Zweiter Band

An Herrn ***

Gerade bei Empfang Ihres Briefes wollte ich die zweite Hälfte des durchgesehenen Exemplars meiner Schrift an die Verlagshandlung abgehen lassen. Was Sie mir über den Eindruck, den dieselbe auf Sie und mehrere Ihrer Freunde gemacht habe, bemerken, soll mich nur zu Dank gegen Gott veranlassen, wenn er mich würdigte, manche Saite zu berühren, welche in gleichgestimmten Gemüthern ihren Wiederklang findet.

Der Bemerkung, ich hätte in meine Schrift Verschiedenes hineingezogen, was zu meiner Person bloß in untergeordneter Beziehung stehe, und ein mäßigerer Umfang würde derselben mehr Leser und vielleicht größere Wirkung verschafft haben, kann ich doch nur theilweise beipflichten. Letzteres möchte wahr seyn; bezüglich des Ersteren glaube ich aber entgegnen zu dürfen: obwohl Verschiedenes seine Veranlassung in Beobachtungen auf Reisen gefunden, dürfte doch nichts berührt worden seyn, was nicht mit religiösen und kirchlichen Fragen der Gegenwart und hiedurch mit meiner innern Entwicklung in naher Verwandtschaft stände.

Daß bei einer zweiten Auflage der Schrift das Eine oder Andere wegfallen oder abgekürzt werden könnte, fühle ich sehr wohl. Allein Sie wissen aus Erfahrung, wie viel leichter es ist, dem zweiten Abdruck eines Buches hinzuzufügen, als daraus wegzulassen; daß bei einem solchen, welches entgegensetzter Beurtheilung[5] nothwendig unterliegen muß, das Letzte noch schwieriger wird, muß Ihnen gewiß einleuchten; schwieriger deßwegen, weil Gehässigkeit und Verdrehungssucht hierin einen bequemen Anknüpfepunkt finden könnten. Mögen dieselben jetzt daran sich halten, daß ich auch das Erstere nicht vermieden habe. Meinethalb! Es kann bei Schriften solcher Art von einer streng einhaltenden Form kaum die Rede seyn; was an ihnen für den Einen Veranlassung zum Tadel wird, dem zollt der Andere Beifall. Die Frage, welche Alle zugleich stellen dürfen, lautet: ist der Verfasser durchweg wahrhaftig, hat er sich nicht anders gegeben, als wie er ist? Hierüber soll nicht seine Person, sondern seine Schrift Zeugniß geben.

Venedig, an Aller Seelen Tag.

1845.

F. H.[6]


Von jenem tumultuarischen Wesen, unter welchem in allen Ländern die Reformation hervorbrach und in den einen Geltung, Anerkennung und Herrschaft zu gewinnen versuchte, in den andern hiezu es brachte, mußte nothwendig der Blick wieder zurück sich wenden auf die alte Kirche überhaupt, im Besondern aber auf die Anfänge der Verbreitung des Christenthums.

Ei! wie anders als diese hastigen Glaubensverbesserer, die mit Gewalt den alten Bau niederreißen und nach ihrem Sinne einen neuen aufführen wollten, haben nicht Jene gehandelt, »deren Ruf ausgegangen ist in alle Lande und deren Wort erschallt hat von einem Ende der Erde zu dem andern!« Welch' andere sittliche Naturen waren nicht diejenigen, welche als von Gott berufene und ausgesendete Boten den heil. Christum verkündigt haben, »daß er der Herr seye, zur Ehre des Vaters!« Welch' anderer Mittel haben sie sich bedient, sie, die aufgerichtet haben das Wort der Versöhnung unter allen Völkern; sie, die »bekehrt haben die Herzen der Kinder zu dem ewigen Vater;« mit denen Allen die Gnade des Vaters, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes unverkennbar war!

Haben auch sie die Gnadenbotschaft verkündet, das Kreuz aufgerichtet, das wahre Gotteslicht angefacht, den Weg, die Wahrheit und das Leben dargewiesen, in die Liebe Gottes gepflanzt, was zuvor nicht seine Liebe war, haben auch sie dieses Alles bewerkstelligt unter Auflehnung, Eigendünkel und Streitsucht,[7] durch Raub und Hader, durch Keulen und Schwerter, durch Blutgerüste und Verbannungen? Haben auch sie, die mit allen ihren Glaubensbrüdern so oft den blutigsten Verfolgungen durch die heidnischen Kaiser sich blosgestellt sahen, gleich dem Reformator Mathäus Flacius gelehrt: man müsse die Fürsten dadurch im Zaum halten, »daß man ihnen Empörungen im Hintergrund zeige?« Haben auch sie die Massen gespornt, in die Tempel – und waren diese doch nur der Götzenverehrung gewidmet! – einzubrechen und sie zu verwüsten? Haben auch sie ihre Widersacher, ob Heiden, Juden oder Irrgläubige, darniedergeschimpft? Haben auch sie nach Blut gelechzet, und mittelst dessen dem Wort, welches sie lehrten, Eingang und Verbreitung zu verschaffen gesucht? Welche Aehnlichkeit zwischen jener langen Reihe erlauchter Namen, die, mit Clemens von Rom beginnend, durch die ersten vier Jahrhunderte (um blos auf diese mich zu beschränken) herabläuft, und denjenigen Namen, welche die erste Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts nennt, läßt sich aufweisen? Haben nicht so viele von Jenen in manchartiger und staunenswürdiger Weise buchstäblich an sich in Erfüllung gebracht das apostolische Wort: »durch den Glauben haben sie Königreiche besiegt, Gerechtigkeit gewirkt, Verheissungen empfangen, der Löwen Rachen verstopft, die Wuth des Feuers erstickt, sind der Schärfe des Schwertes entronnen, gekräftigt aus Krankheiten hervorgegangen, unbesiegbar geworden im Krieg; haben der Fremden Heere darnieder geworfen; Andere haben Hohn und Schläge, Kerker und Bande erduldet; sie wurden gesteinigt, zersägt, gemartert, durchs Schwert getödtet; sie sind in Schafspelzen, in Ziegenfellen, hungernd, geängstigt, Trübsal duldend, weil ihrer die Welt nicht werth war, in Einöden umherirrend, auf Gebirgen, in Schluchten, in Höhlen; Alle bewährt durch das Zeugniß des Glaubens.«

Wenn denn das Urchristenthum so Alles, die Reformation nichts Anders ist, als eine Zurückführung des Glaubens und der Gestalt der Kirche, nach so vielen Jahrhunderten einer unermeßlichen Abirrung, zu jenem schönen Zustande, warum denn[8] sind die geistigen Kräfte, die sittlichen Elemente, welche jenes gegründet, und es alles Widerstrebens ungeachtet in die innersten Tiefen der Menschheit unerschütterlich gegründet haben, vor drei Jahrhunderten nicht ebenfalls reproducirt worden? Man sollte glauben, gleiche Zwecke ließen sich vorzüglich durch gleiche Mittel erzielen, so wie beide gegenseitig ins Licht sich setzen. Wollte man aber jene Männer im Anfang des 16ten Jahrhunderts neben jene der ersten vier Jahrhunderte der christlichen Kirche stellen, wie erstaunlich viel müßte nicht postulirt, wie ungleich mehr noch ignorirt werden? Prüfen wir dagegen das Leben, würdigen wir das Verfahren, durchforschen wir die Schriften derjenigen, welche frevelhaft den gewaltigen Riß in die Kirche gemacht haben, so mögen wir wohl das Urtheil eines neuern Schriftstellers ernst, aber nicht unbegründet nennen, welcher sagt: »Vergeblich suchten wir bei den Männern, welche die von dem Erlöser als vollkommen göttlich geoffenbarte Religion von Mißbräuchen zu reinigen berufen sich wähnten, die zu einem solchen Unternehmen durchaus unerläßlichen Eigenschaften: ruhige, klare, feste Besonnenheit, Sanftmuth, Reinheit der Sitten, Demuth und Bescheidenheit, gewissenhafte Menschenliebe, Duldsamkeit, apostolische Erleuchtung, feyerlichen Ernst, gediegene Kenntniß des christlichen Alterthums; – statt dessen finden wir nur: Wankelmuth und widersprechende, stets wechselnde Meinungen, heftige, leidenschaftliche Gemüthsart, unbegränzten Ehrgeiz, anstössiges, unsittliches Betragen, den feindseligsten Verfolgungsgeist, Selbstsucht, Rabulisterei, die rohesten Ausbrüche der Uneinigkeit, leichtfertige Lästerung in Glaubenssachen, Hader und Schmähsucht, Oberflächlichkeit und Einseitigkeit in wissenschaftlichen Kenntnissen.« – Käme uns da nicht Augustins Wort im fünften Buch seiner Gottesstadt zu Sinn: »Was ist geschwätziger als die Eitelkeit? In ihr liegt nicht die Kraft, welche in der Wahrheit liegt. Läge sie aber auch in ihr, so würde sie doch mehr schreyen als die Wahrheit.«

[9] Das lehrten, das sprachen in unmißverstehbarem Wort, mit unwiderleglichen Thatsachen die Zeugnisse der Geschichte, an welche noch andere Erwägungen aus derselben sich anknüpften. Eben dieses Jahrhundert, welches in seiner ersten Hälfte Luther, Carlstadt, Münzer, Zwingli, Calvin und so viele Andere, dann die beklagenswerthe Wunde, welche der Kirche geschlagen worden, gesehen hatte, sah in seiner zweiten Hälfte einen heiligen Ignatius, Franz Borgia, Camillus Lelli, Philipp Neri, Carl Borromäus, Franz von Sales, Vincenz von Paulo, eine heilige Theresia und so Viele, nicht blos Heilige der Kirche, sondern überhaupt Lichter des Menschengeschlechtes. Sollte dieses seltene Zusammentreffen der ausgezeichnetesten Geister, der edelsten Naturen, der thätigsten Individualitäten zu Heilung der brennenden Wunde, zu Reinigung, Erneuerung und Erkräftigung der Kirche von innen heraus nichts weiter als ein glücklicher Zufall, ein günstiges Ereigniß gewesen seyn? Und ob ihr die Treue, die Ausdauer, das Wirken zu Anderer Seelenheil; ob ihr die Erleuchtung, die Sittenreinheit, die Tadellosigkeit des Lebens; ob ihr einzelne Tugenden, als: Gehorsam, Demuth, Bescheidenheit, Selbstverläugnung und Selbstaufopferung; ob ihr einzelne Geistesvorzüge, als: Klarheit, Wärnte, Folgerichtigkeit, Eindringlichkeit des Gesprochenen oder des Geschriebenen als letzten und höchsten Maaßstab zu Beurtheilung des wahren Werthes des Menschen aufstellet, wie verhalten sich diese mit Recht als heilig Erkannten und Geehrten zu denjenigen, die nicht allein sich selbst mit vielen Andern von der Kirche losgerissen, sondern Alles daran gesetzt haben, dieselbe zu zerstören?

Es durfte aber nicht bloß das höchst berücksichtigenswerthe Moment des gleichzeitigen Erscheinens dieser Männer erwogen, nicht allein die Individualität eines Jeden derselben angeschaut, nicht einzig ihr Wesen, vorzüglich von dessen sittlicher Seite, gewürdigt werden, sondern es bot sich zugleich die Frage dar: zu welchen Schlüssen werden wir berechtigt, wenn wir die Mittel ihrer Wirksamkeit, die Art und Weise derselben, sodann den Einfluß ihres Thuns und Waltens auf die Bekenner der[10] Kirche, aus welcher sie hervorgegangen sind und welcher sie ihr Leben geweiht haben, den Mitteln, der Wirksamkeit und dem Einfluß derjenigen gegenüberhalten, durch welche die Trennung von der Kirche bewerkstelligt worden ist? Ich habe bereits in einem nach allen Seiten gewendeten Ueberblick von jenen Mitteln so wie von der Art und Weise gesprochen, in welcher die Trennung angebahnt und durchgesetzt wurde; zugleich, theils nach den eigenen Zeugnissen der Urheber derselben, theils nach andern Geständnissen und Klagen, den sittlichen Zustand berührt, der in den allerersten Zeiten ebensosehr an Denjenigen, welche das Begonnene pflegen und festigen sollten, als an dem Volk, welches auf diese Bahn gezogen worden, sich bemerklich gemacht hat. Daß aber der langjährige kirchliche Kampf, die hieraus hervorgehende unvermeidliche Lockerung aller Bande, die alle Verhältnisse durcharbeitende Lösung jeglicher Ordnung, das gegewaltige Anstürmen wider das Bestehende, die heftigen Angriffe auf Dasjenige, was bisher geglaubt und geübt worden, das unablässige Herabwürdigen und Verlästern aller in das Leben verwachsenen Anordnungen und Einrichtungen, der in wogender Fluth über den kirchlichen Boden sich wälzende Zweifel und Widerspruch, daß dieses alles eine erschütternde, lokernde, auflösende, aus den Fugen treibende, verwüstende Wirkung nicht auch da müsse geübt haben, wo es zuletzt gelang, die endliche Zerstörung abzuwehren, das wird wohl Niemand können in Abrede stellen. Festigung und Erneuerung der Kirche, Herstellung von Zucht und Ordnung, unter der Geistlichkeit nicht minder als unter den Layen, das that überall Noth. Nicht ein neuer Geist müßte dem mit Christo verbundenen Körper eingehaucht, es mußte nur der unsaubere Geist gebannt werden, der unter der wilden und wüsten Parteyung sich eingeschlichen, jenen zurückgedrängt, dessen belebenden und lenkenden Einfluß gelähmt hatte.

Das ist dem gleichzeitigen Auftreten und obwohl verschiedenartigen, doch durch denselben Geist und denselben Zweck geeinten Wirken jener Männer zu verdanken, die aus dem engern Kreise,[11] in welchem sie sich bewegten, bald nach jenen trüben Zeiten als Lichter der gesammten Kirche aufstiegen und deren Reformatoren im schönsten Sinne des Wortes wurden. Wer die Weltordnung bloß nach mechanischen Gesetzen sich verlaufen läßt, sieht in dieser bedeutungsvollen Erscheinung nur den unvermeidlichen Rückschlag jener die Welt durchzuckenden Schwingung; wer das Daseyn und die Fortdauer der Kirche mit einem über ihr stehenden Walten ewiger Liebe in Verbindung setzt, verehrt darin eine im Augenblick dringlicher Noth unverkennbar hervortretende Obsorge derselben. Fragt aber Jemand nach den Mitteln, welche diese, durch den Herrn der Kirche zu deren Heilung berufene Männer angewendet haben, so wird der Lebenslauf eines Jeden derselben ihn belehren, daß es die einfachsten, aber zugleich die förderlichsten waren, die sich auffinden ließen: sie haben dem Geist, der von Gott ausgeht und dessen Organ die Kirche ist, den unbedingtesten und unbeschränktesten Einfluß zuerst auf sich selbst gestattet, hienach durch ebendenselben auf Andere einzuwirken gesucht. Welchem aus ihnen in dem Gang seiner kirchlichen Thätigkeit ihr folgen möget, nirgends werdet ihr auf Anwendung gewaltsamer Mittel stossen; nirgends in ihrem Thun wird euch Poltern und Lästern begegnen; nirgends bei ihrem Bemühen werdet ihr ihnen ein endloses Schwanken in dem, woran sie festhielten und worein sie gewurzelt waren, nachweisen können. Oder hat aus ihnen auch Einer nur die höchsten, die gesammte Geisterwelt bewegenden Fragen heute so, morgen im entgegengesetzten Sinne entschieden? Hat aus ihnen auch Einer nur jetzt um die Gunst der weltlichen Gewalt gebuhlt, und dann wieder ihr Trotz gesprochen? Hat von ihnen auch Einer nur den Kampf des Menschen um Selbstbeherrschung und Selbstverläugnung, dem schon von den Heiden der Preis zuerkannt worden, hinabgezogen in die eckelhafte Pfütze des gemeinsten Hohnes? Hätte auch Einer nur von ihnen über Hurerei und Vielweiberei mit empörender Leichtfertigkeit sich geäussert? Hätte auch Einer nur aus ihnen gegen Jene, die doch in seinen Augen Aufrührer, Ketzer und Abtrünnige seyn mußten, bloß[12] von ferne eine solche Sprache sich erlaubt, wie sie jenen gegen die Kirche, deren Oberhaupt, alle ihre Hirten, Lehrer und Bekenner ganz geläufig geworden war?

Dagegen werdet ihr an denselben verwirklicht finden jene, die lieblichsten Tugenden in sich fassende Aufforderung des heil. Apostels: »Im Uebrigen, Brüder, was wahrhaftig, was keusch, was gerecht, was heilig, was lobenswerth, was ehrenhaften Rufes, was eine Tugend seye, was zum Lobe der Zucht dienen mag, dem denket nach.« Deßwegen darf man ungescheut alle Gegner auffordern, die glaubenswürdigen Lebensnachrichten von diesen Männern, ihre Schriften, alle Documente über ihr Thun mit dem schärfsten Auge zu durchforschen: ob sie ihnen Widersprüche gegen jene apostolische Aufforderung nachweisen, mit anderm Vorwurf sie beladen mögen, als etwa mit dem, daß ihr Leben im strengsten Geist, ihr Wirken im unverdrossensten Dienste der katholischen Kirche verlaufen seye und kein anderer Zweck sie durchdrungen habe, als derjenige: Herstellung des Zerfallenen, Festigung des Erschütterten, Zurechtweisung des Verirrten durch Leben, durch Vorbild, Wort und That zu bewirken.

Ob und wie ihnen dieses gelungen seye, hierüber mangelt es nicht an Zeugnissen, die freilich anders lauten, als jene über die nächsten Folgen der verkündeten neuen Lehre vorhin angeführten. Ueberall mit dem Erscheinen dieser Männer sehen wir die Geistlichkeit zurückkehren zu Unterordnung, Zucht, Pflichttreue, sittlicher Würde und Ehrbarkeit des Lebens. Jetzt noch begeht Rom den Gedächtnißtag des heil. Philippus Neri, als den eines wahren Regenerators der Geistlichkeit, in der solemnesten Feyer; und die jedesmalige Anwesenheit des Oberhauptes der Kirche mit sämmtlichen Cardinälen ist eine bis auf unsere Tage seinen hohen und fortdauernden Verdiensten dargebrachte danksagende Anerkennung. Jetzt noch zerbreitet sich über die Lombardei der Segen, welchen der heilige Bischof ihr gebracht und den die Stellung seines Riesenbildes zu Arona dem Geistesauge vergegenwärtigt. Jetzt noch ehrt Savoyen in dem großen Bischof[13] von Genf die feste Vormauer gegen feindliche Unterwühlungsschliche, die ganze katholische Kirche aber eines ihrer hochbegnadigtesten Glieder in dem reichen Kranz so Vieler. Jetzt noch sieht Paris um die irdische Hülle des reinsten Gefässes der wahren Charitas alljährlich in dankglühenden Herzen und froh gestimmt durch so gottgeweihten Vorgang zu heilbringender Nachahmung seiner Liebe Tausende und Tausende gesammelt. Jetzt noch ist der 31. Juli für alle wahren Kinder der Kirche ein Tag des Dankes und des Frohlockens zu Gott, in Erinnerung der reichen Segensströme, die er zu Erweiterung, Belebung und Festigung derselben in seinem begnadigten Diener, dessen sie dannzumal gedenkt, und in dessen Jüngern in ununterbrochener Strömung bis auf den heutigen Tag sich ergießen läßt.

Sofort die Thätigkeit dieser Männer in der Kirche und für die Kirche begann, öffneten sich allerwärts Bildungsanstalten für den Clerus: Uebungen, um denselben in stets regem Bewußtseyn seiner Bedeutung zu erhalten, wurden eingeführt; ein erneuerter Geist durchdrang den Unterricht und die Erziehung der Jugend; Verbindungen entstanden, um die Segnungen des echtesten Christenthums in den manchartigsten Manifestationen der reinsten Liebe durch alle Gliederungen der kirchlichen Gesellschaft und nach jeglichem Bedarf des oft von Kummer durchfurchten Erdenlebens zu verbreiten: mit höherer Würde und tieferem Ernst sah man allerwärts den Gottesdienst ausgestattet; zu sinnvollen Andachtsübungen ward das Volk geeinigt, daß fester sich weben möchten die Bande, welche den Einzelnen mit den Einzelnen und für Alle die Gegenwart mit der Zukunft verknüpfen sollten; in reinerem Eifer wurden die Heilmittel geboten und hiemit ein ausgebreiteteres und zugleich innerlicheres Verlangen nach denselben hervorgerufen; ein erfrischtes Regen, Bestreben und Hingeben, um die Gränzen der Kirche zu erweitern, ihr Licht aufgehen zu lassen über diejenigen, die in Nacht saßen, ward sichtbar, und ein neues Strahlendiadem von Glaubensboten, Bekennern und Blutzeugen leuchtete von ihrer[14] hehren Stirne. Auch damals, wie in unsern Tagen wieder, hatten die erschütternden Streiche in Kräftigungen zu dem wahren Leben und in Segnungen sich verwandelt.

Sollte aber eine Verbindung, die dergleichen Männer hervorbrachte und großzog, wie die Genannten, irgend einer andern nachstehen müssen? Sollten Licht, Leben, Wahrheit, Gotteserkenntniß und Gnade da vorzugsweise, ja sogar ausschließlich quellen und strömen, wo die Gegensätze, und so grelle Gegensätze, zu ihnen sich finden, und als allein heilbringend fortwährend festgehalten werden? Wahrlich, ein gewaltiges Moment lag und liegt in dieser Vergleichung für einen Jeden, der sie würdigen mag.

Im Verlauf vieler Jahre war ich mit jenen Namen allmählig bekannt geworden; ohne gerade nachzuspüren, begegnete ich allmählig genauern Nachrichten aus dem Leben und Wirken dieser Männer. Konnte ich solche Kenntniß verhüten? Durste ich so manches Ansprechende, Edle, so manchen Beweis einer hohen Frömmigkeit, eines ganz zu Gott gewendeten Lebens kalt zurückweisen, oder mit wegwerfender Gleichgültigkeit darüber hinweggehen, darum weil nun einmal die Schule es so verlangt? Wenn der Knabe an den Vorbildern der Vaterlandsliebe, der Selbstaufopferung, der Uneigennützigkeit, des Heldenmuthes, der Freundschaftstreue, an manchen Tugenden, welche in den Griechen und Römern uns entgegenleuchten, unbewegt vorüberschreitet, so wird es insgemein für ein schlimmes Anzeichen erachtet. Sollte aber derjenige, welchem in jenen Männern der Kirche noch eine ungleich vollendetere, weil aus einem tiefinnerlichen Glaubensleben hervorgegangene Blüthe der reinsten sittlichen Vollendung entgegentritt, dieselbe, wenn nicht geradezu anzweifeln, so doch auf einen weit geringern Maßstab reduciren, nur deßwegen, weil sie an einer äußern Lebensform erscheint, die nun nicht gerade die seinige ist? Wenn aber seine Geistesthätigkeit ihn nöthigt, die individuellen Erscheinungen mit den allgemeinen Zuständen und mit den hervortretenden Bedürfnissen irgend eines Zeitalters in Verbindung zu setzen, und er derartigen[15] Schlüssen über die höhere Bedeutung solcher Männer, über ihren heilenden und segnenden Einfluß auf gewisse Zeitfristen und gewichtigere Weltverhältnisse sich nicht entziehen kann, verlieren dieselben darum ihre Richtigkeit, weil dieses von Andern nicht will anerkannt, ja nicht einmal Befugniß dazu eingeräumt werden? Mag es für Andere unmöglich seyn, in der gleichzeitigen Erscheinung jener Männer dasjenige zu erblicken, was ich darin erblicke, für mich wäre es, da ich sie nun einmal nicht mehr ignoriren durfte, ebenso unmtöglich gewesen, sie von anderem Standpunkt zu würdigen, als es zuletzt geschehen mußte.

Derselbe Gegensatz ließ sich aber im Bereich der höchsten Staatsgewalten, inwiefern sie der Neuerung gehuldigt oder der Kirche treu geblieben waren, nicht verkennen. Auch jene haben mit ihrem wahren, lautern Christenthum bei jeder Gelegenheit um sich geworfen, in Betheurungen, wie sehr ihnen dieses ins Herz gewachsen seye, in jedem vorkommenden Fall recht breit sich ergangen. Dagegen haben sie keine Scheu getragen, die Türken, so oft es gelingen mochte, gegen die Katholiken in die Waffen zu jagen. Die jungfräuliche Beschirmerin des Glaubens in England ließ nichts unversucht, um den Sultan Murad zum Krieg gegen Philipp von Spanien zu reizen. Alle diplomatischen Buhlkünste, die verworfensten Schmeicheleyen waren ihr nicht zu entehrend, um diesen Zweck zu erreichen. Ihr Gesandter mußte sich einen »Leibeigenen seiner Hoheit« nennen, sie selbst aber prunkte vor dem türkischen Padischah mit dem Namen einer »allermächtigsten und unüberwindlichsten Vorfechterin des wahren Glaubens gegen die fälschlich den Namen Christi nennenden Götzendiener.« Man ist ausser Stand, sich zu bekennen, ob die Kriecherei oder die Verworfenheit tiefer empöre, mit der sie dem Sultan sagen läßt: »Ihm habe Gott die Macht in die Hände gegeben, damit zu seiner Ehre alle Götzendiener, die verfluchten gemeinsamen Feinde ihrer Beiden, gänzlich vertilgt würden.« – So haben die von der Kirche Abgefallenen die Türken nach Ungarn gerufen, bei der[16] zweiten Belagerung von Wien deren Artillerie bedient, und hätten lieber das eigene Land sammt dem deutschen Reich in Paschaliks verwandelt, als den Fortbestand der Kirche gesichert gesehen. Wie viel Böses ihr aber auf den Kopf von Philipp den Zweiten zu häufen wisset, meinet ihr, auch er hätte zu solcher Herabwürdigung sich bequemen können, wie seine Zeitgenossen?


Christus sagt zu seinen Jüngern: »Wie mein Vater mich sandte, also sende ich euch;« dann wieder: »Ihr habet mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet und gesetzt, daß ihr hingehet und Frucht bringet und euere Frucht bleibe.« Sie haben diesen so klaren als inhaltsschweren Ausspruch nie mals seinem vollen Umfang und Reichthum nach gewürdigt, nie nach vollem Verdienen ihn herausgestellt. Es liegt in demselben, sofern diejenigen Stellen, welche Christi göttliche Sendung bezeugen, nicht weggeklügelt, wegvernünftelt, und hinweg mythisirt werden, das gewichtigste Zeugniß für die göttliche Stiftung des Christenthums, welches, wenn es Realität haben, wenn es wirklich, ob auch der Himmel und Erde vergiengen, als Wort von Oben nicht vergehen, wenn demselben eine Zukunft auf alle Zeiten gesichert bleiben sollte, nicht dem Zufall überlassen, sondern alsbald mit seiner Einführung in einer bestimmten Gestalt erscheinen, als sichtbare, wenn gleich der Vervollkommnung fähige Institution heraustreten mußte in die Welt, obgleich es nicht von der Welt ist. Jene Worte sind die Stiftungsacte der Kirche, in welcher zugleich die vollgültigste Erklärung über ihre Autonomie, ihr Regiment und über die Nothwendigkeit einer unmittelbaren Succession derjenigen, welche für stetes Bleiben feuer verheissenen Frucht sorgen sollen, von den zuerst durch ihn Erwähleten liegt, durch die er zugleich die Heilsordnung, womit er das Menschengeschlecht begnadigen[17] wollte, in die Welt eingeführt hat. Hier haben wir unumstoßlich die Organisation von oben, welche alle Gestaltung von unten und allen Einfluß auf diese von nebenher entschieden zurückweist. Daher die immer von neuem auftauchenden und oft mit so großem Eifer verfochtenen demokratischen Gelüste, selbst abgesehen davon, daß deren Verwirklichung die innere Auflösung nur in so weit erschreckenderer Gestalt enthüllen würde, für nichts Anderes, als für ein so unverdekteres Zeugniß der gänzlichen Abtrennung des Christenthums von seiner durch Gott gesetzten Wurzel und der völligen Subjectivirung desselben durch die Menschen gelten können. Sollte auch vor der Hand dieses demokratische Prinzip bloß an der Erscheinungsform des Christenthums und an seiner Stellung zu der menschlichen Gesellschaft sich geltend machen; wie lange würde es dauern, bis es ein Recht, auch über dessen innerstes Wesen zu Rath und zu Gericht zu sitzen, in Anspruch nehmen und sich für befugt halten würde, durch Mehrheit zu entscheiden, was ferner als christliche Lehre gelten dürfe, was nicht. Derjenige dagegen, welcher Macht und Ansehen in sich vereinigt, Andere zu erwählen, sie zu erwählen für Etwas, was über die Lebensdauer derselben hinausreichen sollte, hat hiedurch dem von ihm Eingesetzten Impuls und Richtung verliehen, und nothwendig mußten darum diese, wenn sie »in ihm bleiben« wollten und »er ihnen bleiben« sollte, in Gemäßheit des erhaltenen Auftrages, nachmals Beides auf Andere übertragen. Jenes einzige Wort ihres Herrn löst die Kirche von der Erdengewalt ab und bringt sie in organischen Zusammenhang mit ihm, der als ihr Haupt den Himmel eingenommen hat. Diesem gemäß hat auch die Kirche von ihrem Stiftungstage an durch alle Jahrhunderte gehandelt: sie hat die Glaubenslehren durch Diejenigen bestimmen lassen, welche zwar nicht sich vermaßen, den Eckstein des Glaubens gelegt zu haben, dagegen aber, wie sie denn hiezu berechtigt und verpflichtet waren, unter allen Umständen bekannten, daß sie auf diesen Eckstein durch ihn selbst erbauet worden; welche nicht ihn erwählet hatten, somdern durch ihn waren erwählet worden,[18] d. h. durch diejenigen, welche, kraft unmittelbarer Abstammung von diesen, in mittelbarer geistiger Verbindung mit ihm selbst standen. Durch diese hat die Kirche jederzeit die obersten Fragen entschieden; durch diese hat sie über die Anwendung des Glaubens auf das Leben Vorschriften ergehen, was des Gottesdienstes würdig, bestimmen, was der erkannten und geübten Lehre angemessen seye, erklären, entstandene Irrungen zurechtweisen und erhobene Zwiste in Glaubensfragen schlichten, durch diese, welche der Heilige Geist gesetzt hatte »zu Hirten und Lehrern, damit der Leib Christi erhalten werde,« das Regiment führen lassen; indem sie als oberste und allgemeine Lehranstalt für die Menschen nicht die Bildenden über den Lehrer, als Heilsanstalt nicht die Heilungsbedürftigen über den wahren Arzt hinaufsetzen konnte.

Wie eifrig aber vorangestellt worden, daß hinsichtlich dessen Allen, was Glauben, Leben und Gestaltung der Kirche betreffe, einzig der klare Buchstabe der heiligen Schrift maßgebend seyn könne; jenes vorhin erwähnte, bestimmte und nicht durch einen der erwählten Diener, sondern durch den Herrn selbst in feyerlicher Stunde gesprochene Wort haben sie unbemerkt gelassen, es nie aufgerufen, dieweil dasselbe ihr Unterfangen von vornherein verurtheilt, und es, so sie nicht wider das Urtheil in offene Auflehnung hätten treten wollen, unmöglich würde gemacht haben. Zuträglicher fanden sie, es unberührt bei Seite zu lassen; denn so ward es ihnen leichter, denjenigen zu erwählen, der sie nie, und Trotz zu bieten denjenigen, die er erwählt hatte. Hiemit aber lösten sie, bei aller Berufung auf den Heiligen Geist, von ihm sich ab. In ihrer selbst veranlaßten Lostrennung von der Wurzel und dem ihr entwachsenen Lebensbaum suchten sie Anerkennung, Beglaubigung und Schutz für ihre Meinungen, indeß die ursprüngliche Lehre von Oben ausgegangen war, von Unten, und die tiefsten Fragen, welche die erhabensten Geister seit anderthalb Jahrtausenden stets mit heiliger Achtung und demuthsvoller Ehrerbietung behandelt, erörtert und in Verbindung mit den Erwählten festgestellt hatten, wurden[19] jetzt dem Entscheid der Layen, nicht selten des Volkshaufens zugewiesen, das Siegel der Untrüglichkeit durch die Mehrheit von allerlei Händen ihnen aufgedrückt.

Hiemit hatten sie die, jenem Anspruch des Erlösers gemäß der Kirche zugesprochene, Autonomie auf eine Weise vernichtet, von der schwer zu bestimmen ist, ob das Wort leichtsinnig oder frevelhaft sie richtiger bezeichne. Auch von dieser Seite wurde die Kirche von ihrem Haupt abgerissen und dermaßen zersplittert, zerbröckelt, zerrieben, daß nicht Anderes übrig blieb, als das einem jeden, nach Höherem sich sehnenden Menschen innewohnende Bedürfniß einer Kirche durch die Nebelgestalt einer unsichtbaren, darum aber auch unerkennbaren Kirche zu ersetzen. Nachdem sie die weltliche Gewalt um den Preis der Kirchengüter und Kirchenzierden und durch die lockende Aussicht, ihrer Macht auch dasjenige Gebiet zu unterwerfen, welches bisanhin ausser deren Bereich gelegen, manchen Orts zu willfährigen Gehülfen und Genossen ihres Stürmens gemacht hatten, wollte Jenen die blosse Beiordnung nicht lange behagen; dem natürlichen Gang der Dinge zufolge behaupteten die Mächtigern, auf dem eröffneten Tummelplatz rechtsbefugte Herren allein zu seyn, und daß es einzig ihnen zukomme, Gesetz und Ordnung und Vorschrift zu geben; daß sie nunmehr es seyen, welche, so wie den Staat, so auch dasjenige, welchem der Name Kirche geblieben war, nach ihrem alleinigen Ermessen zu reguliren hätten. Folgerichtig! das läßt sich, dem angenommenen Princip gemäß, nicht in Abrede stellen. Denn, war jeder Christ sattsam erleuchtet, zu urtheilen, was die heilige Schrift offenbare, lehre und fordere; war er, wie man heutzutage sagen würde, mündig, um auch in Glaubenssachen sich selbst zur obersten Autorität zu werden, so mußte mit Recht das mindere dem Mehreren folgen und derjenige, welcher als blosser Christ schon für dieses im vollesten Maaße befähigt war, als Fürst zu jenem, welches doch nur Aeusseres und Sichtbares befaßte, vollkommen berechtigt sich halten. So kam es, daß selbst der Rath der kleinen Stadt Basel den zur Synode versammelten Prädicanten, welche[20] Verschwendung der Kirchengüter rügen, und die Anwendung der Kirchenzucht von der weltlichen Gewalt an die geistliche zurückfordern wollten, die Antwort ertheilte: »sie tractirten Sachen, die vor die Obrigkeit und nicht vor den Synodum gehörten.« Darum wohl Böhmer seinen dicken fünf Quartanten von dem protestantischen Kirchenrecht füglicher die Aufschrift hätte geben sollen: »Sammlung landesherrlicher Verordnungen in Kirchensachen.«

Ist der menschgewordene, zu unserer Erlösung am Kreuzeszesstamme gestorbene und am dritten Tage wieder auferstandene Gottessohn der Begründer der christlichen Kirche auf Erde; hat er derselben den Heiligen Geist verheissen und versprochen, bei ihr zu bleiben bis aus Ende der Tage: so kann doch das Vorgeben, seit zwölfhundert Jahren seye seine Kirche und seine wahre, eigentliche Lehre abhanden gekommen und seye sie unter einen Wust von menschlichen Erfindungen und Zuthaten dergestalt begraben worden, daß sie nicht mehr zu erkennen gewesen seye, kaum eine andere Bedeutung haben, als die Glaubwürdigkeit seiner Worte thatsächlich zu vernichten, und wird das pomphafte Vorgeben: jetzt erst habe man seine Lehre wieder aufgefunden, hervorgegraben, gereinigt, zum wahren Widerspruch gegen ihn, zu Verläugnung der Wahrhaftigkeit seines Wortes. Wie widerwärtig es auch christlichen Ohren klingen mag, daß Luther seine Fälschung der Stelle Röm. III, 28. bloß durch die Erklärung rechtfertigen wollte: »Doctor Martinus Luther wills also haben, und spricht, Papist und Esel seye ein Ding,« so hat sie doch das Verdienst der Aufrichtigkeit, indem er sich damit nicht hinter eine Autorität verbirgt, die durch jenes Vorgeben förmlich zu nichte gemacht wird.

Wo war denn Christus während der zwölfhundert Jahre, die von dem Concilium zu Nicäa bis auf die Bewegung zu Anfang des 16. Jahrhunderts verlaufen sind? Wo war denn der so feyerlich verheißene heilige Geist während aller dieser Zeit? Wo war denn mittlerweile die Kirche? Wo war denn inzwischem die Lehre? Etwa, wie zu behaupten versucht worden[21] ist, in einer chronologisch sich folgenden, nicht aber innerlich sich berührenden Reihe von Irrlehrern, von Abtrünnigen, von Widersachern. Waren ein Gregor der Grosse, ein Anselm, ein Bernhard, ein Franciskus, ein Thomas von Aquin, ein Bonaventura und wie sie Alle heissen mögen, die Lichter der Welt, der Kirche, ihres Zeitalters, waren so viele hocherleuchtete Oberhäupter der Kirche, treubesorgte und würdige Lehrer und Hirten, so viele fromme und demüthige Priester und Ordensmänner, so viele gelehrte und wahrhaft christlich gesinnte Schriftsteller, die in ununterbrochener Verkettung während eines vollen Jahrtausends sich die Hände reichen, so gar nichts? Waren sie aller christlichen Erkenntniß, alles christlichen Willens, aller christlichen That so baar und bloß, daß sie, die Einen der Erleuchtung, die Andern der Leitung, Alle der Gnade des heiligen Geistes unwürdig gewesen wären, bis derselbe endlich nach so langem Zurückziehen unerwartet in einigen störrigen Mönchen und in etlichen unruhigen Priestern die würdigen Gefässe seines Waltens und Wirkens sich wieder ersehen?

Ein unerklärlicher Gottmensch und Weltheiland müßte doch derjenige seyn, der Knechtsgestalt angenommen, den Kreuzestod erlitten hätte, um die sündige Menschheit mit dem Vater zu versöhnen und die grosse Gnadenanstalt in die Welt einzuführen, dann aber dieselbe, nachdem sie unter Dulden und Leiden, unter Mühsal und Verfolgung, unter Marter und Tod seiner Bekenner endlich den Sieg errungen und sich über den Erdkreis gefestigt, sofort allen verderblichen Einflüssen bloßstellen, dem innern Verderben preisgeben, der Verzerrung bis zur Unkenntniß hätte können anheim fallen lassen! Bekannte schon der grosse Lehrer der Völker, daß »der Schatz von Erleuchtung der Herzen zur Erkenntniß der Klarheit Gottes in dem Angesichte Jesu Christi in irdene Gefässe niedergelegt seye,« und hat er nicht Engel, sondern Menschen zu Trägern seiner Gnadenanstalt gemacht, so ist sich nicht zu verwundern, wenn auch in sie Menschliches, Unvollkommenes, ja Verwerfliches nun und dann, da und dort sich eingeschlichen hat, je eines Ortes sich wieder einschleicht.[22] Aber einen sonderbaren Begriff von Gottes Weltregierung und Christi Fürsorge um seine Kirche müßte derjenige immerhin sich bilden, welcher glauben könnte, Geschlechter um Geschlechter wären wieder hinabgesunken in Finsterniß und ehevorige Unerkenntniß und Gottlosigkeit, bis es ihm nach so langem Zeitverlauf beliebt hätte, dieselben wieder zu erleuchten, zu belehren, mit sich zu verbinden, und zwar durch Solche, welchen nichts weniger möglich gewesen, als ihre wunderbare Berufung hiezu vor den Augen der Prüfenden zu beglaubigen. Das Vorgeben mithin, das ächte Christenthum, so wie der Erlöser es der Welt gebracht, seye erst durch diese wieder aufgefunden und den Menschen verkündigt worden, ist, abgesehen von den Mitteln, wodurch die Annahme des Verkündigten vielfältig bewerkstelligt wurde, eine schwere Versündigung gegen Gott, Vernunft und Geschichte einerseits, und muß anderseits demjenigen, der in der Vergangenheit sich umgesehen hat und dieselben zu würdigen weiß, allermindestens als eine höchst gewagte Behauptung erscheinen; um so gewagter, wenn man sich nicht verhehlen will, daß derselbe Luther, welcher im Jahr 1520 schrieb: »Wir hatten das Papstthum für den Sitz des ächten und boshaften Antichrists, und glauben gegen dessen Betrug und Bosheit uns um des Heils unserer Seelen willen Alles erlauben zu dürfen,« später doch wieder bekannte: »es ist gefährlich und erschrecklich, etwas zu hören oder zu glauben wider das einträchtige Zeugniß, Glauben und Lehre der ganzen heiligen Kirche, so von Anfang her nun über 1500 Jahre in aller Welt einträchtiglich (also nicht jeweils auftauchende Meinungen von einzelnen Irrlehrern) gehalten.«

So stellte sich der Ursprung der Reformation und die Berechtigung zu derselben meinen, nach der Vergangenheit gewendeten Blicken dar. Aber dieselben müßten auch auf die Gegenwart sich richten, und die Frage: wie diese zu jener sich verhalte? sammt der Würdigung der Letztern wollte nun nicht ferner übergangen oder ausgewichen werden.[23]

Die Beseitigung aller und jeder Autorität, die Verwerfung eines aus der Kirche und durch die Kirche herausgebildeten und fortwährend festgehaltenen Glaubens, die Aufstellung des Satzes: daß für diesen die heilige Schrift die einzige Norm, zu deren Auslegung aber ein Jeder berufen und befähigt seye, hatte die Schüler und Anhänger der Reformatoren auf ein uferloses Meer hinausgeworfen. Die Meister, denen sie nun folgten, konnten ihnen um so weniger untrügliche Leitsterne und wahre Magnetnadel seyn, als gerade die Vornehmsten unter ihnen einzig in dem Widerspruch, hierauf in dem Haß gegen die Kirche sich gleich blieben, in Bezug aber auf das, was als allgültige, positive Lehre geachtet werden sollte, bisweilen heute diese, morgen eine entgegengesetzte Meinung entweder hinwarfen oder wirklich vertheidigten; wie denn schon Faber in seiner »christlichen Beweisung von sechs Artikeln«, aus Zwinglis Schriften 37 Stellen angeführt hatte, in denen dieser die Gegenwart des wahren Leibes und Blutes Christi im Altarssacrament behauptet, in achtundzwanzig dagegen sie förmlich bestritten oder verworfen hatte. Unter der Einwirkung jenes Satzes von allgemeiner Auslegungsfähigkeit der heiligen Schrift mußten unvermeidlich die seltsamsten Meinungen aufkommen. Da dann die Zahl derer, welche neben den Häuptern der Reformation sich einen Namen gemacht haben, nicht gering war, ließ sich nicht verhindern, daß unter denjenigen, die nur durch den allgemeinen Antrieb gegen die Kirche sich in Bewegung setzen liessen, anbei das Bedürfniß fühlten, Andern sich anzuschliessen, ein Schwanken entstehen mußte, welches vermuthlich jene Gleichgültigkeit gegen die Predigt zur Folge hatte, worüber aus den letzten Lebensjahren von Luther so bittere Klagen ertönen, und was Melanchton das tragische Geständniß abnöthigte: »er hätte über die Religionsspaltungen mehr Thränen vergossen, als Wasser in der Elbe fliesse.«

Die Nothwendigkeit, die eingerissenen Dämme durch andere zu ersetzen, machte sich nur allzubald fühlbar. Jede grössere Partei, welche Willen und Leben genug in sich verspürte, um[24] einer andern weder sich anzuschliessen, noch sich zu unterwerfen, sperrte sich durch ihre sogenannten Bekenntnißschriften gegen alle übrigen ab, stellte in diesen ihre Einigungsformel auf und mit derselben eine Autorität, ohne, oder gegen deren Wille ferner nichts dürfe gelehrt, nichts bezweifelt werden. Der ursprüngliche Satz: daß die heilige Schrift die alleinige Norm des Glaubens seye und ihr gemäß dieser müße bestimmt werden, blieb dem Wort nach fortwährend anerkannt, wurde aber schon durch das bloße Daseyn jener Formeln der That nach umgestossen; weil Auslegung und Anwendung der heiligen Bücher durch sie vorgeschrieben, dabei zwar wohl zu forschen geboten, aber mehr oder auch weniger zu finden, als jene gestatteten, untersagt war. Wehe dem Zwinglianer, der, auf seine heilige Schrift angewiesen, mit ihr in der Hand, eine Gegenwart Christi im Abendmahl in, mit und unter der Gestalt Brods und Weins gelehrt hätte; – seine helvetische Confession wies ihn unerbittlich an, wie er in Betreff dieser Lehre die heilige Schrift zu erforschen und auszulegen habe. Bullinger hatte sich auch mehrmals dahin ausgesprochen, daß er lieber in die katholische Kirche zurückkehren, lieber Jesuiten in seinem Zürich auftreten sehen, als mit den Tübinger Theologen und ihren Lehren Gemeinschaft haben wollte. – Wehe dem Lutheraner, der Brod und Wein für nichts weiter als für dürre Zeichen genommen und dabei mit der zwinglischen Auslegung der betreffenden Stellen sich beholfen hätte: die Einigungsformel lehrte ihn, daß dieß eine Auslegung der »Schwarmgeister« seye, mit welchen er jede Berührung sorgfältig zu meiden habe. Wie jeden Orts die Anwendung der heiligen Schrift, anders als die aufgestellten Formulare es gestatteten, bis hinab in die Mitte des vorigen Jahrhunderts verpönt war, dessen giebt die Geschichte genugsames, wenn gleich nicht erbauliches Zeugniß. Mittelst ihrer hatte der öde, fahle, dürre Buchstabenglaube auf lange die gemächlichste Herrschaft, das ausgedehnteste Reich begründet, die willenloseste Huldigung sich bereitet.

Unerschütterlich war die Herrschaft, unwiderruflich die Huldigung[25] nicht. Die subjective Vernunft, welche durch die Reformatoren so praktisch als theoretisch auf den Thron erhoben, durch die symbolischen Büchen hierauf von demselben unerbittlich hinabgestossen worden, machte im Verlauf der Zeit ihre Rechte wieder geltend. Sie, erst freigelassen, sodann wieder eingefangen, und an die Zwangsanstalt abgeliefert, hatte ihre Emancipationsacte nicht vergessen. Der Augenblick nahte, um die Bande zu zerreissen, in vollem Freiheitsgefühl die Welt zu durchziehen, und zuletzt, ihrer Kraft und ihres Willens immer bewußter werdend, mit denjenigen, welche, ihren ursprünglichen Anwälten und Beschützern zuwider, sie in so rohe Fesseln geschlagen, übel Abrechnung zu pflegen. Forschung, Gewissensfreiheit, Lehrfreiheit, scholl's von einem Ende zum andern; und mit Einemmal war Alles zum Forschen nicht blos berechtigt, sondern verpflichtet; sollte das Gewissen fortan nur annehmen, was ihm wohlgefiele, was darüber hinausgehe, als eiteln Zwang erachten. Lehrfreiheit mußte ohnedem als natürliches Recht gelten, dieweil das Scire tuum nihil est, nisi te scrire sciat et alter, gemahnte und kitzelte, das wiederaufgefundene Pfund nicht abermals zu begraben. Was hätten die gewagtesten Hypothesen der höhern Kritik, was hätte die kunstreichste Wendung der Exegese, was hätte die scharfsinnigste Verschmelzung jeder auftauchenden Philosophie mit der Dogmatik, was hätte die kecke Reduction des christlichen Kirchenglaubens auf etwelche Sätze der natürlichen Religion genützt, hätte nicht volle Freiheit dürfen gefordert, zuletzt genommen werden, dieß Alles zu verkünden auf Kanzeln und Kathedern, hiefür Schüler zu gewinnen, mittelst des eigenen Lichtes hundert andere Lichter anzuzünden und so das Geschäfte eines endlosen Läuterns, Aufräumens und Fortschreitens als Grundidee des Protestantismus zu rechtfertigen und zugleich zu bethätigen?

Nun ist es zum ersten dahin gekommen, daß jener todtgeborne Tyrann, den sie an die Stelle von Luthers freyer Forschung und allgemein eingeräumter Selbstprüfung auf den Thron gehoben hatten, darniedergestürzt worden ist; daß während ihm die Menge den Rücken gewendet hat, ja ein noch[26] grösserer Theil es nicht einmal mehr weiß, daß er einstmals in weitem Reiche unumschränkt gewaltet habe, allerwärts Einzelne über ihn zu Gericht sitzen und ihn für ein Ungethüm erklären, welches eigentlich aus den dunkeln Abgründen niemals hätte auftauchen sollen. So haben sie über die Unzulässigkeit des Symbolzwanges geschrieben; ziemlich überflüssig, weil die Zahl derer, die diesem Zwang sich unterwerfen, klein genug ist, diejenige, die ihn auflegen möchte, noch kleiner. Hat es doch neulich in der höchsten Behörde eines Schweizercantons verlautet: »Es gebe keinen protestantischen Lehrbegriff, und das helvetische Glaubensbekenntniß habe nicht allein alles Ansehen, sondern auch alle verpflichtende Kraft verloren. Manche früher erkannte Dogmen würden zwar von den Einen noch gelehrt, von Andern aber als veraltert und untauglich verworfen, so daß jeder Geistliche gewissermaaßen eine eigene Kirche repräsentire.«

Wenn zwar Manche dessen nicht Wort haben wollen, so wird es ihnen doch, wie viel Mühe auch sie sich geben, schwer fallen, aus der Verkettung der Thatsachen es herauszureden, daß Strauß nichts anders seye, als die consequente Folge des von Luther aufgestellten Princips, als die natürliche Entwicklung des durch ihn gegebenen Impulses, als ein unvermeidliches Stadium auf der von ihm vorgezeichneten Bahn. Bereits ist über dieses Stadium derjenige schon hinausgelaufen, der die christliche Religion aus der Multiplication des menschlichen Herzens und der menschlichen Phantasie, als der zwei zu ihrer Erzeugung zusammenwirkenden Factoren, entstehen läßt; der uns belehrt, daß die Phantasie dem Herzen dichte und liefere, was dasselbe begehre, dessen Bedürfnisse befriedige, dem Herzen einen Gott mache, wie es denselben brauche und wünsche, indem sie reiche Mittel besitze, ihm Alles zu gewähren. Aber auch dieser wieder wurde von jenem Andern zurückgelassen, der das Christenthum geradezu für die Schmach des Menschengeschlechts erklärte. Kann unter solchem unläugbaren Fortschritt das Geheul, welches um die Freigebung eines jeden Barrabas entsteht und Christum dem Kreuz überliefert, noch befremden?[27] Braust aber nicht zu jenem Endzweck solches Geheul von allen Seiten her und in allen gellenden Mißlauten an unsere Ohren? Giebt es irgend ein Wagniß, das gegen den Herrn und seine Braut, die Kirche, unternommen, irgend eine Schmach, die ihnen angethan, irgend ein Bubenstück, was wider sie verübt wurde, dem nicht Gruß und Handschlag entgegenkäme von Jenen, die unter jeglicher Larve knirschend wider den Herrn und seine Gesalbten sich zusammenbrüdern?

Meint man es fernerhin in Abrede stellen zu können, daß der Protestantismus, nachdem er erst die Schranken der Symbole darniedergeworfen, sofort kraft seines innern Wesens, seines obersten Grundsatzes, seiner alleranfänglichsten Vorgänge, von Semmler an eine lange Reihe hochgestellter Kanzelredner, vielgepriesener Jugendbildner, hochgeschätzter Schriftsteller hervorgebracht habe, deren in Verwerfung oder Zerklärung der positiven Glaubenslehren Einer weiter gegangen ist als der Andere, und um welche man kein gemeinsames Band weiter mehr zu schlingen wußte als dasjenige des Negierens; worin dann nicht des Ansehens wegen, welches der Glaube als Gegebenes für sie hatte, sondern bloß subjectiven Gutfindens wegen, Einige etwa minder weit gingen als die Andern, bis endlich, wie bereits erwähnt, der letzte Wellenschlag in den grausenhaftesten Atheismus zerrann? Da es wohl unmöglich wäre, vor einer so unabweisbar uns entgegentretenden Thatsache die Augen zu schliessen, oder diesen Zusammenhang wegzuläugnen, wie will man es so unbegreiflich finden, daß nach allen Fortschritten, welche die Einen sich erlaubt haben, da und dort ein Anderer noch weiter gegangen ist? Sollte etwas Unhistorisches in der Behauptung von einer, zwar durch viele Mitglieder sich durchziehenden, aber dennoch constant voranschreitenden Fortbildung der Reformationsprincipien bis zu Strauß und seinen Nachfolgern liegen? Sollte den Reformatoren Unrecht damit geschehen, wenn diese Fortbildung bis ins Nichts eine durch sie herbeigeführte Nothwendigkeit genannt wird? Ja, es läge ein schweres Unrecht darin, wenn Jemand so unbesonnen wäre,[28] zu behaupten, Jene hätten diese neuesten Erscheinungen vorausgesehen, mit Bewußtseyn vorbereitet, wohl gar erwartet. Ferne von mir solches Unrecht! Ja nicht einmal dessen, daß sie solche Folgen hätten ahnen können, wird Jemand, der nicht die Vergangenheit zum Zwecke der Gegenwart zurecht machen wollte, zu behaupten wagen. Und dennoch müssen diese Erscheinungen eine unausweichliche Folge der einmal in den Lauf gesetzten Lehren und der überhaupt gegebenen Richtung genannt werden. Auch war Strauß aufrichtig und einsichtig genug, um zu gestehen, daß die Reformation diese Entwicklung habe nehmen müssen, daß jetzt aber der wahren Consequenz nur die Wahl offen stehe, entweder diesem naturgemässen Gang des Protestantismus zu huldigen und zu folgen, oder aber mit der Rückkehr in die Kirche demselben überhaupt den Rücken zu wenden.

Der selige Eßlinger hat irgendwo die Bemerkung gemacht, daß Spötter, Verächter und Feinde des Christenthums auch unter den Katholiken auftreten mögen und aufgetreten sey, dieselben aber Layen, nicht Päpste, Bischöfe, Priester, Lehrer der Kirche gewesen seyen; indeß unter den Protestanten die gröbsten Angriffe auf das Wesen des Christenthums, unter dem Schein gelehrter Forschungen oder philosophischer Untersuchungen, vorzugsweise von Superintendenten und Professoren der Theologie ausgegangen, dieselben aber ihrer Stellen dennoch würdig erachtet worden seyen. – Gehen wir aber weiter, geben wir zu, es hätten sich irrige Lehren, verderbliche Bestrebungen, hochmüthige Auflehnungen je zuweilen und da und dort auch dem Schooße der katholischen Kirche entwunden, wären durch Geistliche aufgebracht, gepflegt und eine Zeitlang in Umlauf gesetzt worden. Aber die Kirche, sobald dieselben zu deren Kenntniß gekommen, hat weder die Irrthümer anerkannt, noch deren Verbreiter gewähren lassen; sie hat entweder den Krankheitsstoff mit den unverdorbenen Kräften wieder durchdrungen und hiedurch einen innern Heilungsproceß durchgeführt, oder denselben als Fremdartiges von sich ausgeschieden,[29] und hiedurch das Glied, welchem er sich ansetzen wollte, der Wiederherstellung durch die gesunden Säfte fähig gemacht. Es kann daher nichts Schieferes geben, als Aeusserungen, wie diejenige, welche jüngst in einer Beurtheilung von »Staudenmaiers Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems« zu lesen waren, und worin es heißt: »Hegel ist aus dem Protestantismus hervorgegangen; der Unglaube im vorigen Jahrhundert ging von Voltaire und den Illuminaten, also von katholischer Seite aus. Beide Confessionen haben einander nichts vorzuwerfen.« Das Letzte ist insofern wahr, als Voltaire, die Encyclopädisten und die Illuminaten in Ländern geboren wurden oder wirkten, in welchen die katholische Kirche einheimisch ist. Darum aber sind dieselben doch so wenig von der katholischen Kirche ausgegangen, als die Klosterstürmer im Aargau, seiner Zeit die Zwingherrn der Kirche in Luzern; indem zwischen dem »katholisch getauft« und ein Glied der katholischen Kirche seyn, ein wesentlicher Unterschied besteht. Alle Genannten sind nicht nur nicht in der Kirche gestanden und haben nicht bloß von derselben, wenn nicht formell, so doch materiell, sich losgesagt, sondern sie haben gegen dieselbe angekämpft, sie waren Widersacher derselben, deshalb hiedurch schon von ihr getrennt. Die Kirche hat sich sodann bei mehr als einer Veranlassung entschieden gegen sie erklärt, und darüber selbst die Verlästerungen und den Hohn ihrer Feinde in reichem Maaße hinnehmen müssen; mithin ein neuer Grund, um die Genannten zu ihr gar nicht zählen zu dürfen. Wenn sie aber nicht weiter und kräftiger gegen sie auftreten konnte, so geschah es nicht deßwegen, weil sie jene Lehren und Frevel mit gleichgültigem Auge wahrgenommen hätte, sondern deßwegen nur, weil dieselben hier die materielle Gewalt an sich gerissen hatten, dort auf deren Schutz und auf die Menge Solcher pochen konnten, die sich durch ihre Leichtfertigkeiten bethören ließen, oder die ihrem Anstürmen und Unterwühlen Beifall zollten.

Anders hingegen verhält es sich in dem Protestantismus mit Hegel und allen denjenigen Schul- oder Volkslehrern, welche[30] die Autorität des Christenthums untergraben und an die Stelle des Offenbarungsglauben eine bloße Vernunftreligion setzen wollen, oder zuletzt so weit vorangeschritten sind, um, wie die neuen Titanen der hegelschen Schule, aller Religion, als einem unnatürlichen Ding, den Krieg zu erklären. Ihr erinnert euch doch, wie das preussische Ministerium von den theologischen Fakultäten sämmtlicher Hochschulen ein Gutachten darüber verlangte: ob der Licentiat der Theologie, Bruno Bauer, der bekanntlich Strauß weit hinter sich zurücklaßt, noch ferner als Lehrer der Theologie – wohlverstanden der christlichen Theologie – dürfe geduldet werden? Ihr erinnert euch wohl, wie hierauf die theologische Fakultät der (zur Unterweisung im Christenthum gestifteten) Universität Königsberg in feiger und verdammlicher Meinungsverhüllung sich für incompetent erklärte, somit den Unterwühler aller Religion dennoch als Lehrer der christlichen fortan unbedenklich wollte gewähren lassen? Aufrichtig gesprochen: glaubt Jemand, wenn die gleiche Frage an irgend eine katholische Universität ergangen wäre, sie würde ebenfalls dieselbe in so treuloser Niederträchtigkeit von der Hand gewiesen haben? Fänden sich ferner gar keine protestantische Theologen, welche für Bauer jetzt noch einstünden, hiedurch seine Meinungen zu den ihrigen machten, und es somit anerkennten, daß ein vollkommen redliches Dienstverhältniß zu dem Christenthum auch bei gänzlichem Beseitigen desselben bestehen, daß die Treue, Redlichkeit und Intelligenz eines Dieners durch nichts glänzender sich bethätigen könne, als durch Ermordung seines Herrn? Könnte dies mit solcher Oeffentlichkeit und unter solchem breiten Pochen auf unbestreitbare Zuständigkeit derartiger Gesinnung in der katholischen Kirche ebenfalls auch vorkommen? Hat nicht ein unter den Protestanten in kirchlicher Stellung obenan Stehender (Macheineke) in Kraft dieser Stellung erklärt, man könne Bauer unmöglich verwerfen? Dürfte ein katholischer Bischof eine ähnliche Erklärung (und beträfe sie nicht einmal, wie hier, ein durchgeführtes widerchristliches System, sondern bloß eine einzige unkatholische Lehre)[31] mit derselben heitern Sicherheit abgeben? Aber freilich hatte Marheineke vollkommen Recht; er vertrat wirklich den Protestantismus, wie er geworden ist und werden mußte, denn er stützte seine Erklärung darauf: »Bauer habe die Kritik nicht angefangen, sondern nur fortgesetzt. Wollte man daher ihn verwerfen, so müßte man die lange Reihe seiner Vorgänger, die in vieler Beziehung das christliche Gebäude bereits wankend gemacht hätten, auch verwerfen; das aber seye Niemand eingefallen.« Heißt aber am Ende das nicht mit ehrlicherer Aufrichtigkeit sich äußern, als wenn man ein Hosianna über den gelegten Samen und ein Lamento über die endlich gereifte Frucht anstimmt?

Hier habt ihr den Commentar zu jenen manchmal vernommenen Worten: »Beide Confessionen haben einander nichts vorzuwerfen.« Zwei Haushaltungen stehen neben einander. Die eine bemüht sich, ihre Angehörigen zur Gottesfurcht, zur Sittsamkeit zu erziehen; der hierum besorgte Vater hält treue Wacht, daß Alles im Hause ehrbar und geordnet vor sich gehe In der andern heißt es: hier trägt Jeder sein Gesetz in sich selbst und damit die Freiheit, nach dessen Eingebungen zu handeln. Wohin solche Lehre führen werde, läßt sich leicht erniessen. Wenn nun aber ein Glied der erstern Haushaltung mehr die Gesinnungen der andern befolgen, über die Lehren des Vaters sich hinwegsetzen, sich so bewähren würde, daß der Vater dieses Glied, als nicht mehr zur Hausgenossenschaft gehörend, erklären, von seinem Rechte Gebrauch machen und es ausstossen müßte, könnte man deßwegen mit Wahrheit sagen: beide Haushaltungen haben einander nichts vorzuwerfen; was in der einen vorkömmt, kömmt in der andern ebenfalls vor?

Allerdings erheben sich gegen jene Bauleute, welche nicht nur den Eckstein verwerfen, sondern das ganze Gebäude abtragen möchten, auch unter den Protestanten Stimmen; eine Stimme aber kann sich wider sie nicht erheben; denn nirgends ist eine Macht, die ihrem Schaffen und Treiben Einhalt thun[32] könnte. Sie werden zu Lehrern der künftigen Diener des Worts gesetzt, und Niemand kann eine wirksame Gegenrede dagegen erheben; es werden ihnen Gemeinden übergeben, wo sie nach freyem Ermessen ihr Wesen treiben mögen, und Niemand ist, der hieran hindern dürfte; sie werden zu Hofpredigern bestellt und zu Consistorial-Räthen oder Superintendenten erhoben, und man muß ihren Protestantismus als einen vollkommen normalen, und ihre Wirksamkeit als eine mit dem Geist desselben in vollkommenem Einklang stehende anerkennen; es bleibt gar nichts Anderes übrig, als für denjenigen, welchem die »Kanzelvorträge« eines solchen vom Christenthum Zehrenden und hiefür dasselbe Verzehrenden nicht gefallen, die Freiheit, von denselben wegzubleiben und im Stillen gegen den Protestantismus desselben zu protestiren; denn geschähe es laut, so könnte es ihm ergehen, wie jenem im ersten Bande dieser Schrift erwähnten Bürger von St. Gallen, da er hiemit in ungeziemenden Tadel wider die oberste und untrügliche Autorität, die weltliche Macht, sich verliefe. Die Zahl derjenigen aber, welche Lehrer und Kanzelredner von diesem Geiste für die höher gebildeten und für die wahren Träger des Lichtes halten, ist gewiß eben so groß, als die Zahl derer, welche diese Meinung nicht theilen. Hierüber hat die neueste Erscheinung der »protestantischen Lichtfreunde« unwiderlegliche Beweise geliefert; und kaum ließe sich zweifeln, daß nicht dieselben auf bedenkliche Weise sich mehren dürften. – Nun läßt sich freilich nicht läugnen, daß es katholische Geistliche solchen Schlages ebenfalls gebe; aber gewiß in sehr geringem Maaße da, wo die Kirche in Betreff der Erziehungsanstalten ihrer künftigen Diener nicht von entgegengesetzten Bestrebungen der Staatsgewalt überwuchtet ist, und wo die Ausübung des obersten Hirtenamtes in dem vollen Umfange seiner Verpflichtungen durch dieselbe nicht gelähmt, wohl gar auf Null herabgesetzt wird.
[33]

Ueber diesen Wahrnehmungen hat eine Vermuthung mir sich entgegengedrängt. Wir sehen einerseits die katholische Kirche in allen Ländern einen Vergeistigungsproceß durchmachen, in welcher sie ebensosehr sich verklärt als erkräftigt. Jenes nicht in dem Sinne, in welchem es noch im Anfange dieses Jahrhunderts wollte genommen werden, wo unüberlegtes Dareinfahren, Auflösung der innern Organisation, Lockerung der Disciplin, Schmälerung des Cultus, Wegwerfen vieler Gewohnheiten und Institutionen, Verflachung des Dogma's, Verdrehung der Geschichte, lüderliche Unwissenheit, vornehmes Aburtheln und Geschmeidigkeit gegen weltliche Begehren, mit Vergeistigung und Läuterung der vermeintlich stumpf und dumpf gewordenen Kirche gleich genommen, und die Restauration des Hauses durch Einreissen, Zusammenschlagen und Beschränkung desselben auf die vier Hauptmauern und allenfalls noch das Dach sich bewähren sollte. Die gegenwärtig sich kund gebende Läuterung besteht als eine wahre, diesen Namen verdienende, im Gegensatz zu jener, darin, daß nicht eingerissen, nicht zusamengeschlagen, nicht ausgeräumt, nicht weggeworfen, wohl aber das Bestehende von dem Unrath, der etwa durch den Lauf vieler Jahrhunderte daran sich gehängt haben mag, in übereinstimmendem Bestreben so vieler Einzelner in allen Ländern gereinigt, wo es noth thut, der Bau ausgebessert, wo er wankend geworden wäre, befestigt, das Vorfindliche nach allen Seiten gewendet, besehen; nach Bestandtheilen und Bestimmung gewürdigt wird, und hierüber so Vielen das Licht aufgeht, Bau und Einrichtung und Ausstattung seyen doch nicht so unzweckmässig, wie jene Allerweltslichtmacher und jene Allessammtabschleifer auszujodeln beliebten; und es wäre doch Schade gewesen, wenn man ihrem blinden Eifer gefolgt, den Bau auch nur theilweise niedergerissen, mit ihrem wohlfeilen Tapeten ihn aufgeputzt hätte. Das Vergeistigen besteht vielmehr darin, daß man nicht in hohen und hohlen Worten gegen Organisation, Disciplin, Cultus und Dogma declamirt, oder in wässerichtem Gewäsche sie verschwimmen läßt, sondern[34] daß man in deren Wesen, in deren Sinn, in deren Bedeutung, in deren Wirksamkeit möglichst tief eindringt; daß man deren Werth, deren Zweckmässigkeit, deren Einfluß, deren Zusammenhang mit der Gottesanstalt und dem Bedürfniß der Glieder der Kirche zu ermitteln sich bemüht; wobei man zu ganz andern Resultaten gelangt, als die Werkleute mit Hammer, Keule, Hacke, Brecheisen, Kehrwisch und Schaufel je nur zu ahnen vermochten. Die Vergeistigung besteht mitunter auch darin, daß die Kirche, des überflüssigen Fettes entledigt, unter welchem sie zuletzt, in dämmerichter Behaglichkeit daherkeuchend, erlegen wäre, nun gelenkiger, regsamer, rüstiger geworden ist, und den einst allzusehr nach aussen gezogenen Blick mehr nach innen wenden kann.

Der Körper der heiligen apostolisch-römisch-katholischen Kirche, dann anderseits jenes Menschengehäuse, welches in Deutschland durch Strauß, Bauer, Feuerbach und ihre Genossen, in Frankreich durch Quinet, Libri und Gleichgesinnte vertreten wird, bilden die beiden Endpuncte des Menschengeschlechts, jener zum Himmel, dieser zur Erde gewendet, jener um den Sieg des Geistes über den Körper ringend, dieser den Geist in dem Körper aufgehen lassend. In zahllosen Abstufungen, in endlosen Bruchtheilen und Schattirungen, von den Ueberbleibseln der Frankfurter Pragmatiker und den sogenannten Katholischen tout court (oder in unsern Tagen Deutsch-Katholiken), weil sie nicht durch die Einheit, mit der Gesammtheit wollen verbunden seyn, bis zu denjenigen, die sich noch eine in den Ruhestand versetzte Gottheit können gefallen lassen, steht zur Zeit noch eine unermeßliche Menge, gesammelt aus allen denjenigen, die nicht eingegangen sind in die Kirche, und nicht sich angeschlossen haben den Herolden des nackten Materialismus. Nun aber scheint der Weltgang im Zuge zu seyn, daß je länger desto mehr dieses Mitten-inne-stehende von den beiden gegenseitig sich abstoßenden Kräften wird verschlungen werden; die halbe Wahrheit und der halbe Irrthum werden auf die Dauer in Unentschiedenheit sich nicht[35] mehr erhalten können; das eine oder das andere der beiden Elemente wild ihrer immer eine größere Menge an sich ziehen, bis endlich das zwischen inne liegende Feld wird gesäubert seyn, bis die Kirche und der Materialismus sich Auge an Auge gegenüber stehen, und der letzte Kampf mit dem Drachen beginnt. Aber, verhehlen wir es uns nicht, verstärkt immerhin die Kirche die Reihen ihrer Streiter – sie lassen sich zählen, die Massen wenden sich vorerst noch zu den wallenden Bannern des Andern, der lustig durch die Welt seine Trompeten schmettern läßt.


Es ist vor bald drei Jahrzehnden viel von der Union der Lutheraner und Reformirten gesprochen worden. Viel Rühmens und Jauchzens ward da über Berg und Thal gehört. Die Hoffnung eines gewaltigen Umschwunges der Dinge, einer durchgreifenden Wiedergeburt des Geistes ward daran geknüpft. Für mich war sie ein Zeitungs-Artikel, der gelesen und – vergessen wurde. Erst nachdem mir Muße geworden und die Täuschung nimmer länger sich verbergen ließ, hat dieselbe meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen; doch nicht, unt in den Preis dieser Erscheinung einzustimmen, mehr, um den Witz der Frau von Krudener zu würdigen, welche sich darüber äußerte: die Todtengerippe von Luther und Zwingli wären aus ihren Gräbern hervorgegangen, um sich zu umarmen, mit ihrem Verwesungsgeruch sich gegenseitig zu durchdringen – darauf sich wieder niederzulegen. Mir erschien jene Einigung nicht als ein Act des Lebens, sondern als Beurkundung der Fäulniß. Daß aber Hoffnung gehegt ward (und die Umstände und äußern Anzeichen bestärkten darin), in solche Fäulniß allmählig auch die katholische Kirche hineinzuziehen, um auf dem Bette allgemeinen Moders ein Drittes, so eine Art Cabinets-Religion, zu treiben, hat sich nachwärts aus allerlei Anzeichen schliessen lassen. Später wollte michs bedünken, der gleiche Geist welcher diese Union eingegeben, habe zu ähnlichem Zwecke nicht gar lange[36] darauf den Spectakel mit den gemischten Ehen hervorgerufen, Allerdings haben sie dabei die Rechte, aber bloß eingebildete oder selbst geschaffene Rechte, des Staates vorgeschützt und durch dieses Blendwerk Vielen den Blick getrübt, daß sie nimmermehr klar in die Sache zu schauen vermocht; im Grund aber ließ sich das ganze Treiben (wenn wir von der schnöden Vergewaltigung der durch Christum eingesetzten Kirche ab Seite des absoluten Staats absehen) auf die Forderung des Indifferentismus an die Glaubensfestigkeit zurückführen, in ihm hinfort aufzugehen. Hätten sie ihre eigene Geschichte zu Rath ziehen wellen, sie würde ihnen darüber Aufschlüsse ertheilt haben, über ihr Unterfangen zu Gericht gesessen seyn. Durch sie wäre es ihnen in die Erinnerung zurückgerufen worden, daß ihre Vorfahrer, die bei dem Austritt aus der Kirche noch Glaubensfähigkeit besessen, ja diese sogar als Beweggrund zu ihrem Schritt hervorstellten, eben dasjenige, wozu sie nun mit starrer Hartnäckigkeit zwingen wollten, am entschiedensten verabscheut und hierin, zu großem Jubel ihren Meinungsgenossen, die heutige Praxis der Kirche weit überboten hatten. Da aber deren gegenwärtige Nachkommen mit ihrem Gewissen, inwiefern dasselbe außerhalb des Umkreises ihres absoluten Staates sich bewegt, reine Tafel gemacht hatten, fiel es ihnen unbequemt, anderwärts noch auf lebenskräftige Ueberreste desselben zu stoßen und der religiösen Ueberzugung und Ordnung noch eine Macht zugestanden zu sehen, deren Einfluß sie längst schon sich entzogen hatten. So verrannten sie sich in den abentheuerlichen Widerspruch, dasjenige, was sie an sich für gleichgültig und werthlos erachteten, von denjenigen, welche es ohne Pflichtverletzung nicht gewähren durften, durch Zwang, unter Verfolgung und mittelst ungerechter Strafsätze zu ertrotzen; womit zugleich die Selbstständigkeit der Kirche am bequemsten in Frage gestellt, ihren Dienern der Charakter einer unantastbaren Verbindung mit ihr abgestreift und ihnen das Gepräge bloß weltlicher Angestellter für weltliche Zwecke mit voller Schärfe aufgedrückt werden konnte.[37]

Doch wie unerwartet wurde nicht durch die Calculationen der Menschen ein Strich gezogen; wie verblüfft, mit wie langen Gesichtern fassen sie nicht in ihren Canzleyen; wie biß nicht das Schreibervolk in seine Federn, da die Voraussetzungen sich als nichtig erwiesen, da der Wahn, endlich hätten sie auch die katholische Kirche in eben so tiefe Niedrigung hinabgearbeitet, wie ihr eigenes Meinungsgewoge, welches sie Kirche nennen, so unerwartet zerrann; da das Licht die hie und da sich angehängten Nebelwökchen zerriß und die vermeintlich abhanden Gekommene in hellerem Glanze wieder vom Himmelsgewölbe strahlte! Da standen sie, die Hand vor der Stirne, zu Haufen, scheu sich fragend: »Wer ist die, welche heranzieht gleich der aufsteigenden Morgenröthe, schön wie der Mond, auserwählt wie die Sonne, furchtbar wie die wohlgeordnete Schlachtreihe des Heerlagers?«

Wie, um bei der verordneten Union stehen zu bleiben, wie die katholische Kirche in der Eucharistie den belebenden Pulsschlag so der Lehre als des Cultus, in höchster Beziehung aber des mit Christo geeinten Lebens von je Zeit anerkannt hat, so war auch bei Luther und Zwingli die aufgestellte Ansicht über das Abendmahl der Nerv ihrer Lehren und ihrer Bestrebungen. Bei sonst verwandten Meinungen und übereinstimmenden Absichten wurde dieß zum Trennenden, ja nicht bloß zum Trennenden, sondern zum Entzweienden. Und in der That lassen Luthers und Zwinglis Lehre nicht sich vermitteln; das: »Das ist«, und das: »Das bedeutet,« stehen sich so schroff gegenüber, als die beidseitig hieran geknüpften Anwendungen der Lehre der katholischen Kirche. Das Gespräch von Marburg konnte keine Vereinigung erzielen; die Verfechter beider Lehren mochten wohl einsehen, daß die eine nothwendig die andere ausschließen müsse; was Luther (seiner Neigung und Weise nach) so ausdrückte: »daß entweder er oder sie (die Sacramentirer) Diener des Satans seyen; weßhalb hier kein Recht und Mittel zu finden seye.« Von Zwingli dagegen wird berichtet, er habe durch einbildisches, hochfahrendes Wesen und rohe Manieren zurückgestoßen. Wie[38] hierauf Luther über ihn und seine Anhänger herfuhr, ist allbekannt. In mehreren confessionellen Schriften der Anhänger Luthers wird die Lehre seines Zeit- und Bestrebungsgenossen geradezu verdammt. Die Anhänger von diesem hielten dann treulich Gegenrecht.

Principiell daher sollte, sowohl bei den Lutheranern als bei den Reformirten, die Lehre vom Abendmahl immerfort, wenn nicht die wesentlichste, so doch eine der wesentlichsten Lehren, und der Empfang desselben einer der vornehmsten Acte des Cultus seyn. Richtig aufgefaßt, lassen Dogina und Cultus nicht wohl sich trennen, indem dieser die sichtbar hervortretende Seite des erstern, Theilnahme daran einem Jeden, der zu demselben sich bekennt, die offen gegebene Bürgschaft der Uebereinstimmung seyn sollte. Indem nun die Union das Brod und den Wein Allen gleichmässig reicht, dabei aber die Gewißheit hat, daß der Eine es nicht nur in verschiedenem, sondern in einem, dem Andern ganz entgegengesetzten Sinne empfange, verkehrt sie die Sache, giebt sie die Wesenheit, das Unsichtbare, die Lehre Preis und legt allen Werth auf das Zufällige, auf das Sichtbare und Aeußere. Der Reformirte hat dabei nichts aufzugeben, denn zu weniger als zu einem Sinnbild und Erinnerungszeichen kann das Sacrament nicht gemacht werden; der Lutheraner hingegen giebt dabei dasjenige auf, für dessen Beibehaltung der Stifter seines Glaubens so sehr eiferte, dessen Wegwerfung er mit so entschiedenem Wort nicht bloß mißbilligte, sondern verdammte. Empfängt demnach der Lutheraner Brod und Wein im Abendmahl neben dem Reformirten, so spricht die Vermuthung weniger dafür, daß der Reformtirte zu der Vorstellungsweise des Lutheraners sich erhebe, als daß dieser zu derjenigen des Andern herabsteige, und das Geheimnißvolle, was der Lehre seines Hauptes zufolge in dem Sacrament immer noch liege, an das bloß durch die Sinne Wahrnehmbare dahingegeben habe. Allein auch Jener setzt sich dem Verdacht aus, er gehe weiter, als der Begründer seiner Meinung zu gehen habe erlauben wollen, und bequeme sich anzunehmen, was der Entscheid des[39] höchsten Richters, seine Vernunft, als unbegreiflich verwerfe. Will man nun der Vermuthung, es wolle Einer den Andern täuschen, und einer in den Augen des Andern scheinen, als ob er in dieser obersten Frage mit ihm übereinstimme, als gegen Beide aufheblich, nicht Raum geben, so bleibt nur die Annahme übrig: ein Jeder erachte es für durchaus gleichgültig, welche Ueberzeugung an den Empfang des Brodes und Weines sich knüpfe, die äußere und sichtbare Handlung werde in seinen Augen zur Hauptsache.

Man darf aber dieser Voraussetzung unbedenklich sich hingeben, indem es an protestantischen Kirchenlehrern nicht fehlt, welche dessen kein Bedenken tragen, das Abendmahl bloß als eine Art Brüderschafttrinken darzustellen, und unter den Lutheranern die Zahl derjenigen, die hierin den Zwinglianern beipflichten, ungleich grösser seyn mag, als umgekehrt. Es ist dieß auch ganz natürlich. Zwingli's Meinung hat den Vorzug des vollen und blanken Rationalismus, indeß an derjenigen von Luther noch ein abgerissener Rest der kirchlichen Autorität klebt, der jedoch, zur persönlichen Autorität des Lehrers verkümmert, im Lauf der Zeit immer mehr verschrumpfen, vergilben und verrotten mußte. Daher es Strauß abermals zum Verdienst angerechnet werden darf, daß er die Redlichkeit hatte, der innern Gesinnung so vieler Tausende seiner Glaubensbrüder das klare, bestimmte Wort zu leihen, wenn er in seiner Glaubenslehre versichert: »daß das Abendmahlsbrod und Wein dem auf modernen Boden Stehenden ungenießbar seye, und daß dieser das Abendmahl nicht eher wieder mitmachen könne, als bis demselben aller Fleisch-und Blutgeschmack und damit auch die Beschränkung auf die Gemeinschaft eines bestimmten Glaubensbekenntnisses und einer einzelnen Religionsform abgethan und es im kantischen Sinn zum Bruder. mahle der allgemeinen Humanität gereinigt und erweitert wäre; obgleich man füglich ohne alle dergleichen Ceremonien auskommen könne.«

Demnach war jener so hoch gepriesene, so laut bejubelte,[40] als Krone des Fortschritts und der Befreyung von Vorurtheilen angerühmte Act der Vereinigung nichts weiter, als ein Zeugniß mehr für die innnere Auflösung. Er konnte auch nur da zu einer Zeit vollzogen werden, wo man mit dem Wesentlichsten und Wichtigsten bereits aufgeräumt hatte, den Tauf bloß noch als altherkömmliche Aufnahms-Ceremonie in den äussern Kirchen-Verband, die Einsegnung der Ehe als einen bürgerlichen Act und den Empfang des Abendmahls als einen Gebrauch betrachtete, dem ein Jeglicher so viel Gewicht beilegen möge, als er für gut finde. War jene Vereinigung wirklich eine Annäherung, so war es nicht eine Annäherung im Bewußtseyn, Etwas zu besitzen, von dessen Werth man durchdrungen war, und welches man in christlicher Liebe auch dem Andern gönnen wollte, sondern es war weit eher eine Annäherung im Gefühl, wenn nicht Alles aufgegeben zu haben, doch über Alles mäckeln zu können. Anneben wollte es damals und später verlauten, zeitliche Berechnungen wären auf die Leichtigkeit, mit der die Sache zu Stande gekommen seye, hie und da nicht ohne allen Einfluß geblieben.

Offenbar ist die reformirte Lehre von dem Abendmahl die dürftigste, die je auf die Bahn gebracht worden ist; sie setzte der nackten Subjectivität die Krone auf, indem sie bloß sichtbare Zeichen darbietet, welche ihre Bedeutung erst durch die Gesinnung und Stimmung des Empfangenden erhalten sollen, wobei das Wesentliche am Ende nur in der gemeinsamen Theilnahme besteht. »Die Empfangenden sollen, sagt Zwingli selbst, den Uebrigen bewähren, es wolle Einer zu Christo gehören, oder gehöre ihm wirklich. [Demnach theilnehmen, um von den Menschen gesehen zu werden]. Denn der Glaube, der noch eines Zeichens bedürfe, seye kein Glaube. Das Zeichen aber seye eine rein äußere Sache, durch welche in dem inwendigen Menschen 'nichts bewirkt, nur über das, was er schon besitze, ihm ein Pfand gegeben werde.« Selbst da, wo er zu einer würdigeren, weil tiefern, Vorstellung sich erhebt, läßt er das Sacrament doch nur als Zeichen heiliger, ja der heiligsten[41] Dinge, sowohl derer, die geschehen sind, als derer, die wir selbst thun müssen, gelten. Würde nicht bei solcher Vorstellung öffentliche und gemeinsame Theilnahme als wesentliches Erforderniß aufgestellt, wiewohl an sich dieses ein Moment von bloß untergeordneter Bedeutung seyn kann, so ist nicht einmal abzusehen, warum es gerade ein Geistlicher seyn müsse, der das Abendmahl auszutheilen habe? warum es gerade in der Kirche ausgetheilt werden müsse? warum nicht ein Jeder, an jedem Ort und in jedem Augenblick, sobald er bei dem Genuß von Brod und Wein in jene Stimmung sich versetzt, d. h. an den Tag des Erlösers denken mag, sich vorstellen könne, er empfange wirklich das Abendmahl? Denn die Predigt, welche die erforderliche Stimmung bei ihm hervorrufen soll, kann er nöthigenfalls durch eigene Ueberlegung ersetzen.

Nicht daß die katholische Kirche diese Stimmung für gleichgültig erachtete und die Einwirkung der Sacramente auf die Gläubigen ex opere operato ableitete. Gegentheils, daß sie auf diese Stimmung großes, ja das größte Gewicht lege, dafür giebt sie den zweifellosesten Beweis darin, daß sie alle Heilmittel zu Belebung dieser Stimmung spendet, daß sie den Menschen nicht allein lehrt, sondern ihm dazu verhilft, mit reinem Gewissen, mit gekräftigtem Vorsatz zu gottgefälligem Leben demselben sich zu nahen, da ja die Wirksamkeit des Bußsacramentes durchaus von der innern Stimmung (der gefühlten Reue) abhängt. Aber die katholische Kirche macht die Würdigkeit des Sacramentes von dieser Stimmung nicht abhängig, jene kann durch diese weder gewinnen noch verlieren, sondern es bietet sich dieses an, damit der Mensch mittelst ihrer die darin liegende Kraft in sich aufnehme.

Herzog Johann Friederich von Sachsen, der Sohn des seiner Churwürde verlustig gegangenen Churfürsten, hatte daher so unrecht nicht, wenn er in einer heftigen Schrift gegen die Wittenberger erklärte, durch ihre Hinneigung zu der zwinglischen Ansicht trachteten sie, »das heilige Abendmahl gänzlich zu entkräften und auszulöschen, demselben allen Saft[42] und alle Kraft abzuziehen, nach Hinwegnahme des Kernes die bloßen Schalen, nach Ausdreschung der Körner das leere Stroh, nach Ausschüttung des Goldes den leeren Beutel darzureichen, und so die Kirche ihres werthesten Schatzes zu berauben.« – Prüfen wir jedoch die beiden, damals so schroff sich gegenüberstehenden Behauptungen näher, so werden wir gestehen müssen, daß die Lutherische Ansicht zwar mit dem Schein größerer Tiefe und innerlicher Gläubigkeit sich umziehe, eigentlich aber aller Begründung, aller dogmatischer und wissenschaftlicher Haltbarkeit ermangle; daß einzig entweder das katholische Dogma, oder die gegenüberstehende zwinglische Lehre Folgerichtigkeit in sich trage, an der lutherischen hingegen eine Unsicherheit und ein Widerspruch hervortrete, der nur so lange nicht zum durchgreifenden Bewußtseyn gelangen mochte, als er durch den äußern Zwang einer über den Bekenntnißschriften sorgfältig wachenden Staatsgewalt darniedergehalten wurde. Denn daß der menschlichen Vernunft, sobald sie den Glauben an ein über ihr stehendes Mysterium von sich weist, die zwinglische Ansicht als die richtige und durchweg genügende einleuchten müsse, erhellet daraus, daß dieselbe in denjenigen Ländern, welche nicht von dem ersten Reformationstumult ergriffen wurden, sondern erst späterhin der Kirche absagten, wie England, die Niederlande, die Hugenotten in Frankreich, vorzüglich sich verbreitete, die lutherische dagegen fortan keine neuen Eroberungen machen konnte. Mußte ja der beibehaltenen Annahme einer realen Gegenwart Christi in, mit und unter den Gestalten der auf dem Felde des Kriticismus sich umher treibende Verstand die Frage über das vermittelnde Organ dieser Gegenwart auf dem Fuße folgen lassen. Nur die katholische Kirche vermag es, dieselbe genügend zu beantworten; sie hat von jeher gewußt, daß es nicht zureiche, eine Hostie, den Wein auf den Altar zu stellen, um eines gegenwärtigen Christus sich getrösten zu dürfen; daß vielmehr ein hinzutretendes, nicht willkührlich gewähltes, sondern durch höheres Ansehen mit einerseits verbindlicher, anderseits wirkender Kraft ausgestattetes[43] Mittel unerläßlich seye. Und so ist es auch ihr nur gegeben, jenes bedeutsame apostolische Wort (1 Cor. 11, 27) von dem unwürdig Essenden, der sich hiemit des Leibes und Blutes des Herrn schuldig macht, seinem klaren Vollgehalt nach zu würdigen und in Anwendung zu bringen; während in jeder Form der Trennung nur hineingeflickte Klügelei, unter willkührlicher Mischung des Subjectiven und Objectiven, demselben einiges Verständniß abzugewinnen vermag. Wie aber Luther, bald nach seiner Kriegserklärung gegen die Kirche, jenes gegebene Mittel, wodurch die Gestalten zur Wesenheit werden, im Uebermaß des Trotzes weggeworfen, hat er dennoch den Glauben an diese letztere (woran wir einen aufbewahrten Rest ächt religiöser Gesinnung ehren, Andere bloß Unbehülflichkeit, um über eingesogene Vorurtheile nicht in vollfreyem Schwung sich erheben zu können, wahrnehmen) bei barscher Verschmähung des Erstern beibehalten. Um nun aus dieser, durch ihn bereiteten Verwicklung sich herauszuhelfen, giebt es zweierlei Wege, denjenigen, auf welchem seine nächsten Nachfolger sich verstiegen, denjenigen, auf welchem die Spätern sich verlaufen haben. Die Erstern suchten sich durch die Ubiquität zu helfen, ohne zu ahnen, daß sie hiedurch die solideste Brücke zum Uebergang in den Pantheismus erbauten; die Andern riefen den subjectiven Glauben der Empfangenden zu Hülfe, und haben hiedurch der altgläubig lautenden Form die zwinglische Lehrweise untergeschoben, die objectiv reale Gegenwart, wie die Kirche dieselbe lehrt, zu einer bloß subjectiv realen verkümmert, damit aber den Keim eines bis zur letzten Austreibung alles substantiell Christlichen sich verflachenden Rationalismus in den innersten Kern der Lehre verpflanzt. Ein befriedigender Mittelweg aber liegt bei Verwerfung der kirchlichen Lehre außerhalb des Bereiches des Möglichen.

Die vorwärts geführten Gemeinden mögen es aber ihren Hofpredigern und Consistorialräthen danken, daß sie ihnen durch Reimereyen behülflich sind, ihre subjective sacramentalische Wesenheit bequemer in Activität zu setzen, die, auch in Betreff dieser[44] Lehre geschmeidigteren und gehörig ernüchterten, Gesinnungen bei Gelegenheit gegenseitig daran sich erlabsalen zu können. So dürfen die Würtemberger bei dieser öffentlichen Austheilung von Brod und Wein in Ton und Sinn von: »Brüder lagert euch im Kreise,« ihre subjective Behaglichkeit und erforderliche Geneigtheit, unter dem Genuß von Speise und Trank höhern Gedanken Raum geben zu wollen, gegenseitig in folgenden Reimten austönen:


Du willst mit den Deinen

Dich im heil'gen Fest vereinen

Und ihr Wirth voll Gnade seyn;

Dann wird dem lebend'gen Glauben

Frucht der Aehren, Saft der Trauben

Wunderbar zum Heil gedeihn.


Auch wodurch ich mich erfrische,

Nähr' und stärk' am eignen Tische,

Oder in der Freunde Zahl (Abends im Waldhorn),

Sey mir dann, weil du zugegen

Täglich bist mit Zucht und Segen,

Heilig durch dein Abendmahl.


Ein solches Verdienst der wasserklaren Nüchternheit haben dann freilich weder das Lauda Sion Salvatorem, noch das Pangue lingua.

Nun in all der Zeit noch, da ich das Abendmahl ganz im Sinne der reformirten Lehre gab und nahm und durch keine davon abweichende Meinung je mich beschleichen ließ, wußte ich doch den Begründern derselben wenig Dank für ihr Zurückfordern des Kelchs, worauf ein so großes Gewicht gelegt worden ist und noch gelegt wird. Ich hätte mich gerne mit einem einzigen Zeichen begnügt, da überhaupt jener Vorstellung gemäß die Zahl der Zeichen zur Sache nichts beitragen kann, und die gläubige Hinwendung der Gedanken auf den erlösenden Tod[45] Christi zur Erbauung, Ermuthigung und Festigung des Menschen von gleicher Wirksamkeit ist, ob ein leibliches Zeichen mehr hinzukomme oder nicht. Allein diesem von jeher gehegten Wunsch, man möchte niemals auf Einführung des Kelches verfallen seyn, lag nicht die mindeste dogmatische Meinung zu Grunde, sondern lediglich der Eckel, aus einem Becher zu trinken, aus welchem schon mehrere hundert Personen vor mir getrunken hatten. Ich konnte denselben nie überwinden, sah auch niemals eine Nothwendigkeit ein, thun zu sollen, was mir widerstrebte. Daher dieses das Einzige war, worin ich mit dem bloßen Schein mich begnügen zu dürfen glaubte.


Mit dem Allem war mir weiter noch nichts klar, als der Zerfall desjenigen Hauses, an welchem die, aus dem alten hinübergenommenen Werkstücke immer mehr zerhämmert, zermeisselt und zersplittert wurden, sodann der feste, sichere und großartige Bau des andern. Bis jetzt, d. h. bis zum Jahr 1841, hatte ich jedoch nur auf dessen Aussenseite den Blick geworfen, es gleichsam nach allen Richtungen umgangen, mochte daher Auskunst ertheilen über dessen Verhältnisse, und wußte wohl im allgemeinen Etwas von seiner innern Einrichtung, seinen Bewohnern, ihrer Art und Weise; eigentlich aber in dessen Innerem umgesehen hatte ich mich nicht; d. h. wie ich bereits früher erwähnte, mit den Dogmen und namentlich mit den Gegensätzen hatte ich mich bis dahin noch wenig, eigentlich und absichtlich gar nie beschäftigt. Dieß würde höchst wahrscheinlich niemals geschehen seyn, wären meine äussern Verhältnisse unverrückt dieselben geblieben, welche sie seit mehr als drei Jahrzehnden waren. Ich würde mit dem, was ich besaß, vollkommen mich begnügt haben, überzeugt, daß von Wesentlichem und Unerläßlichem mir durchaus nichts abgehe.

Jetzt nahm ich Möhlers Symbolik zur Hand, um aus ihr sowohl die Lehre der katholischen Kirche, als auch das Verhältniß[46] der einzelnen Lehren zu den nichtkatholischen kennen zu lernen. Da mußte allerdings schon der erste Abschnitt über den Urzustand des Menschen mein Nachdenken in hohem Grade beschäftigen. Ich habe niemals über Fragen des geoffenbarten Glaubens die Vernunft als letzte und untrügliche Richterin anerkennen können, weil hiemit nicht allein die Nothwendigkeit, sondern selbst die Thatsächlichkeit der Offenbarung aufgehoben würde. Wollte man aber unter jener Behauptung eine solche noch annehmen, so müßte sie als vollkommen überflüssig, mithin Gottes unwürdig, erscheinen. Offenbart sie hingegen, was die Vernunft aus sich selbst schon erkennen mag, so wird man natürlich auf die Frage getrieben: wozu denn noch eine Offenbarung? Diese Frage muß dann abermals gestellt werden, wenn Gott offenbaren sollte, was die Menschenvernunft zu verwerfen berechtigt wäre. Anders dagegen ist das Verhältniß der Vernunft bei Annahme einer über ihr stehenden Offenbarung. Diese kann uns Wahrheiten mittheilen, vor denen die Vernunft sich beugen, dieweil sich selbst das Geständniß ablegen muß, daß ihr Umfang zu deren Erfassung unzureichend seye. Dergleichen sind z.B. die Lehren von der Dreyeinigkeit, der Einigung beider Naturen in Christo, seiner Nichtbetheiligung bei der Erbsünde, u. A. Denn ob unsere Vernunft diese Lehren nicht zu erfassen vermöge, sie widerstreiten ihr doch nicht; wesentliches Merkmal göttlicher Offenbarung bleibt es immerhin, daß sie der Vernunft nicht entgegentrete; ihr Gefangennehmen unter den Glauben kann sich nur auf Vernunft-übersteigendes, nicht aber auf Vernunft-widriges beziehen.

Das Letztere mußte Statt finden bei Annahme der einen wie der andern protestantischen Lehre von dem Urzustande des Menschen. Beide sind vernunftwidrig; woher es kommen mag, daß im Grunde die ursprüngliche Lehre der Reformatoren über die Erbsünde nicht für lange Zeit Geltung fand, später diejenigen, welche den aufgeklärten und freisinnigen Theologen beigezählt werden wollten, nicht nur die Ansicht von Jenen über die Erbsünde, sondern diese selbst verworfen haben. Luthers[47] Behauptung nun, daß der Mensch nach dem Sündenfall seiner Freiheit dergestalt verlustig gegangen seye, daß alles freie Handeln bloß Schein und alles menschliche Thun im Grunde nur Gottesthat seye, muß geradezu für vernunftwidrig, ebensowohl dem wahren Begriff von Gott, als demjenigen von dem Menschen widersprechend, zugleich auch die Prämisse zu den entsetzlichsten, so Tugend als Laster und alle menschliche Zurechnungsfähigkeit vernichtenden Folgerungen ausstellend, erklärt werden; so zwar, daß selbst Melanchthon in spätern Jahren von dieser Lehre ganz zurückkam, indem er in den Abgrund blickte, in welchen durch sie die Menschen hinabstürzen mtüßten. In ihrer schroffsten Gestalt tritt jene Lehre hervor in Melanchthons früherer Behauptung: daß Gott der Urheber des davidischen Ehebruchs und des Verraths des Judas seye, so gut als der Bekehrung von Paulus, denn er allein wirke das Gute, wie das Böse. Noch greller muß der ruhigen Prüfung Zwingli's Erklärung vorkommen: Gott vermöge, bewege und treibe zur Sünde an, mache zum Sünder, bringe mittelst des Geschöpfs die Sünde hervor. Wenn sie dann, wie auch Calvin, eine Milderung in der Behauptung suchten, selbst bei dem Bösen habe Gott einen guten Zweck, so vergassen sie hierüber, daß sie dadurch geradezu mit der göttlichen Schrift in Widerspruch traten, welche uns ernstlich davor warnt, die böse That durch den guten Zweck rechtfertigen zu wollen.

Hieraus wurde weiter gefolgert, daß der verdorbene Mensch für das Gute keine Erkenntnißkraft und keine Willenskraft mehr besitze. Zuletzt wurde sogar die Erbsünde zur Substanz des gefallenen Menschen, zu einer anerbornen Kraft gemacht, und behauptet, daß somit in dem gefallenen Menschen nicht das geringste Gute zurückgeblieben seye. – Der heidelbergische Katechismus stellt aber gleich Eingangs die Frage auf: ob wir, was Christus Matth. XXII, 37–40 als Innbegriff des Gesetzes und der Propheten aufstellt, »vollkommlich halten« könnten? und beantwortet dieselbe rundweg: »nein, denn ich bin von Natur geneigt, Gott und meinen Nächsten zu hassen[48] Dieser schließt die andere Frage sich an: »Hat Gott den Menschen also bös und verkehrt erschaffen?« worauf die Antwort steht: »Nein: sondern Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen, d. i. in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit.«

Ich hatte nun zu aller Zeit in Predigten und im Religionsunterricht auf die Lehre von der Erbsünde, als Bedingung der Erlösung, das wesentlichste Gewicht gelegt, erst jetzt aber aus Möhler kennen gelernt, daß meine Anschauungsweise der katholischen näher stehe, als derjenigen, welche von den Reformatoren aufgestellt war. Ich konnte jene von Natur eingepflanzte Neigung, »Gott und den Nächsten zu hassen,« unmöglich nach dem strengsten Begriff dieses Wortes nehmen; widersprach ihm doch die Ueberlegung, die allergewöhnlichste Erfahrung. Daher wurde dieser Ausdruck durch mich stets zu einer höchst mangelhaften Erkenntniß und Liebe ermässigt, die ohne Beihülfe göttlicher Gnade niemals in eine vollkommenere übergehen werde. Das der Erbsünde verfallene Menschengeschlecht pflegte ich immer unter dem Bild einer Kette darzustellen, deren oberster Ring durch Gottes Hand gehalten worden, aber zersprungen, hiedurch Allesdarniedergefallen seye, was an demselben gehangen habe. Sie erschien mir als eine innere, von der menschlichen Natur unzertrennliche Verschlimmerung, weswegen der Wiederhersteller, der Mittler, nothwendig auf andere Weise die Menschheit habe an sich nehmen müssen, indem er, von irdischen Eltern abstammend, schon deßwegen uns mit Gott nicht hätte versöhnen können. Auch eine vollkommene Zerstörung des Ebenbildes, wonach der Mensch geschaffen worden, konnte ich nie annehmen; wohl aber, wie bei einem wirklichen Bilde, eine Entstellung desselben durch Staub und Schmutz, selbst bis zu völliger Unkenntlichkeit. Damit ward dann ein helleres oder dunkleres Wiederhervortreten desselben, durch immerwährende Reinigung unter dem Einfluß des Glaubens an Christum, in Verbindung gesetzt, bis einst durch volle Zurechnung seines Verdienstes das[49] entstellte Bild den ursprünglichen Glanz wieder gewinnen werde.

Möhler überzeugte mich abermals, daß meine Auffassungsweise dieser Lehre, von der ich niemals abgewichen bin, der katholischen Lehre und der Bestimmung derselben durch das Tridentinum ungleich näher stehe, als derjenigen von Luther, Zwingli und Calvin.

Da dieß aber nicht Gegenstände waren, die ich nur selten berührte, sondern solche, auf die ich, meiner Ueberzeugung von den Obliegenheiten eines Botschafters an Christi Statt gemäß, sehr oft und in den mannigfaltigsten Beziehungen zurückkam, so hätte wohl nichts näher gelegen, als den Beweis, daß meine Lehre keine ächt protestantische seye, hierauf zu gründen. Es wäre, wie ich nachher wohl eingesehen habe, nicht schwer gewesen, dieß darzuthun, obgleich es mich überrascht, aufs höchste würde befremdet haben, die Rechtgläubigkeit meiner Lehre unter diesem Gesichtspunkt angefochten zu sehen; gleichwie ich nachher mich überrascht fand, als ich aus Möhler kennen lernte, daß meine bisherige Ueberzeugung nichts weniger als mit den Ansichten der Reformatoren üebereinstimme. Hätte sich doch hier eine praktische Seite der verderblichen Einwirkung der Beseitigung eines Grundsatzes derselben auffinden, nachtheilige, weil mit diesem nicht durchweg übereinstimmende Folgerungen hieraus weit eher sich träumen lassen, als aus der Bewunderung eines vor mehr als sechs Jahrhunderten lebenden Papstes. Ob wohl diejenigen, denen diese letztere nicht gefallen wollte, in Beziehung auf jene Lehren bessere Urprotestanten seyn mögen? Und sind sie es, können sie wohl glauben, daß jene Auffassungsweise der Lehre von der Erbsünde dem göttlichen Wort, dem Wesen des Schöpfers und dem Bedürfnisse des Menschen entsprechender, zu Förderung seiner Heiligung wirklich dienlicher seye?

Ferner hatte ich viel Redens gehört von dem verwerflichen Pelagianismus, welchem die katholische Kirche huldige; naher hierauf eintreten, oder nachforschen zu wollen, wie es damit sich verhalte, kam mir aber nie zu Sinne. Jetzt überzeugte ich[50] mich, daß diejenigen, welche mit diesem Vorwurf so freigebig sind, vermuthlich nie gelesen haben, daß es in der fünften Session des Conciliums von Trient, in welcher diese Lehre behandelt ward, ausdrücklich heisse: »wer behauptet, daß die Erbsünde entweder durch natürliche menschliche Kraft, oder durch irgend ein anderes Mittel, als durch das Verdienst des einigen Mittlers, unseres Herrn, Jesu Christi, der durch sein Blut mit Gott uns versöhnt hat, und unsere Gerechtig keit, Heiligkeit und Erlösung ist, gehoben werden könne, der seye verflucht.« Diese und andere Stellen, die Möhler häufig anführt, weckten einen sonderbaren Begriff von der Redlichkeit derjenigen, welche mit allen Waffen gegen die katholische Kirche bei jeder Gelegenheit heranziehen, und, was schon hundertmal abgewiesen oder widerlegt worden ist, immer von neuem wieder hervorsuchen und behaupten. Bestimmter und entschiedener kann der Glaube an die herstellende Wirksamkeit des Verdienstes Christi nicht ausgesprochen werden, als in jenem Satz des Tridentinums. Dieses aber allein ist der Ausdruck der Kirche; dieses allein sagt uns, was deren Lehre seye. Ist Einer etwa einmal hievon abgewichen, so sprach er damit seine eigene Meinung, nicht aber die Lehre der Kirche aus. Darüberhin hat das Tridentinum eine ganz andere Bedeutung, als jene Bekenntnißschriften, denen man einzig noch eine historische Geltung zuerkennt, welche Gewicht und Ansehen nur für sehr Wenige noch haben, und denen etwelcher Werth im allgemeinen bloß noch in dem Falle zugestanden wird, wenn sie gegen die Lehren der Kirche sich anführen lassen. Aber nicht aus dem Tridentinum allein, sondern aus dem, was noch höher steht, aus dem Meßcanon, sowohl in seiner obersten Beziehung, als in seiner ganzen Oekonomie, als endlich in seinen bestimmten Ausdrücken, leuchtete mir später die völlige Unhaltbarkeit jenes Vorwurfes auf's helleste ein; gleichwie sodann selbst in den Gewohnheiten und Ausdrücken des Lebens, auch da, wo von speculativer oder gelehrter Theologie unmöglich die Rede seyn konnte, eine fortlaufende[51] Widerlegung der unabläßigen, erneuerten Anschuldigung mir sich darbot.

