Die Zauberflöte auf dem Kölner Stadt-Theater

am 7. October 1883.

[167] Die Aufführung des Mozart'schen Meisterwerkes am vergangenen Sonntag war ein künstlerisches Ereigniß und wurde von allen Seiten als ein solches aufgefaßt. Sie war die reife Frucht gemeinschaftlichen liebevollen Wirkens einer auserwählten Schar vocal-dramatischer Talente, die Director Hofmann die Einsicht und das Glück gehabt, hier zu vereinigen. Nicht durch stürmische, zuweilen aus Unstatthafte grenzende Beifallssalven zeichnete jener Abend sich aus – wohl aber durch ein so pietätvolles, lautloses Hinhorchen, durch eine so ununterbrochene innige Theilnahme, durch eine so gehobene, man könnte sagen, verklärte Stimmung des übervollen Hauses, daß man sich in einen kleinen Kreis Gleichgestimmter versetzt fühlte, der mit voller Hingabe sich um einen auserlesenen Menschen versammelt. Capellmeister Mühldorfer möge für sein Wirken und als Repräsentant der Mitwirkenden den allseitigsten Dank einernten für die glücklichen Stunden, die uns von Künstlern beschert worden, welche sich selbst glücklich fühlen mußten in ihrem so gelungenen Thun. Ein Werk wie die Zauberflöte so aufzuführen, daß die Wiedergabe in harmonischem[168] Verhältniß zur Bedeutung desselben stehe, ist eine der schwierigsten Aufgaben auf dem Gebiete der Oper. Hier handelt es sich darum, nur mit den lautersten Mitteln zu wirken, jedes allzu scharfe Hervortreten der Individualität zu vermeiden, dem Tondichter in seiner reinen Größe möglichst gerecht zu werden. Schon vom elementarsten musicalischen Standpunct aus sind die Schwierigkeiten ungewöhnlich. In unserer nicht nur in der Welt der Tonkunst an Dissonanzen so überreichen Zeit kommt es im Allgemeinen auf ein Hundert mehr oder weniger dergleichen kaum an, sie gehen in der Masse fast unbemerkt unter. Anders hier, wo nicht ein Nötchen unrein sein darf, wenn es nicht, wie ein falsches Wort in einer Goethe'-schen Dichtung, aufs unangenehmste berühren, wenn nicht der himmliche Wohlklang dieser Töne darunter leiden soll. Und nun das Eingehen in die Tiefe des Ausdrucks, in die feste, aber nie übertrieben gefärbte Charakteristik der Personen, in das dramatisch-kunstreiche Ineinandergreifen und Zusammenwirken derselben! Je mehr man sich diesen Betrachtungen hingibt, je schwieriger erscheint ein schönes Gelingen. Aber wahrlich, die Aufgabe ist ihrer Mühen werth. Hat das menschliche Genie in irgend einer Sphäre ein vollendeteres Werk geschaffen, als dieses in seiner äußern Erscheinung so bescheidene Singspiel? Schwerlich. Alle größten Ausprüche, die an den dichtenden Geist gemacht werden können, sie finden sich hier erfüllt in der vollständigen, keinen Augenblick ermattenden Kraft, die hervorgeht aus der Vereinigung reichster, unerschöpflicher Erfindung und höchster Macht der Kunst. Unverwüstliche Frische und Anmuth eines nie versiegenden Melodieenstromes, Knappheit der Formen bei voller Entwicklung dessen, was auszusprechen beabsichtigt ist, eine bis in den leisesten Ton des einzelnen Instruments, des einzelnen Accords sich zeigende Sparsamkeit der Mittel, die diesen dann eine um so unfehlbarere Wirkung verleiht, daneben eine solche wunderbare Macht der Combination, daß sie sich wie der naivste Erguß anhört; überall eine Reinheit des Geschmacks, die in keiner Note sich verleugnet – und über Allem schwebend die unbegreiflichste Schönheit, wie sie eben nur aus der Harmonie aller kleinsten Theile hervorgehen konnte.[169] Nie würde man fertig werden, wollte man alles aussprechen, was sich da Herrliches, Staunens- und Liebenswerthes zusammenfindet. Ein langes Leben und ein hingebendes Versenken in ein solches Kunstwerk reichen nicht aus, das Verständniß desselben zu erschöpfen. Aber gesegnet sei auch der alte Schikaneder oder wer es gewesen sein mag, der das vielgehöhnte vortreffliche Textbuch geschaffen. Allerdings, wenn man citirt, daß »Tod und Verzweiflung« sich nicht logisch folgen – daß »von Sinnen sein« keinen Aufenthaltsort bezeichnet – daß »Verbrechen und Tugend« sich schwer in derselben That vereinigen lassen, und was dergleichen mehr sich vorfindet, so mag man dazu lächeln, wenn wir Deutschen auch in unsern Opernbüchern, sie mögen Uebersetzungen oder Originale sein, an das Außerordentlichste gewöhnt worden sind. Das alles verhindert nicht, daß kein zweites Opernbuch da ist, welches einem Mozart gestattet hätte, über allem Irdischen zu schweben und doch das allgemeine, echt Menschliche zu malen. Wo gäbe es reinere Gestalten als Sarastro, Tamino, Pamina, ungetrübtere? Welch ein Naturbursche hält den Vergleich aus mit Papageno, der so liebenswürdig in der Befriedigung der Lebensbedürfnisse auch den Inhalt des Lebens sieht! Und die nächtlichen Gestalten, wie verschwinden sie in ihrer Machtlosigkeit gegen das hohe, reine Menschenthum, das allerdings nur in einer Zauberoper so siegreich sein kurzes Leben vollenden kann! Man wende nicht ein, daß die einfach verknüpften Scenen für den Gebildeten langweilig seien; – es ist nicht wahr, man folgt ihnen gern – der Weisheitstempel ist keineswegs läppisch – die Feuer- und Wasserpromenade mag noch so ungeschickt dargestellt werden, man betrachtet sie nicht scherzhaft – und der Verwöhnteste behält ein Lächeln übrig für die unverwüstlichen Ergüsse Papageno's. Und nicht ein Moment, der auf den feinern Sinn beleidigend wirkte – das jüngste Mädchen, der müdeste Greis, sie werden mindestens erfrischt und erheitert das Theater verlassen. Schließlich würde ohne dieses Buch Mozart die Zauberflöte nicht componirt haben – kann man sich aber die deutsche Oper, ja, die deutsche Musik denken ohne die Zauberflöte?

Tadeln ist eine so leichte Sache, daß es kaum der Mühe werth,[170] vollends, wenn man beglückend Schönem gegenübersteht. Eine kleine Ausstellung sei aber doch auch heute gestattet – sie betrifft die Cadenz der drei Damen am Schlusse der Introduction. Sie ist allerdings von Mozart niedergeschrieben, aber auch wieder gestrichen worden – und da sollte man sie nicht aus dem Manuscript hervorholen. Mozart war nicht nur der einzige Tondichter, er war auch der strengste Selbstkritiker – das beweisen seine Werke.[172]

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 167-173.
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