich tragen müsse. Quantitativ ist's nicht viel, was da Bestand hat – um so höher ist sein Werth, um so unermeßlicher seine Wirkung. Werke der Dichtung in Worten, in Farben, in Steinen sind uns geschenkt worden, an deren geistiger Größe, an deren Schönheit und Wahrheit Niemand zweifelt. Wie aber steht es mit der Poesie in Tönen, die gerade heute mehr als je die Welt[49] beherrscht, – deren Wirkung so stark ist, in solchem Grade Gemüth und Sinne gefangen nimmt, daß sie ans Pathologische grenzt? Mir scheint, die Musik, wie wir sie jetzt verstehen, sei eigentlich noch zu jung, um darüber zur Erkenntniß zu gelangen. Es gibt ewige herrliche Gesänge; von wem sie herrühren, wissen wir nicht. Haben aber unsere großen Meister Werke geschaffen, die so unsterblich sein werden wie ihre, in die Kunstgeschichte mit ehernen Buchstaben eingemeißelten Namen? In tausend Jahren, wenn wir's erleben, wollen wir mehr davon sprechen. Für jetzt dürfen wir uns immerhin darüber freuen, daß einige Männer da waren, groß und tief genug, um nach einem Jahrhundert uns zu erquicken, zu erwärmen, zu belehren, dermaßen, daß wir nicht nur ihren Schöpfungen, daß wir auch ihnen selbst unsere lebendigste Zuneigung schenken. Da es schließlich nichts Besseres auf dieser Welt gibt, als die Liebe, so sind wir ihnen nicht allein für die Freuden, die sie uns künstlerisch schenken, zu dauerndem Danke verpflichtet, sondern auch dafür, daß sie uns zu Trägern einer Liebe werden, die von alle den Unzuträglichkeiten, welche die Liebe zu Lebenden mit sich führt, unberührt sind und bleiben.

Das Wohlthuende solch warmer Sympathie empfand ich in diesen Tagen wieder aufs lebhafteste, als mich der zweite Theil von C.F. Pohl's Buch über Haydn beschäftigte und ich dazwischen hinein Quartette des großen Meisters in trefflicher Ausführung hörte. Mit welcher Hingabe, Gewissenhaftigkeit, kritischen Strenge Herr Pohl sich seiner schwierigen Arbeit gewidmet, ist nicht zu sagen – dafür gibt es kein Honorar als etwa der tausendstimmige Dank, der ihm zu Theil werden muß. Anziehender durch die Erzählung der abenteuerlichen Jugendzeit Haydn's war, wie es nicht anders sein kann, der erste Theil – in dem vorliegenden zweiten sehen wir den Meister inmitten seiner staunenswerthen, lange gleichmäßige Jahre andauernden Thätigkeit – der dritte und letzte wird uns ein Bild bringen, welches die deutsche Musikgeschichte kaum ein zweites Mal bietet – das eines Genies, welches im Glanze der Berühmtheit, in andauernder, sich steigernder Schöpfungskraft zu hohem, sorgenlosem[50] Alter gelangte. Nur Gluck erlebte Aehnliches – aber wie weit entfernt war sein Ruhm von der liebenden Verehrung, die Haydn genoß und die alle Kreise der musikliebenden Welt durchströmte!

Wenn ich Haydn's Meisterwerke höre, fühle ich mich beglückt, ganz zu vergessen, daß ich Musiker bin – und wenn ich dann wieder seine Partituren vor Augen habe, freue ich mich nicht minder – sie lesen zu dürfen. Und je älter ich werde, je höher steigt meine Bewunderung, je intensiver wird mein Genuß. Manche meiner jungen Collegen könnten vielleicht darin einen Beweis sehen, daß ich verkindsche – wie man hier am Rhein sich ausdrückt – ich wünsche ihnen für ihre Ideale bei zunehmenden Jahren gleiche Zunahme ihrer Verehrung.

Von einem lebenden, in seiner Weise großen und glänzenden Meister hat die letzte Zeit Betrübendes gebracht. Franz Liszt hat bekanntlich seiner Broschüre über die Musik der Zigeuner ein Post-scriptum angehängt, das Jedem, der ihn kennt, unbegreiflich erscheinen muß. Kaum habe ich einen Künstler gekannt, der in gleich liebenswürdiger Weise Jeden empfing, der sich ihm näherte – sich gleich ihm dem Unbedeutendsten verbindlich zu erzeigen wußte. Ein seltenes Anerkennungstalent scheint ihm angeboren – ja, man konnte nie daran zweifeln, daß ihm wahre, wirkliche Herzensgüte zu eigen. Und nun überbietet er plötzlich die fanatischsten Schreihälse durch einen antisemitischen Aufruf der gehässigsten Art, er, der frei wie Niemand dastehende Künstler, er, der fromme Priester des Gottes der Liebe. Die Wahrheit zu sagen – ich glaube nicht, daß er diese Bannbulle geschrieben – glaube auch nicht, daß sie von ihm herrührt. Warum er sie über sich ergehen ließ, die unvermeidlichen Folgen zu tragen sich entschloß, das ist freilich nicht erklärlich – nicht begreiflich.

Ich würde jedoch nicht davon sprechen (der absurde religiös-politische Theil, der die Hauptsache, liegt außerhalb meiner Sphäre), wenn sich nicht Streifzüge in das Gebiet der Kunst darin fänden, die, dem Anscheine nach unbefangener Art, den Erfolg haben könnten, harmlose Gemüther zu Gefangenen zu machen. Es wird da ein Kunstgriff angewendet, dessen Wesen ich nicht näher bezeichnen mag, der aber darin liegt, die jüdische Religion alten und neuen Datums,[51] die verschiedensten Zeiten, Gebildete und Ungebildete, die ursprüngliche Race, die gegenwärtige Nationalität, alles durcheinander zu werfen und schließlich das Volk Israel hinzustellen mit der Empfindungsweise, die ihm zu eigen gewesen sein mag, als es das Klagelied sang: »An den Wassern zu Babylon saßen wir und weinten.« Daß der Jude in seinem jetzigen Vaterlande Wurzel fassen, mit seiner Seele, seinem Geiste, seiner Liebe demselben angehören könne, diese Annahme wird bei Seite geschoben – das, was besteht, absichtlich ignorirt. Ist Simson, der erste Präsident eines deutschen Reichstages, eines höchsten deutschen Gerichtshofes, kein Deutscher? Ist es der Erzähler der Dorfgeschichten nicht, der tiefer ins Volk gedrungen als irgend einer seiner mitlebenden Mitbewerber? Und Heine, der freilich witziger ist, als man es im Germanischen zu sein pflegt, hat er nicht Lieder gesungen, welche sich den Goethe'schen anreihen? Ja, entgegnet man, die sind sammt und sonders dem jüdischen Gefühl untreu geworden. Die Herrlichkeit Salomo's sollen die Juden besingen, ihre Sehnsucht nach dem Lande der Väter, ihr schmerzliches Hangen und Bangen nach der Ankunft ihres Messias. Warum schlägt man aber unserem deutschen Kaiser nicht vor, einen Kreuzzug nach Palästina zu unternehmen – oder sich in Rom gleich Karl dem Großen vom Papste krönen zu lassen, – warum sehnt man sich nicht nach den germanischen Zuständen, wie sie Tacitus beschreibt und wie sie vielleicht in manchen Zügen unser Volk in einer idealischern Verklärung erscheinen lassen würde, als die gegenwärtigen Zustände? Diese, wird man mit Recht sagen, sind die Folge fast 2000jähriger Entwickelung. Wenn nun die Juden während dieser Zeit trotz aller Infamien, die man gegen sie begangen, den Kampf ums Dasein siegreich durchgeführt – wenn sie in der kurzen Epoche die verflossen, seit man ihnen erlaubt, sich als halbwegs Gleichberechtigte zu fühlen anderer Menschenkinder (die wahrlich zum großen Theil auch keine auserlesenen Kulturkämpfer sind), wenn sie, sage ich, in dieser kurzen Epoche durch ihren Ernst, ihren Fleiß, ihr hohes Streben das nachgeholt haben, was das Schicksal ihnen früher versagte, darf man ihnen antworten: ihr habt nicht das Recht, euch zu[52] betheiligen an unserer Bildung, an unseren Anschauungen, ihr müßt bei dem bleiben, was euch die Vergangenheit (und welch eine Vergangenheit!) gegeben, – wenn ihr thut, als gehörtet ihr zu uns, ist's eine Komödie, eine nichtige Angelerntheit, – ihr bestehlt unsere Vorrathskammern und braut Getränke aus unseren Stoffen, die zuweilen aussehen wie Wein und auch so schmecken mögen – wir wissen's aber besser, es ist alles nur Fälschung und eigentlich gehörtet ihr vor die Gerichte.