Eben so überrascht fand ich mich in Bezug auf die Lehre von der Rechtfertigung. Bei der Frage: »wie wirst du gerecht vor Gott?« hält freilich der heidelbergische Katechismus fest an dem durch Luther in das N. T. hineingefälschelten, » allein.« Ich meinerseits hielt immerwährend eben so fest daran, jedoch niemals im Sinne von jenem: »Sündige, sündige tapfer darauf los, der Glaube macht Alles wieder gut;« sondern in dem Sinne, daß alle unsere guten Werke, als mangelhaft, uns in die ursprüngliche Heiligkeit nicht wieder zurückversetzen können, daß dieses einzig dem versöhnenden Tod des Erlösers zu verdanken und eine göttliche Gnadenwohlthat seye, die wir anders nicht als durch den Glauben uns aneignen können; daß aber einem Glauben, der nicht durch »Früchte der Dankbarkeit« sich bemerklich mache, dieser Name gar nicht gebühre. Seye der Glaube das Mittel, das Verdienst Christi sich anzueignen, so seyen die guten Werke unerläßlich, um erst uns, sodann Andere zu überzeugen, daß derselbe nach rechter Art in uns vorhanden, zur schaffenden Kraft in uns geworden seye.

Das nun stund freilich jener fides formata, die Luther nicht anerkennen wollte und an welcher jetzt noch einige Anstoß nehmen, ziemlich nahe. Dahin war ich aber gekommen durch die heilige Schrift selbst, durch die eigene, freie, aber redliche Forschung, ohne alle Berücksichtigung des Tridentinums. Dieß blieb unverändert meine Lehre von der ersten Zeit an, in welcher mir das christliche Lehramt übertragen worden, und in der ich noch nicht einmal ein Exemplar des Tridentinums gesehen, geschweige denn dasselbe gelesen hatte. Denn bis auf den heutigen Tag bin ich noch nicht dazu gekommen, es wirklich zu lesen, obwohl in späterer Zeit der Fall öfters eintrat, etwa eine, Disciplin, Einrichtung und Recht berührende Stelle desselben nachzuschlagen. Das, was auf die Lehre sich bezieht, habe ich erst in den Anführungen bei Möhler gefunden. Durch ihn erst habe ich erfahren, daß es die Frage: »Wie der[52] Mensch durch den Glauben aus Gnade gerechtfertigt werde?« so beantwortete: »Der Glaube ist der Anfang alles Heils, Grundlage und Wurzel aller Rechtfertigung; denn ohne ihn ist es unmöglich, Gott zu gefallen und zur Kindschaft gegen ihn zu gelangen.« Möhler führt in seiner Symbolik folgende Stelle aus Cornelius a Lapide an, in welcher ich meine Lehre über Glaube und Werke und deren gegenseitiges Verhältniß, wie ich sie gleichmässig zu aller Zeit einzuprägen gesucht habe, in wenige Worte zusammengefaßt fand: »Unter Gläubigen sind jene gemeint, welche sich nicht, gleich den Dämonen, mit einem nackten, leeren Glauben begnügen, sondern Jene, welche, wie Freunde, einen durch die Liebe gestalteten Glauben besitzen; die also an Christum in der Weise glauben, daß sie auch seine Gebote vollziehen; die einen demuthsvollen, lebendigen und gehorsamen Glauben besitzen, kurz, die nicht bloß theoretisch, sondern praktisch glauben.«

Eine, der katholischen mindestens sich annähernde Lehre vom Glauben, ist so einleuchtend, so natürlich, so dem menschlichen Bedürfniß entsprechend, daß es Mühe kostet, schlichten, einfachen Layen es nur begreiflich zu machen, daß die Reformatoren das Gegentheil gelehrt hätten. Es würde schwer fallen, einen redlichen und noch glaubensfähigen Protestanten zu überzeugen, daß Luther ausgesprochen habe: »Die Forderung, daß der rechte Glaube seine Gestalt von der Liebe empfange, seye ein eitler, erdichteter Schein, eine trügliche Täuscherei des Evangelii;« daß er irgendwo den Satz aufgestellt habe: »wenn im Glauben ein Ehebruch könnte begangen werden, so wäre er keine Sünde;« daß von Calvin und Andern Aehnliches seye gelehrt worden. Es ist im Jahr 1840 vorgekommen, daß ein mir nahe Befreundeteter einigen Bürger bemerkte, eben jene gänzliche Trennung des Glaubens von den Werken seye ursprüngliche protestantische Lehre, wie sie von den Reformatoren aufgestellt worden; daß hierob diese Bürger ganz ungehalten wurden und ihm vorwarfen, das gerade seye der verdorbene, mangelhafte Glaube der katholischen Kirche. Ob er sie[53] dann auch auf die sechszigste Frage ihres heidelbergischen Katechismus verwies, sie blieben dabei: ohne gute Werke könne es kein wahres Christenthum geben.

Man lernt aus diesem Vorgang zweyerlei. Zuerst, wie die Lehre, daß der Glaube ohne Rücksicht und ohne nothwendigen Einfluß auf die Werke zur Rechtfertigung hinreiche, alles praktischen Werthes ermangle; wie dagegen die Lehre von dem, durch die Werke (d. h. dem zu Christo gerichteten Wandel) bethätigten Glauben ein unabweisliches Bedürfniß des menschlichen Geistes seye, also daß hier Offenbarung und Vernunft zusammentreffen. Dann aber läßt er auch einen Blick thun, welcher Begriff von der katholischen Kirche unter den protestantischen Massen herrschend seye, derjenige nämlich eines diametralen Gegensatzes; so zwar, daß nicht nur das Richtige immerdar auf protestantischer, das Unrichtige dagegen auf katholischer Seite stehen muß, sondern selbst in der Weise, daß gerade deßwegen, weil dort nur das Richtige zu finden seye, hier das Unrichtige noth wendig herrschen müsse; so daß es wahrlich nicht befremden darf, wenn aus dieser Unkenntniß entweder ein solches dünkelhaftes Herabsehen, oder eine eingefleischte Abneigung gegen die katholische Kirche sich erzeugt. Wer wollte hieraus dem unwissenden Haufen einen Vorwurf machen, wenn er sieht, wie dessen mit dem Gewande der Wissenschaftlichkeit umkleidete Führer ihm in Beidem voranschreiten? Kann man weiter gehen, als ein Recensent in der hallischen Literatur-Zeitung gethan hat, da er (1827 Erg. Bl. Nro. 37) rundweg behauptete, nicht die griechische, sondern die römische Kirche seye die schismatische; oder die hengstenbergische Kirchenzeitung, welche über Bernhard Overberg bemerkte: »Wie auch der Wohlgesinnte durch Irrthümmer seiner Kirche in wichtigen Dingen von dem Weg abgeleitet werden könne; welch großer Segen es daher seye, in einer Kirche geboren zu seyn, welche die Wahrheit ohne Beisatz menschlichen Irrthums bekennt, (c'est moi!) das zeigt die Thatsache, daß Overberg, der selbst über das Gesetz[54] Gottes nachdachte Tag und Nacht, der u. s. w., es für bedenklich hielt, dem westphälischen Landmann die Bibel in die Hand zu geben.«


Indem ich in der Lehre der katholischen Kirche mich umsah, und mir über dieselbe ein bisher ungekanntes, weil nie gesuchtes', Licht aufgieng, bot sich mir die Frage dar über die Möglichkeit einer Wiedervereinigung der von ihr Getrennten; eine Frage, die schon vielfältig aufgeworfen worden ist, einst die edelsten Geister beschäftigt, selbst Unterhandlungen und Anträge hervorgerufen hat. Se. Heiligkeit, Gregor XVI, hatten eines Tages die Gnade, mir aus zufälliger Veranlassung eine Stelle aus einer Schrift von Grotius vorzulesen, worin derselbe diese Frage äußerer Gründe wegen verneint. Die Protestanten, sagt er, müßten vor Allem erst unter sich geeinigt werden, erst zu einem Ganzen sich gestalten können, um sodann als Solches mit dem Ganzen der katholischen Kirche unterhandeln zu können. Jenes aber seye nicht denkbar, daher auch dieses immerfort unmöglich bleiben werden.

Leuchtete dieß schon damals, in der ersten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts, ein, wie muß es nicht jetzt einleuchten, wo der Zustand ein ganz anderer, die innere Auflösung und das Auseinanderfallen auf den höchsten Punct gediehen ist? Die katholische Kirche bildet noch heutzutage eine Einheit, wie sie es zu Bossuets Zeit bildete; steht aber die protestantische Kirche unserer Tage auch nur noch da, wo sie zur Zeit von Leibnitz und Molanus stand? Wer möchte für eine solche Behauptung einstehen wollen? Damals lag wenigstens in den noch allgemein anerkannten Bekenntnißschriften ein etwelches inneres Bindemittel, ein kräftigeres Aeußeres gieng aus der Stellung der Staatsgewalt zu den Kirchen hervor. Jenes ist längst beseitigt worden, dieses will und kann sich nicht mehr geltend machen; Niemand mehr in den protestantischen Kirchen[55] würde der Staatsgewalt eine Befugniß einräumen, in dieser Beziehung sie vertreten zu dürfen. Man sagt nicht zu viel mit der Behauptung, daß bald jedes Individuum, zumal von den Lehrenden, eine besondere Kirche für sich bilde. Keines würde das andere in Glaubenssachen als seinen Bevollmächtigten anerkennen, so wie es auch nirgends ein Individuum giebt, welches hierin die übrigen zu vertreten hätte. Wollte aber eine Staatsgewalt dieses Recht sich beilegen, und würde es auch von ihren sämmtlichen Unterthanen ohne allen Widerspruch anerkannt, so könnte doch diese Staatsgewalt bloß für sich allein handeln und keine andere würde das Eingegangene zugleich für sie verbindlich erachten. Denn es bildet jedes Land oder Ländchen wieder ein gesondertes Aggregat solcher Kirchen, bloß äußerlich geeinigt durch etwelche Formularien oder Gewohnheiten, und keines fände sich geneigt, einen solchen Act der Souveränetät an den Regenten eines andern Gebiets abzutreten. Schon von diesem Standpuncte aus betrachtet, sind alle Gedanken an Wiedervereinigung in das Gebiet der Träumereyen zu verweisen.

Allein, mir scheint, es liege noch ein weit gewichtigerer, tieferer, weil innerer Grund in den einander schlechthin ausschliessenden Principien, auf welchen so die katholische Kirche, als die mancherlei protestantischen Parteien beruhen; Principien, die mit dem Sündenfall, der Welterlösung und dem Wesen der durch diese begründeten Heilsanstalt unzertrennlich zusammenhängen.– Daß Gott den Menschen mit voller Freiheit erschaffen habe, ist nicht allein Lehre der katholischen Kirche, sondern auch der heidelbergische Katechismus lehrt es implicite in dem Ausdruck, daß derselbe »nach Gottes Ebenbild geschaffen seye«, explicite aber, indem er sagt: »Gott habe den Menschen also erschaffen, daß er das, was Gott in seinem Gesetz von ihm fordert, thun könnte, er aber habe sich und alle seine Nachkommen aus Anstiftung des Teufels durch muthwilligen Ungehorsam dieser Gaben beraubt.« Es war also Mißbrauch der Freiheit, welcher den Sündenfall herbeiführte. Um die Folgen desselben aufzuheben,[56] um mit Gott, von dem wir hiedurch uns getrennt hatten, uns wieder zu versöhnen, ist Christus Mensch geworden und am Kreuz gestorben. Aber Er wollte nicht bloß dadurch uns erlösen, daß er die Wirkungen der Sünde beseitigte, sondern ebensosehr, daß er zu der durch ihn bewerkstelligten Versöhnung von eben der Kraft sich bewegen ließ, welche derjenigen, die den Sündenfall veranlaßte, geradezu gegenübersteht. Dieser ist aus der Freiheit, die Erlösung ist aus dem Gehörsam hervorgegangen. Wollte jene zur Gottähnlichkeit sich erheben, so erniedrigte sich das ewige Wort, »welches von Anfang her bei dem Vater war,« und »nahm Knechtsgestalt an;« aber nicht dieß allein, sondern: »Christus ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.«

Dieser Gehorsam ist daher nicht allein die Wurzel, sondern noch weit mehr, er ist die innerliche Bedingung der Versöhnung mit Gott. Es sollten durch Christum nicht allein die Folgen der Trennung von Gott, sondern allervörderst sollte dasjenige, worin das eigentliche Wesen derselben besteht, aufgehoben werden. »Denn so wie durch den Ungehorsam eines einzigen Menschen Viele zu Sündern geworden sind, so werden durch den Gehorsam eines Einzigen Viele zu Gerechten.« Das Hauptmoment der Erlösung liegt somit weniger in dem Kreuzestod selbst, als in dem Gehorsam, in welchem Christus diesem sich unterzog; so wie der Abfall von Gott nicht in dem Genuß der Frucht, sondern in dem Hinwegsetzen über das Verbot – in dem Mißbrauche der Freiheit – lag. Die innere That geht der äußern immer voran, diese ist nur die sichtbar hervortretende Seite des innerlich bereits Vollzogenen. »Und zwar, da er Gottes Sohn war, hat er an dem, was er gelitten, Gehorsam gelernt;« d. h., er hat diesen Gehorsam, wie in der Menschwerdung gegen den Vater, so für alle Menschen erkennbar in seinem Leiden bethätigt.

Wenn wir nun die Kirche nicht bloß als ein Summarium von Bekennern Christi, sondern (katholischer Lehre gemäß) als den Körper Christi, dessen verherrlichtes Haupt er ist, betrachten,[57] so ist eine Gemeinschaft der Gnaden, Gaben, Eigenschaften zwischen Körper und Haupt unerläßliche Bedingung der Verbindung, Uebereinstimmung und organischen Einigung. Wir finden diese darin, daß, wie bei dem Haupt und der Thatsache der Welterlösung, so auch bei der durchgebildeten Aneignung derselben von der Kirche in ihrer Gesammtheit, wie sodann in ihren einzelnen Gliedern, der Gehorsam ebenfalls Lebensbedingung und Lebenskraft der Kirche ist und seyn muß. Die geistige Ehe der Kirche mit Christo, ihrem Bräutigam, beruht, wie die leibliche zwischen Mann und Weib, darauf, daß er ihr Beschützer und Beschirmer, sie ihm gehorsam seye. Deßwegen ist es erste Aufgabe der Kirche, alle ihre Glieder in freyem Gehorsam zu Christo ihrem Herrn und, da sie dessen Stellvertreterin auf Erde ist gegen sich selbst zu erhalten. Das Eine soll durch die Lehre und alle Mittel, wodurch dieselbe in dem Erlösten zu Wirksamkeit, Thätigkeit und Frucht gelangen kann, das Andere durch alle von ihr angeordneten Disciplinar-Anstalten erzielt werden.

Gebietet z.B. die Kirche Enthaltsamkeit an gewissen Tagen, so geschieht es vorzüglich, um im Gehorsam zu üben, und dadurch zweifelloser mit sich und dem Haupt zu verbinden; legt sie Bußwerke auf, so geschieht es, um Ungehorsam durch Gehorsam zu sühnen; stellt sie es nicht in das freye Belieben eines Jeden, in der Versammlung der Gläubigen sich einzufinden, die Heilmittel auf sich einwirken zu lassen, sondern legt sie dieses dem Christen, dafern er ihr ächter Sohn seyn will, als Verpflichtung auf, so gemahnt sie ihn auch dadurch nur um so eindringlicher an den Gehorsam, den er in ihr demjenigen zu leisten habe, der ihn in den Gehorsam des Vaters zurückführen wollte. Denn der Gehorsam ist die Anforderung Gottes, welche durch die gesammte heilige Schrift sich durchzieht; in allen Mahnungen, in allen Verheissungen, in dem, was als Kern und Stern der Gnadenanstalt Gottes, von dem Dämmerschein im Paradies bis hinan zur Lichtfülle auf Golgatha anerkannt werden muß, glänzt als Lichtquell der Gehorsam. Immerdar[58] und in den mannigfaltesten Lauten vernehmen wir den Widerhall jener Worte: »Will etwa der Herr Opfer und Brandopfer; und nicht vielmehr, daß seiner Stimme gehorcht werde? Besser ist Gehorsam als Opfer, und Aufmerken vorzüglicher als das Fett von Widdern.«

Verlangt daher die Kirche, daß bei irriger Meinung, bei verderblicher Lehre, bei abweichendem Gebrauch, bei gewagter Deutung ihrer Aussprüche und Anordnungen, der Mensch ihrem Entscheid, als demjenigen der Trägerin und Säule der Wahrheit, sich unterwerfe, so soll dieß in Gehorsam gegen denjenigen sich bewähren, der zu Jenem sie gesetzt hat. Sie lehrt den Gehorsam als höchste und Alle gleichmässig umfassende Verpflichtung; sie stellt ihn dar unter allen Verhältnissen als Grundbedingung oder Schmuck jeglicher Tugend; sie macht ihn zum alleinigen Bindemittel zwischen dem Kind und dem Vater, zwischen dem Erlösten und dem Erlöser, zwischen dem Menschen und Gott. Der Gehorsam bildet das innerste Getriebe, den eigentlichen Pulsschlag ihres ganzen Organismus, die dynamische Einigung ihres großen Baues. Tritt er bei dem Religiosen durch das feyerliche Gelübde in die Reihe der obersten und heiligenden Pflichten, so bekennt sich der Weltpriester, ja selbst der Jüngling, der erst den Entschluß, zu dem Dienste der Kirche sich befähigen zu wollen, kund gegeben hat, gegen seinen Bischof zu demselben in frei übernommener, dennoch unabweichlich bindender Obliegenheit. Der Gehorsam unterwirft das Beichtkind, welche Stellung sonst in der Welt es einnehme, seinem Beichtvater und lehrt es, dessen Räthe zu befolgen, dessen Mahnungen sich zu fügen, dessen Zurechtweisungen sich zu unterziehen, in ihm den Stellvertreter jener höhern, einzig auf dem Gehorsam ruhenden Ordnung zu verehren. Der Gehorsam ist eine solche feste Grundlage der Kirche, ein solches Agens in der Kirche, eine solche gewichtige Forderung der Kirche, daß selbst ihr Oberhaupt demselben sich nicht entziehen darf. Auch der Papst hat seinen Beichtvater, und, will nicht er zuerst das Gefüge der Kirche auflösen, nicht selbst, was er heiliger Obliegenheit[59] gemäß wahren soll, Preis geben, so darf gewiß auch er in dem Augenblick, da er seinem Beichtvater gegenüber erscheint, nicht die Fülle seiner Macht gegen denselben einsetzen, steht dannzumal gewiß in dem, was das Heil seiner eigenen Seele betrifft, sein Beichtvater über ihm. Gewiß hat daher eine so fromme als geistreiche Ordensschwester die Seele, die durch Alles walten muß, was mit der Kirche in lebendiger Verbindung steht, richtig erkannt, wenn sie mir schrieb: »O wie gut ist es doch, unter dem heiligen Gehorsam zu leben! Man weiß durch ihn den Willen Gottes so klar, so bestimmt. Möchte doch mein ganzes Leben nichts Anders seyn, als ein steter Act des Gehorsams!«

Wohin demnach in der Kirche du dein Auge wenden, was du deinem prüfenden Blick unterwerfen, was du zum Gegenstand deiner Forschung machen magst, was in derselben dich anspricht, in Alles verflicht sich der Gehorsam, allenthalben wird dir in leifern oder kräftigern Spuren der Gehorsam entgegentreten, und werden Lehre und Anordnung den Gehorsam nicht bloß als Schmuck dir empfehlen, sondern als wesentliche Pflicht auferlegen, zu ächter Tugend in dir ausbilden wollen. Oder nimm diesen Gehorsam hinweg, und du trennst den Körper von dem Haupt; du lösest nicht bloß ein zusammenhaltendes Band, nein, du treibst den einigenden Geist aus; du tödtest das Leben, damit der Leichnam auseinanderfalle, zerbröckle, in Staub sich verflüchtige; du wirfst denselben von Golgatha's lichtquellenden Höhen nieder in die düstere Einöde des todten Meeres.

Diesem entgegen ist das Princip aller protestantischen Parteyen: die Freiheit. Hervorgegangen in ihren Gründern aus völliger Abschüttlung des Gehorsams, haben sie die individuelle Freiheit in Glaubenssachen zur letzten Grundlage ihres Systems gemacht. Frei, d. h. entledigt von höherer, bindender und einigender Autorität, soll der Mensch dasjenige erforschen, was er finden mag, und annehmen, was ihm zusagt. Ohne es zu wollen (das seye zugegeben), ist ihnen über ihrem Widerstreben gegen die Kirche das Hauptmoment in der Gnadenanstalt[60] Gottes entschwunden; und wie sie auch damals noch die äussere That der Erlösung mögen festgehalten haben, von der innern wurden sie abgetrennt, und haben die Beziehung derselben gerade zu demjenigen, wodurch sie nothwendig geworden, aufgehoben. Damit verlor die ser erste und letzte, höchste und tiefste Beweggrund der Welterlösung seinen bildenden und ordnenden Einfluß auf das Ganze, wie auf den Einzelnen; der Gehorsam, inwieweit er mit der Freiheit sich verschmilzt, trat aus der Kategorie der mit Gott einigenden und die Theilnahme an der Erlösung bedingenden Tugenden in diejenige der blossen Zierden hinüber, und die Freiheit, als Mutter der neuen Lehre (wie der Gehorsam der Vater nicht bloß aller kirchlichen Lehre und alles kirchlichen Glaubens und Thuns, sondern der Kirche selbst ist), nahm dessen Stelle ein.

Hiemit (was doch im Vorübergehen berührt werden mag) erklärt sich der rasche Schwung, welchen die Neuerung alsbald gewann, ungleich leichter, als durch die in der Kirche damals zum Vorschein gekommenen Uebelstände und durch das Zusammentreffen der politischen Conjuncturen. Beide zwar dürfen als secundäre Förderungsmittel nicht unberücksichtigt bleiben. Unläugbar aber lag das Lockende, Bezaubernde und Fesselnde der neuen Lehre darin, daß sie an den, seit dem uranfänglichen Abfall in das Menschenherz gepflanzten Grundtrieb, Gott gleich seyn zu wollen, d. h. der subjectiven Freiheit das Uebergewicht über den von Gott geforderten Gehorsam einzuräumen, sich wendete. Das wohlverstandene Christenthum stellt ein gegenseitiges Durchdringen der Freiheit und des Gehorsams, ein Vermitteln von beiden, als höchste Aufgabe. Das durch Mißbrauch der Freiheit von Gott abgefallene Menschengeschlecht sollte erst durch strengen Gehorsam wieder zum richtigen Gebrauch der Freiheit erzogen werden, Darum ward das Gesetz (der Zuchtmeister, wie Sanct Paulus es nennt) durch Moses gegeben, um mittelst desselben auf die Gnade, die in Christo erschienen ist (dieweil nur »recht frei ist, wer durch den Sohn frei wird«), vorzubereiten. Alles Walten der Kirche während[61] fünfzehn Jahrhunderten zielte darauf ab, Freiheit und Gehörsamt in einen innern Zusammenhang zu bringen, beide in Einklang zu verbinden, so daß einerseits die Freiheit nicht mehr ungezügelt herrsche, wie sie durch den Sündenfall mit Gott in Widerspruch sich gesetzt und in dem Heidenthum gewaltet hatte, anderseits der Gehorsam nicht aus knechtischem Geist hervorgehe, wie dieß unter dem Gesetz bewirkt worden. Diese, durch Christum bewerkstelligte Vermittlung aber hat die Reformation, wenn nicht aufgehoben, doch unläugbar geschwächt, indem sie der Freiheit wieder ein solches Uebergewicht einräumte, daß dieselbe im Verlauf der Zeit zu jenem uranfänglichen Hochmuth zurückführen konnte: »ihr werdet seyn wie Gott;« ein Ziel, an welchem wir bereits angekommen sind.

Mittelst der für ihre religiösen Gesellschaften aufgestellten Verfassungen haben im Fernern die Urheber der Trennung durch Beseitigung aller und jeder Autorität die Uebung des Gehorsams geradezu unmöglich gemacht, daher selbst den Begriff davon in geistlichen Sachen völlig verwischt. Sie gehorchen allerdings der über ihnen stehenden Gewalt, aber nur als Staatsbürger, weil sie sich für Staatsdiener halten, und weil jene eine weltliche Gewalt ist. Sie unterziehen sich allerdings einigen Vorschriften oder Beschränkungen, aber blos deßwegen, weil das Herkommen, oder die Sitte es fordert, weil, sich darüber hinwegsetzen zu wollen, Aufsehen oder Gerede veranlassen könnte. Einem geistlichen Ansehen zu gehorchen, das würden sie als unvertragsam mit der Freiheit betrachten. Vollends aber einer anerkannten und überwachten Lehre zu huldigen, das gälte ihnen mit Verknechtung des Geistes gleichbedeutend; zumal nirgends unter den von der Kirche Getrennten Etwas gefunden wird, was man eine geistliche und kirchliche Autorität im eigentlichen Sinne nennen könnte.

Wird aber deßungeachtet von Gehorsam und selbst in der Weise gesprochen, als ob derselbe in rechter Art nur da zu finden wäre, wo man von der Kirche sich losgerissen habe, so zeigt sich hierin wieder jene Unklarheit, auf welche wir so vielfältig[62] stoßen. Es giebt zweyerlei Gehorsam: derjenige des Soldaten gegen seinen Befehlshaber, derjenige des Kindes gegen den Vater; jener hat die Furcht, dieser hat Liebe und Dankbarkeit zur Mutter; jenem steht die Strafe, diesem steht eine Fülle von Wohlthaten zur Seite; jener muß geleistet werden, sobald er gefordert wird, dieser ist nur möglich bei durchaus freiem Willen. Darum soll jener minder preiswürdige Gehorsam für den wahren Christen in diesen vollkommenern verklärt werden, denn das göttliche Wort fordert ihn auf, auch der weltlichen Obrigkeit nicht aus Furcht vor der Strafe, sondern um des Gewissens willen zu gehorchen. Will man aber nicht glauben, daß der Mensch, welcher in Freiheit seinem Gott und dem von ihm gesetzten Organ, der Kirche, gehorche, auch der Obrigkeit, in welcher er gleichfalls ein Organ Gottes, nur zu anderem Zwecke, erkennt, um so freudiger gehorchen werde? Einzig wer hieran gewöhnt ist, wird auch zum Verständniß und zur richtigen Anwendung jener andern Forderung gelangen, die von Manchen mißverstanden, von noch Mehrern in die Reihe der obsolet gewordenen Sentenzen verwiesen wird: »man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!«

Verwandt mit dem Gehorsam, ja bedingt durch denselben, in manchen Beziehungen nur dessen freudiges Bewußtseyn und dessen sichtbare Bethätigung, ist eine andere Tugend, die ebenfalls von dem Haupt auf die Glieder übergehen soll: die Demuth. »Er erniedrigte sich selbst,« setzt das göttliche Wort mit Christi Gehorsam in den innigsten Zusammenhang; und in jener »Gefangennehmung der Vernunft durch den Glauben,« von der der heilige Apostel spricht, verschmelzen Gehorsam und Demuth in Eines. Eben so ist anderseits verwandt mit der Freiheit und gleichfalls hervorgehend aus ihr der Hochmuth, dessen Charakter darin besteht, über Alles sich emporheben, auf Alles herabsehen zu wollen. Auch die Demuth nimmt unter der Reihenfolge der christlichen Eigenschaften, der unerläßlichen Forderungen an den Gläubigen, in der katholischen Kirche einen ungleich höhern Rang ein, als er ihr in irgend einer andern religiösen[63] Verbindung angewiesen werden kann. Die Kirche allein verlangt, daß Jene ebensowohl in der Gesinnung als in der That sich bewähre. Betrachten wir es aber genau, so kann wahrlich keine Regung des wahren, weil freyen Gehorsams ohne Demuth stattfinden. Jeder Act eines Gehorsams, den wir, nicht einer zwingenden und mit empfindlichen Strafen bereit stehenden Gewalt, sondern einem blos gemahnenden, auffordernden und liebreich lenkenden Ansehen in innerer Freudigkeit leisten, ist zugleich eine Demüthigung vor diesem Ansehen, indem wir damit bezeugen, daß wir die Einsichten und die Absichten desselben für ungleich erleuchteter und heilsamer erkennen, als alle Schlüsse des eigenen Verstandes und als alle Mahnungen des eigenen Willens. Ja der Glaube selbst, inwiefern er annimmt, was Gott dem Menschen geoffenbaret hat, ist eine fortwährende Bezeugung der in uns wohnenden Demuth. Daher eröffnet auch die katholische Kirche eine wahre Schule der Demuth, welche jenes ewig bleibende Wort: »Gott widerstrebt den Hochmüthigen, aber den Demüthigen gibt er Gnade«, aus dem Gebiete der Lehren in dasjenige der Praxis zu versetzen lehrt; alldieweil aus der Wurzel der Freiheit die Demuth niemals als vollreife Frucht erwachsen kann. Oder werdet ihr bei Menschen, die Glauben haben, die den wahren katholischen Glauben sich bewahrten, jenen unbändigen, jenen über Alles hinausfahrenden Hochmuth, worin heutzutage jeder Milchbart sich spreizt, womit jeder Fant zum gewichtigen Mann sich blähen zu können wähnt, ebenfalls finden? Was anders hat zwischen sich und die Wahrheit die schauerliche Kluft gesetzt, was anders thürmt gegen sie einen unübersteiglichen Wall auf, was anders sperrt gegen die Einwirkung der göttlichen Gnade sich ab, als der Hochmuth, welcher die unvermeidliche Folge des Irrwahns ist?

Bei solchem Widerstreit der Principien, der tiefsten Lebensfactoren und der Gesammtrichtung, die aus dieser hervorgehen muß, dürfte eine andere Wiedervereinigung der von der Kirche ausgegangenen mit derselben, als auf dem Boden der[64] Gleichgültigkeit (gerade wie in der Union der beiden protestantischen Hauptparteyen), mit aller Entschiedenheit zu den unmöglichen Dingen gezahlt werden, inwiefern wenigstens jene Wiedervereinigung die Totalität der Getrennten umfassen sollte. Dem könnte die katholische Kirche dem Gehorsam absagen, so würde sie hiemit alle Ansprüche auf ihr Fortbestehen aufgeben; könnte irgend eine der protestantischen Hauptparteyen aufhören, die individuelle Freiheit als oberste Besorgniß zu proclamiren, so hätte sie damit der Trennung die Wurzel abgehauen. Ein unbeirrtes Nebeneinanderstehen kann aber nicht Vereinigung genannt werden. Denn wer in wahrer Unberzeugung in die katholische Kirche eintritt, der muß vor allen Dingen geneigt seyn, in den Gehorsam zurückzukehren, diesem in Demuth sich zu unterziehen, und jener, Alle von Allen trennenden Freiheit zu entsagen.

Ich habe dann früher schon von der Liebe, als nicht blos von einem Merkmal, sondern als von dem bewegenden Lebenselement der Glieder der Kirche nach aussen gesprochen. Die Charitas ist im Grund, von innen herausgehend und, da es in der Kirche, als dem Leib Christi, bei gleicher Beziehung Aller zu dem Haupt, kein Oben und kein Unten giebt, ringsum gewendet, eben das, was von aussen hineingehend, und, nach oben gewendet, der Gehorsam. Der Glaube ist eine innere, verborgene Operation, muß aber offenbar werden, zur Beglaubigung sowohl für sich selbst, als für Andere. Allein er kann durch nichts offenbar werden, als durch Gehorsam und Liebe, welche beide so unzertrennlich sind, als das Doppelgebot: Liebe Gott über Alles, deinen Nächsten wie dich selbst. Gehorsam und Liebe, durch welche beide die Demuth unerläßlich sich durchschlingen muß, sind daher die Siegel des christlichen Sinnes, die Angelpuncte des christlichen Lebens, das Gleichwerden des Gliedes mit dem Haupt, welches als Solches durch nichts Anderes sich darstellt, als durch den Gehorsam gegen oben (den Vater) und durch die Liebe nach unten (die Menschen – welche[65] Sünder und von ihm getrennt waren). Denn das menschgewordene Wort ist allerdings uns »gleich geworden, ausgenommen die Sünde;« aber es ist uns deßwegen gleich geworden, damit wir ihm gleich würden – in Gehorsam und Liebe. Die wahre Gemeinschaft mit ihm kann also nur da bestehen, wo Gehorsam und Liebe ihrem Vollgehalt nach anerkannt, gewürdigt und zu Lebenspotenzen gemacht werden. Wo man den Gehorsam, als des Menschen unwürdig, verwirft, kehrt man in die alte, aus Mißbrauch der Freiheit hervorgegangene Sündhaftigkeit zurück; und wo man die Liebe abschwächt, da wird auch Christus nicht in seiner vollen Bedeutung gewürdigt.

Oftmals kreuzen sich wunderliche Begriffe und Vorstellungen über Möglichkeit einer Wiedervereinigung in den Köpfen. Man hört Protestanten häufig sagen: was wir zu wenig haben, das haben die Katholiken zu viel, die Sache wäre bald gethan, wenn die Einen abliessen und die Andern annähmen. Sie stellen sich die Sache vor wie einen Markt, bei dem der Eine fordert, der Andere bietet, und man allgemach immer näher sich rückt, bis endlich der Handel zum Abschluß gedeiht. So gut es, meinen sie, in der Willkür der Reformatoren gestanden hätte, Einiges zu belassen oder hinwegzuräumen, eben so leichten Kaufs könnte die katholische Kirche hingeben, was ihnen gerade nicht einleuchtet; womit zu gegenseitiger Zufriedenheit Alles leicht sich anordnen liesse. Man möchte solche Aeusserungen die Stimme des praktischen Lebens nennen, die einerseits nicht bis zu der Wurzel der Trennung – dem gänzlichen Verwerfen des Gehorsams – hinabdringt, anderseits nicht zu der Höhe der Gelehrten, Lehrenden und Weltlichter sich erschwingen kann, um in lächerlichem Wahn zu stolziren: die katholische Kirche seye geradezu eine Verläugnung des christlichen Glaubens, und es stehe sich nicht Katholik und Protestant, sondern Katholik und Christ gegenüber; die vielmehr in schlichtem Sinn dafür hält, in dem Nothwendigsten und Wesentlichsten seye des Gemeinsamen immer noch sehr viel, daher blos bei Werthung des Wesentlichen in Unklarheit und Irrthum sich verläuft.[66]

Die Meinung aber, daß fordern, bieten und feilschen zum Zweck einer Wiedervereinigung in der Ordnung wäre, ist nicht neu; wir finden einen Versuch, auf solche Weise das griechische Schisma mit der lateinischen Kirche auszusöhnen, schon im Jahr 1233. Bekanntlich bilden die Lehren vom ungesäuerten Brod bei der heil. Messe und über den Ausgang des Heiligen Geistes die wesentlichsten Differenzpuncte zwischen beiden. Papst Gregor IX forderte damals den Patriarchen Germanus von Nicäa zum Wiederanschluß an die katholische Kirche auf. Zu dem Ende sandte er zwei Dominicaner und zwei Franziscaner an denselben, welche aus Veranstaltung des Kaisers feyerlich empfangen wurden. In einer Audienz bei dem Patriarchen erklärten aber die Ordensbrüder, sie wären nicht gesendet, um vor einer Synode über die fraglichen Puncte förmlich zu disputiren, sondern blos, um mit dem Patriarchen in freundschaftliche Besprechung sich einzulassen. Allein es erfolgten dennoch Disputationen, welche den gewöhnlichen Ausgang solcher Kämpfe hatten: keine Partei konnte die andere überzeugen. Darauf fragte der Kaiser die päpstlichen Boten, unter welchen Bedingungen die Wiedervereinigung statt finden könnte? Als sie ihm dieselben mitgetheilt, reisten sie nach Constantinopel ab. Nach kurzer Zeit wurden sie zur Rückkehr nach Nicäa eingeladen, und die Erörterungen begannen von neuem; man schied aber erbitterter auseinander, als man zusammen gekommen war. Da ließ der Kaiser die Ordensbrüder in seinen Palast kommen und eröffnete ihnen: »Wenn unter Königen über Schlösser oder Landstriche Zwist entsteht, so läßt Jeglicher von seinem Recht Etwas nach, um auf einem Mittelwege zum Frieden zu gelangen. So, scheint es mir, sollte es zwischen eurer und unserer Kirche geschehen. Es bestehen zwei Differenzpuncte: das ungesäuerte Brod und der Ausgang des Heiligen Geistes. Wir wollen die Form eures Sacramentes annehmen, nehmet ihr dagegen unser Glaubensbekenntniß an, hiemit wäre die Trennung gehoben.« Daß die päpstlichen Boten auf dergleichen Vorschläge sich nicht einlassen konnten, wenn sie auch durchblicken[67] liessen, daß in bloßen Formalien der Papst dse Griechen wohl werde gewähren lassen, ist leicht begreiflich.


Hatte mich auch Möhlers Symbolik über Manches belehrt, was mir bisher entweder gar nicht, oder nur unvollständig und fragmentarisch bekannt war; hatte sie mir vorzüglich theils die Willkühr, theils den Wankelmtuth in Aufstellung der abweichenden Lehrsätze ins Licht gesetzt, wozu dann noch die längst gemachte Erfahrung hinzukam, daß selbst von diesen wesentlichsten vor so Vielen, die in der protestantischen theologischen Welt als Autoritäten angepriesen werden, alle Anerkennung und Geltung verloren hätten, so stand ich deßwegen noch nicht in der Fassung, als Glied der katholischen Kirche mich erklären zu können oder zu wollen. So fest und entschieden konnte ich über Alles noch nicht mich aussprechen. Gemäß daher meinem Grundsatze, vor allen Dingen müsse der Mensch, was er immer seyn wolle, dieses ganz zu seyn sich bestreben, zog ich es vor, einsweilen lieber noch an der Pforte des Heiligthums zu verweilen, als in dasselbe einzutreten, ohne mich vollkommen heimisch darin zu fühlen. Ich vertraute derjenigen Leitung, welche so mancher äußern und innern Bande allmählig mich befreit hatte. War so Manches um und an mir vorgegangen, ohne daß ich es darauf hätte anlegen können oder wollen; hatte so Manches mir sich dargeboten, ohne daß ich es suchte: so mochte ich wohl erwarten, ich würde auf ähnliche Weise wohl noch zur letzten Erkenntniß geführt werden,

Zwar konnte es mir nicht verborgen bleiben, daß der Meinung, welche Einzelne von mir hegten, ein derartiges Zögern nicht vortheilhaft seyn könne. Man hatte sich gefreut, bei mir eine gerechtere Würdigung der kirchlichen Vergangenheit, eine unabhängigere Auffassungsweise des Bestehenden zu finden; man hatte mit Theilnahme wahrgenommen, wie ich deßwegen[68] wollte gedrängt werden; man hatte sodann mich als Verfechter der auf alle Weise angegriffenen Kirche gesehen, und meinte deßhalb, ich müßte Alles, was derselben eigenthümlich ist, mir ebenso vollkommen angeeignet haben, wie derjenige, welchen sie von Jugend an genährt und erzogen hat, Allein der Preis, in der Meinung Anderer allfällig mich zu heben, oder schiefer Beurtheilung zu entgehen, konnte für mich denjenigen, nie anders denn mit der entschiedensten, unbedingtesten, dem Wichtigsten wie dem minder Wichtigen vollkommen beipflichtenden Ueberzeugung als Glied der Kirche mich erklären zu können, nicht aufwägen. Richtig erfaßt, möchte eine Rückkehr in dieselbe durch das, wider der Menschen Erwartung oder Wunsch zwischeneintretende Zögern an Werth nichts verlieren; so wie es leichter ist, sich zu vergegenwärtigen, was nach bloß allgemeiner Auffassung der Verhältnisse ein Anderer thun sollte, als was nach eindringlicher Berücksichtigung und Abwägung derselben ihm zu thun möglich.

Ich kann aber nicht sagen, daß ich während jener Zeit des Nachforschens und der Vorbereitung zwischen der katholischen Kirche und dem Protestantismus eigentlich in der Mitte gestanden hätte. Nach den Früchten, die der Letztere mir getragen, und nach den gewonnenen Momenten zu Würdigung seiner hitzigsten Verfechter, und nach der tiefern Erforschung seines Ursprungs so wie seines Zustandes, war derselbe für mich eine abgethane Sache, so wie auch jede Beurtheilung meiner Person, die aus demselben hervor gieng, mir nur höchst gleichgültig seyn konnte. Ich fand nicht die mindeste Anmuthung, an irgend einer seiner öffentlichen Lebensäußerungen mehr Theil zu nehmen, durfte aber hiebei die feste Ueberzeugung hegen, daß dieses, dem Wesen und dem Geist desselben gemäß, im allgemeinen als ein durchaus normalmässiger Zustand betrachtet wurde und, wenn er so bis an mein Lebensende fortgedauert hätte, weder Befremden, noch weniger bei irgend Jemand Mißstimmung würde hervorgerufen haben. Indeß darf ich nebenbei nicht verhehlen, daß zu dieser Zeit noch[69] jene arge Täuschung mich befangen hielt, zu meinen, die feste Ueberzeugung von den Grundwahrheiten der Offenbarung genüge, die äußern Formen wären minder wesentlich. Es ist dieß eine Täuschung, in welche im Gefühle der Dürre und Unzulänglichkeit des Protestantismus viele tiefere und gottesfreudigere Naturen hineingedrängt werden, worin sie aber ganz behaglich und gegen jede Mühe des weitern Herumblickens und Forschens gesichert, hiemit jedes Conflictes im Innern und des oftmals noch schwierigern mit den äussern Verhältnißen überhoben sich fühlen. Mir selbst aber hatte die Fruchtbarkeit und Rothwendigkeit der Heilsmittel in der katholischen Kirche, und welche innere Gewißheit und Festigkeit aus dem Bewußtseyn entspringe, in ein grosses Ganzes nicht bloß mit beifälliger Anerkennung hineinblicken zu können, sondern demselben eingefügt zu seyn, noch nicht hell genug eingeleuchtet. Auch ist es leichter gesagt als ausgeführt, daß der Mensch in solchen Angelegenheiten alle Rücksichten aus den Augen setzen müsse; so wie es auch schwerer ist, die eigenen Vorurtheile zu überwinden, als über die fremden sich hinwegzusetzen. Mag man daher sich am Ende gestehen, das eine Band seye gelöst, so ist deßwegen das andere noch nicht geknüpft.

Ich ließ mich bald wieder in den Strudel von allerlei kleinern und grössern Arbeiten hineinreissen, unter welchen eine tiefere Erwägung der Frage, was ich in dieser Beziehung thun sollte, in den Hintergrund gedrängt wurde.


Im Jahr 1843 sah ich mich veranlaßt nach Paris zu gehen. Ich hatte dort Freunde, denen ein Besuch angenehm, Personen, welchen Bekanntschaft mit mir erwünscht war, fand freundlichere Aufnahme, als ich je hätte ahnen dürfen.

Im Vorüberreisen sollte ich mit dem Hochwürdigsten Bischof[70] von Straßburg mich besprechen, wurde aber von demselben nach Heitern, einem Dorfe in der Nähe von Neubreisach, eingeladen, wo er an dem Sonntage, den ich in Straßburg zuzubringen gedachte, die neugebaute Kirche zu weihen hätte. Ich folgte gerne der Einladung, weil ich dabei Gelegenheit fand, einer Festlichkeit beizuwohnen, die zu den seltenern gehört. Kaum ich am Vorabend derselben, um dem Bischof einen Besuch abzustatten, in den Pfarrhof eingetreten war, wollte der Pfarrer es durchaus nicht zugeben, daß ich in das Wirthshaus zurückkehre; ich würde dort, meinte er, bei der Bewegung, die durch das ganze Dorf des morgigen Tages wegen herrsche, wenig Ruhe finden; er wolle es möglich machen, daß ich ein Unterkommen in seinem Hause finde, denn wer von seinem Bischof geehrt werde, habe dadurch volle Ansprüche auf seine Obsorge. Ich fand in dem Herrn Pfarrer Siffert einen anspruchslosen, gastfreundlichen, frommen, treueifrigen Priester, der sichtbarlich den Tag, an welchem die Weihe eines neuen Tempels in seiner Gemeinde konnte vorgenommen werden, als einen lichten in seinem Leben betrachtete.

Der anbrechende Festmorgen wurde durch Glockengeläute Böllerschüsse und Musik begrüßt, und frohe Bewegung ergieng durch das ganze Dorf. Eine geschmückte Bevölkerung war frühzeitig auf den Beinen, um die Triumphbogen, die Blumengewinde, die mancherlei Verzierungen, die zu Verherrlichung der Feyerlichkeit an dem Pfarrhofe, besonders aber an dem Haupteingange der Kirche angebracht waren, in Augenschein zu nehmen. Begünstigt durch die Witterung, langten allmählig Züge von Männern und Frauen, Jünglingen und Mädchen aus den Nachbargemeinden an, und die ganze Umgegend schien bewegt von frohem Jubel über dem Glück, welches der Nachbargemeinde in dem unter so schwerer Anstrengung und grossen Opfern zu Stande gebrachten Bau eines würdigen Gotteshauses zu Theil geworden. Mir trat hierin jene schöne Zeit unter Augen, in welcher die Bewohner einer Stadt, eines Fleckens, eines Dorfes kein bedeutungsvolleres, segensreicheres Ereigniß[71] sich denken konnten, als mitten unter ihren einfachen Wohnstätten ein Haus des Herrn aller Herren sich erheben, die Thore zu der Stätte sich öffnen zu sehen, an welcher die unvergänglichen Schätze, die himmlischen Güter, das Gemeinsame unter aller Verschiedenheit des irdischen Daseyns ihnen geboten werden sollte; sowie auch damals aus weitem Umkreis Alles herbeizog, um sich mitzufreuen, mitzudanken, mitzujubeln. Es trat hiemit vor meinen Blick einer jener Glanzpuncte, die nicht dem Leben, sondern bloß dem christlichen Leben eigenthümlich sind.

Aber auch die Kirche selbst in ihrem stattlichen Bau, in ihrer Räumlichkeit, in ihrer würdigen Ausstattung setzte mich in Staunen. Heitern ist ein Dorf von mittlerer Grösse, ganz von Landleuten bewohnt, und doch hatte dieser Bau über 140,000 Franken gekostet, daher nicht nur ansehnliche Beiträge, sondern mehrjähriges Mitwirken durch Hand- und Spanndienste erfordert. Es kehrte lebendig in meine Erinnerung zu rück, wie ich einst die äussersten Mittel hatte anwenden müssen, um die Vorsteher eines Dorfes nur dahin zu bringen, aus dem Kirchenvermögen die eine Hälfte einer Kirche ausweißen zu lassen, nachdem die andere Hälfte schon seit Jahren auf Kosten einer Stiftung hergestellt worden war; wie sodann kurze Zeit vorher in meiner Vaterstadt, die sich eine Zusammenstellung mit dem Dorfe Heitern schönstens verbitten würde, der blosse Bau einer Orgel um eine beinahe zehenfach kleinere Summe, als dort die Kirche gekostet, an Widersprüchen, Rivalitäten, Gleichgültigkeit und kargen Beiträgen scheiterte. Ich lernte von der praktischen Seite einen Glauben kennen, der auch in dem einfachen Landmann Bereitwilligkeit weckt, freiwillige Opfer zur Ehre Gottes, zu Bereitung einer würdigen Stätte für seine Andacht darzubringen; ich konnte mich lebendig in die Stimmung eines solchen Dorfbewohners versetzen, der mit seinen Lebensgefährten einen wohl zu verzeihenden Ruhm darin sucht, selbst oder durch die Vorväter dem Herrn ein Haus errichtet zu haben, welches ihr Stolz seyn, die Nachbarn zu Nacheiferung wecken möge.[72]

Zugleich dann sah ich eine zahlreiche Bevölkerung durch sichtbare Beweise der Ehrerbietung Freude darüber an den Tag legen, daß sie ihren Oberhirten, mit ihrem geistigen Heil beschäftigt, in ihrer Mitte mochte weilen sehen. Die Verrichtungen bei der Weihe der neuen Kirche selbst, die Gesänge, die Gebete, die simbolischen Handlungen, der ganze Gang der lange dauernden Feyerlichkeit, bei welcher auch eine kurze, aber ergreifende Predigt durch den hochwürdigsten Bischof nicht fehlte Alles zumal gab mir den Beweis, wie tiefgedacht die Anordnungen der Kirche zu jeder Art Festlichkeit seyen, wie sinnreich wie erhebend und großartig.

Auch der Eindruck, den die aus der Nachbarschaft herbeigekommenen Geistlichen auf mich machten, war ein höchst befriedigender, wohlthuender. Sie erschienen insgesammt ihrem Stande gemäß gekleidet, und auch nicht bei Einem hätte Jemand in Zweifel stehen mögen, ob er einen katholischen Priester, oder aber einen Steuereinnehmer oder einen Bezirksarzt vor sich sehe. Ihr Benehmen hatte ebensowenig den Anstrich von burschikoser Nachlässigkeit, als von jener rückengelenkigen Geschmeidigkeit, welche den priesterlichen Charakter oft noch mehr verunziert, als jene. Geschaart um ihren Bischof, gewährten sie das schöne Bild eines solchen Verhältnisses, wie es überall bestehen sollte; nichts Drückendes, Gebieterisches, sondern freundliches, liebreiches Entgegenkommen von Seite des Oberhirten gegen seine Gehülfen, nichts Scheues, Zurückhaltendes, wohl aber freye Bewegung, geregelt durch Ehrerbietung von Seite dieser. Nirgends so anschaulich, wie in der gegenseitigen Stellung eines Bischofs zu seiner Geistlichkeit sollte jener Gehorsam in Freiheit sich abschatten, welchen ich als das Element der Erlösung und als bewegende Kraft der Kirche erkenne. Wird das Bewußtseyn, denselben fordern zu dürfen und zu müssen, erleuchtet durch einen Strahl eben jener Liebe, die in dem gemeinsamen Herrn mit dem Gehorsam sich einigt, und hält die Anerkennung von Mitarbeitern derjenigen von Untergebenen das Gleichgewicht, dann werden auch bei diesen[73] Gehorsam und Freiheit so sich durchdringen, daß, was in Gehorsam geschieht, die wahre Freiheit zur Mutter, und die Freiheit den Gehorsam zum treuen und fürsorglichen Begleiter hat.

––––––

Raschen Fluges durcheilte ich mit der Mallepost die, ohnedem wenig Merkwürdiges darbietende Strecke von Straßburg nach Paris, wo ich bald mit manchen ausgezeichneten und wohlgesinnten Männer in nähere Berührung kam.

Ich hatte zu Wien vor vier Jahren ebenfalls in einer katholischen Stadt mich befunden; die kirchlichen Denkmale daselbst hatten meine Aufmerksamkeit nicht minder auf sich gezogen wie in Paris; besondern kirchlichen Feyerlichkeiten hatte ich dort beigewohnt, wie hier; die religiösen Zustände und die Erscheinungen des religiösen Lebens waren, wo Gelegenheit sich darbot, damals Gegenstand meiner Unterhaltung, wie jetzt; und doch trat bei diesem Allem zwischen damals und jetzt ein bedeutender Unterschied hervor. Es läßt sich nicht läugnen, Paris besitzt an kirchlichen Denkmalen einen größern Reichthum und eine größere Mannigfaltigkeit, als Wien; es ist wahr, während meines Aufenthaltes in der französischen Hauptstadt trafen ansehnlichere Feste ein, als während des Aufenthaltes in der Hauptstadt der österreichischen Monarchie; auch bin ich dort mit mehr Personen in Berührung gekommen, mit welchen jene Gegenstände unter mancherlei Gesichtsonneten sich erörtern ließen, als früher in Wien. Dieses zugegeben, war ich mir jetzt doch eines mächtigern Zuges zu jenem Allem, einer lebendigern Theilnahme, eines gesteigerten Interesses dafür bewußt. Die Hauptverschiedenheit bestund nicht in demt, was meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern in der größern, unmittelbarern Anziehungskraft, die jetzt dieses Alles auf mich übte. Vier Jahre früher war die katholische Kirche für mich eine großartige Erscheinung, die meinen Blick auf sich zog, an der ich manche Vorzüge wahrnahm, die ich gern anerkannte, welche[74] ich, ohne einer Lüge gegen mich selbst mich schuldig zu machen, in Zweifel zu ziehen, oder geradezu wegzuläugnen mir niemals hätte erlauben können. Vier Jahre später hatte sie eine ganz andere Bedeutung für mich erhalten; die bloß objective Anschauung war durch mancherlei gemachte Erfahrungen und gewonnene Aufschlüsse bereits in eine subjective Wahlverwandtschaft übergegangen. Ich möchte sagen, in jener frühern Zeit seye mir die Kirche erschienen als eine mit mancherlei Vorzügen begabte, hochgestellte Frau, der ich wohl Achtung erwies, wo sie mir begegnen mochte, auch mehr als eine gute Eigenschaft nachzurühmen wußte, in ihrer Gesellschaft keineswegs mich unbehaglich befand; dann aber aus ihrer Nähe ebensogerne wieder in das eigene Haus und in den hier befindlichen Kreis zurückkehrte. Jetzt war sie mir schon mehr geworden; ich fand mich mächtiger hingezogen zu ihr, befreundeter mit ihr; wenn ich sie auch meine Gebieterin und Beschützerin noch nicht nennen konnte, so ahnete ich doch, daß sie demjenigen, der seine Huldigungen ihr darbringe und unter ihren Schutz sich begebe, durch mancherlei Gnaden vergelte.

Zum Erstenmal in meinem Leben befand ich mich daher in der Hauptstadt Frankreichs in einer katholischen Stadt mit ganz anderm Gefühl, als zuvor in Wien oder in München, mit demjenigen nemlich, daß unter dem vielen Bedeutungsvollen, was dieselbe meiner Wahrnehmung und Forschung darbieten könne, das katholische Leben, welches mitten unter den schroffsten Gegensätzen in ihr mannigfaltig hervortrete, neben mancherlei anderem Bedeutsamem und Anziehendem nicht das Unwichtigste seye.

Das, was von den meisten Reisenden in der Regel am wenigsten beachtet wird, weil sie dazu zu vornehm, oder zu abgestumpft, oder über dergleichen Nebensachen, die ihrem Wahn nach in der jetzigen Welt keinen Curs mehr haben, oder doch nicht mehr haben sollten, langst hinweggekommen sind: dasjenige, was die Gestaltungen des religiösen Lebens betrifft, ist mir am hellesten in der Erinnerung geblieben. Ich hätte weniger[75] als hundert Andere zu berichten gewußt über Götter, Cultus und Kirche der heutigen Sinnenwelt – das Theater; über den Pulsschlag der jetzigen Gesellschaft gewöhnlicher Färbung – die materiellen Unternehmungen und deren Gang; über gastronomische Erscheinungen, Genüsse und Herrlichkeiten; über so mancherlei Siebensachen, worauf immerhin im Vorübergehen der Blick geworfen wurde; am wenigsten über die politischen Parteyen und ihre Fahnenträger in und außer der Kammer; über das, was beabsichtigt und nicht beabsichtigt werde, was kommen dürfte und gewöhnlich anders kommt. Mächtiger dagegen nahm jenes sonst Unbeachtete mich in Anspruch, blieb nicht ohne bestimmenden, festigenden Einfluß auf mich.

Der erste Eindruck zwar ließ mich von so Manchem, was ich nachmals fand, das Gegentheil erwarten; stimmte mich eher unendlich tief herab, als daß er mich hätte erheben können; rief ein Bild hervor, welches ich glücklicher Weise bald nachher an ein günstigeres und zusagenderes vertauschen konnte. Ich erwachte nemlich in diesem»Herzen und Gehirne der Welt,« wie Louis Blanc in seinen zehn Revolutionsjahren Paris nennt, zum Erstenmale am Morgen des Himmelfahrtsfestes, und begann alsbald die Wanderung durch einige Straßen. Hätten nicht Kalender und eigene Erinnerung es mir gesagt, daß heute die Christenheit eines ihrer größten Feste feyere, hier wahrlich hätte mich nichts daran gemahnt. Durch die Straßen wogte nicht eine festlich geschmückte, sondern zu gewohntem Betrieb und Verkehr hin- und her rennende Bevölkerung; die Ausrufer schrieen ihren gewohnten Text; alle Kaufladen waren geöffnet; das Scheuern vor den Häusern, das Reinigen der Glasfenster vor den Gewölben gieng seinen Gang, wie an jedem andern Tage. Ich kam an die Tuilerien; hier sah ich mehrere Arbeiter beschäftigt, von den eisernen Stäben des Gitters, welches neu bemahlt werden sollte, den Rost abzukratzen. Es war eben etwas mehr als ein Jahr vergangen, seit der Erzbischof von Paris an der Spitze seiner Geistlichkeit zu dem König gesprochen hatte: »Wir setzen unsere Hoffnung[76] auf die Zusicherungen von Eifer für die Religion und den festen Willen, sie beschirmen zu wollen, welche Ew. Maj. uns mehr als Einmal gegeben hat. Vertrauend diesem Königswort, hoffen wir, daß in nicht ferner Zukunft es der Regierung möglich seyn werde, die öffentlichen Arbeiten an den Gott geweiheten Tagen aufhören zu machen, und daß unter Einwirkung des mächtigen Beispiels alle Franzosen diese heiligen Tage ehren werden.« Es war eben etwas mehr als ein Jahr vergangen, seit der König hierauf geantwortet: »Man muß auf die schweren Zeiten Rücksicht nehmen, in denen wir leben. Man muß keinen Bau beginnen, den man nicht vollenden könnte. Ich weiß, daß die Religion aller Kraft der Gesetze bedarf, um den Angriffen derjenigen zu entgehen, die sie unglücklicher Weise aufgegeben haben. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich vor meinem Tod Alles noch ins Werk setzen könnte, was ich zu deren Besten ausgedacht habe.«

Wie stimmte dieses Beispiel festtäglicher Arbeit an dem Königsschloß mitten unter der, für das Land den Ton angebenden Bevölkerung zu jenen obligaten Phrasen des Monarchen? Hat zwar der alte Spruch:


Regis ad instar totus componitur orbis,


viel, und hier in Paris besonders viel von seiner Geltung verloren, so ist dieß weniger der Fall in demjenigen, was der eigenen leichtfertigen Gesinnung, der eigenen üblen Gewohnheit zusagt, als in dem, was denselben widerspricht. Hätte es nicht dem König obgelegen, sofern für den Augenblick die Umstände Gesetz und Vorschrift für Alle zu erlassen noch nicht gestatteten, doch den Beweis zu geben, daß er dieselben wenigstens für den Umkreis seiner persönlichen Verhältnisse zu erlassen wisse, und daß jene Worte Besseres gewesen seyen, als momentane Schönrednerei, an das Gewand desjenigen gerichtet, dem sie als Entgegnung gegolten? Müssen nicht solche Beispiele mehr als Alles dazu dienen, die aus der Religionsverachtung der Encyklopädisten erzeugte und durch den Religionshaß[77] der Revolution in die Gesellschaft eingeführte Nichtachtung der, den höhern Pflichten und Bedürfnissen gewibmeten Tage als ganz in der Ordnung zu betrachten? Die Gazette de France ermangelte hernach nicht, diese zu so unpassender Zeit, an so unpassendem Orte begonnene Restauration mit entschiedener Mißbilligung hervorzuheben, zumal dabei nicht, wie bei den Befestigungsarbeiten, ein Drängen der Zeit habe können vorgeschützt werden. Sie bezeichnete diesen Vorgang geradezu als ein schlechtes Beispiel von Seite der Aufseher über die öffentlichen Arbeiten. Hatte sie Unrecht?

Nachdem ich dieses gesehen, verwunderte ich mich um so weniger über die Emsigkeit, mit welcher an den Kai's stromabwärts das Ausladen und das Fortschaffen des Brennholzes auf Karren betrieben wurde. Längs des Ufers bis zur Invalidenbrücke hinabwandernd, wendete ich mich hier, um zur Kathedralkirche hinaufzusteigen. Ueberall, bis in die allernächste Umgebung derselben, die gleiche Wahrnehmung. Eben war die Zeit des Hochamts gekommen. Ich trat hinein in »das Kleinod und den Augapfel der Bischöfe von Paris,« wie ein alter Schriftsteller dieselbe bezeichnet, und war nach allem bisher Beobachteten nicht besonders erstaunt, den großen Raum nur sparsam besucht zu sehen. In Folge des an dem Himmelfahrtsfeste Wahrgenommenen stellte sich mir im ersten Augenblicke Paris unter dem Gesichtspunct des kirchlichen Lebens von einer recht düstern Schattenseite dar; daß es sich bald von einer desto heiterern Lichtseite zeigen würde, konnte ich noch nicht ahnen.


An dem Gang meines Lebens ist mir, wie ich es oftmals, nachdem wieder eine Strecke zurückgelegt war, unzweifelhaft genug erkennen mochte, und wie ich es auch nachzuweisen versucht habe, die Dazwischenkunft einer unsichtbaren Hand recht augenfällig klar geworden. Mehr als einmal hat dieselbe mich[78] erfaßt, um ohne, ja nicht selten, gegen meinen Willen, auf einen Standpunct mich zu führen, in Verhältnisse mich zu bringen, über deren Zweck erst spätere Zeit mir die Augen öffnen konnte. Ich glaube fast, daß diese Hand weit häufiger, als in der Regel erkannt wird, in den Gang der Menschen eingreift, denselben lenken will. Aber sie wird eben so häufig nicht wahrgenommen; dieß deßwegen, weil erst der Blick, dann die Ueberlegung den gegebenen Wink nicht wahrnehmten mag; weil beide durch die nahestehende Erscheinung sich fesseln lassen; weil es dem Menschen nicht beifällt, diese mit dem rückwärts Liegenden, bald darauf mit dem Folgenden in einen innern Zusammenhang zu bringen. Jene Hand nun ergriff mich gleich am zweiten Tage meines Aufenthaltes in Paris auf unverkennbare Weise, und führte mich an ein Ziel, welches ich unmöglich im Auge haben konnte, weil es mir durchaus unbekannt war.

Ich saß Abends in einem Hotel in der Straße Richelieu mit einem Dänen und besprach mich mit ihm über die Localität der großen Oper. Aus seiner Beschreibung des Gebäudes glaubte ich entnehmen zu können, ich wäre des Vormittags bei abgestatteten Besuchen an demselben vorübergefahren. So kannte ich wenigstens die Richtung, in welcher das Opernhaus lag; und da ich nicht wußte, wie den Abend zubringen, schien miir das Räthlichste, in dieses zu gehen. Ich wanderte daher von meiner Wohnung die Strasse Richelieu hinauf, dem Boulevard der Italiener zu, und fragte an dem Kaffehaus, welches den Namen des Cardinals trägt, einen jungen Mann um den weitern Weg. Er bezeichnete mir die zweite Straße an der entgegengesetzten Seite des Boulevards, diese werde mich sicher und bald an das gewünschte Ziel führen. In der Stellung, in welcher er mir die Auskunft ertheilte, achtete er nicht darauf, und ich natürlich um so weniger, daß die Rue Grange, als Fortsetzung der Rue Richelieu, über den Boulevard hinaus unmittelbar hinter unserm Rücken sich öffne; daher konnte es meinem freundlichen Wegweiser nicht zu Sinne kommen, mich hier[79] auf aufmerksam zu machen. Ich bog also, statt in die zweite, in die dritte Straße zu meiner Rechten ein, und stand bald vor einem Gebäude mit einer kleinen Säulenhalle, Es war eben dasjenige, welches ich am Morgen bemerkt hatte, und welches mit der Beschreibung des Dänen vollkommen zusammenzutreffen schien, so daß ich gar nicht zweifelte, vor dem Opernhause zu stehen.

Obwohl es mir auffiel, keine angezündeten Laternen, keine Wache, kein Menschengedränge (nur sehr wenige Personen befanden sich auf der Straße) zu erblicken, wie ich dieß Alles am vorigen Tage bei einem andern Schauspielhause wahrgenommen hatte, konnte ich doch nicht von ferne ahnen, daß ich vor einem ganz andern Gebäude, als vor dem Opernhause, stehen dürfte. Ich vermuthete, da ich nicht vorher den Theaterzeddel zu Rathe gezogen, zu früh mich eingefunden zu haben. Indeß, da ich doch einige Personen hineintreten sah, folgte ich diesen durch die erste Thüre, in Erwartung, hier die Casse zu finden. Allein sie zeigte sich nicht. Ich folgte durch eine zweite Thüre und fand mich in einem ziemlich großen Saal voll geordneter Sessel, im Hintergrunde, wie es mir schien, durch einen blauen Vorhang geschlossen; aber keine Logen, Niemand zu sehen, der nach dem Eintrittsgeld fragte; das befremdete mich von neuem, und noch mehr setzte mich der schmale, unverhältnißmässig lange Raum in Verwunderung, der in auffallend beengter Gestalt höchstens einige hundert Personen fassen konnte. Da jedoch zur Linken ein weit größerer Raum, von diesem abgesperrt, sich öffnete, kehrte ich zu dem Eingang in jenen zurück, und war wie aus den Wolken gefallen, statt, wie ich immer noch glaubte, in dem Opernhause, in einer großen, nach Basilikenart gebauten Kirche mich zu finden. Ich gieng wieder hinaus, um das Gebäude besser zu besehen, und las nun über den Säulen die Innschrift: Beatæ Mariæ Virgini Lauretanæ. Nun gedachte ich, bei dem ersten Begegnenden auf's neue nach dem Opernhause mich zu erkundigen, zuvor aber im Vorbeigehen das Innere dieser Kirche wenigstens zu[80] überblicken; daher ich neuerdings hineintrat, dießmal stracks dem Mittelschiffe zu.

Indeß hatte sich am innern Eingang der sogenannte Schweizer in seiner Livree und mit seinem großen Stock aufgestellt. Sobald ich nun meine Schau antreten wollte, fragte er: ob ich des Officiums wegen, oder bloß um die Kirche anzusehen, hineingekommen wäre? Letzteres seye zu dieser Stunde nicht gestattet. Diese Frage überraschte mich noch mehr. Neuling, wie ich war, entgegnete ich: ob denn so spät am Abend noch ein Officium statt finde, und welches? Ich konnte mir höchstens einen Trauergottesdienst denken. Da erhielt ich den Bescheid: wir befänden uns ja in dem Marienmonat (May), in welchem alle Abende in sämmtlichen Kirchen von Paris eine Andacht zur seligsten Jungfrau gefeyert werde, in einer halben Stunde werde dieselbe beginnen. Daß diese Eröffnung mir etwas ganz Befremdliches war, wird Jedermann begreiflich finden. Aber, da sie nun einmal gemacht worden, lag der Gedanke nahe: dein Fleisch und Blut haben dich nach der Oper führen wollen; eine andere Gewalt hat dich ergriffen, und zur Stunde, da ohne Zweifel viele tausend Herzen zu der gnadenreichen Fürbitterin sich erheben werden, gegen deinen Willen in dieses Haus dich geleitet. Welchem Zug sollst du nun Folge leisten? Der Entscheid durfte nicht zweifelhaft seyn. Ich blieb also, wo ich war, und hatte einsweilen noch Musse, die reich ausgestatteten Seitenschiffe und die prachtvolle Decke mit ihren Cassetten und so fleissig gearbeiteten, als schön gezierten Füllungen zu besehen.

Nach halb acht wurden Kirche und Hochaltar erleuchtet, wobei das Gemälde in dem Halbrund über dem letztern, Mariens Krönung auf Goldgrund, glänzend hervortrat. Allgemach füllte sich der Raum, nicht mit Personen der untern Stände, selbst wenigen der mittlern, sondern fast ausschließlich mit wohlgekleideten Herren und Frauen (Am letzten Maitag fand ich die Kirche so gedrängt voll, daß wohl weit mehr als 3000 Personen, die sie sonst bequem fassen kann, mögen versammelt[81] gewesen seyn.). Um drei Viertel auf acht bestieg ein Geistlicher die Kanzel und begann den Gottesdienst mit dem englischen Gruß und der lauretanischen Litanei, unter Beantwortung durch die Versammlung. Nach dessen Beendigung stimmten die trefflich eingeübten Chorknaben einen Choral an mit Orgelbegleitung. Diesem folgte ein wunderschöner Figuralgesang mit so klangvollen, metallhaltigen, umfangreichen, biegsamen Stimmen, daß sie auf jedem Theater unfehlbar würden beklatscht worden seyn. Nachdem der Gesang eine Weile gedauert, wendete sich die Versammlung und hörte eine gehaltvolle, in ruhigem Tone vorgetragene Predigt an, deren Thema war: Maria, das von Gott ausersehene Gefäß des heiligen Geistes; wobei der Prediger in fortlaufender praktischer Anwendung seine Zuhörer an die Verpflichtung eines jeden Christen gemahnte, den heil. Geist, welcher Allen verheissen worden, in sich aufzunehmen und in sich wirken zu lassen. Nach der Predigt hob der Gesang (zum Theil Stücke aus dem hohen Lied) wieder an, Choral und Segen schlossen die in jeder Beziehung erhebende Andacht, die ganze zwei Stunden gedauert hatte.

Die ersten Abende, die man in einer fremden Stadt zuzubringen hat, bevor Bekanntschaften angeknüpft worden sind, nähere Beziehungen sich herausgebildet haben, werden immer etwas lästig, zumal wenn wenig Neigung vorhanden ist, seine Zeit im Theater und noch weniger, sie in Kassehäusern zuzubringen. Die gemachte Erfahrung entriß mich nun der Verlegenheit, wozu ich die Abendstunden verwenden sollte. Schon des folgenden Tages begab ich mich wieder in die gleiche Kirche. Gleiche Menge der anwesenden Personen, gleiche hinreissende und erhebende Feyer. Dießmal vermißte ich aber den ansprechenden Vortrag des gestrigen Tages; der heutige war eintönig, eine unausgesetzte Wiederholung derselben einschläfernden Cadenzen. Desto mehr sprach der Innhalt der Predigt mich an. Der Geistliche hob besonders hervor, wie alles Talent, alles Genie, alle höhern Geistesanlagen ihre Vollendung und[82] ihre segensreiche Verwendung nur im Dienste der Kirche gewönnen; wie Wissenschaft, Kunst und alle Zierden oder Güter des Lebens, auf die wir so Grosses hielten, deren wir uns so gütlich thäten, die wir oftmals selbst wider die Kirche und ihren Herrn verwendeten, zuerst doch von ihr ausgegangen, durch sie gepflegt und beschirmt wor den wären, und wie dieselben, wollten wir nur die segnende Obhut der Kirche anerkennen, noch immer bei ihr Pflege, Förderung und Schirmt finden könnten. Nur von demjenigen, dessen Name in das Buch des Lebens eingetragen seye, dürfe man in Wahrheit sagen, er habe gelebt. Ob der Thaten, des Wirkens, der Bestrebungen von Hunderten und Hunderten noch so viele Bücher, ob ihres Preises noch so Mancher Mund voll wäre, sie seyen dennoch hinabgestiegen in die Gruft, ohne ein wahres Leben gelebt zu haben; indeß das Kind, welches in frommem Gebet Gott und der seligsten Jungfrau seine Tage anempfehle, das ächte und volle Leben in sich trage; in dessen Buch geschrieben zu seyn, ein gültigeres und sichernderes Zeugniß gewähre, als alles Lob, womit die menschlichen Bücher von uns sprächen. Christus und seine Kirche über Alles, für Alles, zu Allem und in Allem – das hätte man füglich das reiche Thema dieser Predigt nennen können.

Ungeachtet der folgende Tag Sonntag war, fand ich die noch grössere Magdalenenkirche zu dieser abendlichen Feyer nicht weniger angefüllt, die Personen ohngefähr von der gleichen Kategorie, wie in jener; denn beide Kirchen liegen in Stadttheilen, welche fast ausschließlich von Leuten der Gesellschaft und von Begüterten bewohnt werden. So schön auch hier die Feier war, so konnte der Gesang doch nicht so ausgesucht genannt werden, wie in der Kirche Unser Lieben Frauen von Loretto. Die Predigt hatte die Empfehlung des Rosenkranzes zum Gegenstand. Anfangs wollten mir weder Ton und Modulation der Sprache, noch der Innhalt des Vortrages gefallen; ja bei der Schilderung des Mittelalters und seiner Unwissenheit, und wie der heil. Dominicus einzig mit seinem Rosenkranz an den[83] Aegern und Ungläubigen ungleich mehr ausgerichtet habe, als die wider sie gesendeten Heere, konnte ich ein leises Lächeln nicht überwinden. Allmählig aber wurde die Stimme des Predigers runder, geschmeidiger, das Vorgetragene praktischer, und es hätte mancher deutschkirchlicher Eiferer und freimüthiger Blättler gegen den Rosenkranz demselben Momente entnehmen können, an die ihm vielleicht in seinem Beseitigungsdrang niemals der Sinn gekommen. Der Redner übersah nicht, daß der Rosenkranz wohl manchmal mechanisch dahergesagt werde, berührte aber, wie, wenn auch nur eines der drei Geheimnisse desselben den Geist anrege, wenn bei den Worten des Vater Unsers oder des englischen Grusses die erforderliche Sammlung auch nur vorübergehend eintrete, solches ohne gesegnete Wirkung niemals bleiben könne. – Ich habe im folgenden Jahr zu Rom am Schlusse der Marienandacht den berühmten Pater Ventura nach einer ausgezeichneten Predigt über die allerheiligste Dreyeinigkeit den nämlichen Gegen stand zwar mit kurzem Wort, aber in gleichem Sinne berühren gehört; vornehmlich hervorhebend, wie der Rosenkranz eigentlich aus himmlischen Worten und Lehren: dem Gruß des Himmelsboten an Maria, dem Gebet, welches von dem Herrn uns hinterlassen worden, und dem kurzgefaßten Inbegriff aller von Oben geoffenbarten Glaubenswahrheiten zusammengesetzt seye, darum nothwendig den Menschen emporheben müsse aus dem Reich des Vergänglichen in dasjenige seligmachender Wahrheit.

In St. Germain l'Auxerrois war Montags darauf die Feyer einfacher, obwohl in ihren Bestandtheilen dieselbe, wie in den andern Kirchen. Die Versammlung schien hier beinahe ausschließlich aus Bürgersfrauen zu bestehen, Männer dagegen wohnten verhältnißmässig weit weniger bei, als in den vorhin genannten Gotteshäusern. Die religiöse Erneuerung scheint zu dem männlichen Theil des Gewerbsstandes noch nicht hinabgedrungen zu seyn, eine Erscheinung, die sich aber nicht auf Paris allein beschränkt. Die am Altar angestimmten Gesänge wurden von einem grossen Theil der Anwesenden begleitet,[84] denn sie waren einfacher, als in den beiden andern Kirchen. Die Predigt bestand in einer sehr faßlichen und zweckmässigen Homilie über das Magnificat.

Diese Andachten zu der heiligen Jungfrau, in Deutschland erst neulich in München und, wie ich dessen selbst mich überzeugt habe, unter erhebendem Zusammenfluß aller Stände und Alter wieder hergestellt, sind in den Kirchen von Paris seit nicht allzulanger Zeit erneuert worden, erfreuen sich aber jetzt schon einer ausgezeichneten Theilnahme und zwar (das konnte ich wahrnehmen, wo und so oft ich mich zu denselben einfand) einer recht andächtigen Theilnahme. Um die Schlüsse, welche man auf dergleichen, eben nicht für Jedermann erfreuliche Erscheinungen bauen möchte, mit leichter Mühe zu entkräften, wird gewöhnlich eingewendet: Manche fänden sich dabei bloß aus Gewohnheit, Andere nur deßwegen ein, weil es eben Mode seye. Ich will nicht allein auf den Satz: de internis non Judicat praetor, verzichten, sondern selbst jene Einwendung zugeben; dennoch behaupte ich, daß in diesem Allem eine Rückkehr zu bessern Gesinnungen sich offenbart. Sie liegt schon darin, daß die Mode etwas Derartiges nur aufzubringen im Stande ist, daß sie diese Richtung genommen hat, und daß sie in derselben eine solche Gewalt gewinnen konnte. Stellen wir aber nicht alle Wirksamkeit der gottesdienstlichen Feierlichkeiten, der Verkündung höherer Wahrheiten gänzlich in Abrede, so läßt sich mit Recht annehmen, daß unter Hunderten, welche nach jener Voraussetzung ohne innern Zug in den Kirchen sich einfinden, doch etwa in Einem, und unter den vielen Malen, an denen er sich einfindet, etwa Einmal ein Gedanke des Höhern angeregt, seine Aufmerksamkeit gefesselt, sein Nachdenken, mindestens seine Gefühle geweckt werden, ein erleuchtendes, mahnendes, leitendes Wort ihn ergreife, in sich selbst ihn hineinführe, ihn, was er sonst aus wenig bedachter Gewohnheit und aus blosser Nachahmung gethan, in innerem Verlangen zu thun allmählig bestimme. Muß dieses zugegeben werden, so hat man damit wenigstens eingeräumt, daß auch die blosse Gewohnheit[85] oder die Gewalt der Mode zum Mittel werden könne, welches am Ende ohne gesegnete und vielleicht nachhaltige Wirkung nicht bleiben, welches jedenfalls bei gleichgültigem oder verächtlichem Vorübergehen eine Wirksamkeit nie hätten äussern können. Wie sehr daher jene Einwendung in den Schein der platten Verständigkeit und der übernüchternen Beurtheilung sich hülle, etwelcher Anstrich des schwer zu verbeissenden Ingrimms über eine solche nimmermehr erwartete Wendung der Dinge bricht durch diese Hülle dennoch hervor.-

Als Clodwig, der Stimme des heiligen Remigius folgend, zu verbrennen beschloß, was er bisher verehrt, und zu verehren, was er bisher verbrannt hatte, als er das siegesstolze Haupt demüthig unter die Segen und Gnaden spendende Hand des taufenden Bischofs beugte, mag wohl Mancher seines Heergefolges mehr durch des Fürsten Beispiel, als durch innere Ueberzeugung bewältigt worden seyn, ein Gleiches zu thun. Und doch ist aus seinen im Christenthum wenig unterrichteten Kriegsgefährten jener glaubenstreue Adel hervorgegangen, welcher freudiger nie das Heldenschwert zog, als wenn im Kampfe mit den Saracenen die eine oder die andere Siegespalme winkte. Ebenso sind die Nachkommen Mancher, welche nur durch Gewalt von der alten Kirche konnten losgerissen und nur durch Zwang und Furcht in eine neue hineingetrieben werden, nachmals als bewußte, entschiedene Gegner der erstern aufgetreten; denn vertrocknet waren die Thränen, verklungen die Seufzer der Vorfahren; die nimmer in Zweifel gestellte Ansicht, die herrschend gewordene Formt des Lebens hatte unvertilgbar ihr Gepräge ihnen aufgedrückt. Alles bedarf eines Anfangs, ob auch derselbe minder vollkommen, selbst tadelnswerth seye: über seiner Entwicklung kann dieses absterben, jenes eine durchdringende und gestaltende Macht gewinnen. So möchte ich durch jene, wohlfeilen Kaufs erworbenen Bemerkungen das Erfreuliche, was ich bei dieser, wie bei andern kirchlichen Veranlassungen wahrnehmen konnte, mir nicht verkümmern lassen.

Die Andachten während des Marienmonats sind aber nicht[86] die einzigen, welche des Abends gehalten werden. Je zuweilen finden in dieser oder jener Kirche dergleichen statt; so z.B. in der Kirche des petits peres, oder Unser lieben Frauen vom Sieg alle ersten Sonntage des Monats diejenige der Erzbruderschaft vom Rosenkranz. Auch einer solchen wohnte ich bei. Die Kirche (ohnedem keine der größten) war zum Erdrücken von Menschen angefüllt. Vorerst kündigte ein Priester den Versammelten an, wer der Fürbitte der Erzbruderschaft sich empfehle, oder für wen sie dieselbe einzulegen sich verpflichtet fühlen müsse. Unter den Erstern wurden große Zahlen von kürzlich Verstorbenen, von Kranken, von Wöchnerinnen, von Brautleuten, von Kindern, von Seminarien und Erziehungsanstalten, auch 52 Juden und etwas mehr als 400 Protestanten genannt; unter den Andern wurden namentlich erwähnt: die gedrückte Kirche in Spanien, die hart verfolgte Kirche in Rußland, die leidende Kirche in Würtemberg und besonders die schwer bedrängten Klöster und Katholiken in der Schweiz. Neben Rosenkranz und Gesängen war auch mit dieser Andacht eine Predigt verbunden, der ich aber bei der Entfernung von der Kanzel nicht genau folgen konnte; nur so viel vernahm ich, daß sie von Pflicht und Wirkung der Fürbitte der Gläubigen für einander handelte.

Eines Samstags Nachmittags wollte ich in dieser Kirche den Abbé Ratisbonne aufsuchen, fand aber die vielen Beichtstühle derselben nicht nur alle besetzt, sondern zum Theil von den Blicken der Anwesenden, um ebenfalls Eingang zu finden, so zu sagen belagert, so daß ich mir eigentlich ein Bedenken gemacht hätte, Hrn. Ratisbonne's Thätigkeit in diesem Augenblick zu unterbrechen. Und doch war dieser Samstag nicht der Vorabend eines Festes, sondern eines gewöhnlichen Sonntages. Ich wurde nachher versichert, daß ich es so an jedem andern Samstage finden würde. Dieses, bei dem ersten Anblick auffallende Zusammendrängen so vieler Personen erklärt sich aber leicht, wenn man weiß, daß Manche zu dem ehevorigen[87] Gebrauch zurückgekehrt sind, monatlich das heilige Abendmahl zu empfangen und zuvor ihre Beichte abzulegen.


Die Bauart der meisten Kirchen von Paris ist so, daß von den Seitenschiffen hinter dem Hochaltar herum ein Kreis von Capellen sich zieht. Unter diesen ist immer eine der größten, wenigstens der sorgfältigst ausgestatteten, der heiligen Jungfrau geweiht. Selten, zu welcher Tageszeit man in die Kirche trete, wird man diese Capelle ganz verlassen finden. Wie manche Frau aller Stände, jedes Alters, (doch auch Männer fehlten nicht immer) sah ich da, innbrünstig betend vor dem Bilde der Gnadenmutter. Die Andacht zu ihr scheint sehr verbreitet zu seyn, und oft gedachte ich bei dem Anblick der Betenden an das Wort, welches einst eine der Ersten unter allen Fürstinnen zu mir sagte: »Sie könne es nicht begreifen, wenn nicht jede Mutter ihre Kinder täglich dem gnadenreichen Schutz der heiligen Jungfrau anempfehle!«

Reine, innige, ganz sich hingebende Andacht, habe ich bei dem Gottesdienst wahrzunehmen vielfach Gelegenheit gehabt, und das in allen Kirchen, unter allen Ständen, bei allen Lebensaltern. Das entschiedene Gegentheil, was hie und da in den Städten einen so unerquicklichen, deprimirenden Eindruck macht, zeigte sich in Paris ungleich seltener. Mehr als einmal sah ich bei Processionen, wenn das Sanctissimum sich nahte, zierlich gekleidete Frauen ihren Kniesessel wegrücken und, auf den Boden sich werfend, in der demüthigsten Stellung das Vorübertragen desselben abwarten, herbei sich drängen, um ehrfurchtsvoll den Fuß der Monstranz küssen zu können.

Ein Gebrauch, den man in den Kirchen Deutschlands und Italiens nicht kennt, hat sich als Rest des Alterthums in allen Kirchen Frankreichs erhalten: ein Ueberbleibsel der alten Oblationen, deren evangelischer Grund in der Stelle Matth. V, 23[88] gefunden wird1. Vor dem Offertorium nämlich tragen zwei, in weisse Chorhemden gekleidete Knaben, unter Vortragung einer Kerze und unter Voranschreiten des Schweizers, der ihnen Bahn macht, auf einer Bahre, auf weissen Tüchern (candidis fanonibus der Alten) liegend, einige Brodringe, die von brennenden Wachskerzen umgeben sind, nach dem Hochaltar. Dort wird das Brod (panis terrestris, zum Unterschied von dem panis coelestis, zum Behuf der Messe) gesegnet, hierauf nach der Sacristei getragen, um in kleine Würfel zerschnitten zu werden. Die Küster fassen es dann in zierliche Körbe, und bieten es durch die Reihen der Anwesenden dar, von denen Jeder ein solches Würfelchen nimmt, das Kreuzeszeichen macht und es in den Mund steckt. Sobald das Brod im heiligen Abendmal nichts als ein Erinnerungszeichen an Christus, daneben zugleich eine Mahnung an brüderliche Gemeinschaft durch ihn und in ihm seyn soll, so möchte dieser sonntägliche Gebrauch jener Vorstellung vollkommen entsprechen, und dieß schon eine Communion nach calvinischem Sinne mit allem Recht können genannt werden. – Auch darin läßt sich die enge Verwandtschaft mit den alten Oblationen erkennen, daß nicht die Kirche es ist, welche jenes Brod liefert, sondern die Pfarrgenossen, die sich wahrscheinlich darüber unter einander verstehen, damit es niemals daran fehlen kann.

Nicht lange nach dem Mißverständniß, welches mich statt in das Opernhaus in die Kirche geführt hatte, machte Graf von Ho rrer jene Bemerkung, mit der ich die Vorrede zu diesen Lebenserinnerungen eröffnete. Ich konnte nicht viel darauf erwiedern; aber ich gestehe, daß sie wie ein elektrischer Funke in mich einschlug. Der Gedanke an jenen Abend trat dabei allzulebendig vor mich; manches früher und vorzüglich in der letzten Zeit Erlebte mit seinen besondern, anscheinend unwichtigen[89] und für mich dennoch so bedeutungsvollen Nebenumständen (vor Allen der Geburtstag!) tauchte wieder auf; selbst die Beweggründe, die mich nach Paris geführt hatten, und die mancherlei Zeugnisse von beifälliger Anerkennung dessen, was ich ursprünglich nur zu Ausfüllung müssiger Nebenstunden unternommen, ward mit jenem Bild, dessen er sich bediente, in Verbindung gesetzt. Deßwegen wäre es mir zur baaren Unmöglichkeit geworden, in jenem, wider alle Absicht erfolgten Hineingezogenwerden in eine Kirche, zu der Ehre derjenigen erbaut, die mir längst schon mehr gewesen, als bloß eine merkwürdige Individualität, nicht ein abermaliges, gnadenreiches Auswerfen der Angel zu erkennen.

Wenn Frankreichs jetziger Regent die Benennung, welche der Stolz, die Zierde und das kostbarste Juwel in der Krone der Nachfolger des heiligen Ludwigs durch eine lange Reihe von Jahrhunderten war: der Allerchristlichste, als werthlos oder aus welcher Ursache immer es seye, von sich geworfen hat, so möchte man wohl sagen, dieselbe seye von dem bessern Theil seines Volkes als theures Ueberbleibsel aufgegriffen worden, um es sorgfältig zu bewahren und fortan sich damit zu schmücken. Es ist unglaublich, was die in christlichem Glauben wurzelnde und mit christlicher Lebensfülle wirkende Wohlthätigkeit, eben jene Charitas, von der ich früher gesprochen, unter allen Gestalten, zu allen Zwecken, alle Geschlechter, Alter und Stände durchdringend, einzig in Paris leistet, wie vielerlei Verbindungen zu thätigem Beistand für Andere und nach jedem denkbarem Bedürfniß der zahlreichen besondern Glieder der Gesellschaft durch sie bestehen, blühen, wirken; wie neben dem, was durch öffentliche Berichterstattungen, Mittheilungen, Rechnungsausweise weitern oder engern Kreisen bekannt wird, Manches noch geschieht, was verborgen bleibt. Auch hierin gehen die höhern Stände (was ich jedoch keineswegs mit dem Ausdruck: die Reichen, gleichbedeutend genommen wissen möchte), wie billig, voran. Andere, die durch das materielle Treiben der Zeit nicht durchweg verknetet, vertrocknet und verknöchert[90] sind, bleiben ebenfalls nicht zurück. Ich weiß von Seite des Pfarrers von St. Eustach, daß durch die Fischhändlerinnen und Gemüseverkäuferinnen (die sogenannten Halldamen), die in der Nähe dieser Kirche ihre Marktplätze besitzen und mehr noch als andere Berufsarten ihren ehemaligen Typus bewahrt haben, zu Werken der Wohlthätigkeit mehr beigetragen wird, als man vielleicht ahnen möchte.

Handelt es sich darum, durch Beisteuern an Blumen, Lichtern, anderm momentan zu verwendendem Schmuck die Feyer irgend eines Festes zu erhöhen; sind zu Erneuerung, zu würdigerer Ausstattung einer Kirche Geldbeiträge nothwendig; bedarf sie irgend eines kostbaren Geräthes, nie wird die Einladung hiezu an die Pfarrgenossen vergeblich ergehen. Auf diese Weise, wiewohl nicht minder durch anderweitige Beiträge, hat die Anhöhe des Montmartre zu dem Ueberblick über das weitgedehnte Häuserlabyrinth und der reichen Fernsicht, welche sie gewährt, noch eine andere Sehenswürdigkeit in dem schönen Calvarienberge gewonnen, welchen der dortige Pfarrer aus solchen freiwilligen Gaben auf seinem Kirchhof anlegte. Dieser Calvarienberg besteht aus neun geschmackvollen Capellen, jede in einem besondern Baustyl aufgeführt, jede mit einem höchst würdig gearbeiteten Hochbilde aus der Leidensgeschichte geziert, alle um ein heiliges Grab sich reihend, welches sowohl in seinen Dimensionen, als in seiner äussern Gestalt dem heiligen Grab zu Jerusalem sorgfältig nachgeahmt ist. Ein Paar dieser Capellen sind zur Zeit noch von Holz; »denn, sagte mir der Pfarrer, ich muß innehalten mit der Vollendung, bis mir die Mittel zukommen, um auch diese in Stein verwandeln zu können. Ist mir aber das weitaus Grössere gelungen, so wird auch dieser kleine Rest auf seine Vollendung nicht allzulange warten müssen.«

Ich habe dieses vorläufig angeführt, bloß um darauf hinzuweisen, wie der durch religiöse Ueberzeugung angeregte Gemeinsinn noch immer nicht erstorben seye, noch immer zu Stande bringe, was Erlasse und Verordnungen weltlicher Gewalten[91] schwerlich bewerkstelligen könnten. Es ist überhaupt bemerkenswerth, daß dem Staat, wie sehr er sich auch spreize, und wie wortreich auch dargelegt werden wolle, daß alles Wohlthätige der gesellschaftlichen Einrichtungen Ausflüsse aus dem Strome seiner Vollgewalt seyen, noch nie und niemals eine Vergabung gemacht worden ist, selbst von denjenigen nicht, die ihn zeitlebens als Brodherrn erkennen, oder gar als ihren Götzen präconisiren, indeß der Kirche immer noch und überall, wo jener Moloch nicht die allernatürlichsten Rechte verschlingt, Vergabungen zu den mannigfaltigsten Zwecken gemacht werden. Denn selbst durch die Schenkungen und Vermächtnisse an die zu bloßen Staatsanstalten verkümmerten Schulen, die manchmal nur deßwegen erfolgen, weil sie in solche herabreglementirt worden sind, zieht sich eine unbewußte Erinnerung an deren kirchliche Natur. Die Götzen, wie sehr auch man sie beräuchere, sind todt und lassen todt, Gott aber ist lebendig, und ruft das Leben hervor und erhält es.

Spricht man aber von Opfern für die Kirchen, für den Gottesdienst, für dessen Erfordernisse, so kann man immer noch hundertfältige Variationen hören über das alte Thema: »Wozu dieser Unrath? Man könnte ihn verkaufen und das Geld den Armen geben!« Es sind aber auch, jetzt wie damals, die Armen nur der gleissende Vorwand; ganz andere Gesinnungen lauern im Hintergrund. Sie sagen wohl auch, es ist Ostentation, es ist eine übelverstandene und noch übler geleitete Frömmigkeit, welche zu dergleichen Dingen mißdraucht wird; für solche Mittel ließe eine weit zweckmäßigere Verwendung sich auffinden. Es soll nicht nach Thatsachen gefragt werden, in welchen der volle Beweis läge, daß die also Redenden von ähnlicher Willfährlichkeit durchdrungen sehen, jedoch derselben eine andere, ihrer Ueberzeugung nach zweckmäßigere und ersprießlichere Richtung gehen wollten; die Frage könnte vielleicht einer entsprechenden Antwort nur zu lange vergeblich harren. Das aber, wenn wir den letzten Gründen solcher Bereitwilligkeit zu würdiger Ausstattung des Hauses des Herrn und seiner[92] festlichen Tage nachspüren, dürfte kein gewagter Schluß genannt werden, daß Bereitwilligkeit zu christlich gemeinnützigen und praktischen, oder, wenn man lieber will, rein menschlichen Zwecken mit derselben insgemein Hand in Hand gehe. Es haben doch beide die gleiche Wurzel, es gehen doch beide aus den gleichen Ueberzeugungen hervor, und verwandt wenigstens können beide genannt werden, da ein und dasselbe Bewußtseyn nach Wille und Kraft sie zu fordern antreibt.

Wir Deutsche kennen zwar durch Reiseberichte, durch Mittheilungen in mancherlei Zeitschriften und durch statistische Werke Paris von jeglicher Seite und unter allen Gesichtspuncten möglichst genau; wir vermögen vielleicht über die großen offentlichen Wohlthätigkeits-Anstalten so gründliche Nachweisungen zu geben, als dieß von irgend einem Franzosen geschehen könnte; aber sicher ist es, daß durch kleinere, nicht gerade verborgen, aber geräuschlos wirkende Verbindungen oder beschränktere Stiftungen wenigstens ebensoviel und in vielartigen Formen der Hülfeleistung geschieht, als durch jene, welche die Aufmerksamtkeit des Reisenden auf sich ziehen. Wer für diese Weltstadt dasjenige leisten wollte, was der Prälat Morichini (jetziger Nuntius in München) für Rom geleistet hat, oder für Verona vor ein Paar Jahren in den »historisch-politischen Blättern« unternommen wurde, der fände sicher ein reiches und schönes Feld zur Bearbeitung und würde Paris von einer Seite darstellen, von der es noch lange nicht so bekannt ist, wie es verdiente.

Der am weitesten verbreitete, der größten Theilnahme sich erfreuende, in dem ausgedehntesten Kreise wirkende Wohlthätigkeitsverein ist derjenige zum Zwecke der Glaubens-Verbreitung und Erhaltung. Er darf ähnlichen Verbindungen, die auf den britischen Inseln ihren Ursprung haben, mit vollem Rechte an die Seite, da aber weder politische noch merkantile Hintergedanken in diese regsame Thätigkeit, hier zu Begründung, dort zu Befestigung des christlichen Glaubens, sich einmischen, unbedenklich über dieselben hinauf sich setzen. »Der erste Anfang[93] des Werkes,« sagt eine der neuesten Berichterstattungen, »war, wie bei allen christlichen Anstalten, still und geräuschlos. Oft leitet Gott die Umstände so, daß Niemand sich als Urheber seiner Werke anpreisen, Niemand dieselben durch Menschennamen einweihen darf. Verborgen ist ihr Ursprung, wie die Quelle großer Ströme, bei welchen es schwer zu bestimmen ist, aus welchem Bächlein sie zuerst entstehen. Zwei Nothrufe, der eine aus Osten, der andere aus Westen, beide in einer Provincialstadt von zwei frommen Frauen vernommen, waren der erste Anlaß zu dem so glücklich ausgeführten Plane, der die Missionen beider Welttheile, die dort gegründeten Kirchen bereits so kräftig unterstützt.«

Diese Provincialstadt war Lyon. Die Nothrufe ergiengen, der erste im Jahr 1815 von dem Hrn. Dubourg, Bischof von Neu-Orleans, der andere ein Jahr später von den Vorstehern der auswärtigen Missionen, welche nach langer Zeit ihr verlassenes Haus in Paris mit ihrem ehevorigen Eifer, aber ohne die ehevorigen Hülfsmittel wieder bezogen hatten. Um diesen Glaubensboten einige Unterstützung zu verschaffen, gründete eine gottselige Dame zu Lyon unter frommen Arbeitsleuten eine Gesellschaft zu wöchentlichen Beiträgen von einem Sous. Zwar stieg die Zahl der Theilnehmer bald auf tausend, aber gering waren dennoch die Mittel, welche dargeboten werden konnten, beschränkt der Kreis, von welchem sie ausgiengen; dringender dagegen wurden die Bitten derjenigen, welche mit ihrem Eifer zwar Vieles, ohne Mitwirken Anderer aber lange nicht das bewerkstelligen konnten, was als lohnendes Ziel ihnen vor Augen sich stellte. Da erwachte im Jahr 1822 der Gedanke, einen Verein zu stiften, der die Missionen des Erdkreises umfasse, mithin katholisch in der reinen und vollen Bedeutung des Wortes seye. Zwölf Männer treten zusammen, um hierüber sich zu berathen. Die begeisterte Rede eines Priesters verleiht dem Gedanken Gestalt und Wirklichkeit, der Verein gewinnt seine Einrichtung, und der erste Jahresertrag beläuft sich auf 15,274 Franken. Bald wurden in andern Städten Südfrankreichs[94] ähnliche Vereine gegründet, welchen Geistliche und Layen wetteifernd beitraten. Sobald dann ein zweiter Centralausschuß in Paris sich bildete, war die Anstalt über das gesammte Königreich ausgedehnt. Anerkannt durch Papst Pius VIII, begünstigt durch mehr als 300 Bischöfe, empfohlen von allen Kanzeln, schlossen bald sämmtliche katholische Länder Europa's2 sich an, und erhob endlich Gregor XVI mittelst Kreisschreibens vom Jahr 1840 die »Gesellschaft zu Verbreitung des christlichen Glaubens« zum Ansehen einer allgemein-christlichen Anstalt. Solchen Schwung nahm nun fortan das Werk, daß schon das Jahr 1842 einer Einnahme von 3,233,486, Franken sich erfreuen und auf Missionen in Europa, Asien, Afrika, Amerika und Oceanien beinahe drei Millionen verwenden konnte, wovon allein auf Asien nahe an eine Millionen, auf Amerika über 800,000 Franken, mehr als eine halbe Million auf Oceanien fielen; für europäische Länder, in welchen die wiedererstehende Kirche der hülfreichen Hand, der theilnehmenden und fördernden Liebe bedarf, ebenfalls viel Segensreiches geschieht.

Am Ende des Jahres 1814 fassen sie in Wien zusammen, um auf die durch die Revolution über ganz Europa gesungene Antiphon: ce qui est bon à prendre, mit vollem Chor des Responsorium: est bon á garder, erschallen zu lassen. Sie haben dort für höchst ersprießlich erachtet, die Intestaterbschaft der Revolution ohne Beneficium inventarii anzutreten und haben, wenn nicht immer brüderlich und friedlich, so doch in die gesammte Verlassenschaft bis auf den Inhalt der letzten Trödelkammer sich getheilt. Als nun aber Einer noch auftrat, der seinen Antheil des Genommenen nicht umsonst[95] in die gesammte, zu theilende Habe eingeworfen, mit den Notherben nicht umsonst zu rechter Zeit sich wollte abgefunden haben, da klammerte an seinen Theil mit allen Anhängseln desselben ein Jeder um so fester sich an; daneben aber fand Jeder in allweg einleuchtend, daß man der erhobenen Reclamation Rechnung trage, vorbehaltlich jedoch, daß ihm die Kreide nichts anschreibe. Bei so allseitig willfahrender, löblicher und höchst loyaler Anerkennung ward es durchaus angemessen, billig und gerecht erachtet, die Befriedigung jener Ansprüche dem bereits genugsam spoliirten Kirchenstaat aufzuerlegen; war es ja ohnedem uuermießliche Wohlthat, hervorgehend aus einem Ueberschwang von Rechtsgefühl, diese einzige Parcelle des Raubes, den der niedergekämpfte Räuber von allen Seiten an sich gerissen, ihrem rechtmässigen Besitzer, der Kirche, welche alle Staaten werden und vergehen gesehen, zurückzustellen. Freilich verlor der apostolische Stuhl hiemit die schönsten Domänen, zu einem jährlichen Ertrag von 830,000 römischen Thalern, und so die Mittel, Manches zum Besten der Christenheit und der Kirche zu wirken; da aber Niemand von dem, was er umschlungen, Etwas hergeben wollte, wer war leichter hiezu zu zwingen als der irdisch wehrlose Oberhirte der Christenheit? Zu dieser Zeit also, in welcher hier der Hymuns der Sänger zum Preis unvergleichlicher Mässigung gesungen, dort der heilige Vater in das uralte Erbgut der Kirche, nachdem man vorerst unter vieler Suada von segensreichem Waffenglück wider allesverschlingendes Unrecht und von künftiger Weltprosperität über deren Eigenthum zu Gunsten des Ansprechenden verfügt hatte, endlich zurückkehren mochte, fortan entblößt der Hülfsmittel, die er Kraft seines heiligen Amtes zu Verbreitung und Befestigung des christlichen Glaubens an allen Enden der Welt verwenden sollte, zu eben dieser Zeit weckte Gott die Keime jenes Werkes, welches durch anderwärts und in anderer Weise zu Stande gebrachte Mittel gedeihlich demselben Zwecke dient. Indeß also die Menschen es böse machten, wußte Gott es gut zu machen.[96]

Ganz kurz bevor ich nach Paris gekommen, war in weitaussehender und, wenn er erkräftigen sollte, in höchst folgereicher Bedeutung, der neueste Wohlthätigkeitsverein durch den kürzlich verstorbenen Bischof von Nancy gestiftet worden: der Oeuvre de la sainte enfance, oder die Verbindung christlicher Kinder für regelmässige Beisteuern zum Ankauf der Kinder von Ungläubigen in China und anderer, dem Götzendienst unterworfener Länder. Bewegt durch die Berichte über das entsetzliche Loos so mancher neugeborner Kinder, vorzüglich in China, trug sich der eifrige Bischof lange mit dem Gedanken, ob nicht zu leiblicher und geistlicher Rettung dieser beklagenswerthen Geschöpfe ein Versuch zu machen wäre? Von der Kinderwelt sollte das schöne Unternehmen ausgehen; an die Kinderwelt vorzüglich wendete er sich; das Gefühl der Kinderwelt über der Vorstellung des jammervollen Schicksals so vieler, durch gleiche Hüflosigkeit und gleiche zweifache Bestimmung verwandter Mitgeschöpfe bei verthierter Fühllosigkeit ihrer Erzeuger dann bei dem Hinblick auf gedoppelte, so leibliche als geistliche Fürsorge, deren sie sich erfreuten, wollte der Bischof in Anspruch nehmen; besondern Segen zu dem edlen Vorhaben, hoffte er, werde an das Scherflein und zugleich an die Fürbitte der Kleinen sich knüpfen, und Großes hervorgehen aus dem liebesfreudigen Zusammenwirken unzählig vieler, an sich unscheinbarer Kräfte, gleich dem Thau, der still und unbemerkbar und dennoch lebenspendend die lechzende Flur erquickt. So eben hatte der fromme Stifter diese Vereinigung, die christliche Kinderwelt zu seinem Zwecke gleichsam geistig um sich schaarend, ohne deßwegen von bereitwilligem Mitwirken auszuschliessen, was jetzt schon oder in Zukunft ihrer entwachsen seyn würde, derselben die äußere Gestaltung und diejenigen Formen gegeben, die bei dergleichen Unternehmungen in Frankreich gebräuchlich sind. Ich traf ihn ganz belebt von seinem Vorhaben, mitten unter Charten von China, Planen der Hauptstadt Peking und verschiedenen Merkwürdigkeiten des Landes, welche der Pater Grosse, der das ungeheure Reich von der großen Mauer bis nach[97] Canton zweimal durchreiste, nach Frankreich gebracht hatte. Mit dem Ausdruck der vollesten innern Gewißheit über dem Bewußtseyn, einer segensreichen Sache den ersten Impuls gegeben zu haben und von Gottes Gnade Segen und Gedeihen für dieselbe erwarten zu dürfen, sagte er mir: »O, ich erfreue mich für mein Unternehmen eines kräftigen Fürbitters vor dem Throne der Allmacht in dem dieser Tage verstorbenen Bischof von Straßburg.« Dieser, Herr Tharin, einst Erzieher des Herzogs von Bordeaux, hatte bloß einige Tage vorher unter der sorgfältigsten Pflege seines Freundes und vormaligen Rachbars, des Herrn Bischofs von Nancy, in dessen Hotel seine irdische Laufbahn beschlossen. Die Sache, welche der Bischof in seiner angebornen Lebhaftigkeit mir darlegte, nahm mich alsbald in Anspruch, sein lebendiger Eifer für dieselbe riß mich hin; ich erbot mich zu dem Versuch, in Deutschland und in der Schweiz dafür zu wirken, was freudig angenommen wurde, Ich habe auch mein Versprechen treulich gehalten, wenn nicht mit großem, doch mit einigem Erfolg.

