Meine erste Gerichtsverhandlung.

[214] Nie in meinem Leben hatte ich einer Gerichtsverhandlung beigewohnt. Nur auf Bildern war mir ein Verhandlungssaal mit Richtern und Staatsanwalt, mit Delinquent und Anklagebank zu Gesicht gekommen.

Jetzt mußte ich selbst auf der Anklagebank Platz nehmen.

Es war am 10ten Dezember des Jahres 1900, desselben Jahres, wo ich im März wegen Betrugsverdachtes in Hast genommen wurde. Vergebens hatte[214] ich, wie schon erwähnt, gegen meine Verhaftung protestiert, vergebens versichert, daß ich nie daran gedacht habe, die aufgenommenen Darlehen nicht gewissenhaft wieder zurückgeben, jemanden auch nur um Pfennigswert betrügen zu wollen. Ich wurde in Hast behalten wegen dringenden Fluchtverdachts um der Höhe der zu erwartenden Strafe willen, sowie wegen Kollisionsgefahr, wie es in dem Haftbefehl hieß. Umsonst waren meine Einwendungen, daß ich nicht an Flucht denke, weil ich zu ehrliebend sei, um meiner Rehabilitierung selbst aus dem Wege zu gehen; daß es ohnehin einer älteren unbemittelten Person sehr schwer, ja unmöglich werden würde, eine solche Flucht ins Werk zu setzen. Ich fand keinen Glauben für all meine Beteuerungen.

So war es auch jetzt in der Verhandlung. Wie man mir erst nicht geglaubt hatte, daß ich durch Zeugen das Fehlen jeder betrügerischen Absicht nachweisen könne und werde, sobald man mich wieder in Freiheit setze, so sollte ich nunmehr meine Zeugen nennen, damit das Gericht sie zur Befragung lade. Vergeblich machte ich geltend, daß Damen der höheren Stände oft lieber ihre nächsten Angehörigen verleugnen, als in Gerichtssachen verwickelt werden wollen. Man glaubte mir nicht, meinte vielmehr, ich wolle Ausflüchte suchen.

Vergeblich führte auch mein Verteidiger aus,[215] wie ich durch den Agenten, meinen Mitangeklagten in Wuchererhände geraten sei und sagte wörtlich:

»Leute, die sich auf solche Darlehnsgesuche melden, wissen ganz genau, daß dem Suchenden das Messer an der Kehle steht. In neun Fällen bereichern sie sich an der Not ihrer Mitmenschen. Im zehnten Falle, wo es mißlingt, schreien sie nach dem Staatsanwalt.«

Er hatte jedoch keinen Erfolg mit meiner Verteidigung.

War mir doch durch meine Inhaftierung die Möglichkeit entzogen worden, mich zu entlasten durch den Nachweis, daß ich jahrelang nur für meine Blutsauger gedarbt und entbehrt, mir nicht das geringste gegönnt hatte, um meinen Verpflichtungen nachkommen zu können; daß mir dies auch anfangs immer gelungen war, bis die Schulden durch die wucherischen Zinsen lawinenartig anwuchsen und mir zuletzt über den Kopf stiegen.

Da ich nun infolge meiner Verhaftung dies nicht durch Zeugen beweisen konnte, und da auch die Richter keinem Menschen ins Herz sehen können, so mußte es kommen, wie es kam. Ich wurde wegen absichtlichen Betrugs zu der schweren Strafe von zwei Jahren Gefängnis verurteilt, trotzdem ich noch nicht vorbestraft war, vielmehr fast fünfzig Jahre eines nachweislich tadellosen Lebens hinter mir hatte.[216]

Quelle:
Hoff, Marie: Neun Monate in Untersuchungshaft. Erlebnisse und Erfahrungen, Dresden, Leipzig 1909, S. 214-217.
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