Verzeihen Sie, wenn ich allzu redselig werde – es ist wahrlich nicht meine Absicht, eine Abhandlung über die Semitenfrage zu schreiben. Doch komme ich jetzt auf die Puncte in der Liszt'schen(?) Expectoration, auf die ich es abgesehen. – Er schreibt unter Anderem:

»Wie auf der Bühne und in der Malerei, so ist die Kunst der Juden auch in der Musik nach der christlichen Schablone gerathen. Sie machen nicht einmal den Versuch, sich von unseren Methoden zu emancipiren; sie denken nicht daran, unsere Meister nicht nachzuahmen, andere Gefühle zu besitzen, andere Saiten anzuschlagen als die unseren. Meyerbeer that nichts, als die italienische und deutsche Schule zu vereinigen, neben einander zu stellen; die Combination war neu und sicherte ihm eine beispiellose Popularität, aber es war nichts als bloße Combination. Mendelssohn hat nur das gethan, was Händel vor ihm that, allerdings mit neueren, den Gewohnheiten unserer Zuhörer angepaßten Mitteln.«

Es wäre noch viel mehr zu citiren, aber das Wenige genügt. Der Hauptvorwurf, in welchem wenigstens ein Sinn liegen könnte, der jenen Auslassungen folgt, ist der – die Juden, die da glauben, daß Palästina in ihnen seine Befreier erwartet und dergleichen, hätten keine ihnen eigenthümliche Kunst geschaffen! Immer wieder die Octroyirung einer Nationalität und die Verquickung der Vergangenheit mit der Gegenwart. Doch sind die Hauptvertreter der musicalischen Opposition gegen die Componisten jüdischer Race nicht einig mit einander – denn während Wagner namentlich in der Mendelssohn'schen Musik in jedem Tact den Semiten herausfühlt, ruft Liszt aus: »Könnten etwa ein Oratorium von Mendelssohn, eine Oper[53] von Halévy nicht eben so gut von Christen gefühlt und erdacht sein?«

Der alte jüdische Gottesdienst besitzt eine große Anzahl ganz herrlicher und eigenthümlicher Gesänge – die Sammlung, die Cantor Baer in Gothenburg herausgegeben, ist ein wahrer Juwelenschrein. Ob aus denselben oder wenigstens mit Hülfe derselben eine besondere Gattung von Musik im heutigen Sinne sich hätte entwickeln können, ist eine Frage, die ich nicht zu beantworten versuche. Es bedurfte eines Jahrtausends, um unsere heutige Tonkunst zu gestalten. Die altchristlichen, zum großen Theil griechisch-römischen Gesänge spielten ihre Rolle in der Entwickelung derselben – was mußte aber nicht alles dazukommen? Man sollte wirklich glauben, unsere Musik sei eine rein germanische Schöpfung, wenn man diese Herren sprechen hört, während Niederländer und Franzosen, Italiener und Spanier, ja, sogar Engländer dabei mitgeholfen, während seit Jahrhunderten eine Schule von der andern, ein Tondichter vom andern entlehnte und lernte. Und nun sollte den Juden, wenn man ihnen denn die Ehre anthun will, sie heute noch, und zwar vor ihrer Rückkehr nach Palästina, als ein besonderes Volk anzusehen, nicht erlaubt sein, zu thun, was alle Nationen thaten? Mendelssohn habe von Bach und Händel viel gelernt – allerdings that er das – thäten es nur recht viele andere. Meyerbeer habe die italienische und die deutsche Schule vereinigt – aber in allen sogenannten Kunstgeschichten wird es als die That Mozart's gepriesen, die italienischen Elemente mit den deutschen verschmolzen zu haben, weswegen ich, so wenig als er selbst es that, Meyerbeer mit Mozart in eine Reihe setzen möchte. Und der große Händel, was hat er nicht im eigentlichsten Sinne des Wortes den Italienern entlehnt? Und Gluck? Hat Mozart nicht von Haydn, und dann wieder Haydn von Mozart gelernt? Findet man nicht in den Werken des mächtigen Beethoven mehr Haydn und Mozart, bei Weitem mehr als Händel und Bach in den Werken Mendelssohn's? Von den echtesten Mendelssohn'schen Werken, von denjenigen, die ihn freilich nicht als einen jüdischen, aber einen höchst selbständigen originalen Tondichter hinstellen, von diesen wird[54] nicht gesprochen – freilich hätte auch diese ein guter Christ machen können – wenn er die hinreichende Erfindungsgabe gehabt hätte. Aber wo findet sich denn eine eigenthümlichere und zugleich schönere Ursprünglichkeit in neuerer Zeit, wie die, der die Walpurgisnacht, die Musik zum Sommernachtstraum, die Concert-Ouverturen das Leben verdanken? Daß diese Herrlichkeiten von einem Juden(?) herrühren, hat Niemand dem Componisten vorzuwerfen Gelegenheit genommen – Germanen und Romanen, Katholiken und Protestanten haben sich gleichmäßig daran erfreut – wie selbstbewußt überlegen würde ein französischer Künstler lächeln, wenn er hörte, welche Gesichtspuncte unsere hervorragendsten Musiker aufstellen, um – um – ja, doch wohl hauptsächlich um sich überlegene Rivalen vom Leibe zu schaffen. In einer Hinsicht theilt Felix Mendelssohn freilich das Schicksal anderer jüdischen Größen – man hat viel bei ihm geborgt, – aber ihm wenig Gelegenheit gegeben, sich wieder bezahlt zu machen.

Im Grunde ist alles, was man gegen dieses Gerede vorbringt, sehr überflüssig. Die Geschichte geht ihren Gang; anstatt demselben mit kleinlicher Beschränktheit entgegentreten zu wollen, sollte man versuchen, ihre Absichten zu errathen und, so weit man sie versteht und würdigt, sein Bestes thun, ihre Schritte zu fördern. Da ist nun einmal eine Religion, ein Volk, eine Race, wie man es bezeichnen mag, die durch die greulichsten, den albernsten Vorurtheilen entsprungenen Verfolgungen das Unsäglichste erduldet hat und nicht allein nicht untergegangen ist, sondern sich stets wieder erhebt zu bedeutenden Leistungen. Ein Geschlecht, dem Moses angehörte, dessen Züge der Heiland annahm, als er auf Erden wandelte, das einen Spinoza hervorbrachte, einen so großen Menschen, wie man auch sein Lehrsystem ansehen mag, ein solches Geschlecht ist nicht mit pöbelhaften Verfolgungen klein zu kriegen, nicht durch unsinnige Projecte zu entfernen – man trete ihm wie Anderen streng entgegen, wo es fehlt, wo es sündigt, und erkenne es an, wo es arbeitet, schafft und wirkt gemeinschaftlich mit den verschiedenen Völkern, unter die sein Geschick es vertheilt hat.

Was soll das heißen, von begabten Menschen zu verlangen, sich[55] in Zustände, in Anschauungen zu versetzen, die ihnen stets fremd geblieben, denjenigen zu entsagen, in welchen sie auferzogen, – ihnen einen Vorwurf daraus zu machen, daß sie den Reichthum einer Cultur benutzen, den sie zu vermehren im Stande sind, und den diejenigen, welche ihn besitzen, wahrlich auch nicht nur aus eigener Selbstherrlichkeit hervorgebracht. Wie viel haben wir den Franzosen und Engländern zu verdanken? wie lange ist's her, daß es im deutschen Vaterlande mit der Bildung, von welcher man die Juden jetzt entfernt halten möchte, recht dürftig aussah! Unsere Cultur ist ein Agglomerat weit auseinander liegender Einflüsse – und einige tausend Menschen, die ihr, mit oder ohne Verschulden, lange fernstanden, die sollen ihr fernbleiben, weil – doch wohl nicht, weil man ihre größere Concurrenz fürchtet? wie es bisweilen den Anschein hat.

Daß bedeutende Menschen es sich zur Aufgabe machen können, gerade diejenigen unter den Israeliten anzugreifen, denen sie sich, als zur Geistesaristokratie gehörig, gesellen müßten, das ist widernatürlich und kann nur aus Antrieben hervorgehen, denen man am besten nicht nachforscht. Als vor 40 Jahren Felix Mendelssohn im Gewandhaussaale zu Leipzig, Franz Liszt zu Ehren, die ganze gebildete Gesellschaft eingeladen hatte und ihm ein Concert veranstaltete, wie er es weder vorher noch nachher irgend Jemandem zu Liebe gethan, wer hätte damals glauben mögen, daß der große Virtuose des großen Componisten einst in solcher Weise gedenken würde! Es ist allerdings lange her und viel liegt dazwischen, vor Allem der Tod des letztern! Geradezu komisch klingt es aber, wenn Liszt den jüdischen Künstlern vorwirft, sie handelten nach dem Worte Molière's: »Et nul n'aura du talent, hors nous et nos amis!« In welchem Lager dieser Vers eine vielleicht nie dagewesene Bedeutung erlangt hat, – das weiß wahrlich Niemand besser als Liszt selbst, wenn er auch nicht nöthig hatte, für sich dabei mitzuwirken.
[56]

Den 15. Februar 1882.


In einigen Stunden wird man Berthold Auerbach bestatten. Daniel's Handbuch der Geographie enthält bei Nennung des Ortes »Nordstette« (Oberamt Horb des Schwarzwaldkreises) die Bemerkung: »Dorf, in dem Berthold Auerbach geboren«. Künftige Ausgaben werden wohl den Zusatz anschließen: »und in welchem er begraben liegt.« Es begreift sich, daß der Dichter der Dorfgeschichten sich von den Gedanken angemuthet fühlte, dort zu ruhen, wo er die Keime in sich aufgenommen hatte, welchen so herrliche Blüthen entsprießen sollten. Man sucht so oft nach künstlerisch-literarischen Vorgängen und Vorgängern, wo Schöpfungen vorliegen, deren Naturnothwendigkeit sich in jedem kleinsten Zuge fühlbar macht. Welche Bewandtniß es mit dem ersten Auftauchen der Dorfgeschichten gehabt, erzählte mir vor Jahren der Dichter selbst. Er lebte ziemlich vereinsamt in Bonn, gänzlich seinen Spinoza-Studien hingegeben, als ihm die unerwartete, erschütternde Kunde zukam vom Tode seiner von ihm leidenschaftlich geliebten Mutter. Kummervoll schweifte er Tage lang im Freien umher, die Erinnerungen an seine Kindheit, seine Knabenjahre stiegen vor ihm auf und er gab sich ihnen hin, alles ihn Umgebende, ihn Beschäftigende vergessend. Und so kehrt er eines Abends, nach langer Wanderung, in sein Stübchen zurück, greift zur Feder und skizzirt hintereinander weg fast die sämmtlichen Themas zu den Erzählungen der ersten Bände. Was er damit erreichen sollte, davon hatte er sicherlich so wenig eine Ahnung, als es ihm in den Sinn kam, er werde ein berühmter Schriftsteller werden, da er sein Heimathsdorf verließ um jüdische Theologie zu studiren. Durch sein ganzes Leben verließ ihn eigentlich die Verwunderung nicht, es in seiner Art so weit gebracht zu haben, und was ihm allzu oft als Eitelkeit ausgelegt, streng und herb verdacht worden, war im tiefsten Grunde Bescheidenheit; er hatte seine kindliche Freude daran, daß aus dem Berthold doch ein ganzer Kerl geworden – ein Mann, dem jeder Tag die zahlreichsten Beweise brachte, in wie weiten Kreisen er verehrt und geliebt sei – dessen Schöpfungen, wie wenige andere, eingedrungen in das Herz seines Volkes – des deutschen Volkes.[57] Zu seinen theuersten Besitzthümern zählte er die warme, liebevolle Anerkennung, die Jacob Grimm ihm hatte zu Theil werden lassen, wie er denn jedes kleinste Zeichen einer solchen nicht als einen Tribut, sondern als ein freundliches Geschenk ansah. Mag man denn die Freude, die er darüber empfand, als Eitelkeit auslegen – wie entfernt war sie jedenfalls von jenem Hochmuth, der mit den Geberden der Bescheidenheit auftritt und die Weihrauchspenden des Volkes mit der stillen Ruhe eines Götterbildes an sich vorüberziehen läßt.