Während Großbritanien Kriegsflotten und Landheere ausrüstete, um China, welches gegen den ungehinderten Absatz des in kalter Gewinnsucht ihm aufgedrungenen, entmarkenden und zerstörenden Giftes des Opiums sich sträubte, zum Verbrauch desselben mit Waffengewalt zu zwingen; während Frankreichs oberste Landesintelligenzen in den Bewohnern der MarquesasInseln einen Stoff fanden, dem man Bedürfnisse schaffen und aufdringen könne, um für Frankreichs Erzeugnisse einen neuen Markt zu schaffen; während das fromme England den ungerechten Krieg gegen China als bequeme Gelegenheit betrachtete, unter allmähliger Zerstörung des Herzblutes seiner Bevölkerung diese durch seine Speculanten ausbeuten zu lassen, dann zu etwelchem Ersatz für bereiteten physischen und ökonomischen Ruin einige Bibeln und etwelche metaphysische Ideen bei dem Volk an den Mann zu bringen; während das industrielle Frankreich in jenen Inseln nur einen neuen Ernteplatz für seine Fabrik-Nabobs begrüßte, reift in einem katholischen Bischof der[98] zarte, rein christliche Gedanke, in eben jenem Reiche, welches unter Kanonendonner und Säbelklirren zum Besten einer Kaufmannsgilde mit entnervendem Gift überschwemmt werden soll, Kinder, die nur den Weg von der Geburt zu dem schrecklichsten Tode finden, diesem zu entreissen, sie durch christliche Erziehung zu Werkzeugen des geistlichen und leiblichen Wohls ihrer Landsleute, zu einstigen Lehrern und Lehrerinnen, zu Aerzten und Hebammen, zu Katechisten und Priestern, selbst zu Missionären, immer also zu einer segensreichen Bestimmungerziehen zu lassen.

Man suchte, bald nachdem die Kunde von dem schönen Unternehmen weiter sich verbreitet hatte, die Nachrichten über die Gewohnheit der Chinesen, viele neugeborne Kinder absichtlich dem Tode Preis zu geben, ernstlich in Zweifel zu ziehen, um hiemit des Bischofs Bemühen als ein nutzloses, aus falscher Voraussetzung hervorgegangenes darstellen zu können. War es Irrthum, war es Plan? Regte sich hierin jener Geist, der in dem alten Europa überall, wo es ihm möglich, und in jeglicher Gestalt wider die Kirche auftritt, mit verbissenem Grimm hinüberblickt über die Meere, wo immer sie eine neue Stätte ihres Wirkens sich ersieht, wo immer sie dem Herrn einen Weinberg anzulegen beflissen ist, und der Arbeiter, die dessen Pflege sich angelegen seyn lassen, viele findet? Nehmen wir das Erstere, als das Verzeihliche an! Berichte, die keinem Zweifel Raum lassen, könnten denselben belehren. Schon der Erste, dem wir einige Nachrichten über China verdanken, Marco Polo, meldet uns, daß Kublay, der zu dem bereits von seinen Vorfahren eroberten nördlichen China auch den südlichen Theil des Landes sich unterwarf, solche Kinder aufsuchen und erziehen lasse. Der Venetianer versichert, daß jährlich mehr als zwanzigtausend Kinder ausgesetzt würden; nunmehr durch die Fürsorge des Chans dem Tode entrissen, nähmen kinderlose Reiche einen Theil derselben an, träte der Rest in die Dienste oder unter die Kriegsheere des Tartaren. Diese Rettung beruhte aber nur auf dem persönlichen Willen des[99] damaligen Herrschers, das Aussetzen der Kinder blieb als eingewurzelte Sitte. Sie bestand vierhundert Jahre später noch in ungeschwächter Gewohnheit. Der holländische Gesandte Joh. Nienhof, der in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts China durchreiste, spricht davon in seinen Nachrichten über dieses Land: Hct Gezantschap der Néerlantsche-Ost-Indische Companie an den grooten tartariscchen Chan, den tegenwortigen Keizer van China. Er giebt II, 46, mehrere Beweggründe dafür an, worunter auch die Lehre von der Seelenwanderung. Te dezer oorsake, sagt er, wort dit ombrengen der kinderen geenzins in t'heimelijk, maar voor eenen jeder in t'openbaar gedaan.

Der russische Collegienrath Peter Dorel berichtet in einem der neuesten Werke über China (Sept anneés en Chine, Paris 1842.): »Viele arme Bewohner von Canton werden durch die Noth gezwungen, ihre Neugebornen zu verlassen. Häufig fallen diese armen Creaturen der Gefrässigkeit von Hunden anheim. Dürftige erziehen, um hiedurch für ihr eigenes Bestehen zu sorgen, junge Leute zu Schauspielern, zu feilen Dirnen, den beiden einträglichsten Gewerben im Lande. Ich hörte, es seye einst selbst bei den Reichen gewöhnlich gewesen, viele neugeborne Kinder des weiblichen Geschlechts zu erwürgen, weil eine große Zahl Töchter den Eltern zur Schande gereichte. Das war wenigstens Uebung in der Provinz Fo-Kien.« – Nach englischen Berichten wurden in der einzigen Stadt Peking jährlich über 3000 Kinder auf den Schindanger geworfen, diejenigen nicht gerechnet, welche von Pferden zertreten, von Hunden verzehrt, bei der Geburt erwürgt, an Mohamedaner verkauft, oder an Orte geworfen werden, wo man sie nicht entdecken kann. Der P. Joset, General-Procurator der Propaganda zu Macao, schrieb seinem Bruder zu Anfang des Jahres 1841: »Viele Kinder werden den Missionären für drei, sechs Franken zum Kauf angeboten, mit dem Beisatz: wenn man dieselben nicht nehme, sehe man sich gezwungen, sie zu tödten. Nun wäre das Ankaufen zwar leicht, wie aber dieselben[100] ernähren, erziehen?« – »Werden Kinder krank, schrieb der Lazarist P. Mouly schon vor einigen Jahren aus Peking, so wollen die Eltern durchaus nicht, daß sie im Haus sterben: um sie unkenntlich zu machen, schwärzen sie ihnen das Gesicht, werfen sie auf die Straße und überlassen sie hier ihrem Schicksal. Einige jedoch waren so glücklich, von Christen aufgehoben, getauft und verpflegt zu werden.«

Auf den Umstand, daß in den Königreichen China, Siam und Cochinchina das Geld selten, mit wenigen Mitteln Vieles auszurichten seye, stützte nun der Hochwürdigste Bischof den Gedanken, auf englisch-chinesischem Boden ein Haus zu bauen und Brüder und Schwestern einer religiösen Genossenschaft dahin zu senden, welche die losgekauften Kinder in Pflege nähmen. Ein solches Haus könnte zugleich zum Absteigequartier der Glaubensboten dienen, die darin erzogenen Kinder würden später durch das Land sich verbreiten, und der Einführung des Christenthums mit reichlichem Erfolg vorarbeiten. So habe einst der große Papst Gregor noch als Abt von St. Andreas den Ankauf englischer Sclaven und hiedurch die Verbreitung des Christenthums in England bewerkstelligt; so habe Carl der Große junge Sachsen in Corbey erziehen lassen und durch sie das Land dem Glauben gewonnen; Aehnliches ließe sich daher jetzt in Bezug auf China bewerkstelligen.

Bedenkt man, welche große Summe jeder Chinese kostet, der in dem chinesischen Collegium zu Neapel zum Christenthum erzogen und zum Glaubensboten gebildet wird; bedenkt man, wie gering deßwegen die Zahl der Zöglinge ist, die während eines Jahrzehends aus jener Anstalt in ihr Vaterland zurückkehren; wie spärlich mithin die Erfolge ihrer Thätigkeit sind, da hier wohl mit der vollesten Bedeutung das Wort kann angewendet werden: »Die Ernte ist groß, der Arbeiter sind Wenige, bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter sende,« so darf man wohl gestehen, daß einzig an das Gelingen dieses schönen Vorhabens die Hoffnung sich knüpfen dürfte, die Christianistrung dieses unermeßlichen Reiches mit größerem Erfolg[101] zu untermehmen und mit geringerem Aufwand unendlich mehr zu leisten, als dem chinesischen Collegium zu Neapel und der Propaganda zu Rom möglich. Wenn aber vollends im Verlauf der Zeit es geschehen könnte – was sich leicht denken läßt diese Anstalten mit jenen, in dem Lande selbst unternommenen Bemühungen in eine zusammenwirkende Verbindung zu bringen, dann dürfte auch über China die Morgenröthe aufgehen und der Tag anbrechen.«

Von dieser Hoffnung belebt, stiftete der Bischof seinen Verein, ausschließlich dem genannten Zwecke gewidmet, den Umfang des Werkes dem Segen der göttlichen Vorsehung anheimstellend. Indem vorzüglich Kinder demselben beitreten sollen, wird hiedurch den Eltern ein leichtes Mittel an die Hand gegeben, die Gesinnungen thätiger Liebe und Dankbarkeit gegen den Erlöser in denselben hervorzurufen, zu nähren. Wenn das Kind des Wohlhabenden, sagt er, für das Kind des Armen, welches bloß sein Gebet zu steuern vermöge, den monatlichen Sous beitrage, so übe es ein gutes Werk schon damit, daß es die Theil nahme daran auch jenem möglich mache, und werde so zwischen Allen das Band christlicher Einigung enger geknüpft. Da ferner dem Verein dieselbe organische Einrichtung, wie demjenigen zu Verbreitung des Glaubens, gegeben werde, könne er zugleich als Vorbereitung dienen, um mit dem 2lsten Altersjahr diesem beizutreten. Denn über dieses hinaus dürfen nur diejenigen in demselben verharren, welche ihren Beitritt auch zu jenem darthun können. Eine weise Bestimmung, damit nicht durch das Besondere dem Allgemeinen und, was in unserer beweglichen Zeit so leicht, durch das neu Aufkommende dem länger Bestehenden Eintrag geschehe. Die Beisteuer soll regelmässig seyn, um auf etwas Bestimmtes zählen zu dürfen; sie soll gering und für Alle gleich seyn, dem Armen zum Trost, dem Reichern zur Ehre. Ob auch weit aussehend in jeder Beziehung das Unternehmen, alle Hoffnung setze er auf den Beistand göttlicher Gnade.

Das Reglement enthält nur die nothwendigsten Bestimmungen.[102] Jedes getaufte Kind kann als Mitglied des Vereins eingeschrieben werden und bis zum 2lsten Jahr es bleiben. Neben den regelmässigen Beiträgen werden auch Subscriptionen und Geschenke angenommen. Kurze tägliche Gebete der Kinder, wo eine Abtheilung des Vereins sich findet, jährlich eine Messe, sind damit verbunden. Für Verwaltung, Leitung und Verwendung sind ein Centralrath und Diöcesanräthe aufgestellt.

Jener wurde alsbald ernannt und bestund damals aus dem Hochwürdigsten Herrn Bischof von Nancy, als Präsidenten (nach französischer Sitte wurde in der Person des Herrn Erzbischofs von Paris ein Ehrenpräsident aufgestellt), den Vorstehern der Missionshäuser in Paris, einigen Generalvicaren, neun Pfarrern der Hauptstadt und sieben Layen, meist aus dem hohen Adel, so wie man denn an der Spitze aller, aus christlicher Liebe hervorgegangenen und für deren Zwecke wirkenden Verbindungen Namen desselben begegnet.

Sobald des Unternehmen bekannt geworden war, erklärten zwei Cardinäle, der Nuntius zu Paris, acht Erzbischöfe und fünfundzwanzig Bischöfe, für dessen Förderung wirken zu wollen; Andere versprachen das Werk zu empfehlen; Theilnahme ward sofort in Belgien, Irland und England, und alle geistlichen Communitäten Frankreichs machten sich zum Mitwirken anheischig.

Während dieses Vorhaben bei dem Herrn Bischof von Nancy gereist war, traf der früher erwähnte P. Grosse aus China ein. Er versicherte, Anstalten zur Bekehrung von China könnten jetzt mit der größten Leichtigkeit errichtet werden. Unverzüglich, meinte er, sollte man Schulen eröffnen. Man könne Kinder für 10,12 Sous kaufen, solche selbst unentgeldlich er halten. In den an die Engländer abgetretenen Theilen sollten die Ausgangspuncte begründet werden, und daß jene in dieser Beziehung günstige Gesinnungen hegten, dafür lägen Beweise am Tage.[103]

Für einen Plautus der neuern Zeit könnte es keinen ergiebigern und köstlichern Charakter geben als denjenigen eines deutschen Franzosenfressers (ein französischer Deutschefresser wäre das Nämliche), so eine Art Horribilicriblifax des alten deutschen Lustspiels. Es giebt aber auch literarische Franzosenfresser, die ihren Heißhunger mit der Gegenwart nicht ersättigen können, sondern denselben auf die Vergangenheit zurückwirken lassen. Besonders ist ihnen Ludwig XIV. eine immer noch nicht genugsam zerarbeitete Beute. Sie begnügen sich nicht damit, denselben in seinemt feindseligen Verhältniß zu dem deutschen Reich nach vollem Verdienen zu würdigen sondern er soll in allen sonstigen Beziehungen möglichst tief herabgesetzt werden.

Es kann mir nicht einfallen, weder den Anwalt, noch weniger den Lobredner dieses Monarchen machen zu wollen, dessen Unternehmungen alle ich nicht anpreisen, dessen Mittel, um zu seinen Zwecken zu gelangen, ich nicht immer rechtfertigen, dessen Einwirkung auf sein Volk ich nicht immer vertheidigen möchte. Daß er aber ein Fürst in voller Bedeutung des Wortes war, mit der äußern Würde die innere verband, und als einigender wie bewegender Geist eines an Größen jeder Art reichen Zeitalters uns sich darstellt, das läßt sich aus jedem Bildniß desselben herauslesen, ob nun dasselbe in einem Einzelbild oder in einer Composition uns entgegentrete, in deren jeder der Fürst nicht bloß nach Stellung, Haltung und äußeren Merkmalen, sondern durch das unverkennbare Gepräge dynamischer Hoheit uns sich bemerkbar macht. Von dieser ihm innewohnenden Herrschergröße zeugt nicht bloß der Umfang, die Pracht, die Großartigkeit seiner Schöpfung – des Schlosses von Versailles, – sondern weit mehr noch der Gedanke, welcher durch das Ganze sich durchzieht, welchem alle Theile untergeordnet sind, zu welchem sie alle in Beziehung stehen. Schon die Stellung seines Reiterbildes, oben an der sanft ansteigenden Fläche, die zum Schloß führt, hoch aufragend über die Standbilder aller sieggekrönten Feldherren des Reichs, will daran gemahnen, daß der Monarch die Sonne seye, um welche alle,[104] auch die leuchtendsten Sterne kreisen. Wie von der Hohe des Herrschersitzes Platz und Gärten und Straßen nach allen vier Richtungen abwärts sich senken und sich verlieren in den Niederungen, so sollte der Monarch der Gipfel seyn, zu welchem von allen Weltgegenden des Landes, durch sämmtliche Abstufungen und Ordnungen jedes Verhältnisses, Alles hinan sich hebe. Es ist wahr, Ludwig XIV hat diese zeitliche und sichtbare Große des Königthums mit einer Art Cultus umgeben, welchen die frühere Zeit nicht gekannt hatte, zu welchem er die großen Geschlechter seines Landes nur allzugeneigt fand, zu welchem sie mit einer Gewissenhaftigkeit sich bequemten, die in mehr als einer Beziehung in das Uebertriebene umschlug, selbst wenn man will, bisweilen an das Lächerliche streifte.

Wie bei wiederholtem Besuch von Versailles dieses Alles mir klarer ward und anschaulicher diese Vergangenheit mir vor Augen trat, frappirte mich eines: die Capelle von allen Seiten her das Schloß überragen zu sehen. Ist dieses Zufall, war es Absicht? Ließ es Ludwig geschehen, wollte er es so haben? Wenn man den Denkwürdigkeiten des Herzogs von St. Simon glauben soll, so müßte man sich für das Erstere entscheiden. Der Herzog, welcher übrigens Versailles unter allen und jeden Beziehungen nicht tief genug herabsetzen kann, sagt von der Capelle: sie gewähre von jeglicher Seite den traurigen Anblick eines unermeßlichen Katafalks, der das Schloß zu erdrücken scheine. Mansard habe sich diese Unförmlichkeit erlaubt, um durch sie den König zu nöthigen, das Gebäude um ein Stockwerk zu erhöhen. – Abgesehen davon, daß durch eine solche Erhöhung der Gesammtbau an Würde schwerlich gewonnen hätte, läßt sich doch fragen: ob der Monarch, der mit so freyem Sinne für alles Große und Erhabene einen so festen Willen und so unerschöpfliche Mittel besaß, wäre er durch das Hinausragen der Capelle über das Schloß unangenehm berührt worden, dem vermeinten Uebelstand nicht auf die eine oder andere Weise bald würde abgeholfen haben? Dürsten wir nicht eher annehmen (und es würde sich darin eine wahre, eine[105] wirklich erhabene Geistesgröße beurkunden), es seye dieß mit seiner Zustimmung so angeordnet worden, zum Zeugniß, daß so wie er der Scheitelpunct aller Macht, jederartigen Größe seines Reiches seye, alles darin Vorhandene in huldigender Beziehung zu ihm stehe, er dennoch auch über sich selbst noch eine andere Macht anerkenne, welcher er eben dieselbe Huldigung, die er von Andern verlange, darzubringen habe? Bei solcher Voraussetzung, die wenigstens durch keinen zwingenden Gegenbeweis als durchaus grundlos abgefertigt werden kann, wäre Ludwig XIV vor die Augen seines ganzen Reiches als eben derjenige getreten, als welchen ihn in der Zurückgezogenheit seines Gemaches der Beichtvater fand, da er diesem, den Rosenkranz betend, begegnete. Denn welche Widersprüche auch in dem Leben dieses Monarchen sich zeigen, wie geringer Einfluß der äußern Uebung auf die innere Gesinnung und die daraus hervorgehende That ihm möge vorgeworfen werden: die Anerkennung doch einer über ihm stehenden Autorität, welcher er selbst schuldig seye, was er von Andern für sich fordere, ist nie mals von ihm gewichen. Sehen wir daher in ihm einen Fürsten, von welchem berichtet wird, er habe nur an einem einzigen Tage seines Lebens, bei Gelegenheit eines großen Marsches, die Messe versäumt; er habe jedes Jahr vor Anfang der Fasten seinen Hofleuten in ernster Anrede erklärt, wie ungeziemend er es finde, wenn in dieser Zeit Jemanden Fleisch vorgesetzt würde; der während Advent und Fasten beinahe allen Predigten beiwohnte und an allen kirchlichen Feyerlichkeiten Theil nahm; der ferner bei der Messe darauf sah, daß vom Sanctus bis zur Communion des Priesters Alles, wie er selbst, auf den Knieen liege: so dürfen wir auch an der Vermuthung festhalten, jenes Verhältniß der Capelle zu seinem Schloß seye sein eigener, klar bewußter Wille gewesen.
[106]

Die Würde, der Ernst, die Bemessenheit, selbst der äußere Glanz, womit in allen bedeutendern Kirchen von Paris jede gottesdienstliche Handlung, besonders aber Sonntags das Hochamt gefeyert wird, muß in dem hineintretenden Fremdling immer einen sehr angenehmen und erhebenden Eindruck hervorrufen. Angenehmer noch berührte mich eine andere Wahrnehmung. Wo ich des Sonntags eine Kirche besuchte, welches Geschlechtes oder Standes die Personen um mich her seyn mochten, beinahe Jedermann hatte seinen Paroissien de Paris in der Hand, welcher das ganze Officium jedes Sonn- und Festtages in lateinischer Sprache, mit französischer Uebersetzung zur Seite, enthält. Da sind nirgends, wie manchen Orts in Deutschland, so Allerwelts-Andachtsbücher mit Universal-Herzenslabsalen, keine Sentimentalitäts-Riechfläschchen »für Gebildete,« keine Gottseligkeits-Breitöpfe für Christen »aller Stände« zu finden, sondern Jeder, wenn er nur will, kann in voller Innerlichkeit bei, mit und in dem Gottesdienst seyn, so wie derselbe in seinen besondern Theilen dem Sonn- und Festtage sich anschließt. Jeder Anwesende spricht mit dem Priester das Sündenbekenntniß und muß sich darüber nicht bloß in unfruchtbarer Betrachtung ergehen. Keiner darf sich mit Reflexionen über die sonntägliche Epistel und das Evangelium begnügen, sondern die Worte der heiligen Schrift sind an ihn selbst gerichtet, er vernimmt dieselben, er kann sie ihrer tiefen Bedeutung nach zu seiner Belehrung, Erleuchtung und Stärkung unmittelbar auf sich anwenden. Jeder steht bei jedem Theil der Handlung mitten in derselben, und die Gebete des Priesters werden zu seinen Gebeten, was unbestreitbar weit erweckender und emporhebender ist, als alle Gefühle und Empfindungen, die wir bloß einem Dritten nachfühlen und nachempfinden. Es ist daher nichts Ungewöhnliches, viele Männer die Responsorien in lateinischer Sprache mitsprechen, die Hymnen in französischer Sprache von Frauen mitsingen zu hören, so daß eine vernehmliche Theinahme an dem Vorkommenden nicht auf das Kreuzeszeichen und auf das Niederknieen sich beschränkt.[107]

Es war am ersten Sonntage meines Aufenthalts, als ich zufällig bei dem Beginn der Vesper in die Invalidenkirche trat, wo ich zu nicht geringer Verwunderung durch jene Wahrnehmungen zum Erstenmal überrascht wurde. Neben mir saß ein Mann mittlerer Jahre, dem Aeußern nach ein ehrbarer Bürger, unsern von mir ein alter Invalide. Beide, gleichwie Andere, die in der Kirche zerstreut fassen, hielten die Responsorien (und sie dauerten sehr lange) mit einer Präcision, wie man sie in dem Chor einer Klosterkirche nicht besser finden kann. Die Psalmen, die Hymnen wurden ebenfalls lateinisch mitgesungen. Mein Nachbar hatte zwar wohl ein Buch, welches sowohl den Text als die Noten enthielt, aber nur höchst selten warf er einen flüchtigen Blick in dasselbe; gleich dem Invaliden, sagte und sang er Alles mit treuem Gedächtniß, so genau, als hätte er von seinem Buch niemals den Blick abgewendet. Ich fand nachher bei verschiedenen gottesdienstlichen Feyerlichkeiten dasselbe wieder.

Am Fronleichnamsfeste besuchte ich die Kirche von St. Roch. Bekanntlich darf seit den Julitagen vom Jahr 1830 in keiner französischen Stadt, in welcher ein akatholisches Consistorium sich befindet, eine Procession die Kirche verlassen. Hier überzeugte ich mich, wie ein armseliger Nothbehelf eine Procession in der Kirche selbst seye. Die von den Thürmten schallenden Glocken, die voranziehende Musik, die wallenden Banner, die Chöre der Priester und Jungfrauen, der Baldachin, unter welchem der Pontisikant einherschreitet, die Blüthen, die zu seinen Füßen ausgestreut werden, die Weihrauchwolken, die vor ihm emporwallen, dieses Alles ist nicht für den engen und geschlossenen Raum der Kirche geschaffen, es soll, es muß, es strebt hinaus in das Weite; dieses Alles in seinem Verein schmückt das Fest, ist das Symbol der triumphirenden Kirche, die nicht in Mauern sich kann eingränzen lassen, die unter dem blauen Himmelsgewölbe, unter grünen Bäumen, unter dem Feyerschmuck der ganzen Natur, unter aller Heerlichkeit dessen, der sie geordnet, die Herrlichkeit zur Schau tragen will, mit[108] der er auch sie ausgestattet hat. Und dann vollends die lebendige Kirche, die Schaaren der Glaubigen, welche unter Gesang, mit brennenden Kerzen und im Schmuck der Blumen und in Festtagsgewändern sich anschliessen sollen dem Hochwürdigsten, welches die fortwährende Gnade der Welterlösung ihnen vor Augen stellt, hier aber gebannt sind an ihre Stühle und Plätze und kaum Raum finden, durch Niederknieen in demuthsvollem Glauben das höchste Gut ihres Hoffens und Sehnens, ihres Lebens und Liebens zu verherrlichen!

Man könnte eine ganze Bibliothek anlegen aus Büchern, Broschüren, Abhandlungen und Aufsätzen über die Verordnung des Königs von Bayern, daß seine in Reih und Glied gestellten Truppen dem vorübergetragenen Sanctissimum, ohne Rücksicht auf Confession, die in katholischen Ländern geforderte und gezollte Ehrerbietung zu erweisen hätten. Die Sache liesse sich immer noch unter dem Gesichtspunct einer mitlitärischen Anordnung betrachten, welche in allen Fällen, in denen eine Truppe aufgestellt ist, Gleichmässigkeit der Haltung und Bewegung fordert. Wie Vieles aber auch hiegegen gesprochen worden ist, gegen jenen Zwang in Frankreich, der zu unterlassen nöthigt, wozu Lehre, Vorschrift und Gewissen auffordern, was Niemand zur Theilnahme zwingt, Niemand kränkt oder verletzt, habe ich, außer von denjenigen, welche denselben schmerzlich empfinden, von den Toleranten und eifrigen Protectoren der Gewissensfreiheit nicht einen Einzigen reden, nicht einen Einzigen derselben als Eingriff in die Rechte eines anerkannten Cultus mißbilligen hören. Gegentheils, man soll es ganz natürlich finden, daß diejenigen, deren Cultus eine solche Celebrität gestattet, ja fordert, Andern, die sichs zum Vorzug anrechnen, von derselben nichts zu wissen, durch deren Veranstaltung und Beobachtung nicht Anstoß geben, wie man sich auszudrücken beliebt; daß, mit andern Worten, die unermeßliche Majorität den Ansichten einer kleinen Minorität sich anbequemte in Bezug auf einen Gebrauch, den jene mit Recht zu den höchsten Manifestationen ihres religiösen Lebens zählen muß,[109] und der dieser höchstens gleichgültig und zweckwidrig scheinen, nie aber für sie beunruhigend seyn kann. Es drückt sich hierin, um nicht zu sagen Willkürlichkeit gegen alles Nichtkatholische, eine Sentimentalität aus, die bei einem Staat, welcher in dem Satz: la loi doit etre atheé, die höchste Formel aufgefunden zu haben wähnt, zwar überrascht, aber nicht angenehm berührt. Man mag sich hienach nur verwundern, daß diejenigen, von denen eine solche zeitweisheitliche Anordnung ausgegangen ist, nicht folgerichtiger sich erwiesen haben. Denn zu den in Frankreich anerkannten und geschützten Religionen und Culten gehört auch der israelitische; hätte man nun nicht ebensogut sagen und ganz durch dieselben Gründe rechtfertigen können: die Feyer des Sonntags erregt bei den Israeliten, welche dieselbe nicht angenommmen haben, Anstoß, deßwegen soll an keinem Orte, an welchem eine Synagoge sich befindet, der Sonntag anders als in der Stille begangen werden, deßwegen soll besonders alles Glockengeläute, welches eine solenne Ankündigung dieses, von den gleichberechtigten Juden nicht anerkannten festlichen Tages ist, unterbleiben?

Man muß es aber zur Steuer der Wahrheit bekennen, daß nicht sowohl die Protestanten jene Beengung der sonst durch die Charte anerkannten katholischen Religion hervorgerufen haben, als vielmehr die schlechten Katholiken; daß Diese an Beibehaltung des wahrhaft beschwerenden Verbotes mehr hängen, als Jene, sammt denjenigen Allen, welche in religiöser Beziehung gar nichts sind und gar nichts wollen, und lieber die glanz- und wohlfahrtsvollen Tage des National-Convents zurückkehren sähen, in dessen Augen jeder Glaube eine Thorheit, das Kreuz aber das größte Aergerniß war. Jenes Verbot wurde in schmachvoller Condescendenz gegen die Julirevolution erneuert, die nicht bloß eine Empörung gegen das rechtmässige Königthum, sondern zugleich – wenigstens in ihren ersten Folgen – eine Reaction gegen die allmählig sich wieder bildende Kirche gewesen ist. Was den revolutionären Doctrinen huldigt und den revolutionären Bestrebungen, wo immer sie nach der[110] Herrschaft ringen mögen, sein Lebehoch zujauchzt; was mit den schimmlicht gewordenen Brocken der lüderlichen Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts sich auffüttert und jetzt noch auf den immer öder werdenden Heiden des Voltairianismus herumlungert; was in die ausgespannten Netze des Pantheismus und seiner Milchschwester, der Fleisches Emancipation, sich versitzt hat; was dem Object des ersten Gottesgebotes immer fort noch den corsischen Tyrannen der Körper,- wie der Geisterwelt substituiren möchte; was alltäglich auf die sauren Riedwiesen der Zeitungsdiatriben sich hinaustreibt: Alles dieses findet in jenem Verbot den Ausdruck wunderherrlicher Weisheit. Es ist dieß ein Beweis mehr, wie das Wort Freiheit in dem Munde derjenigen Partei zu verstehen seye, welche mit demselben manchmal so tollen Lärm schlägt.


Eben als ich in Paris eingetroffen war, hatte der Kampf über Freiheit des Unterrichts begonnen. Alles nahm mit jener Lebhaftigkeit, welche den Franzosen eigen ist, daran Theil; Alles schaarte sich auf die eine oder andere Seite; Alles griff mit Hast nach den Blättern und richtete nach dem zuvörderst den Blick, was auf diese große Frage des Tages Bezug hatte. Doch war leicht zu bemerken, daß an den besuchtesten öffentlichen Orten denjenigen Organen, welche gegen die aus der Revolution herabgeerbte und durch den thatkräftigen Despoten festgestellte Einrichtung das Wort führten, der Zutritt nicht gestattet war. Nicht allein in den verschiedenen Heerlagern der Tagdieberei, in den besuchtesten Caffés des Palais-Royal und in andern, mit diesen auf gleicher Linie stehenden, auch in dem Lesecabinet de la tente, wo es an deutschen und selbst mehreren Schweizerzeitungen nicht fehlte, vermißte ich überall das Univers, den Ami de la religion und ähnliche Zeitschriften, indeß von den verschiedenen Revuen, die kurz zuvor entstandene Monde catholique abgerechnet, kaum eine oder[111] die andere fehlen mochte. Es ließ sich hieraus zweyerlei abstrahiren. Zuerst, daß diejenigen, welche vermöge ihrer Gesinnung auf Seite der für die Freiheit des Unterrichts Sprechenden stehen, weniger in den Caffeehäusern sich lagern, als die Andern, denn sonst würde wohl auch ihrem Bedürfniß entsprochen, ihrer Gesinnung Rechnung getragen werden. Wie aber jene der Zahl, besonders dem Gewicht nach zu diesen sich verhalten, hiefür fand ich begreiflicher Weise keinen Maßstab. Sodann wird hieraus klar, daß es mit der Unpartheilichkeit und Unbefangenheit in der großen Weltstadt im Grunde nicht viel besser stehe, als in dem verkümmertsten Nest des Liberalismus deutscher Zunge. Man brüstet sich mit Freisinnigkeit, man wirst Andern, die in entgegengesetzter Richtung sich bewegen, engherzige Verknechtung des Geistes, schroffe Ablehnung jeder Gegenrede vor, indeß es nichts Engherzigeres giebt, als jene Freisinnigkeit, die erst jeder störenden, oder zur Prüfung nöthigenden Einrede die Thüre weist, um dann im ausschließlichen Besitz des Wortes an unwidersprochenem Austoben und Herpoltern desselben in voller Luft sich erlaben und mit siegestrunkenem Blick versichern zu können, die Andern bis zur totalen Lautlosigkeit darniedergeschwatzt zu haben.

Der Streit, den sie damals in Frankreich erhoben, in welchem ein Jahr später noch bedeutendere und gewichtigere Kräfte sich entwickelten, und der bis zum heutigen Tage noch schwebend ist, auch vermuthlich in der allernächsten Zeit nicht wird entschieden werden, ist im Grunde nicht ein rein französischer, sondern in seinen obersten Beziehungen ein Streit, der in jedem Lande sich erheben ließe, welches durch die Allesregiererei des Constitutionalismus oder des Absolutismus unterjocht ist. Er ruht anderwärts; zwar nicht in dem Innern der Geister, welche die letzten Zwecke verwandter Bestrebungen durchblicken, nicht in den Tiefen der Gemüther, welche durch so schnöde Absicht noch verwundet werden können, aber auf der Oberfläche; die Bekümmerniß kann nur in verbissenen Seufzern, in schüchtern hervortretendem Wink laut werden, weil Gesetz,[112] Gewalt und Schergen das Klagewort zurückdrängen, und hundert feile oder feindselige Stimmen zum Uebertäuben desselben mit erwünschtem Succurs heranziehen.

Bei diesem angehobenen Streit handelt es sich in letzter Beziehung um die Fragen: wem liegt die Verpflichtung der Obsorge für die Kinder ob, und wem steht mit dieser Verpflichtung das erste Anrecht an die Kinder zu – den Eltern oder dem abstrakten Staat? Die erste Frage ist den Eltern (Sparta abgerechnet) noch niemals und nirgends streitig gemacht worden, daß aber die zweite der ersten als Begleitesatz nothwendig folgen sollte, das will nicht zugegeben werden. In Frankreich, wie in Deutschland, dürfte es sonderbare Aufnahme finden, wenn entweder der Einwohner fordern wollte, die Staatsgewalt müße für die leiblichen Bedürfnisse seiner Kinder sorgen, dieweil sie Theile des Staats wären, oder aber dieser Vorschriften erlassen, wie und womit die Eltern ihre Kinder zu nähren und zu kleiden hätten. Stünde dieser unverkümmerten Obsorge an Gewichtigkeit diejenige wohl nach, womit der Kinder Geist und Herz genährt, in welcher Weise diese groß gezogen werden sollen? Müßte hierüber das Recht der Eltern als erloschen erklärt werden und eine unbedingte Vormundschaft des Staats an deren Stelle treten? diese dann sollte die Jugend nicht allein zu einer Geistesnahrung zwingen dürfen, welche die Eltern als eine zuträgliche, dem höchsten Bedarf entsprechende nicht anerkennen können, sondern jede andere Stätte, an welcher sie für ihre Kinder diese zu finden hofften, ihnen sowohl durch Prohibitiv- als Präventiv-Maßregeln abgesperrt werden! Wollte die Einmischung des Staats nicht über die natürliche Gränze des Rechts hinausgreifen, so dürfte dieselbe nicht weiter gehen, als zu fragen: ob für Unterricht und Erziehung der Kinder gesorgt werde? Ihnen aber, zumal in religiöser Beziehung, ein Gepräge aufdrücken zu wollen, was das Gewissen der Eltern verletzt, was deren zarte Fürsorge in der obersten und wesentlichsten Angelegenheit des menschlichen Gemüthes als eine unbefugte mit schnödem bureaukratischem[113] Gebieten zurückweist, was die Kinder in den höchsten Lebensfragen zum diametralen Widerspruch gegen treubesorgte Eltern heranzieht, was jene sowohl durch die Gesammtrichtung, als durch die tagtäglich eingeträufelten Lehren, der Kirche, in deren lebendiger Verbindung diese die einzige Bürgschaft der gedoppelten Wohlfahrt, der zeitlichen und der ewigen, anerkennen, entfremdet oder gegen dieselbe gleichgültig macht, ein solches Gepräge durch Zwangs- und Sperr-Anstalten dem heranwachsenden Geschlecht wider den Willen so vieler und gerade der achtungswerthesten Eltern aufdrücken zu wollen, dazu hat der Staat kein Recht. Und ob man auch darauf hinweise: aber hier ist es so, und dort wird es so gehalten, und in jenem Land bestehen ähnliche Einrichtungen, so wird durch dieses Alles nicht das Recht, sondern bloß die Thatsache bewiesen, daß diesem auch anderwärts die gebührende Anerkennung nicht wiederfahre. Denn selbst durch die dichteste Wolke von Zeugen für das Bestehen des Unrechts kann dem natürlichen und absoluten Recht nicht das mindeste abgedingt werden.

Kehren wir die Sache um. Denken wir uns ein Land, in welchem die Kirche ihre ehevorige Stellung noch einnähme, in welchem dieselbe einer solchen Bedeutung sich erfreute, und deren Obere ein solches Gewicht besässen, um, nicht ohne Hoffnung des Erfolges, das ausschließliche Recht des Unterrichts in allen Fächern und Zweigen des Wissens und selbst der Erziehung für sich zu verlangen, in Frankreich die Stelle der jetzigen Universität, in andern Ländern diejenige einzunehmen, die von dem obersten Ministerium durch alle Gliederungen einer, wenn nicht offenbar feindselig gesinnten, so doch für religiöse Interessen durchaus blasirten Bureaukratie herabläuft! Welches Gelärme über herrschsüchtige Anmassung, über Gefährdung der heiligsten Interessen der Menschheit, über bedrohliche Verknechtung würde nicht sofort aus allen Winkeln hervorbrechen, von einem Ende des sogenannten gebildeten Europa's zum andern wiederhallen, in lautem Rothschrei die Spalten aller Zeitungen füllen! Sollte aber das Recht bloß auf Seite der Verneinung[114] stehen, ausschließlich denjenigen Tendenzen zukommen, welche im bessern Fall die Kirche ignoriren, die Jugend über deren Lehren und Forderungen in Unkenntniß lassen, oder auf den Unterricht hierin, wie nothdürftig er auch seye, als auf einen Abbruch an Nützlicherem schielen, oder ihn in einer Allgemeinheit und Gestaltlosigkeit verschwimmen lassen, von der kein sicherer und gefestigter Eindruck zurückbleiben kann? Von dem, was in entschieden abgekehrtem Sinne, in feindseligem Geiste, in zerstörender Absicht geschieht, gar nicht zu sprechen! Sollte für Eltern, welche durch einen kirchlichen Unterricht ihren Kindern die gedeihlichste Ausstattung zur Wanderung durch das Leben besorgen zu können glauben, neben dem unkirchlichen nicht auch Gelegenheit, jenen zu finden, eröffnet werden? Sollen sie mit blutendem Herzen zusehen, wie dieselben in einen solchen sich müssen einpferchen, sich selbst aber auf den einzigen Trost des Jammers verweisen lassen? Betrachtet man immerhin, was der kirchliche Unterricht zu geben vermag, als überflüssiges Gepäcke, welches an rüstigem Vorwärtsschreiten nur hindern könne, – anerborne Leichtfertigkeit, lockende Beispiele, verführerische Verhältnisse, Einflüsse mancher Art können leicht Ursachen werden, nur allzubald, nicht allein allfälligen Ueberflusses, sondern der ganzen Habe sich zu entledigen, und den weitern Weg in jener innern Nacktheit zu verfolgen, worin etwa Einer den Triumph der Geistesfreiheit und Menschenwürde anpreisen mag; indeß es demjenigen, der bloß und dürftig von Haus entlassen wurde, ungleich schwerer fällt, auch nur das Nothwendigste allmählig sich zu erwerben. Es giebt mehr Reiche, die zu Bettlern, als Bettler, die reich geworden sind.

Dieses Monopolium des Unterrichts ist die empörendste Tyrannei, die sich denken läßt. In den Gründen, womit man dieselbe rechtfertigen will, liegt der bitterste Hohn gegen das Menschengeschlecht; wenn gleich die Mehrzahl desselben in seiner Blindheit, in der es zu Neigung und Abneigung, für Zustimmung und Verwerfung, durch etwelche Schlagworte sich[115] gängeln läßt, gegen das Gefühl desselben verhärtet seyn mag. Welcher gellende Mißton durch das laute Summen von Freiheit, zu dem jeder Ellenritter und jeder reisende Meßwaaren-Speculant, in Verbindung mit den bartlosen Weltordnern, seinen Beitrag liefert! Frei soll der Mensch seyn, eine freye Bildung soll er erhalten, rufen Pädagogen und Demagogen, Gesetzgeber und Kleidermacher. Freiheit schallt es von allen Seiten, Freiheit ist der Menschen Element; aber nur in centrifugaler Richtung bewährt er, daß er darin sich bewege; ja nicht in centripetaler, diese führt zur Knechtschaft! Wollte er aber in unverbesserlichem Starrsinn nach dieser die Wendung dennoch nehmen, dann stehe der Zuchtmeister bereit, der es ihm einbläue, welcher Weltgegend zu das Land der Freiheit liege. Es kann aber Frankreich mit jenen deutschen Staaten, welche die Schule in das große Noviciat einer antikirchlichen Secte verwandelt haben, die sicherste Würdigung ihres Systems finden, wenn sie nach der Quelle fragen, aus welcher dasselbe zuerst hervorgebrochen ist.

Wie man auch Ludwig XIV und das Regierungssystem, als dessen Schöpfer er angesehen wird, beurtheile, so weit suchte er seine Eigenmacht doch nicht auszudehnen, um nicht allein vorzuschreiben, was und in welchem Geist müsse gelehrt werden, sondern gleichzeitig durch alle möglichen Vorkehrungen jede Erziehung in anderm Geist und zu anderm Zweck, als dem seinigen, wenn nicht geradezu zu verhindern, so doch durch alle erdenkbaren Beschränkungen zu erschweren. Mag er auch den Körper seiner Unterthanen für maaßlos frohnpflichtig, ihren Beutel für steuerpflichtig bis zum letzten Pfennig gehalten haben, dessen gedachte er nicht, selbst ihren Geist sich tributbar zu machen. Allerdings wurde auch damals demselben übereinstimmmend die gleiche Richtung gegeben: eine monarchische und katholische; dieselbe gieng aber nicht aus Ordonnanzen und Regulatioen der obersten Gewalt, sondern aus einem harmonischen Bestreben der Lehrenden hervor, der Sensus comumunis aller Classen und Stande der Ration kam ihr entgegen, und[116] sonder Zweifel wär bei einem Versuch, sie in eine antimonarchische und antikatholische zu verkehren, jeder abwehrenden Dazwischenkunft der weltlichen oder der kirchlichen Autorität die öffentliche Verurtheilung vorangeeilt. Es war aber das Recht des Unterrichts damals weder der Kirche noch dem Staat ausschließlich, es war weder besondern Ständen noch Corporationen vorzugsweise eingeräumt; und doch bestand zu jener Zeit noch kein Staatsgrundgesetz, von welchem man bei Gelegenheit mit vollklingender Emphase versicherte, es müsse eine Wahrheit seyn; und doch scholls damals noch nicht von Unten zum Throne hinauf und vom Thron nach Unten hinab: »Der Unterricht soll frei seyn.« Wiewohl damals ein solcher Schall von nirgends her ausgieng: einzig das Wort hatten sie nicht, die Sache befassen sie vollkommen, ein anderes Verhältniß konnten sie sich nicht einmal denken. Könige und Bischöfe, Städte und geistliche Corporationen hatten Lehranstalten gestiftet; Priester und Layen, Weltgeistliche und Religiosen ertheilten Unterricht; eine allgemeine Concurrenz war eröffnet; den Eltern blieb die freieste Wahl, ihre Kinder unterzubringen, wohin Neigung und Vertrauen sie zog. Fehlte es zwar an jener abgeschmackten Formulirungssucht, welche über das Unbedeutendste Vorschriften ertheilen, selbst das Geringfügigste ordnen und Alles in eine Maschine verwandeln will, von deren Räderwerk Bewegung und Wirken nach Maaß sowohl als nach Umfang allein abhängen soll, so fehlte es doch nicht an lenkender Ueberwachung, welche Freiheit und Ordnung in bessern Einklang zu bringen verstund, als unsere formularienhungrige Zeit; dagegen fehlte es anderseits an den pecuniären Leistungen, welche heutzutage für die Zwangswohlthat des Uni versitäts-Monopols den Eltern auferlegt werden.

Wie man auch über die National-Versammlung und über die Constituante sich erklären möge, das läßt sich nicht in Abrede stellen, daß bei Behandlung einzelner Fragen in denselben immer noch Stimmen vernommen wurden, die mit hellem Blick und festem Muth dem Drang, die Saturnalien der Brutalität[117] zu feyern, entgegentraten. Zwar wollte schon die Constituante das Unterrichtswesen sich dienstbar machen, aber sie stand davon ab und gab es frei, denn sie überzeugte sich, es seye ein richtiges Wort, was Talleyrand damals gesprochen: »Sobald Jedem das Recht zustehe, an den Wohlthaten des Unterrichts Theil zu nehmen, so müsse demselben dasjenige, solchen ertheilen zu dürfen, zur Seite gehen. Seyen Privilegien ihrer Natur nach gehässig, so seye dasjenige des Unterrichts das gehässigste, ja geradezu unvernünftig.«

Wohl ist es unzertrennlich in die jetzigen Begriffe verwachsen, für die gesetzgeberischen Bestrebungen zu Einzwängung des Unterrichts, damit jeder verneinende Geist in der Schule ungehindert seinen Tummelplatz finde, sie nur gegen den wesentlich bejahenden sorgsam abgesperrt bleibe, ein unbestreitbares Recht des Staats in Anspruch zu nehmen und in der schonungslosesten Anwendung desselben einen Triumph des Fortschrittes zu beklatschen. Aber nie genug kann man es ihnen in Erinnerung bringen, daß die Ehre so preiswürdiger Erfindung niemand Anderm zukomme, als Danton, Robespierre und ihren Genossen; daß dieses so munter vertheidigte Zwangsrecht nichts Anders als ein Lappen seye, herausgerissen aus dem blutgetränkten Mantel der Revolution, dem man noch immer seine Herkunft ansieht, obgleich sie ihn allerwärts nach Landestracht zugeschnitten haben. Dantons Wort: »Die Kinder gehören der Republik und dann erst den Eltern,« umfaßt, wie ich anderwärts gesagt habe, Alles, was die Sclaverey fordernde Autokratie offen bekennt, und die Freiheit heuchelnde Autokratie in ihren Hintergedanken birgt. Daher sahen wir jenes damals erlassene Gesetz: »Wer seine Kinder der gemeinsamen Erziehung entzieht, darf, so lange dieses geschieht, seine bürgerlichen Rechte nicht ausüben,« in mehr als einem Land nur in etwas milderer Form in Anwendung bringen. Haben sie aus Chaptals Rede, die er im Anfang des Consulats über die Frage gehalten: ob der Unterricht frei zu geben seye? wohl jene Worte sich gemerkt: »Eine Regierung, die sich zum unbeschränkten Herrn[118] des Unterrichts machen würde, könnte denselben zu ihren Zwecken ausbeuten; dieser mächtigste Hebel unter allen könnte in ihren Händen das vornehmste Werkzeug der Sclaverei werden?«

Bonaparte wenigstens scheint sich dieselben gut gemerkt zu haben. Denn so wie er sämmtliche Hebel der Macht in seine Hände gebracht hatte, sollte auch dieser wirksamste von allen ihm nicht entgehen. Er schuf die sogenannte Universität, in welcher alle Befugniß zum Unterricht sich concentrirte, in der Meinung, es würde hiedurch um so unfehlbarer ein homogener Geist demselben sich einpflanzen lassen, und keine andere Gesinung mehr aufkommen können, als wie sie eben zu seinen Zwecken brauchbar seyn. Wenn auch Ludwig XVIII diese Schöpfung des Despoten mit den väterlichen Einrichtungen des Königthums, mit dem socialen Geist der Regierung unverträglich erklärte, so adoptirte er sie dennoch, und ohne Entgegenstreben waltete sie fort bis zur Julirevolution. Mit dieser regte sich der Gedanke, auch jene vorenthaltene Freiheit zurückzufordern; »dieß seye,« sagte in der Sitzung der Deputirtenkammer vom 6. August 1830 der Abgeordnete Berard, »Frankreichs allgemeiner Wunsch.« Deßwegen mußte die Charte versprechen, eigene Gesetze über den öffentlichen Unterricht und dessen Freiheit in möglichst kurzer Zeitfrist erlassen zu wollen. Man hatte in Berücksichtigung von Frankreichs Interesse und Begehren die Ueberschrift über ein höchst inhaltschweres Capitel mit schmiegsamer Bereitwilligkeit verfaßt; die Blätter, auf welchen der Gegenstand hätte erörtert, entwickelt und ins Reine gebracht werden sollen, sind bis zur heutigen Stunde weiß geblieben. Heinrichs IV Wort: »ein Königreich ist wohl eine Messe werth!« wurde dem Wesen und dem Bedürfniß der Zeit nach übersetzt: ein Königreich ist wohl eine Lüge werth!

Derjenige Theil der Franzosen, welcher das nun einmal bestehende Getriebe der öffentlichen Einrichtungen nicht als tadelfreyes oder unverbesserliches oberstes Agens der Gesellschaft erachten kann; welcher derselben einen andern Cultus, als denjenigen[119] gegen die jeweils vollziehende Macht und den Inviduen ein anderes Ziel, als möglichste Befriedigung der materiellen Bedürfnisse für zuträglicher hält; welcher, weil für das Leben, also auch für den Unterricht und die Erziehung, eine religiöse Unterlage als die sicherste und kräftigste erachtet; dieser Theil der Franzosen blickt, nicht sowohl auf das Fortbestehen, wie die Gegenpartei vom Standpunct ihrer Nothwehr aus ihm anzufälscheln beflissen ist, sondern bloß auf das ausschließliche Fortbestehen einer Staatseinrichtung, die jedem, auf Bildung der Jugend einwirkenden Element freyern Spielraum gestattet, als demjenigen, welches länger als ein Jahrtausend in Frankreich für das wesentlichste und unerläßlichste erachtet wurde, mit tiefer Betrübniß. Denn nie, will man sich anders den unbefangenen Gesichtspunct bewahren, darf vergessen werden, daß keine Stimme gegen das Fortbestehen, jede einzig gegen die Ausschließlichkeit der Universität laut wird. Auch berührten ihre Klagen nicht die Form, sondern das Wesen; sie erhoben die Stimme nicht wider das Universitäts-Monopol, als wider solches, sondern gegen den widernatürlichen Zwang, welcher sie hindert, ihren Kindern diejenige Geistesbildung zu geben, die sie als die allein wahre, allein befriedigende anerkennen. Sie verlangen Unterrichtsfreiheit, nicht um eine Freiheit mehr zu haben, sondern damit die Schranke wegfalle, welche ihnen die richtige Bahn absperrt. Sie fordern, daß die Charte zur Wahrheit werde, nicht deßwegen, weil die Zusage der Unterrichtsfreiheit in derselben enthalten ist, sondern weil dieselbe diese Zusage als Ausdruck des natürlichen Rechtes, des nationalen Willens aufgenommen hat. Sie wollen nicht, daß der Staat in seinen Rechten verkürzt, oder in Verfolgung seiner Zwecke beschränkt werde; aber sie wollen ebenso bestimmt, daß diejenigen der Individuen anerkannt, ihnen die Verfolgung einer solchen Richtung, die über die Zwecke des Staates hinaufragt, in dieselben ebensowenig hineingreift, als ihnen hinderlich wäre, nicht unmöglich gemacht werde. Wo die Doctrinäre an den Buchstaben der Charte sich halten und Erfüllung[120] der Zusage nur deßwegen fordern würde, weil es eben Zusage ist, fassen diejenigen, welche wider das Universitäts-Monopol mit solchem Ernst, mit solcher Gewandtheit, mit so glänzenden Geisteswaffen auf den Kampfplatz treten, dessen Wesen auf, wie dasselbe durch eine enggeschlossene Gliederung von dem Mittelpunct in Paris über ganz Frankreich sich verzweigt.

Offen, unwiderlegt, vor vielen Zeugen Ohren sprach schon vor 14 Jahren, bei Gelegenheit des Processes wegen der freyen Schule, Graf Montalembert die bedenklichen Worte, welche leider seitdem an ihrer Wahrheit und an ihrem Gewicht nichts verloren haben: »Der Krebs frißt an allen Anstalten, Collegien, an Allem, was die Universität gegründet hat; überall da zeigt er sich, wohin wir nach ihrem Willen unsere Kinder ausliefern sollen, und, um sie besudelt zu sehen, dieselbe bezahlen müssen. Giebt es eine einzige Anstalt der Universität, in welcher ein katholisches Kind seines Glaubens leben könnte? Lastet nicht Zweifelsucht, eisige, zähe Gottlosigkeit auf allen denjenigen Seelen, deren Unterweisung sie in Anspruch genommen hat? Sind sie nicht alle besudelt, oder versteinert, oder erstarrt? Steht nicht die gräßlichste, schauderhafteste, naturwidrigste Unsittlichkeit in den Verzeichnissen jedes Collegiums, in der Erinnerung jedes Kindes geschrieben, wenn es auch nur acht Tage darin zugebracht hätte? Wird die Ansteckung nicht alljährlich todbringender; frißt sie nicht alljährlich Tausende von Kindern? So handelte Inlianus nicht! Er schloß die Christen von den öffentlichen Schulen aus, zwang sie aber nicht, ihre Kinder denselben zu übergeben, damit sie Glauben und Sittlichkeit verlören.«

Diese Zeugnisse haben sich seitdem vermehrt; sie sind nicht allein zahlreicher, sie sind auch gewichtiger geworden; jedenfalls konnten sie sich nicht vermindern, je ernster die Summitäten der großen Lehrercorporation, die lenkenden und ordnenden Geister derselben sich bestrebten, die aus Deutschland hinübergeholten Fragmente des Pantheismus, verquickt mit allen homogenen Theilen, die sie aus verwandten Philosophen[121] aller Zeiten und aller Völker gezogen, nach Frankreich einzuführen, die heranwachsenden Geschlechter mit denselben zu tränken, und die katholische, ja überhaupt die christliche Lehre, als ein antiquirtes Mährchen zu behandeln, womit die Menschheit zur Zeit ihrer Kinderjahre füglich habe amüsirt oder geschreckt, immer ader in Uebereinstimmung mit ihren schwachen Kräften können gegängelt werden. Hat doch der gegenwärtige Minister des öffentlichen Unterrichts, Herr Villemain, in merkwürdiger Uebereinstimmung mit Feuerbach, den christlichen Glauben als Frucht der Einbildungskraft und des Enthusiasmus bezeichnet; erschien doch diesem obersten Wächter und Garanten des Lehramts durch ganz Frankreich die Gottheit Christi als eine düstere Lehre, als eine scholastische Spitzfindigkeit; und fand an diesem Hochbetrauten des vormals allerchristlichsten Königs sowohl der Arianismus, als Kaiser Julianus den eifrigsten Lobredner!

Darin blieb der Schöpfer der Universität hinter der maurerischen Weisheit deutscher Staatslenker und ihrer freudig schmiegsamen Gesellen zurück, daß er die Geistlichkeit und deren Bildung nicht ebenfalls in den ehernen Ring des Universitätszwanges bannte; die Seminarien standen fortan unter den Bischöfen, welche nicht allein ungehindert die Lehre überwachten, sondern auch die Lehrer bestellten, Vorschrift und Ordnung ertheilten; welcher Freiheit allein es zu verdanken ist, daß die Geistlichkeit Frankreichs an Würde und Berufstreue, an ächt priesterlicher Gesinnung und Tüchtigkeit von derjenigen keines Landes übertroffen wird. Diese freye Bewegung der kirchlichen Bildungsanstalten schien aber den in ihrem Freisinn Bonaparten überbietenden Wächtern der Universitätsgewalt ein Mißstand; die Seminarien glichen ihnen einem feindlichen Lande, in welchem sie weder die Erzeugnisse ihrer Weisheit absetzen, noch als Austausch von daher Taxen beziehen konnten. Vielleicht mag für sie noch ein größeres Gewicht in der Wahrnehmung liegen, daß alljährlich aus denselben eine geweihte Gehaar hervorgehe, deren Lebensbestimmung[122] es seye, ganz andere Lehren zu verbreiten, ganz andere Ueberzeugungen aufrecht zu halten, in Dienste eines ganz andern Geistes zu wirken, als wie den Universitätsherren zu thun beliebt. Es liegen in ernstem Kampfe mit einander zwei abgekehrte Elemente, deren jedes Frankreichs Bewohner, Frankreichs Zukunft zu durchdringen bestrebt. Das eine getragen von der Einfachheit, dem schlichten Wort, dem Beispiele des Lebens; das andere vergesellschaftet mit der stolzen Weisheit, mit den reichen Gütern, mit der weitgreifenden Macht dieser Welt. Es sollten nimmer auf die Dauer beide nebeneinander bestehen, es sollte nimmer das erste das stolze Walten des andern verkümmern, es sollte auch jenes, abgetrennt von seiner Ouelle, in den Dienst von diesem hinübertreten.

Uebersehen wir aber nicht, daß die Stellung der Universität zu jener Zeit, als sie ins Daseyn gerufen worden, eine ganz andere war, als gegenwärtig. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet: Bonaparte wollte Frankreichs Seele, Frankreichs belebender, ordnender, lenkender Geist, alle Individualitäten, alle vorhandenen Existenzen, alle denkbaren Kräfte sollten nur Organe seyn, deren verschiedenartige Lebensthätigkeit zu jener, Alles in sich vereinigenden Intelligenz in Beziehung stünden, durch sie Bewegung, Richtung und Bestimmung erhielten. Die Wissenschaften, die Künste, der Handel, sie alle waren mehr oder weniger Manifestationen des Centralgeistes, dessen Walten bei allem Schein der Freithätigkeit, dennoch Maaß und Ziel ihnen zuwies. So die Universität. Auch sie war nur ein Organ an dem Gesammtkörper, ein Mittel zu einem gegebenen Zwecke, ein Reflex von Bonapartes Idee, eine der verschiedenen Incarnationen des durch ihn repräsentirten Geistes. Von diesem Standpunct beurtheilt, sind das heutige Frankreich und das damalige Frankreich zwei durchaus verschiedene Erscheinungen, und die Beziehung der Universität zu jenem ist eine ganz andere, als diejenige war, in welcher sie zu diesem stand. Die Satzungen und Bestimmungen, die ihr damals gegeben worden, bestehen zwar jetzt noch; da aber[123] der Geist, aus dem dieselben hervorgiengen, entwichen, der Zweck, zu dem sie erlassen wurden, beseitigt ist, so ist sie hiedurch mit ihrer Wirksamkeit nach außen in ein ganz anderes Verhältniß getreten. Sie hat aufgehört, das Organ eines einigenden Geistes, der Mandatar einer höhern Gewalt, das Mittel zu einem gegebenen Zwecke zu seyn. In ihrer Stellung zu dem dermaligen Frankreich hat sie zum Selbstzweck sich aufgeworfen, und in dem Gebiet, über welches sie von dem grossen Autokrator zum rechenschaftspflichtigen Landpfleger bestellt worden, nach dessen Ableben als unabhängiger Herrscher sich ausgerufen. Daß der Einzelne dem Begwaltigten, der seiner Seits doch nur Unterthan des Höhern ist, sich füge, kann nicht befremden; aber ebensowenig kann es befremden, wenn er nicht einsehen will, warum der Begwaltigte seine Befugniß in dem vorigen Umfang immerfort noch in Anspruch nehmen wolle, indeß von demjenigen, der ihn bestellte und der der Stützpunct seines Waltens war, keine Spur mehr vorhanden ist. Die Universität hat zwar nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sondern erst durch Connivenz der Restauration, hierauf unter Beihülfe und Benützung der Julirevolution, dem Eroberer, sich selbst sofort aber, als sie gesichert sich wußte, seinem Geist den ihrigen undseinen Zwecken die ihrigen substituirt. Diejenigen da gegen, welche Freiheit des Unterrichts verlangen, stellen hierin die natürliche Frage: haben wir nicht an das durch Bonapartes Sturz herrenlos gewordene Gut der freyen Geistesbewegung ein so wohlbegründetes Anrecht, als diese Corporation? Allein diese will sich nicht einmal mit demjenigen begnügen, was der vorige Oberherr ihr eingeräumt, sondern trachtet ihr Gebiet noch zu erweitern, ihr Joch auch denen aufzulegen, die selbst Jener damit verschont hatte.

Während daher der Schöpfer der Universität das kirchliche Gebiet in Unabhängigkeit von ihr bestehen ließ; während die Charte, Frankreichs unantastbares Grundgesetz, allgemeine Freiheit des Unterrichts in Aussicht stellte; sollte der einzige Boden, auf welchem unter allem Wechsel der Dynastien bisher[124] allein Freiheit gewaltet, ebenfalls unter das Universitätsjoch gebannt werden. Allerdings mag es ihnen wehe thun, in die Bildungsstätten der Geistlichkeit keine Professoren bringen zu können, welche die jungen Kleriker zu ihrem künftigen Stand und ihrer Bestimmung durch die sublime Weisheit vorbereiten: »das Christenthum seye in einem Stall geboren worden und trage jetzt noch den Stallgeruch an sich;« oder, – »es gebe kein Böses; was der Mensch für bös gehalten habe, seye nur Unvollkommenheit seines eigenen Wissens, Unzulänglichkeit seiner eigenen Kraft:« oder, »Spinoza, seye darum so groß, weil er es auf sich genommen, mit Jesus Christus in die Schranken zu treten; denn der Nazaräer hätte den Gottmenschen verkündigt, der Holländer aber den Welt-Gott.« Welche Förderung im Bau »des Tempels,« wenn die einstigen Priester angeleitet würden, mit einem der Universitätslehrer das Bekenntniß abzulegen: »ich glaube an die Legitimität, Souveränetät und Infallibilität der menschlichen Vernunft.« Wie trostreich und erhebend, wenn dieselben sie als Theile der zu durchgreifender Erneuerung der Zukunft berufenen Jugend gewöhnt würden, Preisvertheilungen mit Absingung der Marseillaise zu verherrlichen, und dabei als »Beweise der Weisheit und der Erleuchtung« Reden über das Thema anzuhören: »die Menschenseele seye ein Partikel der Gottesseele?«

Dürsten nicht die kirchenfeindlichen Zeugnisse, wie weit verwandte Bestrebungen in einer deutschen Provinz am Ende es gebracht zu haben glaubten, nochmals den Universitätsherren ein lautes Macte virtute estote! zurufen; sie überzeugen, daß Ausdauer in improbo labore selbst die Kirche anscheinend zu besiegen wisse? Würde bei ungehemmtem Einfluß der Universität auf die Diener der Kirche das hierüber jubelnde Frankreich Deutschland gar zu lange um seinen Ronge und seine »freimüthigen Blätter« beneiden, oder über den schwachen Anklang, den sein Abbé Chatel gefunden, trauren müssen?

Was immer es seye, die Unabhängigkeit der Seminarien von der Universität, der hieraus hervorgehende Mangel alles[125] Einflusses derselben auf die Geistlichkeit, der Gegensatz der beiderseitigen Doctrinen wollte den Thurmwächtern des Monopols nicht behagen. Deßwegen wurde unter Einwirkung der mit der Revolution zu hohem Ansehen und durchgreifendem Einfluß sich erschwingenden Wortführer der Universität schon im December 1831 die lockende Aussicht eröffnet, daß von einer bestimmten Frist an Keiner zum Bischof, Generalvikar, Domherrn, Departemental-oder Cantonal-Pfarrer dürfe befördert werden, der nicht den Grad eines Bacealaureus oder Licenciaten erlangt, somit eine Prüfung durch die Universität bestanden, die Vollendung seiner Bildung nicht durch diese gewonnen habe. Daß der Beweggrund zu einem derartigen Bestreben weder in der Mangelhaftigkeit der geistlichen Bildungsanstalten, noch in dem reinen Verlangen, die aus denselben hervorgehenden Jünglinge auf eine höhere Stufe der Tüchtigkeit emporzuheben, sondern einzig aus monopolistischer Scheelsucht und aus der Hoffnung hervorgehe, ihnen allmählig einen andern Geist, als denjenigen, den sie aus den Seminarien mit sich nehmen, einhauchen zu können, ließ sich damals schon vermuthen. Einige Jahre später hat es ein anderer hochemporgehobener Universitätsherr, Salvandi, in einem Bericht an den König so ziemlich unumwunden ausgesprochen: »Offenbar, sagte er, würde die Universität ihrer Bestimmung nicht genügen, wenn sie das Recht, die oberste aller Wissenschaften zu lehren, und die Grade, welche das zum priesterlichen Amte erforderliche Wissen bekräftigen, aus den Händen ließe; allgemach muß der Clerus zu uns zurückkehren;« d. h., durchdrungen werden von der Lehre der Universität, welche ihre wechselnden Philosophen über den unwandelbaren Glauben hinaufsetzt, die Autorität des Menschengeistes als die oberste und allein heilige präconisirt, und für sich geradezu als unbestritten das Recht in Anspruch nimmt, »die Geister in ihrer Ungewißheit zu leiten.«

Man ist sich zwar gewöhnt, jede Lebensäußerung, die aus reinkatholischem Geiste hervorgeht, zu verdächtigen, jede Forderung, die das ächtkatholische Bewußtseyn stellt, nicht bloß zurückzuweisen,[126] sondern als Beleg der Geistesarmuth zu bespötteln; so wie aber dieses nicht gewagt werden darf, ihm irgend einen unreinen Hintergedanken anzudichten, jede Abwehr desselben gegen versuchtes Darniedertreten, gegen auferlegten Zwang als hellen Beweis störriger Unfügsamkeit oder barscher Unfriedfertigkeit zu verschreien. Darum ist nicht unterlassen worden, auch diese wichtige Frage, in Deutschland ebensosehr als in Frankreich, von ihrem richtigen Standpuncte auf einen ganz andern hinüberzureden. Man hat von Umsichgreifen der Geistlichkeit, von der Absicht, Unterricht und Erziehung der Jugend in ihre Hände bringen zu wollen, von Widerstreben gegen die nationale Entwicklung, von Lähmung des Fluges der Intelligenzen, und was dergleichen mehr ist, gesprochen; als ob das Zurückfordern eines natürlichen und nur nach Maßgabe entgegenkommenden Vertrauens auszuübenden Rechts als Umsichgreifen zu bezeichnen wäre; als ob die Beseitigung des einen Zwanges die Einführung eines andern unabweislich zur Folge haben müßte; als ob nationale Entwicklung nur bei religiöser und sittlicher Gleichgültigkeit gefördert werden könnte; und als ob antichristliche und pantheistische Lehren die Schwingen wären, mittelst deren allein die Intelligenzen sich emporheben könnten. Die Blätter und Zeitschriften, welche jeder Verirrung des Menschengeistes das Wort reden, für jedes Anstreben wider das positive und festgehaltene Christenthum Sympathien äußern, einen materialistischen Staatsmechanismus als die lauterste Quelle alles wahren Menschenglückes anpreisen, haben in Deutschland ihren Widerklang schnell gefunden, indem sie hier gar wohl wissen, daß es nicht ohne alle Rückwirkung auf ihren Boden bliebe, wenn es in Frankreich gelänge, in Beziehung auf den Unterricht zur wahren Freiheit durchzudringen.

Meint man aber, die Geistlichkeit und der an sie sich anschliessende gesunde Kern des französischen Volkes, welches in den Schaden der Gegenwart, in die Gefahren der Zukunft hell genug blickt, hätte in seinen Klagen über die verderbliche Wirkung der durch die Universität gepflegten Lehre zu schwarz[127] gesehen, die Farbe zu grell aufgetragen, die Sachen zu sehr übertrieben; meint man, sie jage in ihrer Forderung um Freiheit des Unterrichts einem Phantom nach, sie spiele gleichsam Molieres eingebildeten Kranken, sie träume von Gefahren für Erhaltung christlicher Gesinnung unter dem heranwachsenden Geschlecht, indeß nicht diese Gesinnung, sondern nur deren krankhafte Ueberwucherung wolle beschnitten werden, so vernehme man das Urtheil eines Protestanten über die, wenigstens heidnische oder doch das Christenthum höchst oberflächlich berücksichtigende Richtung des Universitäts-Unterrichts. Der Deputirte, Graf von Gasparin, sagte darüber: »Ich möchte es begreiflich machen, daß in den Collegien der Universität unsere Kinder nicht an ihrer rechten Stelle sind. Der gewichtigste Grund, dem man seinen vollen Gehalt nicht leicht wird absprechen können, ist der, daß in unsern Collegien in Wahrheit keine religiöse Erziehung statt findet. Das ist der unaustilgbare Fleck, die endlose Verdammniß gemischter Anstalten [welche in Deutschland so hoher Staatsprotection sich erfreuen], daß sie die Religion, gleich einem andern Unterrichtsfach, auf ihre Stunde, und meistentheils auf die letzte verweisen müssen. Mag man da seinen Unterricht im Christenthum besser oder schlechter erhalten; dasselbe durchdringt nicht alle Unterrichtszweige, es übt nicht jene absolute Herrschaft, die es von Rechtswegen fordern darf. Die kommende Zeit wird sich nicht genug verwundern können, wenn sie vernimmt, daß eine Gesellschaft, die sich eine christliche nennt, sieben bis acht der schönsten Jahre der Jugend ihrer Kinder zum ausschließlichen Studium der heidnischen Schriftsteller verwendete und dieselben mit deren falschen Ideen, deren falschem Ruhm nährte; daß sie dieselben ausschliessend in dem Cultus gegen das Vaterland und die Ehre erzog und ihnen die, dem Evangelium widerstrebendsten Grundsätze einpflanzte; daß dieses Evangelium an eine so niedere, untergeordnete Stelle verwiesen ward, daß es gegen den Einfluß verabscheuungswerther, unsern angebornen Neigungen schmeichelnder Lehren[128] nur selten ein Gegengewicht zu bilden vermag; und daß man unter dem Namen Jesu Christi sich anstrengt, Schüler des Socrates oder des Zeno so viel möglich heranzubilden.«

Sollte es dann ferner heißen: gleichwie die vielstimmigen Organe des katholischen Frankreichs keine Beachtung verdienten, dieweil sie nur die Ausschließlichkeit der Kirche verträten, welche immer noch den Jugendunterricht als ein ihr zustehendes Privilegium zurückfordern mochte, ebensowenig dürfe man dem engherzigen Pietismus des Grafen Gasparin das Ohr leihen, indem dieser die Jugend gegen eine freiere Geistesbildung, die nur an den großen Vorbildern der Alten erstarken könne, absperren möchte. – So höre man den Vicepräsidenten des königlichen Erziehungsrathes, der es wenigstens nicht auf sich nehmen mag, die Universität ihrer Anklägern gegenüber zu rechtfertigen. »Dieses Princip des Monopoliums, sagt er, läßt alle Parteyen der Reihe nach seine Streiche empfinden. Nichts Gesichertes, nichts Großes läßt sich durchführen; ja noch mehr – nichts Moralisches. Keine freye Ueberzeugung kann Lebensfrist gewinnen in einer Corporation wie die Universität, die unablässig Gefahr läuft, am folgenden Morgen in Abrede stellen zu müssen, was sie am Abend zuvor anerkannt hat. Es ist lange Zeit her, seit ich, unter Allen der Erste, beharrlich, folgerichtig und mit treuem Sinn wider das Monopol, dieses Grab alles Glaubens und alles Unterrichts, mich erhoben habe.«

Denn nicht allein vom Standpunct ihrer antichristlichen, pantheistischen und destructiven Richtung, nicht allein der Lehren wegen, womit sie die Jugend tränkt, der Gesinnung wegen, die sie ihr einflößt, ist die Universität mit ihrem Monopol für Frankreich verderblich, sondern es mangelt auch dem Unterricht selbst alle Solidität, alle ächt wissenschaftliche Haltung Wie könnte diese statt finden, wenn in den obersten Collegien die Zeit, anstatt sie zu Vorlesungen über das angekündigte Fach zu verwenden, in Declamationen im Sinne von Parteifragen zerrinnt? Auch hier darf man seine Zuflucht weder zu Vermuthungen, noch zu haltlosen Incriminationen nehmen; die[129] Statistik der Universität selbst bietet Belege hiezu dar, welche durch ihre Quelle gegen jeden Zweifel gesichert sind. Sie zeigt, daß von den Schülern, die um das Baccalaureat sich melden (also in den Departemental-Collegien ihre Vorbildung erhalten haben), jährlich die Hälfte, als ungenügend vorbereitet, zurückgewiesen werden muß, während bei denjenigen, die aus den kleinen Seminarien hervorgehen, diese Zahl bloß auf einen Dritttheil sich beschränkt. Ein der Universität sonst sehr ergebener Publicist sagt in die ser Beziehung: »Es ist eine furchtbare Beweisführung gegen die Studien an der Universität, daß mehr als die Hälfte ihrer Zöglinge nach vielen Jahren Unterricht nicht einmal eine lateinische Uebersetzung zu Stande bringen kann. Allerdings besitzen die Professoren viele Kenntnisse, aber nur in der Weise der Register an den Büchern.« Sollte nicht auch auf diesem Gebiete die freye Concurrenz, die man doch in allen andern Dingen als Förderungsmittel jedes Bedürfnisses der Gesellschaft so sehr anpreist, gedeihlichere Früchte tragen? Läge nicht für Viele darin schon eine Beruhigung, die Anstalt zur Erziehung ihrer Kinder nach freyer Wahl treffen zu können? Welchem Lebensberuf der Knabe sich widme, kein Gesetz schreibt dem Vater vor, wen er als dessen Lehrherrn ersehen müsse. Soll aber derselbe die wissenschaftliche Laufbahn betreten; da steht ihm bloß die Wahl zwischen den, mancherlei Bedenklichkeiten hervorrufenden Anstalten und dem Privatunterricht offen, dessen Kosten nur selten Einer zu bestreiten vermag; in jedem Falle aber wird der Beweis des Maaßes der Kenntnisse demjenigen, wie und woher er dieselben sich erworben, untergeordnet; eine Mauthanstalt auf dem geistigen Gebiete und im Bereich der Wissenschaft, bei welcher Frankreich nur damit sich trösten mag, daß seine deutschen Nachbaren dieses sinnreiche Institut bei sich ebenfalls eingeführt haben.

Man sollte glauben, eine einfachere, natürlichere und gerechtere Forderung könne es nicht geben, als die: wir wissen, daß die Universität ihren Zöglingen statt eines katholisch-religiösen[130] Unterrichts Gleichgültigkeit gegen jede Religion einpflanzt. Da wir nun unserer religiösen Ueberzeugung gemäß wünschen müssen, daß die Söhne, welche Gott uns anvertraut hat, nach den Grundsätzen der Religion und zwar speciell der christ-katholischen Religion, die wir für die beste, ja für die alleinseligmachende halten, erzogen werden; da wir wünschen müssen, daß sie vor allen Dingen angeleitet werden, unsern katholischen Glauben zu kennen, zu achten und zu lieben, so sprechen wir in Kraft der Charte die Freiheit an, dieselben solchen Lehranstalten zu übergeben, die nicht unter Einfluß und Leitung der Universität stehen, die somit für Erreichung unseres obersten Zweckes genügende Bürgschaften darbieten.

Dadurch würde Jedermann in sein Recht eingesetzt, in dem seinigen Niemand benachtheiligt. Die Eltern, die den größtem Werth darauf setzen, daß ihre Kinder zuvörderst zur Gottesfurcht, in festbegründetem christlichem Glauben, zur treuen Anhänglichkeit an die Kirche, zur Sittlichkeit erzogen werden, gewönnen Beruhigung, denn sie würden alsbald Anstalten sich öffnen sehen, welche dieses Alles gewährten. Die Aufsicht, welche sie selbst über diese führen würden, böte ihnen Sicherheit, daß jenes Alles nicht bloß zum Aushängeschild gemacht werden könnte, sondern Realität haben müßte. Die eingeräumte Freiheit würde den Vorstehern und Angestellten solcher Anstalten die moralische Verbindlichkeit auferlegen, den Anforderungen gewissenhafter Eltern genügend zu entsprechen. Die Concurrenz würde einen edlen Wetteifer hervorrufen, und manches bekümmerte Herz Beruhigung finden. Den Gleichgültigern, denjenigen, welche das, worauf die Andern so hohen Werth legen, leichten Sinnes in den Kauf geben können, welche über sichern Broderwerb, über baldige Anstellung hinaus nichts kennen und nichts wollen, gleichwie denjenigen, welche mit der Universitäts-Philosophie und mit den Universitäts-Principien sich einverstanden erklären mögen, und die Universitätsherren als die Schatzmeister aller Errungenschaft, des menschlichen Geistes und als die alleinberechtigten Ausspender derselben betrachten, diesen insgesamt[131] stünden nach wie vor alle Collegien offen; immerhin könnten sie des freudigen Anblicks sich getrösten, ihre liebe Jugend zunehmen zu sehen, so wie an Alter, auch an sothaner Weisheit und deren erquicklichen Früchten.

Sind denn in Frankreich, sind denn in aller Welt diejenigen, wie wenig ihrer auch wären, welchem Stand und welchen Schichten der Gesellschaft nun sie angehören mochten, so gar nichts, sie, die Alles daran setzen, daß ihre Kinder nicht allein in etwelchem beliebigem Meinen (croyance), sondern in dem sichern, festen Glauben (foi), den sie selbst bekennen, erzogen werden? Sind diese, die mit aller Liebe, Treue und Innigkeit an den von Gott ausströmenden Offenbarungen, und mit eben derselben Liebe an den Gewohnheiten, Uebungen und Vorschriften der Kirche hängen, so gar nichts, daß ihre Klagen hier an dem eisernen Monopol, dort an der starren Willkür fruchtos verhallen müssen? Wären sie etwa der unedlere, leichtfertigere, unfügsamere Theil der Gesellschaft? Würde man Meutereien, Conspirationen, Unredlichkeit, Lüderlichkeit, oder zuletzt auch nur Unfähigkeit vorzugsweise von einem Geschlecht zu befürchten haben, das in seiner Jugend nach jenen Grundsätzen wäre herangebildet worden? Sollte die wahre Gottesfurcht, der Gehorsam gegen die Kirche, die Ehrerbietung gegen die Organe höherer Wahrheiten, die pflichtgetreue Beobachtung von mancherlei übenden Vorschriften nachmals unter dem schaffenden und thätigen Leben und auf dem Boden der bürgerlichen Verhältnisse in das Entgegengesetzte umschlagen, und deßwegen der Unterricht in widerstrebendem Sinne alles wünschbare Glück zweifellos verbürgen? Ist endlich jener Geist, welchen ein Unterricht nach dem ächten Sinn der wahren katholischen Kirche ins Bewußtseyn rufen, nähren und als Grundlage alles Thuns festigen will, ein so werthloser, unberücksichtigungswürdiger, ja vielleicht gar verderblicher, daß man jedem andern Geist, wehe er, von woher es seye, und führe er, wohin er wolle, unbedenklich das freye Walten einräumen kann, dagegen jenem nur mit aller Vorsicht und aller Anstrengung[132] den Zutritt versperren muß? Man sollte glauben, um ein entscheidendes Urtheil zu finden, dürfte man in keiner großen Verlegenheit sich befinden. Oder gäbe die studirende Jugend von Paris, diejenige der polytechnischen Schule bevorab, keine Anhaltspuncte hiefür an die Hand? Läge ein solcher, und meines Erachtens ziemlich bedeutsamer, nicht schon in der neuen Benennung einer Straße? Vanneau.

Nach der Beobachtung, die man seit anderthalb Jahrzehnden hat machen können, nach den vielfachen Erörterungen, die man in allen Blättern hat lesen müssen, nach den sich stets wiederholenden Betheurungen, die man hat anhören dürfen, daß Frankreich Vorbild und Garantie aller wahren, der Menschheit würdigen Freiheit seye, hätte man erwarten sollen, dieses Zurückfordern einer der wesentlichsten, einer der natürlichsten Freiheiten würde gleich einem elektrischen Funken die Gemüther durchzucken: es würde alles sich vereinigen, um eines Zwanges los zu werden, der zum Vortheil einer bleyernen Despotie in ein System gebracht und durch diese den Intelligenzen des Volkes, somit den edelsten Theilen desselben, auferlegt wurde. Dem aber ist nicht so. Anstatt Einigung zu bewirken, bewirkte die Frage Zertrennung. Die Phrase: »die Charte soll eine Wahrheit seyn,« hatte für diesmal ihren Zauberklang verloren. Die Meinung, die öffentliche Stimme spaltete sich; hier stunden diejenigen, welche an jene Wahrheit Berufung nahmen, dort die Andern, welche nicht allein willig es geschehen ließen, sondern selbst laut und ungestüm es verlangten, daß sie in dieser Beziehung eine Lüge bleibe.

Dazu wirkten zwei Ursachen. Für die Franzosen ist eigentlich die Freiheit nur eine Nebelgestalt, ein Schlagwort, welches an geeignetem Ort mit erforderlicher Emphase ausgesprochen und in günstigem Augenblicke in Anwendung gebracht, zu dem jedesmal beabsichtigten Zwecke verhilft. Sie begnügen sich mit dem Klang, die Sache selbst kennen sie nicht. Das Centralisations-System ist so sehr in sie eingedrungen, bei dem größern Theil so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß[133] es ihnen nicht schwer fällt, dasselbe mit der Freiheit als gleichbedeutend zu nehmen, und jeden Versuch, dessen eiserne Macht zu brechen, als ein Attentat gegen die Freiheit und die durch diese geschirmte Ordnung zu betrachten. Das die eine Ursache. Einleuchtender und von unverkennbarerem Erfolg war die andere: die Taktik der Universitätsherren gleich bei dem Anbeginn der laut gewordenen Forderung von Unterrichtsfreiheit. Diese vorzüglich, neben der tiefen Bedeutung, welche in der Forderung selbst lag, nahm mich in Anspruch, denn sie ließ mich in die innere Verwandtschaft der gleichgesinnten Geister unter allem Volk und in das Uebereinstimmende der überall vorkommenden Manipulationen blicken. Die Frage nämlich wurde durch die Vorkämpfer für das Monopolium alsbald ihrem ursprünglichen Boden entrückt und auf einen fremden verpflanzt, aus ihrer klaren und bestimmten Fassung in eine allgemeine, minder greifbare hinübergearbeitet. Ein erster schrillender Pfiff sollte das Signal geben zu einem allmählig sich bildenden und immer lauter und tobender werdenden Gebrause, über welchem die ursprüngliche Frage gar nicht mehr vernommen ward.

Man nahm Umgang davon, daß seit dem Jahr 1839 wiederholt aus den verschiedensten Theilen des Landes Petitionen, von Personen der verschiedensten Stände unterzeichnet, um Freiheit des Unterrichts an beide Kammern eingegangen waren; daß mehrere politische Blätter den unchristlichen Ton und den antikatholischen Geist, der von der Universität herwehe, längst schon in den entschiedensten Ausdrücken scharf gerügt hatten; daß einzelne Bischöfe, und am letzten derjenige von Chartres, kraft ihrer Hirtenpflicht auf die Gefahren aufmerksam gemacht hatten, welche der katholischen Religion von gewissen Lehrstühlen der Universität drohen; daß der neueste und entschiedenste Angriff von dem Domherrn Desgarets zu Lyon ausgegangen war in seinem merkwürdigen Buche: Le monopole universitaire, destructeur de la religion et des lois, ou la charte et la liberté d'enseignement. Gegen diese Angriffe sich zu wehren, die von allen diesen Seiten erhobenen Anschuldigungen[134] zu widerlegen, dem Gegner mit offenem Visir zu stehen, das konnte den redlichen Universitätsherren und ihrem Anhang nicht zusagen; bequemer war es, die Abwehr gegen den gerüsteten Gegner in den Angriff gegen einen ruhig Zusehenden umzutauschen.

Die Jesuiten sind's! hob der alte Jesuitenriecher Constitutionnel mit seinem verschimmelten Bonapartismus an; die Jesuiten sind's! scholls von dem Oberpriester aller Tagesgötzen, dem Siecle, wieder; die Jesuiten sind's! lautete es aus dem ministeriellen Weihrauchbecken, dem Journal des Debats; die Jesuiten sind's! brummte es zwischen dem Cigarrendampf aus dem Mund der Vestalin Dudevant; die Jesuiten sinds! lispelte die fashionable Revue des deux mondes: die Jesuiten sind's! knurrte der für die mittleren Classen berechnete National und vergaß hierüber gerne, daß er nicht viele Monate früher die Erziehung der Universität »eine ruchlose, immoralische, unzusammenhängende« genannt hatte. Nach solchen Vorbereitungen, unter denen immer der obligate Kehrreim: die Jesuiten sind's! abgeleyert werden mußte, kündigten die Herren Michelet und Quinety ihre großen phantasmagorischen Vorstellungen auf den 4. und 10. Mai an, die dann unter rauschendem Applaus etwelcher Blaustrümpfe und der hoffnungsvollen Jugend Frankreichs an besagten Tagen zum Besten gegeben wurden. Seitdem klangen die Hörsäle nur von der Rotte Lojola's; und damit Alles frischfreudiger von statten gehe, wurde etwa die Marseillaise angestimmt; so daß Lamartine darüber bemerkt haben soll: »Ohne für eine der beiden Parteien mich zu erklären, muß ich wenigstens ein Unterrichtssystem tadeln, welches die Jugend, anstatt in der Liebe zu Gott und seinem Gesetze, in der Art und Weise unterichtet, wie Verschwörungen müssen angezettelt werden.«

Wiewohl es notorisch ist, daß die Jesuiten den wider die Universität erhobenen Klagen ganz fremd blieben, daß sie in Stille und Zurückgezogenheit der Beobachtung ihrer Lebensregel, etwa kirchlichen Diensten und den Wissenschaften oblagen,[135] so mußte doch Alles durch sie angezettelt oder mußte es, wenn dieß nicht, in ihrem Interesse angehoben worden seyen. Da brach wieder, und seitdem verstärkt, gegen diese ein Sturm los, wie er in den schönsten Tagen von Choiseul und dem jansenistischen Parlamente gesaust. Alles, was damals schon losgelassen worden, müßte, frisch herausgeputzt, von neuem aufmarschiren. Es erschienen Flugschriften, welche das Thema in den vielfachsten Variationen durch die ganze Tonleiter durchführten. Von neuem konnte man sich überzeugen, daß die Wortführer und Tonangeber der antichristlichen Faction die Lehre ihres Altvaters sich recht tief eingeprägt und zur Triebkraft ihres Thuns gemacht hatten. Voltaire ermahnt nemlich irgendwo seine rüstigen Mitarbeiter: »Lüget, lüget, immer wird Etwas haften. Nur dann, wenn die Lüge Uebels stiftet, ist sie ein Laster, eine sehr große Tugend aber, wenn sie Gutes stiftet. Erhebet euch daher zur wahren Tugend! Man muß lügen wie ein Teufel, nicht zaghaft, nicht blos zeitweilig, sondern keck, unausgesetzt.«

Das Wort war gefunden, es war gesprochen, die Sammelstätte war gegeben, zu der sie nun emsiglich heranzogen unter ihren Standarden, Abzeichen, Sinnbildern jeglicher Farbe und jedweder Gestalt, von allen Seiten her. Da marschirten auf die gelichteten Reihen der Veteranen der Encyclopädie, die Leichtbewaffneten der modernen Lüderlichkeit, die Phalangen der Religionsfeindschaft, die Sensenmänner des Jakobinerthums, die Grenadiere der bonapartischen Despotie, die Lanzenträger des Industrialismus, die junge Garde der Fleischesemancipation und die Triarier der Universität. Wie sie da einander die Hände schüttelten, allen gegenseitigen Groll abzuthun sich gelobten, zu stehen verhießen wie ein Mann wider das Ungethüm, dessen Rachen gähne, um, wenn nicht Frankreich selbst, so doch Frankreichs Stolz und bisherige Glückhaftigkeit zu verschlingen; wie sie da sich anbiederten, daß ob so treuherziger Innigkeit die hellen Thränen in Strömen hätten fliessen mögen! Weg war die Freiheit des Unterrichts, vergessen die Charte, aus dem Spiel[136] die Universität, verwandelt hatte sich der Kampf in denjenigen der vereinigten kirchenfeindlichen Parteien wider die Kirche, wider den Rest ihrer Selbstständigkeit, wider die Anerkennung, die ihr von einem Theil der Nation noch gezollt wird, wider das Verlangen so mancher Gemüther nach derselben, wider das Entgegenkommen zu den Wohlthaten, deren Spenderin sie ist. Solche Gestaltung hat der Streit immer mehr gewonnen, in solcher Weise haben die Streitkräfte auf beiden Seiten sich gemehrt, mit solchem Bewußtseyn stehen dieselben immer noch sich gegenüber.

Zu jenem Vorspiel, welches am 4. und 10. Mai in den Hörsälen der Herren Michelet und Quinet gegeben worden, bin ich zwar nicht mehr gekommen, so wenig als zu der, acht Tage darauf dem Sänger des Ahasverus und des Atheismus dargebrachten Ovation. Aber von dem Eindruck, den diese Erscheinungen gemacht hatten, sprach jeder Mund, und, da dieser Gegenstand die große Tagesfrage war, welche jede andere in den Hintergrund drängte, so fiel es nicht schwer, die Beziehungen derselben zu Gegenwart und Zukunft mir klar zu machen. Es war mir um so leichter, mit etwelcher Sicherheit mich zu orientiren, als es an Veranlassung nicht fehlen mochte, den hier geführten Kampf, unter etwelchen Modificationen, auch auf dem deutschen Boden wahrzunehmen. Hier zwar, in denjenigen Provinzen wenigstens, in denen ähnliche Bestrebungen zu ähnlichen Beschwerden Stoffes genug bieten, läßt sich mit dem Wort Jesuit nicht dasselbe Glück machen, wie in Frankreich; hier haben sie ihm aber mit gleichem Erfolg das Wort Ultramontaner, etwa auch Römling, substituirt. Es thut die gleiche Wirkung, es findet dieselbe Anwendung; die Männer, denen es beigelegt wird, halten an der gleichen Ueberzeugung fest, wie in Frankeeich diejenigen, welche als Jesuiten bezeichnet und von der antikirchlichen Faktion mittelst dieser Bezeichnung in Verruf gebracht werden sollen. War es erst gelungen, durch das ausgesprochene Losungswort die Gemüther in Allarm zu bringen, so war der weitere Schritt weit leichter,[137] ihnen vorzuspiegeln: Aufhebung des Universitäts-Monopols seye nur ein Vorwand, die Absicht, den Unterricht und die Erziehung der Jugend in die Gewalt der Geistlichen zu bringen, wahres, höchstes und letztes Ziel. Es dient dieß zu neuem Beweis, daß der Altvater in seiner vorhin angeführten Ermahnung einen recht praktischen, wahrscheinlich durch vielfache Erfahrung bewährten Blick kund gegeben hatte.

Seinen Rath zu befolgen, ist natürlich weit leichter und gesagten Zwecken fördersamer, Einwendungen durch Thatsachen zu widerlegen, als strittige Fragen parteilosem Entscheid zu überlassen. So behauptete im Verlauf des Haders ein Universitätsmann: selbst die Professoren der kleinen Seminarien könnten gegen bloße Zöglinge der zweiten Classen der Universitäts-Collegien einen Concurs nicht bestehen. Da erbot sich der Abbé Dupanloup zu einer Prüfung mit Zöglingen der kleinen Seminarien und solchen desjenigen königlichen Collegiums in Paris, welches im besten Ruf stehe; als einzige Bedingung solle festgesetzt werden, daß, wie sich im Grund von selbst verstund, sämmtliche Zöglinge des Collegiums an der Prüfung Theil nahmen und Alle in allen Fächern mit Jenen in den Concurs träten. Für die Provinzen erbot er sich zu Gleichem. Warum wurde der Vorschlag nicht angenommen? Warum wurde ein so einfaches und unwidersprechlich maßgebendes Auskunftsmittel nicht bereitwillig ergriffen? Oder ist es geschehen? Ich weiß es nicht, zweifle aber daran.


Paris zählt etwa vierzig Kirchen und größere Capellen, unter diesen aber auch die selten geöffnete Sorbonne und die von andern Wohnungen ziemlich entfernt liegende Invalidenkirche. Allerdings wenig, sehr wenig für die nahe an eine Million steigende Bevölkerung. Eine Abhülfe dieses Mangels ließe sich darin erblicken, daß in allen Pfarrkirchen des Sonntags vom frühen Morgen bis in den späten Abend beinahe ununterbrochen[138] gottesdienstliche Verrichtungen statt finden, Messen bis gegen ein Uhr, dann Katechisationen, Vesper, Salut, Abendandachten, Versammlungen von Bruderschaften oft bis Abends acht Uhr; so daß sich immer noch die Möglichkeit denken ließe, daß abwechselnd die gesammte Bevölkerung zur Andacht in den Kirchen sich einfinden könnte. An Predigten fehlt es ebenfalls nicht, da mit jeder feyerlichen gottesdienstlichen Handlung eine solche verknüpft ist, und außer den allgemein vorgeschriebenen Festtagen und Andachtsübungen noch jede Kirche ihre besondern festlichen Tage begeht, an welchen jene nicht auf eine einzige sich beschränken, auch lange vorher angekündigt werden. Einen größern Uebelstand könnte man es nennen, daß beinahe alle Kirchen von dem äußersten Saum der Stadt, in welchem der niedrigste, religiöser Anregung und Belehrung bedürftigste Theil der Bevölkerung zusammengedrängt wohnt, ziemlich weit entfernt liegen, daher die äußern Triebfedern ihres Besuches: Nähe, Beispiel der Umgebung, das Fortgezogenwerden durch die Menge weniger wirken können, somit leicht anzunehmen ist, daß ein großer Theil der untersten Volksklassen in Bezug auf höhere Bedürfnisse, die einzig in der Kirche ihre Befriedigung finden können, gänzlich abgestumpft ist.

Die Wahrnehmung, daß des Sonntags, zu welcher Zeit in die stets offen stehenden und nur in wenigen Stunden irgend einer gottesdienstlichen Verrichtung entbehrenden Kirchen man eintrete, Leute der niedersten Volksklassen nur wenig angetroffen werden, ist nicht geeignet, jene Vermuthung zu entkräften. Welche Wendung zum Bessern in den höhern Ständen immerhin sich bemerklich mache, es dürfte lange Zeit darüber hingeben, bis dieselbe die untern Schichten ergriffe, durchdränge. Wer Gelegenheit gehabt hat, auch nur während eines einzigen Sonn- oder Festtages in irgend einer italienischen Stadt sich aufzuhalten, dem konnte gewiß die unermeßliche Verschiedenheit, die Paris in dieser Beziehung darbietet, nicht entgehen. Er muß, ob er wolle oder nicht, die furchtbaren Verwüstungen, welche die Revolution in den Gemüthern angerichtet hat, wahrnehmen;[139] er muß es inne werden, wie manche zerstörende Mittel, um die Menschen über ihr thierisches Daseyn hinaus kein anderes ahnen zu lassen, hier mit furchtbarem Erfolg gewirkt haben und noch fortan wirken. Unverkennbar ist die Zahl der rohen und der gebildeten, der brutalen und der verschlissenen Heiden, oder einer Rasse, die noch tief unter den Heiden steht, in Paris größer, als in irgend einer andern Stadt. Es macht sich aber auch im Geistigen und Immateriellen dieselbe Wahrheit geltend, wie in dem Materiellen: daß das Werk der Zerstörung unglaublich rasch voranschreite, der Aufbau dagegen nicht allein der andauernden und unverdrossensten Anstrengung, sondern langer, sehr langer Zeit bedürftig seye, bis nur einigermaßen dessen Zunehmen sichtbar werde. Unendlich schnell ist jene von den obern Regionen nach unten geströmt; hat aber in den ersten eine Regeneration endlich begonnen, auf welche Schwierigkeiten stößt sie nicht, um langsam und allmählig in die letztern hinabdringen zu können? Auch darin wird die Wahrnehmung in der moralischen Welt von einer unläugbaren Thatsache in der physischen bekräftigt: daß nemlich das Ungesunde weit leichter das Gesunde überwältige, als dieses jenes wieder zurechtbringe. Ein gewisses Maaß Essig unter ein weit größeres von W ein geschüttet, wird diesen allmählig verderben, das gleiche Maaß von Wein aber unter den Essig gemengt, wird diesen niemals wieder in unverdorbenen Wein verwandeln.

Faßt man die Bevölkerung von Paris ins Auge, so kann man eine Anzahl von 50,000 österlichen Communicanten gewiß keine beträchtliche nennen; und doch ist sie jetzt etwas größer als vor zwölf Jahren, und konnte man mich versichern, daß ein etwelcher, wenn gleich noch sehr sparsamer Zuwachs dennoch sich bemerklich mache. Von besonderem Interesse müßte aber eine Statistik, wenn ich so sagen soll, dieser 50,000 nach ihren socialen Verhältnissen seyn, wie die Geschlechter, die Lebensalter, die Rangstufen der Gesellschaft, die Berufsarten, z.B. die Advocaten, die Aerzte, die Industriellen, die Beamteten,[140] die Handwerker, die Taglöhner, der Adel, in jener Gesammtzahl sich repräsentirt fänden.


Ihrem Bau nach lassen sich die Kirchen von Paris in drei Klassen theilen – in solche aus der Blüthe christlicher Zeit (gothische), in solche der mittlern (17tes Jahrhundert), in solche der neuesten Zeit. Zu Beurtheilung des Werthes einer Kirche, als solcher, dient mir immer die Beantwortung der Frage: wenn aus diesem Gebäude alles dasjenige, was auf das Christenthum Bezug hat, und was zu dessen Feyer erforderlich ist, hinausgeworfen würde, so daß bloß noch der leere Raum bliebe, könnte man bei dessen Anblick im Zweifel stehen, ob derselbe nicht vielleicht zu diesem oder jenem, bloß zeitlichen, vielleicht auch nur vergnüglichen Zwecke der Gesellschaft gedient, oder müßte man alsbald sich überzeugen, daß er einer solchen Bestimmung niemals gewidmet gewesen wäre, dürfte man ahnen, daß er eine höhere, demnach eine gottesdienstliche Bestimmung möchte gehabt haben? In letzterem Sinn müßte gewiß die Frage beantwortet werden bei St. Genovevenkirche die nun wirklich ein leerer, öder, aber selbst in seiner Unbestimmtheit imposanter Raum ist, dessen erhabene Größe durch das armselige lehmene Götzenbild an der Stelle des vormaligen Hochaltars nur noch mehr hervorgehoben wird. Wiewohl dieser Bau in keine der drei vorhin aufgestellten Kategorien sich einreihen läßt, wird dennoch bei den großartigen und richtigen Verhältnissen desselben dem Eintretenden alsbald klar werden, daß er eine Bestimmung müsse gehabt haben, welche alle bloß irdisch- und menschlich-gesellschaftlichen Zwecke überrage; unter welchem Eindruck die Aufschrift auf dem Fries zum unendlich Lächerlichen aufschwillt. Die Pariser mögen zur Zeit des Kaiserreichs, während dessen in den unterirdischen Räumen einige Senatoren beigesetzt wurden, dieses selbst gefühlt haben, wenn[141] sie den Witz in Umlauf brachten: »in Ermanglung großer Männer würden hier Senatoren begraben.« Hat gleich die Julirevolution, so wie den rechtmässigen Herrscherzweig vom Throne, so die Schutzpatronin von Paris aus ihrem heil. Tempel verjagt und künftig dem Knochengerüste Voltaires die Perspective der Aufbewahrung in denselben und der Huldigung als Vergrößerer des Menschengeistes« eröffnet, so waltet doch beinahe ungetheilt die zuversichtliche Hoffnung vor, daß kein Jahrzehend vergehen dürfte, bis die fromme Hirtin in dasselbe wieder einziehen werde.

Unter den gothischen Kirchen zeichnet sich die erzbischöfliche durch ihre Größe und durch ihr Alterthum vor allen aus. Zu ihr hat jener Bischof Mauriz den Grund gelegt, der von dem kleinen Dorf Sully an der Loire den Beinamen erhielt, und schon als armer Schüler das Almosen verschmähte, wenn der Spott die Bedingung daran knüpfen wollte: daß es ihm aber doch nicht einfallen werde, jemals zu bischöflicher Würde sich erheben zu wollen! Er war eine der vielen Illustrationen, welche zu Innocenzens des Dritten Zeit im Schmuck der Würde, des Geistes und des Herzens die Kirche verherrlichten. Von ihm wird erzählt, daß er bereits zu Paris in hohem Ansehen gestanden hätte, als seine betagte Mutter den Pilgerstab ergriffen, um an des geliebten Sohnes Ehre sich zu erfreuen. Als sie die Stadt betreten, habe sie einige Frauen nach dessen Wohnung gefragt und als des hochgeehrten Mannes Mutter sich zu erkennen gegeben. Da hätten die Frauen gemeint, so ärmlich gekleidet dürfte das Bauernweib doch vor ihrem allgeachteten und hochgestellten Sohne nicht erscheinen, sie darum zu sich genommen, mit bessern Kleidern ausgestattet und so bei Maurizen dieselbe eingeführt. »Willkomm, lieber Sohn!« habe sie bei dem Eintritt gerufen; er aber erwidert: »Wie? Du wärest meine Mutter? Unmöglich! Die geht nur in Zwillich gekleidet! Du kannst es nicht seyn!« Er wollte sie durchaus nicht erkennen, so daß die Frauen mit ihr sich wieder entfernen und die vorigen Kleider ihr geben mußten. Und als sie[142] in diesen eintrat, entblößte Mauriz das Haupt, umarmte sie und rief: »jetzt erkenne ich meine Mutter!« Gehören dergleichen Züge ebenfalls zur Finsterniß jener Zeit, gleich den Bauwerken, die sie hervorgerufen hat?

Die Hochbilder an der Ringmauer um den Chor, das Leben des Erlösers darstellend, sind offenbar noch aus der Zeit der Erbauung der Kirche, ganz in jenem einfachen, strengen, wenn man will rohen Styl gehalten, dem aber doch ein wunderbares Gepräge der Andacht und Glaubensinnerlichkeit aufgedrückt ist, welches mit der größern Zierlichkeit der Formen und der kunstgerechtern Ausführung nicht immer sich einigt. – Durch die in kirchenfeindlichem Ingrimm bewerkstelligte Zerstörung des erzbischöflichen Palastes, und wenn nun noch die angebaute Sacristei wird abgetragen werden, hat die Kathedralkirche viel gewonnen; sie steht jetzt von allen Seiten frey und macht von dem jenseitigen Seineufer einen würdigen Eindruck. – Ob nach den Beschädigungen und Zerstörungen, welche St. Germain l'Auxerrois in den ersten Jahren nach der Juli-Revolution zu gleicher Zeit erlitten hatte, auch diese Kirche würde hergestellt werden, war eine Zeitlang zweifelhaft. Paris hätte damit ein herrliches Baudenkmal, ein wahres christliches Alterthum verloren, welches (d. h. bezüglich auf die Stiftung, der jetzige Bau selbst ist aus de Anfang des 15ten Jahrhunderts) die Sage an Childebert I. anknüpft. Lassen ihre gemahlten Fenster, wie diejenigen aller Kirchen, die Spuren der ersten Revolution und ihrer thierischen Wildheit nur noch allzusehr durchblicken, so werden doch die Verwüstungen, welche in jüngster Zeit der aufgehetzte Pöbel, gleichwie die Verderbnisse, welche der Zahn der Zeit angerichtet hat, in Harmonie mit dem ganzen Baustyl beseitigt. Es wäre ungerecht, wenn man es nicht anerkennen wollte, daß die jetzige Regierung in Betreff der Erhaltung oder Herstellung der kirchlichen Gebäude nicht saumselig seye. So hat dieselbe die St. Magdalenenkirche schneller vollendet, als die Restaurationszeit sie ihrer Vollendung entgegengeführt. St. Vicenz von Paul, an der Straße Lafayette, sah damals seiner baldigen Weihe entgegen.[143]

Ein Kleinod des christlichen Frankreichs, auch seiner Bauart nach, so weit mir solches durch einen Panzer von Gerüsten wahrzunehmen möglich gewesen, lange vernachlässigt und deßwegen vielfach beschädigt; die heilige Capelle in der alten Königsburg der Herrscher von Frankreich, dem jetzigen Justizpalast, rückte ebenfalls seiner Erneuerung entgegen. Vielfach wurde noch jener, zu Anfang des Jahres 1843 gemachte Fund einer zinnernen Kapsel mit einem darin verschlossenen Herzen besprochen, und von den Einen beharrlich die Vermüthung geäußert, daß es dasjenige des heiligen Ludwigs seyn dürfte. Die Gegner gründeten ihren Zweifel auf den Mangel einer lesbaren Inschrift oder bestimmter Symbole, sodann auf die Zeugnisse der Zeitgenossen, die nur von dem dorthin versetzten Haupt3 sprechen, des Herzens aber keine Erwähnung thäten. Diesem entgegneten die Andern: 1) das Herz könnte gleich nach des Königs Tod, so wie die Eingeweide nach Montreale, nach Paris gesendet worden seyn; 2) die Arbeit der Kapsel zeige eine solche fleissige Vollendung, daß dasselbe nur das Herz einer sehr hochgestellten Person könnte umschlossen haben; 3) die Stelle, an der das Ueberbleibsel aufgefunden worden, seye das Sanctum Sanctorum, wo man gewiß keinem andern, als dem Herzen eines vornehmen Gliedes des königlichen Geschlechtes den Platz würde angewiesen haben; 4) lasse sich auch aus späterer Zeit Niemand auffinden, der solcher Ehre wäre würdig erachtet worden. Man sprach damals davon, um völlige Gewißheit zu erlangen, solle eine Untersuchung der zu Montreale aufbewahrten Ueberbleibsel auf diplomatischem Wege eingeleitet werden. Ob dieß geschehen ist, oder zu welchen Resultaten es[144] geführt habe, weiß ich nicht, da diese Frage nur an Ort und Stelle und durch die geführten Erörterungen vorübergehendes Interesse für mich gewonnen hatte.

