Die Aufsichtsbeamtinnen.

[45] Begreiflicherweise hatte ich zunächst keine klare Vorstellung von dem Range der einzelnen Aufsichtsbeamtinnen und von ihren Befugnissen. Wohl machte es einen entschieden günstigeren Eindruck, daß man hier nicht nur in menschenwürdigeren Räumen untergebracht war, sondern auch, daß die weiblichen Gefangenen mit weiblichen Beamten als direkten Vorgesetzten zu tun hatten. Das Gegenteil wird immer auf noch nicht völlig verrohte Gemüter niederdrückend einwirken.

Ich hatte wohl früher ab und zu einmal gelesen, daß irgendwo eine Gefangenaufseherin gesucht wurde, mir aber dabei eine wesentlich andere Vorstellung von einer solchen Beamtin gemacht. So würde ich auch, wie schon bemerkt, diese Frauen in ihrer einfachen Gewandung mit den großen weißen Schürzen in anderer Umgebung weit eher für Krankenwärterinnen gehalten haben, obgleich das mächtige Schlüsselbund, das jede von ihnen am Gürtel trägt, genügend auf ihr Amt hinweist. Dennoch werden sie tatsächlich von vielen erstmalig Inhaftierten durchaus nicht für Vorgesetzte gehalten. Die meisten von ihnen verstehen es jedoch sehr gut, sich den etwa fehlenden Respekt von den ihnen untergebenen Gefangenen binnen kurzem zu erzwingen.[45]

Im allgemeinen ist das Amt der Aufseherinnen im Untersuchungsgefängnis ein schwereres als in der Strafanstalt. Zwar hat besonders die Oberaufseherin weit größere Machtbefugnisse, weil sie als Justizbeamtin nur der Justizbehörde untersteht, das Gericht sich aber ziemlich wenig um die inneren Gefängnisverhältnisse kümmert, während in den Strafanstalten der Direktor überall allmächtiger Herrscher ist. Dafür ist aber auch die Verantwortung eine wesentlich größere. Dazu kommt das unruhige Hasten und Jagen, der äußerst wechselvolle Tagesdienst. Während man bei den Strafanstaltsbeamtinnen mit wenigen Ausnahmen von »des Dienstes immer gleichgestellter Uhr« reden kann, ist dies bei den Aufseherinnen der Untersuchungsgefängnisse durchaus nicht der Fall. Hier herrscht ein fortwährender Wechsel, ein stetes Kommen und Gehen.

Da ist das Verfahren gegen eine Untersuchungsgefangene eingestellt worden. Dort kommt eine Frau mit strahlendem Gesicht von ihrer Verhandlung. Sie hat einen Freispruch erzielt. Beide müssen natürlich sofort entlassen werden. Jede wird von einer Aufseherin in eine separierte Zelle geführt und dort vollständig entkleidet. Auch die, welche in ihrer eigenen Kleidung von der Verhandlung kam, muß ihre Sachen ablegen. Diese und sie selbst werden genau durchsucht. Sie könnte ja sonst etwas aus dem Gefängnis[46] hinausschmuggeln, was anderen minder glücklichen Untersuchungshäftlingen Vorteil brächte. Inzwischen sind schon wieder ein paar neue »Zugänge« eingebracht worden, die mitunter weinen und schreien und sich durchaus nicht in die Gefangenschaft finden können. Oder es kommt eine laut jammernd von der Verhandlung zurück, der eine härtere Strafe zudiktiert wurde, als sie erwartet hatte.

Es gehört oft viel dazu, um allen den Anforderungen gerecht zu werden, die da an die Beamten gestellt sind. Auch der Nachtdienst ist meist sehr unruhig und angreifend. Dazu die vielen Vorführungen der Untersuchungsgefangenen während der Amtszeit des Gerichts.

Aus all diesen Gründen kann ich noch heute nicht begreifen, warum die Frau Oberaufseherin sich und ihren Unterbeamtinnen den ohnehin schweren Dienst noch dadurch erschwerte, daß sie jede Untersuchungsgefangene sofort in Sträflingskleidung stecken ließ. Denn da man unmöglich die dicke Tuchjacke in der Zelle anbehalten konnte, auch nicht durfte, so mußte vor jeder Vorführung eine solche erst mit Hilfe der Ältesten über die blaugestreifte Leinenjacke gezogen werden. Dennoch blieb jede Beschwerde gegen diese völlig unangebrachte empörende Maßregel wirkungslos.