Ich glaube nicht, daß Auerbach sich je in Berlin heimisch fühlen konnte. Der überwältigende Lärm der Tagesereignisse in einer so großen Stadt übertönt alles Andere; der Dichter muß, wenn ich so sagen darf, das Pochen des eigenen Herzens hören können, um es in Worte zu übersetzen. Nun kam in den letzten Jahren die antisemitische Pöbelhaftigkeit dazu, um ihm den Aufenthalt in der Hauptstadt vollends zu verleiden. Vielleicht begehe ich eine Indiscretion, aber ich kann es nicht unterlassen, hier einige Auszüge aus seinen Briefen vom vergangenen Jahre wiederzugeben, in welchen sich seine trübe Stimmung nur allzu lebhaft ausspricht. In einem Schreiben vom 3. Februar heißt es: »Dein Brief, lieber Freund, trifft mich eben, als ich meinen Aufsatz zum hundertjährigen Todestage Lessing's vorläufig fertig gestellt habe – ich habe mir damit auch ein Stück der schweren Last von der Judenhetze von der Seele geschrieben. Ich spüre aber doch, ich werde diese bittere Erfahrung zeitlebens nicht mehr los. Du hast Recht, daß meine Art, die Dinge so schwer und empfindlich zu nehmen, mit meiner dichterischen Art, es ist vielleicht auch Unart, zusammenhängt, aber wer kann über seinen Schatten springen?«

Am 7. Juni schrieb er: »– – – Ich zergrübele mich oft, woher es kommt, daß ich hier keinen derartigen Anschluß gewinne, dessen ich so bedürftig bin. Ich halte mich und hab's ja erprobt, dazu geeignet, aber ich bin wohl zu anspruchsvoll. Mir soll der Freund so viel sein und ich will ihm vielleicht zu viel sein und falle ihm beschwerlich. – – – Du sagst, ein Spinozist wie ich müsse sich innerlich frei machen können. Das kann ich auch und bin innerlich[58] frei, sonst lebte ich nicht mehr und könnte nicht mehr arbeiten. Aber in Zeiten der Ruhe, im Pausiren der Gedankenthätigkeit und der Phantasie, im läßlichen Dreinleben, im Bedürfniß freundlicher Ansprache, wo die angestrengte Selbsthaltung nachläßt, ja, da eben fühle ich mich schwach und traurig. – – – Ich kann nicht Alles darlegen und werde, auch von Wohlwollenden falsch beurtheilt, aus dem Leben gehen.«

»Wenn ich, sei es durch freie Arbeit der Phantasie, sei es durch eine glückliche Wahrnehmung mich selbst vergesse, dann bin ich froh und frei. So war ich gestern glücklich, als ich die vielen Menschen aus dem Grunewald kommen sah so frei und angeheitert mit Kränzen und Maien. Das Berliner Volk ist ein prächtiges und in sich tüchtiges, viel zu wenig anerkannt, und hat ja sogar die Judenhetze die eigentliche Masse nicht verderben und vergiften können.«

»Und wie hier sich Tausende und Tausende freuen, so auf der ganzen Erde heute, und ich kenne persönlich so viele Orte, wo die Menschen sich frei und froh machen, um den Drachenfels bei Dir, wie auf Lichtenstein, in Schwaben, in der sächsischen Schweiz, im Taunus, u.s.w. – wer nennt die Namen alle! Und welch eine Summe von Glück läßt sich da zusammen addiren und – wir müssen's gestehen, das hat doch nur das Wunder der Religion zu Stande gebracht, daß die Menschen an ein und demselben Tage aus ihrer Dumpfheit hinausziehen und einmal des vollen freien Naturgenusses, sei es auch bei schlechtem Bier, theilhaft werden. ›Kannst mir glauben,‹ sagte mir ein Freund, der die alte und die neue Welt kennt, ›in keinem Volke der Erde ist so viel Glücksgefühl wie im deutschen.‹ Das thut wohl und da vergißt man gern die momentanen Infamien.«

Nachdem Auerbach in Tarasp »ohne merklichen Nutzen« und in St. Moritz »meist unwohl« gewesen war, schrieb er mir vom Waldhaus Niedernau aus am 2. September: »Ja, was Du sagst, daß die schönen Grundsätze nichts helfen gegen die Gewalten des Organismus – wie wahr ist das. Ich schelte und gräme mich oft, daß ich das Leben nicht freier und souveräner fasse und mich von Erbärmlichkeiten[59] so ganz und gar niederdrücken und meiner selbst berauben lasse. Ich bin, ich weiß das mehr als irgend Jemand anders, eine zu pathetische, sensitive und affectbewegte Natur, und der Gegensatz der Witzboldigkeit und Ideallosigkeit hat mich nicht rectificirt, sondern noch mehr gesteigert. Ich hätte nach meiner innersten Anlage ein Weiser werden sollen, und was bin ich geworden! Ich ertrug indeß die Unbilden des Lebens und die Grausamkeiten des Geschicks immer leichter, weil ich meinen Beruf hatte und meinen Glauben an den Sieg des Ideals und des concreten Gedankens. Nun hat die Judenhetze vernichtend auf mich gewirkt wie vielleicht auf keinen Zweiten. Ich verlor die Freude an meinem Beruf. Was nützt alles Ausdenken und Fassen des Guten und Schönen, wenn die nackte Gemeinheit so Alles bewältigen und zerstampfen kann und dazu mit Gottphrasen groß thut?«

Traurig ist's, daß gerade die letzte Lebenszeit des Freundes durch körperliches Leiden und Verstimmung des Gemüths so sehr getrübt wurde, denn selten mag ein bedeutender Mensch gefunden werden, der jeder Stunde, jeder Minute so viel echte, warme Freude abzugewinnen wußte, wie es bei Auerbach der Fall gewesen. Ein Spazirgang mit ihm durch Feld und Wald war doppelt und dreifach lohnend. Kein Vogelpfiff entging seinem scharfen Ohr, von jedem befiederten Sänger wußte er den Namen – man könnte sagen, er habe, wie der Rattenfänger, die Vogelsprache verstanden. Kaum weniger bewandert war er in der Pflanzenwelt, und einem Landschaftsmaler gleich, entzückte ihn jeder schöne Baum, jedes eigenartige Gewächs. Ein frischer Luftzug that ihm nicht nur wohl, wie uns allen – nicht nur mit der Brust, mit der Seele zog er ihn ein. Und ähnlich empfand er den Menschen gegenüber – ein anerkennenderes Publicum ist kaum denkbar, als er es war. Für die geringste Bemerkung, die hinausging über das Niveau der Geselligkeitsphrase, hatte er ein Lächeln oder einen zustimmenden Ausruf – er genoß nicht allein den Erfolg des Andern, er that das Seinige dazu. Im Vollgefühl des Ideenreichthums, den er befaß, mochte ihm das leicht werden, aber er begnügte sich nicht mit der aufmunternden[60] Zustimmung, wie etwa große Virtuosen sie talentvollen Dilettanten vergönnen, er wirkte anregend, ermuthigend, dem liebenswürdigen Wirthe gleich, der zum Genuß des vollen Bechers nicht nöthigt, aber anfeuert. Jeder, der eine Viertelstunde mit Auerbach zusammen gewesen, mußte sich für beredter, geist- und kenntnißreicher halten, als er es war. Und das Wohlthuende dieser Art und Weise lag darin, daß sie auf echter Herzensgüte ruhte. Nicht ein vornehmer Geistesaristokrat war es, der huldreich liebenswürdig auf Alles eingeht – ein guter, einfacher Mensch stand er seinen Menschcollegen gegenüber, die es sehr arg treiben mußten, wenn er dieses Verhältniß aufzugeben sich gezwungen fühlen sollte.

Aber auch welch allgemeine Theilnahme zeigt sich beim Verscheiden des Dichters, dem doch in den letzten Jahren so manche Verunglimpfung nicht erspart geblieben. Menschen, die, in welcher Weise es sei, auf einer gewissen Höhe stehen, sollten bisweilen aufrichtig und ernst sich die Frage zu beantworten suchen, welchen Eindruck ihr Ende hervorbringen werde – ich glaube, gar Manchen könnte die Beantwortung recht bescheiden stimmen. Unsern Dichter hatte diese Erwägung freilich allzu demüthig berührt. »Ich dachte mir heute Morgen,« sagte er mir einstmals lächelnd, »ich sei gestorben und zwei gute Bekannte begegneten sich kurz darauf unter den Linden. Weißt du's schon? fragt der Eine, der Auerbach ist todt! – Schade, erwiderte der Andere, im Grunde war er doch ein guter Kerl – Das war er – bist du heute bei X zu Tisch? – Nein, bei Z, ich geh' mit ihm ins Theater.« Aehnliches mag sich oft genug ereignen; mit zu vielen Ketten hält uns das Leben gefangen, als daß sogar Warmfühlende sich überall ihren trüben Stimmungen hingeben dürften, abgesehen von den Fällen, in welchen die Sitte es erheischt und wo das Herzensleid oft genug ausbleibt. Die Frage ist, wie man im Ganzen, Großen, Breiten eines Dahingeschiedenen gedenkt – und da hätte Auerbach sich sagen dürfen, daß sein Name, unähnlich den Sternen, bei weiterer Entfernung an Licht und Glanz zunehmen werde.