Eine gothische Kirche der schönsten Verhältnisse ist diejenige der alten und hochberühmten Abtey St. Germain des Pros. Noch jetzt sieht man ihr, besonders an dem großen Chor, die ehemalige Klosterkirche an, deren Zerstörung durch eine, während der Gräuelzeit darin angelegte Salpeterfabrik in kurzem nicht mehr abzuwenden gewesen wäre, der sie jedoch im nahen Augenblicke des unwiederbringlichen Zerfalls glücklich noch entrissen wurde. – St. Stephan auf dem Berge (St. Etienne du Mont.) datirt zwar schon aus einer Zeit, in welcher der altchristliche Baustyl durch mancherlei Zusätze entstellt war, deren Beigabe indeß dieser Kirche eine gewisse Leichtigkeit und Zierlichkeit verleihen, die das Auge bestechen könnte, wenn ich auch den Ausdruck eines meiner Freunde: diese Kirche seye ein kleines Juwel, nicht unbedingt anwenden möchte. Die Jube, die einzig in dieser Kirche noch sich vorfindet und an den alten Gebrauch erinnert, von da aus dem Volk die Epistel vorzulesen, macht trotz der Leichtigkeit mit welcher die dahinführende Wendeltreppe sich emporwindet, einen störenden Eindruck, weil sie Chor und Kirche trennt, den freyen Blick in jenen und auf den Hochaltar hemmt. – Den Verfall der altchristlichen Baukunst zeigt die Kirche von St. Eustach, merkwürdig nur durch die Höhe ihres Gewölbes, welches bei dem Mißverhältniß der Länge zu der Breite noch mehr herausgehoben wird.

Unter den Kirchen der neuern Bauart ist die von St. Sulpiz die größte, die angenehmsten Verhältnisse darbietend, 99' Höhe auf 336' Länge und 174' Breite. Bei mancherlei Abweichungen in der Grundlage, in den verwendeten Säulenordnungen, in den besondern Dispositionen im Innern zeigen viele der übrigen Kirchen von Paris, weil ohngefähr um die gleiche Zeit aufgeführt, in ihrem Bau größere Verwandtschaft als mit denjenigen aus der altchristlichen, mit denjenigen aus neuester Zeit und dem durch diese erzeugten Geschmack.[145]

Zu den Kirchen, in welchen das Christliche weniger dem nackten Bauwerk aufgedrükt ist, als durch die innere Ausstattung sich bemerklich macht, gehört die Kirche Unserer Lieben Frauen von Loretto, zu der am Tage des heiligen Ludwigs im Jahr 1823 der Grundstein gelegt wurde. In Basilikenform gebaut, mit einem Gemisch aller architektonischen Formen, reichen Vergoldungen, manchartigen Zierrathen überrascht sie mehr, als daß sie den Geist erhöbe, fühlt man sich in derselben mehr behaglich, als daß man bewältigt sich fände und aufwärts gezogen; man möchte sie eher einen zierlich ausgestatteten Raum für Reunionen höherer Stände zu christlichen Anregungen und Begehungen, als ein Haus des Herrn nennen, welches die gesammte Gesellschaft, als eine Versammlung gleicher Heilsbedürftiger, an den Stufen seiner Altäre in Demuth und Andacht vereinigte.

In architektonischer Hinsicht wird der St. Magdalenenkirche den Vorzug des Vollendeten, Erhabenen und Großartigen wohl Niemand absprechen wollen. Ob aber die Worte: Aux grands hommes la patrie reconnoissante, als Aufschrift unter ihrem Fronton dem Geist des Bauwerkes nicht ebensogut (besser jedenfalls als an St. Genovevenkirche) entspräche, als diejenige D. O. M. sub invocatione Sanctæ Magdalenæ, ist eine andere Frage. So schön die Vorstellung des jüngsten Gerichts auf dem Fronton ist, rechts unter Fürbitte der heiligen Magdalena die Begnadigten mit den Cardinaltugenden und der Unterschrift: Ecce dies salutis, links die Todsünden, vor dem Engel mit dem Flammenschwert weichend, und der Unterschrift: Væ impio, so würde man dennoch jene Symbole der Wissenschaft und Kunst, der Macht und des Reichthums, die nunmehr an dem vormaligen Heiligthum der einfachen Hirtin und Schutzheiligen von Paris angebracht sind, hier ebensogut und gewiß besser als dort verwendet sehen. Es ist auch bekannt, daß Bonaparte diesen, in seiner Grundlage mehrmals abgeänderten Bau zu einem Tempel des Ruhms, zu einer französischen Walhalla bestimmte, wozu er als erweiterte[146] Nachbildung des athenischen Parthenons wohl besser sich eignen mochte, als zu einem christlichen Tempel. Kehrte je eine kirchenstürmende und menschenvergötternde Zeit zurück, die Umgestaltung wäre bald bewerkstelligt, und den nachmals Hineintretenden dürfte kaum das Gefühl anwandeln, in einem Raume zu weilen, aus welchem Höheres und Geheiligteres seye herausgewiesen worden.

Kann man sich mit der christlichen Ausstattung des Baues, die in ihren einzelnen Theilen so reich als vollendet ist, begnügen; kann man sich eine Trennung des letztern von der erstern gefallen lassen; kann man für den Augenblick darüber hinwegsehen, daß zwar alle Künste sich vereinigt haben, um die christlichen Mysterien und den unermeßlichen Reichthum christlicher Offenbarung, Begebnisse und Thatsachen hier in einer Fülle meisterhafter Gebilde unter Augen zu stellen, indeß der Bau selbst Typus einer ganz andern Lebensansicht, eines ganz andern Cultus ist: alsdann wird man ohne Bewunderung denselben nicht ansehen, ohne einen bleibenden Eindruck davonzutragen ihn nicht verlassen; nur muß man dabei vergessen, daß er in seinem Aeußern etwelche Verwandtschaft mit der Börse an sich trage.

St. Magdalenenkirche liegt auf einer kleinen Erhöhung, zu welcher eine Treppe von 30 Stufen längs der ganzen Breite des Gebäudes hinanführt. Zweiundfünfzig kannelirte korinthische Säulen, jede 60 Fuß hoch und 7 1/2, Fuß im Durchmesser, umgeben dasselbe und, da das Licht durch vier Kuppeln einfällt, haben die Mauern keine Fenster, sondern Nischen, in deren Raum zwischen den Säulen zwölf wohlausgeführte Standbilder von Heiligen, beide Geschlechter abwechselnd, oben und unten aber an jeder Reihe ein Erzengel, jedes Bild sechszehn Fuß hoch stehen. In den beiden Nischen neben beim Haupteingang stehen der heilige Philipp und der heilige Ludwig, in der Mauer der Ostseite die vier Evangelisten. An den Thorflügeln des Haupteinganges, von getriebenem Kupfer, wollte man wenigstens in den Dimensionen die berühmten florentinischen Thüren[147] von Guiberti übertreffen. Weiter jedoch, als zu dieser Ueberflüglung des Maaßes, konnte es unsere Zeit bei allen ihren Mitteln nicht bringen. Diese Thüren haben eine Höhe von zehn Meter, auf eine Breite von fünf, und stellen die zehen Gebote vor, ohne Frage meisterhaft ausgeführt. Eine unterirdische Heizung verbreitet gleichmässige Wärme von 10-12 Grad durch den ganzen Raum.

Der innere Reichthum an Marmor, Vergoldung, Farben, Gemälden und Standbildern von den vorzüglichsten Meistern ist blendend. Das Gemälde der Absis verdient Bewunderung wegen seiner reichen Composition, welche einen Zeitenlauf von achtzehn Jahrhunderten zu einem großen Gesammtbild zusammenfaßt, und damit in unendlicher Mannigfaltigkeit den Ausdruck aller Völkerstämme, die Einfachheit der Glaubensheroen mit dem Reichthum der Prunkgewänder der obersten geistlichen und weltlichen Herren in reichem Wechsel vereinigt. Christus auf dem Thron, das Zeichen des Heils in der Hand, Magdalena, durch gewährte Sündenverzeihung getröstet zu seinen Füßen, bildet den hochgestellten Mittelpunct, um welchen in engerem Kreise die Apostel und Evangelisten sich schaaren. Zur Rechten reihen Constantin, die ersten Märtyrer und die vornehmsten Kirchenväter sich an. Dann kommen die Päpste Urban, und Eugenius, der heilige Bernhard und die Kreuzfahrer, besonders hervortretend unter diesen der heil. Ludwig und Gottfried von Bouillon; mit vielen Andern sind auch Venedigs bejahrter Doge, Heinrich Dandolo, und der Geschichtschreiber von Constantinopels Eroberung, Gottfried von Villehardouin, nicht vergessen. Bis zu den Griechenkämpfen der neuesten Zeit und Missolunghis letztem Gebet wenden sich die Gruppen dieses Halbkreises hinab zu der Mitte. Links von dem Erlöser steht eine andere Schaar von Blutzeugen und Heiligen beider Geschlechter; unter diesen die heil. Katharina und die heil. Cäcilia, in dunkler Wolke hinter ihnen der irrende Jude mit Reisetasche und Stab. Dann folgt Clovis mit seinen Kriegern und der heilige Vaast mit dem Kreuz, sie lehrend, Remigius,[148] die Taufe spendend, ob ihrem Anblick eine Druidin im innerem Grimm von dannen fliehend. Weiter sitzt Carl der Große, dem ein Cardinal den Krönungsschmuck, ein saracenischer Botschafter den Schlüssel zum heiligen Grab bietet. Alexander III legt den Grundstein zu Unserer Lieben Frauen Kirche von Paris, neben welchem Friedrich der Rothbart und der Doge von Venedig an Herstellung der Einigung zwischen Kirche und Reich erinnern. Mit diesen sind Otto von Wittelsbach, der Bayernfürsten Stammvater, und Johanna d'Arc Gegenbilder zu der Gruppe der Kreuzfahrer, und Dante, Raphael und Michael Angelo deuten auf die Beziehungen der Künste zu der Kirche. Der Mitte zu wendet sich Heinrich IV, wie er in die Kirche zurückkehrt, und Ludwig XIII, wie er der heil. Jungfrau die Krone anbietet, Richelieu neben ihm. Bonapartes Krönung durch den Papst, der Bischof von Genua mit dem Concordat und zwei Cardinäle schliessen die Bilderreihe auf dieser Seite.


Ob man die französische Geistlichkeit von dem Standpunct ihrer kirchlichen Verrichtungen, oder von demjenigen ihrer übrigen Amtsthätigkeit, ob man sie von demjenigen ihres Wandels oder ihrer Regsamkeit in Förderung christlich-wohlthätiger Zwecke betrachte: im allgemeinen wird man nicht verkennen, daß sie aus den Stürmten und Wirbeln der Revolution, aus schweren Verfolgungen und bittern Leiden geläutert, würdiger und von ihrer hohen Bestimmung durchdrungener hervorgegangen seye. Schon in dem Umstand, daß die Blätter, welche gegen dieselbe, gegen ihr Wirken und gegen die Kirche unablässig knurren, wie der Constitutionel und einige andere, wenn es ihnen gelingt, irgend ein Histörchen aufzutreiben, wobei ein Geistlicher in unehrenhaftem, selbst schlimmem Lichte erscheint (und wer wird darüber erstaunen, daß unter einem so zahlreichen Stande dergleichen etwa Einmal vorkommt!), so heißhungrig darüber herfahren, daß sie dann seiner gar nicht los werden können; daß[149] sie es in allen Formen und mit allen Zuthaten und unter allen Wendungen eine Zeitlang auftischen, schon darin liegt ein genugsamer Beweis, wie dergleichen in Menge nicht vorkomme; denn sonst würde man nicht so eifrig Jagd darauf machen, würde man wenigstens schneller zu Neuem übergehen und nicht über dem Schalkssinne die Gefahr, zu langweilen, unberücksichtigt lassen.

Hat der Kampf um Unterrichtsfreiheit die Augen über die letzten Zwecke so Vieler, die für die bisherigen Beschränkungen mit Bitterkeit und Hitze in die Schranken getreten sind, heller geöffnet; hat die Taktik derselben, die Geistlichkeit nach Maßgabe ihrer äußern Rangordnung zu entzweyen, und die Pfarrer von den Bischöfen zu trennen, in das Entgegengesetzte umgeschlagen und jene Einigung hervorgerufen, ohne welche weder die Wirksamkeit der Geistlichkeit eine wahrhaft gedeihliche, noch ihre Stellung eine würdige und gesicherte seyn kann; so laßt sich hievon noch eine andere, nicht minder ersprießliche Folge erwarten, nemlich die fortgehende Abschwächung des vorhandenen Restes des sogenannten Gallicanismus. Daß derselbe nach dem Anbau, welchen die Kirche auf Frankreichs Boden wieder gefunden, und nach den Erfahrungen, welche sie in dieser ersten Zeit zwar unter dem Schild, aber auch unter dem Schwert des glücklichen Kriegers gemacht hatte, für viele Geistliche aller Abstufungen dennoch wieder Geltung gewinnen konnte, muß um so mehr befremden, je weniger derselbe seinem Ursprung und Wesen, seiner Tendenz und Wirkung nach gebilligt werden kann. Erzeugt aus einem Conflict der weltlichen Macht mit der geistlichen, und genährt durch das Bestreben, mittelst Beschränkung der Rechtssphäre der letztern die eigene zu erweitern, waltete derselbe lange Zeit ausschließlich zwischen Beamtenwelt und Kirche. Die seltsame Verbindung der weltlichen Macht und des geistlichen Ansehens in Frankreich zu Behauptung eingebildeter Freiheiten, die gewissermassen wider das Oberhaupt des letzteren geschlossen ward, tritt in der ersten Zeit, da man von gallicanischen Freiheiten sprach, noch nicht[150] hervor. Ich glaube, der Ausdruck selbst lasse sich nicht früher als im Jahr 1461, unter Ludwig XI., nachweisen und seye rein weltlichen, d. h. legistischen Ursprungs. Er kommt zu jener Zeit vor in den Remontrances faites au Roi Louis par sa cour de parlemente sur les libertés gallicanes. Schon dieses deutet darauf hin, daß vornehmlich die Rechtsgelehrten es gewesen seyen, welche unter jener Benennung den König antrieben, manche Befugniß gegen oder über die Kirche in Anspruch zu nehmen; gerade wie ebendieselben einst die römischen Kaiser zu Aehnlichem und noch Weitergehendem verleitet und dadurch jene Zerwürfnisse herbeigeführt hatten, welche Friedrich I. mit Alexander III. in Spannung, Otto IV. um die Reichskrone und Friedrich II. in den Bann brachten.

Die abenteuerlichste dieser sogenannten Freiheiten, – abenteuerlich, weil die Ueberschrift das Wort Freiheit hinstellt, das Capitel aber von Knechtschaft handelt, ist diejenige der appellatio ab abusu, ohne allen Zweifel von richterlichen Corporationen, die Alles sich unterwürfig zu machen bestrebten, ausgesonnen. Daß mit einem solchen Grundsatz jedes Kirchen regiment aufhören müßte, leuchtet alsbald ein. Am klarsten und kürzesten spricht sich über diesen Punct aus der selige Herr Erzbischof von Cöln in seiner Schrift: Ueber den Frieden unter der Kirche und unter den Staaten. Er sagt: »Ich halte die se Appellation für eine Erfindung, welche durch schlechte Gesinnung des Ungehorsams gegen den Papst und gegen die Bischöfe veranlaßt, diesen Ungehorsant sehr begünstigt, durch die Schwäche der geistlichen Obrigkeiten in praxi möglich gemacht, welcher, ein tiefer Eingriff in die Kirchengewalt und durch das Schwert der Staatsgewalt erzwungen, damals in Frankreich eingeführt worden ist.« Um übrigens jene sogenannte Freiheit de appellatione ab abusu nach vollem Verdienst zu würdigen, darf man sich nur Benthamts Definition in Erinnerung bringen. Ihm zufolge ist sie »eine Appellation, über was immer es seye, was, aus welchem Beweggrund immer es seye, wem immer es seye, mißfallen möchte;« also eine legistische[151] Berechtigung zu der maaß-und ziellosesten Fronderie. Daher das Augendrücken und Zunicken gegen diese gallicanischen Freiheiten und das Erheben derselben, gleich als einem zu Sieg und Ruhm führenden Banner, diesseits des Rheins nicht befremden darf.

Die ältern Vertheidiger dieser sogenannten Freiheiten, Peter Pithou, Jacob Gillot und Peter Du Pui, waren insgesammt Rechtsgelehrte, welchem Stand auch Peter de Marca angehörte, wiewohl dieser nach dem Tode seiner Frau in den geistlichen Stand trat und Bischof ward. Schrieb aber der Rechtsgelehrte de Marca sein Buch aus königlichem Auftrag, so nahmt es der Bischof Peter nach päpstlichem Willen zurück; denn wie wenig damals das französische Episcopat von jenen angeblichen Freiheiten etwas wissen wollte, zeigt das Sendschreiben, welches im Jahr 1639 gegen Dupuy in drei Bänden – de damnandis voluminibus inscriptis: Traités des libertés de l'eglise gallicane, erlassen wurde, und noch viel mehr, daß das Parlament den Druck dieses Sendschreibens untersagte. Ja zwölf Jahre später noch meinten die Bischöfe, man könnte diese angeblichen Freiheiten eher les servitudes de l'eglise gallicane nennen.

Die Sache gewann, unter Beibehaltung des früher in Umlauf gebrachten Wortes, eine durchaus andere Gestalt durch die bekannte Declaration des Clerus vom Jahr 1682. Unter welchen Veranlassungen, unter welchen Constellationen, aus welchen Beweggründen diese Erklärung hervorgieng, ist bekannt. Ob zwar die vier Artikel theils von selbst sich verstehen, und sogar in Rom nie in Abrede gestellt worden sind, theils in richtiger Anwendung auch dort schwerlich würden angetastet werden, wollte man dennoch Folgerungen daraus ziehen, welche mit dem Begriff von der Kirche, als eines unzertrennlichen und wohlgefügten Organismus, nicht vereinbar sind; daher sie auch damals schon (dieser und der noch gewichtigern Ursache wegen, sie nicht zur Standarde für ein Schisma werden zu lassen) nicht bloß von Rom verworfen, sondern in mehrern Landern bekämpft wurden.[152]

Der Gallicanismus, wie seit jener Declaration manche französische Bischöfe demselben gehuldigt haben, ist nicht sowohl den alten Parlaments-Arroganzen, als den nachherigen Emser-Punctationen, welche man hinwiederum die großgefütterte Tochter jener Declaration nennen möchte, enge verwandt. Die vier Punctatoren sprachen ebenfalls von Rechten und Freiheiten, aber bei Leibe nicht nach Unten, wo man deren wohl noch eher hatte verlangen mögen, sondern bloß nach Oben, wo Anspruch und Berechtigung nicht weiter gieng, als zu unzerrüttetem Zusammenhalten des Ganzen unumgänglich. Daß Frankreichs neuere Gesetzgebung unter Bonaparte auf stäte Einprägung jener vier Puncte drang, hierauf wenigstens Allem, was einen solchen Particularismus unterstützen und in den Ansichten fortpflanzen kann, mehr als hold sich erweist, selbst zur allgemeinen Doctrin ihn machen mochte, sollte doch zu dessen Würdigung ein bedeutendes Hauptelement darbieten. Fenelon sah gewiß richtig, und man dürfte dem in scharfer Bitterkeit geführten Streit eine gewichtige Einwirkung nicht absprechen, wenn er die französischen Bischöfe insgesammt zu ernstlichem Erwägen der Worte leitete, welche der große Erzbischof von Cambray damals dem Herzog von Chevreuse schrieb: »Es ist wahr, Roms Ansprüche gehen etwas weit; aber ich fürchte die Layengewalt ungleich mehr!«

Gallicanische Freiheiten im Munde von Bischöfen und Geistlichen, daneben die gegenwärtige Gesetzgebung in Kirchensachen, diese neben einander laufenden Begriffe gestalten sich zum Subject und zum Prädicat, welche bei richtiger Prüfung gegen jedes Zusammenfügen sich sträuben. Ich wenigstens vermöchte es nicht über mich, den Namen Freiheit einer Verordnung beizulegen, welche dem Geistlichen bei Geldbuße und Gefangenschaft von einem Monat bis auf zwei Jahre verbietet, ohne Zustimmung des Cultministers über religiöse Gegenstände mit dem Oberhaupt der Kirche in schriftlichen Verkehr zu treten. Ich begreife es nicht, wie das Wort Freiheit zu einer Bestimmung passe, welche die Kundmachung von Beschlüssen allgemeiner[153] Concilien (die ohne Frage für den wahren Katholiken bindend seyn müssen) der Prüfung und Bewilligung von Staatsräthen (die ja nicht selten Protestanten, Juden, selbst Atheisten seyn können) unterwirft. Ebensowenig vermochte ich einzusehen, was Bischöfe, welche dem Gallicanismus huldigen dürften, für eine Kirchenfreiheit in den Bestimmungen erblicken, daß ohne Berathung der Kammern und ohne Genehmhaltung der Könige kein religiöses Fest eingeführt, wo Bekenner eines andern Cultus sich vorfinden, außerhalb der Kirche keine Feyerlichkeit statt finden dürfe, über das Glockenläuten der Bischof mit dem Präfecten sich zu verständigen habe, als mir in den Beschränkungen bei der Wahl von Ehrenpredigern, bei dem Inhalt der Predigten eine solche einleuchtet. Es setzt ferner einen seltsamen Begriff von Freiheit voraus, dem geforderten Recht der weltlichen Gewalt, in die innere Verwaltung der Kirche, wann und für so lange es ihr beliebt, sich einmischen zu können, jenen Namen beilegen zu wollen. Welche Freiheit in dem Verbot liege, zu zurückgezogener Lebensweise und Gebet einen gemeinsamen Wohnort, ohne einer durch das Gesetz bereits ausgesprochenen Strafe verfallen zu seyn, nicht wählen zu dürfen, – darüber durch einen Geistlichen, der mit seinem Gallicanismus sich breit macht, eine befriedigende Erklärung zu erhalten, müßte sehr interessant seyn. Faßt man einerseits diese und ähnliche, von der Staatsgewalt ausgegangene Verfügungen ins Auge, fragt man sich anderseits, was wollen Geistliche mit dem Gallicanismus, wohin nimmt derselbe seine Richtung? so darf man kein Bedenken tragen, denselben eine höchst übelverstandene und über dem Graben des eigenen Grabes keuchende Fronderie gegen das Oberhaupt der Kirche zu nennen.

Nach den Erfahrungen, welche die französische Geistlichkeit in jener Zeit zu machen hatte, in welcher die Revolution erst noch sich bereitete; nach der Stellung, die ihr in dem Kaiserreich angewiesen war; nach den Wahrzeichen, woran sie sich die Absichten einer sehr strebsamen Parthei fortwährend werken kann; nach den nur allzu offen am Tag liegenden Entwürfen[154] der Universitätsherren in Betreff derselben wäre es sich um so mehr zu verwundern, wenn die Zahl derjenigen, welche immer noch dem Phantom der gallicanischen Freiheiten nachjagen, nicht zusehends sich verminderte, wenn der französische Clerus nicht immer mächtiger gezogen würde, aufs innigste und ohne schwächenden Vorbehalt an den Mittelpunct kirchlicher Einheit sich anzuschließen, mit welchem allein er stark und gekräftigt gegen jede Gefahr seyn wird. Sieht man, von welcher Seite, hier durch Insinuationen, dort durch Ordonnanzen, das Bestreben ausgeht, jenen Zusammenhang zu lockern, zu erschweren, zu zerreissen; faßt man Gesinnung, Stellung und Wesen derjenigen scharf ins Auge, die hiefür am regsamsten und nicht selten am erfolgreichsten wirken, so kann kein Zweifel mehr obwalten, daß das Divide in unablässigem und klar bewußten Hinblick auf das Impera angestrebt werde.


Neben der wildwüsten, neben der oberflächlich-gelehrten, neben der pantheistisch-antichristlichen Literatur gewinnt in Paris (und es ist in dieser Beziehung mit Frankreich beinahe gleichbedeutend) die gründliche und gediegene immer mehr Boden. In keinem Lande geschieht für Aufsuchung alter Geschichtsquellen, für Herausgabe der werthvollesten Materialien zur Landesgeschichte aller Zeit so viel, als gegenwärtig in Frankreich. Man muß der jetzigen Regierung, besonders dem Minister Guizot, gerechte Anerkennung wiederfahren lassen, daß von ihr zu Förderung so verdankenswerther Bestrebungen Anregung nach allen Seiten ausgeht, jene nicht nur den möglichsten Vorschub leistet, sondern auch mit ansehnlichen Hülfsmitteln immer bereit steht. Für Jenes liegt unter andern in der höchst ausgezeichneten Bibliothèque de l'ecole des chartes ein Beweis vor, für Dieses zeugen die mancherley Inedita, welche seit einem Jahrzehend in der königlichen Druckerei erschienen sind.[155]

Das Studium und die Behandlung der Geschichte haben in neuerer Zeit wieder ebensosehr an Ernst gewonnen, als dieselben in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts leichtsinnig dahin geopfert wurden. Thierry, Fauriel und andere, ihnen verwandte Forscher, wie als neuester Famin in seiner Geschichte der saracenischen Einfälle in Italien, stehen an Gründlichkeit und Genauigkeit den Deutschen in nichts nach, haben meist den Vorzug glatterer Form und gewandterer Darstellung. Hiedurch ist es ihnen möglich geworden, Freude an solidem Wissen allgemein anzuregen und Geschmack an dergleichen Geistesproducten hervorzurufen. Giebt es zwar noch Manche, welche einer gewandten Geistmacherei über Thatsachen und Zustände der Vergangenheit vor einer klaren Darstellung derselben nach den vorhandenen Denkmälern und den Zeugnissen der Zeitgenossen den Vorzug einräumen, so mehrt sich doch die Zahl derjenigen, welche mit jenem sich nicht mehr zufrieden geben. Die Zeit ist vorüber, in der man ganze Zeiträume mit ein paar Schlagwörtern, als näherer Erforschung unwürdig, beseitigen konnte. Man ergiebt sich jetzt nicht mehr darein, mit den Wörtern finster, fanatisch, ungebildet, dummgläubig das Mittelalter abgethan zu hören; man will in demselben sich umsehen, tiefer in dasselbe eingehen, unbefangen es würdigen. Deßwegen finden gründliche Forschungen und Darstellungen ausländischer Schriftsteller in Frankreich häufig ein größeres Publikum als selbst in ihrer Heimath. Daß sogar Damen solcher Lectüre sich zuwenden, gehört nicht zu den ungewöhnlichen Dingen.

Geschichtliche und wissenschaftliche Erörterungen über die Stellung der geistlichen und weltlichen Macht finden ebenfalls, wie ihre Bearbeiter, so verdiente Aufnahme und Würdigung. Auch da ist es für die tiefer Gehenden nicht mehr an der Zeit, jene als bloße Usurpation abzufertigen; man gesteht derselben eine rechtsgültige Realität zu, man will ihren Ursprung, ihr nothwendiges Bestehen nicht mehr verkennen. Des bereits vor ein paar Jahren erschienenen Werkes: du pouvoir des Papes [156] au moyen-âge, von Hrn. Gosselin, Director des Seminars von St. Sulpice, wurde von manchen urtheilsfähigen Männern mit vielem Beifall Erwähnung gethan; ebenso eines Werkes des Hrn. Abbé Rohrbacher, einst Professor in Löwen, jetzt Directors des Seminars zu Nancy: des rapports naturels entre les deux puissances. Dessen histoire universelle de l'eglise catholique wird als ein Werk gerühmt, auf welches Frankreich stolz seyn könne, da es von wesentlichen Gebrechen, an denen Fleury leide, sich ferne halte. An Umfang wird es der Kirchengeschichte des erwähnten Schriftstellers so wenig nachstehen, als an gelehrter Quellenforschung; seiner Anlage nach dürfte es aber mit dreissig Bänden kaum vollendet seyn.

Auch die gegenwärtigen Zustände der Kirche finden ihre Darsteller, Bearbeiter, Berichterstatter, welche mit der vollesten Sachkenntniß und hellen Blickes in die Gegenwart hinein, in die Zukunft vorwärts schauen. Zu den Erstern darf ich mit Recht zählen den Verfasser des durch sein Detail von Thatsachen der Gegenwart und durch seine Kenntniß der Verganheit höchst berücksichtigenswerthen Werkes: »Die Leiden und Verfolgungen der ka thol. Kirche in Rußland4 gegenwärtig in Paris lebend, mit dem in Rußland herrschenden Geist und den durch denselben eingegebenen Verfolgungsmaßregeln aber vertrauter, als vielleicht manche in hoher Stellung daselbst Dienende. Von den Andern nenne ich den Abbé Vedrine, von welchem gerade während meiner Anwesenheit erschienen ist: Simple coup-d'oeil sur les douleurs et les espèrances de l'eglise aux prices avec les tyrans des consciences et les vices du dix-neuviême Siécle. Was jenes Werk ausführlich in Bezug auf ein einziges Land, von welchem der Nothschrei zu dem Himmel und über die ganze Erde dringt, leistet, das leistet das eben genannte überblicklich über alle Länder Europas,[157] hält sich hierin aber (wie billig) vornehmlich bei Frankreich auf. Dasselbe böte zu dem, was ich über die Universität bemerkt habe, eine reiche Nachlese. Als Beleg, daß meine Mittheilungen über sie weder einseitig, noch mein Urtheil ungerecht seye, führe ich den Anfang des 6ten Capitels von Hrn. Vedrine's Schrift an, welches, von dem Verhältniß der Universität zu der katholischen Religion handelnd, so beginnt: »Der gefährlichste Feind des Glaubens in Frankreich, ein Feind, welcher unmerklich, aber gewiß dessen Zukunft in unserm Lande aufs Spiel setzen und demzufolge die Gesellschaft in Frankreich und dessen Nationalität vernichten muß, die auf den Katholicismius gegründet ist, durch den dieselbe ins Leben gerufen und so lange Jahrhunderte hindurch erhalten worden, ist die Universität, mit der furchtbaren, einflußreichen und zerstörenden Macht, die ihr verliehen ward.« Man könnte dieses kurze Capitel den Text nennen, wozu Hrn. Desgaret's ausführliche Schrift die Noten und Beweisstellen liefert. Wollte man aber rufen: abermals ein Geistlicher, auch hic niger est, tu caveto, so fordere ich jeden urtheilsfähigen Leser auf, zu lesen, zu prüfen, zu widerlegen, wenn er im Stande ist. »C'est presque un phénomène qu'un homme sincèrement catholique dans l'université, rara avis,« sagt er. Hier liegt der Handschuh, wer ist so keck, denselben aufzunehmen?

Unter den macherlei Prachtwerken, welche in Paris erscheinen und gewöhnlich bloß dem Luxus, der Unterhaltung, oder der bloßen Bilderlust dienen, verdient eines hervorgehoben zu werden, welches, durch die zierlichste topographische und artistische Ausstattung sich empfehlend, zugleich die scharfsinnigsten Untersuchungen über den tiefen Sinn christlicher Kunstgebilde in einem staunenswerthen Aufwande von Gelehrsamkeit durchführt. Es ist dieß das Werk: Vitraux peints de Saint-Etienne de Bourges von Art. Martin et Ch. Cahier Prêtres (aus der Congregation der Pères de le Foi). Ein Heft dieses Werkes führt den besondern Titel: sur quelques points de zoologie mystique dans les anciens vitraux [158] peints. Der erste Abschnitt desselben handelt von dem Pelikan, als christlichem Symbol. Da werden alle Aussagen der Griechen und Römer, der Kirchenväter beider Sprachen, der Schriftsteller des Mittelalters, gelegentlich auch Neuere (selbst der Göttinger Beckmann, qui saisit cette occasion de jeter la pierre aux ecrivains mystiques – in seiner Ausgabe des Aristoteles, L. de Mirabilibus ist nicht übersehen) mit seltener Belesenheit zusammengetragen, abgehört, hierauf der Beweis gegründet, daß der Pelikan als Symbol der Eucharistie nicht vor dem 15ten Jahrhundert (als mit seinem eigenen Blute die Jungen nährend), sondern ursprünglich als Symbol der Wiederbelebung (Auferweckung von den Todten) durch das vergossene Blut Jesu Christi in den christlichen Bilderkreis seye aufgenommen worden. Alle Schriftsteller bis auf Albert den Großen hinab halten nicht an dem Nähren der Jungen durch das Blut des Pelikans, sondern daran fest, daß dieselben durch die Alten vom Tode wieder erweckt werden. Wie so der Tod als die Wiederbelebung erfolge, hierin allein weichen sie von einander ab, und zwar nach folgendem Schema:


I. Der Tod. Ursache.

A. Die Eltern.

a. Der Vater; aus Strenge.

Der heil Eustathius; Bruno; Peter Damiani; Hugo; der falsche heilige Thomas.

b. Die Mutter

Der heil. Epiphanius.

c. Unentschieden, welches.

D. h. Gregor der Große, Isidor, Beda, die Glosse, Remigius von Auxerre, Honorius von Autun.

B. Eine Schlange.

a. Aus der Ferne, durch Ausspritzen des Giftes.

Eusebius, Glykas, der falsche Hieronymus, Johan von St. Geminiano.

b. Durch Biß.

Albert der Große.
[159]

II. Die Wiederbelebung.

A. Deren Art.

a. Durch vergossenes Blut.

Eustathius, Augustin, Gregor der Große, die Glosse, Peter Damiani, Albert der Große, der falsche Thomas, Johann von St. Geminiano.

b. Durch wiederholten Flügelschlag.

Eusebius, Beda, Glykas, der falsche Hieronymus.

B. Urheber der Wiederbelebung.

a. Die Mutter.

Augustin, Eustathius, Gregor der Große, Peter Damiani, Albert der Große, Johann von St. Geminiano.

b. Der Vater.

Eusebius, Glykas, Epiphanius.

c. Unentschieden.

Isidorus, Remigius von Auxerre, die Glosse, Honorius von Autun, Bruno.


Man findet daher in den ältern bildlichen Darstellungen den Pelikan immer in Verbindung mit der Kreuzigung. Die Verfasser dieser Abhandlung glauben, die spätere symbolische Vorstellung lasse sich aus dem ableiten, was Horapollus in seinem Hieroglyphicis, von welchem Werk während eines Jahrhunderts nach der aldinischen Editio princeps (1505) achtzehn Auflagen aus Licht traten, über den Geyer sage, der in Ermanglung anderer Nahrungsmittel die Jungen mit seinem Blut nähre.

Ein Fenstergemälde in St. Johanniskirche zu Lyon stellt die fünf Hauptmysterien des Lebens des Erlösers dar, umgeben mit Medaillons, auf welchen typische oder symbolische Bilder sich zeigen. Auf einem derselben sieht man eine Menschengestalt in unverkennbarem Zustande der Schwäche; ein Vogel reckt den Hals, als wollte er seinen Kopf auf ihre Kniee legen, ein gleichgestalteter aber schwebt in der Luft und blickt auf beide hin; die Darstellung trägt die Inschrift chladrius.[160] Nun werden die Aussagen des alten Bestiaire de l'arsenal, eines ähnlichen, in Reimen verfaßten Werkes Johanns von Vitry (in Gesta Dei per Francos), Alberts des Großen, Vicenzens von Beauvais, andere Schriftsteller jener Zeit über den Vogel, den sie caladre, calandrius, nennen, vernommen. Derselbe ist ein weisser Vogel, ohne den mindesten schwarzen Fleck. Wird er einem Kranken nahe gebracht, so zeigt er an, ob dieser leben oder sterben werde. Ist's das Letztere, so wendet der Vogel von dem Kranken den Blick ab, ist's das Erstere, so blickt er ihn an, legt seinen Kopf auf ihn, zieht hiedurch die Krankheit in sich und fliegt der Sonne zu. Nachdem auch hier die Stellen der Alten und der Kirchenvater citirt und die verschiedenen Meinungen über das Thier selbst, in welchem solche wunderbare Eigenschaft sich befindet, berührt worden, wird die Deutung des Symbols gegeben: Christus, der zu uns hinabsteigt, um unsere moralische (Sünde) und physische (Tod) Schwachheit hinwegzunehmen. – Mit gleicher Gelehrsamkeit wird dann noch von dem Einhorn gehandelt.


Da ich hier von ausgezeichneter Gelehrsamkeit spreche, darf ich wohl eines Werkes Erwähnung thun, welches eine staunenswerthe Belesenheit auf jeder Seite eines Umfanges von eilf Bänden an den Tag giebt. Zwar gehört es weder seinem Verfasser, noch seiner Sprache nach der französischen Literatur an; ich berühre es nur deßwegen, weil Jener zu Paris sich aufhält und die Bekanntschaft mit ihm und seiner Familie zu den freundlichsten Erinnerungen gehört, die an meinen Aufenthalt in jener Weltstadt sich knüpfen. Außerdem möchte ich glauben dürfen, das Werk, welches in England solches Aufsehen erregt hat, daß die ersten Bände um keinen Preis mehr aufzutreiben sind, welches jetzt in Amerika stereotypirt wird, und dessen Ertrag von dem Verfasser zu mancherlei kirchlichen Zwecken bestimmt worden ist, möchte in Deutschland so viel als gar[161] nicht bekannt seyn. Es hat den Titel: Mores catholici, or ages of faith. Verfasser desselben ist Hr. Kenelm Henry Digby, Esq.

Bevor ich aber auf das Werk eingehe, muß ich der Katastrophe erwähnen, welche Hrn. Digby England zu verlassen und seinen Aufenthalt zu Paris zu nehmen, wenn nicht genöthigt, so doch veranlaßt hat. Hören wir unsere Redner, Schöngeister, Versmacher, Zeit- und Zeitungsschriftsteller und all das Volk, welches als Claqueurs im Foyer des Jahrhunderts sich zusammen findet, um die Autoren und Histrionen des angeblichen Fortschrittes zu beklatschen, dann sollten wir meinen, so breit, warm und fest in dem zu sitzen, was sie Civilisation nennen, daß wir billigermassen uns nicht genug wundern dürften, wie aus den Ungethümen des abgewichenen Jahrhunderts ein so wohlgezogenes, feingesittetes, glattgeschliffenes Geschlecht habe hervorgehen können; und als griesgramig und brummig und querköpfig müßte Jeder sich anfahren lassen, der nur den Schein eines Zweifels sich erlauben wollte. Was könnte aber einer dafür, wenn z.B. der Auftrit zu Karlsruhe am 5. September 1843 ihm König Richards I. von England Krönungstag unwillkürlich in Erinnerung gebracht, ihn also tief in das finsterste Mittelalter hinein versetzt hätte; wenn das, was bloß fünfzehn Tage später wider die Juden zu Heidelberg sich ereignete, Anderes, was seitdem an andern Orten sich zugetragen hat, ihm die Frage aufzwänge: hat unsere Zeit vor jener so viel mehr zum voraus, als einzig das etwas wirksamer gewordene Compelle der öffentlichen Gewalt? In Hrn. Digby's Begebniß liegt Stoff zu einer ähnlichen Frage.

Hr. Digby und seine Familie sind lebendigwarme Glieder der katholischen Kirche. Sie bewohnten ein schönes Landhaus, Springfield-House, in der Nähe von Southamton. Begütert, mild, hülfreich, hatten die Armen der Umgebung in ihnen Wohlthäter, die ungetröstet Niemand von sich ließen. Doch wenn ein Fremder des Weges zog, säumte man nie, ihm mit bedenklicher Miene zu verdeuten: hier wohne eine katholische[162] Familie. Prediger der verschiedensten Glaubensmeinungen ergiengen sich auf den Kanzeln des benachbarten Southamton zum öftern in sehr ungeziemenden Ausdrücken über die katholische Religion und deren Bekenner. Am Neujahrstage des Jahres 1842 kam der durch seinen sonderbaren Wankelmuth bekannte Hr. Sibthorp, der kurz zuvor zu dem katholischen Glauben sich bekannt hatte, zu der Familie Digby auf Besuch. Am folgenden Tage (Sonntag) spielte einer jener Prediger auf dessen Rückkehr in die Kirche an, mit dem Bemerken, diesen Morgen habe er in der katholischen Capelle zu Southamton das Abendmahl empfangen. Während die Familie des Morgens dem Hochamt, Abends der Vesper beiwohnte, zeigte sich eine verdächtige Person spähend zweimal in dem Hause. Ein katholischer Handelsmann bemerkte Abends einem Freund: »Er wünsche, daß jener Besuch für die Bewohner von Springfield-House glücklich ausfallen möge.« Amt Montag reiste Hr. Sibthorp wieder ab. In der gleichen Nacht einer der kältesten des ganzen Winters – um zwei Uhr des Morgens, erwachte ein Bedienter und sah das Haus in vollen Flammen; kaum blieb ihm noch so viel Zeit, um seinen Herrn aufzuwecken. Hrn. Digby's Gattin und Schwiegermutter mußten sich in möglichster Hast aus dem Bette flüchten, die kleinen Kinder durch die strenge Kälte in entlegene Häuser gebracht werden. Das Feuer verbreitete sich mit solcher Schnelligkeit nach allen Seiten, daß außer einigem Silbergeräthe nichts sich retten ließ. Während die Flamme noch wüthete, richteten Unbekannte an Einzelne aus Hrn. Digby's Gesinde die auffallende Frage: ob Hr. Sibthorp noch anwesend seye? Nicht zu übersehen ist, daß das Feuer an einer Stelle ausbrach, an welcher weder Kamin, noch Heerd, noch sonst Etwas sich befand, was die Vermuthung einer Verwahrlosung oder eines unglücklichen Zufalls hätte unterstützen können; auch bezeugten nachher die Polizeimänner, sie wären keine volle Stunde früher an dem Hause gewesen, hätten nicht die mindeste Spur von Feuer wahrgenommen, wohl aber bei ihrer Annäherung zwei Männer[163] davon laufen gesehen. Angestellte Nachfragen führten aber auf keine Spur, an welche eine Untersuchung sich hätte knüpfen lassen.

Nun von Hrn. Digby's Werk. Es war ein eigenthümlicher Gedanke, dasselbe nach den acht Seligkeiten (Matth. VI) einzutheilen. Der Verfasser legte dabei die Idee zum Grunde, nachweisen zu wollen, wie diese Seligkeiten, wenn je hienieden auf Erden, zur Zeit des Mittelalters die Menschen beglückt hätten. Hiezu hat er einen unermeßlichen Reichthum von Thatsachen aus den gesammten schriftlichen Ueberresten jener Jahrhunderte zusammengebracht. Er hat nicht allein die Sammlungen von d'Achery, Martene, Muratori, Leibnitz, Petz u. A., nicht allein die Italia sacra, die Gallia sacra, Waddings Annalen, die Werke eines Bernhard, Peters des Ehrwürdigen, Ruperts von Deutz, Peters von Blois u. v. a. Schriftsteller jener Zeit, sondern diejenigen fast aller Länder, die zu seiner Aufgabe in etwelcher Beziehung standen, wie Görres Mystik, Höcks Sylvester, Staudenmaiers Scotus, Jäcks Gallerie der vornehmen Klöster Deutschlands, Arx Geschichte von St. Gallen, die Chronik von Einsiedlen, diejenigen anderer Klöster, dann die besondern Geschichten französischer Bisthümer, viele Breviere, einen großen Theil des Asceten gelesen, durchforscht, unermeßlich viel zu seinem Zweck Dienliches zusammengetragen. Mit der glücklichsten Anwendung führt er daneben eine Menge Stellen aller griechischen und römischen Classiker, der Kirchenväter, der englischen Dichter an. Selten findet man eine Seite, deren Inhalt nicht auf dem Zeugniß von drei, fünf, selbst noch mehr Schriftstellern beruhte.

Es lohnt sich wohl der Mühe, einen nähern Ueberblick des reichen Inhalts von wenigstens ein paar Bänden zu geben. Der neunte Band beginnt mit der VI. Seligkeit: »selig sind die Friedfertigen«. Hr. Digby zeigt, wie in jenen Jahrhunderten, wenn auch des Grundes und der Erscheinungen von Unfrieden genug vorhanden gewesen, Liebe und Neigung zum[164] Frieden alle christlich Gesinnten dennoch wahrhaft durchdrungen habe, der Krieg als Ausgeburt des Teufels angesehen worden seye. So viele Gebete und Hymnen aller Breviere sprächen den Preis des Friedens aus, so wie auf dessen Erhaltung oder Herstellung Päpste, Bischöfe, Geistliche und Religiosen bei jeder Gelegenheit eingewirkt hätten. Wie viele Burgherren dagegen, von wildem Geist und von Raubsucht getrieben, der Fluch ihrer Umgebung wurden, wird nicht verschwiegen, eine lange Reihe von dergleichen Thatsachen aufgezählt, und aus den Berichten hierüber, aus den Namen, welche jene Ruhestörer gewannen, aus den Sagen, die an ihr Ende sich knüpften, der entschiedenste Abscheu gegen solche Gesinnung und Thun nachgewiesen; worauf das letzte Capitel dieses Bandes eine Galerie gefeyerter Friedensstifter aller Geschlechter, Rangstufen und Stände der menschlichen Gesellschaft aufführt.

Der zehnte Theil beginnt mit den Worten aus Jesajas XXXII: Sedebit populus meus in pulchritudine pacis, in tabernaculis fiduciae, et in requie opulenta. Der Innhalt desselben besteht darin, darzuthun, wie in dem Glaubenszeitalter jene Worte an den Klostern buchstäblich in Erfüllung gegangen seyen. Das erste Capitel giebt einen Ueberblick des Zeitalters des Glaubens in Beziehung seiner Liebe zum Frieden, und bildet den Uebergang zu den Klöstern; – deren allgemeine Verbreitung Beweis friedlicher Gesinnung; Aufzählung der berühmtesten Gotteshäuser; Darlegung, daß die Mönche Männer des Friedens gewesen; daher, als wesentliche Ergänzung des im 9. Bd. Begonnenen, ein allgemeiner Ueberblick über die Kloster – II. Beantwortung der Frage im allgemeinen: was war das Mönchsleben? – III. Kurzer Aufschluß über die Frage: was nützten die Klöster? – IV. Besuch in einem Kloster; liebliche Lage, zu friedlichen Eindrücken geeignet; Vorzüge solcher Belegenheit; die Mönche liebten Berge, Eilande, Wälder, überhaupt Schönheiten der Natur, welche sie zu heiligen sich bestrebten. – V. Der Besuch fortgesetzt und durch Erzählung des Ursprungs einiger Klöster erläutert.[165] Eintritt in die Abtei. – VI. Beschreibung der klösterlichen Gebäude; der Thorgang, die Werkstätten, Gärten, Stallungen. Aufschluß über die Befestigung einiger Klöster; baukünstlerische Schönheit; Einfachheit und Armseligkeit in den ältesten Zeiten. Das Refectorium, die Räume für Gastfreundlichkeit; Wohlwollen gegen Fremde; innere Ausschmückung, Malerei, Bilder, Innschriften. – VII. Kirchenschätze, Edelsteine, edle Metalle, heilige Gefässe, Alterthümer, Bücher, Reliquien. – VIII. Die Kirche. Eigener Eindruck der Klosterkirchen; Charakteristik derselben; geordneter Gang des Gottesdienstes; Vortheile hieraus für das Volk. Die Grabmäler, deren merkwürdige Menge in den Klosterkirchen. – IX. Die Büchersammlungen; Bemerkungen und Nachrichten darüber; das Schreibzimmer; Verwendung der Mönche zum Bücherschreiben; die Schulen; geschichtliche Nachrichten über sie; Bemerkungen über die Universitäten und deren Beziehung zu jenen. – X. Klosterzucht; wesentlicher Bestand derselben; äussere Observanz; Gehorsam, Kleidung, Fasten, Schweigen, Nachtwachen, Studien, Handarbeiten. – XI. Bisweilen nöthige Reformen. Ursprung der Mißbräuche; Einfluß der Welt; Dazwischenkunft der weltlichen Gewalt. Königliche Gefängnisse in einigen Klöstern. Zeugnisse alter Schriftsteller über grosse Heiligkeit der Klöster im Mittelalter. Allgemeine und besondere Nachweisungen. – XII. Die Besucher der Abteyen; welcher grossen Vorgänge dieselben Zeugen waren; Bezeichnung der verschiedenen Arten von Gästen; Einige gekommen, um hier ihr Lebensende zu erwarten, Andere, um den Schrecknissen des Krieges zu entgehen, Andere, um Seelenfrieden zu suchen. – XIII. Die Bekehrten. Der Beruf der Menschen zu dem Mönchsleben in dem Glaubenszeitalter, dargethan aus Berichten der Mönche und aus Erzählungen denkwürdiger Bekehrungen. – XIV. Die klösterliche Gemeinschaft im allgemeinen; besondere Eigenschaften des klösterlichen Charakters. – Einfalt, Liebereichthum, Wohlwollen, Freigebigkeit, Mitleid. Opposition der Religiosen gegen den literarischen und socialen Charakter[166] weltlicher Schriftsteller, Philosophen und Politiker. Bemerkungen über das Erinnerungsvermögen und hohe Alter in den Klöstern. Die Einheit und Selbstständigkeit des klösterlichen Wesens; seine zarte Frömmigkeit, – XV. Die klösterlichen Beschäftigungen. Beweis, daß die Mönche nicht müssige Menschen waren; Unterschied zwischen Nichtsthun und der Fähigkeit, wie dem Verlangen, heiliger Musse zu geniessen. Thätigkeit der Mönche als Glaubensboten, als Befreyer von Gefangenen, als Diener des öffentlichen Wohls in Zeiten des Elends. Landbau und öffentliche Werke. Mönche als Dichter, Musiker, Maler. – XVI. Umgang in dem Kloster. Asketische Weisheit der Mönche; Mysticismus; Erzählung wunderbarer Begegnisse; Gesichte; vertrauliche Gespräche und Erlebnisse von Mönchen. – XVII. Der Frieden des Klosterlebens. Zeugnisse der Mönche; freundschaftliche Verbindungen in und ausser dem Kloster; Anhänglichkeit an Celle, Haus und Orden; Zeugnisse innern Friedens aus Klostertagebüchern. Die Mönche des einen Ordens liebten und ehrten diejenigen des andern. Friede und Liebe zwischen Klostergeistlichen und Weltgeistlichen; Unterbrechung dieses Einklangs sind Ausnahmsfälle. Lobsprüche der Bischöfe über die Orden. Erklärung der Exemtionen. Abneigung gegen die Orden mit christlichem Glauben unvertragsam. – XVIII. Einfluß der Orden. Mönche, Freunde der Armen; ihre Dienste gegen Grosse und die gesammte menschliche Gesellschaft. – XIX. Blick auf die Urkunden, um die Quellen klösterlichen Reichthums aufzudecken. Beweggründe der Stifter und Wohlthäter. Klöster, Mittel der kirchlichen Gesellschaft und des staatlichen Friedens. Ihre Stifter gehörten zu den Friedfertigen. Schluß: daß in den Klöstern die Welt den Typus des Friedens erkennen könne. – XX. Abschied vom Kloster; Einkehr bei den Einsiedlern; Einsiedler in den ältesten Zeiten; Lagen, in denen sie gewöhnlich ihr Leben zubrachten; ihre Lebensweise; Verwendung und Dienst für die Kirche; ihr Friede mit allen Geschöpfen. Ihr Herabsteigen von den Bergen zu Auftritten, von denen das nächste Buch handeln wird,[167] zeigt ein glaubensvolles Erdulden von Verfolgung für die Sache der Gerechtigkeit.

Die achte Seligkeit lautet: »Selig sind, die der Gerechtigkeit wegen leiden.« Hievon handelt der eilfte und letzte Band. Derselbe ist eine Darstellung des Martyrthums nach allen seinen Beziehungen; freilich nicht in jener verkehrten Weise, in welcher der kriegschnaubende Zwingli den verdienten Tod fand, oder in derjenigen, in welcher der waldensische Pfarrer und Kriegsoberste Arnaud unter Anfeurung zu Niedermetzlung der Feinde von dem Marterthum seiner Meinungsgenossen spricht; denn causa, non poena, sagt der heilige Augustin, martyrem lacit. Heiden, Mahomedaner, Juden, Manichäer unterwarfen, wo sie konnten, auch im Mittelalter noch die Christen dem Martyrthum; oft konnte treue Befolgung der kirchlichen Vorschriften, Festhalten an der Gerechtigkeit ihm nicht entgehen, boten Legisten, würdelose Priester, Blumenschen den Königen zu Werkzeugen desselben sich dar. Merkwürdig bleibt die, durch alle Jahrhunderte und unter allen Gegnern der Kirche vorkommende Erscheinung der Einigung der Getrennten zu Haß und Widerstand gegen die Kirche, herab von den Sadducäern und Pharisäern, von Herodes und Pilatus, bis auf Hengstenberg und Bretschneider. Schon der heilige Ambrosius sagt: »Die Ketzer werden unter sich nie einig, nur gegen die Kirche sind sie es. Das sind die Gegner des katholischen Glaubens, unter sich zwar getheilt, geeinigt aber in einer gemeinsamen Verschwörung gegen die Kirche Gottes.« Als der heilige Franz Xaver in Japan vor den Bonzen das Christenthum predigte, waren diese in acht Parteyen getheilt, in endlosem Hader standen sie einander gegenüber; bald aber vergassen sie ihres Streites und stemmten sich vereint gegen die Glaubensbotschaft. Aehnliches bemerkt Clarendon von seiner Zeit; umbra protegit umbram. Wie unter blutdürstiger Verfolgung das Reformationswerk eingeführt, gefestigt ward, wird in dem Buch auch nicht übergangen. – Am schönsten spiegelt sich des Verfassers klarer, milder Sinn ab in dem[168] Epilog, der vornemlich an seine Landsleute gerichtet ist. Er schließt sein Werk mit Rathers von Verona Worten (unter kleiner Namensänderung):


Qui cœpisse librum dederas, finire dedisti,

Cunctipotens, famulo dando rogata Tuo;

Hunc ego Kenelmus pro Te quia ferre laborem

Suscepi, probra Christe dilue mea.


Da ich einige Bruchstücke über wissenschaftliches Thun und Bestreben, vornehmlich in Beziehung auf die katholische Kirche, hier mitgetheilt habe, kann ich die große Anstalt, welche der Abbé Migne auf Montrouge, am äussersten Saum des Boulevard d'Enfer, gegründet hat, nicht unerwähnt lassen. Sein Vorhaben, von welchem ein bedeutender Theil schon in Wirklichkeit übergegangen ist, ist kein geringeres, als die Hauptwerke der Schriftsteller in allen Zweigen der theologischen Wissenschaften aus allen Ländern in grossen Sammlungen zu vereinigen und durch mäßige Preise deren Anschaffung, sey' es nun als vollständige Sammlung, oder die bedeutendern Werke gesondert, Jedem möglich zu machen. So sind bereits erschienen der Cours complet d'Ecriture Sainte und der Cours complet de theologie, jeder in 27, zwar mit möglichster Raumersparniß, dennoch aber sehr anständig und auf gutes Papier gedruckten Quartbänden. Der erste dieser Curse umfaßt neben der heiligen Schrift die bewährtesten Exegeten und Hermeneuten, der andere die Dogmatiker, Beide die vollständigen Werke von 270 Autoren, mit der Biographie eines jeden derselben. Die Aufnahme der einzelnen Werke erfolgt immer mit Zustimmung von Bischöfen und Theologen, und eine Gesellschaft von Pfarrern und Seminardirectoren besorgt den Abdruck. Man findet z.B. im Bd. XXVI des Cours de theologie: Zanolini disputationes de festis et sectis Judeorum: Benedictus [169] XIV. de festis etc.; Assemani de ritibus sacris; Peronne de transsubstantiatione et reali praesentia Christi in Eucharistia; Du Pin methode pour etudier la theologie, nebst mehrern andern Werken; im Bd. XXVII: Molanus de historia SS. imaginum; Zaecaria Antifebronius vindicatus.

Eine andere, ungleich grössere Sammlung soll sämmtliche griechische und lateinische Kirchenschriftsteller, von den apostolischen Vätern an bis in das XII. Jahrhundert, in 300 ähnlichen Bänden umfassen. Davon waren damals die Werke des heil. Augustin (15 Bd.), des Johannes Chrysostomus (bereits 9 Bde), des Hieronymus, alle nach den besten Ausgaben, entweder schon ganz oder wenigstens zum Theil vollendet. – Eine andere Sammlung, von der acht Bände die Presse verlassen hatten, führt den allgemeinen Titel Demonstrations èvangeliques und soll die Apologeten aller Zeiten, aller Völker und aller Confessionen, von Tertullian herab bis auf Wisemann, enthalten. Da wird man (um Einige zu nennen) neben den Werken von Bossuet, Huet, Massilon, Fenelon, Gerdil, Gregor XVI, Marcel de Serres, auch diejenigen von Baco, Grotius, Leibnitz, Tillotson, Euler, Haller, Neker u. v. A. finden. Natürlich erscheinen in der Ursprache nur diejenigen Werke, deren Verfasser latein oder französisch geschrieben haben, diejenigen der Schriftsteller anderer Volker in sorgfältigen Uebersetzungen.

Zu den fernern Planen des unternehmenden Mannes gehören noch Sammlungen der vornehmsten Katecheten und der ausgezeichnetesten Kanzelredner, in welchen jedes Land und jedes Zeitalter repräsentirt werden soll. Ausserdem sind von verschiedenen andern grossen und deßwegen selten gewordenen oder schwer anzuschaffenden Werken neue Auflagen durch ihn besorgt worden: z.B. von den Sammlungen, die unter dem Titel Perpetuité de la foi de l'eglise catholique vom Port-Royal ausgegangen sind; von Pallavicinis Geschichte des Conciliums von Trient; von dem Dictionaire apostolique von [170] Montargon; von den sämmtlichen Werken von Lefranc de Pompignan, des Grafen I. von Maistre, von Riambourg, Wiseman u. A.

Daß diese Unternehmungen von allen Seiten freudig begrüßt werden, erhellet daraus, daß die beiden ersterwähnten Course bereits in der fünften Auflage erscheinen. Wer einen einzigen Band derselben zur Hand nimmt und den Preis (5 Fr. für den Band) gegenüberhält, muß sich alsbald überzeugen, daß nicht gemeine buchhändlerische Speculation der Beweggrund zu einem Unternehmen seyn könne, welchem sein Begründer alle seine Zeit, alle seine Kräfte, mit einem Wort sich selbst, im vollesten Sinne des Wortes, opfert, von dem er einzig die Seele und der Leiter ist. Es ist buchstäblich wahr, daß Hr. Abbo Migne seine Wohnung niemals verläßt; und wie wär' ihm solches auch möglich, bei der unerläßlichen Aufsicht auf die grosse Zahl von Arbeitern zu allen Arten von Beschäftigungen, bei der beinahe erdrückenden Last von Correspondenz, nicht bloß nach allen Ländern, sondern nach allen Welttheilen, bei einer Correspondenz, die ebensowohl das Scientifische seiner Unternehmungen, als zum Theil das Merkantile der Anstalt umfaßt? Er versicherte mich, der Herausgabe jener beiden Course seyen etwa 5000 berathende Briefe vorangegangen. Von den Vielen, welche seine Anstalt besuchen, und denen, je nach Stand, Würde und Bedeutung der Personen, er nicht immer sich entziehen kann, daher auch in dieser Hinsicht viel Zeit zu opfern gezwungen ist, nicht zu sprechen.

Tritt man in Hrn. Migne's Anstalt ein, so gelangt man erst in die Räume, in welchen zwischen Staketen die ungeheuren Büchervorräthe aufgeschichtet liegen, bereit, nach allen Weltgegenden versandt zu werden. Dann kommt man in die Druckerwerkstätte, in welcher fünf Schnellpressen, durch Dampf getrieben, jede 15000 Bogen täglich liefern kann. Von da öffnet sich eine weite, mit Glasfenstern überwölbte Halle, auf deren einen Seite eine zahlreiche Schaar Setzer, auf der andern diejenigen sich befinden, die mit den verschiedenen Manipulationen[171] des Stereotypirens beschäftigt sind. Weiter gelangt man zu den Schriftgießern. Viele Arbeiterinnen sind mit dem Falzen und Zusammentragen der Bogen beschäftigt, von wo sie in die Hände der Buchbinder gelangen, nicht bloß zum Heften, sondern zum wirklichen Einbinden, welches auf Verlangen bis zu dem elegantesten und kostbarsten Aeussern, in Maroquin mit Goldschnitt, hier ebenfalls besorgt wird. Was daher, um ein Buch in eine Bibliothek aufstellen zu können, nur irgendwie erforderlich ist, Alles das wird auf Montrouge aus dem ursprünglichen rohen Material zu jedem Dienst bereitet, mit Ausnahme des Papiers; dieses ist der einzige Stoff, den Hr. Migne fertig bezieht, und zwar, wie er mir sagte, bloß deßwegen, weil es ihm an dem nöthigen Wasser gebricht, sonst er mit allem Uebrigen auch noch eine Papierfabrik verbinden würde. In der Schreibstube endlich staunt man über die colossalen Handelsbücher, welche ihres Gleichen irgendwo kaum finden möchten, und neben dieser ist das kleine Cabinet, in welchem der Gründer der so merkwürdigen Anstalt dieselbe mit ihren anderthalbhundert Arbeitern überwacht, zusammenhält, leitet, deren Wirken nach allen Seiten fördert.

Durch sein Unternehmen, nicht sowohl durch dessen Ausdehnung und dessen materielle Bedeutung, sondern durch den Zweck und das Wirken desselben, welches vorzüglich für das bücherarme Amerika ein höchst wohlthätiges ist, hat sich Hr. Abbé Migne eine bemerkenswerthe Stellung unter den Zeitgenossen erworben. Wenn er auch selbst nicht als Förderer, sondern nur als Depositär und gewissermassen als Großschatzmeister der gesammten christlichen Wissenschaft aller Zeiten und aller Völker betrachtet werden darf, so hat doch schwerlich eine Zeit einen Mann aufzuweisen, welcher der ächten christlichen Wissenschaft so wesentliche und weithin reichende Dienste leistete wie er. Schon der Gedanke zu einem solchen Riesenunternehmen und noch mehr der Entschluß zu dessen Verwirklichung, trotz grosser Schwierigkeiten, setzt einen kühnen und dennoch klaren Geist, einen kräftigen und beharrlichen Willen, einen hellen[172] und praktischen Blick voraus. Dieß Alles hatte Hr. Migne in früherer Wirksamkeit nicht minder, denn jetzt als Seele des grossen Unternehmens bewährt.

Im letzten Jahr des abgewichenen Jahrhunderts zu St. Flour in den Gebirgen der Auvergne geboren, ist Hr. Migne ein grosser stattlicher Mann, in würdevoller Haltung, mit einem klaren, seelenvollen Adlerauge, einer klangvollen Stimme; sein ganzes Aeusseres verräth Kraft, Entschiedenheit und Festigkeit, die er auch in seiner frühern Stellung als Seelsorger bei jeder Gelegenheit an den Tag legte. Der Umstand, daß der Vorsteher des Collegiums von St. Flour nach Orleans versetzt wurde, dürfte auf die Lebensrichtung des jungen Migne den entscheidenden Einfluß geübt haben. Er ging mit seinem Lehrer nach jener Stadt, und trat im Jahr 1817 in das dortige Seminar, in welchem er nach drei Jahren Aufseher, bald darauf aber Professor zu Chateaudieu ward. Sobald er die Priesterweihe erhalten konnte, mußte er eine Pfarrei übernehmen. Sie liegt in morastiger Gegend, was seine Gesundheit gefährdete. Man erstaunte, als bald darauf der Bischof von Orleans den 25jährigen Priester auf die Cantonal-Pfarrei Puiseaux, eine der ansehnlichsten und angenehmsten des ehemaligen Gatinais, ernannte. Waren die Pfarrgenossen gegen ihn eingenommen, weil sie einen Andern lieber zu ihrem Seelsorger gehabt hätten, so bedurfte es nur seiner ersten Predigt, um die Aufmerksamkeit, welcher Achtung und Zuneigung bald folgten, an Hrn. Migne's Person zu fesseln.

Mit welchem Eifer und mit welchem Erfolg er sein Amt verwaltete, mag daraus erkannt werden, daß er bei Antritt desselben 26 bloße Civilehen in der Gemeinde vorfand, die nach wenigen Jahren alle, bis auf drei, in kirchliche Ehen verwandelt waren. Er setzte es durch, daß die Eltern ihm die Kinder ein ganzes Jahr lang in den katechetischen Unterricht sandten, wozu er des Tages nie weniger als zwei Stunden verwendete. Dieser Eifer hatte den erfreulichen Erfolg, daß nachher die Kirche oft mit so vielen Zuhörern sich füllte, daß er zu seinem[173] Unterricht die Kanzel besteigen mußte, In kurzer Zeit war er überzeugt, mit Zuversicht sagen zu könnnen: »Glaubt ihr, ein einziges meiner Kinder könne ohne Buße sterben, dafern es nicht durch jähen Tod hingerafft wird?« Kein Armer sprach ihn je vergeblich um Etwas an, und der Bemerkung: aber seine Wohlthaten fielen bisweilen einem Unwürdigen zu, entgegnete er: »desto schlimmer für ihn; Gott und sein Gewissen werden es ihm wohl noch sagen.«

Die Julirevolution kam. In sein Verhältniß zu den Behörden und den Gutgesinnten brachte sie keine Aenderung. Aber viel Krämer-, Schreiber- und Schergenvolk meint in solchen Begegnisien sich zu erheben, wenn es weidlich radicalisirt. Das war natürlich auch in Puiseaux der Fall. Doch wußte Hr. Migne selbst diesen Maulhelden Achtung zu gebieten. In jener Zeit wurde ein Mitbruder desselben durch das Lumpengesindel aus seiner Pfarrei verjagt. Einige aus Puiseaux glaubten, als Nationalgarden ihren Kriegsmuth bethätigen zu können, wenn sie diesen Pfarrer unter dem Vorwand, er reife ohne Papiere, am Thore des Städtchens verhafteten. Hr. Migne vernahm dieses, eilte herbei und erbot sich als Bürgen für den Bedrängten. »Ja, wer sind denn Sie?« erwiderten die Helden, Bewohner seines Pfarrsprengels. »Sie können von Glück sagen, wenn Ihr Widerstreben gegen die Gesetze nicht bestraft wird!« »Nun denn, sagte Hr. M. zu seinem Mitbruder, legen Sie Sich an die Erde, wir wollen sehen, ob sie es wagen, Sie fortzutragen.« Auf diese Worte kreuzten die Gemeindsgenossen die Bajonnette über der Brust des eigenen Pfarrers, Unverzagt aber öffnete dieser seine Soutane und sagte: »Zeigt mal, ob Ihr Euren ungeziemenden Spott bis zum Mord treiben könnt?« Jetzt zogen die Herren Nationalgarden ab. Amt nächsten Fronleichnamsfest dann machten sich einige Zeitgemässe den Spaß, einen Feldaltar mit dreifarbigen Fahnen auszustatten und denselben so einzurichten, daß bei dem Heraufsteigen das Brett unter ihres Pfarrers Füßen weichen und er sich in die Fahnen verwickelt finden mußte. Das bereitete[174] Späßchen blieb Hrn. Migne verborgen. Da es ihm aber unziemlich schien, politische Symbole in eine religiöse Feyerlichkeit zu mischen, begnügte er sich damit, vor dem Altar eine Verneigung zu machen, worauf erst er weiter gieng. Nun erhob sich gewaltiger Lärm über Nichtachtung der Nationalfarben. Das gab ihm Veranlassung, eine kleine Schrift zu schreiben unter dem Titel: Von der Freiheit. Durch einen Priester; doch fügte er sich gerne dem Willen seines Bischofs, der den Druck mißrieth.

Aber längst schon beschäftigte Hrn. Migne der damalige Zustand der religiösen Presse. Hier, glaubte er, winke ein Feld zu grösserer und segensreicherer Wirksamkeit, als auf der Pfarrei. Er ließ die Ankündigung des Univers religieux, eines Blattes erscheinen, welches noch jetzt einen ausgezeichneten Rang einnimmt, und unendlich viel Gutes gestiftet hat. Als er zu dessen Herausgabe alles Erforderliche vorbereitet hatte, bat er den Bischof um seine Entlastung. Ungern, aber in Ueberzeugung, daß Hr. Migne auf dieser Weise der Religion und der Kirche grössere Dienste leisten werde, ertheilte er ihm dieselbe am 9. Nov. 1833.

Das Univers sollte rein katholisch seyn, keiner Parthei, weder in religiöser noch in politischer Beziehung, huldigen. Die Aufgabe war preiswürdig, die Zeit aber nicht so, um mit Erfolg dieselbe lösen zu können. Alles stürmte anfangs auf das Univers ein; den Einen galt es für legitimistisch, den Andern für philippistisch; diese nannten es absolutistisch, jene radical; jetzt sollte es fanatisch, dann wieder ketzerisch seyn. Der endlosen Polemik satt, zog sich Hr. Migne nach ein paar Jahren von dem Blatt zurück, und begann den Gedanken seiner grossen Sammlungen zu verwirklichen. Anfangs bediente er sich dazu der Pressen eines Buchhändlers, bald darauf gründete er die erwähnte Anstalt.

Dadurch wurde der Neid der Gewerbsleute rege. Sie gewannen den Domherrn Trevaux, daß er den verstorbenen Erzbischof bearbeite, Hrn. Migne die Fortsetzung zu untersagen:[175] es zeige sich, hieß es, dabei zu viel Kaufmännisches, was mit priesterlichem Charakter unverträglich seye. Daß Hr. Migne seinen Obern freudig zu gehorchen wisse, hatte er bei Gelegenheit der erwähnten Schrift dem Bischof von Orleans überzeugend bewiesen. Hier aber stand, zugleich mit seiner Ehre, seine Redlichkeit auf dem Spiel. Grosse anvertraute Summen waren in das Unternehmen bereits verwendet. Er setzte dieß auseinander; der Erzbischof bestand zwar nicht weiter auf dem Verbot, zog aber die Hrn. Migne nothwendigen priesterlichen Vollmachten zurück, so daß derselbe im Sprengel von Paris zu keinen geistlichen Verrichtungen befähigt ist. Der gegenwärtige Erzbischof trat hierin in die Fußstapfen seines Vorgängers, ungeachtet Beide von dem musterhaften und priesterlichen Wandel Hrn. Migne's vollkommen überzeugt seyn mußten.

Allerdings untersagen die Kirchengesetze sehr weislich jedem Priester alle Handelsunternehmungen. Allein hier möchte sich die Frage stellen lassen: ist das Wiederabdrucken von Büchern zum Behuf der Verbreitung katholischer Lehre und Wahrheit als ein Handelsunternehmen zu beurtheilen? Auch lauten die Brevets zum Buchhandel und zur Buchdruckerei nicht auf Hrn. Abbé Migne, sondern auf den Namen seines Bruders und würdigen Gehülfens. Endlich weiß man ja, wie viele religiöse Corporationen ehevoriger und jetziger Zeit in allen Ländern Buchdruckereien zu Verbreitung ähnlicher Werke besessen haben, ja daß selbst die Propaganda eine berühmte Buchdruckerei hat, deren Director sogar der Hergausgeber der Annali religiosi, der gelehrte Abbate Luca, lange Zeit war.

Andere Bischöfe indeß theilen die Ansicht der Erzbischöfe von Paris nicht. Eine unermeßliche Menge von Geistlichen zollt Hrn. Migne fortwährend den aufrichtigsten Dank für sein Unternehmen. Ein Cardinal schrieb ihm: »Unter allen Geistlichen der katholischen Welt bewirkt keiner so viel Gutes, wie Sie.« Als er am 1. Jan. 1842 den vollendeten Curs der heiligen Schrift dem Oberhaupt der Kirche zu Füßen legte, fügte[176] der Herausgeber ein Bekenntniß seines katholischen Glaubens bei, welches dem heiligen Vater die vollkommenste Befriedigung gewährte.


Welche Mühe auch die Universitätsmänner sich geben, gegen die Geistlichkeit zu declamiren; wie sehr auch der knurrende Constitutionel, der wurmfrassige Siecle und der radicale National solemne Anlässe, dergleichen der Universitätsstreit einer war, aufgreifen, um ihr Gift zu verspritzen; wie sehr die mancherlei Revüen, verschiedener Geister Kinder, meist aber Milchbrüder in dem lobsamen Bestreben, die Kirche und deren Autorität anzufechten, wenigstens deren Diener zu bekritteln; wie gierig auch in den Kaffeehäusern die pflastertretende Jugend nach dergleichen Futter schnappe: es kommen zwischenein den noch Erscheinungen vor, welche von allen Genannten kaum ignorirt werden, an denen sie selbst nur schweigend und keifend vorübergehen können, die aber ganz Frankreich kennt, die Jeden, der die wahre Große nicht nach der äussern Erscheinung, sondern nach den innern Motiven zu würdigen versteht, mit Bewunderung erfüllen, und in welchen gegen die Wirksamkeit von Declamationen, Beschuldigungen und Anschwärzungen für die Einen eine Schutzwaffe, für die Andern ein nicht leicht abzuschwächendes Gegengewicht gegeben ist; ein Gegengewicht solchen innern Gehaltes, daß es jede äussere Ausstattung keck verschmähen darf.

Der alte Spruch: »an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen,« bliebe ein ewig dauerndes Wort unumstößlicher Wahrheit, wenn es auch nicht von dem Munde desjenigen ausgegangen wäre, der die Wahrheit selbst ist. An diesen Spruch darf Frankreichs Geistlichkeit Berufung ohne alle Gefährde einlegen; wenn gleich in dem Streit über Freiheit des Unterrichts, darum, weil dieselbe kraft ihres Amtes und ihrer Obliegenheit alsbald[177] in die vordersten Reihen sich gestellt hat, die Gegenparthei ihre altbekannten Waffen der Entstellung, Verdrehung und Lüge wider sie vornämlich zu schärfen sich befliß. Der hochwürdigste Bischof von Chartres sah sich daher durch diese Taktik der Gegner veranlaßt, in seinem früher erwähnten Sendschreiben ein ernstes, aber mit dem vollen Gewicht der tagtäglich in die Augen springenden Thatsachen ausgestattetes Wort zu sprechen. Nachdem er dargewiesen, wie sich die Universitätsherrn unter dem Namen Jesuiten ein Schreckbild zurecht gemacht hätten, gegen welches sie ihre Streiche geführt, bemerkt er, wie sie nunmehr sich bemühten, diesem als Seitenbild die Geistlichkeit zuzugesellen und dieselbe unumwunden oder unter falschen Incriminationen als Werkzeuge der Verderbniß, als ein Gehäuse gefährlicher Menschen darzustellen; als ob sie sagen wollten: kann man uns Verirrungen vorwerfen, so wollen auch wir diejenigen der Geistlichkeit aufdecken; möge sie zittern! – »Thut es immerhin, sagt ihnen der Bischof; wir zittern nicht. Der gottgeweihte Stamm darf nicht erröthen über die Lehren, die er verkündet. Er hat sie aus göttlicher Quelle geschöpft, und die ganze Welt weiß, daß überall, wo er lehrt, Ordnung und Tugend erblühen; daß verirrte Seelen, die ihn hören, dem Glauben sich zuwenden; daß Viele von der Bahn des Verbrechens zurückweichen, zum Heil wiedergeboren werden, ein wahrhaft neues Leben beginnen.«

Es war wirklich seltsam, hier den Constitutionnel und dort in der Revue independente die George Sand als Wächter der Sittlichkeit an Frankreichs hohem Reichspalast schildern zu sehen und ihr Werda! als einem Verdächtigen Jedem zurufen, der in Barett und Soutane auf denselben zuschreiten wollte. Der Erstgenannte hatte in seiner treueifrigen Obsorge um Sittenreinheit zwei Werke denuncirt, welche in den reingeistlichen Anstalten dem Moralunterricht für die künftigen Priester zu Grund gelegt würden. Auf diese Schriften wollte er den Beweis bauen, daß die dem geistlichen Stande bestimmten Jünglinge mit allen denkbaren, sogar mit kaum denkbaren Unsittlichkeiten[178] bekannt gemacht würden. Stellen aus dem Zusammenhange zu reißen, und weiter noch, um zu ersprießlicherer Zweckdienlichkeit ihnen zu verhelfen, sie irrig zu übersetzen, auf dergleichen Kleinigkeiten kam es bei so edelsinnigem Zwecke natürlich nicht an. Der hochwürdigste Bischof von Straßburg wies aber alsbald in einer an das Univers gerichteten Zuschrift den Zeitungsschreiber nach Verdienen zurecht, wovon natürlich der für den Fortschritt lobsam sich mühende Ehrenmann keine Kenntniß zu nehmen hatte. Der Bischof von Chartres beleuchtete in einem besondern Brief auch diese Anschuldigung, vornehmlich dadurch, daß er auf die Früchte des Unterrichts hindeutete. »Beurtheilen wir,« sagt er, »den Eindruck dieses Unterrichtes aus seinen Erfolgen. Die Universität entläßt nur wenige ihrer Zöglinge mit unzerrüttetem Glauben, mit unverdorbenen Sitten; wie steht es dagegen mit denjenigen, die zur Priesterwürde gelangt sind, was wird aus diesen? Sie begraben sich auf dem Lande, wo sie weder Umgang noch Zerstreuung finden, aber unter allen Entbehrungen und Unannehmlichkeiten nicht müde werden, zu erbauen, zu trösten, wohlzuthun. In der Einsamkeit bereiten sie sich auf ihre Predigten vor, durch die der Glauben, alle edeln Gefühle, alle Tugenden, deren Quelle er ist, geweckt werden; sie festigen den frommen Sinn, die Selbstaufopferung jener Jungfrauen, welche als Engel in Menschengestalt nach allen Seiten sich verbreiten, über Meere schiffen, in weiter Ferne dem Unglück hülfreiche Hand bieten und Gegenstand der Bewunderung und der Segnungen der Muselmänner, der Barbaren Afrika's, sogar der Wilden sind. Ihr brennender Eifer, die Wohlthaten des Glaubens und der Gesittung zu verbreiten, zieht sie selbst nach Cochinchina, wo sie Monate lang gemartert, nach den Inseln des stillen Oceans, wo sie von den Menschensresiern zerfleischt werden können. Das sind die Wirkungen des Unterrichts in den Seminarien, die nach den Vorstellungen eurer Sittsamkeit die Einbildungskraft besudeln, den Muth lähmen, den Menschen der Herrschaft der Sinnlichkeit unterwerfen sollen. Bewundert, statt zu verfolgen![179] Oder so solche Opfer, so hohe Beweggründe, so muthiges Hingeben euch nicht ergreift, so schweigt wenigstens, so bemüht euch doch nicht, durch unbegründete und tükische Anklagen eine Hochachtung zu untergraben, die ihr so seltenen Tugenden zollen solltet!«

Fragt man daher nach Früchten, nicht bloß nach jenen oftmals mehr gleissenden als anmuthigen, mehr zur Augenlust als zur Erquickung dienenden, mehr in weitgeführter Geistesentwicklung oder Gewandtheit zu Verfolgung eigener Zwecke als in wahrhaft veredelnden Tugenden sich kund gebenden, fragt nach wahren, Gott ehrenden, den Mitmenschen erquicklichen, denjenigen, der sie trägt, in Wahrheit zierenden Früchten, so wird dieser Frage unmittelbar die andere sich anschliessen, trägt wohl die Jugend, welche aus den Anstalten der Universität hervorgeht, von Früchten jener Art, ich will nicht einmal sagen gereiftere und zahlreichere, sondern nur ebenso ausgebildete und ebenso mannigfaltige, als diejenige, welche aus den Seminarien entlassen wird? Hat man aus diesen auch schon von Meutereien berichten können, von Aufständen gehört, welche bald zu Strafen gegen Einzelne, bald gegen Alle, selbst zu zeitweiligem Schliessen der Anstalten nöthigten? Liesse sich von den Seminarien auch ein Vorhang lüften, der ein so düsteres Bild vor uns hinstellte, wie Solches im Jahr 1830 in Bezug auf einige königliche Collegien durch den auftragsgemäß verfaßten Bericht mehrerer Geistlicher an einen Erzbischof geschehen ist? Könnte ein Arzt, wie Hr. Lallemand zu Montpellier gethan hat, aus Seminarien Aehnliches mittheilen, wie von andern Erziehungsanstalten, oder aus jenen ein Zeugniß vernehmen, wie aus solchen: »Seyen sie versichert, demjenigen gegenüber, was ich gesehen habe, könnte man die ruchlosen Werke des Marquis de Sade noch Schäfergedichte nennen?« Erinnert man sich nicht, welche traurige Schilderungen deutsche Blätter über die Zucht- und Sittenlosigkeit, über die bodenlose Versunkenheit und brutale Verwilderung der meisten, das sogenannte lateinische Quartier in Paris bewohnenden Jünglinge bisweilen uns gegeben[180] haben? Wie kann man unter dem Anblick solcher Uebelstände Anstalten verdächtigen wollen, welche die Jugend heranziehen in geregelter Ordnung, zum Gehorsam, zu freudiger Thätigkeit in mühevollem Berufe, zu bereitwilliger Hingebung im schweren Dienste für Andere, zu Genügsamkeit, zu jederartigen Entbehrung, worunter diejenige eines geselligen Lebensverkehrs gewiß nicht die geringste ist?

Es ist aber eine Seite besonders, nach welcher die französische Geistlichkeit vor derjenigen der meisten andern Länder sich auszeichnet und welche zu Anerkennung allermindestens einer großen moralischen Kraft berechtigt, oder auch zwingt. Es ist dieß der so ununterbrochene, als zahlreiche Ausgang der Glaubensboten aus Frankreich nach allen Weltgegenden, nach Amerika und Kleinasien, nach Australien und Polynesien, nach der Tartarei und nach China. Das Volk sieht sie hinziehen diese jungen Priester, wie sie die Kirche seit bald zwei Jahrtausenden nach allen Richtungen sendet, ausgestattet mit ihrem Glaubenseifer, ihrem Gehorsam, ihrer Demuth; es weiß, sie gehen, wenn nicht gewaltsamem, so doch durch Entbehrung, Ungemach und Anstrengung unter mancherlei Gestalt ihrer harrendem Tode entgegen. Es fragt sich verwundert: was treibt sie hiezu an? Und da kann es sich keine andere Antwort geben, als: Glaube und Liebe, Hingebung an Gott und die Mitmenschen. Hiemit wird Jeder derselben ein zweifacher Bote des Glaubens, hier für das Land, welches er verläßt, dort für dasjenige, nach welchem die Meeresfluth ihn trägt; hier festigt er Hunderte, deren Verbildung noch nicht so weit gediehen ist, um bewegt so großartige Erscheinungen an sich vorübergehen zu sehen, dort sucht er dem Vater Kinder, die so eben als solchen ihn noch nicht erkannt haben. Die Weltmenschen, die bei Allem, was der Einzelne beginnt, sich fragen: was sucht er dabei, was hat er davon, was gewinnt er dadurch? unfähig, diese Fragen nach ihrem Begriff befriedigend zu lösen, gehen verwirrt von dannen, und wagen es doch noch nicht, so großartige, wenn gleich über ihr eng eingepfähltes Verständniß hinausschreitende Entschlüsse[181] herabzusetzen. Den kecken Geistern aber, den übermüthigen Recken, den großmauligen Phrasenmachern, welche so gerne ihr Land und ihr Zeitalter des Menschgewordenen entledigt sähen, muß es zur unheimlichen Wahrnehmung werden, daß ihrer und ihrer Bannerträger Anstrengung ungeachtet sein Name fortwährend noch Vielen als der Name gilt, zu dessen Bekenntniß die Völker aller Zungen berufen seyn sollen.

Es ist keine Frage: die Philosophen, die Schriftsteller, die grossen Geister der Gegenwart halten sich für die Lichter der Welt, berufen, das alte Dunkel, welches noch immer auf ihr lastet, zu verscheuchen, den menschlichen Geist, wie es mit lächerlichem Ausdruck auf Voltaires Grabmal zu lesen ist, zu bereichern, das, was sie Civilisation nennen, zu verbreiten, zu der Freiheit, wie sie dieselbe verstehen, zu erheben, und für so grosse Anstrengung reichen Lohn, weiten Ruf, hohes Ansehen, gemächliches Leben zu ärnten. Aber wie kommt es, daß noch nie, zu keiner Zeit, aus keinem Volk einer dieser Philosophen, einer dieser grossen Geister, einer dieser warmen Menschheitsanwälte ausgegangen ist aus seiner Heimath, hintangesetzt hat die Behaglichkeiten des Lebens, Verzicht geleistet hat auf das, was auch den Alltagsmenschen fesselt, und ein Licht, eine Freiheit und eine Civilisation dahin zu tragen versuchte, wo von diesem Allem keine Spuren zu finden sind; daß noch nie Einer von ihnen einen Boden sich wählte, der erst noch unter des Tages Last und Hitze, unter Schweiß und Mühseligkeit, unter Ausdauer und Mangel, unter jeglicher Art Beschwerden, die den Menschen zum Kampf auf Leben und Tod herausfordern, urbar zu machen ist? Wie kommt es, daß von den Vielen, welche ihren Zeitgenossen aufhelfen zu müssen wähnen, alle nur dahin sich wenden, wo etwas niederzureissen ist, nicht ein Einziger dorthin, wo er zum Aufbau nicht allein bequemte Stätten, sondern zugleich reichen Vorrath von Material fände? Sie, die von ihrer Liebe zur Menschheit, von ihrer Sorge um die Menschheit, von ihrem Wirken für die Menschheit, von ihrer Anstrengung zum Besten der Menschheit so Vieles, so Erstaunliches,[182] so Prunkvolles uns vorzureden wissen, warum hat es bis jetzt nie Einer von ihnen je gewagt, dahin sich zu verbannen, wo die Menschheit in nichts Anderem noch sich bewährt, als in der Körperbildung und in demjenigen, was das nothdürftigste physische Bestehen auferlegt und zugleich lehrt? Wie? Der Entschluß hiezu, die Begeisterung hiefür, der Muth, den dieß erfordert, die Beharrlichkeit, die es verlangt, die Unterwerfung unter die Mühsale, die es auferlegt, die Todesverachtung, die es voraussetzt, sollte allein Wirkung einer Lehre sein können, die ein Jeder von Jenen, wenn nicht zu beseitigen, so doch zu verbessern, nach seinen Eingebungen umzugestalten und durch den Kehricht seiner Träumte zu vervollkommnen sich berufen fühlt? Wie? Leute, meist junge Männer, deren Geistesanlagen mit den Eurigen messen zu wollen Ihr als Entehrung betrachten würdet, auf deren Wissen ihr als auf armselige Hadeln herablicket, von deren Bildung ihr mit mitleidigem Achselzucken sprechen höret, die eurem Stolz nur ihre Demuth, Eurer Geistesentfeßlung nur ihren Gehorsam, Euern hochfliegenden Speculationen nur ihren einfältigen Glauben an die Seite setzen können; deren gesundes Wesen, Thun und Wirken, so es mit dem Eurigen wollte verglichen werden, ihr mit Unmuth zurückstossen würdet: diese Leute wagen zu Hunderten, was nicht einem Einzigen von Euch bloß von ferne zu versuchen je nur zu Sinn gekommen ist? Und doch sind sie es, welche sonder Zweifel aber mit den Weihen einer andern Weihe theilhaftig geworden, als jenes geschniegelte Herrchen, welches dem auf Mitarbeiter in dem Weinberge des Herrn ausgehenden Bischof von Texas zwar als solchen sich anbot, zuvörderst aber fragte: was es jährlich hiebei sich erwerben werde, und welcher Ruhegehalt, den nachher es in seiner Heimath zu verzehren wünschte, nach einigen Jahren seiner warte? Und doch lehrensie die gebundene Menschheit wahrhaft frei zu werden, sind sie es, welche in den verdunkelten Gemüthern das leuchtende Leicht anzünden, den Barbaren die ächte Civilisation bringen und keinen andern Ruhm hierin suchen, als denjenigen ihres Herrn, und[183] keinen andern Lohn damit begehren, als denjenigen, welchen ihr als falsche Münze in allgemeinen Verruf bringen zu können wähnet! Lassen wir die Philosophen aller Zeiten zur Schau an uns vorübergehen, und fragen wir: wo hat an einem Einzigen seiner Schüler irgend Einer dasjenige gewirkt, was durch den Lauf so mancher Jahrhunderte das Wort vom Kreuz an vielen Tausenden gewirkt hat, auch fortwährend noch wirkt? Hienach mögen sie richten. Meditati sunt inania.

Zu Bildung solcher Glaubensboten für alle Weltgegenden giebt es in Paris verschiedene Anstalten. Eine der größten und berühmtesten ist diejenige der auswärtigen Missionen, mit einer dem heiligen Franz Xaver geweihten Kirche. Ihre Zöglinge sind vorzugsweise für China und Indien bestimmt, und erhalten deßwegen in den Sprachen dieser Länder Unterricht. Diejenigen, welche vor ein paar Jahren in ersterm Lande ihren Glauben mit dem Leben besiegelt haben, waren meistens aus Frankreich gebürtig.

Der Obere der Lazaristen, in dem Hause, welchem einst der heilige Vincenz von Paul vorstand, und dessen Kirche noch jetzt seinen wohlerhaltenen Leichnam als kostbarste Reliquie bewahrt, versicherte mich, daß aus der Tartarei vor ganz kurzer Zeit die erfreulichsten Berichte über den Erfolg der dortigen Missionen eingetroffen wären. Wenn im Westen des größten europäischen Reiches es den Anschein habe, als sollte die katholische Kirche durch die gewaltigsten Hammerschläge der nachten Gewalt für den Augenblick zerschmettert werden, so eröffne sich dagegen die Aussicht, daß sie im Osten eben dieses Reiches unter den freyen Tartaren, Bekennern der lamaischen Religion, bald ansehnlichen Zuwachs erhalten könnte. Mit Aufmerksamkeit vernähmen dort selbst die Priester die Belehrung der Missionarien; und da jene eine Art gemeinsamen Lebens in Häusern führten, die mit Einkünften ausgestattet wären (gewissermassen nach Art unserer Klöster), so seye in Folge der eingetroffenen Berichte die Hoffnung nicht allzukühn, daß Manche derselben bei der Möglichkeit, ihre Lebensweise fortsetzen zu können, zum[184] Christenthum sich wenden dürften. Ueberhaupt wären die Fortschritte desselben so ansehlich, daß die Ernennung eines der Missionäre zum apostolischen Vicar in kurzem nothwendig werden möchte.

Auch Syrien ist eine Landschaft, welche aus diesem Hause mit Missionarien versehen wird. Die Schwestern des heiligen Vincenz von Paul, deren grosses Mutterhaus in der rue du Bac sich befindet, stehen mit jener Congregation in Verbindung. Man zählt ihrer über 2500, welche theils in Spitälern der Hauptstadt, theils in andern Städten ihren Dienst versehen, auch zur Krankenpflege in Privathäuser berufen werden. Aber noch grössere Dienste leisten sie in Syrien und in andern asiatischen Landschaften der Türkei. Die meisten, welche dahin gehen, besitzen einige Kenntniß in der Heilkunde; in ihren dortigen Hausern sind sie mit den nothwendigsten Arzneimitteln versehen und nebenbei ertheilen sie den Türkenkindern Unterricht. Durch diese verschiedenartigen Dienstleistungen erwerben sie sich das Vertrauen der Einwohner und setzen sich bei ihnen in verdientes Ansehen. Durch sie gewinnt die That das Uebergewicht über die Lehre; sie werden zu verwirklichenden Zeugen der Wahrheit des alten Spruches: Worte mahnen, Beispiele reissen fort. So verschaffen sie dem Christenthum Eingang in manches Herz, weniger durch jene, als durch menschenfreundliches Wirken. Besonders, versicherte man mich, setzten sie sich in Gunst bei den türkischen Frauen, deren Kinder durch die Schwestern unterrichtet, von ihnen je zuweilen in den Hausern ihrer Eltern besucht werden. Dann zeigten sich jene ganz erstaunt darüber, daß fremde Frauenspersonen Kindern, die sie gar nichts angiengen, so viel Zuneigung beweisen, so freundlich mit ihnen sprechen, so viel Nützliches sie lehren könnten, ohne hiefür irgend eine Vergeltung zu verlangen. Aufmerksam höre manche Mutter den Unterhaltungen der Schwestern mit den Kindern zu, und hiedurch werde Neigung zu einem Glauben, als dessen Furcht die reinste Menschenliebe sich bewähre, in dem Herzen mehr als einer Mahomedanerin geweckt, und[185] könne durch des Weibes Glauben, wie der Apostel sagt, auch der ungläubige Mann gewonnen werden.

Eine andere Pflanzstätte von Glaubensboten findet sich in der Strasse Picpus. Kaum hatte die französische Seemacht von den Marquesas-Inseln Besitz genommen, als auch das Christenthum sich rüstete, sie in geistigen Besitz zu nehmen, oder vielmehr seinen geistigen Besitz den Bewohnern dieser Inseln mitzutheilen. Ein Bischof mit dem Titel von Nikopolis, sieben Glaubensboten, sieben Katecheten und zehn andere Geistliche giengen schon am Ende des Jahres 1842 dahin ab, um das nicht der christlichen Lehre, die Wohlthat des christlichen Gottesdienstes diesen Insulanern zu bringen. Obwohl die Philanthropen und Cosmopoliten in der Deputirtenkammer saure Gesichter dazu schnitten und die Protestanten dafür sich wehrten, daß dieses Feld den Aussendlingen jedweder Secte sollte geöffnet werden, zeigte doch der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, wenn gleich selbst Protestant, die seltene Unbesangenheit, zu bekennen: »die Grundlage von Frankreichs Grösse seie die katholische Religion, diese flechte sich unablöslich in die anderthalb Jahrtausende seines Bestehens, darum mit Recht deren Boten Vorschub und Schutz von Seite der Regierung erwarten dürften.« Freilich werden diesen Missionarien der einzig wahren Civilisation andere der fälschlich sogenannten auf dem Fuße folgen und vielleicht schnellere Fortschritte machen als jene, vielleicht bald ausreissen, was diese mühsam gepflanzt haben; denn es ist von Repräsentanten des Zeitgeistes und der Nation in Aussicht auf künftigen Handelsverkehr mit diesen Insulanern das furchtbare Wort gefallen: »noch haben sie keine Bedürfnisse, aber wir werden ihnen solche schaffen.«

Das jedesmalige Hinziehen der Missionarien nach den fernen Himmelsstrichen ist den Deklamatoren wider Kirche und Geistlichkeit stets eine höchst unangenehme Sache. Es tritt damit eine Einwendung gegen sie auf mit so hellem Wort, daß Jedermann dasselbe vernehmen muß, in so einfacher Rede, daß Jedermann dieselbe versteht, mit so faßlichem Sinn, daß er[186] auch klar wird Demjenigen, der weder lesen mag noch kann. Der gesunde praktische Sinn des Volkes versteht aber doch diese, so oft unter seinen Augen sich erneuernde Erscheinung zu würdigen und sie jenen Luftstreichen von Leuten, die in behaglicher Ruhe sich gütlich thun und nicht der mindesten Entsagung, Aufopferung, wohl gar Todesverachtung, oder auch nur Beschwerde in blosser Hingebung an Andere fähig wären, gegenüber zu stellen. Man mag sich hiebei unbedenklich die Frage erlauben: hätte erst die Universität auch der geistlichen Bildungsanstalten sich bemächtigt, ihr Gepräge auch diesen aufgedrückt, allmählig das ächt Christliche aus denselben abgezogen, den tiefern und reinern Geist, der in ihnen waltet, hinausgetrieben, sie auf die schmale Kost einiger philosophischen Quisquilien gesetzt, würden dann wohl auch noch Glaubensboten aus denselben ausziehen können und wollen? Hat der teutsche Rationalismus eines Löfflers, Paulus, Bretschneiders, Röhrs und aller dieser Coryphäen der Negation andere Missionäre, als zum Niederwerfen des Kreuzes, wo dasselbe noch stand, hervorzurufen vermocht? Liesse sich an jenen Deutschkirchlern, an jenen Synodikern, an jenen Christlich-katholischen ein so besonderer Drang wahrnehmen, Pfründen und behagliche Ruhe und Lebensbequemlichkeiten und die Aussicht auf Trinkbecher, Subscriptionen und Festschmäuse, dann Haus und Heimath und Freunde und geselligen Verkehr dahinzugeben, um unter allseitigen Entbehrungen und vielartiger Noth und immerwährenden Gefahren rohen, oft feindselig gesinnten Völkerstämmen auch nur ihr Licht anzuzünden, auch nur ihren Glauben zu verkünden, auch nur die Keime ihrer bloß materiellen Civilisation zu pflanzen? Sie lassen sich zählen diejenigen aus ihnen, die es wagen möchten, in das Reich der Mitte einzudringen, die es darauf ankommen lassen, ob unter den Rothhäuten die Friedenspfeife oder das Skalpell ihrer warte, die die Kraft besitzen, Afrikas Sonnenbrand und Californiens Eisnebeln zu trotzen. Solchen Muth, solche Selbstaufopferung, Furcht einer gedoppelten Liebe, die stärker ist als der Tod und die durch alle Trübsale nicht[187] mag ausgelöscht werden, findet ihr nur bei denjenigen, die in unablösbarer Einigung mit der Kirche sind herangezogen worden, die ihr so gerne als Ultramontane, Jesuiten, Römlinge, Blindgläubige verschreien möchtet! Und auch unter den Protestanten sind es nicht diejenigen, die das Christenthum ab- und ausgenüchtert, sondern diejenigen, welche von dem anvertrauten Glaubensschatz noch das Meiste bewahrt haben, deßwegen mit dem Willen noch einige Kraft in sich tragen, denselben auch Andern zu öffnen, die hiezu mit dem Glaubensboten der katholischen Kirche auf gleichem Wege sich finden lassen. Denn wahrlich, es liegt noch eine reichhaltigere Bedeutung, als bloß diejenige der Festigkeit und Sicherheit in dem Wort, daß Christus der Eckstein seye; – wer ihn als solchen annimmt und als solchen ihm sich anfügt, in denjenigen geht aus demselben eine bauende Kraft hinüber, indeß sein Verwerfen, sey' es in philosophischem Dünkel, sey' es aus rationalistischer Flachheit, sey' es in wilder Auflehnung gegen die Kirche, auch zu anderweitigem Zerstören antreibt.

Wären die Philosophen, die Weltmenschen, die in alle materiellen Interessen Verstrickten, dem einzigen Cultus von diesen Hingegebenen noch fähig, manche Erscheinungen, die ihrem Blicke sich darstellen, in deren unzertrennlichem Zusammenhang mit dem christlichen Glauben zu würdigen, so müßten sie doch bei Wahrnehmung seiner fortdauernden Macht über die Gemüther stutzig werden und sich die Frage stellen: in welchem andern reingeistigem Bereiche Aehnliches aufzufinden seye? Auch hierin wieder steht Frankreich voran. Ich will nur daran erinnern, daß es hier an Geistlichen nicht fehlt, die zuvor die Kriegerlaufbahn betreten haben und mit Ehren auf derselben vorangeschritten, hierauf in den höhern Dienst der Kirche übergegangen sind – das Mittelalter nannte ja die Widmung hiezu: militare Deo – sodann in demselben die nemliche Pflichttreue und denselben Muth wider andere Feinde zeigten, wie in jenem. Ich könnte dessen mehr als ein Beispiel anführen, und wer für Wahrheit ein Zeugniß ablegen mag, müßte zugestehen,[188] daß diese nachher weder als die Saumseligsten, noch als die Unwürdigsten sich erzeigten. Wo aber die Thatsachen nicht in Abrede gestellt werden können, da sucht man häufig Motive sich selbst zu bilden und sie den Personen, an welche jene sich knüpfen, anzuheften, um hiedurch die bewältigende Macht, die sonst in den Thatsachen läge, bestmöglichst abzuschwächen. Alles wird lieber zugegeben, als was auf Untadelhaftes, Achtunggebietendes zurückwiese, die Wechselwirkung zwischen einem reinen Sehnen des Geistes nach Höherem und dem Entgegenkommen desselben einzugestehen nöthigte. Und doch dürfte es in einzelnen Fällen mehr als schwierig seyn, hierüber hinwegzusehen.

Der während meines Aufenthalts zu Paris im südlichen Frankreich verstorbene Christian von Chateaubriant hatte bereits den Grad eines Rittmeisters der Garde-Cuirassiere erreicht, hatte mit Auszeichnung in dem spanischen Feldzuge gedient. Seine persönlichen Vorzüge, seine Herkunft, das Ansehen seines Geschlechts, selbst das Verhältniß zu seinem hochgefeyerten Oheim, ließ ihn in eine glänzende Laufbahn hinausschauen. Er wendete derselben den Rücken, entsagte dem Dienst und trat in den Jesuitenorden, in welchem nichts Anderes, als gehorsame Erfüllung jeder Obliegenheit, die der Obere ihm auferlegen mochte, seiner wartete; in welchem vielleicht durch Entbehrung und Anstrengung der Keim zu jener Krankheit geweckt wurde, die ihn zu innigem Bedauern vieler Freunde frühzeitig dahinraffte.

Einer der einnehmendsten, geistreichsten, pflichtgetreuesten und thätigsten Bischöfe Frankreichs, der kürzlich verstorbene Bischof von Nancy, hatte sich in seiner Jugend ebensowenig dem Stande gewidmet, dessen Zierde er in jeder Beziehung gewesen ist. Zur Zeit des Kaiserreichs bekleidete er, obwohl noch jung, eine ansehnliche Civilstelle. Auch er konnte bei seinem Talent, bei seiner Tüchtigkeit, bei dem Vorschub, welchen eine angesehene Abstammung gewährt, mit Gewißheit darauf zählen,[189] bald zu den höchsten Stufen des Ranges, des Ansehens und der Wirksamkeit emporzusteigen. Da soll er einst in einer Gesellschaft von Zeitgenossen aus dem Militar- und Beamtenstande durch deren frevelhafte Reden so von Abscheu und tiefem Unmuth ergriffen worden seyn, daß er den Vorsatz faßte, so gefahrdrohenden Verhältnissen auf das schnellste und in der sicherndsten Weise sich zu entziehen, worauf er seine Stelle niederlegte und in ein Seminar sich flüchtete, um auf einen Lebensberuf sich vorzubereiten, von welchem er, so wie Erkräftigung des innern Lebens, so einen mächtigen Schirm gegen ähnliche Gefahren mit Recht erwartete. Wollten diejenigen, welche jede großartige, aus ungetrübtem innerem Bedürfniß, aus einem edlern Aufschwung des Geistes hervorgehende Entschliessung durch das Andichten irgend eines verborgenen Hintergedankens sofort zu besudeln sich bestreben, einwenden: aber doch mochte er hiebei damals schon die Inful im Auge gehabt haben! so läßt sich ihnen leicht entgegnen: der zeitlichen Vortheile, welche dieselbe gewähren mag, bedurfte der Betreffende nicht im mindesten; hinsichtlich des Ranges und Ansehens aber, die mit derselben verknüpft sind, boten ihm seine frühern Verhältnisse die genügendste Bürgschaft, wogegen so manche Anforderungen und schwere Obliegenheiten, welche geistlicher Beruf und bischöfliche Würde auferlegen, seinen frühern Verhältnissen durchaus fremd geblieben wären; dabei weiß Jedermann, daß das, was unter dem Voranschreiten auf der anfänglichen Laufbahn auf äussern Glanz hätte müssen verwendet werden, bei der nach her erwählten, und dessen vielleicht noch ungleich mehr, zum Mittel der manchartigsten Wohlthätigkeit wurde. Schwerlich würde eine hohe Stelle am Hof oder im Staat die moralische Verpflichtung hervorrufen, sich z.B. mit einem Achtzig von Verbrechern bis in den späten Abend in ein Gefängniß einschliessen zu lassen; was sich der Bischof eines Tages, da ich bei ihm zu Gast gebeten war – nicht als Obliegenheit (deren er in Paris keinerlei haben konnte), sondern in freiwilligem Eifer für die Verrichtungen seines priesterlichen Amtes – hatte gefallen lassen,[190] um Jenen mit nothwendiger Belehrung das Sakrament der Firmung zu ertheilen. Declamirt immer gegen die Geistlichkeit, weiset uns aber nebenbei Beamtete, Begüterte, Weltliche jedes Berufes vor, welche unter ähnlichen zeitlichen Verhältnissen Glücksgüter, Zeit, Geistes- und Willenskräfte zu jederartigen Förderung ihrer Mitmenschen, auch nur in gleichem Maaß und Umfang und in gleicher Zahl aufzuwenden stets bereit wären, wie jene!