Als später im Laufe meiner langen Untersuchungshaft[47] die Oberaufseherin nach kurzer Krankheit starb und eine andere ihre Stelle einnahm, da brachte der Wechsel in der Leitung auch hierin eine gänzliche Umwandlung hervor. Für mich war es dann allerdings zu spät. Ich freue mich aber, daß den Nachfolgerinnen meiner Leidenszeit diese Pein wenigstens erspart bleibt. Gibt es doch ohnehin noch genug des Schrecklichen und Unerträglichen, das mit einer solchen Inhaftierung unabweislich verbunden ist. Untersuchungsgefangene dagegen gleich in vorhinein durch die Einkleidung zu Sträflingen stempeln, das ist eine Ueberschreitung der Machtbefugnisse, die nicht hart genug verurteilt werden kann. Denn wenn auch eine Anverwandte der Verstorbenen, eine Aufseherin, in gewiß anerkennenswerter Pietät die Motive zu dieser Maßregel insofern für gutgemeint erklärte, als die Leute dadurch während einer langen Untersuchungshaft ihre eigenen Sachen schonten, so wäre selbst dies eine gedankenlose Gutmütigkeit, die sicher mehr Schaden als Nutzen stiftet. Was sind ein paar ruinierte Sachen gegen das niederdrückende Gefühl der Demütigung, wie ich es beispielsweise empfand, wenn ich als ältere gebildete Frau im Sträflingsgewande mich über Treppen und Gänge des Landgerichts führen lassen mußte, wo es an Begegnungen mit mir bekannten Persönlichkeiten der Außenwelt keineswegs fehlte. Muß es nicht bei jüngeren Leuten[48] vollends jedes Schamgefühl abstumpfen, sie gleichgültig machen gegen die kommende Entehrung, wenn man sie schon als Untersuchungsgefangene wie Sträflinge hält und kleidet?

Nimmt man noch dazu, daß die Beschwerden über die Wegnahme meiner Beinkleider, sowie meiner Brille lange Zeit vergeblich blieben, trotzdem mir das Fehlen jener körperliche Leiden verursachte, während ich ohne diese kein Protokoll zu unterschreiben vermochte, so wird man mir vielleicht glauben, daß meine Gemütsstimmung nicht gerade eine rosenrote sein konnte.

Ich habe später die Strafhausleiden von der schwärzesten Seite kennen gelernt. Trotzdem – und obgleich die Beamtinnen im allgemeinen mich gut behandelten, obgleich besonders die nachfolgende Frau Oberaufseherin eine feingebildete und bei aller Energie äußerst humane Frau war, so muß ich doch sagen, daß die neun Monate Untersuchungshaft die schwerste Zeit meines Lebens gewesen sind. –

Im ganzen amtierten in der Gefangenanstalt zu D. ungefähr 6 bis 8 Aufseherinnen, deren Obliegenheiten, wie wir gesehen haben, sehr vielgestaltig waren. Außer denen, welche die im Erdgeschoß und in drei Stockwerken untergebrachten Gefangenen beaufsichtigen mußten, wurden immer je zwei der Wirtschaftsabteilung zugeordnet. Dort walteten sie[49] als Gebieterinnen in Küche und Waschküche, wo sie die dort beschäftigten, die sogenannten »kurzhaftigen« Strafgefangenen bei ihren Beschäftigungen überwachten.

Diese »kurzhaftigen« Strafgefangenen sind solche, die eine ihnen zudiktierte Gefängnisstrafe von höchstens drei Monaten im Untersuchungsgefängnis verbüßen.

In den Wirtschaftsräumen der Gefangenanstalt wird sowohl für die weiblichen als auch für die Gefangenen der Männerabteilung gekocht und gewaschen, deren »Älteste« das Essen aus der gemeinsamen Küche abholen. Die Reinigungsarbeiten dagegen auf Gängen und Treppen werden von den Aeltesten jeder Abteilung selbständig verrichtet.

Quelle:
Hoff, Marie: Neun Monate in Untersuchungshaft. Erlebnisse und Erfahrungen, Dresden, Leipzig 1909, S. 45-50.
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