Wenn ich das Talent, literarische Kritik zu üben, besäße, ich[61] würde doch nicht versuchen, den Dichter Auerbach zu besprechen – dazu habe ich den Menschen und den Dichter zu lieb. Aber auf manche seiner Eigenschaften hinzuweisen kann ich nicht unterlassen, nicht als ob die Wissenden sie nicht kennten – das große Publicum jedoch ist im Allgemeinen geneigt, Werke der Phantasie für ein Spiel derselben anzusehen und, das Talent einmal gegeben, die Geistesarbeit, die das Kunstwerk erheischt, kaum zu würdigen. Die unermüdliche Hingebung, mit welcher Auerbach sich seinen Schöpfungen widmete, hatte ich oftmals Gelegenheit, in nächster Nähe zu beobachten. Stets erneuete Durchsicht, fast peinliches Feilen war ihm Bedürfniß. Und mit welch energischer Gewissenhaftigkeit bereitete er sich vor zu jeder größern Arbeit. Am geeigneten Orte selbst vertiefte er sich in die Einzelheiten eines Handwerkes, eines industriellen Betriebes, eines Zweiges der Landwirthschaft, der Forstcultur – die genaueste Kenntniß von dem Wesen dessen, was er für seine Handlung brauchte, suchte er zu erlangen, und begnügte sich dabei nicht, wie der Maler, mit der Erscheinung – er bedurfte der Kenntniß des innersten Organismus. Eine leicht erfindende Erzählergabe war ihm versagt – er mußte in seiner Seele mit seinen Personen leben, um zu erfahren, was aus ihnen werde. »Du machst es dir viel zu schwer,« warf ihm Spindler einst vor – »da habe ich heute Morgen ein Capitel angefangen, ungefähr so: Zwei Reiter reiten nebeneinander her auf einsamem Pfade – noch liegen tiefe Nebel auf den benachbarten Höhen – schweigend verfolgen sie ihren Weg u.s.w.u.s.w. – Der Teufel hole mich, wenn ich weiß, wer die Kerls find!« Auerbach mußte genau wissen, wer seine Leute seien – und sie durften sicherlich weder zu Fuß noch zu Pferde reisen ohne die allertriftigsten Gründe. Ich hatte Gelegenheit, der Entstehung einer seiner populärsten Erzählungen, der der »Frau Professorin«, beizuwohnen und den Dichter in seiner Arbeit bis zu Ende zu begleiten, da er sie im Sommer 1846 in Dresden in unserem Hause schrieb, und habe später darüber einer »ungenannten Freundin« berichtet. Die schön zu nennende Erscheinung eines Menschen, der, man kann sagen, glückselige Tage verlebt, indem er, einer geistigen Schöpfung hingegeben,[62] der Gegenwart und ihren Kleinlichkeiten gänzlich entrückt ist, wird mir stets unvergeßlich bleiben.


Den 17. Februar 1882.


Ich finde in Ihrem Blatte die ersten Nachrichten über die Bestattung des Freundes, welcher beizuwohnen mir unmöglich gewesen – einen Kranz frischer Lorberzweige sandte ich hin, wie so viele Andere es gethan. Gerade denjenigen gegenüber, welche man am herzlichsten liebt, ist man allzu oft außer Stande, Beweise seiner Neigung zu geben – und anstatt Glück zu spenden, muß man sich damit begnügen, in seiner Ergebenheit sich selbst beglückt zu fühlen. Hier freilich brauchte es keiner Beweise meinerseits. Schön ist's und erhebend, daß dem todten Dichter solche Ehren erwiesen werden. Schade nur, daß er nicht wie Kaiser Karl V. seiner Bestattung beiwohnen konnte – er hätte sie auch schwerlich angeordnet, wenn er die Macht dazu besessen. Die Macht aber, durch sein Hinscheiden in so vielen Herzen das Gefühl der Trauer zu erwecken, dankbare Zuneigung zu beleben, die ist nur dem Genius verliehen – mag er auf dem Throne sterben, den er durch Kraft und Güte geziert, oder in stiller Kammer die Seele verhauchen, die Beglückendes geschaffen.

Wenn die Welt einen Menschen verliert, der sich für sie bemühte, so mag sie den Verlust noch so aufrichtig beklagen – sie ist schnell getröstet. So viele setzen ihre besten Kräfte daran, sie zu beschäftigen, zu erheitern, sie für ihr Thun und Schaffen in Anspruch zu nehmen. Für den Freund ist der Verlust eines Freundes ein unersetzlicher. Alle jene Festtage sind vernichtet, die zu solchen wurden durch briefliche Mittheilung oder persönliches Zusammensein – alle jene guten Stunden kehren niemals wieder, in welchen man sich gehoben fühlte in der Ueberzeugung, daß eine neue Arbeit eine wohlwollende Aufnahme und zu gleicher Zeit eine aufrichtige Beurtheilung finden werde. Das Leben, seine Hoffnungen, seine Freuden gleichen einer Reihe von Ziffern, von welchen die Zeit eine nach der andern auslöscht – zuletzt[63] steht die Null, die den Werth der Zahlen verzehnfachte, die aber nun einsam übrig bleibt. Doch sie ist ein Kreis, und so mag sie uns die Unendlichkeit bedeuten!

»Wie hübsch ist's doch,« schrieb mir Auerbach Ende des letzten Sommers, »daß wir, Du, Bendemann und ich, innerhalb weniger Monate unser 70. Lebensjahr erreichen?« Er sollte es nicht erreichen – Eduard Bendemann aber hat das seine in einer Weise gefeiert, wie es wohl selten einem Menschen beschieden gewesen. Für die Antwerpener Akademie hat er sein eigenes Bildniß gemalt, das Verständnißvolle wie Naive, Anhänger der verschiedenartigsten Kunst- und Lebensrichtungen gleichmäßig entzückt und die allgemeinste Bewunderung hervorruft – ein Meisterwerk ersten Ranges.

Ein einziges eigenthümliches Vorrecht des Malers ist doch diese Verewigung seiner Persönlichkeit durch das eigene Talent. Man kann wohl sagen, daß jeder productive Mensch in seinen Werken oder Thaten seiner Individualität eine kürzere oder längere Dauer verleiht – aber wie vielen Mißverständnissen ist sie ausgesetzt und wie entfernt ist das Alles von dem schlagenden Eindruck eines Bildnisses, das lebenathmend uns gegenübersteht und in seiner Ruhe uns erlaubt, uns zu vertiefen in alle sprechenden Geheimnisse einer edlen Persönlichkeit. Hat das nun alles statt bei einem historischen Porträt von Meisterhand, wie sehr erhöht sich das Interesse, wenn der Meister lebt, wenn man ihn kennt und liebt und wenn die Uebersetzung seiner Persönlichkeit in die Farbensprache von ihm selbst herrührt. Diese wunderbare Veräußerung der eigenen Individualität verlangt zu gleicher Zeit eine so schwierige Entäußerung derselben, daß man staunt, wenn man darüber nachdenkt. Unerklärlich würde die Wahl in der Auffassung der eigenen Züge sein, wenn sie – statt hätte; ich habe den Künstler nicht darüber befragt, bin aber überzeugt, daß hier nur die, freilich noch unerklärlichere Macht der künstlerischen Spontaneität waltet, von der Rechenschaft abzulegen noch Niemandem vergönnt war.

Obschon ein Bild immer noch tausendmal eher sich beschreiben läßt als ein Musikstück, so wage ich doch nicht eine Einzeldarlegung[64] des herrlichen Werkes zu versuchen – nur das allgemeinste will ich davon sagen. Der Meister steht uns in Lebensgröße sinnend gegenüber, die Reißfeder in der Hand, im dunkeln Atelierrock; ernst und doch heiter – nachdenklich und doch mit hellen Maleraugen blickend. Ich denke, er betrachtet sich prüfend selbst, um sich zu objectiviren, und ich wünsche jedem Freunde, bei solcher Selbstbetrachtung zu einem solchen Ergebniß zu gelangen.

Ist es schon erstaunlich, mit 70 Jahren nicht allein die geistige, sondern auch die körperliche Kraft sich erhalten zu haben, die nöthig ist, um ein schönes Bild anzufertigen (es gehört ein sehr fester Arm dazu und es hat noch keinen großen Maler »ohne Hände« gegeben!), so steigt die Bewunderung und Verwunderung, wenn man zur Ueberzeugung gelangt, daß der Künstler noch im Fortschreiten begriffen ist. Daß diese jüngste Arbeit Bendemann's hiervon Zeugniß ablegt, würde ich nicht äußern, obschon ich den lebhaften Eindruck davon empfangen, wenn nicht bedeutende Künstler mich in meiner Ueberzeugung bestärkt hätten. Gesteigerte Kraft und Lebendigkeit, Frische und Einfachheit wird von allen Seiten der herrlichen Arbeit nachgerühmt. Im Vergleiche zu einem solchen, sich selbst gebotenen Geburtstagsgeschenke – was bedeuten da die kostbarsten Gaben, die auserlesensten Ehrenbezeigungen! Das Beste, was einem Menschen gegeben werden kann, wenn er von der Natur begünstigt worden, ist das, was er selbst sich zu geben vermag.

Von allen Seiten werden Ihnen wohl jetzt Auerbachiaden zukommen. Vergönnen Sie deshalb doch meinen anspruchslosen Zeilen eine Stelle – ich habe gesucht, möglichst wenig von dem zu sprechen, was mich bewegt, und vorzugsweise mitzutheilen, was nur angehört – vielleicht mehr als recht – doch bin ich sicher, daß der Freund mir's verzeiht, wenn er's erfährt.