Was aber möchten sie gegen den so geistreichen als liebenswürdigen, so hoch gefeyerten als anspruchslosen Abbé Ravignan herausgrübeln, der ohne Anerkennung eines höhern Innenlebens und einer rein aus diesem hervorgehenden Thätigkeit das seltsamste psychologische Räthsel bleiben müßte, welches sich denken läßt. Derselbe hatte sich der Rechtsgelehrsamkeit mit ebenso grossem Eifer als hervorragendem Talent, daher ausgezeichnetem Erfolge gewidmet, so daß er bald nach Vollendung seiner Studien eine für sein Lebenalter ausgezeichnete Stellung einnahm. Eines Tages sollte vor dem obersten Gerichtshof zu Paris ein Rechtsfall verhandelt werden, in welchem der königliche Anwalt aufzutreten hatte. Dieser aber fand sich abwesend. Da befahl der Präsident dem jungen Ravignan, dessen Stelle zu vertreten, was er nicht ablehnen durfte. Ohne mit der fraglichen Sache sich bisdahin beschäftigt zu haben, ohne Zeit zu erhalten, in dieselbe sich einzustudiren, mußte er eben ihrer sich annehmen, und verfocht sie mit einer solchen Klarheit, mit einer solchen Bündigkeit der Beweisführung, mit einem solchen Glanz der Beredsamkeit, daß Bewunderung für ein solches hervorragendes Talent Alle erfüllte, die seinen Vortrag hörten. Er bewährte dieses fortwährend, und ungetheilt herrschte die Meinung, daß er schnell zu den höchsten Stellen emporsteigen werde. Niemand zweifelte an dessen raschem Voranschreiten auf der glänzendsten Laufbahn bis zum äussersten Ziele Dieser Beifall, der Hrn. Ravignan von allen Seiten untrauschte, machte ihn nachdenklich; er fürchtete, von demselben zur Eitelkeit hingerissen zu werden, und die Huldigung der[191] Welt am Ende durch Huldigung an sie zu vergelten. Um solcher Gefahr zu entgehen, trat er von dem anfangs gewählten Lebensberufe zurück in einer Zeit, da ihm die glänzendsten Aussichten sich darboten, und begab sich in das Seminar von St. Sulpice.

Das Talent offenbart sich unter allen Verhältnissen; die gewissenhafte Verwendung desselben beschränkt sich weder auf diese noch auf jene Richtung, erachtet jeden edlern Zweck als gleich hoch. So konnte, wollte und durfte auch Hr. Ravignan in dieser neuen Bestimmung sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Er brachte manche Jahre in dem Seminar zu; und wer seines Eifers, seiner Erfolge, seines Wandels und besonders seiner Vorträge Zeuge war, pries Gott, daß er der Kirche einen Mann zugeführt habe, der, wozu er auch durch sie berufen werde, ihr zum mannigfaltigsten Segen dienen müsse. Es wurde bereits in Aussicht gestellt, daß ein solches Talent, ein solcher seltener Geist nicht lange in untergeordneter Wirksamtkeit verbleiben könne; daß, kaum er als Geistlicher allgemeiner bekannt seyn würde, ein Bischofsstuhl und noch Höheres seiner warten dürfte. Auch diese Ahnungen blieben dem Seminaristen nicht verborgen; und abermals wandelte ihn die Besorgniß an, die äussern Verhältnisse möchten eine grössere Gewalt über ihn gewinnen, als er denselben einzuräumen geneigt war. Um daher einer möglichen, ja sehr wahrscheinlichen Erfüllung jener frohen Erwartungen und Voraussagungen jede Verwirklichung von vornherein abzuschneiden, ließ Hr. Abbé Ravignan unter die Väter der Gesellschaft Jesu sich aufnehmen, welche bekanntlich ihren Gliedern die Annahme jeder geistlichen Würde untersagt. Ihr nun, die ihr den reinsten, aus dem lautersten inneren Verlangen hervorgehenden Entschlüssen durch Andichtung eines bloß weltlichen Beweggrundes einen Mackel anzuheften beflissen seyd, kommet und saget, was von dieser Art den königlichen Procurator Ravignan geistlich zu werden, was den Abbé Ravignan in die Gesellschaft Jesu sich aufnehmen zu lassen habe bewegen können![192]

Welches Rufes nun derselbe als Prediger in Paris genieße, ist weltkundig. Man hat mich bedauert, zu einer Zeit dahin gekommen zu seyn, in welcher ich ihn nicht hören konnte. »Sie hätten Zeuge seyn sollen,« sagte man mir, »mit welcher Gewalt der Wahrheit, mit welcher Unwiderstehlichkeit der Gründe, mit welcher Fülle der Gedanken, mit welchem Glanz der Beredtsamkeit, mit welcher sprudelnden Lebendigkeit er, je nach den Verhältnissen seiner Zuhörer, jetzt die mittlern Classen, dann die Frauen der höhern Stände, dann das männliche Geschlecht, und oft an einem und demselben Tage jede dieser Classen gesondert zu dem Ergreifen der höhern Güter zu erwecken, für den Ernst des Lebens zu gewinnen, für die Anforderungen und Anerbietungen des Christenthums zu begeistern und bleibende Eindrücke unfehlbar hervorzurufen weiß.« Mein Bedauern, Hrn. Abbé Ravignan nicht hören zu können, war natürlich noch grösser. Dafür zähle ich zu den angenehmsten meines Aufenthaltes in Paris die Stunde, in welcher ich durch einen Freund in die bescheidene Celle des merkwürdigen Mannes in der Hue des postes eingeführt wurde, und zugleich Gelegenheit mir sich darbot, neben andern Männern dieser Vereinigung noch den so tiefgelehrten P. Cahier kennen zu lernen.

Auch die Benedictiner von Solesmte besitzen zu Paris ein Absteigquartier (ein pied-a-terre), ein kleines Priorat in der Rue Monsieur, am einen Ende der Vorstadt St. Germain. Sie haben es in Erinnerung an die altberühmte Abtei, welche diesem interessanten Stadtviertel den Namen gegeben hat, St. Germain genannt. Es ist ein gewöhnliches Wohnhaus mit einem kleinen Garten. Ein Zimmer des Erdgeschosses ist in eine enge, einfache Capelle verwandelt, in welcher sie ihren Chor halten. Das Bestreben der wiedererstandenen Benedictiner in Frankreich geht vorzüglich dahin, den alten Ruf des Ordens in Pflege der Wissenschaften aufzufrischen. Ein Mann, der das Gewicht dieser Aufgabe nicht allein zu würdigen, sondern durch seine Person dieselbe zuerst zu lösen weiß, steht ihnen vor: der Abbé Gueranger, der während meines Aufenthalts in Paris[193] von einer Reise nach Amerika zurückkehrte. Was ich von allen Seiten über denselben vernahm, ließ mich um so lebhafter bedauern, daß ich während der wenigen Tage, da er sich in Frankreichs Hauptstadt aufhielt, seine persönliche Bekanntschaft nicht machen konnte. Seine Institutions liturgiques, wovon bei Debecourt damals zwei Bände erschienen waren, verdienen nach ungetheiltem Zeugniß Aller den Leistungen eines Mabillon, Montfaucon, Dom Vic und Vaissette, der Gebrüder Sainte-Marthe und vieler anderer Coryphäen grosser wissenschaftlicher Unternehmungen in der Vergangenheit mit Recht an die Seite gestellt zu werden; sie sollen sich durch die umfassendsten und tiefdringendsten Forschungen über diesen Gegenstand auszeichnen und für das Alterthum des kirchlichen Cultus die schlagendsten Beweise darbieten. Doch nicht bloß in dem Stammsitz deß in Frankreich hergestellten Ordens, auch in dem bescheidenen kleinen St. Germain finden geschichtliche Forschungen ihre Pfleger. Der Prior, Hr. Abbé Pitra, beschäftigte sich gerade mit einem Leben des heil. Leodegarius. Bischof von Autun, über welchen er aus dem, demselben geweiheten Chorherrenstift zu Luzern in der Schweiz einige Mittheilungen durch mich zu erhalten hoffte; aber ohne grossen Erfolg, da dort nicht einmal ein eigenes Officium für den Schutzpatron des Stifts besteht. Ein anderer junger, der Wissenschaft sich widmender Mann, der zur Zeit noch als Novize in St. Germain sich befand, ist der Abbé du Lac, an welchen sich für die Zwecke der religiösen Genossenschaft schöne Hoffnungen knüpfen.

Zum Eintritt in diese religiöse Gemeinschaft kann abermals keine Lust zu gemächlichem und behaglichem Leben, keine Aussicht auf Rang und Würden bewegen. Dergleichen werden ihren Gliedern nicht ertheilt, zu jenem fehlen alle Mittel. Sie muß ihre wenigen Bedürfnisse aus dem, was etwa der Einzelne einbringen kann, und aus dem Ertrag literarischer Arbeiten bestreiten, denen Jeder sich zu unterziehen verpflichtet fühlt. Nur religiöser und wissenschaftlicher Eifer vereint kann für talentvolle junge Leute Beweggrund werden, einem Lebensberuf[194] mit unabänderlichem Entschlusse sich zu widmen, der bloß innere Befriedigung, von äusseren Dingen nichts als Entbehrung und Anstrengung gewähren kaum. Die Declamatoren gegen die Klöster, die grundgelehrten Kenner der Geschichte und der menschlichen Natur dürften sich daher wohl zwischenein ernstlich mit Beantwortung der Frage beschäftigen: wie es zu erklären seye, daß, nachdem der Fortschritt und die Geistesentfeßlung diese Anstalten als ein die Menschheit entwürdigendes Joch so dienstbereitwillig in Trümmer geschlagen habe, es doch noch immer Solche – und zwar weder unter den Beschränktesten noch unter den Schlechtesten – gebe, die dasselbe von neuem sich aufzulegen beflissen wären, und zwar unter weit ungünstigern Verhältnissen, als diejenigen gewesen seyen, unter welchen die siegbrüllenden Liberatoren dasselbe zerschmettert hätten? Wahrlich eine ernste Frage, deren richtige Würdigung weder durch das Christenthum noch von Seite der richtig beurtheilten menschlichen Natur gescheut werden dürfte.

–––

Ruhigen Blickes, in einfachem Gewande, bescheiden, je zu zwei oder drei habe ich sie öfter durch die Strassen von Paris wandeln gesehen, die Schulbrüder, diese treuen und genügsamen Unterweiser und Erzieher der ärmtern Jugend. Welcher Contrast zwischen ihnen und den aus deutschen Seminarien in die Dörfer hinausgeworfenen Lehrer mit Vatermördern, Brille, Handschuhen, Tabakspfeiffen mit langer Röhre und bammelnden Troddeln! Man sieht es jenen schlichten Brüdern an, daß sie der Aufgabe, die Jugend durch allerlei in dieselbe hineingepfropften Wust zu verbilden, nicht gewachsen wären; dagegen müßte Jeder, welcher denselben lieber ausfegte als sorglich aufstapelte, schon auf den ersten Anblick Vertrauen zu ihnen gewinnen. Dieses Vertrauen kömmt ihnen auch von allen Seiten entgegen, so daß sie bereits gegen 300 Häuser durch das ganze Land besitzen und die Schülerzahl von 9209, die sie im[195] Jahr 1821 zu unterrichten hatten, sich jetzt (man vergesse nicht, daß das Wort jetzt auf das Jahr meines Aufenthaltes in Paris – 1843 – sich bezieht) vervierfacht hat. Gemäß des göttlichen Wortes: »wenn ihr Nahrung und Kleidung habt, so begnüget euch, verlangen sie nichts weiter, als die Einrichtung ihrer Häuser. Der Weise, wie sie ihres Geschäftes wahrnähmen, versicherte man mich, seye durchweg das Gepräge wohlthuender Ordnung und Regelmässigkeit aufgedrückt. In ihrem Unterrichte beschränken sie sich auf Lesen, Schreiben, Rechnen, die nothwendigsten Anfangsgründe der Geographie und Linearzeichnen. Aber die Jugend in den Wahrheiten der Religion zu begründen, mit Geduld und Milde deren Fehler zu verbessern, mit weisem Maaß Lohn und Strafe anzuwenden, ein höheres Ziel, als blosse Abrichterei für das materielle Leben im Auge zu behalten, das ist's, was sie auszeichnet, was sie besorgten Eltern, wohlgesinnten Gemeindevorstehern so werth macht. Während daher die Einen die Krone von Frankreichs Baum mit fahlen Blättern am schönsten zu zieren vermeinen, sorgen diese schlichten und von der Zeitweisheit als »unwissende« gehöhnten »Brüder,« dafür, daß seine zartesten Wurzelfasern von gefunden Säften durchdrungen werden. Die, welche Jenes sich angelegen seyn lassen, mögen vor der Welt schillern, diese suchen Lohn und Befriedigung in segensreichem Wirken.

Die Regierung hat ihnen in der Vorstadt St. Martin ein geräumiges und bequemes Haus, zum Noviciat für das ganze Land bestimmt, eingeräumt; sie gaben ihm die liebliche Benennung zum Kinde Jesus. Sie lassen sich etwa auch in Privathäuser rufen, um in diesen die Kinder zu unterrichten; aber nicht den Vornehmen und Reichen der Welt, wo ansehnliche Vergeltung ihrer warten könnte, wenden sie ihre Dienste zu, sondern denjenigen widmen sie dieselben am liebsten, welche nur wenig zu geben vermögen, womit sie aber immer zufrieden sind. In ihrem Bestreben finden sie Mitwirken für die weibliche Jugend bei den barmherzigen Schwestern, welche neben[196] der Krankenpflege auch diesem Dienst christlicher Liebe sich unterziehen.

In dem östlichen und südlichen Frankreich findet sich eine ähnliche religiöse Verbindung unter der Benennung »Marianische Brüder.« Doch ist der Unterricht derselben ausgedehnter, als derjenige der Erstern, die sich ausschließlich auf Primarschulen beschränken. Jene halten selbst Pensionate, in denen Sprachen, sogar Philosophie gelehrt wird. Sie theilen sich in ihren Häu fern in Priester, Lehrer und (Handarbeit verrichtende) Brüder. Alle legen die drei Gelübde ob, und tragen eine einfache, gleichmässige, aber bürgerliche Kleidung. In ihrem Schulhause haben sie ein gemeinsames Schlafzimmer, ein Eßzimmer, ein gemeinsames Arbeitszimmer und eine Capelle, in welchen Räumen insgesammt Clausur beobachtet wird. Aber auch sie verlangen, wenn sie irgendwohin berufen werden, keine andere Vergeltung, als Fürsorge für ihre wenigen Bedürfnisse.

So sehen wir auch da wieder Liebe, Gehorsam und Demuth zum segnenden Geflechte sich verschlingen, auch da wieder durch diese Kräfte Früchte reisen, welche ohne dieselben weder hervorgetrieben, noch gezeitigt werden könnten, und, wo jene nicht sich finden, vergeblich gesucht würden.

Wann wird man endlich zur Einsicht gelangen, daß befriedigender Unterricht und zweckmässige Erziehung in jedem Lande am besten von Congregationen besorgt werden, welche durch die Kirche in dem Christenthum wurzeln, und in dieses hinein auch die heranwachsenden Geschlechter pflanzen; von Männern, welche die Wesenheit nicht dem Schein aufopfern, über dem Untergeordneten nicht das Höhere zerrinnen lassen, und in ihrer Dienstverrichtung über dem Blick nach Oben und über der Liebe zu ihren Miterlösten für die Rücksichten auf ihre eigenen Personen keinen Raum finden?

Während die Angestellten, sey's aus Diensteifer, sey's aus Wahlverwandtschaft, die Besoldungen aus dem Communal-Vermögen Lehrern zuwenden, welche in den Anstalten der Universität[197] ihre Bildung und ihren Zuschnitt erhalten haben, sendet die Neigung und das Vertrauen der Einwohner die Kinder den armen Schulbrüdern zu. An mehr als an einem Orte bestehen Schulen nebeneinander, eine des wohlbezahlten Lehrers mit kümmerlicher Kinderzahl, eine andere jener Brüder mit zahlreichem Besuch der Lernenden und kümmerlichem, dennoch innerlich frohem Bestehen der Lehrenden und immer weiter sich verbreitendem Verlangen, dieselben zu besitzen. Es sind mir zu dessen Beweis mancherlei Thatsachen erzählt worden. So hat z.B. der Stadtrath von Senlis einen Primarlehrer der erstern Art berufen und gibt ihm einen jährlichen Gehalt von 2400 Franken, wofür er kaum dreissig Schüler um sich sieht. Obwohl die Stadt wenig begüterte Einwohner zählt, sind doch die einigermassen Wohlhabenden zusammengetreten und geben jährlich freiwillig 1800 Franken, von denen drei marianische Brüder nothdürftig sich erhalten, aber mehr als 200 Kinder zu unterrichten haben. Dasselbe ist in Auxerre der Fall. Hier besuchen wenigstens dreihundert Kinder die Schule der Brüder indeß der wohlbezahlte Herr Stadtschulmeister mit einigen angefüllten Bänken sich begnügen kann.

Man wirst der Geistlichkeit insgesammt vor, sie seye dem Elementar-Unterricht nicht besonders gewogen. Es fragt sich aber: ist dieselbe in ihrer Mehrzahl dem Unterricht an sich, oder ist sie dem Unterricht, wie er gerade gegeben wird, nicht gewogen? Erachtet sie denselben für überflüssig, wohl gar für schädlich; oder hält sie ihn nur für ungenügend und etwa deßwegen für schädlich, weil die Richtung, welche ihm gegeben wird, eine solche ist, mit dem sie sich nicht einverstanden erklären kann? Ist es das Letztere, so dürfte darin gegen die Geistlichkeit kein Grund zur Anklage liegen. Daß es aber dieß seye, dürfte kaum in Zweifel gezogen werden, sobald man weiß, daß zwei veröffentlichte Schriften über den Volksunterricht kein Geheimniß daraus machen, wie unter 77 Normarschulen in Beziehung auf religiösen und sittlichen Unterricht blos eilf befriedigende Resultate aufweisen konnten. Erschiene wohl die Geistlichkeit[198] würdiger und pflichtgetreuer, wenn sie auf solchen Mangel des Wesentlichsten eines gewissenhaften und gedeihlichen Volksunterrichtes vergnügten Blickes schauen, solchem wohl gar noch das Wort sprechen, denselben begünstigen könnte? Ob auch alsdann der Eine oder Andere der schmunzelnden Lobsprüche mancher Wortführer solcher Bestrebungen sich zu getrösten hätte, könnte er dieselben mit klarem Bewußtseyn und richtiger Würdigung von Amt und Obliegenheit in Einklang bringen?

Ist jene Anklage wahr, so trägt die Universität und der an ihrer Spitze stehende Großmeister, so trägt eine große Zahl der Lehrer entweder durch den Innhalt ihrer Lehren, oder durch ihr Betragen redlich dazu bei, dieselbe hervorzurufen und die Veranlassung dazu immer fester zu begründen. Es wird in Frankreich in ähnlicher Weise, wie in den bestvorangeschrittenen Ländern deutscher Zunge, Alles angewendet, um den Dorfschulmeistern eine sattsame Dosis Dünkel einzutrichtern, um sie dem Geistlichen des Orts wenigstens an die Seite, jedenfalls gegenüberzustellen. So sagt unter anderm ein Circular des Großmeisters an die Lehrer: »Was die moralische Erziehung anbetrifft, so setze ich hierin mein Vertrauen vorzüglich in Sie... Auch der Lehrer ist eine Autorität in der Gemeinde. Der Maire ist Vorsteher derselben und der Lehrer soll ihm bei jeder Gelegenheit die schuldige Achtung erweisen... Der Pfarrer hat auch ein Anrecht auf Achtung,« (der Bauer ist, so zu sagen, auch ein Mensch, spricht in »Wallensteins Lager« der Wachtmeister), denn sein Amt entspricht demjenigen, was in der Menschennatur das Höchste ist... Sollte es sich unglücklicher Weise treffen, daß der Diener der Religion dem Lehrer nicht das gebührende Wohlwollen schenkte, so darf dieser nicht sich erniedrigen, um es wieder u gewinnen; er muß zu warten wissen« (il saurait l'attendre – was man auch übersetzen könnte: er muß ihm auf den Dienst zu lauern verstehen).

Einige Thatsachen zu Beleuchtung der Gesinnung und des[199] Betragens dieser »Autoritäten in der Gemeinde« können nun gleichfalls zu Beurtheilung jener, wider die Geistlichkeit erhobenen Anklage auf einen richtigen Standpunkt uns verhelfen. Der Bischof von Chartres, dem doch vermöge seiner Stellung ein Blick in die Wirksamkeit der Lehrer zugetraut werden dürfte, sagt in seinem Sendschreiben, daß manche Leiter des Primar-Unterrichts für ihre Religosität ebensowenig Bürgschaft gäben, als die Lehrer der höhern Anstalten, vielmehr ebendemjenigen Geist huldigten, der in der Universität die Herrschaft an sich gerissen habe, das System des Atheismus in manchen Provinzen Frankreichs einheimisch zu machen suchten. Der Bischof schließt in dieser Beziehung sein Schreiben mit den Worten: »Sobald die den Studien fremde, ungebildete Volksklasse den Glauben verloren hat, ist sie jeder höhern Betrachtung, die sie zu denselben zurückführen könnte, unfähig; und da sie die Grundlage der Gesellschaft bildet, so muß diese selbst früher oder später dem Stoß der zügellosesten Leidenschaften weichen, sobald sie durch die Religion nicht mehr gefestet und gestützt ist.«

Es ist aber nicht nothwendig, einzig an die Aeusserungen des Bischofs sich zu halten. Thatsachen, allgemein kund gewordene Thatsachen liefern jedenfalls die Scholien dazu. So verkündete unter andern der Schullehrer der Halbinsel Lézardleur, dem Lehrbuche der Universitäts-Philosophie gemäß, daß jedwede Religionsübung gleichgültig, und daß es gar nicht darauf ankomme, ob man Jude, Christ oder Muselmann seye, indem die Dogmen nur speculative Ideen wären. Der Schulinspector im Departement der Vogesen lehrte in einem von der Universität gebilligten Buch seine Lehrer: der Gedanke seye die Wahrheit an sich, d. h. Gott, das Gebet daher unnütz. Ob nun sämmtliche Lehrer diese erhabene Meinung für sich zu behalten, und keiner sie wieder zu verkünden sich mögen gedrungen gefühlt haben? Im Departement vom Canal zog ein Lehrer an der Spitze seiner Kinder aus, einen Tambour voran, die Marseillaise singend, die vor dem Pfarrhaus unterbrochen ward, um[200] dem Jubelruf Platz zu machen: »Weg mit den Jesuiten! Weg mit den Pfaffen!«

Und durch solches Formiren der jugendlichen Gemüther sollte Frankreichs Geist erkräftigt, Frankreichs Wohlfahrt gefestigt, die Gesellschaft auf diejenigen Grundlagen gebaut werden, welche allein Bürgschaft des Gedeihens und der Sicherheit ihr geben könnten!

Hören wir aber zum Ueberfluß noch einen Zeugen, den gewiß Niemand der Parteilichkeit oder Befangenheit zu Gunsten eines Unterrichts im Sinne der Kirche beschuldigen wird. In einem Bericht an die Akademie der moralischen Wissenschaften über Vergiftung durch Arsenik sagte Hr. Cormenin: »Ich muß bekennen, eine stumme, verborgene Verderbniß schleicht durch die Dörfer. Es ist wahr, man hat lustigere Lehrsäle und Zimmer für die Lehrer, mit einem Speicher darunter, gebaut. Man tapezirt das Innere der Säle mit Tafeln von ba, be, bi, bo, bu, und künstlich gemalten Thieren aus. Der Unterricht gewinnt fast allenthalben den scheinbaren Anstrich einer blühenden Cultur. Aber die Erziehung mangelt, und die Lehren einer religiösen Moral werden den Buben und Mädchen nicht gehörig eingeprägt; man lehrt sie nicht genugsam, Gott im Himmel und dessen Stellvertreter auf Erden, ihre Eltern, zu lieben.« (Der Universitätslehre nach ist, ein Nicht-Ich zu lieben, eine unsinnige Hypothese.) »Das dürfte mit Recht die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich ziehen. Das wäre ihre Pflicht, läge in ihrem Interesse. Denn ein Volk, welches keine feste moralische Richtschnur hat, kann auch kein tiefes Gefühl für Freiheit und Ordnung besitzen, und ohne diese beiden ist das Regieren unmöglich. Aber soll man zusehen, ob eine solche Wiederherstellung der Sitten von selbst sich mache? Stehen die vorhandenen Mittel der Gesetzgebung, der Polizei, der Abhülfe mit der Dringlichkeit und Grösse des Uebels in richtigem Verhältniß? Ich trage kein Bedenken zu erklären: »Nein!«
[201]

Ein Aufenthalt von sechs Wochen in Frankreichs Hauptstadt hatte mir des Belehrenden, Angenehmen, Unterhaltenden Viel geboten, mit manchen bedeutenden Männern mich in Verbindung gebracht, in das Wesen der katholischen Kirche und deren Einfluß auf das Leben heller mich blicken lassen, in jeder Beziehung Belehrung gewährt und neue Anregungen hervorgerufen, ohne jedoch entschieden zu festigen, ohne zu einem bestimmten Entschluß zu verhelfen. Zerrannen auch immer mehr die Nebel, das Licht war mir doch noch nicht in seinem vollesten Glanze aufgegangen; immer mehr aber wurde ich der nachten Frage entgegengetrieben: ob die Verwegenheit oder der Muth, jene nach innen gewendet, dieser nach aussen gerichtet, jene verdammlich, dieser preiswürdig, endlich das Uebergewicht gewinnen solle? Ist der selbstständige Mensch, ist derjenige, der nicht durch Angewöhnung, Umgebung und die Macht der äussern Verhältnisse willenlos sich kann ziehen und gewichtigere Factoren des innern Lebens durch sie aufwiegen lassen, erst dahin gelangt, das Daseyn einer Wahrheit, einer höhern, heilbringenden, in allen ihren Theilen harmonischen Wahrheit auf einem Gebiete zu ahnen, welches sonst in kurzer Abfertigung als das des entschiedenen Irrthums bezeichnet wird; geht das Licht dieser Wahrheit aus anfänglicher Dämmerung durch manche unabweisliche Einflüsse immer heller ihm auf; gewinnt dasselbe dadurch, daß er dessen Strahlen nicht absichtlich sich entzieht und gegen dessen Einwirkung nicht frevelhaft sich sperrt, für ihn immer grössere Klarheit: so könnte nur die Verwegenheit den Versuch wagen, die in das Innere eingegangene Wahrheit äusserlich mit dem Gewande des Irrthums zu umhüllen, und gleichsam einen täglich sich erneuernden Zwiespalt zwischen Seyn und Schein herauszufordern. Verwegenheit wäre es zu nennen, dieweil hiemit ein Kampf, nicht auf Sieg, sondern auf Untergang angehoben würde; ein Kampf, in welchem nichts Wesentliches zu gewinnen wäre, wohl aber die Gefahr nahe stünde, nicht allein das Geschenkte oder Errungene, sondern selbst das ursprünglich Besessene zu verlieren, und nicht nur auf der,[202] unter manchen Beschwernissen erklommenen Höhe sich nicht erhalten zu können, sondern hinabzustürzen in den bodenlosen Abgrund.

Darum aber, weil die Ahnung solcher Gefahr den Menschen zwischenein wohl einmal berühren mag, besitzt er noch lange nicht den Muth, ihr zu entgehen, denn sie stellt sich ihm bei weitem nicht unter allen den Schrecknissen dar, die mit ihr unzertrennlich verknüpft sind; diese enthüllen sich ihm in ihrem vollen Umfange dann erst, wenn er durch göttliche Gnade die Kraft gewonnen hat, dieser Gefahr zu entgehen, somit von gesicherter Stellung festen Blickes in sie hineinzuschauen. Zu diesem Muth, der je nach individuellen Verhältnissen und besondern Veruntstandungen bei dem Einen in grösserer Entschiedenheit und nach bedeutenderem Maß vorhanden seyn muß, kann der Mensch zwar wohl sich bereiten, aber nach voller Erforderniß denselben nicht sich verleihen; es ist nicht Sache des Rennenden und Laufenden, sondern der leitenden und kräftigenden Gnade. Das habe ich wohl erfahren. Es mag seyn, daß derjenige, welchen entweder Leichtfertigkeit oder untergeordnete, vielleicht sogar verwerfliche Beweggründe in die Kirche zurückführen, bald mit sich im Reinen ist, denn er verkehrt den Zweck in das Mittel. Da aber, wo die entgegenkommende und nicht zurückgewiesene Wahrheit allmählig und immer tiefer in das Herz eingedrungen ist und von demselben Besitz genommen hat, da klammern auch sofort die äussern Verhältnisse zäher an den Menschen sich an; sie wollen gegen jene ein Gegengewicht bilden, die Herrschaft ihr streitig machen; es beginnt der Kampf zwischen Geist und Fleisch, zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren, zwischen dem Unvergänglichen und dem Vergänglichen, zwischen dem Hinaustreten auf ungewisse, vielleicht mit Dornen und Klippen besäete Pfade und dem sorglosen Dahinschlendern auf gewohnter Bahn. Man müßte aber die menschliche Natur schlecht kennen, wenn man im Zweifel stehen wollte, nach welcher Seite sie mehr sich hingezogen fühlte. Am Ende drängt Alles in die Frage sich zusammen:[203] äusserer Friede und innerer Kampf, innerer Friede und äusserer Kampf? Diesen an jenen setzen zu können, darf der Mensch von sich allein kaum erwarten; ist es ihm aber vergönnt, aus dem Verlauf seiner eigenen Begegnisse mit etwelcher Sicherheit die leitende Hand herauszulesen, so darf ihm gewisse Hoffnung nicht fehlen, es werde dieselbe, was sie aus weiter Ferne und in leisen Anfängen begonnen, seiner Entwicklung mit Stätigkeit entgegengeführt, auch an das Ziel zu bringen wissen. Getrost, deßwegen aber weder sorglos noch gleichgültig, mag er dieß der Zukunft anheimstellen, ohne über das Wie vorläufig in nutzlose Erörterungen sich zu vertiefen.

In solcher Gesinnung kehrte ich nach Hause zurück. Zwar mit reichem Gewinn von meinem Aufenthalt in Paris, dennoch über nicht über alle Bedenklichkeiten erhoben: dennoch, so auch diese würden beseitigt seyn, noch lange nicht begnadigt mit jener Entschlossenheit, welche der innern Ueberzeugung alle äussern Rücksichten zum Opfer zu bringen vermag; dennoch in zuversichtlichem Vertrauen, wie bisanhin ohne mein Zuthun Manches sich gefügt und wider mein Erwarten, ja selbst gegen meine Absicht Vieles sich gestaltet, so würde auch über diesem Dunkel entweder schneller oder auf eine Weise, worüber vorher grübeln zu wollen unnütz wäre, das Licht aufgehen.


Da bot unerwartet Innocenz Hülfe. Nach meiner Rückkehr aus Paris wandelte es nemlich, in Unschlüßigkeit, welchen gewichtigen Gegenstand zur Erforschung um Bearbeitung ich an die Hand nehmen wollte, mich an, müssige Stunden mit irgend einer leichten Arbeit auszufüllen. Ich dachte an Innocenzens Schrift »von den Geheimnissen der Messe,« die ich zum Behuf meiner geschichtlichen Studien über ihn einst sorgfältig durchgangen hatte. Schon damals schien es mir, diese Erläuterung seye in sehr praktischem Sinne abgefaßt, dürfte ebensowohl zu gründlicher Belehrung über den tiefen Sinn und den rechten Innhalt der hl. Messe, als zur Erbauung für Jeden[204] dienen, der in der Ahnung von deren tiefer Bedeutung nach einem klaren Verständniß derselben sich sehne. Demnach hielt ich dafür, eine Uebersetzung und dadurch Bekanntmachung dieses Werkes dürfte ein verdankenswerthes Unternehmen in doppelter Beziehung seyn: einerseits um jene Aufschlüsse zu gewähren, anderseits um zu zeigen, daß in deren Verfasser, mit den Eigenschaften eines grossen Oberhauptes, diejenigen eines gründlichen Theologen und eines glaubensfreudigen Gliedes der Kirche sich zusammengefunden hätten. Bei nochmaligem Durchlesen der Schrift, in welcher der so mächtige als geistreiche Verfasser derselben vor dem hochheiligen und unausforschlichen Gehrimniß in tiefer Demuth sich beugt, ward ich in dieser Meinung bestärkt, fand daher in einer zu beginnenden Uebersetzung5 Beides: eine zusagende Ausfüllung müssiger Stunden, sodann die Möglichkeit, Manchen, denen das Werk nachmals dürfte bekannt werden, hiemit einen Dienst zu erweisen.

Aber ich fand noch mehr; ich fand eigene Erbauung und eigene Belehrung. Das Werk hatte jetzt eine andere Bedentung für mich selbst gewonnen, als früher, da ich in demselben nur nach Bruchstücken der theologischen Meinungen des Verfassers, blos nach Zeugnissen seiner Ansichten und Gesinnungen forschte, dasjenige, was die Sache selbst betraf, ganz auf sich beruhen ließ. Erst indem ich Innocenzens Auslegung las, und dieses einzig in der Absicht, zu entscheiden, ob das Unternehmen einer Uebersetzung mir zusagen könnte, hierauf noch mehr, als diese selbst begann, gieng mir während der Arbeit immer heller das Licht auf. Ich lernte sowohl den Gesammtinnhalt der Messe, als deren umfangsreiche Beziehung richtiger erkennen; ich blickte immer klarer und tiefer in dieselbe hinein; ich ward wunderbar angeregt durch die sinnvolle Bedeutung dessen Alles, was man die sichtbare Ausstattung der heiligen Verrichtung nennen möchte; die Einfachheit, Erhabenheit und Würde der Gebete und Formein, aus denen das Ganze zusammengesetzt ist, erfüllte mich mit besonderer Ehrfurcht; ich sah alles Emporhebende, Tröstende[205] und Belebende der gesammten Heilsordnung, der göttlichen Rathschlüsse zur Wiederversöhnung des gefallenen Menschengeschlechts mit dessen Schöpfer und Vater zusammengesaßt in diese heilige Handlung; die Dahingebung des Erlösers zu Tilgung unserer Sünde leuchtete aus dem Ganzen als innerster Kern, um welchen Engel und Menschen, Kämpfende und Triumphirende, Lebende und Verstorbene, Priester und Layen in zusammenstimmender Verherrlichung sich einigen; fortan heller gieng mir das Licht auf, daß sie in erfrischender und erkräftigender Fülle den Gläubigen umfasse als Gnadenquell, aus welchem der Lebensborn über Feyernde und Theilnehmende, über Anwesende und Abwesende, über Nahe und Ferne, über Lebendige und Hingeschiedene mit seinen geistigen Segnungen strahlte; sie trat mir entgegen als lichtfunkelnder Edelgestein, um welchen Stoff und Ausstattung, Worte und Bewegungen, Altar und Tempel, und mit diesem Allem die darauf hingewendeten Gemüther der Mitfeyernden die reiche und kostbare Einfassung bilden.

Ich hatte zwar bisanhin wohl hie und da bei Gelegenheit einem Hochamt beigewohnt, aber dessen verborgenen Sinn mehr geahnet als verstanden; mehr in dasselbe hineingetragen, als aus demselben herausgenommen; mehr in allgemeinen Gefühlen mich bewegt, als dabei, wie es hiezu uns auffordert und seiner wohlerkannten innern Macht gemäß uns zwingt, in das versöhnende Leiden unsers Erlösers mich versenkt. Jetzt erst begann ich dasselbe einigermaßen zu verstehen; jetzt erst war mir klar, was aus ihm zu schöpfen seye; jetzt erst bildete es die Erlösung, von dem Augenblicke da der Herr mit dem genommenen Brod sich selbst zur Speise gab, bis zu seiner Auferstehung, in allen Momenten seines versöhnenden Leidens, mir vor Augen. Wie oft dachte ich, während meine Uebersetzung voranschritt: in den protestantischen Kirchen, die doch alle christlich sich nennen, und mit diesem #Beiwort ihre Unterordnung unter Christum und ihre Verbindung mit Christo und ihren Glauben an Christum andeuten, oder wenigstens andeuten sollten, muß[206] man es darauf ankommen lassen, ob der Mensch an einem, dem christlichen Gottesdienst geweiheten Tage an denjenigen, welcher Gegenstand seiner Verehrung seyn sollte, auch bloß vorübergehend oder von ferne gemahnt werde; ob es dem Prediger gefalle, Christum auch nur zu nennen; oder aber in seinem »christlich« genannten Vortrag über denselben hinwegzuschreiten, als verdiente er nicht einmal Erwähnung; ob der Herr Kanzelredner es für gut finde, auf denselben, als auf den Anfänger und Vollender des Glaubens, zu erbauen, oder ob es ihm genüge, auf ihn, als höchstens auf einen wohlmeinenden Lehrer, auf ein anregenees, vielleicht bloß berücksichtigenswerthes Beispiel aufmerksam zu machen? Es trat mir in Erinnerung, wie vielfältig man in protestantischen Kirchen zwar manches Nützliche und Brauchbare vernehmen könne, ohne deßwegen an den Weltheiland erinnert zu werden. Aus Innocenzens Schrift aber überzeugte ich mich, daß einer Messe mit wahrem Sinne Niemand beiwohnen könne, ohne nicht allein die Erinnerung an den Erlöser zu erneuern, sondern eigentlich in belebende Gemeinschaft mit ihm zu treten. Da nähert er sich uns, da verkehrt er mit uns, da nimmt er uns bei der Hand, um zu dem Vater uns zu führen, da weckt er uns nicht allein durch sein Wort, sondern haucht seinen Geist uns ein, da tritt er in die Mitte der Gläubigen, daß er mit ihnen und sie mit ihm seyen. Man kennt jenes Wort König Friedrichs des Zweiten von Preußen über die Weise, wie die verschiedenen Confessionen Gott behandelten. Seit ich mich in die Tiefen der heiligen Messe eingeführt sehe, möchte ich jenes Wort dahin berichtigen: die Reformirten hören von ihm reden (so anders der Redner seiner sich nicht schämt), die Lutheraner können ihn von weitem reden hören (wenn nicht der Hr. Superintendent meint, die Leute wären eigentlich versammelt, um die Ansichten seiner eigenen Person zu vernehmen) zu den Katholiken aber kommt er selbst, verkehrt mit ihnen, giebt Jedem von ihnen ganz sich zu eigen. Wäre daher der Priester selbst der ausgedörrteste und ausgesaugteste Rationalist, er könnte doch, während und so lange er[207] die heil. Messe celebrirt, und selbst wenn er diese neumodisch verkümmerte, von dem Menschgewordenen, von dem Weltheiland von dem Mittler zwischen Gott und dem Menschen uns nicht losmachen, denselben doch uns nicht vorenthalten, von demselben uns doch nicht scheiden, von den grünen Auen des Lebens uns doch nicht hinausstossen auf seine dürre Vernunftheide.

Demjenigen, welcher in dem Protestantismus geboren und alt geworden ist, fällt es allerdings schwer, das Geheimniß der Verwandlung der Stoffe in dem heil. Meßopfer anzunehmen. Das ist der Stein des Anstosses, der am schwersten zu beseitigen, das die Schwierigkeit, die am längsten nicht zu überwinden ist. Ich begreife es, wie der Katholik, der in diesem Glauben geboren, aufgewachsen, erzogen, durch alle Umgebung und Uebung und Mahnung darin gefestigt worden ist, dessen sich vecwundern kann, daß hierüber so große Bedenklichkeiten aufsteigen mögen. Gelänge es ihm aber, in die seit früher Jugend eingewöhnte Anschauungsweise des Protestanten, zumal des mit Zwinglianischer oder Calvinischer Meinung getränkten Protestanten, einen Blick zu thun, so würde ein solches Sträuben ihm weniger befremdlich vorkommen. Allerdings gäbe es da einen Ausweg, – und wer weiß, ob nicht Manche, die in die Kirche zurückgekehrt sind, denselben betreten haben; ob er nicht vielleicht am Ende mir selbst als der vollkommten richtige würde vorgekommen seyn? derjenige nemlich: in Berücksichtigung, daß jenes constante Lehre der Kirche von dem frühesten Alterthum her gewesen und von den größten Geistern aller Jahrhunderte unverrückt festgehalten worden seye, dasselbe unter Verzichtleistung auf jedes weitere unfruchtbare und verwirrende Grübeln in guten Treuen ebenfalls anzunehmen. Denn sobald der Mensch mit Anerkennung des göttlichen Ursprungs der Kirche mit deren aus diesem herfließenden Gestaltung und Regimtent, den damit in Verbindung stehenden Anordnungen und Vorschriften, mit den andern, ihr eigenthümlichen Lehren sich vollkommen einverstanden erklären könnte, und nur Jenes noch als letzte Bedenklichkeit vorschützen müßte, so wäre nicht einzusehen, mit welchem[208] Grund er diesem ein trennendes Uebergewicht einräumen dürfte.

Hiebei ist mir dabei manchmal der Vorgang jener Engländerin zu Sinn gekommen, welche über den Gott in der Büchse spottete, hierauf aber durch geheimnißvolle Macht zu dem Skrupel getrieben ward: und wenn er es dennoch wäre! aber auch zugleich ihn zu er kennen und zu bekennen sich gezwungen sah. Ich sträubte mich gegen jenes äusserste Mittel. Ich hoffte immer noch, zu einer innern Ueberzeugung zu gelangen und auch hierüber jene Klarheit zu finden, welche mir über alles Andere allmählig zu Theil geworden war. Am Ende kann man Alles annehmen, Alles sich gefallen lassen; aber es liegt doch meines Bedünkens ein wesentlicher Unterschied darin, ob es in innerer Erkenntniß oder bloß in ausserer Anbequemung geschehe. Will man einen Beweggrund des Zögerns hierin erblicken, so seye dieses ohne Widerrede zugegeben; ein begründeter Vorwurf läßt sich meines Erachtens daraus nicht ableiten, oder man müßte leicht bewirkte Zustimmung über gewissenhafte Prüfung hinaussetzen. Wohin man sich entscheide, auch diese Schwierigkeit wurde durch Innocenzens Schrift für mich endlich gehoben, erreicht, was ich so sehnlich wünschen mußte. Sie wurde gehoben, nicht weil der große Papst sie für den natürlichen Menschen beseitigt, nicht weil er für diesen zu erklären versucht hatte, was menschlicher Scharfsinn nicht zu erklären vermag und menschliche Demuth erklären zu wollen sich nicht anmaßen wird, sondern vorzüglich durch seine Worte, wo er sagt:

»Indem also der Priester die Worte ausspricht: das ist Mein Leib, das ist Mein Blut, werden Brod und Wein in den Leib und in das Blut Christi verwandelt, mittelst der Kraft jenes Wortes, durch welche »das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat;« durch welche Er sprach, daß es werde, gebot, und es geschaffen stund; durch welche Er ein Weib in eine Säule und einen Stab in eine Schlange, die Brunnen in Blut und das Wasser in Wein verwandelte. Konnte[209] Eliä Wort Feuer vom Himmel fallen machen, wie hätte das Wort Christi nicht Brod in Fleisch umwandeln können? Wer dürfte Derartiges meinen von Demjenigen, »Dem kein Ding unmöglich ist, durch Den Alles, und ohne Den Nichts gemacht ist.« Unbestreitbar ist es etwas Grösseres, zu erschaffen, was vorher nicht war, als zu verwandeln, was ist; ist es unendlich mehr, das, was nicht ist, aus dem Nichts hervorrufen, als das, was ist, zu etwas Anderem machen. An Jenem wird Niemand zweifeln; in dieses aber sollte Jemand Zweifel setzen? Das sey ferne. Unvergleichbar grösser ist es, daß Gott in solcher Art Mensch geworden ist, in der Er nicht aufhörte Gott zu seyn, als daß Brod in solcher Art Fleisch wird, daß es aufhört Brod zu seyn. Jenes geschah durch die Menschwerdung ein einziges Mal, dieses geschieht durch die Consecration unablässig. Es möchte aber Einer sagen: Ich bin allerdings gewiß, daß das Wort jene Kraft hat, aber ich bin gewissermaßen nicht überzeugt, daß Er dieß will. Ein Solcher nehme wohl in Acht, daß, als Er das Brod genommen, Christus es war, der es gesegnet und gesprochen hat: »das ist Mein Leib.« So hat die Wahrheit selbst gesprochen, und darum muß, was sie gesprochen hat, durchaus wahr seyn. Was demnach Brod war, als Er es nahm, war Sein Leib, als Er es gab. Somit war das Brod in Seinen eigenen Leib und der Wein in Sein Blut verwandelt.

»Denn nicht, wie der Ketzer meint, vielmehr vermeint, muß es, als der Herr sagte: »das ist Mein Leib,« so genommen werden, als hätte Er gesagt: das bedeutet Meinen Leib; etwa wie der Apostel sagt: »der Fels aber war Christus,« d. h. der Fels bedeutete Christus. Dieses würde Er eher von dem Osterlamm, als von dem ungesäuerten Brod gesagt haben. Denn ohne allen Zweifel bildete das Osterlamm den Leib des Herrn vor, das ungesäuerte Brod aber war eine wahrhaftige Sache. So hatte Johannes der Täufer gesagt: »Siehe da, Gottes Lamm,« bezeichnete es aber durch den Beisatz: »welches die Sünden der Welt hinwegnimmt.« So[210] bestimmte auch Christus die Worte: »das ist Mein Leib,« näher durch den Beisatz: »welcher für euch dahingegeben wird.« Wie mithin der Leib Christi in Wahrheit dahingegeben wurde, so wurde derselbe als der wahre bezeichnet, nicht im Bild, was vergangen, sondern in der Wahrheit, welche bereits gekommen war. Denn auch als die Juden unter einander haderten und sagten: »Wie kann Dieser uns Sein Fleisch zu essen geben?« sprach Jesus zu ihnen: »Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch, wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes esset und Sein Blut trinket, so habt ihr das Leben nicht in euch. Wer Mein Fleisch isset und trinket Mein Blut, der hat das ewige Leben.« Deßwegen sagte er: »Amen, Amen,« in Wahrheit, in Wahrheit, damit nicht bildlich, sondern in Wahrheit die Worte, »wenn ihr nicht Mein Fleisch esset,« verstanden würden. Und um die Wahrheit noch bestimmter auszudrücken, fügte Er bei: »Mein Fleisch ist die ächte Speise, und mein Blut ist der ächte Trank.«

»Ich also, der ich das ewige Leben zu erhalten mich sehne, esse das wahre Fleisch Christi und trinke Sein wahres Blut, jenes Fleisch nemlich, welches Er von der Jungfrau an sich genommen, jenes Blut, welches Er am Kreuze vergossen hat. Ich glaube von Herzen und bekenne mit dem Munde, daß ich in diesem Sacrament unsern Herrn Jesus Christus selbst genieße, gestützt auf das Ansehen Seines Wortes: »Wer Mich isset, der wird durch Mich leben.«

Dabei kam mir noch eine andere Ueberlegung zu Hülfe. Die Protestanten, ich meine hier diejenigen, welche zu jenen Fundamentallehren des Christenthums, die auch von Luther, Calvin u. A. mit vollem Ernst und ohne Wanken anerkannt worden sind, noch in guten Treuen sich bekennen, erheben nicht den mindesten Zweifel gegen ein Geheimniß, welches ebenso wenig nach dem Maßstab der menschlichen Erfahrung gemessen werden kann, als dasjenige der wesenhaften Gegenwart Christi im Altarssacrament, und welches das Fassungsvermögen der menschlichen Vernunft nicht minder übersteigt, als dieses; der[211] Unterschied zwischen beiden besteht einzig darin, daß jenes auf eine einzige Thatsache sich beschränkt, anbei der Gläubigen Annahme aus ferner Vergangenheit dargeboten wird, daß dieses hingegen alltäglich, an jedem Ort, in eines Jeden Beiseyn sich erneuert. Dieses Geheimniß ins Auge gefaßt, läßt sich daher in Bezug auf das erstere erwiedern, was den Zweiflern an den Wundern oft schon erwiedert worden ist: sind wir gezwungen, auch nur ein einziges Wunder anzuerkennen, so ist die Frage, ob die Zahl derselben grösser oder geringer seye, nur von untergeordnetem Belang.

Jenes Geheimniß nun, welches von allen in den Hauptfragen christlich-gebliebenen Formen zugleich mit dem apostolischen Glaubensbekenntniß angenommen wird, ist dasjenige der Menschwerdung, mit welchem überhaupt das Christenthum als göttliche Offenbarung und als Welterlösung steht oder fällt. Von den gläubigen Protestanten – von denjenigen, die gegen die Offenbarung selbst protestiren, spreche ich nicht – zweifelt Keiner daran, daß »Christus empfangen seye vom heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau,« d. h. eben der Jungfrau, die zu dem Engel gesprochen hat: » wie soll das zugehen, sintemal ich von keinem Manne weiß?« Dieses Geheimniß wird in dem Katechismus gelehrt, von den Kanzeln verkündet, bildet den Stützpunct alles Glaubens. Demselben zufolge hat der Erlöser menschliche Natur angenommen aus der Jungfrau Maria, er hat sie angenommen in durchaus anderer Weise, als Kinder durch ihre Eltern derselben theilhaftig werden; wir dürfen ihn also auch in dieser Beziehung den zweiten Adam nennen. Wird dieß nicht festgehalten, alsdann kann es zwar immer noch einen Stifter des Christenthums geben, aber einen Weltheiland gibt es nicht mehr; denn ohne dieß stünde Christus unter dem Gesetz der Sünde, wäre er zwar ein Mensch, der durch weise Lehren, durch einen tugendhaften Wandel, durch ein heiligmäßiges Leben sich ausgezeichnet hätte, der indeß, solchen Ursprunges gemäß, wenn auch frei von der wirklichen, doch nicht frei gewesen wäre von der[212] Erbsünde, daher der wahre Mittler zwischen Gott und den Menschen nicht hätte werden können. Ist es nun schwieriger, das Geheimniß der Verwandlung der Stoffe in dem heiligen Meßopfer anzunehmen, als dasjenige der Geburt eines Menschen durch die Jungfrau, d. h. ohne Zuthun eines Mannes? Wäre dieses faßlicher, leichter zu erklären, stünde es unsern Begriffen und unserer Erfahrung näher? Oder würde etwa die Schwierigkeit dadurch gemindert, daß Jenes vor mehr als achtzehn Jahrhunderten in Nazareth sich ereignet, dieses am heutigen Morgen in irgend einer beliebigen Kirche statt gefunden hat? Oder sollte das selbsteigene Wort des Herrn: »Das ist mein Leib,« von minderem Gewicht seyn, als dasjenige seiner jungfräulichen Mutter: »wie soll das zugehen, sintemal ich von keinem Manne weiß?« Im einen Fall haben wir das Wort der Mutter, im andern dasjenige des Sohnes, in beiden den Bericht der Evangelisten. Jenem haben auch diejenigen zweifellosen Glauben beigemessen, welche sich für berechtigt hielten, dieses zu verwerfen. Den Glauben an das eine Geheimniß haben sie beibehalten, weil es aus der Ferne und aus der Vergangenheit zu uns hinübertönt, dem Glauben an das andere haben sie abgesagt, weil sie dem Zeugniß ihrer Sinne das Uebergewicht einräumten und vor demselben (im Gegensatze zu jenem) das Hinausreichen des Glaubens an die Brodverwandlung (selbst bis in die Uranfänge des Christenthumts), so wenig als die Uebereinstimmung der ältesten Liturgien in so verschiedenen Sprachen, weder Anerkennung noch Berücksichtigung finden konnte.

Vor dieser Ueberlegung, in Verbindung mit Innocenzens Werk, zerrann der letzte Zweifel, verschwand alle Ungewißheit. Den Grundlehren des geoffenbarten Christenthums hatte ich von jeher aus vollester Ueberzeugung beigepflichtet; die Stiftung und Leitung der Kirche durch deren Haupt hatte ich längst anerkannt; daß ihre Selbstständigkeit göttlicher Wille und die Entwicklung ihrer innern Organisation nicht ein Werk des Zufalls gewesen seye, leuchtete mir ebenfalls ein; ihren grossen[213] Reichthum an Gnadenmitteln, zu denen auch ein den Menschen nach allen seinen Anlagen in Anspruch nehmender Gottesdienst wesentlich gehört, konnte ich unmöglich verkennen; über die Urheber der Trennung, die Motive zu derselben und die Mittel sie durchzusetzen und zu festigen, hatte ich mir einen hinlänglichen Vorrath von Notizen verschafft; die innere Zerrissenheit des Protestantismus und der bis zu offenkundiger Verläugnung des eingebornen Sohnes und zuletzt noch weiter gehende Zerfall desselben war durch keine Fragen und durch keine Zuckungen des Pietismus zu verkleistern; die Harmonie des Lehrgebäudes der Kirche mit dem Begriff einer göttlichen Heilsanstalt und mit den Bedürfnissen des nach Herstellung der Kindschaft mit dem Vater verlangenden Herzens war mir immer klarer geworden; und die an meiner Person erfahrenen Führungen Gottes, wie er zuletzt gleichsam mit gewaltiger Hand von der Bahn mich hinweggerissen, lagen vor mir wie ein aufgerolltes Buch, und nun zerstob auch die letzte Bedenklichkeit: konnte mir ferner noch eine Wahl offen stehen? Wäre nach solcher Beseitigung aller Hindernisse, bei solchem, wenn auch langsamem, jedoch stätigem Hineinleiten in alle Wahrheit weiteres Sträuben nicht zur baaren Sünde wider den heiligen Geist geworden? Durste, da auch nicht die leiseste und ferneste Einwirkung der Aussenwelt der im Innern waltenden Gewißheit trübend sich beimischen, oder das geringste Bewußtseyn von zeitlichen Rücksichten lähmend an diese sich anheften konnte, Unentschiedenheit allzulange fortdauern? In dieser Beziehung mochte ich seit dem 16. Juni 1844 freien Sinnes und heitern Muthes mit jenem Römer wünschen, nicht allein, daß mein Haus, sondern daß mein ganzer Mensch von Glas wäre, damit Jedermann es möglich würde, Kunde davon zu nehmen, was darin vorgehe; zu spähen, ob an die Beweggründe zu meiner Rückkehr in die Kirche irgend ein unreiner Zusatz sich anheste; ob ich wohl das rückhaltsloseste Kundwerden und das Beurtheilen derselben (insofern dieses ein geradsinniges und ehrliches zu seyn über sich gewinnen könnte) zu scheuen hätte. War demnach[214] jetzt nicht Alles an jenem äussersten Punct angelangt, wo nur noch, wie ich früher bemerkt habe, die Wahl zwischen der leichtfertigsten Vermessenheit und dem durch Gottes Gnade gefestigten Muth offen stand?

––––––

Es sey mir aber vergönnt, den Lauf dieser Darlegung für einen Augenblick zu unterbrechen, um vorerst einige Worte über die heil. Messe, als den ununterbrochen strömenden Licht- und Gnadenquell alles Gottesdienstes, beizufügen. Wiewohl durch Innocenz in das Verständniß derselben hineingeführt, hierauf mit lebendigerer Theilnahme ihr beiwohnend, als früher geschehen konnte, wo ich sie bloß noch als ein mit manchartiger Feierlichkeit ausgestattetes Mittel zu Anregung religiöser Gefühle und als lebendigere Erinnerung an Christi Darbringung betrachtete, schaute ich in sie auch jetzt noch (um mit dem Apostel zu sprechen) wie in einen Spiegel an dunklem Ort. Die an mir selbst gemachte Erfahrung veranlaßte mich zu der Vermuthung, daß derjenige, der zwar an der Pforte der Kirche stehe, aber noch nicht in dieselbe hineingetreten ist, mit wie tiefer Ehrfurcht gegen diese heilige Handlung er erfüllt seyn möge und mit welcher Andacht auch er derselben anwohnen möge, doch nur Hieroglyphen darin wahrnehmen könne, von denen er wohl ahnen, ja erkennen dürfte, daß sie einen unausdenklich tiefen Sinn haben; daß er aber nicht im Stande seye, Alles genügend zu verstehen, und daß volle Fähigkeit hiezu dann erst ihm zu Theil werde, wenn der, selbst durchsichtige Schleyer, der jedoch immer noch von der Kirche ihn trennte, gefallen seye. Mir wenigstens ist es so gegangen. Ich habe bei mei nem Aufenthalt zu Rom und zu Neapel, bevor ich mich als Glied der katholischen Kirche erklärt hatte, in mancher Kirche einem Amt oder einer Messe beigewohnt, jedesmal erbaut, emporgehoben, geistig gestärkt mich gefühlt; im Vergleich zu der[215] Weise aber, womit die Anwesenheit bei dieser Feyer seit meiner Rückkehr in die Kirche auf mich einwirkte, ist es mir, als hätte ich damals nur durch eine Ritze des kaum gelüfteten Vorhanges hineingeblickt, indeß dieser jetzt völlig hinweggenommen ist.

Ich möchte die heil, Messe die grosse Pulsader nennen, welche das verklärte Haupt mit dem Körper, der Kirche, verbindet und das Lebensblut durch das gesammte Geäder desselben treibt, niederwallend in der Fülle aller Gnaden, die von dem Haupt ausströmen, und aufwärts wieder kehrend in Dank, Preis und Verherrlichung, hiemit zu Erhaltung des wahren, gefunden und kräftigen Lebens in ununterbrochenem Kreislaufe sich bewegend. Ob auch handelnd dabei einzig der Priester auftrete, mitsprechend nur die Wenigen (auch wohl bloß der Einzelne), welche in den Erwiderungen die Gläubigen vertreten, Jeder der Anwesenden, findet er anders mit der rechten Gemüthsstimmung sich ein, nimmt dennoch an Allem den vollesten, lebendigsten Theil; er spricht mit, er handelt mit, er glaubt mit, er empfängt mit, er eignet alle Gnaden sich an, die aus Wort, Symbol, Sache und Wesen quellen. Hier besteht eine wahre, lebenvolle, allumfassende Gemeinschaft der Gläubigen, geschaart um denjenigen, der auch zur verschlossenen Thüre hineinzutreten vermag und, so wie bei Allen, auch bei diesen seyn will. Er läßt nicht nur von sich verkünden, nicht nur auf sich hinweisen, nicht nur seine Rede vernehmen, sondern neben dem, daß dieses Alles statt findet, kommt er selbst, ist er Allen gegenwärtig, wird er im Glauben von Allen empfangen, verbindet er sich mit Allen, gibt er Jedem sich zu eigen. Die Messe ist ein Abriß der gesammten Heilsordnung, ein Innbegriff aller göttlichen Anforderungen und Gewährungen, aller Zusagen und Bedingnisse, ein Compendium aller Seelenzustände. Zagen und Muth, Furcht und Hoffnung, Kummer und Tröstung, Seufzen und Jauchzen flicht sich in dieselbe und durch dieselbe, die ganze Tonleiter der durch den wahren Glauben reingestimmten Seele klingt durch dieselbe durch und berührt die verwandten Saiten, daß sie zu reinen Accorden um denjenigen sich verschmelzen,[216] welcher Priester und Opfer zugleich ist. Im Bewußtseyn ihrer Sündenschuld steigt die Seele hinab in die Tiefen der Finsterniß, der sie durch jene verfallen ist, und himmelan schwingt sie sich in dem Jubel über ihre Erlösung zu den Räumen des unerschaffenen Lichtes, an den Thron des Lammes, vor welchem die unzählbare Schaar aus allen Geschlechtern und Zungen, mit Palmen geschmückt, zu dem nie verhallenden Lobgesang sich einigt; um dann erkräftigt von da zurückzukehren zur Erde, in des Lebens Kampf und Friede, Mühsal und Luft, Beschwerniß und Erquickung, Angst und Trost, Entbehrung und Segensfülle, Prüfung und Bewährung und in alle Beziehungen, die durch das Daseyn, das wechselvolle und zur wahren Bestimmung vorbereitende, hindurch sich schlingen.

Wo ist eine Predigt, katholisch oder nicht katholisch, rechtgläubig oder irrgläubig, gottbegeistert oder klarverständig, aus welcher ein solcher reiner, voller, erhebender, dahinreissender Strom der Andacht, des Trostes, der lautersten Seelenwonne hervorbräche und befruchtend zum wahren Leben durch alle Gemüther sich ergösse. Da ist Gottesfreude, da ist Versenken in Christum, da ist Aneignung, nicht allein seines Verdienstes, sondern seiner selbst nach der vollen Unermeßlichkeit seines Wesens. Da rauscht ein mächtiges, ein unwiderstehliches, vom Anbeginn bis zum Schluß Alles mit sich fortreissendes: »Empor die Herzen!«

Aufjubelnd gehst du (denn wer in rechter Stimmung der Messe anwohnt, ist geistig dergestalt mit dem Priester geeinigt, daß alle Gebete desselben und alle Verrichtungen desselben zu Gebeten und zu Verrichtungen des Gläubigen werden), aufjubelnd gehst du hervor an den Altar des Herrn, der »deine Jugend erfreut,« der »deine Stärke ist,« der »zu deiner Leitung sein Licht und seine Wahrheit sendet,« und in der Hoffnung auf ihn alle deine Traurigkeit verscheucht. Alles bereitet dich, daß du in Dank dich erhebest zu dem, der da war und ist und seyn wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.« Das ist die Stimmung heiterer und heiliger Ruhe, in welcher das Sehnen deiner Seele[217] nach den Vorhöfen des Herrn, nach »seinem heiligen Berg, nach seinen Gezelten« gestillt, deine Freude in dem lebendigen Gott wach wird, »der Himmel und Erde gemacht hat.«

Aber durch diese milden Harfentöne rauscht plötzlich der aus allem Irdischen hervorbrechende Mißklang in der schuldbewußten Trennung von Gott. Wohl trittst du an den Altar des Herrn, wohl möchte dein Geist sich aufschwingen zu ihm, wohl möchtest du in seliger Luft dich wiegen in seinem Anschauen, in seiner Verherrlichung; aber dir gebricht es an Würdigkeit, aber die Schuld hat deines Geistes Schwingen gelähmt, aber du fühlst dich gebannt in das Land, welches nicht deine Heimath ist. Da bewältigt es dich, deine Schuld zu bekennen; du rufst die Vollendeten, die derselben Entledigten und zugleich die mit dir in derselben noch Ringenden, daß sie vereint, sammt dir, Gott um Erbarmen, um Verzeihung, um ein neues Leben bitten; du erseufzest, daß »er dich hören, daß dein Rufen zu ihm dringen« wolle. Damit wird die Seele, die in ihrem Jubel mit allzukühnemt Flug sich aufschwingen wollte, zurückgeführt, in die Wirklichkeit hinabgezogen zu dem Bewußtseyn, welches selbst bei der reinsten Stimmung, unter den lautersten Regungen zwischenein immer wieder uns beherrscht und welches allein aller göttlichen Gnaden uns theilhaftig, weil fähig macht. Und schon öffnet sich der nach Gott verlangenden Seele eine Trostesquelle in der Erinnerung, daß sie nicht allein stehe, sondern in kräftigender Einigung mit denen Allen, die nicht nur ihr gleich im Glauben wandeln, sondern auch mit denen, die längst schon eingegangen sind zum Schauen. Aber es ist allzugewaltig, es ist zu mächtig, zu unabweislich, zu unbesiegbar verflochten in unser Inneres dieses Gefühl der Schuld, als daß wir mit dem bloßen Bekenntniß derselben uns begnügen könnten; wir müssen flehen, klagen, rufen, andringlich, unabläßlich; wir müssen mit jenem »Opfer eines geängstigten Geistes, eines zerschlagenen Herzens« an die Stufen des Altars treten, um endlich der heiligen Dreifaltigkeit zu danken für die Barmherzigkeit, die sie an uns thut, und in dem Bekenntniß, »wie wunderbar des Herrn[218] Name seye auf dem ganzen Erdkreise,« unsern Dank aussprechen. Obwohl dann in solcher Gnade wieder aufgerichtet, ist dennoch bei der hienach sich sehnenden Seele das Bewußtseyn der Schuld ein so tief gewurzeltes, ein dergestalt bewältigendes, ein solchermaaßen drückendes, daß dieselbe Ruhe, Trost, Licht nur finden kann in dem immer und immer erneuerten Seufzen: »Herr, erbarmte dich unser!«

So niedergebeugt vor dem Angesichte des Herrn, durchdrungen so von Zagen, ob je wieder das Auge und das Herz zu ihm sich möge emporheben; so gleichsam nichts Anderes kennend, fühlend, wissend, als die Schuld, reicht aus der Höhe die allmächtige Hand hinab, welche allein zu heilen, zu kräftigen, aufzurichten vermag. Angeweht von dem Hauch der Gnade, ist nun nicht allein jede Bekümmerniß zerronnen, nicht bloß der innere Friede zurückgekehrt, sondern die Bangigkeit hat sich zum Frohlocken verklärt, und der Erhörung ihres heißen Flehens, des Erbarmens versichert von dem Angesicht des Herrn, steigen wir ermuthigt hinan zu seinem Heiligthum, und es jubelt die Seele, des Zusammenstimmens mit den himmlischen Heerschaaren gewürdigt, in Lobpreisung auf zur Benedeyung, zur Verherrlichung des allmächtigen Vaters, »des Lammes, welches hinwegnimmt die Sünden der Welt,« und betet zu dem, »den sie in der Glorie der ewigen Dreieinigkeit anschaut,« daß sie in der Festigkeit dieses Glaubens Schutz gegen alle Widerwärtigkeiten immerdar finden möge; worauf sie durch das apostolische Wort sich gemahnen läßt an die »Tiefe der Weisheit und der Erkenntniß Gottes, desjenigen, aus dem, durch den und in dem Alles ist, dessen die Ehre seye in Ewigkeit.«

Nunmehr zurückgewendet zu jener Stimmung, in welcher die Menschenseele herausgetreten ist, um dem Altar sich zu nahen, fühlt sie jetzt erst sich in Fassung, zu verherrlichen den Allerhabenen, »der über den Cherubim thronet, und die Abgründe durchschaut und gebenedeyet ist im Firmamente des Himmels;« findet sie sich ermuthigt, das »Alleluja« ihm zu singen. Damit aber so würdiglich dieses geschehe, als von[219] Kindern, die nur durch Gnade Zutritt haben zum Heiligthum, Solches möglich, soll seine Barmherzigkeit noch im Besondern »Herz und Lippen reinigen,« um hienach »würdig zu verkünden das Evangelium,« das Wort des Lebens, welches nicht allein zeuget von ihm, »der aufgerichtet hat das Wort der Versöhnung,« sondern in welchem er selbst zu uns spricht und »uns kund macht, was er von dem Vater gehört hat.« In Freudigkeit, dessen Trostesbotschaft vernehmen zu dürfen, richtet der Gebeugte sich empor, denn er weiß sich gewürdigt, durch dasselbe hineingeführt zu werden in das Innere der Rathschlüsse Gottes. Erleuchtet dann durch das Lebenswort des Menschgewordenen und durchdrungen von der Gewißheit, daß in ihm nur Heil und Seligkeit zu finden seye, der uns nahe ist, wie wir ihm uns nahen, fühlt die Seele unwiderstehlich sich aufgefordert, fühlt sie sich hingerissen, zu bezeugen, welches da seye ihr innerster, Alle einigender Glaube, und hie mit würdig die Fassung zu bewähren, daß sie besucht werde von dem »Ausgang der Höhe,« und zu bekennen, daß sie in segnender Gemeinschaft stehe mit der ganzen Kirche, die der Herr durch alle Zeiten, »aus allem Volk und allen Geschlechtern und allen Zungen und allen Heiden durch sein eigenes Blut erlöset und sich erkaufet hat.«

In diesem wahren, uralten, ungezweifelten, durch die Apostel verkündeten und seit der allerersten Kirchenversammlung bis auf jeden gegenwärtigen Tag unablässig bekannten Glauben mit dem Priester geeinigt, bringt durch diesen und mit diesem auch Jeder der Umstehenden dem dreieinigen Gott, der an ihm und »an Allen Barmherzigkeit gethan« hat, die »Opfer der unbefleckten Hostie und des Kelches des Heils« dar, wie für eines Jeden, so im besondern für seine »Sünden, Uebertretungen und Unterlassungen.« Denn auch im Gnadenzustande darf die stäte Erinnerung an das, was den Wiederbringer aller Gnade hinabzog von dem Throne der Majestät in die Knechtsgestalt nimmermehr fehlen. Damit aber von dem Gläubigen ferne bleibe jeder irrige Wahn, als wäre Gott nur [220] sein Gott, oder als dürfte sich, wofür er fleht und was er hofft, nur auf seine eigene Person beschränken, damit tief es ihm eingeprägt bleibe, er stehe in unzertrennbarer Gemeinschaft mit der gesammten Kirche, mit Nahen und Fernen, mit den sichtbaren wie mit allen unsichtbaren Gliedern derselben, bringt er das Opfer Jederzeit dar »für alle Christgläubige, für Lebende und für Abgestorbene, auf daß es zum Heil des ewigen Lebens Allen gedeihe.«

Aber wer ist würdig, dem Herrn sich zu nahen? Wer ist würdig, nicht allein zu hören, sondern zu betasten das Wort des Lebens? Muß nicht aller Trost aus dem vernommenen Lebenswort, muß nicht alle Zuversicht, die in dem freudig bekannten Glauben unsere Seele durchzuckt, nur um so mehr in uns den »Geist der Demuth« wecken, unser Gemüth durcharbeiten, das heiße Verlangen hervorrufen, daß Gott »das Opfer, welches wir vor seinem Angesichte verrichten, wohlgefallen« möge? Muß nicht über diesem heißen Sehnen durch allen Jubel, zu dem die Nähe an den Altären des Herrn die Herzen stimmt, immer wieder als Mißklang sich durchziehen das Bekenntniß des Sündigen, daß er unrein, daß »alle seine Gerechtigkeit gleich seye einem befleckten Kleid?« Muß nicht der Mensch brennen von Verlangen, daß er unter den Unschuldigen des Herrn Altar umgebe, um dort die Stimme seines Lobes zu hören, alle seine Wunderthaten zu verkünden?« Wer sollte daher nicht flehen: »wasche mich von meiner Ungerechtigkeit, reinige mich von meiner Sünde?« Alle sollen darum in Gemeinschaft mit dem Priester, in einem durch Andacht emporgehobenen Gemüth ihm folgend, die Hände waschen, Alle zu dem innbrünstigen Flehen sich vereinen, »daß Gott ihre Seele nicht mit den Gottlosen verderbe;« daß ihm wohlgefällig werde das Opfer, welches sie darbringen zum Gedächtnisse des Weltheilandes und aller seiner Gnadenwirkungen, sodann in Erinnerung an diejenigen, die Allen vorangewandelt sind hienieden auf den Pfaden der Gerechtigkeit und des Heils, die wir als Vorbilder und als Fürbitter ehren sollen; so daß der Herr[221] »dieses Opfer aus eines Jeden Händen nehme zum Lob und zum Preis seines Namens, zu des Darbringenden Nutzen und zum Besten seiner ganzen Kirche, und daß unter diesen ein Jeder zum ewigen Opfer ihm geweihet werde.

Erinnerst du dich, wie das ewige Wort, als es bereit war zurückzukehren zu dem Vater, von dem es gekommen ist, an den Ersten der Apostel, an den Stellvertreter der gesammten Kirche bis ans Ende der Tage, dreimal, bis zu dessen Betrübniß in der Furcht, es möchten Zweifel des Herrn Herz von ihm trennen, die Frage stellte: Petrus liebst du mich? Dieß umkehrend, stellt die gesammte Kirche in jedem Gläubigen, so oft er bei der Feyer der heiligen Mesie in seines Herrn Nähe tritt, in dreimaligem Bekenntniß der Sünden gleichsam dreimal die Frage: Herr liebst du mich? Kannst du mich Sünder lieben? Und ob auch die tröstende Antwort erfolge: ich, ich verzeihe die Sünden! das Gefühl derselben, das gewaltige, das mit Riesenlast drückende treibt in deren ängstigendem, kummervollem Geständniß immer wieder mit zagendem Herzen, mit bebenden Lippen zu der Frage: aber darf ich, darf ich denn wirklich der Verzeihung der Sünde, der Fülle deiner Liebe mich getrösten? Siehe hier, indem du an dem heiligen Opfer Theil nimmst, zwei Glaubensbilder in dir geeinigt, den Zöllner, der nur seufzen kann: »Herr, sey' mir armen Sünder gnädig!« und den Gichtbrüchigen, der freudig ersteht über dem heilenden Wort: »sey getrost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!«

Haben wir so, dem Erzvater Jakob gleich, mit dem Herrn gerungen und nicht ihn loslassen wollen, er hätte uns denn gesegnet, so werden zuletzt auch wir aufgerichtet durch eben das Segenswort, welches leibliche Heilung dem darniederliegenden Gichtbrüchigen brachte. Dergestalt durch geweckten Trost in dem lebendigen Gott, durch das demuthsvolle Geständniß der Schuld, durch das freudige Bekenntniß des Glaubens, durch die erleuchtende Verkündung des Evangeliums, durch das dargebrachte Opfer bereitet; darüberhin gestimmt, in das tiefste Geheimniß des Glaubens, in die Anschauung des Kreuzestodes und der[222] versöhnenden Aufopferung des Herrn, als in den ewigen Born der Gnade, uns zu versenken und ihn, »der von Gott uns zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung gemacht ist,« unter uns und in uns würdiglich aufzunehmen: sollen, aller darniederziehenden Bande entledigt, in erneuertem Schwunge unsere Herzen empor sich heben und Dank sagen Gott unserm Herrn und anbeten in dem Bekenntniß der wahren und ewigen Gottheit die Besonderheit in den Personen und die Einheit in dem Wesen und die Gleichheit in der Majestät, und sollen sich zum dreimal heilig und zum Hosianna in der Höhe mit dem Preis der Engel und Erzengel, mit dem Zittern der Thronen und Gewaltigen, mit dem Lobgesang der Cherubimt und Seraphim auch unsere Stimmen vereinigen.

Geheiligt, gereinigt, abgezogen von allem Irdischen, dem Thron der ewigen Majestät uns nahend, verbinden wir mit der Lobpreisung derselben das demüthige Flehen, nun nicht mehr um uns, die wir beruhigt und emporgehoben in der Gewißheit der Gnade stehen, sondern um die gesammte Kirche, deren Glied Jeder von uns freudig sich weiß, »daß der Allmächtige sie im Frieden bewahren, beschützen, in Eines versammeln und regieren wolle.« Denn welche Segnungen er über dieselbe ausgießt, auch wir sind derselben, jeder Gläubige wird ihrer theilhaft, mag ihrer sich freuen; Jeder darum, ob er auch der eigenen Person nicht besonders gedenke, fleht für sich selbst, indem er bitet, daß der Allmächtige bewahren wolle die gesammte Kirche, zugleich mit ihrem sichtbaren Oberhaupte, mit dem eigenen Hirten, der über ihm steht, und mit allen wahren Bekennern des Glaubens, die nicht für sich allein, sondern auch für die Ihrigen, für die Erlösung aller Seelen, für die Hoffnung des Heiles Aller Opfer und Gelübde darbringen; denn nicht vereinsamt und gesondert, sondern in unzertrennter, segnender Gemeinschaft stehen sie mit denjenigen Allen, welche bereits »den guten Kampf gekämpfet haben und mit der Krone der Gerechtigkeit sind geziert« worden. Friede in der Gegenwart,[223] Anreihung an die Heerde der Auserwählten in der Zukunst, das sind die höchsten denkbaren Güter; daher wir für diese nochmals bitten, zugleich aber zuversichtlich bekennen, daß sie uns zu Theil werden einzig und ausschließlich um unsers Herrn Jesu Christi willen.

An dessen versöhnendes Leiden wir in der Feyer der heiligen Messe und durch die Feyer der heiligen Messe nicht bloß erinnert werden, wovon wir in derselben nicht bloß sprechen hören, sondern in dessen Mittelpunkt dieselbe uns hineinversetzt, ja daß wir nimmer ihm entweichen können, an dasselbe uns bannt, und in unausforschlicher Weise, was in gegebenem Zeitmoment, an bestimmem Orte geschehen ist, in seiner höchsten und letzten und ewig wirkenden Beziehung als immerwährend und allerwärts Geschehendes mit stets neuer und gegenwärtiger Gnadenwirkung wiederholt, und »das reine, heilige, unbefleckte Opfer« des gekreuzigten Leibes und des verflossenen Blutes vor unsren Augen abermals darbringt, um durch leibliche oder doch geistige, immer aber wahre gläubige Theilnahme daran »mit aller himmlischen Segnung und Gnade erfüllt zu werden; und in dem Frieden, der sein Geschenk, und in dem würdigen Empfang seines Leibes, was seine Gnade seye, dieses Erbarmen an uns bewähren, dafür, damit Niemand in Irrthum, Sünde und Verderbniß falle, »nicht in Erwägung eigenen Verdienstes, sondern in reicher Ausspendung der Verzeihung;« denn nur Christum schaffet, heiliget, belebt und segnet Gott all dieses Gute.« Damit aber in dem Augenblick, in welchem für den Menschen die Aussenwelt gleichsam zerronnen und für ihn nur sein Erlöser und er nur für diesen vorhanden seyn soll, bewahrt werde vor aller Anwandlung tödtender Selbstsucht und Ausschließlichkeit, soll nochmals jeder Theilnehmende gedenken der Unzertrennlichkeit, der Alles umfassenden, unaufhörlichen Einigung und Gemeinschaft sowohl mit denen, welche geschmückt mit dem Zeichen des Glaubens und des Heiles uns vorangewallt, als mit denen, welche zum vollen Genusse der Seligkeit alsbald eingegangen sind; zu wessen Bekräftigung wir noch das[224] Gebet beten, wozu wir durch göttliche Anordnung von dem Herrn und Haupt der Kirche selbst sind herangebildet worden.

In so festem, vollem, unerschütterlichem Glauben stehen wir jetzt, es seye Alles, was in irgend einer Weise uns beglückt, Gnade Gottes, und es könnten derselben nur theilhaftig werden diejenigen, welche ihn dafür bitten, daß wir nochmals um Erlösung von allen Uebeln zum Herrn flehen, und »Befreyung von Sünde und Sicherung gegen alle Drangsal« einzig von seiner Barmherzigkeit erwarten. So gewiß, so zuversichtlichfreudig setzen wir darum all unser Vertrauen einzig auf das Verdienst Jesu Christi, des »Lammes Gottes, welches die Sünden der Welt dahinnimmt,« daß wir unter der Anschauung seines Opfertodes, der Veranlassung desselben abermals gedenkend, dreimal zu ihm emporseuszen, er wolle »unser Erbarmen tragen,« wie mit solchem erfüllet worden sind des Herrn Apostel, Blutzeugen und Diener; dieß aber auch geloben wir so ungetheilt, so innig Christo uns zu ergeben, daß wir Befreyung von Sünden einzig durch seinen gekreuzigten Leib und sein vergossenes Blut erwarten, die Kraft, treulich seinen Geboten nachzukommen, nur von ihm erbitten; dafür bekennen wir, unser Vertrauen auf ihn allein setzen zu können, so zuversichtlich, daß wir innbrünstig flehen, es wolle der Empfang seines wahren Leibes und Blutes »uns nicht zu Gericht und Verdammung, sondern zum Heil des Leibes und der Seele gedeihen.«

Durch dieses Alles vorbereitet, soll endlich »das himmlische Brod, der Kelch des Heiles empfangen«, durch den Act dieses Empfangs der »Name des Herrn angerufen« werden. Selbst aber zwischen der, mittelst aller Segnungen der göttlichen Lehre und des Naheseyns des himmlischen Lehrers hervorgerufenen beseligenden Stimmung dringt wieder das unabweisliche Gefühl der Unwürdigkeit durch. Dieses aber darf nicht in die schweigsame Verborgenheit des Herzens verschlossen bleiben; dasselbe muß kund werden, denn es ist nicht ein vereinsamtes, es ist ein allgemeines, es ist das, jeden Christen, und den wahren, den seine Seligkeit mit Furcht und Beben Schaffenden zumal, immerfort[225] durchdringendes Gefühl. Darum soll in dreimal wiederholter Selbstanklage ein jeder der Feyer Anwohnende dasselbe aussprechen, zugleich mit dem festen Vertrauen zu derselben Wirkung des Wortes auf die Seele, wie dort bei des Hauptmanus Knecht auf den Leib. Nun ist des Menschen Seele bereitet gleich der Braut, an der kein Fehl noch Mangel erfunden ist, daß ihr Bräutigam mit ihr sich vermähle; daß der Leib und das Blut des Herrn empfangen werde, um dieselbe »zum ewigen Leben zu bewahren.« Von dieser erkräftigenden und zum Leben, das aus Gott ist, von neuem weckenden Zuversicht, von der innern Gewißheit, daß Christi Verdienstes und der Gnade willen, in der er selbst zur Speise des geistigen Lebens sich dargiebt, kein Fleck der Sünde zurückbleibe, soll das nochmalige Abwaschen der Hände Zeugniß geben. Denn, »was der Mund empfangen, das soll in reines Gemüth aufgenommen und die zeitliche Gabe zum ewigen Heilmittel uns werden.«

Jetzt ist der gesammte inwendige Mensch wieder bereitet und ertüchtigt, »den Gott des Himmels zu loben und Angesichts aller Lebendigen ihm für die Barmherzigkeit zu danken, die er an uns gethan hat,« und nun in vollem, zweifellosem Trost nochmals zu ihm zu flehen, daß das Empfangene »zum Heil des Leibes und der Seele ihm gedeihe,« durch denjenigen, welcher der Vermittler und der Quell aller Gnaden ist, durch Christum unsern Herrn. Kraft Alles, unter dieser Feyer Empfundenen, Gesprochenen, vor Augen Gestellten, Empfangenen getröstet, emporgehoben, erneuert und gestärkt gehen wir unter dem Segen der allerheiligsten Dreyeinigkeit von dannen. Sollte aber je in anerborener Unvollkommenheit und Erdverwandtschaft der menschlichen Natur das Unsichtbare nicht über das Sichtbare, das Irdische nicht über das Himmlische, das Leibliche nicht über das Geistige und das Zeichen nicht über das Wesen den Sieg davon tragen, sollte nicht in freyem Fluge der Geist über den engen Raum des Tempels sich emporgehoben haben, so wird der Gläubige am Schluß noch durch das Evangelium Johannis gemahnt, daß er mit diesem geistigen[226] Aar sich aufschwinge zum Wort, »das im Anfang und bei Gott und Gott war,« und in solchem Flug es gereinigt, vergeistigt und verzehrt werde, was als irdische Schlacke ihm noch anhängen möchte.

Wo, um es mit kurzem Wort zu berühren, wo wäre eine Feyer, oder welche liesse sich erdenken, veranstalten, einführen, die mit so kräftig ergreifender Anregung an unsere Sündhaftigkeit und an das in unser Wesen verflochtene Bedürfniß der Gnade von oben gemahnte; die so zu der jubelreichsten, lautesten Verherrlichung des Dreimaleinen uns dahinrisse; die mit so fest geflochtenem Band an das versöhnende Verdienst Jesu Christi in seinem Kreuzestod, an die über die Gläubigen von diesem ausströmende Gnade uns kettete; die so lebendig die Einigung aller wahren Bekenner Christi in aller Zeit und in allem Raum vor Augen uns stellte; die Gottes unendliche Liebe gegen uns in der Dahingebung des Eingebornen mit den hervorgerufenen Liebesgefühlen gegen alle Bekenner des Namens, »der über alle Namen ist,« in so reinen Accorden erklingen liesse; die so einer Strahlenkrone, zusammengefügt aus den erhabensten Worten der heiligen Schrift, aus den tiefsten Geheimnissen der Offenbarung und aus den geheiligtesten Empfindungen des Menschenherzen gliche, wie die heilige Messe? Und wie tiefgedacht reihen sich, gleich vier lichtstrahlenden Edelgesteinen, demjenigen voran, was des christlichen Glaubens und christlicher Lebensthätigkeit, was des tiefsten Bewußtseyns und dessen unendlich vielfacher Aeußerung Wurzel und Krone, Quelle und Strom ist, reihen sich ihm, dem Gekreuzigten und Verklärten, zum Himmel Aufgestiegenen und alltäglich und überall uns Nahen, die vier am vornehmlichsten hervortretenden Hauptmomente der heil. Messe voran? Das Aufjauchzen der Seele zu dem durch Alles sich offenbarenden Gott in dem Gloria, ihr Dank für die Verkündung seines Heilsbeschlusses durch das Evangelium, die jubelnde Bezeugung freudiger Annahme und treulichen Festhaltens in dem Credo, endlich, hinangehoben zur Einigung mit den himmlischen Heerschaaren, ihr Anschauen und Bekennen des[227] tiefsten und unausdenklichsten Geheimnisses in der Präfation; damit, hiedurch bereitet und gestimmt, der Gläubige sich versenke in das erlösende Leiden und in die versöhnende Aufopferung Jesu Christi, seines Herrn und Hauptes.

Siehe aber hier zugleich den hellen, jeden Zweifel zurückweisenden Aufschluß, warum jene Charitas, von der ich früher gesprochen, das unvertilgbare Merkmal und das kostbare Erbgut der katholischen Kirche seye. Es ist unmöglich, der heiligen Messe mit hellem Verständniß, mit innerer Sehnsucht, mit heiliger Andacht oft beizuwohnen, ohne daß die milde Wärme jener Charitas mehr oder minder anregend in dich einströmte. Denn es wird hier von jener »Liebe, die stärker ist als der Tod, und welche alle Flammen der Trübsal nicht auszulöschen vermögen,« nicht bloß zu dir gesprochen, es werden dir über dieselbe nicht allfällige Betrachtungen angestellt, es werden nicht beliebige Nutzanwendungen davon gemacht, sondern du wirst hineingezogen, gekettet, versenkt in »das Geheimniß der Liebe, in welches auch die Engel mit voller Luft hineinschauen.« Dasselbe wird vor dir offen, klar und laut, es wird unablässig und in seinem vollesten Umfange erneuert vor deinen Augen; dasselbe begnügt sich nicht damit, daß du es dir aneignest, sondern es ergreift dich, daß du dich ihm aneignest; Christus will darin nicht allein in Liebe dir sich verbinden, sondern ebensosehr sollst du in Liebe ihm dich verbinden, und allsofort, was du von ihm gewonnen hast, ohne Vorbehalt oder Beschränkung, in vollem, unbemessenem Maaß übertragen auf Alle, die er berufen hat, gleichwie auch sie Alle dasselbe auf dich übertragen. Und diese, in der höchst möglichen Feyer und durch die höchste denkbare Feyer des Gottesdienstes den gläubig Anwesenden unabweislich durchströmende Gesinnung sollte unfruchtbar bleiben für das Leben? Gehet hinaus durch die Länder, durch die Völker, durch die Zeiten, – die herrlichsten Früchte in tausendfacher Gestaltung werden überall euch entgegenlächeln, alle hervorgebracht einzig durch diese Feyer, gezeitigt durch dieselbe. Alle die hunderfältigen Stiftungen für jegliches Erforderniß des vielfach bedrängten,[228] immer mit unzähligen Kümmernissen ringenden Menschenlebens, so zahlloser Einzelner Darangeben der eigenen Person an die Noth, an die Hülfsbedürftigkeit, an die rath- und thatreiche Förderung Anderer, alle die Opferfreudigkeit, die hier durch die Weise seiner Verwendung dem zerrinnenden Gut die Segnungen des Bleibenden zuzuwenden weiß, dort das zur Fortdauer bestimmte Leben in der Wirksamkeit für die Gegenwart aufgehen läßt; dieß Alles hat seinen verborgensten Keim und seine zartesten Wurzeln und die volle Kraft zu seinem Gedeihen in der heiligen Messe, in der unablässig uns vor Augen gebildeten Dahingebung des Eingebornen zu unserer Erlösung, in der unausgesetzten Mahnung, die ihr entquellenden Gnaden nicht uns allein anzueignen, sondern dieselben überzutragen auf Alle, die der Theilnahme daranberufen sind und waren.

Wenn denn sie, die selbst das Buch geschlossen und damit dessen so reicher als klarer Innhalt ihnen fortan ein verborgener bleibe, mit eigener Hand das Siegel daran gelegt haben, wenn denn sie so schweres Gewicht darauf legen, daß der Mensch allein durch den Glauben gerecht werde, wie mögen sie nicht sehen, daß hier mehr seye? Steht nicht derjenige, an den wir glauben sollen, höher als der Glaube, der nur die Wirkung, indeß Jener die Ursache, nur das Abgeleitete, indeß Jener der Quell, und die mehr oder minder klare subjective Anschauung, indeß Jener das reine Object ist? Die heil. Messe aber bringt uns in lebensquellende Verbindung mit der Ursache, setzt uns in den Quell hinein, stellt uns in unmittelbare Gemeinschaft mit dem Object. Damit gewinnt zugleich die Lehre, daß der Glaube eine Gnade Gottes seye, ihren sichern Boden, ihre richtige Bedeutung; denn hiedurch nur kann die Subjectivität des Menschen zu der Objectivität Gottes in Beziehung gesetzt, somit verklärt werden. Auch stellt sich die heil. Messe in reinern Einklang mit dem geschriebenen Wort Gottes, welches uns sagt, daß Christus uns zur Gerechtigkeit gemacht seye; denn sie bringt uns in unmittelbare Verbindung mit ihm, indeß die tiefgedachteste Rede über den Glauben nur eine durch die[229] Subjectivität für die Subjectivität vermittelte zu bewerkstelligen vermöchte.

Haben aber diejenigen, welche von Kanzeln und in Büchern und Blättern immer von der menschlichen Selbstgerechtigkeit sprechen, der die katholische Kirche das Wort rede, und von der persönlichen Werkheiligkeit, der sie des Vaters Gnade und des Sohnes Verdienst leichtfertig und gewissenlos unterordne; haben diejenigen, welche gläubigen Hörern oder Lesern zu Festigung des Wahnes, als wüßten unfehlbar nur die von der Kirche Getrennten die unermeßliche Wohlthat der Erlösung würdiglich zu erfassen, die Anschuldigung von Abschwächung, wohl gar Verschmähung derselben durch die katholische Kirche immer von neuem wieder darbieten, haben diese Alle je auch nur einen oberflächlichen Blick auf den Canon der Messe geworfen? Daß sie dieses der Mühe werth mögen gehalten haben, muß zu ihrer Ehre bezweifelt werden, denn sonst würde die Schuld der schmählichsten, der frechsten Unredlichkeit auf ihnen lasten. Faßt nicht der Canon, gleichwie das Ganze der heiligen Messe, die allertiefste und zugleich die allgemeinste Manifestation des kirchlichen Gesammtlebens, das innerste Mark der Lehre und des Glaubens zusammen, wie diese von den urältesten bis in die neuesten Zeiten hinab allenthalben, wo die Kirche Wurzel gefaßt hat, unverändert verkündet, von Jedem, der wahrhaft ihr angehören wollte, ungezweifelt angenommen worden sind? Wo wäre ein freyeres und offeneres Bekenntniß der Schuld und eigenen Unfähigkeit, wo ein zuversichtlicheres und sehnsuchtsvolleres Hinwenden zu dem alleinigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, wo ein wankelloseres und unbedingteres Ergreifen des allein in dem Kreuzestode des Gottes-und zugleich Menschensohnes dargebotenen Heiles zu finden, als in der Feyer der heiligen Messe? Von dem ersten bis zu dem letzten Moment derselben flicht sich beiderlei Empfindung, die der selbstverschuldeten Trennung von Gott und die der Versöhnung und Gnade, durch alle Worte, Handlungen und Symbole. Und das könnte die satte Unwissenheit in wegwerfendem Hochmuth mißkennen,[230] das könnte die unbelehrbare Verblendung nicht blos in Zweifel stellen, nein, geradezu umkehren wollen! Christus, und zwar Christus der Menschgewordene, Christus der Weltheiland, Christus der unserer Sünden willen Gestorbene und unserer Rechtfertigung wegen Auferstandene über Alles, durch Alles, für Alles, das ist die constante Lehre, das ist der Cultus der katholischen Kirche; an diesen Christus, und nicht an einen andern, ist sie mit ehernen Ketten gekettet.

Darin dann ist die heilige Messe der Innbegriff aller Katholicität (Allgemeinheit) zu nennen, daß sie alle höhern und tiefern Saiten des menschlichen Gemüthes berührt; daß sie ferner unabhängig ist von aller Individualität, diese derselben nichts beifügen, ihre Bedeutung und Wirksamkeit nicht schwächen, den Glauben nicht auf falsche Bahnen lenken, durchaus nicht von Christo, dem Erlöser, ihn abziehen kann, sondern sie in demselben ihn wurzeln lassen muß; daß sie im weitern überall nur Eine und dieselbe ist, so daß der Mensch, wenn er durch unsichtbare Gewalt mitten aus ihrer Feyer herausgerissen und an einen Ort versetzt würde, der Hunderte von Meilen von demjenigen entlegen wäre, an dem er zur Anwohnung bei derselben sich eingefunden, er bei ihrem gleichzeitigen Beginn an beiden Orten weder Unterbrechung noch Abweichung, bloß die Vollendung dessen wahrnehmen könnte, was an dem ersten Orte angefangen worden; daß sie ferner nicht eine auf besondere Tage beschränkte, nach längern Fristen wiederkehrende, nur an einzelnen Orten vor sich gehende, sondern eine allerwärts und alltäglich und überall und immerdar in gleicher Bedeutung und mit gleichem Gewicht und in gleicher Wirksamkeit sich wiederholende Feyer, gleichsamt der Athemzug des mit dem Haupt verbundenen Körpers ist; daß endlich selbst der Verlust des einen oder des andern der äussern Sinne, des Auges oder vornehmlich des Ohres von fruchtbarer und segensvoller Theilnahme an derselben nicht ausschliessen würde; und daß ihr zuletzt der Charakter eines objectiven Gottesdienstes, d. h. einer von dem Gläubigen zu Gott aufsteigenden Verehrung in dargebrachter[231] Verherrlichung, Lobpreisung und Opfer (was einzig dem Begriff von Gottesdienst genügend und würdig entspricht) unvertilgbar aufgedrückt ist, ohne deßwegen die von Oben herab auf die Gläubigen niedersteigende Anregung, Bereitung und Belehrung auszuschliessen.


Nach dieser Abschweifung kehre ich zur Andeutung des weitern Ganges meiner innern Fortbildung zurück. Jene Uebersetzung von Innozenzens Schrift hatte das letzte Hinderniß beseitigt, die seit drei Jahren begonnene Erkenntniß katholischer Wahrheiten, die in der Trennung von der Kirche so übereilt verworfen worden, vollendet, in den organischen Zusammenhang zwischen Innerem und Aeußerem, zwischen Unsichtbarem und Sichtbarem, zwischen Lehre und Anordnung immer klarer mich blicken lassen. Es galt nur noch, die äussern Hindernisse einer persönlichen Wiedervereinigung, oder vielmehr das einzige mögliche Hinderniß zu beseitigen; denn andere unvermeidliche Folgen, wie untrüglich auch dieselben vorauszusehen waren, durften als Hindernisse nicht anerkannt werden. Wer das Bekenntniß der Wahrheit und die Annahme der dargebotenen Heilmittel von dergleichen abhängig machen kann, bei dem verwandelt sich jene in Lüge, und schlägt die Verschmähung von diesen in das entgegengesetzte um. So wie aber eine geheimnißvolle höhere Macht vom dem Anschauen des Aeussern der Kirche in deren Inneres mich hineingeführt und hier nach längerm Umblicken auch in diesem mich überwältigt hatte, und beharrlicher Widerstand nimmer möglich war, leuchtete mir ein, daß das offene Bekenntniß gefestigter Ueberzeugung wohl kaum an einem andern Ort füglich könne ausgesprochen werden, als an dem Mittelpunkt der Kirche selbst.

Hiezu kam jedoch noch ein anderer Beweggrund. Mittheilungen aus Rom in Reiseberichten und in öffentlichen Blättern[232] enthalten in Betreff der kirchlichen Zustände daselbst, der Stellung der Kirche zum Leben, namentlich dann des Verhältnisses der zu ihrer obersten Lenkung berufenen Individualitäten zu dem Geist und den Anforderungen derselben Widersprüche, die oft auf keinen Vergleichspunct sich zurückführen lassen. Es ist schwer, unter dem Gewirre so vieler und wenn nicht immer gewichtiger, doch häufig stürmischer Stimmen die erforderliche Unbefangenheit zu gewinnen. Droht hier die eine Klippe, so steht ihr gegenüber eine andere. Oftmals nemlich stellen die Gestalten der Dinge, die wir nur aus weiter Ferne anschauen können, unserm Auge sich dar gleich den Aposteln und Heiligen über dem hohen Eingang in St. Peterskirche, als sorglich ausgeführte Gebilde, indeß, in der Nähe beschaut, sie mehr rohen, unförmlichen Massen gleichen. Ich wollte also auch von dieser Seite mir Gewißheit verschaffen; – ich wollte selbst sehen, erst mich überzeugen, ob das gesammte Thun und Wesen an dem Mittelpunct der Kirche die Prüfung auch in der Nähe nicht zu scheuen habe? Ich wollte ein so ernstes und gewichtiges Vorhaben ebensowohl jeden Einfluß berückender Illusionen entziehen, als gegen spätere Zweifel, es mochte doch in Wahrheit Manches wohl anders sich verhalten, als wie gutmüthige Meinung es anzunehmen geneigt wäre, mich sicher stellen.

Bevor ich aber zu solcher Reise mich entschloß, sollte ein Band kleinerer Schriften erscheinen. Ich hatte mich langst schon mit dem Gedanken getragen, eine solche Sammlung zu veranstalten und dieselbe mit Aufsätzen zu eröffnen, die auf Geschichte und Politik Bezug hätten. Wie aber jene Ueberzeugung gewonnen und jeder Widerstand gegen den Zug zu der Rückkehr in die Kirche unmöglich geworden war, schienen mir die Verhältnisse eine Aenderung des Planes zu gebieten und gewissermassen zu fordern, daß dieser erste Band mehr derartige Aufsätze enthalte, welche meiner vormtätigen amtlichen Stellung den Ursprung verdankten, wozu dann auch eine Auswahl von Predigten durfte gezählt werden. Hiemit sollten unverdächtige Belege dazu gegeben werden, wie ich mir zu je Zeit meine[233] Stellung gedacht, was ich dabei angestrebt, in welchem Geist und nach welcher Gesinnung ich die Wahrheiten der Offenbarung zu verkünden mich beflissen. Anneben liessen sich in der Vorrede im Vorübergehen einige Blicke auf den Zustand des Protestantismus in gegenwärtiger Zeit werfen, dann in Beurtheilung desselben und in Andeutung der unabweislichen Ansichten Winke geben, deren Würdigung ein endliches Lossagen von demselben, als von einer keine Befriedigung darbietenden Sache, so unerwartet hätte nicht finden sollen.

Mit dem Vorsatz, so anders Rom darin nicht würde wankend machen, als Sohn der mit allen Gnaden ausgestatteten und alle Gnaden spendenden Mutter zurückzukehren, bestieg ich am 29. Februar 1844 den Postwagen, ohne irgend Jemand einen andern Beweggrund mitzutheilen, als den so natürlichen, das schöne Italien mit allen seinen Herrlichkeiten jeder Art zu sehen; selbst ohne gegen die mir zunächst Stehenden etwas Anderes durchblicken zu lassen. Es hat aber von jeher zu meinen Eigenthümlichkeiten gehört, die wichtigsten Vorhaben, die mich selbst berühren, so lange sie bloß noch Entwürfe sind, oder nur noch dem Reich der Möglichkeiten angehören, in mich zu verschließen, nur vor mir selbst sie anzuschauen und zu überlegen, und dann erst davon zu sprechen, wenn sie gereist sind, wenn zu ihrer Verwirklichung geschritten werden soll. Darum ließ ich auch gegen den Hrn. Fürstabt von Einsiedeln, den ich auf dem Wege besuchte und von dem ich selbst einige Aufträge nach Rom mitnahm, nicht das Geringste durchblicken; aber auch er berührte Derartiges nicht mit einer Sylbe, wiewohl ich ahnen konnte, daß er bei seinem Wohlwollen gegen mich eine solche Wendung mit warmer Liebe wünschen möchte. Ebensowenig weckte ich dergleichen Hoffnungen bei Sr. Excellenz, dem Hrn. Nuntius, bei welchem ich Empfehlungsbriefe an mehrere Cardinäle in Empfang nahm und leisen Andeutungen die allgemeinsten und unbestimmtesten Erwiderungen entgegenstellte. Einzig der Prior der Cartäuser zu Ittingen gestand mir nachher, er seye am Tage vor meiner Abreise nach einem mir gemachten[234] Besuch nicht ohne sichere Ahnung meiner Rückkehr in die Kirche geschieden, und habe auch deßwegen unverzüglich nach Paris geschrieben, um mich der Fürbitte der Erzbruderschaft zum unbefleckten Herzen Mariä zu empfehlen, welche sofort, wie mir Freunde nachher geschrieben, unablässig eingelegt wurde.


Wenn ich hier einige Erinnerungen aus Italien folgen lasse, so geschieht dieß keineswegs in der Absicht, die Reiseberichte über dieses Land mit einem solchen zu vermehren, der weder dem längst Bekannten und bis zur Uebersättigung Abgehandelten Neues beifügen, noch durch das Ueberraschende der Auffassungsweise oder durch Originalität der Darstellung vorübergehend anziehen und befriedigen könnte! Zu jenem dauerte mein Aufenthalt zu kurz, zu diesem würde mir die erforderliche Gewandtheit mangeln. Ich beschränke mich nur auf Weniges, was zu dem Hauptzwecke meiner Reise in Beziehung steht, entweder nur subjectiv mich berührt, oder von Andern, weil so specielle Veranlassung ihnen dazu fehlte, vielleicht auch, weil sie minder Neigung dazu hatten, weniger berücksichtigt worden ist.


Es giebt wenige Menschen, welche Verumständungen oder Begegnisse, auch einzelne Erscheinungen oder Wahrnehmungen, die mit dem Vorabend der Ausführung folgereicher Unternehmungen zusammentreffen, zu diesen in einige Beziehung zu setzen, nicht geneigt wären. Was zu anderer Zeit Hundertmal unbeachtet an uns vorübergegangen, oder was aufgenommen worden wäre, als für sich bestehend, wird alsdann gerne mit der nächsten oder fernern Zukunft in Verbindung gebracht; nicht gerade im Sinn der Präsagien der Alten, als bestimmter Wink, aber doch als Hoffnung weckende oder Besorgniß einflössende[235] Vorbedeutung. Weiter als zu froher Erwartung uns zu stimmen, heiteren Blickes dem Ziele entgegenzugehen, die Hoffnung gedeihlichen Ausganges zu steigern, darf die Annahme derartiger Beziehungen nicht gehen, soll sie nicht in verwerflichen Aberglauben umschlagen. Es ist das Glück auf! das Weidmanns Heil! welches der Begegnende dem zu Berg fahrenden Knappen, dem zu Forst ziehenden Jäger zuruft, nur, anstatt im Wort, in irgend einem Begegniß, in irgend einer allgemeinern Erscheinung an uns gerichtet.

Als solche ermuthigende Vorbedeutung nahm ich meine Fahrt über den Gotthart am 5. März, sonst einem Trauertage für die Schweiz, wäre, dessen Bedeutung würdigen zu können, noch Fähigkeit vorhanden! Zu Schaffhausen schon hatte wohlmeinende Besorgniß gegen den Uebergang über das Gebirg in solcher Jahreszeit und bei den Berichten von häufigem Lawinenfall während des verflossenen Winters Bedenklichkeiten erhoben. In Einsiedeln wurde mir eine abschreckende Schilderung gemacht von den Beschwernissen, wenn auch nicht gerade Gefahren, die unfehlbar meiner warten würden. In Luzern begleiteten mich Wind und Regen aus einer Gesellschaft in den Gasthof, und gewährten bei möglicher Einwirkung auf die furchtbaren Schneemassen eben nicht besondere Beruhigung. Als ich aber am frühen Morgen vor Tagesanbruch das Dampfschiff bestieg, strich durch das zerrissene Gewölke ein frischer Wind über den See. Die Sterne blinkten. In goldenem Flimmern traten die Hörner der Gebirgsstöcke aus dem weichenden Dunkel heraus, und der kalte Morgen verbürgte wenigstens, daß selbst an den bedrohlichsten Stellen der Schnee nicht könne gelockert seyn. In Flüelen betrat ich den hart gefrornen Boden und in voller Strahlenpracht glänzte die Sonne vom Himmelsgewölbe. Alles verhieß den schönsten Tag, die günstigste Fahrt. Zu Wagen giengs über Amsteg hinaus nach Wyler, wo die Schlitten bereit standen, um die für diese Zahreszeit ungewöhnliche Reisegesellschaft von acht Personen aufzunehmen. Der Himmel war so rein, die Luft so still und bewegt, die Sonne so klar[236] über uns, daß bis weit hinauf über Ospental, wo allmählig dieselbe hinter die Hohen sank, Mantel und Oberrock füglich hätten mögen entbehrt werden, und der Conducteur versicherte, wohl an hundert Tagen könne man die Reise über das Gebirge machen, ohne, zumal in der rauhern Jahreszeit, einen einzigen zu treffen, der während seiner ganzen Dauer dem damaligen gleich käme. So mochte es mir nun als gute Vorbedeutung gelten, daß von all dem Bedenklichen, was doch so ganz unbeachtet nicht geblieben war, nicht nur nichts mir sich entgegenstellte, sondern die Fahrt so behaglich war, wie eine in den Frühlingstagen in anmuthigem Thal immer nur seyn könnte.