Wer weiß!?
[65]

Wissen Sie mir zu erklären, warum der größere Theil der Kritiker sich der »Mehrzahl von dem persönlichen Fürworte der ersten Person« bedient? Mein deutsches Wörterbuch sagt: »in Schriften pflegen sich auch die Autoren wir zu nennen« – warum sie dies zu thun pflegen, wird aber verschwiegen. Oft und ernsthaft habe ich darüber nachgedacht – hauptsächlich in Beziehung auf die Recensenten – konnte aber zu keinem genügenden Ergebniß gelangen.

Das Wir der Herrscher macht mir, der ich von Staatslehre freilich nichts verstehe, den Eindruck bescheidener Ausdrucksweise. Anstatt sich als höchste Einzelwesen über ihre Völker zu stellen (wie Jehovahs Ich es thut seinem auserlesenen Volke gegenüber), identificiren sie sich mit denselben, sprechen als personificirtes Gesetz, zu Allen im Namen Aller. Aber der Kritiker?!

Im Namen des Publicums zu sprechen, kann ihm nicht in den Sinn kommen, da er es für seine Aufgabe halten muß, dasselbe zu führen, zu unterrichten, aufzuklären. Höchstens könnte das Wir angewendet werden, wenn von den Dingen die Rede, die zu besprechen sind. »Wir haben gesehen, wir haben gehört« – das mag hingehen, wenn auch Jeder anders sieht und anders hört als der Andere. Aber darf der Kritiker voraussetzen, daß er die Meinung, die Empfindung Aller ausspreche? Vielleicht! hie und da! in einzelnen Fällen – im Allgemeinen widersprechen sich die Herren doch gegenseitig allzusehr, als daß man an die Möglichkeit einer solchen Annahme denken dürfte. Und eben deshalb wäre das Wir auch unanwendbar, wenn es bedeuten sollte: wir, das große Collegium der Wissenden, der Verständnißvollen, der unabsetzbaren, unbestechlichen Richter. Warum also Wir?

Es kann keinen andern Grund dafür geben als der Wunsch, seine Persönlichkeit im Lichtglanz der höchsten Autorität scheinen zu lassen, wenn auch der Einzelne aller dieser »Wirs« sich davon keine Rechenschaft geben mag. Ein gewisses wohlthuendes Gefühl seiner Wichtigkeit wird ihn aber doch stets durchströmen, wenn er das bedeutsame Wörtchen hinschreibt, den Eindruck ahnend, den seine verallgemeinerte Meinung auf den unschuldigen Leser auszuüben fähig[66] ist. Nicht allein richtiger, auch stolzer wäre es, sich der »Einzahl von dem persönlichen Fürworte der ersten Person« zu bedienen. Daß das Wort gedruckt erscheint, erhöht seine Wichtigkeit – es erhöht sie in einem so unverhältnißmäßigen, so unbegründeten Grade, daß der Bedeutendste wie der Unbedeutendste sich damit begnügen sollte, seine Ansicht, nicht unsere, auszusprechen – seinem Ich ist ja durch die Veröffentlichung ein hinreichend starkes Gewicht beigelegt. Freilich wird die Beschaffenheit des Ichs zu einer viel ernsteren Frage, als die des Wir, – letzteres bauscht zwar die Individualität auf, aber es verschleiert sie auch und gibt anscheinend dem Schreibenden das Recht, der persönlichsten Stimmung den Mantel der allgemeinen Ueberzeugung umzuhängen. Von dem, der ganz und gar im eigenen Namen spricht, wird vorausgesetzt, daß er es im vollen Bewußtsein thut, Eigenes zu sagen – das, was er für wahr hält, ohne Umschweife auszudrücken, weil es auf dem Grunde eigensten Wissens und Denkens beruht – nicht aber Dinge, die er von rechts oder links gehört hat, wiederzugeben. Erweist sich diese Voraussetzung auch oft genug als eine irrthümliche, die Form selbständigen Auftretens ist doch gewahrt.

Jedermann weiß (wenn er es auch immer wieder vergißt, denn der Eindruck der Druckerschwärze ist allzu mächtig), wie verschiedenartigen Stoffes die Leute zusammengesetzt sind, die sich das Amt des Richters namentlich in ästhetischen Dingen zuertheilen. Neben Männern, über deren Wissen, Auffassung, Geschmack, Erfahrung kein Zweifel besteht, finden sich allzu viele, deren Berechtigung, ein öffentliches Urtheil auszusprechen, nur auf der Bereitwilligkeit einer Zeitungsredaction beruht, es zu veröffentlichen. Gibt es doch gar kein Geschäft, das leichter zu ergreifen wäre, als das des Kritikers – weiß man sich halbwegs schriftlich auszudrücken, so gehört nur Selbstvertrauen dazu. Der Kritiker wird weder geprüft noch concessionirt, er steht über dem Publicum und über der Kunstwelt; kommt auch noch die Anonymität hinzu, so klingt sein Wort herab wie aus höheren Sphären – und nun das bedeutsame »Wir!« wer kann solchen Orakelsprüchen sein Ohr verschließen? Dieselben Personen,[67] die manchen Schreibenden nicht des geringsten Wortes, ja, nicht der kürzesten persönlichen Annäherung würdigen würden, behalten einen Eindruck von seinen Elucubrationen im Gedächtniß, der weit hinausgeht über den, den der Verständnißvollste gesprächsweise hervorzubringen im Stande ist. Herrschten die Gesetze höherer Sittlichkeit in diesen Dingen, es dürfte Niemand etwas drucken lassen, ohne in der ersten Person Singularis zu sprechen und seinen ganzen vollen Namen hinzuschreiben. Das einfachste Ehrgefühl müßte diese Formen vorschreiben, die ja, wie die Erfahrung zeigt, tüchtigen Männern zu Gute kommen, denn wenn die Buchstaben, die einen Namen bilden, zu einem Namen geworden sind, dann haben jene sich eben, wie die Sprache es so trefflich ausdrückt, einen Namen gemacht.

Geradezu abgeschmackt wird das Wir des Recensenten, wenn er es in Beziehungen anwendet, die nur dem Ich zukommen können. Wenn z.B. ein Acciseregistrator in seinem musicalischen Referat sagt: wir nehmen das Tempo dieses Stücks bedeutend schneller – oder wir würden hier keine Cadenz einlegen u. dgl. mehr. Was das Ich zu thun hier gar nicht in den Fall kommen kann, wird dem erlauchten Wir zuertheilt. – Aber ich fürchte, zum Don Ouixote zu werden, der einen Riesen zu bekämpfen glaubt, indem er gegen eine Windmühle ficht. Nur das muß ich noch erwähnen: Lessing, der Kritiker, spricht stets als Ich – was war ihm auch am wir gelegen? – Sprechen wir von andern Dingen.

Wir (d.h. das Kölner Theaterpublikum), wir hatten hier neulich eine Aufführung des bekannten Mo zart-Schneider'schen Singspiels »Mozart und Schikaneder«, und zwar unter Mitwirkung Ihrer eminenten Sängerin, der Frau Peschka-Leutner. Trotz des besondern Reizes, den die liebenswürdige Darstellerin der gelungenen Aufführung gab, mußte ich mir sagen, daß es doch eine sonderbare Eigenheit des Deutschen ist, einer solchen Verunglimpfung eines seiner größten Genies mit heiterer Behaglichkeit beizuwohnen. Ist es nicht jammervoll, den einzigen Tondichter ein in der ganzen Musikwelt einzig dastehendes Werk componirend dargestellt zu sehen unter der beständigen Drohung eines Narren, er werde ihn nicht bezahlen. – Mozart,[68] dessen Uneigennützigkeit bis zur kindlichsten Schwäche ging! Wohl ließ er sich von Schikaneder, der den Papageno für sich gewählt hatte, beeinflussen, die Rolle günstig für ihn zu gestalten – aber die Art, wie es in dem blödsinnigen Stücke geschieht, ist geradezu widerlich für jeden, der nur eine Ahnung hat von poetischer oder künstlerischer Production. Und die ungeschickte, leichtfertige Weise, mit der das Banderl-Ensemble herbeigeführt wird, das dann freilich seine heitere Wirkung auszuüben nicht verfehlt, obschon es in die Situation paßt wie die Faust aufs Auge. Ich kann mich nicht enthalten, die Art seiner Entstehung hier aus Jahn's herrlichem Buche zum Besten zu geben – um so mehr, als sie im diametralen Gegensatz steht zur Art der Einverleibung in das Singspiel. »Mozart hatte seiner Frau ein neues Band geschenkt, was diese, als sie mit van Swieten eine Spazirfahrt machen sollten, anlegen wollte, aber nicht finden konnte. Sie rief ihrem Manne zu: Liebes Mandrl, wo ist's Bandrl? der darauf suchen half, auch van Swieten suchte mit und fand das Band. Aber nun wollte er es nicht hergeben, hielt es hoch in die Höhe, und da er ein großer Mann war, so bemühte sich das kleine Mozart'sche Ehepaar vergebens, dasselbe zu erhaschen. Bitten, Schelten und Lachen wurden immer lebhafter, bis zuletzt auch der Hund bellend van Swieten zwischen die Beine fuhr. Da lieferte er das Baud aus und meinte, diese Scene sei wohl passend für ein komisches Terzett. Mozart ließ sich das gesagt sein, verfertigte sich einen Text im Wiener Dialekt, der im Allgemeinen an die Situation erinnerte, und schickte das Stück an van Swieten.« Das Geschichtchen zeigt, wie andere ähnliche, die chemische Kraft des Genies, oder vielmehr die göttliche, aus dem geringsten Stoffe etwas Reizvolles zu bilden.

»Was liegt daran?« wird Einer oder der Andere sagen – »Mozart bleibt Mozart, auch wenn man ihn im stupidesten Lichte zeigt.« Gewiß, es wäre auch allzu traurig, wenn das Edelste so leicht zu besudeln wäre. Aber befleckt wird es doch immerhin. »Verleumde, verleumde«, sagt Basilio, »etwas bleibt davon hängen.« Man verbietet die Aufführung von Stücken, in welchen einer fürstlichen Familie zu nahe getreten wird, sei es auch aus weitester Entfernung[69] – unsere großen Genien bedeuten uns wahrlich nicht weniger und die ganze Nation bildet ihre Familie.

Nach welchen Gesetzen entwickelt sich das Kunstleben kunstbegabter Nationen? Lassen Sie sich mein ewiges Fragen gefallen, ich erwarte keine Antwort. Wenn man aber keine Auster ist, hört das Fragen nicht früher aus, als das Leben, die Frage aller Fragen! Ich denke an die Italiener, einstnamls die tiefsten Tonmeister, dann die tonangebendsten, die verbreitetsten, die beliebtesten und jetzt – die stummsten. – Maëstro Verdi, der letzte, dessen Schöpfungen sich die civilisirte Welt eroberten, lebt seit manchen Jahren mehr der Bewirthschaftung seiner großen Güter als der der lyrischen Scene – im vorigen Sommer gab er sich einer Unternehmung hin, die schwerlich je einen Komponisten beschäftigt hat – er überwachte den Bau einer großen Anzahl von Wohnhäusern, die er für seiner ländlichen Arbeiter errichten ließ. Das ist herrlich, und gern gönnt man dem liebenswürdigen, guten, einfachen und nebenbei so bedeutenden Manne das Glück, Glück um sich zu verbreiten – unserer Kunst kommt's jedoch nicht zu Gute. Viel und sogar vielerlei wird ja fortwährend componirt und aufgeführt im Lande, in welchem Melodien – blühten – nichts davon klingt über die Berge herüber und der Gotthardtunnel wird, trotz der leichtern Verbindung, vorläufig schwerlich etwas daran ändern. Für uns Deutsche ist dieser Stillstand der italienisch-musicalischen Entwicklung nicht schmeichelhaft, denn er fällt in die Epoche, in welcher man sich zum ersten Mal jenseit der Alpen mit deutscher Tondichtung eingehend beschäftigt. Erstaunlich ist's, mit welchem Ernst die Italiener es sich angelegen sein lassen, germanisch-harmonischen Spuren zu folgen. Nicht allein, daß sie durch Orchesterconcerte die deutsche Instrumentalmusik zu verbreiten suchen, Oratorien aufzuführen beginnen, sogar mit Wagner und Goldmark auf der Bühne experimentiren – sie schreiben kritisch-ästhetische Zeitungsartikel mit deutscher Tiefe, setzen Preise aus auf Kammer und Kirchenmusiken – gründen eine musicalische Zeitung nach der andern. Ja, noch mehr, im letzten Hefte der neuesten Unternehmung einer sehr ernst gemeinten Zeitschrift, des in Neapel erscheinenden [70] »Archivio musicale«, ist der erste Beitrag verfaßt von Lebrecht, der zweite von Berggrün, die Chronik bespricht Mendelssohn's »Paulus« und – gibt dazu eine Uebersetzung Heine'scher Geistreichigkeiten. Weiter kann man geistige Gastfreundschaft kaum treiben. Und doch! – – Fern liegt es mir, mich nicht zu erfreuen an diesen friedlichen Siegen – wie kurz ist es her, daß wir den Italienern noch als Barbaren galten? Und wenn diese Umwandlung zuvörderst Moltke vielleicht mehr zu danken ist als Beethoven, das Ergebniß ist da und ist für uns jedenfalls wohlthuend – ob auch für die Italiener? – – – Das Acclimatisiren ist keine leichte Sache. Die Kartoffel ist ein europäisches Knollengewächs geworden – aber Palmenwälder werden wir schwerlich in Deutschland gedeihen sehen. Es walten eben in jedem Lande auch seelische Temperaturverhältnisse, mit welchen nicht zu spaßen ist.

In dem 20. Jahrgang der »Atti dell' Accademia del R. Instituto Musicale di Firenze« findet sich zwischen Nekrologen verstorbener Mitglieder, Beurtheilungen eingegangener Preiscompositionen u. dgl. ein längerer Aufsatz von Adolfo Baci, welcher der »theoretischen Betrachtung der dramatischen Musik« gewidmet ist und von sehr klarer Auffassung zeugt, sowohl der Wirksamkeit der Tonkunst an und für sich selbst als ihrer Verbindung mit der Poesie und den andern Kunstmitteln, welche die Scene bietet. Findet sich auch, streng genommen, nichts Neues darin (und was wäre in einer so viel besprochenen Sache Neues vorzubringen?), so ist doch alles, was darüber zu sagen, so reiflich und reichlich erwogen, so klar und einfach hingestellt, daß man seine Freude daran haben muß. Freilich spricht er gleich zu Anfang etwas aus, was im Grunde alles Weitere überflüssig zu machen geeignet wäre. Nachdem er nämlich die Schwierigkeiten andeutet, die »der Conflict der Pflichten« dem Componisten in den Weg legt, wenn er für die Bühne arbeitet, sagt er: »Nur der wahre Genius hat die Fähigkeit, den richtigen Weg zu finden und zu gleicher Zeit Anforderungen zu genügen, die unvereinbar scheinen. Eine solche künstlerische Schöpfung bleibt immer etwas Neues, Ueberraschendes und zu gleicher Zeit etwas Einfaches[71] und Natürliches; sie beruht aus einem Geheimniß, dessen Lösung versteckt bleibt in der unergründlichen Tiefe des schaffenden Genies«. Die Grundsätze, die der analysirende Verfasser nun aufstellt, sind also für die Componisten maßgebend, die keine Genies sind, mithin für die Mehrzahl. Der Einfluß der Wagner'schen Principien macht sich mehrfach geltend – was er über die Anwendung der Leitmotive sagt, ist jedoch sehr verständig und ohne alle Exageration. Seine Ansichten über das Auseinanderhalten der Instrumental- und der Vocalmusik, wenn auch mehr angedeutet als ausgeführt, stehen auf festem Grunde, führen aber schließlich zu folgenden Aussprüchen: »Die Instrumentalmusik arbeitet mit Kunstmitteln, die gänzlich verschieden sind von denen der Vocalmusik; die menschliche Stimme kann nicht betrachtet und angewendet werden wie die Stimmen der Instrumente, denn die Menschenstimme ermöglicht nicht allein die Mittheilung von Gedanken, sie ist gerade dazu bestimmt. Mithin scheint mir klar, daß in der Vocalmusik die Kunst der Töne nicht wirken kann wie in der absoluten Musik; und daß es daher durchaus richtig ist, daß, wenn die Vocalmusik nicht als reine musicalische Kunst wirkt, sondern als eine Vereinigung verschiedener Künste, sie auch theoretisch, ihrer Natur gemäß, so behandelt werden muß.«

Hier stehen wir an jenem Abgrund, über welchen das »Genie« mit Leichtigkeit sich schwingt, in welchen aber das Talent ebenso leicht hinein fallen und sich den Hirnschädel zerschmettern kann. Trotz aller Verschiedenheiten in der Behandlungsweise, in den Formen, in der Entwickelung der dramatischsten und der absolutesten Musik – wo Musik gemacht wird, muß man Musik zu hören bekommen, echte volle, wahre Musik. Und das um so mehr, als gegen die Macht ihrer Wirkung keine der Künste, mit der sie sich vereinigt, in der Totalität aufkommt. Es bedarf wohl nicht der Versicherung, daß mein Ideal nicht eine von Gassenhauern angefüllte Oper ist – aber eben so wenig ist es eine, in welcher die Töne nur Handlung und Text zu illustriren bestimmt sind. Indeß handelt es sich hier gar nicht um meine Wünsche – ich denke an die Italiener. Ein Volk, auf welches die sinnlichen Elemente der Musik einen so berückenden[72] Einfluß ausüben, für welches Gesang und Melodie fast gleichbedeutend sind (wenn es sich auch der Wirkung des dramatischen Accentes keineswegs verschließt), ein solches Volk wird in der Oper stets vor allem ein Werk der Tonkunst suchen. Nun sind die Italiener aber auch sehr gescheite Leute, und es begreift sich vollkommen, daß ihnen, nach ihrem langen Schwelgen in süßem, leidenschaftlichem Gesang, die ernsten Strafpredigten, mit welchen sie aus Deutschland und Frankreich heimgesucht werden, Bedenken erregen und sie sich schließlich sagen, auch wir wollen dramatisch declamiren, in ausgesuchten und gesuchten Harmonien Tiefe des Ausdruckes zur Geltung bringen, im Orchester säuseln und wüthen – unsere Sänger mögen sehen, wie sie damit zurecht kommen. Aber – chassez le naturel, il revient galop!

Und so denke ich mir, daß die italienischen Maëstri sich in jenem Zustande befinden, dessen Bann sich heutigen Tages die meisten Musiker nur schwer zu erwehren wissen – der aber auf südliche Naturen doppelt stark wirken muß – ich meine den Kampf zwischen Reflexion und Spontaneität. Nur das echte Genie beherrscht die eine durch die andere und läßt keiner von beiden einen schädlichen Vorrang – ein großes Talent wird wenigstens jede von ihren Ungebührlichkeiten freizuhalten wissen. Genie aber wie Talent bedürfen jener Vorarbeit, die man Erziehung im weitesten Sinne des Wortes nennen mag. Die Art der geistigen Nahrung während dieser Erziehungszeit gehört zu den wesentlichsten Bedingungen glücklicher Ergebnisse. Und diese Nahrung, sie muß den Jahren und den Kräften angemessen sein. Ich fürchte nun, daß die neueste deutschmusicalische Nahrung die italienischen Magen nicht hinreichend vorbereitet finde – und daß in Folge davon hier und da Unverdaulichkeit und Schlimmeres sich einstellen könne – hoffentlich nur vorübergehend. Unsere großen Meister des vorigen Jahrhunderts, Händel, Gluck, Mozart, sind großentheils in italienischer Musik aufgewachsen und haben eben, was sie Gutes und Schönes in sich trug, mit deutscher Tiefe zu verbinden gewußt. Vielleicht bringt die Zukunft einen parallelen Vorgang in Italien, indem sich dortige geniale Tondichter der deutschen Weise bemächtigen und sie mit dem[73] berückenden Sange, der von jeher unter ihrem Himmel gedieh, zu vermählen wissen. Die großen künstlerischen Siege des neugeeinten Italiens stammen bisher noch aus den Zeiten seiner Zersplitterung – hoffen wir, daß die errungene staatliche Bedeutung auch eine neue Blüte auf dem Gebiete des Schönen zeitigen möge.