Großartiger und des Ungewohnten wegen eindrucksreicher war sie jedenfalls, als eine solche; ein stundenlanges Weilen in dem ernsten und schimmernden Riesenpalast des Winters, ein rasches und dennoch gemächliches Hingleiten durch denselben. Hier führte die Straße, wie zwischen den Wällen einer durchbrochenen Festung, durch eine gewaltige Lawine, in deren Marmorwände abgesägte Baumstämme, gesprengte Felsen und die Wurzeln weggerissener Tannen eingekeilt waren. Dort zeigten sich verwüstende Spuren mächtiger Schneestürze; oben in den Schöllenen ward mir der seltene Anblick einer am jenseitigen Rande der Schlucht niederfallenden Lawine zu Theil, zwar klein, aber in ihrem Herabrollen über den Felsen in dem hellen Sonnenlicht vollkommen einem Wasserfall von blendendem Silberglanz gleich; und, damit keinerlei Erfahrung fehle, wurde ich oben in der Nähe des Urnerschen Schirmhauses aus meinem Schlitten in den Schnee geworfen, zu wahrem Ergözen, weil ich wohl bei einer Minute lang das Unvermeidliche nahen und in dessen langsame und gemächliche Vorbereitung hinein sah, bis ich endlich, in meinen Mantel gehüllt, weich und tief im dem kalten Bette lag, in welches ich aber ohne Hülfe des Postillons immer tiefer hinabgesunken wäre, ohne Möglichkeit, mir durch bloß eigene Anstrengung wieder heraushelfen zu können.

Ich hatte vor einigen Jahren den gleichen Weg bei gleich heiterem Himmel am ersten September gemacht. Wie verschieden[237] war nicht beidemal der Anblick des Gebirges! Damals überall in Zacken und Spitzen aufstarrend, in scharfen Gräten sich hinziehend, jetzt durch den hohen Schnee Alles abgerundet; statt der schroffen Formen gewaltige Wellenlinien in leichten Senkungen und Hebungen; die oft tiefe Kluft, in der die Reuß schäumt, völlig ausgefüllt, daß man gemeint hätte, von ihrer einen Seite zu der andern ebenen Fußes hinübergehen zu könneu. An mancher Stelle führte die Bahn in einer Höhe von 15 Fuß über den Schnee, denn tief unter derselben ragten die Köpfe der Wehrsteine daraus hervor, und in Urseren führten überall eingehauene Stufen zu den Hausthüren hinab. Wie schwindlicht aber die Fahrt über die Tremtola nach Airolo, wo der Schlittweg nicht der Fahrstraße folgte, sondern oft drei, vier Krümmungen derselben in gerader Linie, oft so jäh als ein Kirchendach abschnitt! Einiges Grauen wandelte über dem pfeilschnellen Hinabschiessen dennoch mich an, zumal als, bevor die Mitte erreicht war, eine der Stangen, mittelst deren das Pferd den Schlitten halten und leiten sollte, knickte und nur nothdürftig wieder zusammengebunden ward. Glücklicher Weise milderte die Dämmerung den scheuen Blick in die tiefen Klüfte, und der flugartige Lauf entrückte ihre Schauer dem Auge so rasch, daß der Furcht keine Zeit blieb, sich fest zu klammern. Wer je diese Fahrt im Sommer gemacht hat, findet sich in eine durchaus unbekannte Welt versetzt, wenn er im Winter sie wiederholt. Alsdann hat sie ihre eigenthümlichen Reize, muß sie einen bleibendern Eindruck zurücklassen, wenn anders sie so gefahrlos und so ohne alle Beschwerde gemacht werden kann, wie ich mich dessen erfreuen durfte. Der fünfte März hatte mir sein: Glück auf! zugerufen zur Fahrt nach Italien. Ich nahm den heitern Himmel, den klaren Sonnenschein, die milde Luft, den leichten Uebergang über das Gebirg als gute Vorbedeutungen hin.

Wie ich einen Tag früher die Witterung ungleich schlimmer getroffen hätte, so wäre auch am Tage nachher dieser Uebergang weit unbehaglicher, wo nicht beschweelicher gewesen.[238] Schon in Bellinzona, wo ich in der Residenz der Benedictiner von Einsiedeln einen angenehmen Rasttag zubrachte, gemahnte ein schneidender Wind, wenn nicht an den Norden, jedenfalls an die Nähe der Hochgebirge, und Kälte, Nebel und unaufhörliches Schneegestöber verwandelten vollends die Fahrt über den malerischen Langen-See in das Gleichgültigste und Bedeutungsloseste von der Welt. Ueberhaupt habe ich von Italiens mildem Himmel erst in Genua, und von dort aus erst in Terni von einem frühern Frühling etwas verspürt, dagegen in den hohen, ungeheizten Zimmern, obwohl in doppelte Kleidung gehüllt, doppelt gefroren, sobald mir von der milden Luft, die bereits sich fühlbar machen wolle, gesprochen wurde.

Könnte es mir beifallen, einen Reisebericht in gewohnter Art zu geben, so müßte ich nothwendig von dem Eindruck sprechen, welchen der Dom in Mailand auf mich machte; denn jetzt sah ich denselben im Innern in seiner erhabenen Würde zum Erstenmal, da sie vor sechs Jahren zum Behuf der Krönung dessen Mittelschiff in einen ungeheuren Festsaal verwandelt, die Nebenschiffe aber abgesperrt hatten. Doch auch dießmal ward der Anblick durch ein ungeheures Tuch, welches der Fastenpredigten wegen in mäßiger Hohe über einen grossen Theil des Raumes gespannt war, wesentlich verkümmert. Aber ich müßte dann auch mit gewohntem Touristen-Ausdruck von dem Glück sprechen, welches mir zu Theil geworden, die Fanni Elsler in der Scala tanzen zu sehen, indeß ich lieber von dem Eckel sprechen möchte, der über dem plumpen Götzendienst mich anwandeln wollte, welchen ich ihr zuwenden sah.

Ein allgemeiner Empfehlungsbrief an alle Cartaufen Italiens hatte mir nicht die Kirche derjenigen von Pavia, die jedem Reisenden offen steht, geöffnet, wohl aber eine genauere Besichtigung dieser einzigen Schatzkammer kirchlichen Kunstreichthums möglich gemacht. Die Brüder, ich glaube eilf an der Zahl, waren erst seit vier Monaten in das seit zwei Menschenaltern verlassene Haus wieder eingezogen. Doch fand ich bereits einen Novizen unter ihnen. Welcher Contrast zwischen dem[239] großartigen, auch in dem Unbedeutendern das Gepräge vormaligen Reichthums an sich tragenden Bau, dessen weite Gänge, selbst einzelne Zellen, mit den zierlichsten Sculpturen ausgeschmückt sind, und der gegenwärtigen Armuth, in welcher jede Ueberschreitung der Ordensregel eine reine Unmöglichkeit wäre, da die Brüder ohne tägliche Unterstützung des edelgesinnten Grafen Mellerio zu Mailand nicht einmal kümmerlich, wie jetzt der Fall ist, bestehen könnten. Und dennoch habe ich auf ihren Gesichtern den unverkennbaren Ausdruck heiterer Ruhe und des innern Seelenfriedens lesen können, habe in dem P. Prior einen freundlichen und in dem P. Vicar einen wissenschaftlich gebildeten Mann gefunden, der mir in seiner Celle schon den Anfang einer kleinen Bibliothek vorwies. Denn die Räume, über deren marmornen Thüreinfassungen das Wort Bibliotheka zu lesen ist, stehen verödet. Gelbe Rüben und Kartoffeln, beide der Fastenzeit wegen in Oel gekocht, wären ihre tägliche Nahrung, bemerkte mir der Erstere; doch wollte er mich mit einer Flasche Wein oder mit Kasse bewirthen, wofür ich ihm aber meinen verbindlichsten Dank sangte. In der Schenke unten im Dorf, wo ich des Postwagens von Mailand harrte, drückten die Bauern ihre Zufriedenheit darüber aus, daß die guten Väter endlich wieder zurückgekehrt wären. »O! sie singen so schön,« sagte Einer; »und« fügte ein Anderer bei: »sie führen ein so strenges Leben.« Die Bauern priesen den Kaiser, der das Kloster zurückgegeben, und den Grafen, der die Rückkehr der Ordensbrüder möglich gemacht habe, und versicherten mich, man freue sich dessen in der ganzen Umgegend; freilich hätten dieselben es jetzt hart, aber es seye zu hoffen, daß ihre Lage allmählig wohl sich bessern werde.


Wohlwollendem Bemühen in Pavia vervanke ich die seltene Auszeichnung, daß mir die Reliquien des heiligen Augustinus[240] gezeigt wurden. Sie werden in der Capelle des Heiligen unter dem Altar in einer Nische mit drei Schlössern aufbewahrt, wozu die Schlüssel unter den Bischof, das Domcapitel und den Stadtrath getheilt sind. Sie, nach dem Vandalensturm von den Gläubigen auf die Insel Sardinien gerettet, hatte der LongobardenKönig Luitprand für sein geliebtes Pavia um Goldgewicht von den Saracenen erworben. Durch verdankenswerthe Veranstaltung des Hrn. Professors Pertile wurden jetzt die drei Schlüssel zusammengebracht, die Nische geöffnet und der Glaskasten, in welchem die kostbaren Ueberreste enthalten sind, aus dem silbernen Schrein, welcher jenen umschließt, auf einen bereiteten Tisch gestellt, in Gegenwart einiger Canoniker der Domkirche und mehrerer anderer Geistlicher. Ein Gefühl, zu dessen Schilderung die Sprache zu arm ist, durchbebte und bewältigte mich, als ich dieser irdischen Hülle mich nahte, welche einst einen so mächtigen, einen durch himmlisches Licht so erleuchteten Geist umschloß. Ich empfand eine unnennbare Bewegung, als ich vor diesen Ueberresten eines Mannes stand, den einst die Macht der göttlichen Gnade von den düstersten Irrgängen hinwegriß und auf die Bahn des Heils stellte; die ihn von den schwindlichten Höhen einer stolzen Philosophie herabzog, um in Demuth zu den Füßen des Kreuzes zu bekennen, daß alles wahre Geistesleben nur aus dem Born der Gnade quelle; die in so merkwürdiger Leitung ihn zu ihrem außerwählten Rüstzeug bestimmte, daß er zum Kämpfer, Lehrer, Vorbild und Herold des Glaubens erst für sein Zeitalter werde, sodann zum Strom des Segens, der befruchtend Jahrhunderte hinab durch die Gefilde der Kirche sich ergiesse. Eines nur war mir in der unmittelbaren Nähe dieser heiligen Ueberreste peinlich: daß ich diese Gefühle in mich verschliessen müßte, ihnen wenigstens durch äussere Beweise der Ehrerbietung nicht, wie es mich drängte, den vollen Lauf lassen konnte. Besorgniß vor dem Verdacht, daß ich nur gegebenes Beispiel nachahmen, in Gefälligkeit Andern mich anbequemten mochte, legte mir Zurückhaltung auf; ich wollte lieber gleichgültiger, als bloß gefällig scheinen, lieber[241] nichts thun, als der Meinung Raum geben, es ginge nicht aus vollester Ueberzeugung hervor.

Aber das darf ich jetzt wohl gestehen, daß der Anblick dieser Ueberreste, die Sorgfalt, mit der sie aufbewahrt werden, die Ehrerbietung, womit Jeder ihnen sich näherte, die Kunde, welch einen Schatz die Stadt Pavia in deren Besitz anerkenne, zu Festigung in mei nem Vorsatz nicht wenig beitrug. Insofern ist der heil. Augustinus und was von seiner irdischen Hülle der Verehrung der Gläubigen sich noch erhalten hat, mittelbar wenigstens nicht ohne Einfluß auf mich geblieben. Wer aber mag, wo es sich um Einflüsse der Gnade handelt, das Mittelbar und Unmittelbar scharf auseinander halten! Eine Verbindung, welche diejenigen, die vor anderthalb Jahrtausenden in ihr geleuchtet haben und fortan noch leuchten, die, persönlich gegenwärtig, segensreich in ihr gewirkt haben und, leiblich dahingenommen, fortan noch wirken, die deren Säulen in jeder Beziehung waren und fortan noch sind; eine Verbindung, welche das Andenken an dergleichen Männer nicht bloß in dem stummen Wort der Bücher aufbewahrt, sondern in der lebensfrischen Erinnerung aller Geschlechter und aller Stände und aller Lebensalter erhält, ja dieselben nicht bloß in der Erinnerung, sondern auch dasjenige von ihnen noch ehrt, was sonst an Millionen Menschen unbeachtet der Verwesung anheimfällt – und würde hiezu auch nichts Anderes als Dankbarkeit der Beweggrund seyn – eine solche Verbindung ist mindestens achtungswerth, zu ihr muß sich hingezogen fühlen, wer das Verdienst in irgendwelchem segensvollem Wirken zu würdigen geneigt ist. Eine solche Verbindung aber ist die Kirche, und solche dankbare Anerkennung läßt sie denjenigen wiederfahren, welche im dreifachen Lichte des Glaubens, des Handelns und des zu Gott gewendeten Wissens in ihr geleuchtet haben. Und dann welcher Gegensatz zu den Menschen gewöhnlicher Art, die den Begriff eines Schatzes an den Besitz irdischer Kostbarkeiten knüpft, oder das, was hier der Sterblichen schaffender Geist, dort ihr sinniger Fleiß an kunstreichen Gebilden zu Tage gefördert, mit erstaunlichem[242] Aufwand zu vereinen, mit eifersüchtigem Blick zu hüten, in begeistertem Wort zu preisen sich bemüht; hier aber theurer und höher und werther als Jenes und Dieses unscheinbares Gebeine deßwegen achtet, weil frommer Glaube den Geist, welchen dasselbe unter den Sterblichen einst getragen und umschlossen, den Auserwählen Gottes beizählt, die an seinem Thron als Fürbitter für ihre hienieden wallenden Brüder und Miterlösten stehen! Mit solchen Gedanken, bewegt von mancherlei Gefühlen, schied ich von diesen Ueberresten, jedenfalls nicht ohne segensreiche Wirkung ihres Anblickes; und wär' es auch keine andere, als daß solchen Riesen der Erleuchtung und der Begnadigung gegenüber der geirohnliche Mensch als Zwerg sich vorkommen muß.

Diejenigen, die mich kennen, oder deren Urtheil Werth für mich haben kann (Andern sey Freiheit gegönnt, in die Welt hinauszuklügeln oder hinauszularmen nach voller Lust), werden mich keiner Anmassung oder Selbstüberhebung zeihen, wenn ich sage, daß mir eine etwelche Aehnlichkeit mit dem grossen Kirchenlehrer vorschwebte. Auch er war in eine weitherrschende Irrlehre, in diejenige der Manichäer, verstrickt; auch er ahnete, daß in ihr die volle Wahrheit, nach der sein Verlangen gieng, nicht enthalten seye; auch er sah die Partei, in die er anfangs getreten, in mancherlei Lehrmeinungen zerrissen; aber auch er blieb dennoch derselben lange getreu; aber auch er schätzte an Ambrosius anfangs mehr den Schmuck der Redekunst, als den Vollgehalt rechtgläubiger Wahrheit (gleich wie ich mehr den äussern Bau der Kirche erkannte, als ihrer innern Gnadenfülle nachspürte); auch er wurde zu dieser hinübergezogen, wenn nicht gegen, doch ohne wahres, hellbewußtes Verlangen; und was für ihn der grosse Erzbischof von Mailand geworden ist, das ward für mich der grosse Nachfolger des Apostelfürsten am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Ihn hatte Ambrosius, mich Innocenz der Dritte zurückgerissen, überwältigt. Ebendeßwegen erschien mir Hrn. Poujoulats Geschichte des grossen Kirchenlehrers ein willkommenes Geschenk für unsere Zeit, und[243] bot, als er mir das seiner Vollendung entgegengereifte Vorhaben mittheilte, der Gedanke sich dar, dassalbe alsbald auf deutschen Boden zu verpflanzen6. Sodann gieng es mir hier, wie es dem Menschen mit dem Menschen oft zu gehen pflegt: man trägt grosse Hochachtung gegen Jemand in sich, man ist mit tiefer Verehrung gegen irgend eine hochstehende Persönlichkeit erfüllt: sind wir aber erst in des Mannes Nähe gekommen, haben wir einigen Umgang mit ihm gepflogen, ist seine nähere Bekanntschaft uns zu Theil geworden: alsdann werden Achtung und Verehrung erhöht, unerschütterlich begründet, es wird dieß Alles lebendiger, es tritt in nähere Beziehung zu uns, es treibt uns, auch dasjenige zu vernehmen, was zuvor uns gleichgültiger gewesen wäre. Als ich endlich mittelst Hrn. Poujoulats Werk in den geistigen Proceß, welchen der Kirchenlehrer durchzumachen hatte, hineinblicken konnte, als es mir möglich ward, die Bahnen zu überschauen, auf welchen die göttliche Gnade ihn zur Erkenntniß der alleinigen Wahrheit zurückgeführt hatte, da ward mir Alles um so klarer, theurer, näher stehender.

In der Domkirche von Pavia machte ich die Bekanntschaft des liebenswürdigen Canonicus Giovanni Bosisio, der mir seine Relazione storica documentata del dono fatto della Chiesa Pavese d'una insigne reliquia del corpo di S. Agostino a Monsignore Antonio Adollo Dupuch, Vescovo di Algeri, zum Geschenk machte. Das Lesen dieser Schrift, der Werth, den der Bischof von Algier auf den Besitz eines Theils der Reste desjenigen setzte, der ihm vor bald anderthalb Jahrtausenden unmittelbar vorangegangen, das Bewußtseyn zu Pavia, welcher Schatz ihm hiemit übergeben und wie dadurch zwischen beiden Kirchen eine engere Gemeinschaft begründet werde, die Ehrerbietung, welche auf dem weiten Wege von Pavia bis Toulon in lebendigem Andenken an den grossen »Gottesmann« (in der ächten Bedeutung dieses Wortes) seinem Ueberbleibsel gezollt wurde, die Feyerlichkeit, mit der die wiedererstandene Kirche von Hippo, als Wohnstätte seines Lehrens, Wirkens und Waltens,[244] dasselbe aufgenommen, die frohe Theilnahme selbst der Mauren und Araber, in denen eine Erinnerung an den grossen Raumi, der vor alter Zeit in diesen Gegenden der Völker geistiger Vater gewesen, auch jetzt noch nicht erloschen war – dieses Alles gab den Eindrücken, die ich im Dom von Pavia gewonnen, bleibenden Nachhalt.

Welche rasche Entwicklung von dem 25. März 1839 an, da der Bischof in Bona's Nähe auf den Trümmern von Hippo aus unförmlichen Steinen einen Altar errichtete und mit dem Hirtenstab den Umriß einer Kirche in den Sand zeichnete, bis zum 28. October 1842, da sieben Bischöfe aus Frankreich den kostbaren Schatz in ein hergestelltes Heiligthum begleiten und nach so langer Zeit zum ersten Male wieder zur Ehre Gottes in hellem Feyergesang den Namen preisen konnten, der ein helles Licht der Kirche von Afrika war, ein nie verbleichendes Gestirn ist über der gesammten Kirche! War es bei jenem ersten unscheinbaren Lebenszucken des Wiedererstehens einer altherrlichen Kirche nicht ein natürlicher Wunsch des Hochwürdigsten Bischofs von Algier, sie, wenn auch nur mit einem geringen Theil der Reste des Mannes, der ihre durch alle Zeiten und über alle Erdgürtel leuchtende Zierde gewesen, beglücken zu können? Und wie zart die Aufmerksamkeit der Wächter des Schatzes zu Pavia, ihm den rechten Vorderarm zu überlassen, der so oft zur Segnung der Gläubigen jener Landstriche sich bewegt, in so väterlicher Sörge über Hippo, über Calame, über Cirtha, über Julia-Cäsaräa den Hirtenstab erhoben, zur Belehrung, Zurechtweisung und Erbauung, wie der Zeitgenossen, so der Kirche durch alle Jahrhunderte bis aus Ende der Tage so rastlos die Feder geführt!

Von dem Augenblick, da der Schatz, der die neue Kirche von Hippo beglücken und beehren sollte, seinem Verwahrungsort enthoben, bis zu demjenigen, da er dort niedergelegt wurde, tritt uns der Ernst und die Freude der gesammten Kirche über solchem Besitz entgegen; diese rein, lauter und wohlbegründet nur darum, weil jener hiezu ihr zweifellose Berechtigung gibt. Für so kostbar aber wird in Pavia dieser Schatz errachtet, daß[245] er unter die besondere Obhut des allgemeinen Vaters der Christenheit gestellt ist, also daß schon von Papst Benedict XIII unter Strafe der Excommunication das Verbot ergieng, von diesen Ueberresten Etwas zu trennen, und durch Gregor XVI bei Anlaß ihrer Versetzung und der neuen Ausschmückung ihrer Umgebung dasselbe erneuert ward. Darum bedurfte es eigener Ermächtigung durch das Oberhaupt der Kirche, daß Pavia's Bereitwilligkeit, der Kirche von Bona irgend einen Theil derselben zu überlassen, Folge dürfe gegeben werden. Genau war dabei die Vorschrift, wie dieser zu entheben seye. Mit dem Bischof von Pavia hatten Alle, deren Gegenwart erforderlich war, in die Domkirche sich zu verfügen. Nach kurzem Gebet wurde ehrerbietig der silberne Schrein, der den Glaskasten mit dem Reste des Heiligen umschließt, aus dem Altar hervorgezogen, und auf einen angemessen geschmückten Tisch zwischen brennende Lichter gestellt. Dann wurden die Siegel geprüft, ob sie unversehrt seyen, und genau mit der Urkunde verglichen, die zur Zeit, da deren neue Verwahrung statt fand, abgefaßt worden. Nach unversehrtem Befund des Gefässes müßte dieses geöffnet und mit Beiseyn von mindestens zwei Aerzten der Arm weggenommen, von diesen eine genaue Beschreibung desselben niedergeschrieben werden. Hierauf ward das Gefäß wieder geschlossen und mit den Siegeln der Bischöfe versehen, das Gebein sodann dem Bischof von Algier überreicht, von ihm in eine geziemende Kapsel gelegt, diese durch den Bischof von Pavia versiegelt und der Reliquienkasten wieder unter den Altar verschlossen, über den ganzen Vorgang aber durch den Canzlar eine Urkunde abgefaßt.

Am 28. Oktober 1842 stieg die Sonne hinter den Hügeln von Edough auf, und der Kanonendonner verkündete die Rückkehr des Schatzes, der vor 1314 Jahren von diesen Gestaden geflüchtet worden. Die Glocken erschallten und zwei herbeigekommene Kriegsschiffe rüsteten sich zum Festschmuck. Von allen Seiten wallte das Volk heran. Um halb neun Uhr bewegte sich der Feyerzug, verherrlicht durch die Anwesenheit der sieben[246] französischen Bischöfe, als Stellvertreter der Kirche ihres Landes, in einer langen Reihe von Barken durch den Hafen von Bona zu dem Triumphbogen, der aus Blümengewinden und mit der Innschrift: »Augustin sein geliebtes Hippo,« an dem Hafendamm errichtet war. Der taktmässige Ruderschlag mischte sich in den ernsten Gesang: Benedictus, den die Bischöfe und die Geistlichen anstimmen und die Gestade widerhallten. Angesichts des Forts zogen die Schiffer ihre Ruder ein und aus dem Halbkreis der Barken steuerte eine dem Ufer zu, um das Erzbild des grossen Hirten und Lehrers, zu seinem Denkmal bestimmt, abzusetzen. Wie dann unter kostbarem Baldachin der Erzpriester von Hippo, um den kostbaren Schatz in Empfang zu nehmen, der Landungsstätte sich näherte, reihten sich die Geistlichen und die Bischöfe zu dessen Begleit an den Triumphbogen, wo die bürgerlichen und militärischen Autoritäten ihrer harrten und der heilige Ueberrest auf einen bereiteten Altar gestellt wurde. Wohl mit Recht sagte der Maire von Bona in seiner Anrede an den Bischof und seine Gefährten: »Zu froher Hoffnung sieht das französische und christliche Bona sich berufen, die Kette der Zeiten wieder zu knüpfen in der zweisachen Geschichte der Kirche Jesu Christi und der Civilisation der Völker an eben der Stätte, an welcher die katholische Religion und der menschliche Geist mit solchem Ruf und solchem Glanz sich verherrlichten. Aber von heute an beschränkt sich Bona's Besitz nicht mehr bloß auf die beiden Hügel der königlichen Stadt (Hippo regius), auf die Erinnerung und die Spuren des Mannes, durch den es ruhmreich geworden ist; nicht allein erfreut es sich jetzt seines Bildes, mehr oder minder werthvoll wegen der Kostbarkeit des Stoffes, mehr oder minder geschätz, der Aehnlichkeit willen; sondern es findet sich nun beglückt durch den Leib, mindestens durch einen Theil des Leibes dieses Fürsten der Kirche, der so groß ist vor den Menschen, so groß vor Gott. Möge in diesen Landstrichen die Civilisation und mit ihr die Religion Christi wieder aufblühen! Bona, es hat dessen die Bürgschaft gewonnen, wird der leuchtendste Mittelpunkt unserer[247] Eroberung werden. Dieser Arm ist hinüber gekommen, um unsere Fahnen zu segnen, um unsern Waffen den Sieg zu sichern; er ist der Stätte, an der er unsterbliche Dinge verrichtet hat, wiedergegeben, daß er neue Wunder wirke, daß er die befruchtenden Quellen christlichen Glaubens und menschlichen Wissens von neuem über das durstende Land rieseln lasse und seinen ursprünglichen Reichthum und Glanz herstelle.« Mit Recht schloß der Erzhelfer von Hippo seine Anrede mit den Worten: et ossa ipsius visitata sunt, et post mortem prophetaverunt; ipsum gentes deprecabuntur et erit sepulcrum ejus gloriosum.

Mag man denjenigen, der das gerettete Herz eines Lehrers, Freundes und Vorbildes in den Strom geworfen, damit keine Regung, Ueberbleibseln eine Werthschätzung zuzuwenden, ihn anwandle, als einen starken und erleuchteten Geist preisen; mag man den Fürsten, welcher die in dankbarer Erinnerung verehrte irdische Hülle seiner Ahnfrau, die in allen Tugenden geleuchtet und der Segen ihrer Zeitgenossen gewesen, in schnöder Kälte dem Zertreten Preis gegeben, den »Hochsinnigen« (magnanimus) nennen: auch von bloß menschlichem Standpunct genommen ist die Uebung der Kirche, in Dankbarkeit derer zu gedenken, die ihre Wohlthäter, Lichter und Säulen waren, in freudiger Anerkennung das zu ehren, was von ihnen der Nachwelt sich erhalten hat, sinnvoller, gemüthlicher, dem Bedürfniß der Edlern entsprechender zu nennen.

In unverblichener Rückerinnerung an diesen für mich so bedeutungsvollen Tag hoffte ich anderthalb Jahre später, bei kurzem Verweilen in Pavia, den Herren Bosisio und Pertile bezeugen zu können, wie unaustilgbar zugleich mit demselben die dankbare Erinnerung an ihr Wohlwollen mir eingeprägt seye. Leider befanden Beide sich abwesend, und die Freude des unverhofften Wiedersehens, die vorher wohlthuend mich bewegt hatte, sollte mir so wenig zu Theil werden, als wenige Tage darauf diejenige, in Genua den liebenswürdigen Pfarrer von San Pancrazio zu finden, dessen Bekanntschaft ich voriges Jahr[248] dem Hrn. Domherrn Bosisio verdankte. Es war Herbst, die überall den Vacanzen und Erholungen gewidmete Jahreszeit.


War es dem Gang gemäß, den ich durch eine lange Strecke der irdischen Laufbahn genommen, nach der Leitung auf derselben, die mir wiederfahren, nach der aufgegangenen Einsicht, die mir immer heller und vollkommener zu Theil geworden, weniger mehr Sache der freyen Wahl, als der unabweislichen Verpflichtung, in die Kirche zurückzukehren, so durften andere Pflichten, wenn sie auch dieser gegenüber entweder untergeordnet, oder doch minder gewichtig zu nennen waren, nicht aus den Augen gesetzt, nicht für gering geachtet oder geradezu übersehen werden. Auch das Höchste und Segensreichste erreicht seinen obersten Zweck dann nur, macht der Fülle des ihm entströmenden Segens dann nur, oder wenigstens in so vollerem Maaße uns theilhaftig, als wir sorglich uns bemühen, jedes Hinderniß, insoweit dieß in unserer Macht steht, vorher aus dem Wege zu räumen, als wir wenigstens nicht anmaßlich über jede Rücksicht uns hinwegsetzen, Störungen in den engsten Verhältnissen zu verhüten uns angelegen seyn lassen. Ist erst von unserer Seite das Möglichste gethan, wäre hiedurch unter allem offenen und freundlichen Bemühen Verständigung nicht zu erzielen, alsdann erst können wir uns frei nennen, dürften wir für befugt uns erklären, zu thun, wozu die innere Mahnung an uns ergeht, nach den letzten Versuchen das grössere Gewicht unbedenklich dieser zugestehen.

Allerdings hatte ich in Betreff meines Vorhabens solche Schweigsamkeit beobachtet, daß ich auch gegen meine Frau nicht das Geringste vorher durchblicken ließ, zugleich jedoch mit dem festen Vorsatz von ihr schied, sie brieflich allmählich darauf vorzubereiten. Kann es doch manchmal im Leben vorkommen, daß in solcher Weise die wichtigsten Erörterungen leichter und gedeihlicher[249] von statten gehen, als unter mündlichem Verkehr. Ruhiger und unbefangener jedenfalls, zumal wo der Gegenstand nur auf dem Gebiete der Ueberzeugung, oder, wenn man zuletzt will, auch nur auf demjenigen der Ansicht und Meinung waltet, werden Erörterungen in jener Weise geführt. Zwar hatte ich von der Zeit an, da ich das Vorhaben der Reise ihr mitgetheilt, die Erwartung gehegt, sie würde vielleicht eine Ahnung durchblicken lassen über deren mögliche Folgen; etwa veranlaßt durch bisweilen vernommene Aeusserungen eine Besorgniß entschlüpfen lassen; unter den Vorkehrungen zur Reise in solcher Beziehung vielleicht eine Bemerkung hinwerfen, was ich dann freilich ebensowenig abgelehnt, als überhaupt die Wahrheit verhehlt, oder auch nur in Zweifel gestellt hätte. Es erfolgte aber nie auch nur von ferne die leiseste Andeutung, nie eine Aeusserung, die in irgend einer Weise hierauf hätte hinzielen können. Ob gar kein Gedanke, daß die Reise ein solches Resultat haben könnte, ihr je sich dargeboten, weiß ich nicht. Aber auf etwelches Gewicht meiner Gründe, selbst bei anfänglich minder entgegenkommender Uebereinstimmung, durfte ich mit Zuversicht zählen, da nach vorangegangenen Erfahrungen dem klaren Blick meiner Frau der Protestantismus nicht von so besonders liebenswürdiger Seite sich darstellen konnte. Ihre frühern, in unbelehrbarem Unglauben durch mich von der Hand gewiesenen Warnungen: die Leute thäten mir schön, weil sie zu jeglicher Diensterweisung immer bereit mich fänden, ob ich aber nicht allzugrosses Vertrauen in sie setzte? hatten nur allzubald eine über jegliche Ahnung, geschweige denn Voraussicht hinausschreitende Erwahrung gefunden. Boten ihr Einwendungen sich dar, so durfte sie bloß dieses in ihrer Erinnerung auffrischen, nur, wenn sie auch die innern Gründe sofort in ihrem vollen Umfange nicht zu erfassen vermochte, vorerst an äussere sich halten. – Ich begann demnach die Einleitung zu Eröffnung meiner Gedanken schon von Pisa aus, gerade mit dem Bericht über die zu Pavia mir wiederfahrene Gunst und mit Andeutung eben derjenigen Gedanken, die ich hier ausgedrückt habe. Von Florenz aus, wo[250] ich in St. Johannes Domkirche meinen Geburtstag feyerte, und Gott um Erleuchtung und Festigung anflehte, wurden die einleitenden Briefe fortgesetzt. Hierauf bot die Schilderung der kirchlichen Festlichkeiten der heiligen Woche in Rom, so wie nachher derjenigen zu Neapel in Erinnerung an den heiligen Januarius Stoffes genug, um meine Ueberzeugungen immer deutlicher zu enthüllen und am Ende mein Vorhaben unverdeckt hervortreten zu lassen.

Ich hatte mich Anfangs auf Einwendungen, auf Widerspruch, auf die gewohnten Bedenklichkeiten, die in solchen Fällen den äussern Verhältnissen entnommen werden, und die ich selbst lange genug erwogen, aber auch bereits besiegt hatte, zuletzt gar auf eitle Versuche, mich zurückhalten zu wollen, gefaßt gemacht; wiewohl ich auf der andern Seite jene erwähnten Erfahrungen in die Wagschale legen, anbei hoffen durfte, die Bekanntschaft mit manchen Würdenträgern der Kirche, etwa gemachte Besuche in Klöstern, der Eindruck freundlicher Begegnung bei derartigem Zusammentreffen, selbst die Lockung der Musik bei katholischem Gottesdienst dürften, wenn nicht die protestantische Unwissenheit in Betreff der katholischen Kirche, so doch das Herbste protestantischen Vorurtheils bedeutend bei ihr gemildert haben. Als dann in den Antworten auf meine dem Ziel immer näher entgegenrückenden Eröffnungen eigentlicher Widerspruch gar nicht, Einwendungen aber nur in dem Maaße zum Vorschein kamen, wie die Rücksichten auf meine Person und namentlich diejenigen einer auch um das zeitliche Wohl ihrer Kinder besorgten Mutter sie nothwendig eingeben mußten, da durfte ich wohl auch darin eine höhere Leitung erkennen, die nach derjenigen Seite, von welcher die empfindlichsten Schwierigkeiten sich hätten erheben können, von dergleichen nicht eine Spur zum Vorschein kommen ließ. Die Einwendungen wurden immer schwächer, zogen sich zuletzt auf das zurück, was ich von Anfang an mir selbst hatte sagen, kraft eigener Würdigung der Umstände, der Verhältnisse, der Personen mit der größten Wahrscheinlichkeit erwarten können.

Aber eben deßwegen hätte ich es auch für einen unzeitigen[251] Eingriff in die höhere Fügung erachtet, wenn ich eine Erklärung früher hätte geben wollen, als bis die Einwendungen wie ich solches mit der vollesten Zuversicht immer zuverläßiger erwarten durfte – völlig verstummt wären. Ich zog es vor, meinen Aufenthalt in Rom für etwa acht Tage zu verlängern, um mit voller Beruhigung in jener Hinsicht und mit dem gewiß nicht geringen Segen vollkommener Entfernung jedes Widerspruches von dieser Seite als Glied der Kirche mich erklären zu können. Auch schien mir bei dem, unter meinen Wahrnehmungen in Rom immer tiefer gefestigten Vorhaben der Aufschub von Wochen und Tagen nun nicht mehr in Anschlag gebracht werden zu dürfen, um so weniger, da ein unerwartetes und plötzliches Lebensende nur zu denjenigen Möglichkeiten gehört, deren Eintreten wir an jedem Ort und in jedem Augenblick unseres irdischen Daseyns zu gedenken haben. Diejenigen, welche in der Folge wegen dieser freundlichen und ohne die leisesten Schwierigkeiten erfolgten Verständigung mich beglückwünschten, haben damit gleichsam in meinem Innern gelesen; denn ohne dieß wäre meine nachherige Freudigkeit weder so ungetrübt, noch so vollständig und fortan unvermindert gewesen. Und ist es eine gewagte Behauptung, wenn ich sage: daß die göttliche Gnade in dem Herzen einer von Geburt her dem Protestantismus angewöhnten Frau bereits zu wirken begonnen habe, sobald sie die Rückkehr ihres Mannes in die wahre Kirche ohne Mißstimmung vernehmen kann?

Wie, ohne Mißstimmung? Selbst mit der freudigsten Zustimmung. Ich konnte baldiger Abreise wegen nach meiner Aufnahme in die Kirche zu Rom keine Briefe mehr von Haus erwarten, unterwegs ebensowenig, weil ich wohl in vielen Städten, in keiner aber lange genug mich aufhielt, das Eintreffen in keiner zum voraus mit Zuverlässigkeit bestimmen konnte, um Briefe in irgend eine abgehen zu lassen. Es mischte sich daher unter das viele Erfreuliche, was in so manchen Städten, in denen ich auf der Heimreise weilte, mir entgegenkam, oftmals eine gewisse Unruhe, wie wohl der nächste Brief[252] den ich zu Verona erwartete, lauten würde? Dieser aber war der reine Wiederhall jener Freude, die mich emporhob, er sprach die volleste Zufriedenheit, in der Ueberzeugung aus, daß ich gewiß nur aus den reinsten und tiefsten Beweg gründen meinen Vorsatz werde ausgeführt haben.

Die volle Bewährung fand sich dann nachher, bei dem Wiedersehen in der Cartause Ittingen, wo meine Frau mir über die Unannehmlichkeiten und Beängstigungen, die sie nicht lange vorher statt meiner zu ertragen gehabt hatte, mit der heitersten Miene und dem unerschütterlichsten Gleichmuth Bericht erstattete; wie nahe es auch gelegen hätte, in Anwandlung bitterer Erinnerung mir die Schuld davon beizumessen. Der Segen, den mir das Oberhaupt der Kirche bei dem Abschied für sie ertheilt hat, ist somit nicht wirkungslos geblieben, und die vielen Gebete, welche fromme Seelen mehr als eines Landes in jener, die Glieder der Kirche belebenden und einigenden christlichen Liebe für sie zum Himmel senden, werden ihre Wirkung ebensowenig verfehlen.

––––

Da ich hier bloß solche Erinnerungen auffrische und derartige Beobachtungen mittheile, welche in einiger Verwandtschaft zu dem Hauptzwecke meiner Reise stehen, so sage ich nichts über Genua, wo ich zum Erstenmal an Italiens milderem Himmel mich erquickte; nichts von der Seereise nach Livorno, die ich, trotz ziemlich starken Gegenwindes und mühsamerem Lauf des Dampfschiffes, frei von allem Mißbehagen und großtentheils in ruhigem Schlaf zurücklegte; nichts von Pisa's schönem Dom und den Flügelthüren seiner Taufkapelle, und noch weniger von den Kunstschätzen und den sehenswerthen Denkmälern in den größern Kirchen der Arnostadt. Von diesem Allem haben Andere bei längerem Verweilen gründlicher, bei grösserer Gewandtheit besser geschrieben, als ich es vermöchte. Nur über Umbrien mögen ein paar Worte ihre Stelle finden.[253]

Ich fuhr von Florenz nach Arezzo durch das Thal von Chiana, welches hinausführt nach den Schluchten und vormals waldbekränzten Höhen der Apeninnen, wo der kirchlich denkwürdigen Stätten, an denen ich einst im Geist geweilt, so manche lagen. Nie so sehr wie damals bedauerte ich es, in der Zeit beschränkt und durch die Jahre gehemmt zu seyn, um als rüstiger und leichtbeweglicher Fußgänger dahin gelangen zu können, wohin der zu Wagen Reisende nur selten und nie ohne bedeutende Geldopfer gelangen kann. Wie gerne wäre ich nicht hinaufgestiegen nach jenem von jähen Felsen umstarrten, von uralter Waldung umschlossenen Grund, welchen unter den Schauern achtmonatlichen Schnees der Herzogsjüngling von Ravenna zur Stätte seines strengen Büsserlebens erkoren und aus dessen etwas gemilderter Vereinigung das jetzige Oberhaupt der Kirche hervorgegangen ist. Ich hätte mich hinübergewendet zu dem schattichten Thal, zu dem schönen Wässerlein, an welchem nicht viel später Johann Gualbert lieber dem Gekreuzigten leben, als an dem seiner Erinnerung geweihten Tage das Gewissen mit dem Tod eines Gefreundeten beflecken wollte. Ich wäre hinangewandert nach jener wundervollen Bergeshöhe, auf der noch heutiges Tages die Armuth den gabenreichen Wirth an Tausenden von Pilgrimen macht, und wo in Bildern und Denkmälern und Uebungen eine lebendige Erinnerung an die vielbezweifelte und vielverspottete und dennoch vielgeglaubte Stigmatisation des heiligen Franz noch heutzutage fortdauert. Aber ich mußte mich begnügen, im Dahinfahren auf der gewohnten Strasse aus der Gegend von Levana hinüberzufliegen nach diesen denkwürdigen Stellen mit meinen Gedanken.

Ich hatte nicht lange vorher für die zweite Auflage des vierten Bandes von Innocenz das Leben des heiligen Franz mit besonderer Vorliebe aufs neue bearbeitet. Der Schauplatz seines Lehrens und Wirkens zwischen Arezzo und Fuligno schwebte daher in frischer Erinnerung mir vor Augen. Perugia mit seiner schönen Lage auf dem Hügelrücken, der zwischen drei[254] zusammenlaufenden Thälern ausspringt, war mir um so interessanter, da Bernadone's Sohn als »Blüthe der Jugend« ein Jahr dort in Kriegsgefangenschaft gesessen. Mit besonderer Aufmerksamkeit forschte ich nach dem unbedeutenden Rivo torto, wo er dem in seinem Undank und Eidbruch übermüthigen Kaiser Otto entgegentrat und ihm die Wendung seiner Hoffart verkündete. Von dem Hügel hinab winkte mit seinen Kirchen und Thürmen und Klöstern Assisi, wo einst des Heiligen Wiege gestanden, und abermals schmerzte es mich, daß Zeit und Gelegenheit mangelten, auch dort mich umzusehen. Aber doch vor St. Maria degli Angeli ward Halt gemacht, und weniger zog mich das aus seinen Ruinen bald wieder erstandene grosse Kloster, die prachtvolle Kirche mit ihrem schönen Chor und dem glänzenden Marmorboden an, als die enge Zelle, die einst den wundersamen Geist barg, in welchem ein neuer Lebensquell für die christliche Welt sprudelte, und weniger als das durch Overbeks herrliches Gemälde so würdig ausgestattete Portiuncula-Kirchlein, in welchem Jener so oft in seinen Erlöser sich versenkte.

Könnten Kritik, Klügelei und Zweifel Franzens innige Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten, zwei Jahre vor seinem Lebensende äusserlich in den Wundmalen sich darstellend, dergestalt verwischen, daß nicht die leiseste Erinnerung und nicht eine Spur des Fürwahrhaltens daran mehr bliebe: seine innere, seine geistige Gemeinschaft mit seinem Herrn können sie nimmermehr zernichten. Er hat nicht nur wie der Meister, dem er so ganz zu eigen sich gegeben, den Armen das Evangelium gepredigt, sondern er hat das Evangelium der Armuth gepredigt. Er hat dieselbe nicht allein als göttliche Anordnung tragen, er hat sie nicht bloß als Mittel der Heiligung angeloben, er hat sie nicht einzig als Tugend sich zueignen gelehrt; er hat von ihr förmlich Besitz genommen, er hat sie vor den Augen der Welt in einen Schmuck verwandelt, er hat sie zu allen, durch die Kirche bereits geweihten und ihr dienenden Kräften als eine neue in deren geistiges und sittliches Getriebe[255] eingefügt. Preiset immerhin die Lehren, welche das Niedrige zur Geltung des Hohen erheben und das Hohe in die Stellung des Niedrigen herabdrücken möchten, der heilige Franz hat diese Aufgabe, die ihr nur im Sturm und unter dem Einsturz aller gesellschaftlichen Ordnung und mittelst aller Gräuel, die euch nichts als ein vergnügliches Spiel wären, zu losen vermöchtet, er hat dieselbe nicht allein in Ruhe und zu Festigung dieser Ordnung, sondern mit dem Anhauch einer heiligenden Kraft gelöst. Er hat der Armuth in der Verkettung der menschlichen Zustände ihre Bedeutung neben dem Reichthum, der Niedrigkeit ihren Vollgehalt neben der Hoheit angewiesen. Er ist das Werkzeug gewesen, zu verwirklichen das Wort des grossen Lehrers der Völker: »was vor der Welt thöricht ist, das hat Gott erwählet, um zu Schanden zu machen die Weisen; und das Schwache der Welt hat Gott erwählet, um zu Schanden zu machen das Starke; und das Unedle der Welt und das gering Geachtete hat Gott erwählt, und das, was nichts ist, um zu zerstören, was Etwas ist, damit Angesichts seiner kein Fleisch sich rühme.«

Und das Wunder der fünf Brode, es erneuert sich noch täglich. Das Kloster, welches sich über den durch Franz geweihten Statten erhebt, zählt bei hundert Brüdern. Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen und der himmlische Vater ernährt sie doch. Und wenn an dem grossen Festtage vom 2. August die Schaaren von weitem Umkreise zu Tausenden und Tausenden heranwallen, sie Alle gehen gesättigt von dannen, und Niemand kann sagen, wie die Brüder Vorräthe aufspeichern, oder in Sorge um die kommenden Tage sich abmühen. Siehst du aber die Kirche, die an Große, an Erhabenheit, an architektonischer Zier neben viele der gefeyertesten sich stellen kann, und du frägst: wer hat sie gebaut, so wird dir die Antwort: die Armuth hat sie gebaut! Was nichts ist vor der Welt, hat in dem weiten Thal ein Haus erstehen lassen dem Herrn der Welt, das würdig ist dessen, dem Himmel und Erde gehört; es ist die Armuth, es ist der Glaube, es ist[256] die Liebe, die diese Säulen aufgerichtet, diese kühnen Wölbungen hingestellt, diesen Marmorglanz über den weiten Raum ausgegossen haben.

Hinten an dem ausgedehnten Park von Capodimonte über Neapel, einsam, verborgen, im Schatten hoher Pinien, Platanen und immergrüner Eichen liegt ein kleines Capuciner-Klösterlein, gewissermassen als Theil der königlichen Lustreviere die Ruine eines gothischen Bauwerkes darstellend. In seiner Sacristei sah ich zwei Gemälde ohne Kunstwerth, aber ungemein gemüthlich in ihrer kindlichen Naivetät. Auf dem einen ist Jesus abgebildet, der das Kleid über der Brust zurückstreift und in seinem geöffneten Herzen das Bild des heiligen Franz zeigt; als Gegenstück hängt der heil. Franz, der in seinem geöffneten Herzen das Bild des Erlösers trägt. Wie Mancher wird da nicht schreien über unwürdige Spielerei, über abgöttischen Heiligendienst, über Herabsetzung des Erlösers, über groben Anthropomorphismus, über Mißbrauch der Kunst durch einen dem Aberglauben fröhnenden Pinsel! Soll aber im Grund nicht jeder Christ dasselbe Bild im Herzen tragen, nicht jeder zu der Zuversicht hinanstreben, daß auch sein Bild in dem erbarmungsvollen Herzen des Erlösers getragen werde? Oder verdiente etwa die Lämmleins-Theologie darum den Vorzug, weil ihre Bilder in dem Wind zerrinnen, dieses dagegen durch Gestalt und Farbe festgehalten und vor Augen gestellt wird?

––––––

Es war am Freitag Abend vor Palmsonntag, als ich in die ewige Stadt einfuhr, und noch am gleichen Abend sah ich den Gegenstand der Sehnsucht der gleichgültigen wie der wahren Christen, der Neugierigen wie der durch Ehrfurcht Hingezogenen, der Feinde wie der treuen Kinder der Kirche – St. Peters-Platz und Dom in der Vollmondsbeleuchtung. Den ersten Besuch am folgenden Morgen stattete ich meinem Landsmann, Monsignore von Curtins, Caplan der Schweizergarde[257] und Hausprälat Seiner Heiligkeit, ab, um durch dessen Verwendung bei den Feyerlichkeiten des Palmsonntags und der heiligen Woche einen geeigneten Platz zu erhalten. Wie durch seine unermüdliche Fürsorge in meinen Aufenthalt zu Rom alles Angenehme sich verflochten und durch seine aufmerksame Verwendung alles Sehenswerthe mir sich erschlossen hat, so erzeigte er sich alsbald bereit, hierin seine wohlwollende Obsorge mir angedeihen zu lassen, doch sollte ich hiefür noch die Gutheissung Sr. Eminenz, des Hrn. Cardinal-Staatssecretärs, einholen, was mir nicht schwer fiel, da ich an denselben mit den besten Empfehlungen versehen war. Der Cardinal hatte selbst die Gewogenheit, an den Hauptmann der Garde, Hrn. von Pfyffer, zu schreiben, daß er einen der wenigen reservirten Plätze, unmittelbar hinter den Cardinälen, auf der Bank der apostolischen Protonotarien, mir anweise.

So konnte ich den erhebenden Feyerlichkeiten in St. Peter und in der sixtinischen Capelle, möglichst nahe den Altären und dem päpstlichen Thron, beiwohnen. Se. Heiligkeit hatte durch Hrn. von Curtins meine Ankunft unverzüglich erfahren und nachher selbst ihn gefragt: ob mir auch ein anständiger Platz angewiesen seye und ob ich bei den Vespern in der sixtinischen Capelle mich eingefunden hätte?

Von der Erhabenheit der Feyerlichkeiten vom Palmsonntage bis zum Ostertage, von dem tiefen und bewältigenden Eindruck, den dieselben auf jedes empfängliche Gemüth machen müssen, sage ich nichts; dieses Alles ist vielfältig geschildert worden. Nur zwei Bemerkungen seyen mir vergönnt. – Amt grünen Donnerstage, nachdem das allerheiligste Sacrament in grosser Procession aus der sixtinischen in die herrlich erleuchtete paulinische Capelle begleitet worden, wird unmittelbar darauf der Papst, folgend den Bischöfen und Cardinälen, auf den grossen Balkon der St. Peterskirche getragen, um den Segen zu ertheilen. Es hallen die Glocken, es donnern von der Engelsburg die Kanonen, es wirben die Trommeln, es schmettern die Trompeten, die Menge auf St. Peters-Platz fällt auf die[258] Kniee. Alles, was zu Verherrlichung der Erdenhoheit sich vereinigen läßt, und mehr noch, als was zu Verherrlichung irgend einer ausschließlich irdischen Hoheit gestattet ist – das Niederknieen der versammelten Menge, ist hier vereinigt. Aber welche Mahnung an denjenigen, bei dessen Erscheinen alle diese Zeichen der Verherrlichung der Macht sich vereinen, daß er dieselben nicht auf sich, sondern auf den Einzigen beziehe, dessen Stellvertreter er ist; daß er nicht, berauscht durch diesen Erdenglanz, sich, sondern Ihm nur die Ehre gebe, auf dessen Ehre all' sein Sinnen und Bemühen und Wirken abzielen soll! Unmittelbar von diesen Merkmalen der Erdenhoheit, die so leicht blenden könnten, steigt der Papst hinab in die Kirche, um hier, dem Beispiel dessen folgend, der auch sein Herr ist, den Dienst des Geringsten in dem Fußwaschen zu verrichten. Zerronnen ist der Pomp, gleich dem Wergbüschel, der bei der Krönung vor des Papsts Augen verbrannt wird, und das Niedrige und das Mühsame des Lebens, langer dauernd als jener, soll hiemit, als dessen ernstere Aufgabe, bleibender ihm sich einprägen. Dem irdisch Hohen soll das geistig Hohe unmittelbar folgen und hierin an denjenigen, an dessen Person Jenes sich knüpft die Mahnung ergehen, daß, wie dasselbe nur um ihn seyn könne, so dieses in ihm seyn müsse; daß es dann in so höherem Glanze leuchte, zu je niedrigerem Dienst in Nachahmung dessen er sich bequeme, welcher, da er hätte mögen Herr seyn, zuerst Aller Diener geworden ist.

Nachdem der Papst die Fußwaschung verrichtet hat, und die sogenannten Apostel voraufgezogen sind an den zierlich ausgestatteten Tisch in der grossen Loggia von St. Peter, kömmt auch das Oberhaupt der Kirche, um sie zu bedienen. Ich konnte kaum meine Augen abwenden von dem freundlichen, frommen Greisen, der gleich einem wohlbesorgten Hausvater zu seinen Kindern hintrat, aufmerkend, daß es Keinem an Etwas gebreche, von dem Augenbick an, da er Jedem der Dreizehn Wasser über die Hände goß, bis zum Schlusse der Tafel. Wahrlich keine geringe Aufgabe für einen achtzigjährigen Greisen,[259] den darüber hin seit der Mitte des Morgens anstrengende Functionen ununterbrochen in Anspruch genommen haben, dreizehn Speisende, Einen um den Andern, mit sämmtlichen Gerichten eines nicht ganz beschränkten Gastmals zu bedienen! Auch andere Fürsten pflegen an diesem Tage zwölf Arme zu speisen, und in ähnlicher Art deren Diener zu machen. Und dennoch, welch' ein Unterschied auch hier! Setzen wir den Fürstenrang, welchen der Papst mit ihnen theilt, setzen wir das ihm allein zukommende Ansehen als Oberhaupt der Kirche bei Seite, führen wir die Sache auf das rein Menschliche zurück: welch' ein Unterschied einzig von diesem Standpunct zwischen dem Papst und den weltlichen Fürsten! Für diese werden unter ihren Unterthanen die Betagtesten ausgesucht, und es mag wohl noch nie vorgekommen seyn, daß der Fürst älter gewesen wäre, als derjenigen Einer, die er bedient. Es bleibt also bei diesen immer noch die rein menschliche Ueberordnung des Alters. Nicht so bei dem Papst. Er ist der Greis, und diejenigen, welche durch ihn bedient werden, sind junge Leute. Es beugt sich also hier – wenn ich so sagen soll, nicht allein der Fürst vor dem Unterthan, das Haupt der Kirche vor dem bedeutungslosen Glied derselben, sondern es beugt sich das Alter vor der Jugend. Wie schwer würde es nicht schon dem leiblichen Vater werden, wenn er Angesichts vieler Tausende sich bequemem müßte, zum Diener seiner Söhne sich zu machen; wie noch schwerer dem greisen Herrn, wenn er solchergestalt unter den jungen Diener hinabsteigen sollte? Weiter könnte die Demuth nicht gehen Darin liegt zwischen der Speisung der Apostel durch den Papst und durch die weltlichen Fürsten, bei aller Aehnlichkeit, doch ein wesentlicher Unterschied. Auch hatte das Ganze nicht, wie die Befangenheit oder übler Wille und schiefe Voraussetzung dessen so gerne sich und Andere bereden möchten, das Ansehen eines hohlen, bedeutungslos gewordenen Herkommens, oder eines eitlen Schaugepränges, oder einer drückenden Last. Es war keine erkünstelte Demuth, in welcher der Papst diesen Dienst verrichtete: nicht immer vermochte er die innere[260] Bewegung zu unterdrücken; mehr als einmal traten dem ehrwürdigen Greisen Thränen in die Augen; und wie tausenderlei Meinungen auch die Köpfe der dicht gedrängten Zuschauer beherrschen mochten, ein Gefühl, das der Rührung und der tiesen Achtung, vor der Persönlichkeit wenigstens des Handelnden, konnte gewiß kaum Einer von sich weisen.

Eine eigenthümliche Funktion fiel, bald nachdem der Papst sich entfernt hatte, mir zu. Ich befand mich innerhalb der Schranken auf der Erhöhung, auf welcher die Tafel errichtet war. Sie wird immer in ihrer ganzen Länge mit Veilchen und Rosenblättern bestreut. Da bat einer der Untenstehenden mich um ein Veilchen. Ich gab es ihm. Kaum er es empfangen, streckte ein Zweiter die Hand auf, und wie ich auch diesem willfahren, so erhoben sich Duzende von Händen, und wo ich stund, riefen eine Menge Stimmen: Signore, una fiore! und drängte sich Alles an das Geländer, um der Spende theilhastig zu werden; so daß ich nicht genug zusammenraffen konnte, und am Ende, was ich anfangs mit voller Hand reichte, um die Hunderte und Hunderte befriedigen zu können, in sparsamerem Maß gewähren mußte, aber dennoch in wenigen Minuten beinahe den ganzen Blumenschmuck der Tafel weggeräumt hatte, ohne Alle der immer von neuem sich Herbeidrängenden befriedigen zu können. Einige der zurückgebliebenen Prälaten ergötzten sich über meine unablässig nach allen Seiten gerichtete Dienstfertigkeit. Am Ende wurden sogar Stücke von den auf den Tellern liegenden Citronen von mir verlangt. Dem aber glaubte ich doch nicht entsprechen zu dürfen, da ich ja auch nur ein Forestiere wäre wie alle Andern, und nur aus besonderer Gunst an dieser, für die Uebrigen abgesperrten Stelle mich befände; mit solchem Gesuch wies ich sie an einen der umstehenden Prälaten, dem ein Verfügungsrecht eher als mir zukomme. Das Gesuch wurde nicht vergeblich gestellt.
[261]

Es giebt vielleicht Solche, die in dem Wahn stehen, das Erhabene, Ergreifende der Functionen der heiligen Woche, wohl gar der Pomp und die äussere Pracht, womit dieselben umgeben sind, hätten auf meinen Entschluß, in die Kirche zurückzukehren, einigen Einfluß geübt, gewissermassen mich berückt. Wäre derselbe unmittelbar nach der heiligen Woche ausgeführt worden, so könnten sie eine etwelche Beglaubigung für ihre Vermüthung sogar aus dem Zeitpunct dieser Rückkehr herausfinden, obwohl dabei ein Taumel müßte vorausgesetzt werden, welcher Ueberlegung und Urtheilsfähigkeit durchaus niedergehalten hätte. Denn das müßte doch alsbald einleuchten, daß ausser Rom Gleichem nirgends, Aehnlichem nur annähernd in irgend einer namhaften Stadt zu begegnen seye. Mit Recht wäre an dem Verstand desjenigen zu zweifeln, auf welchen Aeusserlichkeiten, von denen er wissen kann, daß sie in solchem Glanz nirgend anderswo zu finden sind, einen solchen Einfluß üben könnten, daß er so zu sagen sich selbst ihnen zum Opfer brächte.

Allein gerade das Entgegengesetzte hat bei mir statt gefunden. Die Ueberlegung war für mich von grossem Gewicht, daß all dieses Aeussere, wie tiefsinnig, wie würdig, wie großartig, wie hinreissend, wie glanzvoll auch es seye, das Eigentliche und Wesentliche weder zu verändern, noch seiner wahren Bedeutung und Wirkung nach im mindesten zu erhöhen vermöge. Ob in dem Wunderbau der christlichen Welt, ob an dem reichausgestatteten Altar über St. Peters Gruft, ob in den reichen päpstlichen Gewändern prangend, ob umgeben von den Cardinälen und den höchstgestellten Fürsten der Kirche, ob unter dem Gesang des geübtesten und kunstfertigsten Sängerchors, ob in Gegenwart von Tausenden aller Länder, aller Völker, aller Zungen, aller Meinungen, ob im Beiseyn der Botschafter der ersten weltlichen Gebieter in der Christenheit, ob umsäumt an dem äussersten Kreis von den geharnischten Schweizern und von der Ritterwache mit entblößtem Schwert das Oberhaupt der Kirche Hochamt halte, ob dagegen in der schmucklosen Dorfkirche, bei vier Lichtern, an ärmlich ausgestattetem Altar, in[262] dürftigem Meßgewand, unter den mißtönigen Stimmen einer ungeübten Schuljugend der einfache Priester Messe singe – das Hochamt des Papstes hat keine höhere Bedeutung als die Messe des Priesters, die Messe des Priesters hat nicht geringeres Gewicht als das Hochamt des Papstes; Beide thun Ein und dasselbe, Amt und Messe stehen in gleicher Beziehung zu dem Haupt und Herrn der Kirche; Beide haben Eine und dieselbe Segenswirkung auf den wahren Gläubigen; Beide führen mit gleicher geistiger Macht in das Innerste des Verdienstes Christi hinein, und Beide erneuern das Opfer, welches er am Kreuz dargebracht hat. Der strahlende Diamant gewinnt nichts durch die kostbarere und kunstreichere, verliert nichts durch die ärmlichere und rohere Fassung! Das sichtbare Oberhaupt der Kirche steht allerdings auf der obersten Spitze ihrer Stufenleiter; dem Nachfolger Petri ist allerdings mit der Obsorge um die Heerde des guten Hirten die Fülle der Gewalt übertragen; die erhabene Würde ist allerdings mit allen Attributen irdischer Hoheit ausgestattet; aber wo es das Geistige gilt, wo jenes Alles nur als Zuthat erscheint und die Feyer des heiligen Geheimnisses das Höchste und Tiefste, das Innerste und Wesentlichste ist, da ist der Papst nicht mehr als der letzte Priester von Aracöli, ist dessen Würde nicht geringer, als diejenige des Oberhauptes der Kirche.

Auch das wieder gehört zu den nicht genug erwogenen Größen der katholischen Kirche, daß die höchste Feyer derselben zugleich eine alltägliche Feyer ist, und daß alle Aeusserlichkeit und alle Zuthat, so wenig als Persönlichkeit, auf deren Wesen und Bedeutung irgendwelchen Einfluß üben kann. Darum läßt sich mit Recht fragen: ob für den Gläubigen, welchen der rechte Sinn und das wahre Verlangen in die Kirche führt, ob für denjenigen, der zu seiner Erhebung und Erleuchtung, zu seiner Festigung und Stärkung in der Gegenwart seines Erlösers in dessen gnadenreiches Verdienst sich versenken will, ob für einen Solchen das Anwohnen einer einfach, aber würdig gefeyerten Messe nicht denselben Werth haben müsse und die vollkommen[263] gleiche Gnadenwirkung habe, wie das durch alle glänzenden Zuthaten ausgestattete Hochamt? Ich habe mitten unter der erhabenen und erhebenden Feyer in St. Peter keinen Anstand genommen, diese Frage mit Ja zu beantworten, und hiedurch an Sicherstellung und Entschiedenheit nicht wenig gewonnen. Denn wahrlich, nichts Unvollkommeneres und Ungenügenderes ließe sich denken, als die Kirche, wenn der Werth des Dargebotenen und die Einwirkung des Gefeyerten, so wie anderwärts von der Individualität, so in ihr von jenen Zuthaten abhinge. Vielmehr, wie die Wesenheit des Gottesdienstes hier nicht von der Person kann verschlungen, so kann sie auch nicht durch das Hinzukommende bedingt werden.

Daß dann die äussern Dinge uns nicht unberührt lassen, daß unwidersprechlich durch den Canal der Sinne der Geist in reinere und höhere Stimmung versetzt werden müsse, daß der Gottesdienst in einem hohen Dom, zu dessen Ausstattung die irdischen Hülfsmittel, die ausgezeichnetesten Talente und was der menschliche Kunstsinn nur irgend Bewunderungswerthes zu schaffen vermag, in jeder Art gewetteifert haben, uns von dem Sichtbaren zum Unsichtbaren leichter hinanhebt, als derjenige in der unförmlichen Dorfkirche, daß unter den emporwallenden Weihrauchdüften und unter den Melodien einer wohlgeübten Capelle wir freudiger zum Thron der himmlischen Majestät uns aufschwingen und in unserer Brust das Dreimalheilig in helleren Accorden wiederklingt, als wo ringsum Dürftigkeit uns umgiebt, das ist natürlich, dafür sind und bleiben wir immer Menschen.

––––––

Ich mag wohl der erste Protestant und dazu noch vormaliger Geistlicher und Würdeträger unter ihnen gewesen seyn, der von einer Anzahl Prälaten als beharrlicher Verfechter der (materiellen) Interessen der Klöster dem Oberhaupt der Kirche[264] empfohlen worden ist, der den Auftrag vorweisen konnte (wie der Hr. Fürstabt von Einsiedeln solchen in schriftlicher Beglaubigung mir gab), im Namen eines ganzen Klosters Sr. Heiligkeit die Füße zu küssen und den Dank eines Frauenconvenies für ertheilte Indulgenzen auszusprechen.

Bald nach meiner Ankunft in Rom ließ Seine Heiligkeit mich wissen, wie erwünscht diese Ihr seye, wie sehr Sie mich zu sehen verlange und wie Sie zu einer Audienz nach der heiligen Woche, zu einer Zeit, in welcher die Ruhe vor andern Audienzen freyere Muße gestattete, mich würden rufen lassen. Dazu wurde der Donnerstag nach der heiligen Woche bestimmt. Mein Freund und Landsmann Curtins erhielt als Hausprälat den Auftrag, mich durch die Scala secreta ein zuführen. Der Papst erhob sich bei meiner Annäherung an seine Person, und sobald ich meinem von Einsiedeln erhaltenen Auftrage Genüge thun wollte, hieß er mich aufstehen, nahm selbst von einem zur Seite seines Arbeitstisches stehenden Tabouret einen Haufen Bücher hinweg und lud mich ein, mich zu setzen, eine Auszeichnung, worüber Curtins nachher ihrer Seltenheit wegen nicht genug sprechen konnte.

Ich glaube, die Heiterkeit, die aus dem Blicke des damaligen Oberhauptes der Kirche leuchtete, die unbeschreibliche Freundlichkeit, die in seinem ganzen Wesen sich kund gab, die milde Ruhe desselben, die den sich Nähernden herbeizog, die Einfachheit, die, wie an seiner Person, so in seiner Umgebung an den Tag trat, die hohe, ungesuchte, anspruchslose Würde, die uns in ihm entgegenkam, hätte selbst den verstocktesten Protestanten für seine Person einnehmen müssen. Es war ein eigenes Gefühl, das mich durchdrang, hier neben einem in weltlicher Beziehung immerhin noch bedeutenden Monarchen, aber, was dieses weit überragt, neben dem Oberhaupt der Kirche, neben dem Nachfolger einer so langen, bis zu der Person des Erlösers hinaufreichenden Reihe von Vorfahren, neben dem Erben von achtzehn Jahrhunderten ebenso zu sitzen, als hätte ein alter Bekannter zu vertraulichen Gespräche mich eingeladen. Als ich nun meine[265] offenen Schreiben dargereicht und der Papst sie überblickt hatte, erwiderte er mit dem ihm eigenthümlichen Wohlwollen: Dessen hätte es nicht bedurft, längst schon sind Sie mir bekannt.« Ich befand mich in einiger Verlegenheit wegen der Sprache. Zuvor nemlich hatte ich gehört, daß der Papst nicht gerne französisch spreche; italienisch aber konnte ich nicht. Als ich daher in jener Sprache anfangen wollte, sagte er: ma piano, piano! Ich zwang mich daher, italienisch zu radebrechen, so gut es gehen wollte, stand ja Curtins zur Aushülfe gegenüber. Gewiß kann es keinen bessern Beweis geben, daß die Art der Aufnahme und die Persönlichkeit des Papsts auch nicht die leiseste Befangenheit aufkommen ließ, als daß ich es wagen durfte, meinen Gedanken einen so mangelhaften Ausdruck zu leihen.

»Sollte es mir nicht Freude gewähren,« sagte der Papst weiter, »Sie persönlich kennen zu lernen; sind Sie doch der Apoleget meiner Vorfahren!« Ich wollte den Ausdruck Apologet nicht gelten lassen, und bemerkte: ich hätte eigentlich nur die Resultate parteiloser Forschung, eine Geschichte, nicht eine Apologie geben wollen. – »Eben,« erwiderte er, »weil Sie die Wahrheit wieder in ihr Recht eingesetzt haben, nachdem sie durch Entstellung schon seit so langer Zeit verdrängt worden ist, und weil die Grundlosigkeit so mancher schiefen Urtheile durch Sie nachgewiesen worden ist, sind Sie der Schutzredner eines ungerechter Weise Mißkannten geworden; Sie sind freilich ein Apologet, aber nicht ein Panegyriker.« In diesem Sinne ließ ich mir den Ausdruck gefallen. Ich sprach dann von der Fortsetzung des Werkes, welches in der französischen Uebersetzung den Titel führt: Tableau des institutions et des moeurs de l'eglise an moyen age. Da der Papst dieselbe noch nicht kannte, theilte ich ihm einen kurzen Ueberblick des Innhaltes mit, worüber er grosses Verlangen äusserte, sie kennen zu lernen. Ich erfuhr bald nachher vom Pater Peronne, daß die Uebersetzung in der Bibliothek des Collegio rumano sich vorfinde, und bat ihn, mir dieselbe zu leihen, um sie Sr. Heiligkeit mittheilen[266] zu können. Monsignore Curtins hatte aber während meines Aufenthaltes in Neapel den guten Gedanken, sich dieselbe, gegen spätern Ersatz, von den Jesuiten abtreten zu lassen und sie dem Papst in meinem Namen zu Füßen zu legen.

Die Unterhaltung war so ungezwungen, als sie nur immer gedacht werden kann. Der Papst erzählte mir, daß sein Lehrer ein geborner Protestant gewesen seye. Derselbe habe sich in frühern Jahren zu Dresden aufgehalten. Entrüstet über die unwürdige Geschmeidigkeit mancher seiner damaligen Glaubensgenossen, bei innerlich entschiedener Ablehnung der Lehre, in der katholischen Kirche aus Augendienerei gegen den anwesenden Hof dennoch auf die Kniee zu fallen, habe dieser Mann den Muth gehabt, stehen zu bleiben. Später seye derselbe nach Wien gekommen, in die Gemeinschaft der Kirche zurückgekehrt und in den Camaldulenser-Orden eingetreten. Nicht minder ausgezeichnet durch große Gelehrsamkeit, als durch reine Frömmigkeit, habe er alle Würden, die ihm seyen angeboten worden, beharrlich ausgeschlagen. In einer Grabschrift auf denselben hätte die spätere Zeit eine prophetische Anspielung auf die Stellung, welche zwei seiner Zöglinge in der Kirche eingenommen, der verstorbene Cardinal Zurla und er – der Papst – erblicken wollen. Er aber seye es gewesen, der dem hochverdienten Lehrer im Tode die Augen zugedrückt habe.

Ich hatte vor der Audienz die Gärten des Vaticans durchwandert. Der Papst sprach davon, wie angenehm und für seine Gesundheit wohlthätig der tägliche Spaziergang durch diesen ausgedehnten Raum ihm seye. Er könne auf solche Weise von seinem Arbeitszimmer aus, ohne durch Begegnende gestört zu werden, ganz bequem einen Weg von drei Miglien zurücklegen. Ich fand später für die allgemeine Versicherung, daß er trotz seines so hohen Alters ein rüstiger Fußgänger seye, eine augenfällige Bestätigung, als ich ihn nach der Fronleichnamsprocession durch St. Peters Kirche nach der Thüre zum Palast gehen sah, so rasch, daß kaum das Gefolge Schritt halten konnte. Als ich dann die schöne Aussicht rühmte, die man in[267] den Gärten geniesse, stand der Papst von seinem Stuhl auf und sagte: »Treten Sie hier an das Fenster, da ist sie noch weit ausgedehnter,« und damit bemühte er sich, die schweren Vorhänge auf die Seite zu schieben und die grossen Fensterflügel zu öffnen, mit einer Leichtigkeit und Behendigkeit, welche Curtins Hülfe zu spät kommen ließ. In der That, der Blick über die Stadt und auf das Albanergebirge ist prachtvoll, zwar nicht so frei wie auf den Stufen der Laterankirche, aber durch die vielen Kuppeln und Thürme, die über die Stadt sich erheben, und den gegenüber liegenden Quirinal und Trinita di Monte reicher. »Kommen Sie,« sagte hierauf der Papst, »hier ist die Aussicht verschieden, aber nicht minder schön,« und öffnete die Thüre des grössern Nebenzimmers, um an ein anderes Fenster mich zu führen, mit dessen Aufsperren er uns ebenfalls zuvorkam. Wie ich entlassen wurde, brachte ich noch die Bitte vor: Seine Heiligkeit möchte die Gnade haben, die Frau Priorin im Catharinenthal durch irgend ein Andenken zu erfreuen. Kaum ich für die Audienz, die er mir gewährt, gedankt, eilte der Papst an ein Kistchen und nahm zwei geweihte Rosenkränze und ein kleines silbernes Kruzisir heraus, jene für die angegebene Bestimmung, dieses für mich, und sagte, indem er mich entließ, er hoffe mich wieder zu sehen.

Daß dieses unschätzbare Wohlwollen, welches der Heilige Vater mir erwies, aus der reinsten Herzensgüte hervorgegangen, daß es ihm wirklich erfreulich gewesen seye, mich ihm vorgestellt zu sehen, dessen sind mir alsbald Beweise darin zu Theil geworden, daß er gegen verschiedene Personen der Audienz, die er mir gewährt, erwähnte. Wenige Tage hernach begegnete ich bei Wiedereröffnung der deutschen Kirche St. Maria del Anima einem deutschen Baron, der sogleich zu mir sagte: »Sie sind vor ein paar Tagen bei dem heiligen Vater gewesen!« »Wie wissen Sie das?« erwiderte ich. – »Er Selbst hat es mir gesagt; Sie können nicht glauben, mit welcher Liebe er von Ihnen sprach.« – Ein paar Tage später sagte mir Hr. Dr. Alertz ohngefähr das Gleiche; auch diesem hatte er erzählt,[268] ich seye ihm vorgestellt worden und es seye ihm sehr angenehm gewesen, mich zu sehen. Der Hr. Cardinal Ostini bezeugte mir dasselbe. Dergleichen Erfahrungen wägen andere, welche der Undank, die Mißgunst, der geheime Haß, die verkappte Hetzlust und eine Unzahl ähnlicher Elemente bereiten können, reichlich auf.

In die Zeit, die ich vor der Abreise nach Neapel noch in Rom zubrachte, fiel der Tod des Cardinals Pacca, drängte sich Manches, was die Thätigkeit des heiligen Vaters in Anspruch nahm. Wenige Tage, ehe ich jenen Ausflug antrat, ließ mir derselbe aber doch durch Monsignore Curtins sagen: sofern ich irgend Etwas ihm vorzutragen oder von ihm zu wünschen hätte, wolle er gerne eine kurze Audienz mir gewähren; so aber dieß nicht seye, bliebe eine solche besser bis zu meiner Rückkehr verschoben, da er nur ungerne blos für wenige Minuten mich bei sich sähe, für längeres Besprechen aber die Muße ihm mangeln würde. Jedenfalls lasse er mir glückliche Reise wünschen und erwarte, daß ich meine Rückkehr ihm anzeigen werde.

Nach dieser säumte ich nicht, die verlangte Anzeige zu machen. Die Einladung zu einer zweiten Audienz ließ nicht lange auf sich warten. Empfang und Behandlung war wie bei der ersten, und der Papst hatte auch für diese einen Tag ersehen, an welchem er mir etwas mehr Zeit schenken konnte. Er freute sich meines Berichtes über das Blut des heiligen Januarius und der Erklärung, daß ich demselben ebensowohl ohne Glaube, als ohne Unglaube, bloß in der Absicht zu sehen, mich genähert hätte, nun aber im Falle wäre, ein sicheres und gegen Einreden gefestigtes Urtheil darüber zu fällen. Die katholische Kirche, bemerkte er, verlange nichts als vorurtheilsfreye Prüfung, dieser müsse unfehlbar Manches in anderem Licht sich darstellen, als da, wo das Gegentheil vorhanden seye. An die Bemerkung: ich hätte Beweise genug gegeben, daß ich durch jene mich leiten lasse, knüpfte sich das im vollesten Sinne als väterlich-freundliche Aeusserung hingeworfene Wort: Spero,[269] ehe lei sara mio figlio! Mehr sagte der Papst nicht; und es war auch dies der einzige Wink, den er in solcher Beziehung mir gab. Sonst berührte er diesen Punct niemals auch nur von ferne; und ich versichere, daß dieser offene, würdige Verkehr, welcher Alles meiner Ueberzeugung, meinem freyen Willen anheimstellen, keinerlei Einfluß auf mich üben, keine Erwartungen oder Hoffnungen aussprechen wollte, gleichsam sich hütete, auf meine Gesinnungen und Ueberzeugungen einzuwirken, mich in meinem Vorsatz ungleich mehr festigte, als wenn ich hätte wahrnehmen können, daß man es auf meine Zurückführung in die Kirche angelegt, einen besondern Werth in dieselbe gesetzt hätte. Daß diese den Papst erfreuen würde, das durfte ich mit Recht ahnen, und mag wohl jeder unbefangen und richtig Urtheilende natürlich finden. Aber gerade in diesem völligen Gewährenlassen erkannte ich ein Zeugniß – wie deren nachher so viele mir zu Theil geworden sind – daß die katholische Kirche nicht darüber sich freut, daß der Mensch zu ihr, sondern daß sie zu dem Menschen gekommen ist; denn nicht sie, die ihre Pforten öffnet, macht einen Gewinn, sondern dessen ist der Gewinn, dem die Pforten geöffnet werden. Das waren auch die Gefühle, welche mir aus allen Ländern und von den Personen der verschiedensten Stände einstimmig entgegenkamen. Daß die Freude der Mutter für das Kind, welches zu ihr wieder seine Zuflucht nimmt, mit der Freude über das Kind selbst sich verschmilzt, ist ganz natürlich; wie wäre sie sonst die treue, die besorgte, die an Liebe so reiche Mutter?

Ich erlaubte mir, Se. Heiligkeit zu fragen: ob Sie mit dem, was ich in der Fortsetzung meines Werkes über den Papst gesagt hätte, zufrieden wäre? contentissimo, war die Antwort. Auch diese Audienz dauerte über eine halbe Stunde und hatte ganz das Gepräge einer lehrreichen Conversation über eine Menge der interessantesten Gegenstände, wie z.B., was ich schon früher erwähnt habe, über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Wiedervereinigung der von der Kirche getrennten[270] Parteyen als Gesammtheiten, über die Katakomben Roms und deren allseitige hohe Bedeutung, über manches andere Derartige.

Welche Freude leuchtete aber nicht aus dem Antlitz des ehrwürdigen Greisen, welches väterliche Wohlwollen, welche unbeschreibliche Herzlichkeit kam mir nicht entgegen, als ich am 20. Juni mit dem Wort: nun seye erfüllt, was er nicht lange vorher als Hoffnung und Wunsch ausgesprochen, zum Letztenmal das Glück hatte, dem Papst vorgestellt zu werden! Es war gerade an dem Tage, an welchem derselbe dem König von Bayern einen Besuch abgestattet hatte. Ich war auf eilf Uhr bestellt worden. Um halb zwölf sah ich den heiligen Vater in den innern Hof des Vaticans einfahren, ihn die grosse Treppe hinaustragen, und folgte unmittelbar nach. Kaum mochte ich mich zwei Minuten in dem Vorzimmer befinden, als schon die Klingel zum Eintritt in das Arbeitszimmer rief. Der Papst kam auf mich zu, dankte der göttlichen Gnade, die alle Hindernisse meiner Rückkehr aus dem Wege geräumt habe, und beglückwünschte mich mit der Theilnahme eines Vaters an dem Glück eines ihm werthen Sohnes. So eben sagte er, komme er von dem König von Bayern und hätte mit demselben von mir gesprochen, denn dieser theile seine Freude über die mir wiederfahrene Gnade. Dabei machte er mich darauf aufmerksam, daß ich nun auf allerlei Widerwärtigkeiten mich gefaßt halten müßte. Wie ich hiegegen bemerkte, daß mir dieß keineswegs verborgen seye, erwiderte er: er zweifle nicht im mindesten daran, daß solche Erfahrungen nur zu meiner Festigung dienen und in meinen Ueberzeugungen mich stärken würden, daß ich denselben Muth, Ruhe, ein heiteres Bewußtseyn und Gottvertrauen entgegensetzen werde. Er gab mir erneuerte Versicherungen seines wahren Wohlwollens, und sprach die Hoffnung aus, daß das von mir gegebene Beispiel nicht ohne gesegnete Früchte bleiben möchte.

Ungleich höher als durch das sichtbare Zeichen der Beehrung, welches er mir bereitet hatte, und durch das schmeichelhafte Breve darüber, welches er mir überreichte, durfte ich mich[271] wohl dadurch beehrt halten, daß er mit eigener Hand jenes mir an die Brust heftete. Unter Anwünschung alles, so innern als äussern Wohlergehens und erneuerter Versicherung fortdauernder väterlich er Gesinnung gegen mich entließ er mich mit dem apostolischen Segen für mich und die Meinigen.

Gewiß giebt es keine seltsamere, verworrenere Vorstellung, als diejenige, welche ein eingefleischter oder beschränkter Protestant von dem Papst sich macht. Dieser wird ihm von Jugend auf directe oder indirecte, bei jeder Veranlassung, durch jeglichen Canal, so unbedingt entweder als Schreckbild oder als Spottbild hingestellt, daß nothwendig bei ihm ein Begriff sich festgestellt, welchem in aller Wirklichkeit nichts entspricht. Ob nun so Einer von der einen oder der andern äussersten Richtung, käme er in die unmittelbare Nähe des heiligen Vaters, nicht anders über ihn urtheilen, nicht beschämt über seine Leichtgläubigkeit oder über seine Befangenheit von dannen gehen müßte! Oder könnte er bei kirchlichen Functionen, je nach deren Bedeutung, den Ernst, die Frömmigkeit, die Demuth des heiligen Vaters beobachten, erfassen, dürfte dieses nicht bleibend einen tiefen Eindruck auf ihn machen, zu gemässigterem Urtheil ihn stimmen?

Ausser bei den Functionen der heiligen Woche habe ich den Papst am Palmtag, am Osterfest, bei den Exequien des Cardinals Pacca, am Feste des heiligen Philipp Neri, bei der Fronleichnamsprocession gesehen. Bei allen diesen Feyerlichkeikeiten wurde die äussere Verrichtung durch die unverkennbare innere Theilnahme, wenn ich so sagen soll, verklärt. Bei der letztern aber mußte die Hingebung, die Innbrunst, der unverkennbare Ausdruck der tiefsten Selbsterniedrigung, worin er, mitten unter dem ihn umrauschenden Pomp, das Allerheiligste trug, zur Andacht hinreissen; und ich konnte nachher nur mitleidig über einen scharfsichtigen Preussen lächeln, der in jenem Allem das unverkennbare Zeichen des Marasmus senilis sehen wollte. »Um solche Vermuthung hegen zu können, erwiderte ich ihm, haben Sie die würdevolle Haltung, den festen Gang, womit[272] der heilige Vater unmittelbar nachher den Raum durchschritt, der durch die Kirche zu dem Eingang in den Vatican führt, nicht bemerkt, haben seine volle, wohlklingende, sichere Stimme bei kirchlichen Functionen, bei dem Segen am Ostertag, nicht gehört.« Wirklich verdiente seine Stimme Bewunderung; hörte man sie bloß, so würde man glauben, sie wäre die Stimme eines kräftigen Vierzigers. Einzig bei den Exequien des Cardinals Pacca war in einem etwelchen Zittern derselben die innere Bewegung nicht zu mißkennen. Aber wahrlich, in Erinnerung an den Hingeschiedenen, im Rückblick auf seine thaten- und zum Theil leidenvolle Laufbahn, in Vergegenwärtigung dessen, was er beinahe ein halbes Jahrhundert durch dem heiligen Collegiumt gewesen, hätte man dieselbe nicht anders wünschen mögen; man wurde daran gemahnt, daß die reinsten menschlichen Gefühle auch das Gemüth des Oberhaupts der Kirche, wie eines jeden sinnigen Menschen bewegen.

Zeh war hocherfreut, bei einem zweiten Besuch Roms den heiligen Vater geistig noch ebenso lebendig, körperlich noch ebenso rüstig, vor allem aber ebenso wohlwollend gegen mich gesinnt zu finden, wie fünfzehn Monate früher; und fünfzehn Monate sind bei einem Alter, welches die achtzig bereits überschritten hat, ein nicht unbedeutender Zeitraum! Wie er da bei einem Besuch in Tivoli an einem heitern Herbsttag, den man bei uns zu den Sommertagen hätte zählen mögen, bei drei Stunden unermüdlich in Bewegung war, um Kirchen, Klöster Werkstätten und die reizendsten Puncte der Umgebung zu besuchen, und der Jubel einer dichtgedrängten Bevolkerung in der Heiterkeit, die aus ihm hervorleuchtete, ihren reinen Widerhall fand! Als er später mich fragte: wie es mit den Gesinnungen meiner Frau in Bezug auf die katholische Kirche stünde, und ich entgegnete, ich hielte es für besser, Ueberzeugungen allmählig durch den stillen Einfluß der Umgebungen und aus sich selbst heranreifen zu lassen, als durch Ermahnungen darauf einzuwirken, bestärkte er mich hierin und fügte mit der liebreichsten Theilnahme bei: hieran thäte ich wohl; dergleichen[273] könnte wahrhaft gedeihlich nicht durch Menschen erstrebt, sondern müßte der Gnade Gottes anheimgestellt bleiben; diese aber werde an meiner Frau noch unfehlbar sich offenbaren. Ich füge dieses bloß als Beweis bei, wie auch der Papst keinen Werth darauf setzte, die ausser der Kirche Stehenden in dieselbe hineinreden zu wollen.


Wer den Werth der menschlichen Verhältnisse bloß nach den Aeusserlichkeiten schätzt, von denen dieselben umgeben sind, oder nach den mancherlei Behaglichkeiten, zu denen jene die Mittel darbieten, der wird das Oberhaupt der Kirche in keiner Weise beneiden; oder wer glauben möchte, in der Verbindung einer gedoppelt hohen Stellung, einmal als Oberhaupt der Kirche, sodann als Regent eines Staates von beinahe drei Millionen Unterthanen, seye in manchen Dingen die Lebensweise des Papstes derjenigen anderer Fürsten ähnlich, der würde ebenfalls sehr irren. Wenn man die grössere Dienerzahl im Innern des Palastes und etwelches (unerläßliches) Gepränge bei jedesmaligem Erscheinen ausserhalb desselben – Dinge, die zu dem, was man Lebensgenuß nennt, wenig beitragen – abrechnet, so ist die Lebensweise des Papstes von derjenigen eines einfachen Religiosen wenig verschieden; und ich bin versichert, daß der geringst ausgestattete Bischof in Europa, ja mancher Pfarrer auf einer reichlich dotirten Pfarrei ein behaglichers, jedenfalls ein ungleich weniger beschränktes und einförmiges Leben führt, als das Oberhaupt der Kirche.

Kein irgendwie wohlhabender Bürger kann bescheidener wohnen, als dieser. In den unermeßlichen Gebäuden des Vaticans ist der Papst (die Vorzimmer abgerechnet, welche den Wachen und dem dienstthuenden Personale angewiesen sind) auf vier Zimmer beschränkt. Das letzte Vorzimmer ist zugleich sein Speisezimmer; aus diesem tritt man in ein einfaches[274] Schlafkabinet, aus diesem in das Arbeitszimmer, hinter welchem sich ein etwas grösserer Salon befindet, worin er fremde Fürsten zum Besuch empfängt. Alle diese Zimmer sind so einfach ausgestattet, als nur möglich. Wer in dem letzten Vorzimmer nicht stehen mag, kann sich auf hölzerne Bänke niederlassen. Ein einziger Lehnsessel steht unter einem Thronhimmel, vor diesem wird der Tisch des Papstes gedeckt. Immer speist er einzig und läßt während des Mahls sich vorlesen. Es ist mir gesagt worden, nur äusserst selten lade er seinen Beichtvater, den Cardinal Bianchi, zu sich ein; welcher aber die einzige Person seye, die je bei ihm speise. Am frühen Morgen, zu einer Zeit, in welcher wahrscheinlich der größte Theil untergeordneter Personen noch der Ruhe pflegt, steht der Papst in seiner Capelle schon an dem Altar, um die heilige Messe zu lesen. Darauf beginnen die Geschäfte, deren Menge ihn nie disspensiren kann, das Brevier zu beten, so gut als der letzte Geistliche. Nach kurzer Zeit werden die Geschäfte durch Audienzen unterbrochen; denn schwerlich dürfte es einen Monarchen geben, der so viele Audienzen zu ertheilen hätte, als der Papst, und wäre es auch nur, damit so viele neugierige Reisende nach ihrer Heimkehr das bekannte Sprichwort sich nicht müßten vorwerfen lassen. Seine einzige Erholung besteht Abends in einem Spaziergange durch die vaticanischen Gärten, zu denen er etwa einen Cardinal oder einen Monsignore beruft, um mit ihm sich zu unterhalten, seltener in einer Spazierfahrt vor eines der Thore Roms.

In den päpstlichen Palästen ist niemals die Rede von Gesellschaften, von Concerten, von andern Zerstreuungen oder Unterhaltungen, womit nicht bloß Fürsten, sondern selbst begüterte Privatpersonen ihre Abende zubringen; die dreifachen Obliegenheiten des Priesters, des Regenten, des Kirchenoberhauptes gewähren hiefür keine Muße; zudem legt die hohe Stellung eine Zurückgezogenheit auf, in welcher der Mensch jener sich selbst zum Opfer bringen muß. Gewiß giebt es in Europa keinen Hof, der weniger kostete, als der päpstliche. Auch kommt das,[275] was der Papst für diesen und für seine Person aus der apostolischen Kammer bezieht, kaum in Betracht. Selbst hievon wird der größte Theil zu Almosen verwendet, wie er denn alle Jahre am Weihnachts- und am Osterfeste jedesmal 5000 Scudi unter die Bedürftigen austheilen läßt, ungerechnet vieler wöchentlichen und monatlichen Unterstützungen an arme Familien.

Eine Gewohnheit ist durchaus tief begründet dem Wesen des Oberhauptes der Kirche angemessen, daher diesem nur eigen, aber auch so, daß sie von keinem aufgegeben werden dürfte: – daß nämlich der Papst niemals den Vatican verläßt, sey' es nun, um in eine Kirche sich zu begeben, oder bloß um durch eine Spazierfahrt sich Bewegung zu machen, ohne daß nicht der Almosenier ihn begleitete und durch Spenden an die Armien das Erscheinen desjenigen bezeichnete, den der immerwährende Wohlthäter und Gnadenspender für Alle als sichtbaren Stellvertreter auf Erden gesetzt hat. Wohl ziemt es diesem, durch immerwährende Erweisung von Wohlthaten in seines Herrn und Hauptes Fußtapfen zu treten. Ein Papst, der die Nothleidenden an sich könnte vorübergehen lassen, ohne etwelche Erquickung ihnen zukommen zu lassen, wäre die größte Anomalie, die sich denken ließe.

Es ist wahr, diese Uebung, der auch die übrigen Würdenträger der Kirche sich nicht entziehen können, mag zu Förderung des Bettels in Rom viel beitragen, und der Fremde hat nicht Unrecht, wenn er über denselben etwelche Beschwerde führt; wiewohl es ungerecht wäre, den Almosen Begehrenden Ungestüm oder Unverschämtheit vorzuwerfen. So flehend sie kommen, so bereitwillig ziehen sie sich wieder zurück auf das Wort: » ich habe kein Geld bei mir,« oder: »ich bin nicht mit kleiner Münze versehen.« Folgen sie dir auch einige Schritte, so wirst du doch in Wahrheit nicht sagen können, daß sie dich verfolgen. Darin aber liegt eine Ungerechtigkeit, wenn man diesen Bettel der päpstlichen Regierung zum Vorwurf machen, darauf einen Beweis mangelhafter Einrichtungen gründen will. Die Freiheit,[276] bei eigener Noth das Mitleid und die christliche Liebe Anderer in Anspruch nehmen zu dürfen, ist überhaupt von katholischem Glauben unzertrennlich, ist so tief in das durch denselben hervorgerufene Leben verwachsen, daß selbst derjenige italienische Staat, der sonst wohlbekannter Ursachen wegen die eifrigsten Lobredner findet, dieselbe einzig in der Hauptstadt, nirgends aber ausserhalb dieser hat beseitigen können. Denn kaum ich von Florenz nach Incisa gekommen war, fand ich mich von Bettlern so umlagert, wie ich es in keinem Städtchen des Kirchenstaates ärger fand, und wo immer ich im Toscanischen aus dem Wagen stieg, konnte ich mich überzeugen, daß die gouvernementale Freisinnigkeit noch nicht in die untern Volksklassen hinabgestiegen seye. Oder brächte ein einziger Reisender aus Livorno und Pisa in dieser Beziehung andere Erinnerungen zurück?

Ziehen sich in den Ländern katholischen Glaubens in dieser Beziehung andere Begriffe durch die Gesellschaft als in solchen, die zu diesem nicht sich bekennen, so darf man vor allen den Kirchenstaat nicht nach dem Maaßstab unserer heutigen Polizeistaaten bemessen, welche eine grosse Aufgabe darein setzen, dem Begüterten den Anblick der Armuth und dem Behaglichen das Bild des kummervollen Elendes sorgfältig zu entziehen, wofür sie dann jenen besteuern, zugleich dieses der Pflicht des Dankes entheben. Daß der Papst, als weltlicher Monarch, ein ähnliches System befolgen könnte, wird doch keinem Zweifel unterliegen; daß die Anwendung durchgreifender Zwangsmaßregeln einzig in seinen Gebieten materiell unmöglich wäre, wird im Ernst Niemand behaupten wellen. Die Fragen hingegen: dürfte der Papst das Oberhaupt der Kirche dem weltlichen Monarchen unterordnen, wäre in seinen Ländern die Anwendung von Zwangsmaaßregeln zu Beseitigung des Bettels nicht ebensogut möglich, als in andern Staaten? würde damit die eigentliche Grundlage seiner weltlichen Herrschaft keineswegs verrückt? diese Fragen können gewiß nicht durch ein nacktes Ja entschieden werden. Der Polizeistaat kennt nur Regulative und deren Vollziehung; die christliche Liebe dagegen ist ein Ding, wofür es in[277] seinen Registern keine Rubrik giebt. Zwar kann er wohl verhüten, daß die Leute nicht nackt herumlaufen, daß sie nicht geradezu verhungern, aber dieses geschieht nicht aus Erbarmen, sondern damit Skandal verhütet werde, damit er nicht in schlimmen Ruf komme. Die Barmherzigkeit in Anspruch zu nehmen, das überläßt er Andern, wacht aber sorgfältigst, daß dieselbe nicht auf sein Gebiet hinüberwuchere, wo sie ihn alsbald gerüstet fände. Der Staat der Kirche hingegen könnte nicht weiter gehen, als diese beiden Gebiete, das der freyen christlichen Milde in dessen doppeltem Anbau durch den Flehenden und durch den Gewährenden, und das der Gesetzesvorschrift in solchen Einklang zu bringen, daß von jenem nicht ein allzuweit getriebener Mißdrauch gemacht würde. Ein strenges Verbot hingegen, welches die tägliche Berufung an das christliche Erbarmen und die tägliche Bethätigung desselben unmöglich machte und damit deren Begriff immer mehr verkümmerte, die freye Thätigkeit der christlichen Liebe in die Zwangsjacke auferlegter Steuern einschnürte, das widerspräche dem Geist der Kirche und würde das Gepräge verwischen, welches dieselbe auch dem Staat, worin ihre oberste Leitung den Sitz hat, aufdrücken soll. Die Kirche muß, in Gemäßheit so mancher Ansprüche ihres Herrn und Begründers, der Armuth sowohl an sich, als ihrer Stellung zu den übrigen Gliedern der Gesellschaft eine andere Bedeutung zuerkennen, als dem von ihr geschiedenen Staat zuläßig scheint. Sie darf auch, will sie anders sich selbst nicht ungetreu werden, diese Anerkennung niemals aufgeben. Mir scheint, sogar in den Lokalitäten, welche die Bettler gewöhnlich sich auswählen, liege ein unverkennbares Zeugniß, daß sie Gewährung ihrer Bitten weniger von dem Menschengefühl als ausschließlich von der christlichen Liebe, die eigentlich nur die verklärte Ausbildung von jenem ist, erwarten; denn man findet sie am häufigsten in der Nähe einiger Kirchem, hauptsächlich aber auf der langen Straße, die von Monte Cavallo nach der Porta Pia hinausführt, dem Weg, auf welchem die meisten Cardinäle ihre abendlichen Spazierfahrten machen.
[278]

Obwohl ich nach Rom kam als einfacher Reisender, waren mir doch Aufträge, wie von Geistlichen so von weltlichen Obern zu Theil geworden. Diejenigen, von denen ich sie empfangen, hegten die Zuversicht, es würde mir nicht schwer fallen, da, wo sie ausgerichtet werden sollten, Zutritt und Gehör zu finden. Ich bemerkte daher Sr. Eminenz, dem Hrn. Cardinal Staatssecretär, bei dem zweiten Besuch: ich hätte zwar dergleichen Aufträge, allein ich könnte mich über nichts ausweisen, wäre auch in keiner andern Eigenschaft nach Rom gekommen, als in derjenigen eines blossen Privatmannes; es käme nun darauf an, ob Se. Heiligkeit und Se. Eminenz einen Theil desjenigen Vertrauens in mich setzten, womit ich mich von allen Gutgesinnten meines Vaterlandes beehrt sähe. »O, erwiderte der Cardinal, wir setzen vollkommen gleiches Vertrauen in Sie!« Einige Tage später bemerkte ich dem Papst das Gleiche, und erhielt die gleiche Antwort. Der Weg zu einigen Besprechungen war somit angebahnt.

Das Wichtigste darunter betraf Wünsche für baldige Herstellung des Bisthums St. Gallen. Die hierüber zwischen Bevollmächtigten des katholischen Theils dieses Cantons und dem Herrn Nuntius schon seit langem gepflogenen Unterhandlungen waren bereits zu dem Entwurf eines Vertrages gediehen, der nur noch der letzten Erörterung und endlichen Feststellung bedurfte. Ich hatte wenige Tage vor meiner Abreise einem Brief an den apostolischen Vicar in St. Gallen zufällig die Anzeige beigefügt: ich gienge nächstens nach Rom, ob er wohl dort Etwas zu bestellen habe? Das hatte jenes Ansuchen zur Folge, mit dem Bemerken, ich würde die erforderlichen Papiere bei meiner Ankunft daselbst entweder vorfinden, oder bald nachher zugeschickt erhalten. Der Hauptzweck der Besprechung sollte darin bestehen, über Einzelnes Auskunft zu ertheilen und den Abschluß zu befördern, um den Vertrag dem katholischen Großen Rath in St. Gallen sobald als möglich vorlegen zu können. – Der Antrag war mir in zweifacher Beziehung erwünscht; erstens, weil er mir Veranlassung gab, einer guten, weil auf Wiederherstellung[279] und Erhaltung abzielenden Sache vielleicht einige Dienste leisten zu können; sodann, weil mir dadurch Gelegenheit eröffnet wurde, in die Weise, wie zu Rom Geschäfte behandelt werden (worüber so viel ungereimtes Zeug in Umlauf gebracht wird), ein wenig hineinzublicken. Gerade das, was meiner Wahrnehmung sich darbot, veranlaßt mich, diesen Gegenstand einläßlicher zu berühren.

Sobald ich daher dem Hrn. Cardinal-Stastssecretär jenen Auftrag eröffnet hatte, bezeichnete mir Se. Eminenz einen der ersten Prälaten der Staatskanzlei, um über dieses und Anderes mit ihm mich besprechen zu können. Ich würde namentlich dessen, was auf das Bisthum St. Gallen Bezug hat, nicht erwähnen, wenn ich nicht darin eine Pflicht anerkennen müßte, die mancherlei absichtlich verbreiteten Irrthümer oder vorgefaßten Meinungen über Unterhandlungen in Rom nach gemachten Erfahrungen zu berichtigen. – Es gilt nämlich als ausgemachte Sache, daß derjenige, der wegen irgend Etwas in Rom unterhandeln wolle, vor Ränken, Duplicitäten, einem Gewebe von Irrgewinden nicht genug sich zu hüten vermöge. Statt dessen bin ich in Allem der größten Offenheit, Geradsinnigkeit, Lojalität begegnet; allfällige Einwendungen wurden mit der größten Klarheit entgegengehalten, durch bestimmt formulirte Gründe unterstützt, Erläuterungen gerne angehört, Gegenrede in demjenigen Sinn aufgenommen, in welchem sie gemacht wurde. Weiter wird mit grellen Farben das Schreckbild überall hingestellt, Rom trachte nur um sich zu greifen, suche nur seinen (und oftmals höchst gemeinen) Vortheil, gehe einzig auf Unterjochung aus. Auch dessen bin ich nicht das Mindeste inne geworden; im Gegentheil, diejenigen Punkte, an welchen im bloßen Interesse von Roms Ansehen, Einfluß, Vortheil am meisten auszusetzen gewesen wäre, wurden am allerleichtesten erledigt, in Betreff von diesen zeigte sich die größte Nachgiebigkeit. Wo dagegen an den gemachten Einwendungen entschiedener festgehalten wurde, hatten sie den einzigen Zweck, der Kirche von St. Gallen eine möglichst würdige Stellung zu verschaffen, ihr die zweckmäßigste innere[280] Organisation zu verleihen, über Erhaltung ihrer Freiheit zu wachen, deren Wirksamkeit ihrer hohen Bestimmung gemäß zu sichern. Wurde dabei alles Vorgeschlagene im Hinblick auf die allgemeinen Kirchengesetze, auf die durch die gesammte katholische Christenheit seit undenklichen Zeiten unverrückt bestehenden Anordnungen und Einrichtungen geprüft, hieran fester gehalten, als dem von seinem Standpunkt ausgehenden Unterhandelnden bei dem ersten Anblick dringlich schien, so kann dieß wahrlich weder befremden noch mißstimmen; eher müßte es befremden, und dann mit vollem Recht, wenn ein Angestellter der römtischen Curia hierüber leichtlich hinweggehen wollte. Einiges rührte auch daher, daß man in Rom von den gegenwärtigen republikanischen Einrichtungen nicht hinreichend tiefdringende Kenntniß besitzt; daß man sich die damit verbundenen Formen nicht klar genug machen konnte; daß man in Beziehung auf St. Gallen die bestehende Parität, und wie deren Verhältnisse sowohl zu einander, als diejenigen der katholischen Kirche zu dem gemeinsamen Staat sich ausgebildet haben, nicht mit hinreichender Schärfe aufzufassen wußte.

Ist man in Rom seit einem Vierteljahrhundert bei dergleichen Verhandlungen behutsamer, vielleicht zäher geworden, so fällt die Schuld hievon nicht auf Rom, welches sich in allen, während der letzten Pontificate abgeschlossenen Concordaten nachgiebig und lojal erwiesen hat, sondern sie fällt auf die weltliche Diplomatie, die zu Unredlichkeiten, auf die Staatsgewalten, welche zu willkürlicher Anwendung der eingegangenen Verträge dem irdisch machtlosen Rom gegenüber vollkommen berechtigt sich glaubten. Es kann weder ein Zeugniß für Staatsweisheit noch ein Beweis der Lojalität darin liegen, wenn man die Stipulationen von Verträgen in einem ganz andern, als dem jeder redlichen Interpretation ungesucht sich kund gebenden Sinne anwendet, und einzig deßwegen, weil dieselben mit Rom eingegangen worden sind, weil sie die katholische Kirche betreffen, sich zu einer Handelnsweise befugt hält, die man bei hundertmal grösserer Macht nicht einmal den Lippe'schen Fürsten oder[281] dem Landgrafen von Hessen-Homburg gegenüber sich erlauben würde.

Es ist keine lojale Vollziehung von Verträgen, wenn in denselben Ausstattung der Bisthümer in liegenden Gründen verheißen wird, das Personale aber auf eine Besoldung angewiesen bleibt; wenn man Domcapitel einsetzen läßt, nachher aber hindert, oder erschwert, daß sie stets vollzählig seyen; wenn man es zugiebt, daß durch die Bullen eine freie Bischofswahl binnen drei Monaten gefordert werde, hierauf die Vollziehung derselben von einer zuvor eingeholten speciellen Erlaubniß abhängig macht; wenn den Capitularen der Domkirchen eigene Wohnungen zugesagt, diese aber nicht nach vollem Umfang der eingegangenen Verpflichtung ihnen eingeräumt werden; wenn man zu Errichtung von Seminarien, »die nach Vorschrift des tridentinischen Conciliumts unter freier Leitung und Verwaltung des Bischofs stehen sollen,« sich anheischig macht, dann aber die Seminarien entweder gar nicht errichtet, oder dem Bischof allen Einfluß auf dieselben entzieht, oder diesen auf wenige Aeusserlichkeiten beschränkt, in allem Wesentlichen sie der Staatsgewalt unterordnet; wenn man die angehenden Geistlichen zum Besuch von Anstalten zwingt, die ausser jeder Berührung mit dem Oberhirten stehen und für die Lehre, welche sie pflanzen, ihm keinerlei Bürgschaft leisten; wenn man die Verpflichtung zu Errichtung von Emeriten-Häusern übernimmt, diese aber bloß auf dem Papier stehen läßt und nachher über Vollziehung nur in schnöden Ausflüchten hinwegschreitet; wenn man die Worte: »sollte etwa auf einen einzureichenden Verzeichniß von Candidaten zur Bischofswürde Einer derselben dem Landesherrn minder angenehm seyn, so ist er auszustreichen,« dahin ausdeutet, daß entweder eine Wahl kaum mehr möglich wird, oder die Frage, weßwegen der Ausgestrichene minder angenehm seye, unverkennbar zu seinen Gunsten lauten müßte, dieweil seine Individualität zu Leitung des Bisthums im wahren Sinne der Kirche die befriedigendste Bürgschaft gäbe; wenn dem Bischof die volle bischöfliche Gerichtsbarkeit in Gemäßheit der Kirchengesetze[282] und der gegenwärtig bestehenden kirchlichen Uebung zugesichert, diese aber factisch einem aus geschmeidigen Creaturen zusammengesetzten Kirchenrath unter Commando eines Ministers des Polizei-Kirchen- und Eisenbahnwesens zugewiesen wird; wenn man durch das ganze Verfahren mit der Kirche den unzweideutigen Beweis giebt, daß man den heiligen Stuhl nur noch nicht gänzlich beseitigter Vorurtheile wegen als berechtigte Autorität anerkennen, im Grund aber kraft eigener Machtvollkommenheit zu handeln gewollt seye. Würde ein Privatmann in Vollziehung eingegangener Verträge derartige Redlichkeit an den Tag legen, er könnte dem doppelten Urtheil, demjenigen der Gerichte und demjenigen der öffentlichen Meinung, schwerlich entgehen. Aber mit Rom glaubt man sich schon befugt, zu unterhandeln, das Eingegangene auf sich beruhen zu lassen, und nachher in Blättern und Flugschriften auszukünden: vor der Curia müsse man sich in Acht nehmen, man finde in ihr keine Geradsinnigkeit, dürfe sich darauf gefaßt machen, von ihr hintergangen zu werden, indeß man zu Beschwerden im entgegengesetzten Sinne Berechtigung darbietet.