Neulich fand ich einen höchst anregenden Essay in der »Rundschau«, womit nicht gesagt sein soll, daß anziehende Aufsätze in den so reich ausgestatteten Heften derselben zu den Seltenheiten gehörten – im Gegentheil! Es ist aber nicht alles anregend, was anziehend. Anregend nenne ich Geschriebenes oder Gedrucktes, Gemaltes oder Componirtes, wenn es zum dolce far niente Gelegenheit gibt, zum Phantasiren nämlich, sei es am Clavier oder im Lehnstuhl. Am Schreibtisch, mit der Feder in der Hand wird die Sache schon bedenklicher – die leicht flatternden Gedankennebel müssen dann doch mindestens zu Wolken verdichtet werden, wenn auch deren Gestalt nicht allzu scharfer Linien benöthigt. Kann ich nun heute dem Reize nicht widerstehen, schreibend zu phantasiren, phantasirend zu schreiben, so bitte ich um größere als hergebrachte Nachsicht.

»Feldherren und Feldherrenthum«, von C. Frhrn. v.d. Goltz heißt jener Essay – er hat ein französisches Buch zur Grundlage: »Les leçons de la guerre« par le Colonel Ph. E. Desprels.

Feldherren und Feldherrenthum! Künstler und Künstlerthum! Große Dichter und Künstler entscheiden zwar nicht, wie große Feldherren, im gegebenen Momente über die Geschicke der Völker – aber sie gehören doch zum Entscheidendsten für deren geistigen Werth. Für uns könnte Griechenland seiner Generäle entrathen – seine Künstler und Schriftsteller machen es zu dem, was es für uns ist. Welche preiswürdigen Eigenschaften, frage ich mich, die den Feldherren[74] in so großer Anzahl zugeschrieben werden, sind auch bedeutenden Künstlern von Nöthen, welche können sie entbehren und welche müssen sie besitzen, die für jene überflüssig? Die Frage mag manchem läppisch erscheinen, denn im Allgemeinen glaubt man, daß der Künstler fertig sei, wenn er für seine Sache Anlage, Begabung, Talent mitbringt und eine tüchtige Ausbildung erhält. Wäre es damit abgethan, man würde viel öfter bedeutenden Erscheinungen begegnen.

Der »Glaube an sich selbst« gehört zu den Bedingungen des Feldherrenthums. Ob das Wort des Mephisto: »Und wenn du dir nur selbst vertraust, vertrauen dir die anderen Seelen«, sich überall bewähren mag, ist fraglich – sicher aber kann Niemand Vertrauen erwecken, der nicht an sich glaubt. Die Wichtigkeit dieses Selbstvertrauens für Jemanden, in dessen Hand das Geschick Tausender liegt, ist selbstverständlich. Mit so folgenschwerem Glauben hat der Künstler es nicht zu thun – um so stärker wirkt sein Glaube an sich selbst, auf sein Selbst und auf seine künstlerischen Thaten zurück. Die innere Bescheidenheit ist eine schöne und gute Sache – sie darf sich aber doch nur geltend machen im Hinblick auf große Erscheinungen, auf höchste Ideale. Jemand, der sich in irgend einer Weise vor das Publicum stellt, von demselben Aufmerksamkeit, Theilnahme, Lohn erheischend, würde Prügel verdienen, wenn er nicht wenigstens im guten Glauben handelte, die Fähigkeiten zu besitzen, die einer solchen Herausforderung zu Grunde liegen müssen. Er kann sich irren – das ist ein Unglück! Weiß er aber, daß er das nicht leisten kann, was er Andere glauben machen möchte, dann ist er ein Charlatan und keines weiteren Wortes werth.

Die »mysteriösen Ursprünge«, welche große Heerführer des Alterthums, mit oder ohne eigenen Glauben an dieselben, für ihre Persönlichkeit in Anspruch nahmen, um diese zu imponirenderer Wirkung zu bringen, lagen den großen Dichtern fern. Die ersteren brauchen, bedürfen des Glaubens Anderer, um ihre Aufgaben zu vollbringen, während die letzteren ihre Thaten, der Hauptsache nach, in und mit sich, ohne Beihülfe ausführen. Für ihre Werke verlangen sie nach geneigten Seelen – ihre Persönlichkeit, die Bekanntschaft[75] mit derselben hat kaum etwas damit zu schaffen. Ein sogenannter »fatalistischer Glaube«, wie er sogar noch dem großen Napoleon, einem so durch und durch modernen Menschen, hier und da zugeschrieben wird, zeigt sich bei den Helden der Poesie nur insoweit, als sie die Ueberzeugung hegen, von den Mächten, welche die Welt regieren, absolut dafür geschaffen zu sein, wofür sie leben. Das ist auch vollkommen ausreichend.

Von der starken »Willenskraft«, die dem Heerführer vor Allem nöthig, spricht man oft als von einer Errungenschaft – sie ist jedoch durchaus angeboren und man erringt sie nur, wenn man sie besitzt. In Dingen der Sittlichkeit und Moral mag der Wille sich stärken durch religiöse und philosophische Ueberzeugungen – in den Künsten zeigt er sich vor Allem in einem nie ruhenden Fleiße. Jener Fleiß, der mühelos schafft und dem es mehr um die Quantität als die Qualität zu thun ist, gehört nicht in den Bereich wahrhaft starken Willens – oft genug ist er die Folge des Gegentheils – des Gehorchens, Müssens, der Gewalt (von welcher Art sie sei) gegenüber. Aber jener Fleiß, der die Erreichung des Besten, was man leisten kann, zu einem kategorischen Imperativ macht, er kann nur von einem hohen Willen ausgehen, und wenn er, wie bei einzelnen großen Künstlern, auf die höchste Spitze getrieben wurde, dann wiegt er schwerer als der strengste Ascetismus, denn Thun ist eine andere Aufgabe als Erleiden. Auch von »vornehmer Gesinnung«, die ja menschliche Schwächen nicht ausschließt, ist er ein sicheres Zeichen – jener Gesinnung, welche die Grundlage des höheren Menschen bilden muß, wie der fruchtbare Humus eines Feldes, auf welchem gesäet und geerntet werden soll.

Die »Ruhmesliebe« gehört zu den nothwendigen Eigenschaften des Heerführers! Schwerlich hat sie großen Künstlern und Dichtern gefehlt, sie darf aber nicht mit der Gier nach Beifall verwechselt werden. Der echte Künstler gehorcht seinem Genius – er setzt voraus, daß seine Schöpfungen früher oder später zur Anerkennung gelangen werden. Einzelne Fälle mögen auch dazu drängen, die augenblickliche Wirkung im Auge zu haben – dann bleibt die Frage, zu[76] welchen Mitteln er greift? – es werden nur würdige sein. Hier zeigt sich der ungeheure Abgrund, der den Dichter vom Feldherrn scheidet – im gegebenen Momente muß der letztere siegen – er muß wenigstens alle Mittel versuchen, die zum Sieg führen können. Wenn unter diese die Anwendung der »List« gezählt wird, wenn der »Vernichtungstrieb«, die »Unbarmherzigkeit« als Nothwendigkeiten betrachtet werden, um ihn im concreten Falle vor nichts zurückbeben zu lassen, was sein Zweck erheischt, so ist das ja staunenswerth wie jede Besiegung des angeboren Menschlichen – freuen mag man sich aber, daß Großes und Herrliches geschieht und geschaffen worden ohne die Beihülfe jener Mächte.

Der »Muth«, der für den befehlenden, leitenden Krieger eine conditio sine qua non bildet, der zu den imponirendsten Eigenschaften desselben gehört – der kriegerische Muth, der nicht nur der Gefahr gegenüber Ruhe verleiht, sondern ein so vollständiges Vergessen der Gefahr mit sich bringt, daß Thätigkeit und Kraft des Geistes nicht nur nicht verringert, sondern noch gesteigert werden, er ist den productiven Helden nicht von Nöthen. Aber auch sie bedürfen ihres Muthes, wenn derselbe auch nicht allgemein staunenerregender Natur ist, schon deswegen nicht ist, weil er keinen Einfluß auf Tausende ausübt, weil er meistens gar nicht in den Vordergrund tritt, kaum von den Theilnehmendsten beobachtet werden kann. Er findet sich in der Unverzagtheit, Unverdrossenheit ihres Thuns, wenn demselben weder Verständniß noch Liebe, ja, Tadel und Spott zu Theil werden.

Dieser Muth tritt nicht in einzelnen Momenten imponierend vor die Welt – aber er muß vorhalten, lange und gleichmäßig. Man mag einwenden, daß er auf einer falschen Vorstellung der eigenen Begabung, auf Einbildung beruhen könne – ich glaube nicht, daß ihm dann energische Ausdauer beiwohnt und daß die Willenskraft ihn aufrecht hält.

Schwerlich wird man »Hoffnung« als eine specifisch militärische Eigenschaft hinstellen dürfen – welcher Sterbliche, vom Kinde zum Greife, vom Bettler zum König könnte derselben entrathen? Nur insofern spielt sie beim Feldherrn eine besonders hervorragende Rolle,[77] als sie ihn in den Stunden seiner höchsten Thätigkeit erfüllen muß, während momentane Muthlosigkeit am schlimmen Tage, die bei dichterischen Naturen leicht eintritt, Niemandem wehe thut als ihnen selbst. Wo es gilt, muß der Heerführer nicht allein hoffen, er muß seine Sache als gewonnen betrachten – schon der Zweifel ist eine halbe Niederlage. Für den Künstler ist die Hoffnung eine Sonne, die nie untergeht, wenn sie auch oft von Wolken verhüllt sein mag. Sie hängt mit jenem Glauben zusammen, ohne welchen überhaupt nichts auch nur Erträgliches zu Stande gebracht werden kann.