Wäre es zuletzt nicht lojaler, zu erklären: wir schliessen keine Verträge über die kirchlichen Verhältnisse mit Rom, wir ordnen dieselben nach unserer bloßen Willkür; als mit solchen Verträgen in der Hand und einer ihnen entweder nur wenig entsprechenden oder geradezu widersprechenden Verfahrungsweise im Sinn, die redlichen Katholiken zusammt dem heiligen Stuhl zu täuschen; jenen vorzugeben, wir handeln ja nur in Uebereinstimmung mit diesem, diesem aber das Nachsehen zu lassen, getröstet durch den Gedanken, es fehle ihm an allen Mitteln, um auf eine redliche Vollziehung der Verträge mit wirksamem Nachdruck zu dringen? Oder würde es allenfalls so schwer fallen, für den Widerspruch zwischen den mancherlei Stipulationen der verschiedenen Concordate und der Thatsache ihrer Nichterfüllung, oder ihrer Erfüllung in anderem Sinne, Beweise beizubringen? Oder wären nirgendsher Klagen aus solcher Veranlassung vernommen worden? Oder stünden Erfolglosigkeit[283] und Grundlosigkeit dieser Klagen in unzweifelhaftem Zusammenhang?

Was erlaubte sich in dieser Beziehung der erste und letzte König der Niederlande? Nachdem er, aller Einsprachen der Bischöfe und Roms ungeachtet, sein philosophisches Collegium zu Dekatholisirung Belgiens eröffnet, fand er für seinen Wunsch zu Abschliessung eines Concordates bei Leo XII dennoch bereitwilliges Entgegenkommen. Dasselbe wurde zwischen dem vorigen Papst, damaligen Cardinal Capellari, und dem Grafen von Celles am 27. August 1827 unter Vorbehalt der Ratification binnen 60 Tagen abgeschlossen. Aber der König, den Einflüsterungen der liberalen Partei das Ohr leiheno, verweigerte nicht nur die Vollziehung, sondern seine Rathgeber glaubten selbst auf den eigenen Ruf, dieweil es ja nur eine kirchliche Angelegenheit betreffe, so wenig Rücksicht nehmen zu müssen, daß ein Rundschreiben der Regierung gar kein Hehl daraus machte, es habe mit dem Concordat bloß ein Spiel sollen getrieben werden. Um dieses einigermaßen zu beschönigen, hatte kurz vorher ein im Dienste jener Partei geschriebenes Blatt ankünden müssen: »Rom bedrohe Belgiens Freiheiten und Ruhe.«

Zur Genüge ist jene tückische Diplomatie bekannt, die einst dem heiligen Vater in Gegenwart von Personen des Landes, dem der right honourable Diplomate angehörte, die Bemerkung abnöthigte: er wisse wohl, daß ein Solcher nicht alle seine Gedanken stets auf der Zunge haben dürfe; aber durch den Widerspruch glatter Worte mit entgegengesetzten Absichten das Oberhaupt der Kirche und alle Cardinäle hintergehen zu wollen, das schreite über die kluge Gewandtheit hinaus. Mochte im Vertrauen auf sein angelegtes Spiel der Diplomate seinen Landesheern anreizen, der vollen Willkür gegen die Kirche den Lauf zu lassen: »denn er habe den Papst in der Tasche,« so zeigte es sich bald, »daß die Tasche ein Loch hatte,« wie einst in Anwandlung heiterer Laune der Papst selbst einem meiner Bekannten bemerkte.[284]

Meine Unterhandlungen bewiesen mir auf das Ueberzeugendste, daß in Rom Offenheit Offenheit, redlicher Wille redlichen Willen finde. Jemand, dem über dergleichen Angelegenheiten ein Urtheil zukommt, wie wenigen unter seinen Zeitgenossen, der vormalige preußische Staatskanzler Fürst Hardenberg, hat hierüber ein um so parteiloseres Zeugniß gegeben, da er gewiß nicht geneigt war, Rom seinem Monarchen gegenüber mehr einzuräumen, als er unvermeidlich mußte. Die Nothwendigkeit, mit dem heiligen Stuhl über die Stellung der katholischen Kirche in den preußischen Gebieten sich endlich zu verständigen, bewog den König, seinen Kanzler nach Rom zu senden, worauf man sich in acht Tagen über die Grundzüge eines Concordates geeinigt hatte. Nach seiner Rückkehr äußerte sich der Fürst in Bezug auf die bei jener Gelegenheit gemachten Erfahrungen: »nie habe er einen Hof gefunden, mit welchem leichter zu unterhandeln seye, als den Römischen; aber Eines müsse man mitbringen, redliche Gesinnung; ohne solche werde man in Rom nicht fertig.« Eine derartige Anerkennung aus solchem Munde schlägt das Gebrüll von tausend kenntnißlosen Schwäzern nieder.

Der Prälat, an welchen der Cardinal-Staatssecretär mich wies, war der so liebenswürdige als geschäftserfahrene Monsignore Corboli. Derselbe machte mir Ausstellungen über acht Puncte, wovon weitaus die meisten im Interesse des herzustellenden Bisthums waren, nur ein Paar, welche die Rechte des kirchlichen Primats berührten. Unter jenen befand sich z.B. der gehässige Beisatz zum Eid des Bischofs, welcher zwar wohl der Bulle für Herstellung des Bisthums Basel entnommen war, aber demselben das Unwürdigste zumuthet, was sich denken läßt, indem er ihm die Stellung, wenn nicht eines Spions, so doch eines Angebers aufladet; denn jener Beisatz lautet: »Sollte ich je Kunde erhalten von einem dem Staat nachtheiligen Anschlage, sey es in meiner Diöcese oder anderswo, so werde ich die Regierung davon in Kenntniß setzen.« Kein Privatmann, und derjenige, welcher in dem Eid die höchste moralische Verpflichtung anerkennte,[285] am allerwenigsten, würde jemals einen solchen Eid sich zumuthen lassen; dieß um so minder, je entschiedener er die Verpflichtung anerkennen würde, in gegebenem Fall aus redlichem Willen demjenigen Genüge zu leisten, wozu bindende Verpflichtung in vorauszusetzender Gewissenhaftigkeit liegt. Aber von einem Bischof soll in eidlichem Angelöbniß gefordert werden, was man von jedem rechtlichen Mann mit voller Zuversicht erwarten dürfte! Wer sich der Vorstellung, in einem jeden Bischof einen Schleicher, einen Förderer der Ruhestörung, einen Staatsfeind erblicken zu sollen, überheben kann, der wird gestehen müssen, daß in dem Begehren eines solchen Eides ein offizieller Zweifel an dem moralischen Werth desjenigen ausgesprochen seye, dem derselbe auferlegt werden will. Ist der Bischof diejenige, auch innerlich hochgestellte Person, die er seyn soll, so wird richtiges Bewußtseyn ihm die Fälle von selbst bezeichnen, in denen er zu solcher Eröffnung sich verpflichtet halten müßte; wäre er jenes nicht, so würde die Eidesformel solchem Mangel nicht abhelfen; sie kann daher nur zu schnöder Herabwürdigung der hohen Stellung dienen.

Wenn man aber so an Allen herumnergeln will, geben etwa alle Staatsgewalten unserer Tage so zweifellose Beweise von reinem Wohlwollen gegen die Kirche, von einem loyalen Verfahren gegen dieselbe, von ehrlicher Anerkennung ihrer Rechte, daß man zuletzt nicht noch weit größere Gefahren für denjenigen herauscalculieren könnte, welcher einen solchen Eid zu leisten hätte? Es ist noch in frischem Andenken, wie im Canton Aargau Ehrenmänner einzig deßwegen, weil sie in einer wichtigen Angelegenheit ihren Diöcesanbischof um Rath gefragt hatten, einer Criminal-Untersuchung und jedenfalls einer criminellern Behandlung unterworfen wurden, als Solche, die an eine fremde Macht sich gewendet hätten. Es gellt noch in unsern Ohren, wie noch weit mehr das Oberhaupt der Kirche bei jeder Veranlassung eine fremde Macht genannt wurde. Wie nun, wenn schreiende Bedrückungen der Katholiken dieses Oberhaupt in einem Lande nöthigen würden, hiegegen seine[286] Stimme zu erheben, wenn dann sogar der Bischof hierum wüßte, und es fiele irgend einem Rathsherrn ein, dieses nach den Grundsätzen seines Staatskirchenrechtes »als verdächtige Verbindung, welche die öffentliche Ruhe gefährden könnte,« auszuschreien und durch zeitgemäßes Lärmschlagen die Massen in erforderliche Bewegung zu bringen, wo fände der Bischof Bürgschaft, daß er nicht in kurzem Wort als eidbrüchig erklärt und demgemaß behandelt würde? Sollte es aber als Merkmal absonderlicher Staatsweisheit und der sorglichsten Fürsichtigkeit gelten, Alles, was von der Kirche kommt und mit der Kirche in Verbindung steht, mit jedem erdenklichen Mißtrauen zu überschütten, so seye Jenes nur deßwegen angeführt, um darauf hinzuweisen, daß noch weit weniger Grund vorhanden seye, in die Begehren aller und jeder Staatsgewaltiger mit der unbedingtesten Arglosigkeit einzugehen, und gefährdende Auslegung hier mit grösserem Recht dürfe befürchtet werden, als von dorther Nachtheil bei Unterlassung des nicht ehrenhaften Beisatzes.

Es vergiengen nach den Verhandlungen nur wenige Tage, bis ich Nachricht erhielt: der heilige Vater seye geneigt, vier Puncte, die der erhobenen Einwendungen wegen unerörtert geblieben waren, in Gemäßheit der Bestimmungen des Entwurfes anzunehmen, die erhobenen Bedenklichkeiten mithin fallen zu lassen. Und dieß waren gerade diejenigen, welche die Rechte des Primats vorzüglich berührten, worüber also dem landläufigen Geschwätze zufolge Nachgiebigkeit am wenigsten hätte erwartet werden sollen. Die andern, über die man sich noch Verständigung vorbehielt, bezogen sich insgesammt auf das Bisthum selbst, auf die erforderliche Stellung und Wirksamkeit des Bischofs, auf mögliche Bürgschaft, durch ein würdiges und wohlgesinntes Capitel der Erwählung eines solchen Oberhirten für alle Zukunft versichert seyn zu können. Eine andere, ebenfalls einzig in der redlichsten Fürsorge um die St. Gallische Kirche gestellte Forderung, diejenige nemlich von Verwaltung der erforderlichen Ausstattung durch den Bischof selbst, wurde am längsten und beharrlichsten festgehalten; es bedurfte aber[287] nachher bloß einer klaren Auseinandersetzung der obwaltenden Verhältnisse und einer genügenden Beleuchtung des wirklichen Thatbestandes, um auch diese Einwendung ohne Mühe zu besiegen. Kurz, ich darf es offen, frei von aller Befangenheit und einseitigen Vorliebe bekennen, daß ich in dieser ganzen Verhandlung das redlichste Entgegenkommen, die weitreichendste Nachgiebigkeit und die uneigennützigste Obsorge um das gedeihliche Bestehen des St. Gallischen Bisthums und um das Wohl der dortigen Kirche zu ehren hatte. Und es freut mich um so mehr, dieses Auftrages gewürdigt worden zu seyn, als mir damit Gelegenheit gegeben worden ist, ein gewissenhaftes Zeugniß auszustellen, selbst wenn es nicht gelingen sollte, festgewurzelte Vorurtheile und vorgefaßte irrige Meinungen dadurch niederzuschlagen.

Talleyrand beklagte sich einst über die lenteurs de Rome. An dem Diener eines Herrn, der bei Unterhandlungen als ultium ratio das Schwert in die Wagschale zu legen gewohnt war, ist sich dessen nicht zu verwundern. Augenommen aber, daß ein etwas langsamer Geschäftsgang in den römischen Gewohnheiten liege, so läßt sich Bedächtlichkeit, Umsicht und ein Abwägen nach allen Seiten aus den Obliegenheiten der Kirche und ihrer Lenker und aus der Natur der zur Erörterung gebrachten Gegenstände und aus der Nothwendigkeit, stets im Auge behalten zu müssen, was durch den Lauf der Jahrhunderte zur unabänderlichen Vorschrift geworden ist, gar wohl rechtfertigen. Allein auch die Erfahrung ist mir geworden daß diese lenteurs nicht eine unbeugsame oder unübersteigliche Norm seyen. Es war mir nemlich mit den erforderlichen Aufschlüssen zugleich die Bemerkung zugegangen, daß eine Beförderung der Sache, die ohnedem mancherlei obwaltender Schwierigkeiten wegen schon lange gedauert hatte, höchst wünschbar seye; zum Theil auch deßwegen, weil mündliche Besprechung während meiner Anwesenheit in Rom der Beendigung förderlicher seyn dürfte, als der langsame Weg schriftlicher Verhandlung. Ich bemerkte dieß sowohl dem heiligen Vater, als[288] auch dem Hrn. Cardinal-Staatssecretär, und entwickelte die Gründe, welche Beförderung dieser Angelegenheit wünschbar machten. Aus dem Gang der Unterhandlungen in der Schweiz konnte ich dann den Beweis schöpfen, daß Se. Excellenz, der Hr. Nuntius, immer gemäß des Fortganges meiner Besprechungen in den Fall gesetzt wurde, dieselben ihrem Endziel näher zu führen.

Eines noch darf nicht übersehen werden: daß nemlich Rom der Natur und des Gegenstandes der Unterhandlungen wegen, in welches es in der Regel mit den weltlichen Staaten zu treten hat, stets in minder günstiger Stellung sich befindet, als diese ihm, jedenfalls als dieselben einander gegenüber. Die Unterhandlungen zwischen weltlichen Gewalten betreffen immer materielle Interessen. Auch der kleinste souveräne Staat, wäre er von einem zehnmal grössern lange Zeit hingehalten worden, könnte er sich überzeugen, daß dieser ihn zu beeinträchtigen, zu täuschen, zu mißleiten, wohl gar zu hintergehen sich bestrebe; dürfte er ahnen, der andere räume seiner Uebermacht ein grösseres Gewicht ein als dem Recht; hätte er vielleicht früher schon in dieser Beziehung nachtheilige Erfahrungen gemacht, kann am Ende füglich den Faden abreissen, kann die Verhältnisse auf dem Fuß fortdauern lassen, wie sie früher bestehen mochten, kann zuletzt den Spröden spielen, seine souveräne Befugniß, von dem Flächeninnhalte des Landes unabhängig, einsetzen, so gut als der andere mächtige Staat; kurz er kann gegen den unterhandelnden Theil auf vollkommen gleichen Fuß sich stellen, und darf dabei immer der Billigung durch die öffentliche Meinung sicher seyn. Nicht so Rom bei Unterhandlungen, die mit ihm, als dem Mittelpunct der Kirche, angeknüpft werden wollen. Hier handelt es sich nicht um materielle Interessen, sondern um die seiner Obhut und Leitung anvertraute Kirche und um diejenigen, welche deren Glieder sind. Der Papst tritt hier gewissermassen in die Eigenschaft eines Seelsorgers ein. Wie dieser auch den verstocktesten Sünder, der seine Ermahnungen verschmäht, der seine Räthe von[289] der Hand weist, der ihm die entschiedenste Hartnäckigkeit entgegenstellt, doch nicht aufgeben darf, fortwährend die Hoffnung festhalten muß, zuletzt doch noch gehört zu werden: ebenso darf auch Rom Unterhandlungen zum Besten der Kirche selbst dann nicht von der Hand weisen, wenn es voraussehen kann, daß sie nicht zum Ziele führen werden; es darf dieselben niemals abbrechen, wenn ihm auch die Unnachgiebigkeit noch so hell einleuchtet; es muß seiner noch so wohl begründeten Empfindlichkeit Schweigen auferlegen; es muß auch dann wieder sich geneigt finden lassen, wenn fruchtlose Versuche noch so oft gemacht worden sind, wenn Anträge kommen, von deren Unzulässigkeit es auf den ersten Anblick sich überzeugt halten kann, ja dann selbst, wenn es mit Beweisen aufzutreten vermöchte, daß es hintergangen, daß gemachte Zusagen nicht seyen gehalten worden. Ueber dieses Alles muß es hinwegsehen können; gilt es doch in Verständigung über die kirchlichen Einrichtungen nicht Rom, gilt es ja die Kirche; es gilt nicht ein eigenes, sondern ein anvertrautes Gut; es gilt nicht Unterthanen, sondern Glieder der Kirche, deren oberste und geheiligteste Interessen durch dieselbe und durch deren sichtbares Oberhaupt gewahrt werden sollen. Könnte man es über sich gewinnen, an diesem Gesichtspunct festzuhalten, gewiß würden oftmals richtigere und billigere Urtheile gefällt werden, als wie sie dem blinden Vorurtheil und dem wegwerfenden Uebermuth geläufig sind, und man würde der Perfidie entsagen müssen, Roms Obsorge um das Gedeihen, die Rechte und die Freiheit der Kirche mit Interessen nach dem gemeinen und untergeordneten Begriffe dieses Wortes gleichbedeutend zu nehmen.

Ich darf wohl gestehen, daß ich zu diesen Bemerkungen mitunter auch dadurch veranlaßt worden bin, daß ich nirgends einer Rückerinnerung an das Jahr 1833 begegnete, wo ein bloß zehn Jahre vorher abgeschlossener Vertrag in St. Gallen eben so willkürlich als einseitig umgestossen wurde. Ich bin fest überzeugt, daß eine weltliche Macht, gegen die man sich etwas dieser Art und in gleich schnöder Form erlaubt hätte,[290] nachher zu neuen Unterhandlungen über den nämlichen Gegenstand schwerlich so geneigt sich würde erwiesen haben, Hier aber ward über jenes Vorgegangene das tiefste Schweigen beobachtet, die Sache an die Hand genommen, als wäre zu keinerlei Beschwerde je Veranlassung gegeben worden.

Neben dem Bemerkten treten noch zwei Hemmnisse entgegen, welche Roms Stellung bei Unterhandlungen, zumal mit protestantischen weltlichen Gewalten, erschweren; die eine aus Irrthum und Unkenntniß, die andere aus üblem Willen hervorgehend. Man denkt sich den Papst in seiner Beziehung zu der Kirche unumschränkter, als er es in der That ist und seyn kann. Allerdings ruht in ihm die Fülle der Gewalt, aber nicht in der Weise eines Autokrators, der nach Willkür und Laune gewähren und versagen kann. Die Gesetze, die Einrichtungen, die Gewohnheiten der Kirche können durch ihn um so weniger umgangen oder aufgegeben werden, je unzertrennlicher in deren Wesen dieselben verflochten sind, je unantastbareres Ansehen sie durch ihr langes Bestehen, durch ihre allgemeine Geltung gewonnen haben. Nichts ist leichter, als in die Meinung sich festzurennen, es hänge ganz von dem Willen des Papstes ab, in dieses oder jenes Begehren einzuwilligen, und dann, wenn dieses nicht geschieht, über Unnachgiebigkeit oder über eigensinniges Festhalten an veralterten Formen zu klagen; indeß nie sollte vergessen werden, daß man zwar wohl mit der Person des Papstes unterhandle, daß aber diese Person nicht sowohl ein concretes Individuum als der Träger einer unwandelbaren Idee seye, welche höher stehe als die Personlichkeit. Findet man es ganz natürlich, daß ein Monarch bei Unterhandlungen die Grundgesetze seines Reiches nicht in allzuweitgehender Nachgiebigkeit gegen einen Andern zum Opfer bringe, so sollte man billig genug seyn, anerkennen zu wollen, daß auch die Kirche ihre unwandelbaren und in jeder Weise geheiligten Grundgesetze habe, und daß es weit leichter seye, von Rom Manches zu begehren, als für dieses, in das Begehrte einzuwilligen, ohne seine Verpflichtungen gegen die allgemeine[291] Kirche und den in irgend ein Land sich erstreckenden Zweig derselben aus den Augen zu setzen.

Hieran knüpft sich dann noch die Leichtigkeit, mit der jede weltliche Macht aus allen vorangegangenen Verträgen Anderer mit Rom die gemachten Zugeständnisse zusammentragen und dieselben, unter steter Berufung, daß dieses da und jenes dort seye eingeräumt worden und jedes Kind an das Wohlwollen der Mutter gleiche Ansprüche habe, gehäuft in Vorschlag bringen kann. Der Bemerkung: das seye ein sehr bequemtes Verfahren, jede seit zwanzig Jahren irgendwo gemachte Vergünstigung, ohne Berücksichtigung der vorhandenen Veranlassung, unter dem Titel gleicher Berechtigung bei jedem gegebenen Fall gleichmässig fordern zu wollen, war im Grunde nicht viel entgegenzuhalten.

Noch schwieriger würde bei solchen Unterhandlungen Roms Stellung dadurch, wenn die Bevollmächtigten weltlicher Gewalten das Oberhaupt der Kirche bloß als ein unvermeidliches Ueberbleibsel einer Vergangenheit betrachten wollten, die weit hinter den Begriffen und den Bedürfnissen der jetzigen Zeit stehe; oder vielleicht als einen Gegner, welchem man, was nur immer möglich, entweder abtrotzen, und so dieß nicht gelinge, ablisten müsse. Es kann nicht schwer fallen, von der weiten Verbreitung einer so schmählichen Vorstellung sich zu überzeugen, um der Vermuthung Raum zu geben, auch die höchsten Regionen dürften derselben nicht unzugänglich seyn. Wie aber, wenn man ihrer sich nicht frei halten kann, wie läßt sich eine auf Offenheit, Redlichkeit, loyalen Sinn und geneigte Beiständigung gegründete Unterhandlung erwarten? Kann Rom nicht immer in Alles einwilligen, hat es an Manchem, was in die kirchlichen Einrichtungen verflochten ist, pflichtgemäß festzuhalten, dann glaubt jeder Schreibersjunge sich berechtigt, über Herrschsucht, Geistesverknechtung, Starrsinn, verknöcherte Formen zu lärmen; erweist es sich nachgiebig, geht es in seinen Bewilligungen bis an den äussersten Saum der Gränze des Zulässigen, alsbald muß es gefährliche Hintergedanken bergen, dann sollte man[292] doppelt auf der Hut seyn, von der andern Seite gerade um so weniger Nachgiebigkeit erzeigen. Ist es überhaupt für Protestanten schwer, zu billiger und unbefangener Beurtheilung der Kirche und ihres Verhältnisses zu der weltlichen Gewalt einen richtigen Standpunct zu gewinnen, so machen schlechte Katholiken, welche in der Kirche nur einen Hemmschuh für das erblicken, was sie Beseitigung der Vorurtheile und freye Entwicklung nennen, ihnen solches noch schwerer.

Herr von Haller hat mir hiezu aus eigener Erfahrung die Bemerkung gemacht: »Die Treulosigkeit und die hochmüthige Verachtung in allen Unterhandlungen mit dem Oberhaupt der Kirche hat mich schon im Jahr 1817 höchst unangenehm berührt. Damals wurden wegen Organisation des Bisthums Basel zwei schweizerische Staatsmänner nach Rom gesendet. Sie hatten die abentheuerlichsten Instruktionen erhalten, gegen welche ich vergeblich Widerspruch erhob. Würde aber der Papst in alle ihre Forderungen ohne Ausnahme eingewilligt haben, selbst dann würden sie damit nicht zufrieden gewesen seyn, immer noch anguem sub herba vermuthet haben.

Dergleichen schiefe Urtheile sind zum Theil auch in dem vorliegenden Fall vorgekommen. Zwar zu den gewohnten Klagen über Roms Unnachgiebigkeit und Gier nach eigenem Gewinn wurde hier keine Veranlassung gefunden; dafür mußte an die Nachgiebigkeit Verdächtigung geknüpft werden, mußten bedrohliche Absichten, die freilich nicht sich entziffern liessen, im Hintergrunde stehen.

Fiel es schon damals, während die Verhandlungen noch im Gang waren, schwer, eine triftige Widerlegung der Andeutung entgegenzustellen: daß es immer noch leichter seye, Verabkommnisse mit Fürsten zu schliessen als mit Republiken, in denen halbjährlich die Personen, und mit ihnen die geltenden Grundsätze, Ansichten und Bestrebungen wechselten und wobei der spät er zu Einfluß Gekommene diejenigen des Vorangegangenen nicht nur nicht zu vertreten habe, sondern oftmals denselben gerade zuwiderhandle; wo es irgend einer auftauchenden[293] Personalität leicht möglich werde, der allgemeinen Stimmung sich zu bemächtigen und ihr für eine Zeitlang Wort und Richtung bald in diesem, bald in jenem Sinne zu leihen, hiemit unerwartet wieder in Frage zu stellen, was nicht lange vorher noch so allseitig erörtert und hienach anscheinend bindend eingegangen und festgesetzt worden; – so sollte dieselbe bald hernach ihre theilweise Rechtfertigung in der Wendung finden, welche der letzten Erörterung der zwischen den St. Gallischen Abgeordneten und der Nuntiatur verabredeten Uebereinkunft durch die gemischten Behörden wollte gegeben werden. Da warf, als es sich um deren Sanction handelte, eine größtentheils durch Legisten und Advocaten vertretene kirchenfeindliche Partei die Maske so weit ab, als nur immer thunlich war, und griff zu allen denjenigen Mitteln, welche im Augenblick des bevorstehenden Entscheids folgreicher Fragen durch den Radicalismus seit einer langen Reihe von Jahren stets sind angewendet worden: Aufregung der Gemüther durch allerlei Vorspiegelungen, durch wahrheitswidrige Berichte, selbst durch Petitionen, deren formelle Gültigkeit die Prüfung nicht immer würde bestanden haben.

Wir wollen keine Reorganisation der kirchlichen Angelegenheiten unseres Cantons, wir wollen die Fortdauer eines Provisoriums, weil unter einem solchen alle Bande weit eher sich lockern und hiedurch Gegenwart und Zukunft weit sicherer uns zufallen, – das durfte nicht offen gesagt werden; unschwer aber war zu durchschauen, daß unter andern Formen, durch erhobene Bedenklichkeiten, durch hineingeworfene Hindernisse doch nichts Anderes sollte erzielt werden. Alle feindseligen Elemente, welche die Katholicität auch in diesem Ländchen in sich schließt, und die insgesammt (man kann auf diese constant erscheinende Verbrüderung nie genug aufmerksam machen) auf dem politischen Boden dem Radicalismus huldigten, schaarten sich daher zu einer geschlossenen Phalanx, um die Herstellung des Bisthums, wenn nicht zu vereiteln, so doch ins Ungewisse hinauszuschieben; anbei mochten sie mit Zuversicht auf spätern Succurs von den Protestanten zählen, für deren Mehrzahl[294] solcherlei Stimmen unbegreiflicher Weise ein grösseres Gewicht haben, als diejenigen der treuen Kinder der Kirche; sie nennen dieselben Stimmen vorurtheilsfreyer oder aufgeklärter Katholiken, indeß sie nur als Stimmen der nach dieser Seite vornehmlich gewendeten radicalen Zerstörungslust gelten können. Ausserdem stossen dergleichen Fragen, sobald auch Protestanten ein Wort dazu zu sprechen berechtigt sind, auf zwei hindernde Elemente auf Furcht und Scheelsucht. Jene läßt die Protestanten in einer wohlgeordneten Gestaltung der Kirche unter ihrem Bischof allerlei Besorgnisse ahnen und, wer weiß welche, Gespenster fürchten, daher sie geneigter sind, eine solche zu hindern, als zu fördern; diese wird wach durch den Gegensatz ihres formlosen, durchaus abhängigen Kirchenwesens, wobei der Gedanke auftauchen mag: was wir nicht bedürfen, sollte auch für Andere nicht nothwendig seyn; reichen wir mit so wenig aus, warum sollten Andere dieß nicht ebenfalls können? Nur eine geistig freye Stellung und eine tüchtige Bildung im wahren Sinne des Wortes kann gegen dergleichen Anwandlungen schirmen; daher jene Art von Katholiken bei der Mehrzahl der Protestanten auf freudiges Mitwirken zweifellos zählen darf.

Wie sehr auch alle Antecedentien seit bald dreissig Jahren durch Thatsachen sowohl als durch wiederholte Erklärungen, erst von Begründung, hierauf nach hastiger Beseitigung des endlich Begründeten, von Wiederherstellung eines eigenen Bisthums St. Gallen gesprochen hatten, jetzt sollte erst die Nothwendigkeit, ja sogar Zulässigkeit einer solchen Herstellung in Zweifel gezogen werden. Wie sehr dann dem oberflächlichsten Blick auf die allgemeinen politischen und kirchlichen Zustände der jetzigen Schweiz entweder die reine Unmöglichkeit, oder doch die kaum zu beseitigende Schwierigkeit des Anschlusses an das Bisthum Basel alsbald sich darthun mußte, es wurde auch diese mit Andringlichkeit angerathen, nur um die Sache endlos in's Schwankende hinauszuwerfen. Wie patzig auch sonst auf schweizerische Nationalität und unberührte Erhaltung derselben durch Fernehalten jederlei Einflusses von Aussen gepocht wird, lieber unter[295] das entfernte und deutsche Erzbisthum Freiburg unter Badenscher Staatshoheit hätte man sich gefügt, als aus einem winzigen Theil der Spolien der uralten Abtei, deren Herren sammtliche iura quasi episcopalia einst geübt, das Bisthum des eigenen Cantons wieder erstehen zu sehen. In wie wildem Anfall man vor eilf Jahren die Losreissung von Chur erstürmt und wie ungeberdig man dieselbe aufrecht erhalten, lieber mit Chur hätte man sich wieder verbunden, als den Oberhirten im eigenen Lande eingesetzt. Man vermochte bitterem Grimm darüber, daß die kirchlichen Verhältnisse wieder bleibend sollten geregelt werden, so wenig Einhalt zu thun, daß einer der Vordermänner sogar zu der höhnischen Erklärung sich verleiten ließ: auch er wolle ein Bisthum, aber Anschluß an ein anderes Bisthum, und dieses um so entlegener, desto lieber, am besten an ein amerikanisches. Neben dem Allem wußte man, daß schon vier Jahre früher den St. Gallischen Abgeordneten durch den Herrn Nuntius eröffnet worden war: »Daß der heilige Vater zu einem Anschluß an das Bisthum Basel niemals einwilligen werde, sondern auf der Herstellung eines eigenen Bisthums für den Canton St. Gallen beharre.«

Darauf wurde das in Vergleich zu den Stipulationen des Jahres 1823 in jener Beziehung verringerte Domcapitel angefochten. Aber wieder wußte man, daß das Oberhaupt der Kirche die Einsetzung eines Bischofs ohne Capitel eben so wenig genehm halten, als die weltliche Gewalt in St. Gallen die Ernennung des Bischofs auf alle Zeiten dem heiligen Stuhl überlassen würde. Mithin auch hier nicht die offne Erklärung: wir wollen keine Herstellung einer geordneten kirchlichen Einrichtung; – dagegen diejenige: wir wollen dieselbe bloß unter solchen Bedingnissen, von denen wir zum voraus schon gewiß sind, daß sie nicht werden eingegangen werden! Um endlich gegen das herzustellende Bisthum den gewichtigsten, gemeinfaßlichsten und den grossen Haufen am leichtesten zu gewinnenden Schlag zu führen, wurden die Armen vorgeschoben. Bei Aufhebung der reichen Abtei, hieß es, seye ein Theil ihres Gutes[296] für sie bestimmt worden, durch Verwendung desselben zu Ausstattung eines Bisthums (nach Abzug von 200,000 fl. für die Domkirche die Hälfte des im Jahr 1823 dazu Verwendeten) würden diese verkürzt, und pflichtgetreue Landesväter hätten weit eher die Armen zu bedenken, als Insel, Domherrn und Capitelskreuze.

Man liest in einem alten Buch, es seye einst von einem Weib Jemanden in Beiseyn von zwölf Freunden ein Glas mit köstlicher Salbe über das Haupt gegossen worden. Da habe einer dieser Freunde gesagt: Warum hat man diese Salbe nicht um dreihundert Groschen verkauft und den Armen gegeben? Das alte Buch berichtet, der gute Freund habe dieß aber nicht gesagt, weil er viel auf die Armen gehalten, sondern weil er den Beutel getragen hätte. Dieser letzte Satz zwar fällt aus dem Vergleiche weg; aber doch schoben hier jene aufrichtigen Freunde der katholischen Kirche die Armen ebenso vor, wie dort der gute Freund bei dem unzeitigen Salben; sie hätten dießmal den »Unrath« des Bisthums so gut daran gegeben, wie Jener den Unrath der Salbe.

So erhob sich am 30. October des Jahrs 1844 im katholischen grossen Rath mächtiger Kampf, zu welchem die Gegner des Bisthums alle ihre Streitkräfte aufboten, und alle ihre Waffen zusammenrafften, um die Frucht vierjähriger Unterhandlungen, die Hoffnung so Vieler, welche nach endlicher Festigung und Organisation der so schwer erschütterten und mannigfach zerrütteten Kirche ihres Cantons sich sehnten, wo möglich zu vereiteln und Alles wieder für lange Zeit ins Ungewisse hinauszuwerfen. Es wäre interessant, die Persönlichkeiten der beiderseitigen Kämpfer und ihre Stellung zu der Kirche als Individuen zu kennen. Hiedurch würde sich über den Werth der verfochtenen Principien und der aufgeführten Gründe das untrüglichste Licht verbreiten. Nur so viel ist mir zur Kunde gekommen, daß die gewandtesten, beharrlichsten und entschiedensten Wortführer gegen das Bisthum der Mehrzahl nach dem Stande der Rechtsvertreter angehörte. Aber wie sehr auch anfangs[297] der Entscheid schwankte, der Sieg neigte sich bei diesem ersten Anprall zuletzt doch auf Seite derjenigen, welche für Herstellung des Bisthums eingestanden waren.

Indeß leuchtete noch für die Andern Hoffnung erklecklicher Verstärkung von Seite der Protestanten bei der bevorstehenden Erörterung in dem allgemeinen grossen Rath, welcher als oberste Landesbehörde der Uebereinkunft seine Sanction zu ertheilen hatte. Jenen aber darf es zur Ehre nachgesagt werden, daß sie nicht sowohl dem laut ausgesprochenen Wunsch der eminenten Majorität ihrer katholischen Mitbürger durch verdächtige Allianz mit einer betriebsamen Minderzahl unter diesen Hindernisse in den Weg legen, und anstatt, wie hierüber vielleicht eine Zeitlang Furcht und Hoffnung walten mochte, zu Verwerfung der Uebereinkunft Hand bieten wollten, sondern einzig auf Zurückweisung einiger Puncte, welche entweder mit den sogenannten Staatsrechten oder mit dermaliger St. Gallischer Gesetzgebung nicht in völligem Einklang standen, sich beschränkten. Zwar gewährte die Ernennung einer Commission zu Prüfung des Concordates durch ihre Zusammensetzung keine Beruhigung, da sie, aus vier Katholiken und drei Protestanten bestehend, nur zwei entschiedene Verfechter des Bisthums in ihrer Mitte zählte, und auch der kleine Rath in umständlicher Berichterstattung bestimmte Ausstellungen machte. Das zähe Widerstreben ist aber lehrreich dadurch geworden, daß es zwei einläßliche Beleuchtungen zur Folge hatte, ein Minderheitsgutachten und ein Mehrheitsgutachten, aus denen bei den ungleich mehr als nur das sich entnehmen läßt, was die in Frage stehenden Puncte beleuchten sollte. Aus dem Minderheitsgutachten, welchem unbestritten der Vorzug der Klarheit, Ruhe, Gründlichkeit der Erörterung und schlagender Beweisführung zuerkannt werden muß, ist zu ersehen, wie es dem Radicalismus nicht darauf ankomme, auf Vorschriften der Vergangenheit, indeß dieselben durch spätere längst ausser Kraft gesetzt worden sind, sich zu berufen, unbestreitbare Thatsachen ausser Acht zu setzen, über frühere Verhandlungen und die ihnen zu Grund liegenden Principien[298] hinwegzusehen, und ganze Zeiträume mit ihrem Thun und dessen Resultaten zu ignoriren, sobald die Erreichung eines Zweckes dadurch um so möglicher sich darstelle; aus dem Mehrheitsgutachten aber, obwohl es ausführlich nur fünf Puncte, als neuer Erörterung und genauerer Formulirung bedürftig, behandelt, tönen zwischenein so manche Stoßseufzer und klingt mehr als ein Jammerlaut, daß kirchliche Angelegenheiten, statt nach den vorwärtsfliegenden Ideen der Staatskirchenrechtler, dem noch immer fortdauernden Bestand der Sachen gemäß müßten geordnet werden, daß es dem Leser gewissermassen die Ueberzeugung aufdringt: nur sträubend füge man sich der Nothwendigkeit, nur höchst ungern unterziehe man sich in Herstellung einer endlich wieder geregelten Organisation der Kirche dem Mißbeliebigen, für den Augenblick aber Unvermeidlichen, durch die Stimme von 16000 dafür Petitionirenden Geforderten, durch 150 von 170 Geistlichen Unterstützten. War auch eine weitere Verhandlung zu nachträglicher Erzielung von vier herausgehobenen Puncten Folge jener Bestrebungen, so konnten dieselben doch nicht so weit führen, um eine Verwerfung des Concordats selbst zu erzielen. Der letzte erneuerte Nothschuß um Anschliessung an ein anderes Bisthum verpuffte am Ende ohne sonderlichen Knall. So bot die ganze Anstrengung keine andern Folgen dar, als diejenigen, zu dem Bestreben und Treiben der radicalen Partei neue, nicht ganz werthlose Beiträge geliefert zu haben.

Die Unterhandlungen wurden ein Jahr später zu Rom neuerdings eröffnet. Der hiemit Beauftragte, Herr Administrations-Präsident Gmür, war keine vierzehn Tage vor mir dort eingetroffen; und da wir zusammenwohnten, so war ich von dem Gang derselben immer aufs genaueste unterrichtet, hatte auch Gelegenheit, über die wesentlichsten Gegenstände derselben meine Ansichten ihm mitzutheilen. Es ist wahr, es kostete jetzt mehr Mühe, zu dem erwünschten Resultat zu gelangen, als das Jahr vorher. Aber wer trägt dessen die Schuld: Rom, oder die weltliche Gewalt in St. Gallen? Durfte man es jenem[299] verargen, wenn es über der Erfahrung, daß selbst die am weitesten gehende Nachgiebigkeit nur das Begehren von noch größerer, ja bis zum Unmöglichen zur Folge habe; wenn es in Besorgniß, auch jetzt wieder möchte der Radicalismus mit ihm das gewohnte Spiel treiben und das Bestreben gleich wie die Hoffnung der aufrichtigen Katholiken in Täuschung verwandeln, zurückhaltender sich zeigte, selbst in der Wahl auch einzelner Ausdrücke die größte Vorsicht anwendete? Schritt der Gang der Unterhandlung dießmal etwas langsamer und mühsamer voran, so war nicht Rom schwieriger geworden, sondern die zähen Gegner des Bisthums hatten durch ihre illojale Krittelei dasselbe schwieriger gemacht. Anbei zeigte sich hier bei der Unterhandlung, wie nachmals in St. Gallen bei der Verhandlung, wen der Vorwurf der Unbelehrbarkeit mit größerem Recht treffe: Rom oder den Radicalismus, und wer die eigenen Zwecke unverrückter im Auge behalte und durch jegliches Mittel zu erstreben suche: Rom oder der Radicalismus? Denn unter dem Gang der erstern konnte ich mich neuerdings überzeugen, daß alle Differenzpuncte, worüber dieselbe waltete, ebenso gut so als anders hätten können erledigt werden, wenn der apostolische Stuhl bloß sich im Auge gehabt hätte; denn dieser selbst fand sich durch keinen derselben unmtittelbar berührt. Es war das Recht und die Stellung der Kirche an sich, es war das Recht und die Stellung der Kirche von St. Gallen und ihrer künftigen Oberhirten, welche er vertrat; für diese allein machte er den gewissenhaften Anwalt, was einzig jener böswillige Irrthum ihm zum Vorwurf machen könnte, welcher ihrer unzertrennlichen Verbindung wegen den apostolischen Stuhl mit der Kirche identificirt.

Bei allem hier Bemerkten kann ich mich übrigens auf eine Autorität berufen, welcher Einsicht und Unparteilichkeit, gewonnen durch den Schatz vieljähriger Erfahrungen, Niemand absprechen wird, – auf den Ritter Artaud von Montor in seinen Lrbensgeschichten der Päpste Pius VII und Leo XII, der[300] während langer diplomatischer Laufbahn zu ähnlichem Zeugniß sich veranlaßt fand.


Man macht sich in Deutschland eine seltsame Vorstellung von dem Leben der Cardinäle. Selbst diejenigen, welche nicht absichtlich alle kirchlichen Institutionen in ein gehässiges Licht stellen und über die kirchlichen Personen recht viel Herabwürdigendes zu verbreiten sich bestreben; wie viel mehr dann noch die Unzahl Solcher, welche durch dergleichen, sobald es nur recht oft und keck wiederholt wird, leicht sich berücken lassen und es der Mühe nicht werth erachten, wahrheitsgemässe Aufschlüsse sich zu verschaffen, halten das Leben eines Cardinals für ein höchst gemächliches, welches unter leichter Beschäftigung, Liebhabereien, Zeitvertreib, gesellschaftlichem Um gang, unterbrochen durch den zwischeneintretenden Pomp kirchlicher Functionen, in aller Behaglichkeit dahinrinne. Es ist wahr, es hat eine Zeit gegeben, in welcher einzelne Cardinäle durch ihren Reichthum, ihre Macht, ihr Auftreten, durch Zahl und Glanz ihres Gefolges, durch die Ueppigkeit ihres Lebens, die Pracht ihrer Feste, durch politischen Einfluß, wohl auch durch Intriguen sich zum Mittelpunkt von Rom in der einen oder andern Weise gemacht, die Aufmerksamkeit nicht allein der ewigen Stadt, sondern der ganzen christlichen Welt auf sich gezogen haben. Das ist längst anders geworden, und es sind nicht mehr die Aeusserlichkeiten, welche diesen Kirchenfürsten ihren hohen Rang anweisen, sondern die wirklichen Vorzüge treuer Pflichterfüllung, vielfacher Thätigkeit, strenger Zurückgezogenheit und einer nicht zur Schau getragenen Frömmigkeit.

Allerdings nehmen die Cardinäle in der gesellschaftlichen Rangordnung Roms die oberste Stelle ein, kommen ihnen in dieser Beziehung ausschließliche Rechte zu, werden ihnen Ehrenbezeugungen[301] erwiesen, auf die sonst Niemand Anspruch machen dürfte; aber unzertrennlich hievon sind ihnen äußere Formen vorgeschrieben, in die wohl von denjenigen, die so eilfertig über Alles absprechen, Keiner gerne sich fügen, oder so dieses geschähe, in denselben so besonders behaglich nicht sich finden würde. Wer da meinen wollte, die Lebensweise eines Cardinals böte auch nur so vielerlei Annehmlichkeiten, wie diejenige eines begüterten und geschäftsfreien Privatmannes in einer großen Stadt, der würde sehr irren. Der Anforderungen, der manchartigen Obliegenheiten sind viele, der Erholungen nur wenige, und diese sehr beschränkt; der Tag der meisten, vielleicht aller dieser obersten Kirchenfürsten verläuft größtentheils unter Pflichterfüllung und Geschäften.

Hat der Cardinal des Morgens den priesterlichen Anforderungen Genüge gethan, so warten seiner, als Präfect oder als Mitglied einer, meist aber mehrerer Congregationen, die Obliegenheiten derselben, sey' es nun in Sitzungen, oder in Bearbeitung von Vorträgen, oder in Durchlesung von Acten, oder in Conferenzen mit dem heiligen Vater, oder in Audienzen an mancherlei Personen, welche letztere viele Zeit auch für Solche in Anspruch nehmen, die nicht gerade Geschäfte halber sich anmelden lassen. Als hochgestellte, weitbekannte, vermöge ihrer Laufbahn in ausgedehnten Verbindungen stehende Männer haben sie alle Unbequemlichkeiten, welche an einen erworbenen Namen sich knüpfen, in ungleich größerem Maaße zu tragen, als hundert Andere. Dazu flechten sich durch das ganze Jahr die vielen Feste der Basiliken oder so mancher der vorzüglichsten Kirchen Roms, in deren erstere sie mit dem Papst durch die Pflicht, in die an dern entweder durch die Ehrerbietung gerufen werden, die sie zu dem Heiligen tragen, in dessen Ehre eine Kirche geweiht ist, oder durch das Wohlwollen gegen die Geistlichen an derselben, oder durch die Zuneigung zu dem Orden, dem sie gehört; wie z.B. in St. Ignazio am Feste des heil. Aloys nicht weniger als acht Cardinäle Messe lasen.

Der spätere Abend ist wieder Geschäften oder priesterlichen[302] Pflichten, etwa auch einem freundschaftlichen Besuche gewidmet. Vor dem Schlafengehen werden die Hausgenossen vereinigt, um gemeinschaftlich mit ihnen in der Hauscapelle den Rosenkranz zu beten. Ich selbst habe zu Fermo bei dem Cardinal-Erzbischof dieser Andacht, als einer zu der Hausordnung gehörenden, beigewohnt.

Zwar ist ihnen in Hausgeistlichen, Dienerschaft, Pferden, Wagen, Wohnung ein gewisses, ihrem Rang und ihrer gemeinschaftlichen Stellung angemessenes Gepränge vorgeschrieben, und dennoch dieses wieder beschränkt. So darf kein Cardinal seinen Wagen mit mehr als zwei und mit keinen andern als mit schwarzen Pferden bespannen lassen; die rothen Federdüsche (Fiocchi) derselben sind das ausschließliche Merkmal der Cardinals-Equipagen. Die einzige Erholung der Mitglieder des heiligen Collegiums besteht des Abends in einer Fahrt vor die Stadtthore, wo ihnen einige Bewegung im Freyen und zu Fuß gegönnt ist. Doch verbietet die Sitte jede Fahrt in offenem Wagen; erst in neuerer Zeit haben einige Cardinäle angefangen, statt der grossen viersitzigen Kutschen, kleinerer Stadtwagen sich zu bedienen. Wie Vielen ich auch immer begegnet bin, niemals sah ich einen Cardinal in Gesellschaft einer weiblichen Person fahren. Selbst der schönste Spaziergang Roms, derjenige auf dem Monte Pincio, wird von ihnen verhältnißmäßig weit weniger besucht, als andere Standpuncte in der Nähe der Stadt, gerade weil jener am Abend der Sammelplatz der schönen Welt ist.

Man hört von keinen Gastmälern, welche von den Cardinälen gegeben werden. Wird ein Fremder etwa zu Tisch gebeten, so findet er anständige Einfachheit, welche von derjenigen eines gewöhnlichen Privatmannes sich nicht unterscheidet. Ich habe nichts davon vernommen, daß die Cardinale Gesellschaft gäben, und traf ich je Einen an drittem Ort in solcher, so war er gewiß der Erste, der sich zurückzog, gewöhnlich ungleich früher, als die meisten Anwesenden an das Fortgehen dachten. Es ist daher eine Seltenheit, nach Ave Maria einem Cardinalswagen[303] zu begegnen, worin eine unwidersprechliche Bestätigung des Gesagten liegt.

Wie boshaft – lügnerisch mußte mir nicht daher folgende Aeußerung des Italieners Ferraris auffallen, die sich mir unter den frischen Eindrücken des vielfältig Beobachteten gleich nach meiner Rückkehr in der Revue des deux Mondes (Mayheft 1844) darbot? »Die Regierung des Kirchenstaates,« sagt dieser von giftigem Groll gegen das Christenthum und die katholische Kirche schwellende Universitäts-Professor zu Paris, »wird überwuchtet durch zweiundsiebenzig Fürsten [die Cardinäle]; diese leben auf Kosten des Staats verhältnißmäßig behaglicher und prunkvoller als die Glieder eines Königshauses in einem constitutionellen Staat.« Dergleichen leicht hingeworfene Aeußerungen werden dann begierig als zweifellose Wahrheit aufgefaßt und dienen dazu, Vorurtheile und Haß ebensowohl zu pflanzen, als zu nähren. Sollte dieser Ferraris jemals auch nur kurze Zeit in Rom sich aufgehalten haben, so müßte er selbst am besten wissen, wie sein Vorgeben zu der Wahrheit sich verhalte.

Wer überhaupt je mit Geistlichen höhern Ranges, welche neben den priesterlichen Obliegenheiten zugleich bei den allgemeinen Angelegenheiten der Kirche bethätigt sind, in nähere Berührung gekommen ist, der mußte durch dieselben angezogen sich fühlen. Insgemein durchdringen sich bei ihnen der diplomatische und der priesterliche Charakter auf eine Weise, daß der eine dem andern zur aufhöhenden Unterlage dient. Die Feinheit des Geschäftsmannes, in der edlern Bedeutung des Wortes, die priesterliche Würde, gepaart mit der sie begleitenden Milde; die sorgfältige Jugendbildung, welche Einzelne mit einem Reichthum von Gelehrsamkeit, Alle mit vielfachen Kenntnissen, mit Liebe zu den Wissenschaften und zu geistiger Beschäftigung ausstattet; der sichere Tact im Umgange; die italienische Anmuth, dieses Alles vereinigt, verleiht den Geschäftsmännern der Kirche ein Gepräge, dessen einzelne Theile schon hinreichen, um dem Verkehr mit einem Manne hohe Anziehekraft zu ertheilen, in[304] solcher glücklichen Mischung aber diesen, so zu sagen, in eine Atmosphäre verwandelt, in welcher man stets angenehm und behaglich sich fühlt. Und es ist dieß bei weitem nicht eine bloß persönliche Ansicht, sondern mehr als Einer meiner Freunde, welcher jemals in dergleichen Beziehungen gekommen war, hat unaufgefordert und in zufälliger Veranlassung an den verschiedensten Orten dergleichen Geständnisse in Bestätigung der eigenen Erfahrung mir gemacht.


Schon am ersten Tage meines Aufenthalts in Rom stattete ich dem P. General der Jesuiten, dem ich durch den P. Rector zu Schwyz empfohlen worden, einen Besuch ab. Ich wollte mir eigentlich nur den Tag bestimmen lassen, an welchem er mich am bequemsten empfangen könnte, zugleich anfragen, ob unter den Vätern der Gesellschaft nicht etwa ein Deutscher sich befände, mit welchem ich mich in der Muttersprache leichter, als mit Andern in der französischen oder italienischen verständigen könnte. Zum Glück befand sich al Gesú der P. Peters aus Paderborn, der sich mehrere Jahre zu Freiburg in der Schweiz aufgehalten hatte, und den ich deßwegen als halben Landsmann begrüßen konnte. Da er aber an jenem Samstage in dem Hause nicht anwesend war, ließ ich mich am Dienstag abermals bei dem P. General anmelden, einzig um mich zu erkundigen, ob er mit dem P. Peters schon von mir gesprochen habe. Ich wurde zwar so freundlich, wie das Erstemal, jedoch mit dem Bemerken von dem Hrn. P. General empfangen: er seye gegenwärtig mit Geschäften so überladen, daß es ihm unmöglich seye, mir längere Zeit zu widmen. Dieß hatte ich auch gar nicht beabsichtigt, indem ich wohl überlegt hatte, daß die Osterwoche keine geeignete Zeit seye, um den vielbeschäftigten Vorsteher einer geistlichen Corporation für Gegenstände[305] in Anspruch zu nehmen, welche später ungleich bequemer sich erörtern ließen.

Nun wurde ich aber durch die Wahrnehmung überrascht, daß ich am Samstag vorher über eine halbe Stunde in der interessantesten Unterhaltung mit demselben zugebracht hatte, ohne daß er meinen Namen kannte. Denn als ich jetzt eben mich entfernen wollte, fragte er: da ich ein Schweizer wäre, müßte ich wohl wissen, wann mein Landsmann, Dr. Hurter, der dem Vernehmen nach auf dem Wege nach Rom begriffen seye, ankommen würde? Auf die Erwiderung: ich wäre es selbst, bezeugte er die größte Freude, entschuldigte sich, meine Karte nicht angesehen zu haben, und bot mir einen Stuhl an. »Denn,« sagte er, als ich mich dessen weigern wollte, aus Besorgniß, in seinen Geschäften ihn zu unterbrechen, »für den Dr. Hurter habe ich immer Zeit.«

Meine Achtung und Zuneigung für die Gesellschaft Jesu ist wieder aus keinerlei persönlicher Berührung, sondern einzig aus Würdigung der Zeitereignisse, des Weltganges und der gegenwärtigen Zustände, aus Studium und Nachdenken hervorgegangen. Es war im Herbst 1813, daß ich den ersten Jesuiten und zwar blos als flüchtige Erscheinung sah und sprach, indem der P. Schmid, gegenwärtig in Schwyz, mich besuchte. Aber über die Leistungen der Väter an den ihnen anvertrauten Jünglingen hatte ich von verschiedenen Seiten die unverdächtigsten, aus Erfahrung und Beobachtung geschöpften Zeugnisse öfters vernommen. Jedoch selbst diese wurden mir erst dann zu Theil, nachdem meine Meinung über die Gesellschaft längst sich festgestellt hatte; sie konnten daher keineswegs eine leitende oder bestimmende, sondern blos eine bekräftigende Wirkung haben. Mein Urtheil über diese kirchliche Institution gründete sich auf drei Fundamente:

1. Auf Würdigung der Personen und der Beweggründe, durch die seiner Zeit ihre Unterdrückung veranlaßt, der Mittel, wodurch sie erzielt, und der Formen, unter denen sie bewerkstelligt worden;[306]

2. auf die merkwürdigen Umstände ihrer Erhaltung und Wiederherstellung;

3. auf die Würdigung endlich, sowohl ihrer erbittertesten Widersacher, als auch der diametralen Gegensätze gegen sie.

Zu diesem gesellt sich dann noch ein anerborner, unwiderstehlicher Trieb, ungerecht Verfolgter, gewaltthätig Unterdrückter, grundlos Gehaßter, so weit immer die Kräfte reichen, mich anzunehmen. Ich habe von jeher Alles, was auf anderm, als dem offenen Wege des Rechts, Alles, was durch die bloße Uebermacht, unter Beiseitsetzung von jenem wollte bewerkstelligt werden, ohne mir hierüber den mindesten Rückhalt aufzuerlegen, verabscheut, die Gleichmacherei von oben war mir nicht minder verhaßt, als die Gleichmacherei von unten, und das czarische Einstürmen auf die Kleidung der Juden würde an mir den gleichen Lobredner finden, wie das aargauische Einbrechen in das Klostergut; denn ob der Mensch sich selbst Gott und seinen Willen dem Recht gleich, oder ob er beide aus den Augen setze: das kommt sowohl in der Wirkung, als in dem Verhältniß zu ihm selbst auf ein und dasselbe hinaus. Diese unabweisliche Forderung nun trat zu jenen drei erwähnten Beweggründen als Ergebniß der Reflexion hinzu und verlieh denselben ein so viel größeres Gewicht; so wie hinwiederum durch dieselben die Ueberzeugung von einem unermeßlichen Unrecht, woran Zahllose wuthwillig und frevelhaft fortan sich betheiligen, immer tiefer wurzelte. Das Eine kam dem Andern zu Hülfe, Beide stützten sich gegenseitig und festigten die gewonnene Einsicht um so unerschütterlicher.

Der Leser – über den geneigten sollte ich in vorausgesetzter Erwartung kaum mich täuschen dürfen, der ungeneigte aber könnte bis jetzt in dieser Schrift mehr als zu viel gefunden haben, worüber er mit mir rechten möchte – der Leser muß es mir schon zu gut halten, wenn das bloße Wort Jesuit mit so vielen Zeitgenossen auch mich veranlaßt, meinen Gedanken über die Gesellschaft, nunmehr lebendiger geworden[307] durch persönliche Berührung und mancherlei wohlthuende Erinnerungen, gegenwärtig den Lauf weit ungehemmter zu lassen, als es nur vor kurzer Zeit noch geschehen wäre; vielleicht sogar das Maaß zu überschreiten, welches in Mittheilung von Erlebnissen und eigenen Wahrnehmungen einem solchen Gegenstand unausweichlich vorgezeichnet seyn sollte. Aber der Mensch bleibt immer in Etwas das Kind seiner Zeit und das Product seiner Umgebungen; ist daher bei dem besten Willen und der richtigsten Einsicht in das Zulässige nicht immer stark genug, des Einflusses derselben sich zu wehren. Nun kann Jedermann, der auch nur ein einziges Zeitungsblatt zur Hand nimmt, derjenige aber vollends, welcher sich die Tagesneuigkeiten und Tagesansichten durch ein erklecklich freisinniges zeitgemäß zufertigen läßt, zur Genüge wissen, daß seit zwei Jahren die Jesuiten das große Wort sind, mit welchem man in der Schweiz auf sein Lager sich darniederlegt, auf demselben sich dehnt, und von demselben sich wieder erhebt; die bewegende Kraft, mit der man in den großen Rath trabt, um sein Licht leuchten, und in die Fuselkneipe schlendert, um seinen Tabacksqualm von sich zu lassen; daß der Schall: Jesuiten, zur Frage geworden ist, welche alle Geister in den Casino's und Harmonien, in den Gesellschaften des zeitgemäßen Frohsinnes und der schweizerischen Eintracht, so wie auf den Herbergen und Wachtstuben zu Betrachtungen, Erörterungen und Prophezeiungen stimulirt; der Gegenstand, welcher Mann und Weib, Jünglinge und Jungfrauen, Greise und Windelwichte in Bewegung setzt; welcher auf Volksversammlungen bebrüllt, auf Kanzeln »angezogen,« in den Schulen erörtert wird; welcher Furcht und Entsetzen, Schauer und Beben, zähnefletschenden Ingrimm und tobsüchtige Belehrungswuth hervorgerufen; welcher die Stammelnden in Redner, die Besitzer des Conversations-Lexikons in Grundgelehrte und die Kurzsichtigen in Hellsehende umgewandelt; welcher endlich die Repräsentanten der »treuen, lieben, biedern« Eids- und Bundesgenossen für vier Wochen zu freundbrüderlicher Disharmonie in übermüthigem Begehren und männlich[308] fester Abwehr zusammenseparirt, überhaupt in der kürzesten Zeit unendlich mehr angeregt, gewirkt und zu Stande gebracht hat, als die gewandteste Feder zu beschreiben vermöchte. Was Wunder daher, daß ein solcher, von einer Landesgränze zur andern ergehender und alle Geschlechter, Alter, Stände, Lebensverhältnisse und Individuen ergreifender Rumor auch mich erfaßte, forttrieb und überwältigte, zu dem Anschluß an den überall, jedoch mit ebenso verschiedener Richtung als Waffe sich aufraffenden Landsturm auch mich hinriß, und nun veranlaßt, den tausend und tausend Stimmen, welche im Unisono über die Jesuiten laut werden, auch die meinige beizufügen; freilich die im Lande der Freiheit etwas gefährliche und bei dem lauten Gejauchz von Freiheit etwas mißfällige Freiheit in Anspruch nehmend, über das Thema etwelche Variationen mir erlauben zu dürfen.


Beginnen wir mit Erörterung der Beweggründe jener urplötzlichen und scheinbar auf alle Zeiten dauernden Vernichtung einer so weitverbreiteten, so ansehnlichen und in so viel verzweigter Wirksamkeit stehenden Gesellschaft, so finden wir die Gesammtheit dieser Gründe durch die Hauptpersonen vertheilt, im Einzelnen durch jede derselben gesondert vertreten, dabei aber ein so auffallendes Zusammenwirken, daß der Ueberblick über diese Gründe, verbunden mit einer parteilosen Prüfung der angewandten Mittel und der Weise, wie das Beschlossene vollzogen worden, jedes unbestochene Rechtsgefühl zum Besten der gewaltthätig Verfolgten in Anspruch nehmen muß. Despotie, Unsittlichkeit, Lüge, Habsucht und Religionshaß hatten gleichsam ihre Vollgewaltiger zu Vernichtung des Ordens in einen Minister-Congreß vereinigt. – In Portugal, wo der Sturm nicht sowohl anhob, als vielmehr zuerst losbrach, war sie die That eines verschlagenen, grausamen, vor keinem Mittel[309] zurückschaudernden Königsdieners, der mit sultanischer Gewalt auf das Land drückte und mit geschmeidiger Rückengelenkigkeit seine Schlingen immer enger um den schwachen Fürsten zog. Dem grundlosen Vorwurf, in Brasilien die Stiftung eines ähnlichen Reiches wie in Paraguay beabsichtigt zu haben, der Anschuldigung: die Gesellschaft wäre von ihren heiligen und frommen Satzungen durchaus abgefallen, welche durch die Spiegelfechterey einer zehntägigen Untersuchung zu überzeugender Gewißheit hätte sollen erhoben erhoben werden, folgte am 13. Januar 1759 das empörende Mordwerk an den Ufern des Tajo. Aber die Asche des Blutgerüstes, auf dem dasselbe durcharbeitet worden, wird hier zur kräftigen Schutzrede für die mit ähnlicher Wuth verfolgte Gesellschaft, gegen welche aus dem ganzen Reich nicht ein einziger Ankläger sich auftreiben ließ. – In Frankreich hatte die wider jede ausser ihr stehende Autorität sich auflehnende Legistenzunft die Gesellschaft seit deren Erscheinen in dem Königreich bitter gehaßt und bei jeder Gelegenheit verfolgt; später eine, die kirchliche Ordnung durch versteckte Mittel lähmende Secte derselben enge sich angeschlossen; beide sodann mit der in offener Gottesverachtung immer kecker sich spreizenden Literatur schweigend eine Brüderschaft geschlossen, deren der aufgestachelte Haß einer Buhlerin, in enger Verbindung mit der Leichtfertigkeit eines obersten Geschäftsführers der königlichen Angelegenheiten, vergnüglich sich bedienen mochte, um einen kirchlichen Organismus zu verderben, dessen einflußreiche Mitglieder die ernstesten Vorschriften der Religion nicht zum Spielball gebieterischen Begehrens der Unsittlichkeit herabsudeln wollten. – In Spanien sind es Minister, welche die unbegränzte Allbefugniß des einen mit der behaglichen Religionsverachtung (damals Philosophie genannt) des andern ihrer Zeit- und Standesgenossen in jenen beiden Reichen in sich verbanden, um den gewaltigen Streich mit aller wilden Brutalität der schrankenlosesten Autokratie zu vollführen. – In Neapel ward die Eifersucht eines gallsüchtigen Advocaten durch Haß gegen geistliches Ansehen gestachelt, das Verderben zuerst[310] über diejenigen zu wälzen, in deren Einfluß er die vornehmste Stütze desselben erblickte. – Und ob kein Fürst dem Erwerb der Besitzungen des Ordens jede andere Rücksicht untergeordnet und darin ein ebenso gewichtiges Motiv gefunden habe, als Andere in ihrem Haß, darüber gäbe ebenfalls die Geschichte genügende Auskunft.

Aber so unerhörte Maaßregeln gegen eine bisanhin in allen Reichen mit so grossem Einfluß ausgestattete, überall in so hohem Ansehen stehende, zu so manchartiger Wirksamkeit berufene Gesellschaft; aber ein so unablässiges Einstürmen auf das Oberhaupt der Kirche, daß es durch einen allgemein verbindlichen Ausspruch hintennach jene Maaßregeln billige, ein ferneres Bestehen der Gesellschaft für unbefugt erkläre, sollte doch durch erhärtete Verbrechen, nicht etwa eines einzelnen Gliedes, sondern der Gesammtverbindung, sollte durch den unzweifelhaft angenfälligen Thatbestand der Gemeinschädlichkeit derselben gerechtfertigt werden. Doch das Auto-da-Fé, am 21. Sept. 1761 zu Lissabon an dem schwärmerisch-frommen, 70jährigen Pater Malagrida vollzogen, sprach nicht mehr von einer Mitschuld an dem zwei Jahre früher, dem Versuch von Damtiens nachgeahmten Mordanfall auf den König, sondern berührte nur noch »Lügen, falsche Prophezeyungen, ketzerische Lehren,« diese aber so unerwiesen, wie das anfangs vorausgesetzte Mitwissen um jenen meuchlerischen Anschlag; beides aber, selbst bei vorausgesetzter Beweisführung, nicht an dem Orden, sondern bloß an einer Individualität desselben haftend; so daß selbst Voltaire das bluttriefende Handwerk »eine Verbrüderung des Uebermasses des Lächerlichen mit dem Uebermaß des Grauenvollen« nannte.

Oder sollten etwa die beispiellosen Qualen (grauenvoller, weil länger dauernd als alle, denen ein Glaubensbote bei den wildesten Heidenstämmen entgegengehen konnte), welche Pombal über zehntausend Unverhörte in seinem schäumenden Groll erst hergewälzt, hierauf in seiner menschenverachtenden Sorglosigkeit bis zum Entsetzlichen andauern lassen, die Stelle von Beweisen vertreten? Sollten die Hunderte, welche nach Jahren noch in[311] den Kerkern von Angola unter Afrika's glühendstem Sonnenbrand hinserbten, ein Zeugniß der Schuld seyn? Oder sollte dieses aus den fünfzig Fuß tiefen, unterirdischen, dunkeln Casematten des Bollwerkes von St. Julian und aus den Hunderten, welche nach fünfzehn Jahren noch in denselben schmachteten, mit unumstößlicher Gewalt heraufstöhnen? Dann wahrlich gäbe es ebenfalls keinen zwingendern Beweis dafür, daß zu Nero's Zeit die Christen Rom in Brand gesteckt hätten, als das nachmalige Verbrennen derselben ! – Hören wir, neben allen jenen moralisch vernichtenden Anschwärzungen, neben diesen physisch lähmenden Gewaltthaten, diesen empörenden Wüthereyen, nachdem schon mehr als zwanzig Jahre darüber hingeschwunden waren die Stimme des 81jährigen ehemaligen Assistenten der portugiesischen Provinzen, Johann Guzman's! Verdiente etwa, nachdem jenes Alles im schrankenloser Machtvollkommenheit vollzogen worden, dieselbe so gar keine Berücksichtigung? Er, »im Begriff, vor dem ernsten Richterstuhl der göttlichen Gerechtigkeit zu erscheinen,« bezeugt dem König, daß mehr als sechshundert seiner Unterthanen, der unglückliche Rest so zahlreicher Glieder der Gesellschaft in seinen Staaten, jetzt noch »von Kummer darniedergebeugt seyen, sich solcher Anschlage und Verbrechen beklagt zu wissen, vor welchen selbst die Barbaren zurückschaudern würden,« »Sie beweinen,« sagt er, »sich insgesammt als verurtheilt ansehen zu müssen, ohne vor Gericht geladen, verhört worden zu seyn; ohne Gelegenheit gehabt zu haben, zu ihrer Vertheidigung auch nur einen einzigen Grund anführen zu können.« »Er selbst,« fährt er fort, »viele Jahre an eine Stelle gesetzt, an der er die unmittelbarste Kenntniß der Sache habe gewinnen können, er seye bereit, auf die rechtsgültigste und feyerlichste Weise die Unschuld des ganzen Körpers sammt den Häuptern seiner Assistenz zu bezeugen, und zu bekräftigen: daß Beide der Verbrechen, deren sie beschuldigt würden, in keinerlei Weise schuldig wären. Er und alle Landesverwiesene verpflichten sich insgesammt, noch härtern Strafen, als die bisher erduldeten, sich zu unterwerfen, wenn nur ein einziges der betreffenden[312] Individuen des mindesten Verbrechens wider den Staat könne überführt werden,«

Ist es möglich, daß das schuldbewußte Gewissen, unter verdienter Strafe stehend, ein solches Anerbieten noch machen dürfe? Ist es denkbar, daß es vor dem offen stehenden Grab, vor dem Uebergang in die Ewigkeit eine solche Sprache führen könne? Ja! werden sie rufen, die Häuptlinge der Hetze wider die Jesuiten, die Revolutionäre aller Farben und Gestalten, die Förderer des religiösen und moralischen Verfaulens des Menschengeschlechts, die grundtiefen Hälblinge des Wissens, die Nihilisten unter allen Religionsparteyen, die drollig en Basazzo's des Zeitgeistes, endlich der durch ihre vereinten Dienste in das Wogen gebrachte belfernde Troß, ja! eine solche Lügenstimme an der Grabespforte ist nicht nur denkbar, sondern sie ist durchaus nicht anders denkbar, denn dieser Pater Guzman war ein Jesuite, und das Wort Jesuite begreift alles Infernale in sich, was nur immer in einer Menschengestalt sich zu verkörpern vermag. Gerade in dieser feyerlichen, ernsten, am Grabesrande gegebenen Versicherung liegt das unmißverstehbare Geständniß einer alle Gränzen überschreitenden Schuld; denn es ist von einem Jesuiten gegeben, daher in einem seinem Wortlaute stracks entgegengesetzten Sinne auszulegen. Die sogenannten Gemässigten dagegen werden lispeln: es ist nur Schade, daß der so Sprechende Anwalt in eigener Sache ist (als ob Pombal und seine Genossen es nicht noch weit mehr und dazu noch ohne die mindeste moralische Garantie wären), und die Parteilosigkeit dieses Zeugniß nicht als ein gültiges annehmen kann. – Gewiß aber, würde Kain auftreten, um wegen seines Brudermords sich zu rechtfertigen, würde Judas wieder erscheinen, um über seinen Verrath durch Vernunftgründe sich zu erklären, dann würde das Zartgefühl jener gesammten Phalaur sich sträuben, dergleichen Ehrenmänner ungehört von sich zu weisen; sie würde es sicher als einen Act unerläßlicher Gerechtigkeit und pflichtschuldiger Unparteilichkeit erklären, dem Judas unsern Herrn gegenüber zu stellen, um zu[313] vernehmen, ob auch Er Etwas möchte vorbringen können, und demnach zu entscheiden, auf wessen Seite das Recht stehe. P. Guzman aber ist ein Jesuite, was bedarfs weiter Zeugniß? Dieser Name allein faßt ohne weitern Beweis jede mögliche und unmögliche, jede denkbare und nicht denkbare Schuld in sich!

In Madrid war zwar, nach mancherlei Beschwerungen des Volkes, hierauf in Folge einer leichtsinnigen Kränkung seiner Sitten, am 27. März 1766 der Aufruhr wegen der Hüte ausgebrochen, schnell aber vorübergegangen, bald in Vergessenheit gerathen, jedoch ein Jahr und fünf Tage später ihm durch die ganze Monarchie in beiden Hemisphären der Sturm gegen die Gesellschaft gefolgt; unerwartet, um so mehr als der König bei seiner Abreise von Neapel dem General die Zusicherung gegeben: »niemals werde er vergessen, was die Gesellschaft seinen Ländern so diesseits als jenseits des Meeres geleistet;« angeblich aber dennoch als wohlverdiente Vergeltung für eben dasjenige, was unter dem frischen Eindruck des Begegnisses keinem Menschen zu Sinn gekommen war. Jetzt sollte Niemand anders jenen Aufruhr angezettelt, genährt, durch Geldspenden ermuthigt haben, als die Gesellschaft. Doch begnügte der königliche Erlaß sich damit, dieselbe insgesammt und ohne Ausnahme als Verbrecher, ihr Fortbestehen mit der Erhaltung von Ordnung, Friede und Gerechtigkeit unvereinbar zu bezeichnen, und diesem dann noch verborgene Gründe, welche in dem Herzen des Monarchen verschlossen bleiben müßten, beizufügen. Deßwegen wurde Beweise hiefür vorzulegen schon damals für überflüssig gehalten, jetzt wären solche noch weniger beizubringen; gewichtiger indeß zu Beurtheilung der gegen sie wirksamen Triebsedern dürfte das Zeugniß seyn, welches Condorcet ihrem bittersten Verfolger Aranda ertheilte, indem er ihn als entschiedenen Feind des Klerus, des Adels und des Königthums bezeichnete.

Immer aber liegt in dem Verfahren, wie man in Spanien Belege für die Schuld der Jesuiten wollte aufgefunden haben, dann nicht minder in der materiellen Beschaffenheit dieser Belege[314] ein solches Zeugniß, welches zu unbefangener Gesinnung weit einleuchtender gegen die Verfolger, als gegen die Verfolgten spräche. Man weiß nemlich, daß ein Bote dem Rector des Collegiums zu Madrid in eben dem Augenblick, da die Gesellschaft zu Tische gehen wollte, ein versiegeltes Paket überbrachte, welches der Empfangende, um nicht die Ordnung zu brechen, vorerst bei Seite legte. Während aber die Väter noch bei Tische fassen, pochte bewaffnete Macht an der Pforte. Sobald derselben geöffnet worden, stellte sie die Anwesenden unter Aufsicht, durchforschte die Zellen und nahm, was an Papieren sich vorfand, in Beschlag, darunter auch jenes noch uneröffnete Paket. Dieses nun sollte die Beweise von irgendwelchen gefährlichen, nie aber näher bezeichneten Planen, von verrätherischen Entwürfen enthalten, und wurde, um das Oberhaupt der Kirche von ernster Triftigkeit der erhobenen Anklagen und der Nothwendigkeit der Unterdrückung einer so höchst bedrohlichen Verbindung zu überzeugen, nach Rom gesendet. Als dann in der zur Untersuchung niedergesetzten Commission der Cardinal Braschi, nachheriger Papst Pius VI, auf den Gedanken kam, das Papier zu untersuchen, zeigte sich an den Wasserzeichen, daß alles in Spanien seye gefertigt worden, ungeachtet Briefe aus den verschiedensten Ländern sich sollten zusammengefunden haben; und ebenso trugen die Schriftzüge insgesammt den spanischem Charakter an sich. Vor dem autokratorischen Terrorismus aber, welcher damals den heiligen Stuhl bestürmte, mußten auch die gründlichsten Gegenbeweise und die ruhigsten Einwendungen sich zurückziehen.

Wurden in Portugal und in Spanien so viel als keine Gründe zu Rechtfertigung der im Schwindel der Allgewalt getroffenen Maßregel vorgebracht, indem man Berufung auf den unbeschränkten königlichen Willen für hinreichend hielt, so verrannte sich das französische Parlamient auf der entgegengesetzten Bahn und bewies nichts, weil es zu viel beweisen wollte. Man hat allerdings ein grosses Gewicht darauf legen zu dürfen geglaubt, daß hier die Einrichtungen und Vorschriften der[315] Gesellschaft einer Prüfung seyen unterworfen, dabei aber mit den Gesetzen des Reiches und den (sogenannten) gallicanischen Freiheiten in Widerspruch befunden worden. Abgesehen jedoch von der hinterlistigen Weise, wie man, angeblich zu einem ganz andern Zwecke, die Vorlegung jener Statuten gefordert und von argloser Willfährigkeit erlangt hatte; auch abgesehen davon, daß die Prüfung weder mit gebührender Redlichkeit noch mit erforderlicher Parteilosigkeit, sondern im Hinblick auf einen bestimmten Zweck vorgenommen ward und ein Resultat liefern sollte, wie es diesem angemessen war; muß es doch als ein Rechtsverfahren eigener Art bezeichnet werden: die Frage über befugtes Bestehen einer Institution in einem Lande erst nach der wiederholt und bündig ausgesprochenen Anerkennung derselben durch das oberste Ansehen der Könige, sodann nach zweihundertjährigem und dazu ebenso ausgedehntem, als manigfachem und stetsfort anerkanntem, offenkundigem Wirken derselben in Untersuchung ziehen und verwerfen zu wollen. Das sieht wohl, wenn nicht einer nackten Gewaltthat, doch der monstruösesten Informalität ebenso gleich, als ein Tropfen Wassers dem andern.

Liegt dann eine etwelche Rechtfertigung für die Angeschuldigten schon in der kecken Seltsamkeit des angewendeten Mittels, so liegt eine noch weit entscheidendere in der unbegränzten Ausdehnung und noch mehr in der maaßlosen Häufung der erhobenen Anschuldigungen, deren viele geradezu gegenseitig sich ausschließen. Es sollten nämlich die Glieder der Gesellschaft insgesammt, allerwärts, jederzeit, beharrlich und mit Zustimmung ihrer Obern und Generale die Simonie, die Gotteslästerung, den Kirchenraub, die Magie und Hererei, die Sterndeuterei, die Irreligiosität unter jeder Gestatt, den Götzendienst und Aberglauben, die Unkeuschheit, den Meineid, das falsche Zeugniß, die Bestechung der Richter, den Diebstahl, den Elternmord, den Todschlag, den Selbstmord, den Königsmord gelehrt haben. Ferner sollte ihre Lehre das Schisma der Griechen begünstigen, das Dogma vom Ausgange[316] des Heiligen Geistes gefährden, den Arianismus, den Sabellianismus, den Nestorianismus fördern, die Gewißheit der Dogmen über die Hierarchie, über das heilige Meßopfer erschüttern, das Ansehen der Kirche und der heiligen Bücher darniederwerfen, den Irrlehren Luthers, Calvins und anderer Neuerer des 16ten Jahrhunderts Vorschub leisten, diejenigen von Wickleff wieder auffrischen, die Irrthümer des Tryphonius, Pelagius, der Semipelagianer, des Cassianus, Faustus, der Marseillaner erneuern, der Ketzerei Gotteslästerung beifügen. Nebendem sollte ihre Lehre die heiligen Väter, die Apostel, Abraham, die Propheten, den heiligen Johannes den Täufer, die Engel schmähen, die allerseligste Jungfrau Maria ruchlos beschimpfen, die Grundlagen des christlichen Glaubens erschüttern, den Glauben an die Gottheit Christi zerstören, das Mysterium der Erlösung anfechten, die Gottlosigkeit der Deisten begünstigen, den Epikuräern sich nähern, die Menschen wie Thiere, die Christen wie Heiden zu leben lehren. Kurz, um es in wenige Worte zusammen zu fassen: »Alle wurden aller Verbrechen schuldig« erklärt. – Compendiöser verfuhr man da, wo man nur ihre Güter im Auge hatte; hier überhoben diese, in Verbindung mit dem Taumel der Autokratie, aller weitern Beweisführung.

Es ist höchst merkwürdig, die Schmähungen der Nichtkatholiken und die Anschuldigungen der katholischen Gewalthaber einander gegenüber zu stellen und sich einfach die Frage vorzulegen, ist es möglich, daß beiderlei Anschuldigungen in den gleichen Personen sich vertragen, gleichzeitig Grund haben können? Die Erstern werfen den Jesuiten Unverträglichkeit, Unduldsamkeit, Verfolgungssucht gegen andere Religionsparteyen vor; die Letztern hingegen einen Indifferentismus, der nicht bloß auf Duldung, sondern auf positive Förderung jedweder Irrlehre ausgehe. Die Lutheraner und Calvinisten erkennen in den Jesuiten die geheimen und rastlosen Triebfedern aller Beschränkungen, Beirrungen und Verfolgungen gegen sie; die Parlaments-Katholiken hingegen schreyen, sie leisteten den Irrlehren[317] Luthers, Calvins und aller Neuerer Vorschub. Von Jenen werden die Jesuiten die Prätorianer des päpstlichen Stuhls genannt, mittelst deren er seine Unterdrückungsplane durchzuführen wisse; soll man aber diesen glauben, so gefährdeten sie die Dogmen über die Hierarchie und das Ansehen der Kirche. Nach den Einen drängten sie durch übertriebenen und abergläubischen Mariendienst die Erkenntniß und die Anbetung des Erlösers zurück; nach den Andern hingegen beschimpften sie die allerseligste Jungfrau Maria und alle Heiligen. Von Jenen werden sie beschuldigt, daß sie die Gewissen änstigten, durch allerlei kindische Skrupulositäten sie in Banden hielten; von Diesen, daß sie geradezu die Menschen wie Thiere, die Christen wie Heiden zu leben lehrten. Die Redlichen unserer Zeit werden diesen Widerspruch ausgleichen durch die Behauptung, daß Beide Recht hätten, indem Alles auf gehöriger Destinction von Zeit, Ort und Umständen beruhe, wie zum Theil schon damals gesagt worden ist.

Der gleiche Widerspruch waltete unter ihren Feinden und Verfolgern, die ausschließlich im Schooß der katholischen Kirche gegen sie auftraten. Während ihnen das Parlament, neben Verfechtung aller erdenklichen Laster und Begünstigung aller je aufgetauchten Irrthümer, offene Feindseligkeit gegen die Kirche bis zu Vernichtung ihrer Hierarchie und des heiligen Stuhls zur Last legte, wurden sie von den Jansenisten beschuldigt: sämmtlichen Päpsten eingeflüstert zu haben, wie sie ihre Breven verfassen müßten, dem heiligen Stuhl alle Verfügungen andictirt, alle Berathungen der Bischöfe Frankreichs geleitet, in den Hirtenbriefen denselben die Feder geführt und auf sämmtliche theologische Facultäten eingewirkt zu haben. Wie nun wäre diese Vereinigung des Widersprechendsten möglich, ja nur denkbar? – Hier verkündigten die Encyclopädisten in ihrem Artikel »Jesuiten,« »in ihren Häu fern seyen sie dem maßlofesten Despotismtus unterworfen, predigten dagegen den Unterthanen den unbedingtesten Gehorsam gegen den Oberheren;« dort behauptete das Parlament von Paris; »selbst das Leben[318] der Könige schwebe vor ihnen in unablässiger Gefahr.« Und doch, wie grosse Mühe man sich auch gab, eine Comtplicität Damiens' und der Jesuiten herauszusälscheln, sie scheiterte ebensogut, als früher diejenige, die Schrift: l'art d'assassiner les rois ihnen aufzubürden; indeß die genauesten Untersuchungen mit Damiens nur Verhältnisse desselben zu den Jansenisten und zu Parlamentsräthen an den Tag förderten. Auf beiden Seiten dann, von denen diese Widersprüche aufgestellt wurden, hieß es (was wohl zu merken) nicht: hier oder dort ist ein Individuum der Gesellschaft, welches eine solche Richtung verfolgt, solche Lehre lehrt, solcher Verirrung sich schuldig macht; sondern auf beiden Seiten wurde Alles der Gesammtheit zugeschrieben, mußte das Vorgeworfene Sinn, Wille, Zweck der Gesellschaft selbst seyn. – Da möchte man doch die bescheidene Frage sich erlauben: wie es möglich seyn dürfte, daß nicht allein das Entgegengesetzteste, sondern das Widerstrebendste und gegenseitig sich Abstossende in einer zahlreichen Verdindung auf lange Dauer so sich habe einigen können? Der Apostel Jakobus ahnete solche Möglichkeit nicht, wenn er fragt: kann auch ein Brunnen Salzwasser und süsses Wasser liefern? Das Schönste aber ist, daß im Lauf der Zeit die sich ausschliessenden Anschuldigungen dergestalt in einander sich verkneteten, daß der Mund eines Jeden, der nur halbwegs die Höhe des Zeitalters erklommen zu haben glaubt, dieselben in einem Athemzug ausstößt, wobei, wie so oft bei dem Beplaudern von Tagesfragen die Ueberlegung in den gemächlichsten Quiescentenstand sich versetzen läßt.


Und wie waren im weitern die Rechtsformen beschaffen, die den endlichen Schlußnahmen überall vorangiengen? Es waren diejenigen der übermüthigen Willkür in ihrer obersten Phase; es war das trunkene Elend des, Gott, Menschen und[319] Recht verachtenden und mit einer lüderlichen Philosophie kokettirenden Absolutismus, der ein fallsüchtiges Nervenzucken für Regungen einer gesunden Lebenskraft hielt. – Portugal verlangte zwar zum Schein ein päpstliches Breve, wartete aber dessen Ausfertigung nicht ab, sondern trieb, aller Antwort zuvorkommend, die Jesuiten mit Gewalt aus Aemtern und Häusern, entriß dem Nuntius seine Gerichtsbarkeit über die Geistlichen, um sie einer willenlosen und darum willfährigen Special-Commission übertragen zu können, und setzte die Inquisition, die hier, wie in Spanien, das dienstbare Werkzeug der Staatsgewalt war, gegen sie in Bewegung. – In Spanien wurde die sogenannte Untersuchung in undurchdringliches Dunkel gehüllt und als aus diesem urplötzlich der niederschmetternde Strahl hinausfuhr, gleichzeitig allen Unterthanen das unbedingteste Schweigen über den gesammten Vorgang auferlegt, jede Erörterung aufs strengste untersagt, der Tadel wie die Rechtfertigung des befolgten Vorfahrens als Hochverrath verboten: sintemal es jenen nicht zustehe, den Willen des Oberherrn zu beurtheilen und auszulegen. Hätte wohl das Bewußtseyn einer durchaus gerechten Sache, eines vorwurfsfreien Verfahrens dergleichen Vorkehrungen können aufkommen lassen? – Oder kann der Mangel desselben ersetzt werden durch die, unter den gegebenen Umständen an Blasphemie streifende Erklärung, welche zu Neapel der Legiste Tannucci seinem unmündigen König in den Mund legte: »Er habe von Gott seine Macht empfangen; darum seye er über ein Verfahren, wozu er durch Staatsgründe (die aargauische raison d'état bei ähnlicher Gewaltthat) bewogen werde, einzig Gott Rechenschaft schuldig.« – Die sonstigen Maaßregeln aber, welche er gleichzeitig wider die Rechte, die Freiheiten und das Eigenthum der Kirche eintreten ließ, zeigen, wie es mit dieser Rechenschaft gegen Gott seye gemeint gewesen. In ähnlicher Weise wollte ein gottvergessener Staatsgewaltiger dem kleinen und unmündigen Herzog von Parma die Sporen verdienen. In Frankreich endlich war der Haß des Parlaments gegen die Gesellschaft längst[320] schon geneigt, den Forderungen des Ministers und des allmächtigen Kebsweibes mit der freudigsten Unterwürfigkeit entgegen zu kommen. Schon am 6. August 1761 verfügte es in angemaßter Vollgewalt, daß alle Unterrichtshäuser der Jesuiten sollten geschlossen werden, ihre fernern Zöglinge jeder Anstellung unfähig seyn. Noch besaß der König so viel Selbstständigkeit, diesen Beschluß für wirkungslos zu erklären; jenes aber war in seiner Eigenmacht bereits so weit vorangeschritten, um dem königlichen den eigenen Willen entgegenzustellen, und am gleichen Tage des folgenden Jahres die gänzliche Aufhebung der Gesellschaft und der Zerstreuung ihrer Mitglieder als einer gottlosen, der Kirche wie dem Staat verderblichen Anstalt auszusprechen. Sich zu rechtfertigen ward den Jesuiten entweder fürmlich verboten, oder doch aufs äusserste erschwert, hernach dieses gezwungene Schweigen wieder als Beweis gegen sie ausgebeutet. Zwei Jahre später sollte sogar jedes Glied der Gesellschaft zu einem Eid gezwungen werden: daß es alle wider dieselbe erhobenen Beweise für begründet, den Orden selbst für strafbar, verwerflich und dem König gefährlich erkenne. Wie Viele haben, trotz des Grimmes, mit welchem die Männer der Bosheit und Gewalt gegen sie wütheten, den Eid geleistet?

Dieses Verfahren des Parlaments fand schon im Jahre 1806, wo die Frage über die Jesuiten bereits der Geschichte verfallen schien, daher ruhiger und parteiloser behandelt werden konnte, als ein Menschenalter früher möglich gewesen, ihre Würdigung durch den nachmaligen Pär, Grafen Lally-Tolendal, der Folgendes darüber sagte: »Die Unterdrückung der Jesuiten war Sache der Parteyung und nicht der Gerechtigkeit. Sie war ein hochmüthiger, racheschnaubender Sieg des richterlichen über das geistliche, ja man darf wohl sagen, über das königliche Ansehen. Die Gründe waren nichtig, die Verfolgung war barbarisch. Die Vertreibung von tausend Unterthanen aus ihren Häusern und ihrem Vaterland wegen bildlichen Auedrücken, die allen Mönchsinstituten gemein sind, und wegen Scharteken, die längst in den Staub begraben und in einem[321] Jahrhundert verfaßt waren, in welchem alle Casuisten zu den gleichen Lehren sich bekannten, war der willkürlichste, gewaltthätigste Act, der verübt werden konnte.«


Und welches war jene Scharteke? Mariana's Schrift de rege, worin die bekannte Stelle vorkömmt: daß man das Recht habe, einen tyrannischen König zu tödten. Aber hatte nicht der heilige Thomas von Aquin, oder wer unter seinem Namen den letzten Theil des Werkes de regimme principum verfaßt haben mag, bedingsweise den gleichen Satz aufgestellt? Hatte nicht die Sorbonne das Nämliche gelehrt und am 7. Jan. 1589 förmlich erklärt: das Volk seye seiner Pflicht ledig und könne mit gutem Gewissen (gegen den König) zu den Waffen greifen, worauf am 1. August Heinrich III, welcher allgemeiner Verabscheuung schon längst verfallen war, durch den Dominicaner Clement ermordert wurde? Mariana's Buch aber trat erst nach dieser That an das Licht und trug sogar die Bewilligung der königlich spanischen Censur, so wie der Inquisition an der Stirne. Aber schon im folgenden Jahr waren es Jesuiten selbst, welche gegen dasselbe Klage erhoben, so daß der General Aquaviva die ganze Auflage des Buches vernichten ließ und für einen neuen Abdruck eine Berichtigung verordnete. Richesne versichert daher, nicht ein einziges Exemplar dieser Schrift gesehen zu haben. Am 6. Juli 1610, also nicht volle sieben Wochen nach Heinrich II Ermordung, erließ der nämliche General nachfolgende Verfügung: »Kraft des heiligen Gehorsams verordnen Wir unter Strafe der Excommunication und der Unfähigkeit zu jeglichem Dienst, so wie auch der Suspension von kirchlichen Verrichtungen und andern, nach Unserm Gutdünken noch zu bestimmenden Strafen, daß kein Mitglied unserer Gesellschaft weder öffentlich noch privatim, weder bei Vorlesungen noch bei Berathungen, noch viel weniger bei Veröffentlichung[322] einer Schrift zu behaupten wage, es seye irgend Jemand erlaubt, was man immer von Tyrannei vorschützen möchte, Könige oder Fürsten zu tödten, oder an ihren Personen sich zu vergreifen« u. s. w. Das hingegen bleibt sorgfältig unberührt, daß lange vor Mariana Bellarmin, gleichfalls Jesuite, geschrieben hatte: »Es ist unerhört, daß man je den Mord eines Fürsten, wäre dieser auch Heide, Ketzer und Verfolger gewesen, gebilligt habe, wenn es eines solchen Verbrechens fähige Ungeheuer auch mag gegeben haben.«

Gesetzt aber Mariana hätte den fraglichen Punkt nicht in wissenschaftlicher Form thetisch behandelt, sondern nach heutiger Demagogenweise apodictisch hingestellt, konnte deßwegen eine zahlreiche, durch alle Länder verzweigte Gesellschaft für irgend eine gewagte, ja selbst verbrecherische Lehre eines ihrer Glieder verantwortlich gemacht werden? Wie vollends konnte sie dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ihre Obern die Ersten waren, welche dieselbe mißbilligten? Aber der 5. Jenner 1757 stand noch in frischer Erinnerung; man war damals noch nicht so weit vorangeschritten, um dergleichen Ent seglichkeiten (wie bei der neuesten in unserer Zeit geschehen ist) als Stoff für Witzeleyen aufzunehmen. Der Schauder durchzückte noch alle Gemüther, und je grösseres Dunkel über der erschütternden That lag, desto leichter ward es den, Feinden der Gesellschaft überall mit lautem Schrei von der königsmörderischen Politik derselben, von ihrer Willfährigkeit zu den furchtbarsten Anschlägen zu sprechen, und vor dem geistig und körperlich abgeschwächten König schlesische Jesuiten, in der Eigenschaft von geheimen Werkzeugen Friedrichs II, als Schreckbild auftauchen, vor der öffentlichen Meinung aber die dem Untergange Geweihten als die Schuldigen erscheinen zu lassen. Hiezu bot sich in jener Erörterung des spanischen Jesuiten eine bequeme Verbindung zwischen Lehre und That. Wie oft jedoch jenes Verhalten des Ordens zu Mariana's Lehre nachgewiesen werden ist, immer mit gleicher Keckheit wiederholen die, Feinde der Jesuiten ihre Anschuldigung; immerfort muß Mariana für die Gesellschaft[323] einstehen, immerfort wird das Urtheil des Generals ignorirt. Und wie dieses auch nachgewiesen, und wie auch gegen die Richtigkeit des Nachgewiesenen eine Einwendung nicht für möglich gehalten werde, alsbald rückt irgend Einer, der vielleicht in einer Zeitung oder in einer Schmähschrift die aufgewärmte Anschuldigung gelesen hat, als mit einer unumstößlichen Wahrheit damit wieder hervor, wird dieselbe rechtzeitig neuerdings aufgewärmt, alsdann müssen doch wieder diese Autoritäten die untrüglichen seyn.

Ich besitze eine ähnliche Scharteke von 163 Seiten in klein Duodez, angeblich zu Rheims gedruckt im Jahre 1577, mithin Mariana's Schrift ziemlich lange vorangehend. Dieselbe führt den Titel: »Resolution claire et solide sur la question tant de fois faite de la prise des armes par les inferieurs: ou il est monstré par bonnes raisons, tirées de tout droit divin et humain, qu'il est permis et licite aux Princes, Seigneurs et peuple infeurieurs de s'armer, pour s'opposer et resister à la cruauté et felonnie des Princes superieurs, voire mesme neccessaire pour le devoir dunquel on est tenu au pays et Republique. Schon das Wort Republique läßt auf den Stand des Verfassers schließen; Ton, Innhalt und Ausdrücke aber verrathen es unwiderleglich, daß er ein Huguenotte ist, der die Zulässigkeit der Empörung gegen den rechtmäßigen König aus der Vernunft, der französischen Geschichte und der Bibel zu vertheidigen und zu beweisen sucht. Wie nun, wenn man mit diesem Schriftchen in der Hand den Satz verfechten wollte: der Protestantismus lehre den Aufruhr als Pflicht? Welcher ehrliche Mann würde Solches unternehmen wollen? Und er wäre eben so gut dazu berechtigt, als diejenigen es sind, welche Marianas Lehre der gesammten Gesellschaft Jesu unterschieben wollen. Ja er wäre hiezu noch mehr derechtigt, indem es nicht schwer halten müßte, darzuthun, daß die meisten Urheber der Reformation Aehnliches wie Mariana, nur nicht bedingt wie er, gelehrt, ja Buchanan in Schottland, Suleau de Rozier in Frankreich den Mord aller katholischen Könige ohne irgend[324] einen Vorbehalt förmlich als ein verdienstliches Werk dargestellt haben. Sesbst der seiner Sanftmuth und Milde wegen so vielfach gepriesene Melanchthon hatte sich nicht gescheut, deßwegen, weil Heinrich VIII von England den Gedanken hegte, von der Princessin von Cleve sich zu scheiden, einem Freunde zu schreiben: »ein Gott gefälligeres Opfer giebt es nicht, als einen Tyrannen zu schlachten. Gabe doch Gott einem beherzten Mann diesen Gedanken ein!« Mehr als ein Jahrhundert früher erklärte Huß entschieden: es könne und solle jeder Tyrann, (und wen dergleichen Leute für einen solchen angesehen wissen wollten, kann man aus den Schriften seiner Nachfolger ersehen) mit Fug und Recht von Jedwedem, heimlich oder öffentlich, trotz Eidschwur und Vertrag, ohne richterlichen Spruch oder Befehl ermordet werden.

Behauptete doch der Schutzredner für den Königsmörder Clement, Edmund Richer, schon im Jahre 1581, daß das höchste Ansehen in geistlichen und weltlichen Dingen wesentlich und in letzer Beziehung der Menge zustehe. Sollten aber Clement und Richer etwa Jesuiten gewesen, jener von diesen angestiftet worden seyn? Sollte Milton bei ihnen die Lehre geschöpft haben: daß dem Volk das Recht zukomme, den König zu strafen? Er widerlegt hierauf den Salmasius auf höchst merkwürdige Weise. »Wollt ihr wissen,« sagt er, »weßwegen Salmasius nur auf Gewährsmänner unserer Zeit sich beruft? Die Antwort ist leicht. Er weiß gar zu gut, daß alle ausgezeichneten Gelehrten der reformirten Confession entschieden Gegner seiner Lehre sind. Er soll nur den Versuch wagen! Er wird alsbald finden, daß ich einen Luther, Zwingli, Calvin, Bucer, Peter Martyr, Paree in den Kampf rufen und ihn unter dem Gewicht ihrer Autorität darniedertreten könnte.« Von wem also wird der Königsmord gelehrt: von den Jesuiten oder von den Vormännern antikatholischer Secten?

Ob aber Königsmord an sich erlaubt seye, – ob ein König in keinerlei denkbarem Fall (demjenigen z.B. der Nothwehr, als entschiedener Feind u. dgl.) dürfe getödtet werden, das[325] sind zwei durchaus verschiedene Fragen. Ueber die letztere wäre es, möglichen Mißbrauchs wegen, besser, sowohl das Für als das Wider auf sich beruhen zu lassen; die erstere dagegen ist von keinem Jesuiten, wohl aber von mehr als einem ihrer erbittertesten Gegner, von mehr als einem zeitgeistigen Philosophen rundweg mit Ja beantwortet worden. Kann unsere Zeit förmliche Aufforderungen zum Königsmord in Prosa wie in Reimen nicht genugsam lesen und gerade von Solchen, welche die Gedärme des letzten Jesuiten, ja überhaupt des letzten Priesters zu nichts lieber verwenden würden als zur Erdroßlung des letzten Königs? Und über dergleichen nicht wegzuräsonnirende Ergüsse einer dämonischen Wuth schreitet die angeblich gebildete Welt höchstens mit dem Achselzucken über unzeitigen Eifer hinweg, um allen ihren Ingrimm für die auf Verdrehung oder auf willkürliche Entstellung gebaute falsche Anklage gegen die Jesuiten zu versparen, und durch gegenseitigen Ausbruch denselben zu steigern.

Selbst Hobbes, obwohl der Vertheidiger des absolutesten Despotismus, gestattet den Tyrannenmord unbedingt und nennt denselben ein hosticidium. Wie weit sind aber die neuern Aufklärungs-Propheten (doch insgesammt Widersacher der Jesuiten!) sowohl in der Theorie, als seit dem letzten Jahrzehnd des abgewichenen Jahrhunderts praktisch, nicht auch hierin vorangeschritten! Besteht nicht unter unsern Äugen in Deutschland, und auch in einem großen Theil des übrigen Europa's, eine Faction, welche öffentlich die Volker auffordert, alle Könige zusammt ihrem Geschlechte zu morden? Für Verbreitung solcher Lehre verlangen und erhalten meist ihre Apostel noch volle Preßfreiheit, ja Einzelne derselben stehen sogar in hohen Ehren und Aemtern. Hingegen haben die Jesuiten noch keinen einzigen König gemordet, keinen einzigen Mörder eines Königs auf irgend eine Weise in Schutz genommen, indeß sie selbst von Königen und deren zeitgeistigen Rathgebern theils gemordet, theils massenweise in das kläglichste Eleno geworfen worden sind. Aber auch das gehört zum Fortschritt in der Lüge und[326] zu der Forderung, die Augen vor dem Sonnenlicht zu verschließen und die Nacht als solche anzupreisen, daß man die Gemordeten für Mörder und die Mörder für Gemordete ausgiebt!


Entsprechend dann waren in allen drei Ländern die Bemühungen und Maaßregeln der allmächtigen Minister, um die Genehmigung der Könige, die Billigung des vorlauten Theils der öffentlichen Meinung und endlich die Zustimmung des Oberhauptes der Kirche zu erschleichen oder zu erstürmen. Ihre Bemühungen bei den Monarchen waren der Beweggründe, der Mittel und der Zwecke vollkommen würdig. Den geistesschwachen, sinnlichen Joseph von Portugal hatte der Schuß vom 3. Sept. 1759 als willenloses Werkzeug in Pombals Hände geworfen. In erheuchelter Sorge um die Sicherheit für das Leben des königlichen Herrn wurde es dem gallsprühenden und blutdürftigen Minister leicht, Zustimmung für Alles zu finden, was sein glühender Haß ihm eingab. – Von Carl III von Spanien wird erzählt, es seye gelungen, ihm die unantastbare Meinung einzuprägen, die Jesuiten wären Urheber jener Sage, die ihn zum Sohn des Cardinals Alberoni machte, und hiedurch jenen tiefgewurzelten Groll gegen die Gesellschaft auf zustacheln, der bei seinen sonstigen Gesinnungen jedenfalls nur einem ausserordentlichen Motiv beigemessen werden kann. In Frankreich war Ludwig XV nicht viel kräftiger als sein Zeitgenosse in Portugal. Nach dem, was er im Jahre 1757 erfahren, fiel es nicht schwer, ihn durch das Phantom des Königsmords zu schrecken, ihm, bei Mißstimmung des Parlaments und des Volkes, eine neue Fronde in den Hintergrund zu mahlen, hiedurch seine Zuneigung für die Gesellschaft ihm allmählig zu entrücken und beliebt zu machen, an den Papst das Gesuch um eine Reform derselben zu richten.
[327]

Auf die Gesinnung des Volks wurde in Portugal und in Frankreich durch Schmähschriften gewirkt, wozu feile Federn leicht sich fanden. Dort hatte der schändliche Pater Norbert freudige Aufnahme, einen königlichen Jahrgehalt, Druck und Verbreitung seiner Libelle auf öffentliche Kosten und mit diesem Allem ein gesichertes Gehäge für seine verläumderische Thätigkeit gefunden. Minister und Publizist waren gegenseitig ihrer vollkommen sich würdig, und der Eine durfte sich der Tischgenossenschaft des Andern nicht schämen; so wie die vierfache Herkunft, der vierfache Name und das vierfache Gewerbe auf den Werth des Ehrenmannes genugsames Licht wirst. Denn er war, je nachdem es ihm zuträglich schien, Franzose, Holländer, Schweizer und Engländer; er hieß Pater Norbert als Capuciner, Parisot als Tapetenkrämer, Piter als Schenkwirth und Abbé Platel bei geheimen Ränken in Rom.

Dieser Piter war indeß nicht der einzige, welcher in Pombals Solde, aus dem Gelde, was dieser über die Jesuiten erbeutet hatte, zu ihrer moralischen Vernichtung schriftstellerte. Der Despot fand feile Federn genug; an Mitteln, dergleichen »Ausgeburten des Neides und der Ruchlosigkeit,« wie Clemens der XIII diese Schandschriften bezeichnete, durch alle Länder zu verbreiten, fehlte es ebensowenig. Jenes Zeugniß des Papsts war der Wiederhall der Stimme von beinahe vierhundert Bischöfen der Christenheit.

In Frankreich wirkten auf die Einen der Spott und die Witzeleyen der Philosophen, auf die Andern die in ernstem Ton gehaltenen Anschuldigungen eines Abbé Chauvelin, der Rechenschastsbericht von la Chalotais, dem, wie vielen solcher Ehrenmänner, die Erreichung des Zweckes über die Wahrheit gieng. Ließ sich doch dieser von blinder Wuth so weit fortreissen, um den Jesuiten vorzuwerfen, sie hätten nicht einen einzigen Mathematiker von Bedeutung aufzuweisen. Lalande, der damals das Register zu seiner Geschichte der Astronomie anfertigte und ihr einen Artikel über die Jesuiten als Astronomen beifügte, erstaunte über deren Anzahl. Im Jahr 1773[328] sah er Jenen zu Saintes und hielt ihm seine Ungerechtjgkeit vor. La Chalotais gestand sie jetzt auf die unbefangenste Weise selbst ein; war ja der Zweck erreicht!