Aehnlich verhält es sich mit dem »Stolz«, der für Heerführer in Anspruch genommen oder wenigstens als eine ihrer Eigenschaften in Betracht gezogen wird. Führt er zur Selbstanbetung, so wird er, auch bei dem Größten, zur Schwäche; Ueberschätzung seiner Kraft soll Napoleon mehr als alles Andere zum Verderben gereicht haben. In der Welt der Kunst und Dichtung ist übertriebene Schätzung des eigenen Werthes gerade bei den Größten sehr selten, ihre Ideale sind zu unendlich. Doch wird das Wort Talleyrand's sich hier und da bewahrheiten, der gesagt hat: »Ich finde mich gering, wenn ich mich betrachte, bedeutend, wenn ich mich vergleiche.«

Vorsicht und Mißtrauen Anderen gegenüber scheinen nach dem Vorgang eines berühmten Philosophen – sehr empfehlenswerth: die Art und Weise, wie Heerführer diese zweifelhaften Tugenden üben haben jedoch einen besonderen Sinn. Die große Wichtigkeit, die ihr Dasein, ihre Wirksamkeit für so viele freundlich oder feindlich Gesinnte hat, ihr nothwendiger Egoismus macht es begreiflich, daß sie für ihre Person eine Bedeutsamkeit in Anspruch nehmen, die Alles übersteigt, was die meisten Sterblichen sich in dieser Beziehung erlauben dürfen. Daß Neider, Widersacher, Nebenbuhler im Bereiche des Künstler-und Dichterthums es auf das Leben der Hervorragenden abgesehen, ist kaum dagewesen – desto häufiger sucht man sie geistig zu vernichten. Das gehört aber zum Kriege Aller gegen Alle, der die Grundlage bildet unseres hohen Culturlebens – oder wenigstens zum »Kampf um's Dasein«, wie es die modernste Wissenschaft so prägnant ausdrückt.[78]

Zu den allgemeinsten Bedingungen menschlicher Thätigkeit zählt wohl ein »gutes Gedächtniß«. Die momentan bereite Sicherheit und Schlagfertigkeit eines solchen mag zu den unbedingtesten Erfordernissen einer Feldherrnseele gehören, wie überhaupt die gewaltige Zusammenraffung alles dessen, was ein Mann ist, weiß, vermag, im gegebenen Augenblick. Diese umfassende, wahrhaftige Geistesgegenwart ist's, was den Menschen bei großen Feldherren so staunenswerth erscheint und ihnen (namentlich wenn sie siegreich) so außerordentliche Bewunderung einträgt.

Das »Urtheil« soll beim Feldherrn obenan stehen! Wenn das heißt, die klar verständnißvolle Anschauung der Dinge und Verhältnisse, mit welchen er zu rechnen hat, so ist das eigentlich nichts anderes, als was jedem Mann Noth thut, der in weltlichen Dingen seinen Beruf und seine Thätigkeit findet. Ohne vorurtheilsloses Erfassen des Gegebenen ist es unmöglich, darauf weiter zu bauen. Für den Künstler ist die Klarheit des Urtheils wichtiger in Beziehung auf das, was er hervorbringt, als auf das, was er vorfindet, und bei dem großen Antheil, den die Empfindung im Dichterischen spielt, wird es vorkommen, daß er sich dem Gegebenen gegenüber nicht immer mit der Objectivität benimmt, die das Wesen des reinen Verstandes ausmacht. Viel liegt auch nicht daran, wenn er sich nur die so unendlich schwere Klarheit der Beurtheilung zu bewahren weiß, den selbstgeschaffenen Erzeugnissen gegenüber – man nennt sie bekanntlich Selbsterkenntniß und sie soll ja, im Allgemeinen, den Anfang und das Ende aller Weisheit bezeichnen. Die »Vorsicht«, die dem Helden unentbehrlich, gehört, denke ich, in das Bereich des Urtheils. Könnte sie, allzuweit getrieben, nicht mit dem Muthe in Conflict kommen? Bei dem Dichter, so weit die künstlerische Thätigkeit im Vordergrunde, wird die Vorsicht keine große Rolle spielen. Der Genius des Schönen ist von Hause aus unvorsichtig, und das schadet ihm auch nicht, wenn er nur schließlich nicht nachsichtig ist.

»Vornehmes Auftreten« sei, sagt man uns, Befehlenden angemessen – ich meine, wenn sie sonst alles haben, was dem Gehorsam erzeugt, werden sie mit derjenigen Milde im Wesen, welche Vornehmheit[79] nicht ausschließt, noch besser fahren. Das persönliche Auftreten hat bei dichterisch schöpferischen Geistern nur Wichtigkeit in ihrem Verkehr mit der Welt – mit dem, was sie zu leisten berufen, hat es nichts zu schaffen. Zu wünschen bleibt deshalb nicht weniger, es sei so, daß es nicht im Mißklang mit ihrem Beruf stehe.

Hervortretende Eigenschaften des Herzens, des Gemüthes, das, was wir in Bezug auf unser Empfinden Seele nennen, scheinen nicht zu den Erfordernissen des Feldherrn zu gehören, wenn sie auch nicht ausgeschlossen sein mögen trotz dem Vernichtungstrieb. Dichtung und Kunst sind ohne innere Wärme aber nicht denkbar – unerschöpfliche Liebesfülle, gälte sie auch nur dem zu schaffenden Werke, ist unerläßlich. Andauernder leidenschaftlicher Enthusiasmus muß schöpferische Geister erwärmen, erhellen – ja, er mag sie verzehren – mit Herzenskälte ist wahrhaft Großes nie geschaffen worden.

Wie ist's nun mit »Jovis Tochter, seinem Schoßkinde, der Phantasie?« Auch ihrer wird nicht gedacht in jenen Aufzählungen, und doch gehört sie zu den höchsten der dem Menschen verliehenen Gaben. Ich denke mir die Phantasie des Feldherrn heißt Combination, aber weit hinausgehend über das, was man gemeinhin darunter versteht. Er mag im Geiste Schlachten gewinnen, deren ganzen Apparat er sich aufbaut – er mag mit prophetischem Blicke vorausschauen, wie sich die Dinge gestalten, wenn er gekämpft und gesiegt – stets jedoch hat er mit realen Dingen, mit Thatsachen zu rechnen. Anders verhält es sich mit der dichterischen Phantasie. Ihr erscheinen, neu und plötzlich, Dinge, die sie vorher nicht ahnte – sie sieht, sie hört, wenn auch verschleiert, das Unerwartetste – eine Naturkraft macht sich geltend, die eben so unabhängig wirkt wie beglückend. – Beglückend für den Dichter, für die Welt, in der Gegenwart, in der Zukunft – freilich nur bei den Auserwähltesten!

Zu Anfang des Aufsatzes, der mir zu so vielen unnützen Betrachtungen Veranlassung gibt, ist vorübergehend von dem »etwas unbestimmten Begriff Genie« die Rede. Der Franzose, dem wir das Wort entlehnt, wendet es freilich tausendfach an und seine Bedeutung[80] hängt dann hauptsächlich von den Ausdrücken ab, die es begleiten – mir scheint aber, wir Deutschen haben diese Bedeutung vereinfacht und vertieft, und wenn wir auch immerhin noch ziemlich leichtsinnig damit umspringen, so macht seine Anwendung im strengsten Sinne jede nähere Bezeichnung großer und kleiner Eigenschaften unnöthig. Das wirkliche Genie besitzt, neben der unbedingtesten reichsten Begabung für eine oder mehrere Besonderheiten, die ganze harmonische Fülle von Fähigkeiten des Geistes, des Charakters, des Herzens, der Seele, die zur höchsten Entwicklung seiner Kräfte führen und mit welchen die bedeutendsten Menschen doch nur theilweise bedacht sind oder waren. Wie viele solcher absoluten Genies zählt die Geschichte der Menschheit? Vielleicht haben die Griechen deren die größte Zahl aufzuweisen – ich wage nicht, es zu beurtheilen. In der römischen Literatur findet sich schwerlich ein Genie – hatten die Römer überhaupt einen Mann von Genie außer Julius Cäsar? Die große Reihe der italienischen Künstler hat deren zwei, Rafael und Michel Angelo – vielleicht mag man den Leonardo ihnen gesellen. Haben wir Deutschen zwischen Karl und Friedrich, den Großen, ein Genie unter allen unsern Kaisern, Staatsmännern, Heerführern? Haben wir einen andern Dichter als Goethe, der ein Genie gewesen wäre, wie er selbst das Wort verstand? In der Tonkunst, in welcher wir über allen andern Völkern stehen, können wir doch auch nur Mozart, Beethoven so bezeichnen. Die große englische Literatur hat den einzigen Shakespeare, dem dieser Name zusteht! – Ich unterbreche Anführungen, über die sich ja vielfach streiten läßt – jedenfalls sind die Genies die größten Wunder, die uns offenbart worden, und glücklicherweise gab es und gibt es eine große Anzahl herrlicher, außerordentlicher, schöpferischer Geister, denen die Menschheit so unendlich viel verdankt – wenn sie auch nicht als Genies zu bezeichnen sind. Die sogenannte öffentliche Stimme geht mit der Verleihung Genie, das mehr bedeutet als alle Vornehmheit der Welt, oft genug sehr verschwenderisch um – man sagt zwar vox populi, vox dei –, das ist aber eine Blasphemie – einzelne mächtige Naturen hören einige Klänge aus der vox dei und versuchen sie dem Volke[81] mitzutheilen, das sie dann auffaßt, behält, fortpflanzt – so weit es solches vermag.

Ueber Feldherren, Künstler und Dichter in einem Athem zu plaudern, wird Manchem mindestens sehr bedenklich erscheinen – aber die Stellung ist es nicht, die den Werth des Menscher bestimmt – Homer steht eben so groß da wie Alexander, der nach einem zweiten Homer, für seine Unsterblichkeit, vergeblich verlangte.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 46-82.
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