Die Tagesschriftstellerei hob sich mit unglaublicher Regsamkeit zum Element, welches den durch abweichende Beweggründe ausgekochten Haß der Parlamentsglieder, der Jansenisten und der Philosophen zum Trank bereitete, der die Menge in wilden Rausch versetzen sollte. Hierin war das Pariser-Parlament schon am Ende des sechszehnten Jahrhunderts, wenn nicht mit ähnlichem Erfolg, doch mit nicht geringerer Kühnheit vorangegangen. Aus dem den Jesuiten abgestohlenen Vermögen hatte es schon damals ein reiches Arsenal von Schmähschriften gegen sie anlegen, zugleich aber, damit durch Gegenrede deren Wirkung nicht abgeschwächt werde, allen Buchdruckern und Buchhändlern verbieten lassen, irgend Etwas, was zu Gunsten der Verfehmten sprechen wollte, weder zu drucken, noch in Umlauf zu bringen. Jetzt wurde zu gleich löblichem Zwecke jenes Arsenal wieder geöffnet, daraus hervorgezogen, was immer Brauchbares es bergen mochte. Hatte zu jener Zeit Arnauld die Lüge (z.B. stets seye der General der Jesuiten ein Spanier und durch den König von Spanien ernannt) in rhetorischem Wortgepränge daherschreiten lassen, so wußte Pascal die gefährlichste (zumal in Frankreich) aller Waffen zu handhaben: den Witz und den Spott. Wer ihrer mit Gewandtheit sich zu bedienen weiß, ist damit jeder Prüfung und jeder Beweisführung enthoben, und darf weit weniger über seine Erfolge im Zweifel stehen, als wenn er jenem mit noch so grosser Sorgfalt sich unterzöge. Deswegen hat Pascal auf viele verwandte Geister fortwährend großen Einfluß geübt und wurde seine Art, die Gesellschaft von Seite ihrer Principien (die er entstellte) und ihrer Bestrebungen (die er verdächtigte) und ihrer Lehren (die er aus dem Zusammenhang riß) nicht bloß anzufechten, sondern geradezu zu verdammen, die normalmäßige, und ist es seitdem geblieben; hierob in Vergessenheit gerathen, daß damals schon, als seine »Briefe aus der Provinz«[329] erschienen, viele Gelehrte Frankreichs, alle Bischöfe, mehrere Päpste dieselben als »lügenhaft und verläumderisch« verworfen hatten, und die weltlichen Behörden nicht minder entschieden dagegen aufgetreten waren. Ebenso kennt unsere Zeit nur den Voltaire, welcher der Verbrüderung wider die Jesuiten mit der ganzen Macht seiner Feder und seines Gewichtes auf die Zeitgenossen beitrat; indeß sie von dem Voltaire, der doch zwischenein Regungen der Ehrlichkeit und Parteilosigkeit ebenfalls das Wort lieh, keine Notiz nimmt. In derartiger Anwandlung gesteht er unbefangen, daß nichts leichter gewesen wäre, als in ähnlicher Weise sowohl gegen die Dominicaner als gegen die Franciscaner aufzutreten. »Aber,« sagt er, »man wollte nun einmal an die Jesuiten. Pascals Briefe bezweckten die Behauptung eines vorhandenen Planes, die Menschen zu verderben; ein Plan, den keine Secte, keine Gesellschaft je gehabt hat oder haben könnte.«

Diese Schriftstellerei, ausgerüstet mit den gescheuerten und neu geschärften Waffen, welche sie schon in früherer Zeit getragen, und den inzwischen neu geschmiedeten, trat jetzt wieder nach allen Seiten und in jeglicher Gestalt in Thätigkeit. Wurde dieselbe noch nicht so schwunghaft betrieben, wie in unsern Tagen, so besaß sie dagegen Autoritäten, dergleichen wir jetzt ähnliche nicht aufzuweisen haben, und deren Wort über die höhern Stände eben dasselbe vermochte, was gegenwärtig die von allen Seiten summenden Stimmen der Tagesblätter auf die gleichartiger gewordene Maße. Voltaire, die gewaltigste dieser Autoritäten, war seiner längst beurkundeten Tendenz nach leicht zu gewinnen, um so leichter, als die Jesuiten bisher auch seiner nicht geschont hatten. Choiseul fand ihn daher bereitwillig für seinen Antrag: die Schuld jener Frevelthatem, welche ganz Europa in Bestürzung gesetzt hätten, ihnen und den zahllosen Schriften ihrer Theologen aufzubürden, welche als Ausgeburten der Hölle den Königsmördern den Mordstahl in die Hände gegeben hätten. War doch die Gesellschaft Jesu an dem Bau der »Infamen,«[330] welche »ecrasirt« werden sollte, einer der mächtigsten Strebepfeiler. – Auch Diderot sollte gewonnen werden. Er stand damals in literarischer Fehde mit Berthier, das ließ ungezweifelten Beitritt hoffen, zumal ihm ansehnlicher Geldzufluß für solchen Ritterdienst geboten wurde. Dieser war aber ehrlich genug, zu erklären: »Bei meinem Streit bedarf ich Niemandes Hülfe. Geld besitze ich zwar keines; doch weiß ich mir welches zu verschaffen.« – Ebenso ehrenwerth erwies sich Rousseau. Auch auf sein Mitwirken hatte man sich Rechnung gemacht, denn seine Gesinnung gegen die Jesuiten war bekannt. Man weiß aus einem Schreiben desselben an den Erzbischof von Paris, daß er sollte gewonnen werden. »Aber,« sagt er, ich habe mich gegenwärtig über die Jesuiten nicht zu beklagen, zudem sind sie jetzt Unterdrückte.«

Diese Bemühungen, alle literarischen Notabilitäten wider die Jesuiten zu vereinigen, beweist mehr als alles, daß der G rund ihrer Aufhebung weder in der abstracten Einrichtung der Gesellschaft, noch in den concreten Individualitäten derselben lag, sondern Entwurf und Bestreben einer engverbundenen Partei war. Was bei den Genannten mißlang, wurde desto vollständiger erreicht bei der Zahl untergeordneter Schriftsteller, denen der Klang der Münze ein wekenderer Ton war, als die Stimme der Wahrheit und der Redlichkeit. Der Präsident Roland d'Ereville gestand in einer im Jahr 1781 erschienenen Schrift mit der größten Offenheit, daß zu Vertreibung der Jesuiten er einzig für seine Person über 60,000 Franken aufgewendet habe, und daß die Sache schwerlich gelungen wäre, wenn er ihr nicht sein Geld, seine Zeit und seine Gesundheit geopfert hätte.

Wie nun die Philosophen mittelst ihrer Waffen den Kampf erhoben, so geschah dieses von den Jansenisten mittelst der ihrigen. Einer derselben, Dom Clemencet, ein Geistlicher, verwandelte das Kloster der weissen Benedictiner in Paris zur Werkstätte, aus welcher Schmähschriften aller Art gegen die Gesellschaft hervorgingen. Je größerer Vorrath von Unwahrheiten,[331] Verdrehungen und Entstellungen in denselben aufgestapelt, dieser nach dem Geschmack der verschiedenen Leserclassen zurechtgemacht war, desto größer war deren Wirksamkeit, die noch in unsere Tage herabreicht, da er noch immerwährend die Waffen und Rüstungen bildet, unter denen die Redlichen jetziger Zeit sich zusammenbiedern, um die fortschrittsfeindliche Gesellschaft darniederzuschimpfen und aus dem Felde zu lügen.

Die Jansenisten lieferten als reichhaltigste Fundgrube zu unermüdlicher Ausbeutung durch deutsche Biedermänner die »Auszüge verderblicher Behauptungen,« welche die Jesuiten jederzeit und beharrlich gelehrt haben sollten. Wiewohl die Grundlosigkeit dieser »Behauptungen« damals überzeugend nachgewiesen worden ist, sind sie noch immer die Pandekten aller Jesuitenfeinde. – Eine andere Schrift, unter dem Titel »dreifache Nothwendigkeit,« stellte diese auf in der Vertilgung der Jesuiten, der Entfernung des Dauphins (Vaters Ludwigs XVI) von dem Thron, der Vernichtung des Ansehens der Bischöfe, und hätte gerade durch diese Zusammenstellung die Augen über die letzten Zwecke des wider die Jesuiten Begonnenen am sichersten öffnen können und sollen. Auf Choiseuls Geheiß erschien das Machwerk, welches den Titel führte: »die Jesuiten des Hochverraths schuldig in Theorie und Praxis.« In schlauer Berechnung des noch unverblichenen Eindrucks, den die Attentate bei Trianon und in Lissabon zurückgelassen hatten, durfte man sich von solcher Anschuldigung die durchgreifendste Wirksamkeit versprechen. Darum sollten die Jesuiten in allen Ländern den Königsmord gelehrt, diesen aber in Frankreich an Heinrich III, Heinrich IV, Ludwig XIV, dem grossen Dauphin, dem Regenten, an Ludwig XV, sodann in letzter Zeit an dem König von Portugal versucht haben. »Immer,« heißt es in dieser Schmähschrift, »immer führten sie den Dolch in der Hand, um ihn jedem Fürsten, der nicht von ihnen wolle geleitet werden, in das Herz zu stossen; um mit demselben jeder fremden Macht zu dienen, welche ihnen Zugeständnisse verheisse.« Diese Schrift gieng so weit, um dem gläubigen Leservolk den[332] König von Preussen geradezu als Mitverschwornen derselben zu bezeichnen.

Diese Anschuldigung des Königsmords (obwohl es an dem Beweis eines solchen bis auf den heutigen Tag noch mangelt) spielte damals und spielt noch heutzutage selbst bei Solchen, die vor der Vollführung nicht so besonders zurückschaudern würden, eine so bedeutende Rolle bei dem obligaten Ingrimm eines Gebildeten gegen die Jesuiten, daß einige Rückblicke auf dergleichen Versuche wohl mögen erlaubt seyn. Der erste war der Anschlag eines gewissen Barrieres auf Heinrich IV. Schon dieser sollte von den Jesuiten ausgegangen seyn. Was verschlug es, daß Frankreichs Reichshistoriograph aus den Acten bewies, daß ein Spanier, welchem Barrieres zu Madrid sein Vorhaben mitgetheilt hatte, hierüber mit einem Jesuiten gesprochen, dieser von der That ernstlich abgemahnt und den Anzeigenden veranlaßt habe, den Anschlag dem französischen Gesandten zu offenbaren, damit dieser (was auch geschah) den König zu Vorsichtsmaßregeln veranlasse? Matthieus Werk stand bestaubt in den Bibliotheken, die Lügenschriften hingegen durchflogen mit frischen Schwingen die Welt. – Wer wußte es noch, daß Chatel selbst unter der grausamsten Folter erklärt hatte: kein Jesuit habe um seinen Mordanschlag gewußt, noch weniger ihm denselben angerathen? Wer erinnerte sich noch, daß selbst die frevelhafte Beichte, mittelst deren man solches doch noch zu erfahren hoffte, fehlgeschlagen hatte? Wer gedachte noch der eigenen Erklärung des Königs in Gegenwart des Parlaments: »man Chatels schwarzer That habe kein Jesuite Theil gehabt?« Rein vergessen war dieses Alles. Das aber hatte man nicht vergessen, daß Chatel (so wie übrigens auf der Universität) bei den Jesuiten in Clermont studirt hatte, daß nach dessen Anfall das dortige Collegium auf die gewaltthätigste Weise durchwühlt, daß hierauf der Pater Guignard (ohne den geringsten Beweis von Schuld) aufgeknüpft worden war; also Zeugnisse genug, um neuerdings die Geschichte zu verfälschen, dem würdigen Zweck das schöne Mittel anzupassen; der geringfügige[333] Umstand, daß ein Jahr nach Guignards Mord das Parlament selbst gestehen mußte: es habe bei jener Verurtheilung übereilt gehandelt und die Rechtsformen verletzt, mußte dabei ausser jede Berücksichtigung fallen. – Da bei Ravaillacs That, trotz aller Folter, abermals gegen die Jesuiten nichts herauszubringen war, half sich das Parlament in seinem Drang, diese dennoch hineinzuziehen, durch das Verbrennen von Mariana's Schrift. Unsern redlichen Zeitungsblättern und ihrem lichtgierigen Publikum genügt dieses vollkommen, um durch Folgerungen beizufügen, was in den Acten sich nicht finden läßt; wogegen Heinrichs früherer Rückberufung der Jesuiten und seiner Wittwe nachheriger Gunst gegen dieselben entlastende Beweiskraft höchstens für beschränkte Köpfe oder verknöcherte Ultramontaner zugestanden wird. – Was endlich Damiens anbetrifft, so hat es auch da nicht an Bemühungen gefehlt, die Jesuiten mit demselben zu verwickeln, obgleich jeder Parteilose weiß, daß diesem so wenig als den frühern Meuchlern die Folterqualen eine Aussage gegen dieselben zu erpressen vermochten und daß selbst Voltaire dieses nicht allein anerkennt, sondern bezeugt, er müßte sich zum elenden Nachbeter der Jansenisten herabwürdigen, wenn er anders sprechen wollte. Immerhin! Hatte aber nicht das Parlament eine Betheiligung der Jesuiten herauszubringen gehofft; hatten aber nicht die Jansenisten auf eine solche angespielt; war es aber nicht gelungen, Argwohn gegen sie herzurufen? Dieser ist geblieben, indeß das Rechtfertigende, was die Procedur zu Tage gefördert, der Vergessenheit verfiel.

So stand an Behendigkeit, Mittel zu dem Zwecke zu schaffen, diese Zeit der unsrigen nicht nach. Unbestritten gebührt hierin der Vorzug den Jansenisten. Sie besonders bewährten sich durch die Schrankenlosigkeit, Abentheuerlichkeit und Widersinnigkeit der zusammengejagten Anschuldigungen als dienstbare Werkzeuge des Parlaments und haben daneben die traurige Genugthuung sich verschafft, noch fortwährend als vollgültige Gewährsmänner bei verwandten Bestrebungen aufgerufen zu werden. Deßwegen[334] ist der Wahn, die Parlamentsbeschlüsse gegen die Jesuiten wären Ergebniß einer bestimmten Thatsache, natürliche Folge einer gemachten wichtigen Entdeckung, eine Schlußnahme gewesen, wozu plötzlich gewonnene Einsicht geführt hätte, nichts weiter als die Folge eines künstlich angelegten und wohlberechneten Blendwerkes. Diese Aufhebung war einfach die Vollendung eines längst gehegten und seiner Verwirklichung beharrlich entgegengeführten Anschlages, zu dessen letzter Vollziehung nicht bloß die bereits bezeichneten Mittel der Tagesschriftstellerei, sondern auch, rückgreifend in die Vergangenheit, das Schmieden falscher Actenstücke dienen sollte.

Denn zu eben der Zeit, da Damiens seinen Mordversuch anstellte, also noch fünf Jahre, bevor man den Augenblick zu Vollführung der vorbereiteten That günstig erachtete, wurde ganz Frankreich urplötzlich mit einem angeblichen Edicte Heinrichs IV an alle Parlamente, worin er die Jesuiten als Anstifter verschiedener Mordversuche gegen seine Person aus dem ganzen Reich verbannt, gleichsam überschwemmt. Das angebliche Actenstück war vermuthlich durch den Abbé Chauvelin verfertigt worden. Wiewohl aus der äussern Form, aus Abweichungen in der Tagesangabe, aus Styl, Ausdrücken (die Könige bedienten sich immer der Worte: dans les lieux de Notre obeissance, die Parlamente hingegen derjenigen: dans les lieux de notre ressort, und hier kanten die letztern vor) und Orthographie, endlich aus dem Umstand, daß es bis zu seinem Erscheinen allen Geschäftsmännern und allen Schriftstellern durchaus unbekannt geblieben war, seine Unächtheit alsbald bis zur Evidenz erwiesen wurde, mußte es doch als ächtes Actenstück gelten, wogegen über die Gesinnungen, welche Heinrich IV bei verschiedenen Veranlassungen in Wort und That rücksichtlich der Jesuiten an den Tag gelegt hatte, gänzlich sollte hinweggesehen werden. Vermuthlich aber muß, ungeachtet des riesenhaften Widerspruches, in welchem diese mit jenem Papier treten, dasselbe noch heutzutage bei denjenigen Allen, welche in[335] ihrer Berserkerwuth jedes Mittel für erlaubt, ja preiswürdig erachten, als rechtskräftiges Actenstück gelten.

Solche Schriften hingegen, welche entweder die Lügen aufdeckten, oder den hingeworfenen Behauptungen Gründe gegenüberstellten, oder überhaupt in einem für die Gesellschaft günstigen Sinn verfaßt waren, wurden zu jener Zeit durch die wider die Jesuiten mit aller Betriebsamkeit Auftretenden behandelt, wie von der Zerstörungsparthei unserer Tage ähnliche Schriften behandelt werden. Jetzt vereinigt man sich, dieselben zu verschreien, ihre Verfasser zu verdächtigen, diesen Manches anzudichten, was sowohl ihre Personen als ihre Absichten in schiefes Licht stellen soll. Damals stand jedoch ein expeditiveres Mittel zu Gebot; zwar nicht mehr das frühere, deren Druck geradezu zu untersagen, aber das Parlament ließ sie auf öffentlichem Platze durch den Henker verbrennen. Es ist nicht zu zweifeln, daß unsere Förderer der Menschheit dasselbe noch jetzt gerne anwenden würden, wenn es gleich mit dem Wortlaut ihrer Reden in allzu grellem Mißverhältniß stünde; sie mögen nur bedauern, daß sie hiezu zu ohnmächtig sind. Dieses Mittels bedienten sich die Legisten jener Zeit gegen eine Schrift, welche den »Auszug aus den Parlaments-Protokollen« (worin jenes Edict Heinrichs IV enthalten seyn sollte) mit dem »Auszug aus den Behauptungen« verglich und die Widersprüche zwischen beiden aufdeckte. Aehnliches Loos traf eine im Jahr 1756 durch die Jesuiten veranstaltete Schrift: »Die Wirklichkeit des Anschlages von Bourgfontaine.« War dieser Anschlag wirklich eine Fabel, wie die zwei Jahre später verfaßte Schrift: »Die siegende Wahrheit und Unschuld,« darzuthun versuchte, so. hätte man dieselbe füglich auf sich können beruhen lassen, ohne durch eine solche Maaßregel die Vermuthung zu begründen, das an das Tageslicht Gezogene dürfte doch mehr als Fabel seyn.

Die Sache ist diese. Der königliche Advocat Johann Filleau zu Poitiers hatte im Jahre 1654 der Königin, Mutter Ludwigs XI V, Anzeige von einer Verabredung zwischen sechs Personen gemacht, die sich zum Ziel gesetzt hätten, die geoffenbarte[336] Religion und vordersamst den Katholicismus in Frankreich zu stürzen und die Jesuiten auf Tod und Leben zu verfolgen. Die Verbundenen nannten sich die Wissenden und vollkommen Erleuchteten und – gleich den spätern Illuminaten bezeichneten sich selbst sowohl, als ihre Gegner durch angenommene Namen. Man hat diese Anzeige Filleau's für ein Mährchen erklärt; und es mag seyn, daß die Jesuiten dasselbe nach Umfluß von hundert Jahren wieder aufwärmten, weil sie darin eine Waffe wider ihre Gegner erblickten. Deßungeachtet ist die Grundlosigkeit des Vorgegebenen noch lange nicht erwiesen; ja die Stellung und die persönlichen Verhältnisse derjenigen, welche die größte Mühe sich gaben, den Glauben an diese zu begründen, bietet für die Vermuthung, Filleau möchte doch geheimen Entwürfen auf die Spur gekommen seyn, ein nicht so kurzweg zu entkräftendes Gewicht dar. Jedenfalls schwebt über der Sache ein kaum zu enthüllendes Dunkel; gewiß bleibt nur das, daß das Parlamentsverfahren gegen das Büchlein das schlechteste Mittel war, um die Unstatthaftigkeit der gemachten Anzeige zu erhärten.


Solcher Art nun waren die Mittel, welche zu dem Zwecke führen sollten. Die schonungslose Härte, unter der in den drei Königreichen die Gewaltmaßregeln gegen die Gesellschaft in Vollziehung gesetzt wurden, und zu der man auch andere Staaten verlocken konnte, zeugt wieder eher für als gegen die Gesellschaft. Denn überall, wo erwiesene Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen sind, darf man unbedenklich der Gerechtigkeit ihren Gang lassen; sicher, daß deren offenes und richtiges Walten jeden Irrthum verhüten und jeden Zweifel verscheuchen wird, diese hingegen nothwendiger Weise immer sich festsetzen müssen, sobald man auf der Bahn der Willkür sich verläuft. Darum müssen jedenfalls die Verfügungen der Fürsten (oder[337] vielmehr ihrer Minister) in dieser Angelegenheit von dem trüben Lichte bloßer Gewaltsschritte umzogen werden. Zwar ließ sich unter allem Rausch von unbedingter Machtherrlichkeit eine dunkle Ahnung, daß der Rechtsboden ein festerer seyn dürfte als derjenige der Willkür, nicht durchweg abweisen. Dieser festere Boden ließ sich aber nur dadurch gewinnen, daß man von dem Oberhaupt der Kirche ein Proscriptionsedict gegen die dem Haß preisgegebene Gesellschaft zu erwirken sich bestrebte. Aber selbst die Weise, wie dieses erzielt werden sollte, entspricht durchaus dem bisher bezeichneten Verfahren. Choiseul, des langsamen Voranschreitens der Sache überdrüssig und frivol genug, um zu meinen, ein solcher Mönchshader sollte durch einen einzigen Federzug abgemacht werden können, schlug den übrigen bourbonischen Höfen vor, mit kurzem Worte von Clemens XIII die Aufhebung des Ordens zu verlangen. Daß das Oberhaupt der Kirche nur unter Darlegung der gewichtigsten Gründe in ein solches Begehren einwilligen werde, könne und dürfe, das kam ihm bei seiner Petulenz gar nicht zu Sinne. Um erst seinem bereits genugsam eingeschüchterten und zagenden Herrn die Zustimmung zu dieser Forderung abzulocken, setzte er Furcht und Stolz, bei dessen indolenter Entnervung die einzig wirksamen Triebfedern, in Bewegung. »Gregors VII Entwürfe tauchen wieder auf,« flüsterte er dem Furchtsamen zu; »soll der Sohn eines venetianischen Handelsmannes (Elemtens XIII) einem Enkel des heiligen Ludwigs Trotz bieten?« herrschte er den Stolzen an. Hiedurch war Ludwig überwältigt, er nickte endlich dem Begehren des Ministers sein königliches Ja zu.

Um sodann, da dieses abgezwungen war, dem Papst die unzweifelhafte Rechtmässigkeit des Verlangten einleuchtend zu machen, überrumpelten französische Truppen Avignon, brachen neapolitanische Kriegsknechte mitten im Frieden in Benevent und Ponte-Corvo ein, mußte der Herzog von Parma Ferrara bedrohen. Der französische Gesandte in Rom glaubte die Rechtsgründe bedeutend zu verstärken, indem er den Vorschlag machte, durch vereinte Waffengewalt Rom vom Meer und vom Land[338] auszuhungern, zugleich mittelst dieser Vorkehrung, um weiter noch dem Papst die überzeugendsten Beweise von der Rechtmässigkeit und Wohlthätigkeit der gemachten Forderung zu liefern, einen Volksaufstand zu veranlassen. Wie man auch über den sanften, frommen Clemens XIII urtheilen mag, er hat in dieser Angelegenheit eine Festigkeit bewiesen, welche ihn den Würdigsten unter seinen Vorfahren anreiht. Weder die Fluth unerwiesener Beschuldigungen, noch die anfänglichen Versuche, das Beabsichtigte von ihm zu erbuhlen, noch die hierauf von allen Seiten gegen den irdisch Wehrlosen erhobenen Bedrängnisse waren mächtig genug, ihn mit der Erfahrung zweier Jahrhunderte, mit der Obsorge um das Wohl der Kirche, mit der Einsicht in die letzten Zwecke des Begonnenen, mit der eigenen bewährten Ueberzeugung in Widerspruch zu verwickeln. Den erstern stellte er in der merkwürdigen Bulle Apostolicum ein beredtes Zeugniß über die vielfältigen Verdienste der schuldlos Verfolgten, den zweiten das Bewußtseyn von Pflicht und Würde, den dritten Standhaftigkeit und Gottvertrauen entgegen. Die Nachwelt mag richten zwischen dem stürmischen Uebermuth der fürstlichen Begwaltigten und dem Wort des greisen Oberhauptes der Kirche: »Lieber will ich, gleich jenen ersten Nachfolgern des heil. Petrus, mein Leben im Elend beschliessen, als am Rande des Grabes meine grauen Haare schänden durch Verrätherei an meiner Pflicht.« Welches Unheil wäre der Welt erspart worden, wenn Jeglicher (nicht bloß jeder Papst) zu aller Zeit, in jedweder Stellung unverrücktes Festhalten an der Pflicht zum Lichte seines Lebens würde gemacht haben? Als dann der Tod dieses Papstes etwelchen Aufschub in die Sache brachte, erlaubten sich die Gesandten der hiezu verbundenen Hofe in Betreff dieser Angelegenheit die übermüthigste Sprache gegen das Conclave.[339]

Die ungewöhnlich lange Dauer desselben (über vierthalb Monate) bewies, daß die Caldinäle die Zeitumstände erwogen, vielleicht zwischen den Rücksichten auf diese und dem, was Pflicht und Recht zusammt der Würde der Stellung geboten, hin- und her wankten. Vermuthlich dürften in beförderter Widerbesetzung des heiligen Stuhls diese dennoch die Oberhand gewonnen haben, hätte nicht die Diplomatie ungewöhnlich viel mit der Wahl sich zu schaffen gemacht und in denjenigen Cardinälen, welche mehr den Willen ihrer Höfe als die Pflicht gegen die Kirche ins Auge faßten, nur allzudienstfertige Gehülfen gefunden. Bei solcher Gesinnung waren es besonders die spanischen Cardinäle, welche die Erwäblung des Cardinals Ganganelli betrieben. Ob ihnen seine Person genügende Bürgschaft gab, er würde dem so längst mit Ungestüm Geforderten entsprechen, ist nicht gewiß, nur auffallend, daß er, an welchen am wenigsten gedacht wurde, und dieß durch solche Förderer, auf St. Peters Stuhl erhoben ward. Gewisser ist es, daß er lange Zeit dagegen sich sträubte; nicht in großartigem Entgegenstreben, welches weniger die Folgen als die Pflicht in's Auge faßt, nicht mit jener erhabenen Würde, welche Ruhe, Sicherheit und am Ende das Leben selbst unbedenklich einsetzt, um unangetastet und unverrückt jene zu retten, sondern mehr in Ausflüchten, in allerlei kleinlichten Windungen, in Hülfsmitteln, deren Art dem Wesen eines Oberhauptes der Kirche nicht ganz angemessen seyn dürfte. Zwischenein begieng er aber doch die Schwachheit, dem König von Spanien zu schreiben: »die Glieder der Gesellschaft hätten ihres unruhigen Geistes und der Keckheit ihrer Umtriebe wegen den Untergang wohl verdient.« Damit hatte er sich wehrlos den Dienern dieses Fürsten ausgeliefert. Der König ordnete nun nach Rom als Stellvertreter, nicht bloß seiner Person und seiner Macht, sondern auch seines barschen Begehrens, den zum Grafen von Florida Blanca beförderten vormaligen Fiscal Monino. Dieser trat auf mit der Drohung: der König werde jenen Brief drucken lassen, hiedurch den Papst vor aller Welt Augen brandmarken. Gegen solche schwerlich[340] abzuwendende Gefahr hielten die aus dem Zwiespalt zwischen Pflicht und Gefälligkeit hervorgehenden Ausflüchte nicht lange vor; Monino ward fort und fort ungestümer, übermüthiger, also daß es allgemeine Sage ward, er habe zuletzt den Papst sogar genöthigt, den Entwurf einer Unterdrückungsacte des Ordens durch ihn selbst vorlesen zu hören.

Ob dieser Sage eine wirkliche Thatsache zu Grund liege oder nicht, so viel ist gewiß, daß aufmerksamem Lesen des päpstlichen Breve's wider die Gesellschaft Jesu unmöglich entgehen kann, daß darin ein Widerhall der zu Lissabon, Madrid und Paris in Umlauf gesetzten Anschwärzungen nachtone. Z. B. in der Stelle: »aus diesen wichtigen Beweggründen und aus andern Ursachen, welche die Regeln der Klugheit und der Obsorge um die beste Leitung der allgemeinen Kirche an die Hand bieten und die Wir in Unserer Brust verschlossen behalten;« – hören wir dieselben Worte, welche die spanischen Minister ihrem König in Bezug auf die entdeckte Verschuldung des Ordens in den Mund legten. Vorher dann: »die unbeschränkte Gewalt, die sich der vorgesetzte General dieser Gesellschaft anmaßte,« – was schallt aus diesen Worten Anderes, als das Echo der französischen Parlaments-Incriminationen, welchen hiemit grösseres Gewicht verliehen ward, als demjenigen, was unter den Augen der Oberhäupter der Kirche sich gebildet, entwickelt, gefestigt, durch ihre Gutheissung rechtliches Bestehen gewonnen hatte? Das Verbot gegen alle und jede Ordens- und Weltgeistlichen: »sich nicht gelüsten zu lassen, etwas für oder wider die Gesellschaft zu schreiben, von dieser Aufhebung und ihren Ursachen und den damit in Verbindung stehenden Dingen ohne ausdrückliche Erlaubniß des Papstes weder schriftlich noch mündlich Etwas zu aussern,« – ist es nicht die treue Copie der königlich spanischen Ordonnanz in Betreff der gleichen Angelegenheit? Vollends dann der Ausdruck: »Der Regularorden, welcher gemeiniglich (qui vulgo dicitur) die Gesellschaft Jesu genannt wird,« – heißt dieß nicht so viel, als wäre jene Benennung eine erschlichene, eine unbefugt angenommene, eine etwa[341] durch den Spott beigelegte, oder durch blinde Verehrung aufgedrungene, nirgends sanctionirte, amtlich niemals gebrauchte? Hätte im Widerspruch gegen alle Actenstücke, gegen alle Urkunden, gegen eine dritthalbhundertjährige unveränderliche Uebung, gegen den nie verrückten Geschäftsstyl so vieler Vorfahren, gegen Gregors XV unmißverstehbare Erklärung: Statuimus, nomen Jesu, quo laudabilis hic ordo nascens a sede apostolica nominatus est et hactenus insignitus, perpetuis futuris temporibus in eo retinendum, von einem nach freyem Ermessen handelnden Oberhaupte der Kirche ein solcher Ausdruck je können gebraucht werden?

Wie immer es mit jener Sage sich verhalten möge, das ist gewiß, daß das Breve: Dominus ac redemptor, erschien, (allem bisherigen Gebrauch der Kirche in den wichtigsten Angelegenheiten zuwider) ohne vorangegangene genaue Untersuchung, ohne Berathung mit den Cardinälen, ohne Zuziehung des heiligen Collegiums. Aber auch das ist gewiß, daß Clemens XIV mit aller Willfährigkeit, zu thun, was ihm möglich, es doch den hitzigsten Feinden der Gesellschaft nicht zu Dank machen konnte. Sie hatten eine Bulle erwartet, ein blosses Breve wollte sie nicht befriedigen. Sobald aber dieses erschienen war, »wurde es auch,« wie Johann von Müller sagt, »weisen Männern bald bemerklich, es seye eine gemeinschaftliche Vormauer aller Autorität gefallen.«


Die Weise, in der, noch lange bevor der Papst gesprochen hatte, die Individuen der Gesellschaft durch die zu ihrem Umsturz Verbündeten behandelt wurden, setzte dem Verfahren gegen sie die Krone auf. Diese Behandlung sollte mit den Beweggründen zu ihrer Vertreibung, mit dem eingehaltenen Rechtsverfahren, mit den angewendeten Mitteln in vollkommenen Einklang treten. Pombal ließ sämmtliche Ordensglieder in allen[342] Besitzungen Portugals, diesseits und jenseits des Meeres mit Ausnahme der Obern und sämmtlicher angesehener Glieder der Gesellschaft, die er für die ausgesonnenen Marter seiner Kerkerhölen aufgespart hatte, ohne Rücksicht auf Alter, Schwäche, Gebrechlichkeit, Herkunft, Verdienste zusammentreiben, mitten im Winter auf königliche Kriegs- und Kauffarteischiffe laden, auf der Ueberfahrt an Allem Noth leiden, endlich an den italienischen Küsten aussetzen, wo sie, ihrem Schicksal überlassen, nicht einmal mit den spärlichsten Mitteln künftigen Bestehens versehen wurden. Selbst die französischen Philosophen fanden darin ein Uebermaaß von Grausamkeit, der König von Spanien hingegen ein theilweise nachahmenswerthes Beispiel. Am Morgen des 2. Aprils 1767 hatten die Landpfleger und die Städtemeister in allen spanischen Besitzungen der vier Erdtheile ein dreifach versiegeltes Schreiben zu eröffnen, welches ihnen unter Androhung von Todestrafe befahl, mit gewaffneter Macht sämmtliche Häuser der Jesuiten zu besetzen, ihre Personen zu ergreifen, binnen vierundzwanzig Stund en nach einem bezeichneten Hafen zu transportiren und sie dort unverzüglich einzuschiffen, bloß mit ihrem Brevier, einiger Wäsche und etwas Wenigem an Geld versehen. So wurden 6000 Priester jedes Alters, manche von hoher Geburt, andere durch Wissen ausgezeichnet, Greise an der Schwelle des Grabes, Schwache, Kranke, aufs hohe Meer geschleudert, ohne zu wissen wohin. Genua, Livorno, selbst Civitavecchia wies sie ab. Ohne Hülfe, ohne Hoffnung, durch Beschwerden und Krankheit täglich sich verringernd, mußten sie sich bei sechs Monaten auf dem Meere herumtreiben, bis ihnen endlich auf der Insel Corsica aus Land zu steigen, in den Casematten der dortigen Bollwerke ein trübsalvolles Leben zu fristen gestattet ward.

In Frankreich bestand das Gewaltthätigste nicht darin, daß die Glieder der Gesellschaft zu Ablegung ihres Gewandes gezwungen, nirgends ihrer mehr als Fünf beisammen geduldet wurden; nicht darin, daß man mit der habsüchtigsten Gier nach ihren Gütern griff und mit der härtesten Kargheit kaum die[343] nothdürftigsten Mittel zu ihrem Lebensunterhalt ihnen zukommen ließ; sondern darin vornehmlich lag es, daß man sie wegen der Weigerung des Eides, wodurch sie selbst ihren Orden als strafbar und verwerflich hätten erklären sollen, nicht allein der sparsanten Unterstützung, sondern selbst der Fähigkeit zu kirchlichem Dienst beraubte, und sogar aus dem Lande verbannte. Der Friede, die Ruhe des Landes fordern dieß, hieß es damals mit gleich keklichem Grinsen, wie heutzutage. »Choiseul,« sagt ein französischer Schriftsteller des gegenwärtigen Jahrhunderts, »vertilgte sie, wo immer er sie traf, mit einer Härte der Vollziehungsformen, wozu utan in der Geschichte aller Völker kein Seitenbild findet; nur die ersten Proscriptionen im Jahr 1789 bieten Vergleichungspunkte dazu dar.« (Doch hätte der Verfasser auf die Aufhebung der Tempelherren durch den habsüchtigen Philipp den Schönen zurückgehen dürfen, würde er hierin ein entsprechendes Seitenbild gefunden haben).

Sollte in diesem Allem ein zureichendes Ersatzmittel für die mangelnden Beweise der Schuld liegen? Sollte diese etwa noch bündiger dargethan werden durch das nachmalige Verfahren im Kirchenstaat, wo man die Jesuiten nicht bloß als Gesellschaft, sondern so zu sagen priesterlich tödtete; indem ihnen das Breve erst gestattete (wie es auch ohne den willkürlichsten Einbruch in die Kirchengesetze nicht anders konnte), nicht nur alle priesterlichen Verrichtungen in dem Stand von Weltgeistlichen fortzusetzen, sondern ihnen (ebenso natürlich) zu allen kirchlichen Würden und Beneficien Zutritt eröffnete, vierzehn Tage später dagegen ein Rundschreiben sämmtlichen Bischöfen des Kirchenstaates auf das Bestimmteste untersagte, ihnen irgend eine kirchliche Verrichtung zu erlauben. Die Glieder der Gesellschaft waren demnach ihrer Ordensverbindung entrissen, als Weltgeistliche aber jeder Verrichtung unfähig erklärt, doch in den Layenstand ebensowenig zurückversetzt. Somit war ihnen durch eben das Ansehen, bei welchem sie sonst Schutz und Hülfe unter allen Begegnissen hätten suchen und finden sollen, in einer Weise Bande angelegt, wie die Geschichte der Kirche in ihrem langen[344] Verlauf nichts Aehnliches aufzuweisen hat. Konnte byzantinischer oder czarischer Machtrausch je weiter gehen? Allein gerade diese Eructation des Machtrausches schlägt in ein Zeugniß gegen diejenigen um, in welchen derselbe sich zerarbeitete. Die Hofföldlinge in Rom sahen, wie alsbald nach Erscheinen des Breve's die Glieder der Gesellschaft nicht nur unter allen Unbilden ihren priesterlichen Obliegenheiten Genüge zu thun sich strebten, wie sie zu lehren fortfuhren, wie sie in den Kirchen zu Beicht saßen, sondern wie dessen das Volk froh war, wie alle Stände zu ihnen sich hindrängten. Da preßten Schaam und Furcht ihnen jenes unerhörte Rundschreiben aus, welches derjenige, der in der Hauptsache den Stürmern endlich zu Willen geworden, nun zu verweigern keine Kraft mehr hatte.

Sollte die Schuld wider jeden Zweifel gesichert werden durch den Befehl: wenn der Papst nach Castel-Gandolfo ziehe, dürfe bis auf sechs Meilen kein Jesuite dem Schloß sich nähern, durch die unverkennbare Absicht, hiemit den Verdacht verbrecherischer Anschläge auf sie zu wälzen? Sollte dieselbe erhärtet werden durch die Form der verfügten Verhaftungen, wie sie kaum bei den gefährlichsten Verbrechern in Anwendung gebracht wird? Sollten die Ketten, welche man dem würdigen P. Guntier um Hals, Leib und Füße warf, die verpestete Höhle voll allartigen Ungeziefers, worin man ihn über ein Jahr schmachten ließ, die Stelle einleuchtender Thatsachen vertreten? Meinte man, ein zwingender Beweis maaßloser Verschuldung müsse aus dem Verfahren herausspringen, welches gegen den hochbejahrten, sanften und in Alles sich fügenden Ordensmann, den General P.. Ricci, angewendet wurde, dem selbst seine treuesten Freunde keinen andern Vorwurf zu machen wußten, als daß er die immer drohender gewordenen Gefahren durch Weinen und Beten abzuwenden gehofft, zu festen und schnellen Entschlüssen hingegen die erforderliche Entschiedenheit nicht besessen habe? Denn wäre wirklich der Orden eine solche Synagoga Satanae gewesen, wie zu jener Zeit vorgegeben wurde und in der unsrigen mit oraculirender Frechheit wiederholt wird, so ergäbe[345] sich aus P. Ricci's Betheurungen, daß einzig er als General, dessen despotische Gewalt über alle Glieder ein Hauptvorwurf gegen die Gesellschaft ist, um all dieß satanische Treiben allein nichts gewußt hätte. Oder wäre derselbe wirklich eine solche dämonische Natur gewesen, um im Augenblicke des Todes, gleichsam Angesichts des gegenwärtigen Erlösers, am 19. Nov. 1775 mit sterbender Hand jene Erklärung niederzuschreiben, in deren Eingang er sagt: »Ich erkläre und bezeuge, daß die aufgehobene Gesellschaft Jesu keinen Beweggrund oder Ursache zu ihrer Aufhebung gegeben hat. Ich erkläre und bezeuge es mit derjenigen moralischen Gewißheit, welche ein Oberer, der über seinen Orden unterrichtet ist, nur immer haben kann.« War aber die Schuld des Ordens und die in diesem Fall unabweisliche Mitbetheiligung des Obern eine so ausgemachte Sache, wie konnte der zu dessen Einvernahme beauftragte Verhörrichter, Hr. Andreetti, auf des Generals wiederholte Nachfrage um die Ursache seiner Verhaftnehmung ihm erwidern: »Begnügen Sie Sich damit, daß Sie keines Verbrechens wegen gefangen gesetzt sind; was Sie auch daraus entnehmen können, daß ich Sie niemals über ein solches befragt habe.« Sollte daher dem mangelnden Verbrechen die beispiellose, haarsträubende Grausamkeit in der Behandlung des Gefangenen wenigstens einen Schein leihen? Man lese die Denkschrift, die derselbe aus seinem Kerker an Pius VI gerichtet hat, und antworte, ob man der leiblichen nicht die moralische Qual beigesellt habe, und dieß mit einer ausgesonnenen Künstelei, wie man sie sich gegen den entmenschtesten Verbrecher schwerlich würde erlaubt haben. Es war ein Verfahren, welches selbst dem stürmischen Aranda die Aeusserung ablockte: »Wozu dergleichen Wüthereien? Wir haben ja nichts weiter als die Aufhebung der Gesellschaft Jesu verlangt!«

Läge zuletzt ein Beweis der Schuld darin, daß durch die Commission, welche Clemtens XI V gegen die Gesellschaft zum größten Theil aus deren bittersten Feinden niedergesetzt hatte, Mehrere von den übrigen Verhafteten alsbald nach ihrer Loslassung,[346] ohne Vorwissen des Papstes und Landesherrn, von Rom verwiesen, Allen aber auf's strengste untersagt wurde, von dem, worüber sie in den Verhören befragt worden, je das Mindeste verlauten zu lassen? Hat die wahre Gerechtigkeit nothwendig, in ein so undurchdringliches Dunkel sich zu hüllen, über Hand und Zunge der Menschen einen solchen Bann zu sprechen? Hat das innerlich gesicherte Bewußtseyn derselben die Prüfung und Erörterung ihrer Handlungen je zu scheuen? Läge nicht vielmehr in alle dem Betreiben, womit die zu dem gleichen Zwecke Verbrüderten einander zu überbieten sich bestrebten, sodann in den gegenseitig darüber entschlüpften Vorwürfen Zeugniß und Gewicht, um ein richtiges Urtheil sich zu bilden? Während eben des Zeitverlaufs, in welchem allerwärts solcher Willkür gegen die Jesuiten ungezügelt der Lauf gelassen wurde, sagten die englischen Zeitungen, doch gewiß nicht in Sympathie für jene, sondern in preiswürdiger Entrüstung über so maßlosem Niedertreten des Rechts und der Gebote der Menschheit: »das Menschengeschelecht möge für seine unantastbaren natürlichen Rechte auf der Hut stehen; denn nimmer länger wären dieselben gesichert, sobald Menschen unmittheilbarer Beweggründe wegen konnten verurtheilt, sobald weder Last noch Schuld, die auf ihnen haste, wolle dargelegt werden.«

Und dieses, und zwar in solcher Art, und in solchem Umfang wurde ins Werk gesetzt zu einer Zeit, in welcher Alles sich anstrengte, gegen die Barbarei der vorigen Jahrhunderte den sentimentalsten Abscheu in den zierlichsten Phrasen sich anzuschmachten; zu einer Zeit, in welcher man sich gegenseitig der errungenen Zierlichkeit und Milde der Gesittung wegen belobspruchte. Es wurde ins Werk gesetzt gegen Tausende von Männer, denen man nicht Anderes vorwerfen konnte, als einer Verbindung anzugehören, welche nun einmal die Macht- und die Wortführer der Zeit aus dem Inventarium der Kirche zu streichen sich verbunden hatten. Wer aber wollte zweifeln, daß in unsern Tagen dieselbe Gesinnung, welche bei einem einzigen, dem scheußlichsten Verbrecher mehr zugezählten Streich ein Zettergeschrei[347] über Unmenschlichkeit erheben und wegen eines ihm zu spät gebrachten Brei's in ihren zartesten Gefühlen sich verletzt finden würde, mit kaltem Hohnlachen in jene Gräuel hinblicken könne? Wurden ja alle diese empörenden Barbareien nur gegen Jesuiten verübt, gegen welche die Wissenden das Halloh erheben, welches der Troß der Unwissenden in gellendem Geheule nachbrüllt.

Die Gerechtigkeit und Menschen verachtende Willkür der Gewaltigen zeigte sich um diese Zeit auf ihrem Scheitelpunct, nach Innen in diesem Verfahren gegen die Gesellschaft Jesu, nach Aussen in den Gewaltsschritten gegen Polen. Jenes und diese sind der gleichen Wurzel entwachsen: – dem Machtrausch, der kein Gesetz über sich anerkennt. Man kann nicht über die eine Handlung den Schrei des Unwillens und über die andere Freudengejauchz erheben. Billigung oder Mißbilligung muß beide gleich treffen; beide sind Unflathskinder der gleichen Eltern. Es dauerte aber nicht lange, bis die blutschänderische Umarmung dieser Bastarde das Scheusal zeugte, welches den Mordstahl gegen die rechtmäßigen Nachkommen des geilen Ahnherrn noch jetzt nicht aus den Händen gelegt hat. Sah Clemens XIII nicht weiter, als die sogenannten philosophischen Staatsmänner und die durch sie gegängelten Regenten, wenn er dem Kaiser schrieb: »Soll, was dem Stärkern gefällt, deßwegen als Recht gelten, so muß Jeder einsehen, daß es auch für die Fürsten keine Sicherheit mehr gibt?«

Zu eben der Zeit, als in Frankreich alle Mittel in Bewegung gesetzt wurden, um die Gemüther wider die Jesuiten aufzuregen und Jansenismus und Magistratur wetteifernd den Wünschen der Philosophen entgegenkamen, verfügte sich der Präsident d'Eguilles, der Aristides der französischen Magistratur genannt, nach Versailles und gab freiwillig vor dem Könige folgende Erklärung: »Wenn die Kirche durch die wider die Jesuiten unablässig gefällten Urtheile sich gekränkt sieht, so muß sich durch die beiden Beweggründe, von denen die Feinde der Gesellschaft zu ihrer Zerstörung angetrieben werden, der Thron[348] noch weit mehr gefährdet sehen. Der erste dieser Beweggründe ist: einer durchaus königlich gesinnten Gesellschaft die Erziehung, besonders der höhern Stände, aus den Händen zu winden. Der andere ist so gefährlich, als der erste, nämlich: durch den überraschenden Fall derjenigen Corporation, welche in dem Königreich die unerschütterlichste schien, alle andern in Schrecken zu setzen und sie fühlen zu lassen, daß der Haß des Parlaments mehr zu fürchten, als der Schutz des Königs zu suchen seye.«


Dieses lichtscheue Dunkel nun, in welches die letzten Beweggründe des Verfahrens gegen die Gesellschaft gehüllt wurden; diese in ihrer Maaßlosigkeit und Allgemeinheit in's Unbestimmte verschwimmenden Anschuldigungen, die man wider dieselbe zu häufen sich bestrebte; die stürmische Hast, in welcher unter dem Taumel der Allbefugniß ihre Feinde dem Ziel entgegenstürzten; die entsetzlichen Gewaltthaten, unter denen allein dasselbe erreicht werden konnte; die gänzliche Beiseitsetzung eines geordneten Ganges in der gesammten Angelegenheit; dieser trotzige Uebermuth, welcher in ihnen schäumte; die Barbareyen, welche ausschließlich die Stelle von Beweisen vertreten sollten: dieses Alles zusammen vereinigt sich zum Zeugniß für die Gesellschaft. Denn gegen die Schuld steht der gerade Weg offen, mögen die erlaubten Mittel unbedenklich angewendet werden, ist ein rechtliches Verfahren nicht zu scheuen, wird Gerechtigkeit die Strafe mit derselben in's Gleichgewicht setzen; um dagegen die Schuldlosigkeit zu verderben, reichen diese Mittel nicht hin, führen jene Wege nicht zum Ziel, ist ein solches Verfahren nicht das geeignete. Da müssen aussergewöhnliche Wege und Mittel aufgesucht, jene vielmehr vermieden werden. Abgesehen daher noch von den Gesinnungen und den Zu ecken der Personen, die bei diesem Zerstörungswerke als die Rührigsten und Gewaltthätigsten auftraten, schien mir von je Zeit ein bedeutendes[349] Zeugniß für die Gehaßten, in Verruf Gebrachten, Verfolgten vornehmlich in der hier dargelegten Art und Weise zu liegen, in welcher allein die Erreichung des Endzweckes möglich gemacht wurde. Denn so unbelehrbar und unnachgiebig hat da, wo beglaubigte Beschwerden, gegründet auf erwiesene Thatsachen und unterstützt entweder durch das äussere Ansehen oder durch das moralische Gewicht der Abhülfe Suchenden an ihn gelangten, der heilige Stuhl in Angelegenheiten, die das wahre Wohl der Kirche betrafen, niemals sich erzeigt, um, unter Beiseitsetzung des Völkerrechts, durch offenen Friedensbruch, durch bewaffneten Einfall, durch Aushungerungspläne, durch schnöden Uebermuth, durch Gewalthandlungen jeder Art und von allen Seiten her ihm abzuzwingen, was durch Mittel des aus Ueberzeugung hervorgehenden Einverständnisses nicht zu erzielen gewesen wäre. Das jedoch ist bloß ein negatives Zeugniß.

Es fehlt ebensowenig an den gewichtigsten, wie an den berücksichtigenswerthesten positiven Zeugnissen. Ob wir nun das grössere Gewicht auf diejenigen legen, welche durch die Zeiten hinablaufen, oder auf diejenigen aus jener Epoche, zu welcher die Verfolgung in den vollen Fluß gekommen ist, – dieselben drängen sich uns von allen Seiten entgegen. Da stehen unter jenen obenan die Thatsachen, daß durch die Jesuiten in rastlosem Zusammenwirken mit andern zur wahren Erneuerung der Kirche gesendeten Männern und in treuer Befolgung der Glaubensbestimmungen, Vorschriften und Satzungen der tridentinischen Versammlung das erschütterte Ansehen der Kirche mit glänzendem Erfolge gefestigt, dem Bestreben, dasselbe zurückzudrängen, ein starker Damm entgegengestellt, viele Verlockte der Mutter wieder zugeführt, viele Irrende zurechtgewiesen, viele innerlich wankend Gewordene auf's neue gesichert; daß die Gottesverehrung wieder mit Würde ausgestattet, das Priesterthum zu hellerem Pflichtbewußtseyn geweckt, das Volk zu sittlicherem Wandel geleitet und Manches ins Leben gerufen wurde, wodurch ein werkthätigerer Einfluß der Heilswahrheiten auf dieses selbst sollte vermittelt werden. Es reiht sich an dieses[350] die andere Thatsache, daß durch sie die unter Hader, Kämpfen, Angriffen auf die Kirche und eingerissener allgemeiner Zerrüttung zu Boden liegende Bildung der Jugend, und zwar aller Stände und nach allen Bedürfnissen, wieder emporgehoben, auf eine sichere Grundlage gebaut, nach bestimmer Ordnung geregelt, und, wie deren Bedeutung und oberster Zweck es erheischt, der Kirche inniger angefügt und hiemit wohlthätig selbst noch auf spätere Zeiten hinausgewirkt wurde. Mittermaier z.B. ersieht in seinen »Italienischen Zuständen« diese Nachwirkung einer ehemaligen Jesuitenschule zu Bormio darin, daß dort jeder Einwohner lesen und schreiben könne, während dieses lange nicht in allen Ortschaften des Lombardisch-Venetianischen Königreiches der Fall seye Diesem folgt als dritte Thatsache, daß die Gesellschaft die Leuchte des christlichen Glaubens so weit, vielleicht weiter noch und nirgendshin mit geringerem Erfolge getragen hat, als irgend ein anderer Orden. Zählt sie die Boten desselben zu Tausenden, so zählt sie diejenigen, welche freudig in so hoher Bestimmung allen Entbehrungen sich unterzogen, alle Mühsale ertragen, alle Marter erduldet, selbst ihr Leben zum willigen Opfer dargebracht haben, zu vielen Hunderten. Ihr findet die volkreichen Städte der Heiden, die sparsam bewohnten Einöden der rauhesten Erdstriche, die unzugänglichsten Wälder der Wilden, die unwirthlichsten Meeresgestade, ihr findet die Länder aller Erdtheile geröthet mit dem Blute ihrer Glieder. Könnet ihr nicht müde werden, das Lob zu verkünden jener Dreihundert, die in Treue gegen das Vaterland an den Thermopylen des unvermteidlichen Todes harrten; preiset ihr in Rede und Gesang jene Heerschaar, welche in ungleichem Kampfe, emporgehoben durch ihren Heldenmuth, darniedersank bis auf die letzten Zehn; zwingt euch jede That, in welcher Pflicht oder Ehre den Vorrang über das Leben gewinnen, Anerkennung und Beifall ab; zollet ihr euere Bewunderung nicht ohne Recht dem beherzten Krieger, der unter eigener Lebensgefahr die Genossen rettet, dem kecken Seemann, der in stäter Todesnoth die entlegensten Klippen aufspürt, dem unverdrossenen Forscher, der[351] der Wissenschaft zu lieb allen Beschwerden Trotz bietet und vor keiner Noth erschreckt; jauchzet ihr Jedem zu, der nach Hohem, vielleicht auch nur nach Eitlem ringend, Gemächlichkeit nicht für das Wünschenswertheste und das Leben selbst nicht als der Güter oberstes hält; – könntet oder wolltet ihr dann Aehnliches einer Gesellschaft versagen, die, mit ebensolcher Gesinnung ausgestattet, neben jene Alle, nur zu Erreichung weit höherer Zwecke, in die Schranken tritt? Einer Gesellschaft, die so erfolgreich die hohe Aufgabe zu lösen weiß, Tausende von Gliedern aller Zungen und Stämme in Treue zu dem, von keinen sichtbaren Gränzen umschlossenen Vaterland in einem Sinne zu verbinden, mit gleicher Hingebung an eine, durch keinerlei zeitliche Vortheile vergeltende Bestimmung sie zu durchdringen; an eine Ehre, die oftmals vor den Augen der Welt in Schmach sich verwandelt, freudig Alles zu setzen; mit dem wackern Krieger wetteifernd in Gehorsam gegen des Obern Wort weder vor der Gefahr zurückzubeben, noch nach Erfolg und Lohn zu fragen und bereitwillige Entschlossenheit in Jedemt hervorzurufen; zu zweifelhafter Weckung des geistigen Lebens in Unbekannten und vielleicht wildfeindlich Gesinnten die süßen Gewohnheiten der Heimath, die Berührung mit Mitbrüdern und die Sicherheit geordneter Einrichtungen unbedingt demjenigen hinzuopfern, was die Verlassenheit, was das unstäte Leben, was der tägliche Zusammenfluß aller denkbaren Mühseligkeiten, was endlich die jeden Augenblick sich erneuernde Todesgefahr Schauerliches in sich vereinen; die das, was etwa nur Einmal, an einzigem Ort, in dem Moment gesteigerter Anregung vor uns aufblitzt, dergestalt zur bewegenden Lebenskraft zu erheb en wußte, daß wir ihm durch den Lauf von Jahrhunderten und allerwärts begegnen? Und dieß Alles ohne irgendwelche Aussicht auf irdischen Gewinn, auf zeitlichen Vortheil, auf Weltehre, einzig im Bewußtseyn der Pflicht, in Liebe zu den Menschen, im Hinblick auf den verherrlichten Meister, in der Hoffnung der unverwelklichen Krone jenseits. Oder sollte eine derartige, mit so hohen dynamischen Mitteln ausgestattete, in ihren Gliedern[352] einen solchen demuthsvollen Gehorsam, verbunden mit solcher Alles übersteigenden Willenskraft, hervorrufende Gesellschaft darum dem Haß, dem Hohn, der Verfolgung bloßgestellt seyn, weil sie nicht ein irdisches, einzig ein himmlisches Vaterland kennt; nicht nach einem diesseitigen, sondern nach einem jenseitigen Ziele läuft; nicht um das Lob der Zeitgenossen, sondern um die Ehre vor Gott duldet, ringt und kämpft; nicht die materiellen, sondern die unvergänglichen Güter denjenigen eröffnet, welche sie in deren Entfremdung von Gott aufsucht?

Dieß das nie verbleichende Zeugniß aus ihren Thaten. Ein anderes liegt in dem Wetteifer, womit Könige, Fürsten, Gemeinwesen und Städte die Gesellschaft, kaum ihr Wirken sichtbar zu werden, kaum ihr Ruf zu verlauten begonnen, in ihre Reiche, Gebiete, Verbindungen aufzunehmen, ihnen Häuser zu bauen, Anstalten anzuvertrauen, ihre vielseitige Thätigkeit für die Untergebenen nutzbar zu machen sich bemühten; wie dabei in beharrlicher Strebsamkeit Schwierigkeiten überwunden, Hindernisse beseitigt, erforderliche Hülfsmittel geschaffen wurden, ein durch alle Stände ergehendes freudiges Zusammenwirken alsbald hervortrat. Wahrlich, so kurzsichtig, so bethört war auch damals die Welt, waren diejenigen, welchen die Geschicke der Länder zugewiesen waren, nicht, um insgesammt durch ein Blendwerk sich berücken, durch blossen Schein sich täuschen zu lassen. Dergleichen vielleicht hätte den Ersten begegnen mögen; aber bald genug würden die Andern zur Einsicht gelangt, würden sie mit ihrem Verlangen stille gestanden seyn, würden sie dem begonnenen Lauf Einhalt geboten haben. Und, erst niedergelassen in einem Lande, wurde ihre erfolgreiche Thätigkeit in fortan vielartigerer Weise entweder rege in freiem Willen, oder in Anspruch genommen von oben. Die volkreiche Stadt und das einsame Gehöfe in der schwer zugänglichen Ferne, die Schulen wie die Gefängnisse, die Kirchen wie die Spitäler, waren deren Zeugen. Führte doch Richelieu, als die Belagerung von La Rochelle in die Länge sich zog, unter dem Heere eine[353] Jesuiten-Mission ein, dieweil er wohl erkannte, daß der Krieger, wie ernstlicher zur Furcht Gottes er angeleitet werde, um so weniger vor den Gefahren des Kampfes bebe; wie mehr seine Treue zu dem unsichtbaren Herrn sich festige, um so minder diejenige zu dem sichtbaren wanke.

Das dritte Zeugniß ist die ununterbrochene Reihe von Stimmen der Oberhäupter der Kirche, das Vertrauen gegen die Gesellschaft, welches sie auf mehr als eine Weise bethätigten, und die ausgezeichneten Gnaden, womit sie dieselbe bedachten. Flechten auch zwischenein sich Mahnungen, Winke und Rügen, veranlaßt durch auftauchende Erscheinungen, durch vorübergehende Uebelstände, so beweist dieß nur, daß auch die Gesellschaft Jesu, gleich jeder Einrichtung, die in dieser Welt wurzelt (und strahlte von derselben in noch so hohem Maaße das Gepräge der Vollkommenheit), Menschen zu Trägern gehabt habe. Redlichkeit macht sich aber zur Pflicht, jene Stimmen vollständig anzuhören, sodann abzuwägen, ob das Beifall zollende oder das Tadel spendende Wort das Uebergewicht habe, und ob dem allgemeinen Zeugniß nicht vor der speciell veranlaßten Rüge der Vorzug gebühre. Selbst der strengste Vorwurf, zu welchem in besonderer Vorkommenheit der Vater gegen ein Kind sich veranlaßt sähe, kann noch nicht über dasselbe den Stab brechen, es den ungerathenen Kindern noch nicht beigesellen.

Für den auf dem Boden der katholischen Kirche fest Stehenden liegt das gewichtigste Zeugniß für die Bedeutung der Gesellschaft in den Anschuldigungen, Verunglimpfungen und bodenlosen Nachreden, welche die von jener Getrennten wider dieselbe erhoben, in den Lügen, welche sie wider dieselbe verbreitet, in dem Haß, worin sie wider dieselbe sich überboten haben; es liegt darin, daß alle Pfeile gegen die Kirche, geschärft und zuerst, wider die Gesellschaft gerichtet wurden; gleichwie der Strom, der das Land überfluthete, mit seinen Wellen den Damm peitscht, hinter welchem dasselbe fortan dem Anbau wieder gewonnen wird. Von ihrem Standpunkt genommen, der das immer weitere Zurückdrängen und das Unterwühlen der[354] Grundfesten der Kirche als den nach dem Maaße des Gelingens voranschreitenden Befreiungs-und Beglückungsproceß der Menschheit anpreist, hatten dieselben vollkommen Recht; denn Niemand that diesem Voranschreiten so entschieden Einhalt, Niemand stellte demselben so kräftig sich entgegen, Niemand schaarte und einigte die Zerstreuten so erfolgreich wieder um das Panier des Gekreuzigten, als die Gesellschaft Jesu. Aber auch nichts wirst über die, auf dem Gebiete der Kirche selbst gegen sie sich erhebenden Feinde ein helleres Licht, als ihre Verbrüderung mit denen Allen, welche in offenem Bekenntniß ausser der Kirche stehen. Das beweist, was immer sie nebenbei bezeugen mögen, ihre angebliche Treue an der Kirche, das wirst ein genugsam erhellendes Streiflicht auf ihren Gehorsam gegen die Kirche, das zückt wie ein erleuchtender Blitz über ihre letzten Zwecke.

Vernehmen wir zuletzt noch zwei Zeugnisse, das eine zwar von einem Jesuiten selbst, der aber doch zu seiner Zeit einen allgemein wohlklingenden Namen hatte, das andere von einem Dominicaner. Das erste ist von Denis, welcher lange nach Vernichtung des Ordens mit ungeschwächter Anhänglichkeit an denselben erfüllt, als Aufgabe, die an den Einzelnen sollte erreicht werden, angiebt: »Eifer, Gott immer vor den Augen des Geistes zu haben; vergängliche Dinge nach ihrem wahren Werth zu schätzen; nicht für sich, sondern für die Wohlfahrt anderer zu leben; dem Nächsten überhaupt durch Wort und Beispiel zu nützen; daher sündlichen Hang der Seele nach Weichlichkeit, Wohlleben, Ueppigkeit, Zornmüthigkeit zu unterdrücken, den stolzen Sinn zu zähmten, auf die Erduldung jeder Art von Widerwärtigkeit gefaßt zu seyn, seine Meinung der Meinung Anderer zu unter werfen, den Obern bereitwilligsten Gehorsam zu leisten, Einsamkeit und Stillschweigen zu lieben, mit größter Bescheidenheit von seinen eigenen Sachen zu denken und zu sprechen, die ungeschliffenen Sitten Anderer mit Geduld zu ertragen, keinen Menschen zu beneiden« u. s. w. – Das andere Zeugniß ertheilt ihnen Natalis Alexander in seiner[355] Kirchengeschichte. »Kaum,« sagt derselbe, »hatte sie Gott zu dienen begonnen, als sie durch den Neid sich angegriffen sah. Aber der Kirche gleich, erhaben über den Neid, dienten Verfolgungen ihr nur zum Erstarken; wie die Arche schwebte sie über dem Gewoge, und wurde emporgehoben zu jener Höhe des Ruhmes und der Glückseligkeit, womit Gott ihre Verdienste und ihre Mühen um seine Ehre und das Heil der Nächsten im Bekämpfen der Ketzerei, in Vertheidigung des Glaubens, in Förderung der Wissenschaften und der Frömmigkeit, und in Erhaltung und Erweiterung der katholisch-apostolisch-römischen Kirche lohnen wollte.


Aber, möchte eingewendet werden, es mag seyn, daß für die frühere Zeit, zu welcher in voller Jugendkraft ein besserer und edlerer Geist in der Gesellschaft noch die Oberhand hatte, jenen Zeugnissen einigermassen Gültigkeit kann zugestanden werden; anders jedoch verhielt es sich in derjenigen Zeit, in welcher die erhobenen Klagen deren unwiderbringliche allseitige Verwirrung und die unausweichliche Nothwendigkeit ihrer Unterdrückung nur allzueinleuchtend darthun. Aber sollte es etwa in dieser an Thatsachen und neben diesen an lauten, zahlreichen und unverdächtigen Stimmen für die Angefeindeten fehlen? Selbst der blindwüthigste Gegner der Gesellschaft Jesu wird nicht in Abrede stellen können, daß zu eben der Zeit, in welcher jener Sturm wider sie heranbrauste, ihre Glieder in allen Ländern die vornehmsten Erziehungsanstalten inne gehabt; daß sie die Beichtväter der Fürsten, des Adels, der ausgezeichnetesten Personen aller Stände gewesen; daß sie in allen grossen Häusern sich wohl gelitten, mit allgemeinem Vertrauen geehrt gesehen, und eben so festbegründetes Ansehen unter dem Volke genossen hatten. Es soll nun zugegeben werden (denn, darf die Anklage nicht ungerecht seyn, so darf die Fürsprache es ebensowenig seyn), daß in den Erziehungsanstalten nicht immer seye[356] geleistet worden, was hätte können und sollen', daß unter den Beichtvätern nicht Jeder mit dem erforderlichen Ernst seines Amtes wahrgenommen habe, daß unter den Gewissensräthen nicht Alle zuvor ihr eigenes Gewissen gehörig berathen hätten, daß in dem Verhältniß zu dem Volk da und dort auch Solches unterlaufen seye, was wohl Anders hätte gemacht werden mögen; dieses Alles zugegeben, liesse sich den noch kaum mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß eine, durch die ganze kathol. Welt, unter allen Himmelsstrichen, unter allen Völkern, unter allen Sprachen, unter allen Ständen verbreitete Gesellschaft ein solches Ansehen, ein solches allgemeines Vertrauen, einen solchen Einfluß hätte gewinnen und so lange bewahren können, wenn sie, auch nur in ihrer Mehrzahl, allen den verderblichen Meinungen gehuldigt, zu allen den scheußlichen Lehren sich bekannt, alle die Laster gefördert, in sich selbst all dieses innere Verderben getragen hätte, welches dem Parlament zu Paris derselben aufzubürden, dem König von Spanien, wie dem Verfasser des Unterdrückungsbreve's, in die Grundtiefen seines Innern zu versenken beliebte. Will man wähnen oder glauben machen, das menschliche Geschlecht seye zu irgend einer Zeit so geistig unfähig, so sittlich verdorben, so tief gesunken gewesen, daß es, und dazu noch in seinen obersten Schichten, in seinen ansehnlichsten Summitäten, blindlings einer so verworfenen und dazu noch überall offen hervortretenden Rotte als Beute sich hingeben und dieß mehrere Menschenalter hindurch habe bleiben können?

Doch das sind bloße Schlußfolgerungen, welche nur eine subjective Beweiskraft in Anspruch zu nehmen haben; es sind mehr Urtheile, gebaut auf die allgemeine Ansicht der Verhältnisse. Gültige und zwingende Zeugnisse müssen Thatsachen zur Unterlage haben. Es sollen dergleichen folgen!

Stellen wir, als die unverdächtigsten, die Zeugnisse von ein paar Gegnern voran. Bekannt ist dasjenige von Voltäre, der irgendwo von ihnen sagt: »Sieben Jahre lebte ich in dem Hause der Jesuiten; und was habe ich bei ihnen gesehen? das arbeitsamste und mässigste Leben. Alle ihre Stunden waren[357] zwischen den Sorgen, welche sie uns zuwendeten und ernsten Andachtsübungen getheilt. Ich berufe mich hiebei auf Tausende von Menschen, die gleich mir erzogen wurden. Ich staune, daß man ihnen eine verderbliche Moral zum Vorwurf machen will. Ich behaupte, es giebt nichts Widersprechenderes, nichts Schmählicheres, als Leute, die in Europa den strengsten Lebenswandel führen, an Asiens und Amerikas Gränzen den Tod suchen, einer schlaffen Moral anzuklagen.« Auch der Bischof von Soissons, obwohl als Jansenist ein entschiedener Feind der Gesellschaft, anerkannte dennoch selbst zur Zeit des wüthendsten Sturmes, daß in der Kirche kein Orden zu finden seye, dessen Glieder ein geregelteres und sittlicheres Leben führten. Dergleichen Stimmen sollten doch unverdächtig genannt werden dürfen.

Uebergehen wir die zahlreichen Zeugnisse aus früherer Vergangenheit, so erscheint, vornehmlich der Zeit und der Veranlassung wegen, die es hervorriefen, dasjenige als höchst gewichtig, welches die durch Ludwig XV niedergesetzte Commission von 45 Erzbischöfen und Bischöfen in Betreff der Gesellschaft erstattete; mit welchen übereinstimmend der damalige Erzbischof von Paris in dem Orden die Vereinigung von Talenten, Tugenden und hohen Verdiensten, sowohl um den Staat als die Kirche, anerkannte. Oder verdiente es so gar keine Berücksichtigung, daß zu eben der Zeit, in welcher der Sturm gegen die Gesellschaft von allen Seiten her mit der unverhaltensten Wuth losbrach, von den Bischöfen aller Länder Briefe bei Clemens XIII eingiengen, er möchte doch der Verfolgten sich annehmten, die Gesellschaft in ihrem bisherigen segensreichen Wirken für die Kirche aufrecht halten und beschirmen? Was die Bulle Anostollenm zur Folge hatte, die wir deßwegen den Nachhall der vereinten Stimme des gesammten christlichen Episcopates nennen möchten. Freilich haben nachher die kecker gewordenen Feinde der Gesellschaft, sobald sie deren Untergang unwiederbringlich beschlossen hatten, das Bekanntwerden dieser Briefe zu verhindern gewußt. Sollten nun diese Bischöfe insgesammt entweder so kurzsichtig, oder um das wahre Wohl ihrer Heerden[358] so gleichgültig, oder endlich so willenlose Gebilde der Gesellschaft gewesen seyn, um ohne innere Ueberzeugung an das Oberhaupt der Kirche dergleichen Zuschriften richten zu können? – Man weiß ferner aus den von einem Franzosen verfaßten Denkwürdigkeiten über das Pontificat Pius VI, die gar nicht in einem den Jesuiten günstigen Sinne geschrieben sind, daß ausser ein paar Cardinälen und einigen eifersüchtigen Orden Alles, was in Rom durch Einfluß, Ansehen und den Besitz von Glücksgütern hervorragte, für die Jesuiten günstig gestimmt war, und daß deßwegen unter der langen Regierung jenes Papsts bereits viele Schritte zu ihrer Herstellung geschahen. Zwar hat man hier, dieweil die Thatsache an Rom sich knüpft, ein Auskunftsmittel alsbald bei der Hand: man schreibt Solches verblendetem Eifer, beschränkter Einsicht, unreinen Beweggründen, verwerflichen Zwecken zu; gleich als ob Intelligenz, Aufrichtigkeit, redlicher Wille, sittlicher Werth jeder Zerstörungspartei, als ein von ihr unzertrennliches Monopol, zweifellos anheimgefallen wäre!

Die Sage von der durch Choiseul der Kaiserin Maria Theresia zugesendeten eigenen Generalbeichte läuft längst schon durch alle Bücher und Büchlein und wird jedem Schuljungen zum Ergötzen eingetrichtert; davon aber wollen sie nichts wissen, daß die Kaiserin zu eben der Zeit, da man ihr die Zustimmung zur Vernichtung des Ordens abdrängen wollte, an jenen Minister schrieb: »Sie glaube wohl, daß die Regenten von Portugal, so wie die Bourbons zu ihren wider die Jesuiten ergriffenen Maaßregeln gute Gründe gehabt haben mögen; was hingegen ihre Staaten betreffe, so könne sie das Benehmen der in denselben befindlichen Ordensglieder nur billigen.« Ferner erklärte sie: »Daß sie das Fortbestehen des Ordens, sowohl in Bezug auf das Wohl des Volkes, als auch im Interesse der Religion, für gleich wichtig erachte und demgemäß denselben erhalten und schützen wolle.« Sollten aber die Jesuiten, gegen welche das als Hauptvorwurf will geltend gemacht werden, daß sie insgesammt einer und derselben Direction blind unterworfen seyn müßten, durch diese die geheime Weisung[359] erhalten haben, in den einen Ländern in Lehre und That ein durchaus verwerfliches, in den andern ein entschieden zu billigendes Benehmen einzuhalten? War demnach der ganze Orden insgesammt und in allen Beziehungen durchaus gefährlich und gemeinschädlich, wie konnte er in Oestreich eine so auffallende und unbegreifliche Ausnahme machen? Zumal wenn man sich erinnert, daß seine Glieder nirgends stabil sind, sondern nach dem Willen des Obern jeden Augenblick dahin sich begeben müssen, wohin er sie sendet (wie denn auch manche deutsche Jesuiten lange, lange Jahre in Pombals Kerkerhöhlen schmachteten). Das Unbegreiflichste wäre alsdann die erstaunliche Geschmeidigkeit, mit welcher ein und derselbe Mensch Pombals Anklagen und Maria Theresia's Lob hätte rechtfertigen können! Oder sollte Pombal ein würdigerer, gerechterer, für das Wohl des Landes besorgterer, tadelfreyerer Minister, als Maria Theresia eine solche Fürstin gewesen seyn? Oder sollte deren Zeugniß der hoffärtigen Lüderlichkeit, der gekränkten Eitelkeit und der dadurch hervorgerufenen Rache einer Pompadour nachstehen?

Wäre aber die Stimme der Kaiserin eine vereinzelte? Der nicht minder durch vielseitiges Wissen, als durch Frömmigkeit und Milde achtenswerthe Denis schrieb in seinen Lesefrüchten, daß er in der Gesellschaft bis zu ihrer Auflösung »ohne Lebenssorgen, unter schönen Beispielen von Tugenden und Anstrengung zufrieden gelebt, gelernt und gelehrt habe, und sich noch jetzt keines eigenen oder fremden Fehlers erinnnere, der von den Vorgesetzten entdeckt und nicht geahndet worden wäre.« In seinem Testament aber betheuert er auf das Feyerlichste vor dem Allwissenden: »Daß er durch sechsundzwanzig Jahre in der Gesellschaft nichts als Gutes gelernt und genossen habe.« – Dieser Stimme wird man, als derjenigen eines Betheiligten, rundweg Berechtigung absprechen. Aber noch neulichst haben wir es aus den »Denkwürdigkeiten der Caroline Pichler« vernommen, welche Bestürzung die Nachricht von der Unterdrückung der Gesellschaft Jesu damals durch ganz Wien verbreitete. Doch[360] gewiß nicht deßwegen, weil man dieselbe für so gefährlich oder für so versunken hielt, wie die Jesuitenfresser uns noch immerfort möchten glauben machen. Gleiches Zeugniß geben die Berichte jener Zeit aus Lissabon, Madrid, Neapel, ja aus allen Städten, in welchen die Jesuiten mit ähnlicher Wirksamkeit sich angesiedelt hatten. Wir wissen ferner, daß der Unterdrückungsact, wenn auch in demselben die Stimme des Oberhauptes der Kirche gesprochen hatte, doch nicht mächtig genug war, um die Zuneigung, die Anhänglichkeit an sie, das Vertrauen zu ihn en in tausend und tausend Herzen auszureissen, diese Gesinnungen eben so leicht zu unterdrücken, wie die Gesellschaft in ihrem Bestehen. Es hallt uns selbst ein Zeugniß für sie entgegen in der unmuthsvollen Klage ihrer Feinde: daß auch sogar nach ihrer Unterdrückung noch Manche bei ihnen, obwohl unter anderer Gestalt. Leitung, Trost und diejenige geistliche Hülfe suchten, welche bewährte Gewissensräthe und Beichtväter zu gewähren wissen; daß sie fortan noch auf Kanzeln und an den Altären dem Volk die Belehrungen und den Trost der Religion spendeten; daß ehemaligen Jesuiten noch fortan junge Leute zur Erziehung gerne anvertraut würden.

Wäre es aber denkbar, daß eine weitverzweigte Verbindung von Männern einerseits so notorisch verworfen seyn, andrerseits selbst in ihrem Mißgeschick und der schonungslosesten Verfolgung durch die Gewaltigen anheimgefallen, dennoch eines solchen allgemeinen Vertrauens, einer so hohen Achtung allerwärts sich habe erfreuen können? Wäre es denkbar, daß Tausende und Tausende der angesehensten, hochgestelltesten, nach Leben und Wandel ehrenwerthesten und frommsten Personen beiderlei Geschlechts so verblendet hätten seyn können, um sich durch eine Verbindung berücken zu lassen, welche, planmässig und durch Organisation und Autorität dazu angeleitet, die Religion nur zum Deckmantel der schlechtesten, nichtswürdigsten, eigensüchtigsten Zwecke, Religiosität und Sittlichkeit bloß zur Hülle ihrer verwerflichen Leidenschaften, ihrer niedrigen Absichten zu machen sich bestrebte? Wie kommt es ferner, daß nicht die würdigsten,[361] edelsten, sittlichsten, frommsten, anerkennenswerthesten Männer aller Länder, sondern daß ein blutdürstiger Günstling, eine übermüthige Metze, ein frivoler Minister, ein habsüchtiger Fürst als Ankläger derselben auftraten, dabei in einer, Gottlosigkeit an der Stirne tragenden und offenkundig fördernden Schriftstellerei Unterstützung, bei notorisch bestochenen Pfaffen Mitwirken suchten; Männer jener Art dagegen, weit entfernt, die erhobene Klage aus gemachter Erfahrung zu unterstützen, über die Gewalthandlung trauerten? Wie kommt es, daß, anstatt den Entscheid eines gerechten Oberhauptes der Kirche durch beglaubigte Darlegung aller entdeckten Unthaten, aller verübten Gräuel, aller empörenden Lehren herbeizuführen, dieser einzig durch Ränke, Drohungen, Gewaltstreiche, durch den Verein aller schlechten Mittel herbeigeführt werden konnte und mußte? Supplirt die Geschichte durch actenmässige Nachweisungen, rechtfertigt das Verfahren der Verfolger der Jesuiten dadurch, daß ihr wenigstens nachliefert, was dieselben beizubringen unterlassen haben; beantwortet jene Fragen, löset jene Räthsel, bringet Licht in jenes Dunkel; alsdann werden alle Declamationen überflüssig seyn, denn erwiesene Thatsachen haben immer ein grösseres Gewicht, und eine unwiderstehlichere Gewalt liegt in ihnen, als in den lautesten und furibundesten Declamationen! Meinet ihr aber, diejenigen, welche es nicht über sich vermögen, in dergleichen einzustimmen, mit dem neulich geäusserten Wort abfertigen zu können: »die Kämpfen für die Jesuiten wüßten nur schon hundertmal aufgewärmte Gründe stets von neuem wieder vorzubringen und, was zum öftern schon gesagt worden, abermals zu sagen?« so können diese sogenannten Kämpen euch mit noch weit grösserem Fug dieses Wort zurückgeben, ja noch mehr als dieses: sie können euch sagen, ihr wüßtet nur hundertmal schon widerlegte und zurückgewiesene Anschuldigungen bis zum Eckel aufzuwärmen, gleich als ließe sich durch unablässiges und vielstimmiges Wiederholen die Lüge je in die Wahrheit umreden. Dadurch hingegen würdet ihr dieses Vorwurfes euch entschlagen, dadurch könntet ihr der Frage eine neue Wendung geben, wenn[362] ihr Licht, aber reines, helles Licht in jenes Dunkel zu bringen wüßtet.

Es läuft von Mund zu Mund, die Jesuiten hätten in die verborgensten Staatsgeheimnisse sich einzubohren und die Gewissen der Fürsten nach vollem Belieben am Gängelband zu leiten gewußt. Wie kommt es aber, daß in allen Staaten die grausamen Maaßregeln und, was wohl zu merken, nicht in allen gleichzeitig über sie hineinbrachen, ohne daß sie bei jenem Eindringen oder bei solchem Uebergewicht dieselben abzuwenden gewußt hätten? Ihr werfet ihnen die verschmitzteste und abgefeimteste Ränkesucht vor. Wie kommt es aber, daß sie mittelst dieser das Ausgesonnene und in Vollziehung Gebrachte nicht wenigstens zu lähmen oder doch zu mildern wußten, ungeachtet in dem Schlag auf Schlag sich Folgenden und unverkennbar das Allerletzte Vorbereitenden dringliche Aufforderung genug gelegen hätte, alle Mittel (woran ja, an erlaubten wie an unerlaubten, bei ihnen ein schauervolles Arsenal vorhanden gewesen seyn soll!) in Anwendung zu bringen? Ihr unterhaltet euch jetzt noch so gerne über ihre unermeßlichen Reichthümer. Wie kommt es aber, daß sie in einem Momten, in dem es sich entschieden über Seyn oder Nichtseyn handelte, diese wirksamste aller Minen nicht springen ließen? Ihr werfet ihnen vor, sie hätten mit Gift und Dolchen gespielt, wie Kinder mit Nüssen. Wie kommt es aber, daß von ihren anerkannten wüthenden Verfolgern in allen Reichen nicht ein Einziger vor dem einen oder vor den andern auch nur in Furcht schweben durfte, ja, wie ihr Benehmen zeigt, ihnen selbst davor nicht im mindesten bange war? Oder sollte, wer offen den Königsmord lehrt, heimlich denselben begünstigt, vor dem Mord von Ministern, und dazu feindseligen und barbarisch verfolgenden Ministern, zurückschaudern? Ihr werfet ihnen vor, die Moral wäre in ihren Händen wie Wachs gewesen, das je nach beliebigem Druck jede Gestalt angenommen habe. Wie kommt es aber, daß so viele Tausende Hunger, Noth, Elend jeder Art, den jahrelangen Aufenthalt in unterirdischen Löchern, in den scheußlichsten[363] Kerkern der Untreue an ihrer Verpflichtung vorzogen; daß sie nickt, was so leicht möglich gewesen wäre, unter Darangabe von dieser bei ihren Verfolgern einige Gunst zu erbuhlen suchten? Wer sich's zur Aufgabe macht, Andere mit Eiden spielen zu lehren, sollte dieser an dem seinigen mit so unerschütterlicher Festigkeit halten?

Um aber nochmals auf ihre Schätze zurückzukommen: wo waren dieselben? Ja in ihren Kirchen, in ihren Sacristeien befand sich ein grosser Reichthum von Kostbarkeiten; sie erachteten dieß der Würde des Gottesdienstes angemessen. Von daher, von dem geplünderten und geschändeten Grabmal des heiligen Franz Xaver zu Goa langten die neun Kisten Silbergeräthe und Edelsteine für Pombal an, womit er sein Haus, von einem Madonnenbild das diamantene Halsband, womit in Rom der schändliche Alferi seine Dirne schmückte! – Wohl befassen sie in jedem Lande liegende Güter, die Jedermann kennen konnte, jene geträumten Schätze hingegen wurden nirgends gefunden, ungeachtet man ihnen mit bewaffneter Macht selbst an Orten nachspürte, welche der Anstand zu nennen verbietet. Warum sprach man hernach, als die Täuschung zerronnen, als die gehegte Erwartung unbefriedigt geblieben war, von einem Bettel, der nicht der Mühe sich lohne? Hätten sie wohl bei dem Besitz solcher Schätze ihre ohne die mindeste Unterstützung nach Rom hinübergefertigten Ordensglieder aus Portugal erst durch Verkauf von silbernem Kirchengeräthe, darauf, als die Zahl der Unterstützungsbedürftigen durch Lieferungen aus Spanien, Neapel und Parma sich mehrte, diese grosse Zahl einzig dadurch unterhalten müssen, daß sie in den noch bestehenden Collegien ihren Lebensbedarf auf das Mindeste beschränkten, um desto sicherer ihren Mitbrüdern beistehen zu können? Indeß ein Auskunftsmittel bleibt der blinden Anschwärzungssucht noch übrig: das Vorgeben, sie hätten ihre Schätze geflüchtet. Aber wohin denn, in welchen Winkel der Erde, da sie überall plötzlich überfallen, geächtet, unterdrückt, beaufsichtigt wurden? Und wie sollten sie, während unter den damaligen Verhältnissen ihre einstige[364] Herstellung das Undenkbarste unter der Sonne schien, wie sollten sie in ihrer nachherigen theilweisen Armuth und Verlassenheit dergleichen hülfreiche Schätze unberührt gelassen haben? Aber Schätze der Jesuiten, das ist ein Wort, welches jetzt noch, kaum ausgesprochen, eine Zaubergewalt auf Ohren und Gedanken von Tausenden übt.

Oder, nachdem in allen Ländern so entsetzlich gegen sie gewüthet worden, und als auch von daher, von wo sie dessen am wenigsten sich's hätte versehen sollen, der letzte zerschmetternde Schlag ausgegangen war, haben sie auch nur nachher die Welt mit Klagen angefüllt? Haben sie auch nur dieselbe mit Schmähschriften gegen ihre notorischen Verfolger überschwemmt? Haben sie in irgend einem Lande aus Rache Kabalen geschmiedet? Heraus mit den Beweisen hiefür, aber mit den klaren, actenmässigen Beweisen, ansonst Wahrheit und Gerechtigkeit für den Verbrecher, ja sogar für den Jesuiten! Wolltet ihr aber die Wahrheit hören, so würde sie euch sagen, daß Clemens XIV zwar die Gesellschaft auflösen, nicht aber das einzelne Glied von der fortwährenden, moralisch sich selbst auferlegten Heiligachtung des Gelöbnisses freisprechen konnte, welches Unterwürfigkeit unter den apostolischen Stuhl forderte, in der sie den König von Preussen sogar um Vollziehung des päpstlichen Ausspruches an ihnen baten, worin er zuletzt nicht seinem, sondern ihrem eigenen Willen Genüge that. Würden jene Verbindungen, welche am wildesten auf die Jesuiten einstürmen, ähnliche Fügsamkeit gegen gerechte, wie die Jesuiten gegen ungerechte Vorkehrungen bethätigen?

––––––

Wahrheit, Gerechtigkeit, parteiloses Urtheil, wenn dieselben gegen so manches wider die Gesellschaft Vorgebrachte Bedenklichkeiten erheben, wenn sie weder in dem lauten Toben, noch in dessen öfterm Wiederholen, noch in der Zahl der Lärmenden ein Ersatzmittel für zureichende Gründe anerkennen[365] dürfen, sind deßwegen nicht blind; es kann ihnen nicht zu Sinn kommen, in den Fehler der Widersacher zu verfallen, und wie diese in globo verdammen, ebenso in globo zu lobpreisen, ruhig und nüchtern anerkennen sie, daß auch an der Gesellschaft Jesu Ausstellungen gemacht werden können, so gut als an jeder menschlichen Institution. Vor Allem müssen die Ausstellungen, um sie gehörig zu würdigen, classificirt werden. Zuerst giebt es solche, die es nur vermöge der individuellen Meinung des Urtheilenden sind; – diese haben kein Recht, allgemeine Anerkennung zu fordern, denn mit weit grösserer Befugniß kann das gegenüberstehende Princip sie in das Umgekehrte verwandeln. Neben diesen giebt es Ausstellungen, welche an die Gesellschaft vermöge ihres Wesens als eines religiösen Ordens im Allgemeinen sich knüpfen. Ferner giebt es solche, die aus der Einrichtung, Gliederung und Stellung derselben hervorgehen. Endlich lassen solche sich vorbringen, wofür einzig das Individuum einzustehen hat. Daß aber die Gesammtheit, der Innbegriff aller Individuen, eine solche verworfene, verabscheuenswerthe Verbrüderung, gewissermassen, wie die Gesellschaft Manchem möchte dargestellt werden, den wahren Abschaum der Menschheit zu irgend einer Zeit, oder auch nur in irgend einem einzelnen Lande je gebildet hätte, das muß von psychologischem, von moralischem und von gesellschaftlichem Standpuncte zugleich als geradezu unmöglich zurückgewiesen werden.

Eine Ausstellung der ersten Art wäre ihr Gehorsam gegen den General, ihre Unterwürfigkeit unter den Papst. Jener, sagten die Grundredlichen damals, ist unumschränkter Gebieter über sie, selbst zu bösen Dingen kann er den Einzelnen verpflichten, dieser muß das Anbefohlene vollziehen. Das Gleiche wiederholen die Biedern der Gegenwart mit unermüdlicher Schreibfertigkeit und mit allem Accent, den sie auf das Wort »böse Dinge«nur immer zu legen vermögen. Und wie graut ihnen nicht bei dem Ausdruck »Unterwürfigkeit unter den Papst,« den nicht der Jesuite allein, sondern jeder wahre Katholik als seinen geistlichen Vater durch solche Unterwürfigkeit ehrt? Welch'[366] ein Vergehen, daß in solcher z.B. die Gesellschaft bei Clemens' XI Interdict über Sicilien weniger dessen Ursachen oder Absichten erörtern, als dasselbe beobachten wollte. Wäre dieß eine gültige Ausstellung, alsdann liesse sich mit gleichem Recht dem Soldaten ein Vorwurf daraus machen, wenn er nicht, bevor er zu Feld zöge, in Erörterungen über die Befugniß seines Fürsten zum Krieg sich einliesse. In jenem Fall hatte das Oberhaupt der Kirche gesprochen; den Jesuiten stand es nicht zu, über den Ausspruch Betrachtungen anzustellen, zu Richtern über denselben sich aufzuwerfen; ihrer Ordensverpflichtung gemäß und zugleich als Priester der katholischen Kirche hatten sie einfach demselben sich zu fügen. Ob das barbarische Verfahren des Vicekönigs von Sicilien, Grafen Maffei, gegen sie grössere Billigung verdient, als ihr Gehorsam gegen den geistlichen Obern, dieser Entscheid sollte doch nicht ausschließlich der Meinung anheimfallen.

Wie denn oftmals jedes Geschlecht, jedes Alter, jeder Stand jede Berufsart ihre besondern physischen Gebrechen hat, so haben nicht selten sie Alle auch ihre intellectuellen oder moralischen Unvollkommenheiten. Wenn die mit Bewußtseyn erfaßte und mit Ausdauer erstrebte Aufgabe des Religiosen vornehmlich dahin gehen soll, in engerer Verbindung mit dem Herrn, dessen Dienst er besonders sich gewidmet hat, die allen Menschen innewohnende Unvollkommenheit von seiner Person möglichst ferne zu halten; wenn ihm dieses auch gelingt und er wirklich dazu sich erhebt, von manchen sittlichen Gebrechen, die so leicht den Weltmenschen beschleichen können, unberührt zu bleiben, so drohen ihm dagegen andere, gegen welche dieser gesicherter seyn dürfte. Es sind Mängel, die aus dem Wesen des Standes hervorgehen, an diesen sich heften, und selbst wieder in solche sich scheiden, denen das beschauliche, und in solche, denen das werkthätige Leben leichter zugänglich ist. Auch der Ordensstand wandelt den Menschen nicht um; er ertheilt ihm einzig Anleitung, Mahnung, Hülfsmittel, wie eine solche Umwandlung sich anstreben lasse. Aber gerade die Unvollkemmenheiten, die aus[367] dieser besondern Lebensbestimmung und Lebensrichtung hervorgehen, sind, weil für den ihr sich Hingebenden am wenigsten bemerkbar, am schwersten zu beseitigen. So mögen auch in der Gesellschaft Jesu, so gut als in jedem andern kirchlichen Orden, nicht Alle, die derselben einverleibt waren, den festen Willen oder die erforderliche Kraft besessen haben, um über diese Standesunvollkommenheiten sich zu erheben. Da aber ihre Glieder bei vielartigerer Thätigkeit und mannigfaltigerer Berührung mit der Aussenwelt ihr Leben weit mehr vor den Augen von dieser führten, als diejenigen anderer Orden, so konnten dergleichen Unvollkommenheiten weniger sich verbergen. Beides dann mag dazu mitgewirkt hab en, daß ihn dieselber leichter zum Vorwurf konnten gemacht werden, als ihren übrigen Standesgenossen.

Da ferner die Gesellschaft Jesu die frühere erziehende Thätigkeit der Benedictiner, das seelsorgerliche Wirken der Frauciscaner und den Predigerberuf der Dominicaner in sich vereinigte, hiedurch in die vielseitigsten Berührungen nach allen Richtungen trat, so darf es nicht befremden, wenn die Stimmen, welche gegen Uebernahme jeder einzelnen dieser Obliegenheiten durch geistliche Orden bisweilen laut geworden sind, vereinigt, daher um so lauter, gegen Jene sich richteten. Diese Stimmen können keine unbedingte Gültigkeit in Anspruch nehmen; ihr relatives Gewicht aber läßt sich nur nach den Gründen wägen, deren willen sie laut werden. Die Einen erheben dieselben aus Principien, die von blosser Abneigung sich nicht bestechen lassen; die Andern lediglich aus dieser; die Dritten aus Scheelsucht oder Widerstreben; und bei noch Andern werden sie hervorgerufen durch einen augenblicklich sich ergebenden Uebelstand, vielleicht bloß durch allfällige, an ein Individuum sich knüpfende Verirrung. Diese Stimmen haben nachmals in den Absichten der Machthaber ihren Vereinigungspunct gefunden und sind allzusammt laut geworden, nicht immer ohne Mitwirken derjenigen, welche in der Gesellschaft einen rüstigern Nebenbuhler auf dem einen oder auf dem andern jener Gebiete[368] erblickten. Aber tadelnde oder herabwürdigende Stimmen sind deßwegen noch keine Beweise, so wenig als Unvollkommenheiten Scheußlichkeiten sind.

Anderes dann soll ausschließlich und eigenthümlich ihnen zur Last fallen. Eine Anschuldigung zwar, auf die einst besonderes Gewicht wollte gelegt werden, diejenige nämlich der Aufnahme von Tertiariern, um hiedurch grössern Einfluß auf viele Layen zu gewinnen, hätten die Franciscaner und Dominicaner mit ihnen zu theilen gehabt; da diese, zuvor der Kirche unbekannte Einrichtung gleichzeitig mit beiden Orden ihren Ursprung nahm, ohne daß dieselbe je Anfechtung erlitten hätte. (Es giebt übrigens einen, zwar nicht in der Kirche, eher gegen die Kirche stehenden Orden, der ungleich mehr Tertiarier – d. h. Uneingeweihte, daher bloß Aggregirte – zählt, als alle kirchlichen Orden zusammen genommen je zählten, und der auf die Masse dieser Crethi und Plethi nicht wenig sich zu Gute thut.). Nothwendig muß es gewissermaaßen aus dem Wesen jeder kirchlichen Ordensverbindung hervorgehen, die nicht auf Beschaulichkeit beschränkt, sondern thatkräftig in das religiose Leben der Menschen einzuwirken berufen ist, daß sie ihrer Wirksamkeit die möglichste Ausdehnung zu verschaffen sucht. Behaupten wollen, daß für die menschliche Gesellschaft Nachtheil hieraus erwachse, wäre höchst gewagt. Daß dann das Glied einer solchen Verbindung der seinigen einen hohern Werth beimesse als jeder andern, und in zu grossem Eifer um deren Ausdehnung und Einwirkung leicht könne dahingerissen werden, auf die zu verwandter Thätigkeit Berufenen scheelen Auges zu blicken, da, wo gegenseitiges Fordern Pflicht wäre, sogar in den Weg zu treten, das gehört, so wie im Allgemeinen zu den Schwachheiten der menschlichen Natur, zu den Unvollkommenheiten, welche dem Ordensstande eigenthümlicher sind, im besondern.

Ebensowenig können die Vater der Gesellschaft Jesu wegen des Streites über die Ceremonien in China in schlimmeres Licht gestellt werden, als ihre Widersacher. Auch dieser, nur[369] allzulaut gewordene Hader ist ausschließlich geistlicher Nebenbuhlerei entsprungen. Daß die Nachsicht der Jesuiten in China dem Christenthum leichter Anknüpsspunkte finden und demselben ungehindertern Eingang verschaffen konnte, als der Rigorismus der Dominicaner, das hat der Erfolg erwiesen, so wie auch der Ausspruch des heiligen Stuhls ihr Verfahren gutgeheissen hat. Ein untrügliches und unfehlbares Urtheil jedoch, ob jene Nachsicht schlechtweg zu verwerfen, diese Strenge ausschließlich anzupreisen seye, dürfte kaum sich fällen lassen. Hat die Verbreitung des Christenthums darunter gelitten, so läßt sich die Schuld hievon so wenig dem einen als dem andern Theil aufbürden, sondern dieses war Folge des zwischen Beiden entstandenen Conflicts. Wie viel aber die alljährlich nach Canton kommenden Kaufleute der Holländer dazu beitrugen, das Christenthum überhaupt den Chinesen verächtlich zu machen, das ist über der Geschäftigkeit, alle Schuld einzig den Jesuiten aufzubürden, immer unerörtert geblieben.

Die Anzeige des Statthalters von Marannon, daß die Gesellschaft damit umgienge, die Gewalt der Könige in Mexiko, Peru und Brasilien umzustürzen, darf mit Recht zu den leichtfertigen Vermuthungen gezählt werden, und verliert außerdem alles Gewicht durch die Stellung des Anzeigenden zu Pombal, dessen Creatur er war. – Was das sogenannte Jesuitenreich in Paraguai betrifft, so waren dadurch Niemandes Rechte gekränkt worden. Gesetzt auch, die Gesellschaft hätte in diesen unermeßlichen Landstrichen, wo die Gränzen der europäischen Herrschaften unausgemarket und mit schwankendem Recht in einander liefen, ein Gebiet sich ausersehen, welches während langer Zeit von keiner der beiden Kronen beachtet worden, so bedarf es wahrlich aller einseitigen Wuth der Gegner, um hierauf einen Vorwurf zu stützen. Derselbe kann weder durch das Factum einer zu Stande gebrachten Territorialhoheit, aber noch weniger durch die Weise, wie diese geübt worden, sich rechtfertigen. Hatte doch, faßt man nur Jenes ins Auge, der älteste Orden von Europa Territorialhoheit seit Jahrhunderten in vielen Ländern[370] besessen, ohne daß es Jemanden zu Sinn gekommen wäre, hierauf eine Anklage wider denselben zu begründen. Sollte aber eine solche mit grösserem Recht an das Bestreben sich anknüpfen lassen, die gesellschaftliche Einrichtung für ein einfaches, nach Kinderart leitsames Volk in der Weise einer großen christlichen Haushaltung zu ordnen? Es mag seyn, daß weltliche Gewalthaber, welche die harmlosen Indianer anders benützen zu können und anders behandeln zu dürfen glaubten, als es von den Jesuiten geschah, in diesen Einrichtungen, die auf den Beschauenden den Eindruck einer Idylle machen mußten, ein gefährliches Beispiel erblickten. Konnte man aber in der nachmaligen Behandlung dieses friedlichen Völkchens durch die spanischen und portugiesischen Gebietiger und Kriegsknechte eine Rechtfertigung der wider die Väter erhobenen Anklage finden? Darf der parteilose Beobachter einem Staatsrecht, welches, um die für unbefugt ausgeschrieene Herrschaft eines geistlichen Ordens nicht aufkommen zu lassen, einen Theil der durch ihn Geleiteten niedermetzelt, den übrigbleibenden entweder in entlegene Landstriche zum Sclavendienst abführt, oder zur Rettung in die Urwälder nöthigt, Anerkennung und Huldigung eher zuwenden, als einer geistlichen Gemeinschaft, die es darauf anlegt, ihren Untergebenen die Wohlthaten des Friedens, der Ordnung und eines geregelten Lebens zuzusichern? Wären daneben die Antecedentien und die nachwärts zum Vorschein kommenden Verhältnisse eines Jbagnez von solcher Beschaffenheit, um auf sein Zeugniß hin diejenigen eines Charlevoix, Muratori und Anderer geradezu unter den Tisch zu werfen? Oder läge nicht darin, daß noch zu Anfang dieses Jahrhunderts, sobald ein Greis jener Gegenden von den »heiligen Vätern« sprach, Alles zu ehrerbietigem Horchen sich wendete, und die geringste ehemalige Berührung mit denselben als besondere Auszeichnung galt, nicht ein Zeugniß, welches alle Worte des Lobes überwiegen, alle Ergüsse des Tadels niederschlagen muß? Verdiente neben diesen gar keine Beachtung, was der Engländer Wakerton auf seinen »Wanderungen durch Südamerika« wahrnahm: daß[371] nemlich auch in Fernambuco, wo einst die Jesuiten die nachmals durchaus vernachläßigte Erziehung besorgten, sie noch fortwährend in gutem Andenken standen. Will man überhaupt auf Herabwürdigung und auf Vorwürfe vorsätzlich ausgehen, so läßt sich nicht allein das Unschuldigste, sondern selbst das Preiswürdigste mit dem Gift der Verdächtigung bespritzen.

Wie in Frankreich der Ernst, mit dem die Jesuiten dem ärgerlichen Begehren der königlichen Buhlerin entgegentraten, ein Beweis der Herrschsucht und, wo sie im Beichtstuhl ähnlichen anwendeten, bedrohlicher Gewissenstyrannei seyn sollte, so durften in Spanien ihre Armuth, ihre Bescheidenheit, ihre Mildthätigkeit gegen die Dürftigen, ihre Obsorge um die Kranken, ihr liebereiches Verwenden für die Gefangenen keine Tugenden, sondern mußten sie alle demagogische Künste seyn. Abläugnen ließ sich nicht, was unter den Augen einer ganzen Nation geschah; dergleichen Tugenden dem klaren Blick, dem gesunden Urtheil gegenüber zu beflecken, war schwierig; darum blieb das einzige Mittel, Beweggründe unterzuschieben, bei denen dieselben in glänzende Laster sich verkehrten. War es der Haß, oder war es die Unredlichkeit, welche Ruy Campomanes in solches trostlose Bemühen trieb?

Es sind ihnen damals innere Streitigkeiten, Reibungen, hieraus entstandene Klagen, in letzter Zeit vornehmlich diejenigen vorgeworfen worden, welche während Philipps II Regierung aus Spanien vor das Oberhaupt der Kirche gelangten. Abgesehen von der Sonderbarkeit, demjenigen, was vor beinahe zwei Jahrhunderten vorgefallen, untersucht, erörtert, zurechtgewiesen, beigelegt worden, nach so langem Zeitverlauf, in welchem jenes Andenken daran verwischt worden, neuerdings Grund zur Anklage entlehnen zu wollen, laßt sich allererst bemerken, daß die Gesellschaft Jesu den Vorwurf etwa entstandener innerer Reibungen mit allen andern Orden, ja selbst mit manchen weltlichen Anstalten, die zu Ausdehnung und Ansehen gelangten, zu theilen hat; dieweil jegliche Ordensvorschrift, gleichwie die über ihnen Allen stehenden Lehren des Christenthums, dem[372] Menschen nur die dienlichen Mittel zu seiner Vervollkommnung an die Hand geben kann, das Maaß und die Weise der Anwendung aber seinem freien Willen anheimzustellen hat. Man muß ein großer Neuling in der Geschichte der kirchlichen Orden seyn, um nicht zu wissen, daß alle übrigen ähnliche, mehrere derselben noch weit beklagenswerthere Störungen aufzuweisen haben, aus denen sie jedoch entweder von selbst sich heraushelfen konnten, oder Heilung durch die über ihnen Allen stehende Autorität fanden. Immer aber hängt eine reifliche Würdigung solcher Erscheinungen von der richtigen Beantwortung der Frage ab: durch wen wurden die Reibungen veranlaßt, vornemlich aber oft hartnäckig fortgesetzt? Waren es auch hier wieder die ehrenwerthesten, pflichtgetreuesten, der Lösung ihrer Aufgabe am gewissenhaftesten nachstrebenden Glieder einer solchen Communität, die dergleichen herbeiführten; oder waren es nicht vielmehr die Störrigen, nach andern Dingen Strebenden, in den gewählten Verhältnissen unbehaglich sich Fühlenden, deren Namen bei Erscheinungen dieser Art vorzüglich genannt werden? Fraget hierüber nicht diejenigen an, welche jedes Widerstreben gegen geregelte Ordnung, jede Unbotmäßigkeit gegen wohlgefügte Einrichtungen, jede Auflehnung gegen ein bestehendes moralisches Ansehen als Geistesschwung, als ehrenwerthen Drang nach Freiheit, als muthiges Abwerfen entehrender Fesseln, um Beweggründe und Zwecke unbekümmert, zu präconisiren gewohnt sind; befraget einfach die Geschichte anderer geistlicher Gemeinschaften und wendet die erhaltene Antwort auf die Gesellschaft Jesu an! Kann etwa jener Jakob Hernandez, welchem das Ordensgewand zu enge wurde, der hierauf, weil seine Absicht, es von sich werfen zu können, nicht zu erreichen war, seinen Provincial bei der Inquisition verzeigte und hiedurch etliche Gleichgesinnte zu Aehnlichem ermuthigte, kann dieser mit Recht der Gesellschaft vorgeworfen werden? Brächtet ihr es über das Herz, einiger Ausreisser wegen eine ganze Heerschaar des Treubruches und des Meineids an ihrer Fahne zu beschuldigen Oder wäre jener Dionysius Vasquez, der schon unter dem[373] Generalat des heil. Franz Borgia von dem Amt eines Ministers des Collegiums von Rom dringlicher Ursachen wegen entfernt werden mußte, dann aus Rachsucht in Spanien Alles zu verwirren und durch falsche Berichte selbst den König zu mißleiten wußte, ein gültiger Zeuge wider den Orden und eine Last, die auf demselben haftete? Dann ließe sich den Franciscanern ihr erster oberster Meister, Elias von Crotona, jeden Augenblick vorwerfen; und doch wird dieß Niemand beifallen. Wäre jener Abreu, welcher zu Ende des 16. Jahrhunderts der Form, dem Wesen und dem Geist des Ordens zuwiderlaufende Neuerungen der Gesellschaft aufdrängen wollte, damit aber entschieden zurückgewiesen ward, ein hinreichender Beweis von solcher »Zwietracht und Eifersucht in derselben,« derenwegen sie jene »reichen Früchte nicht mehr habe bringen und den Nutzen nicht mehr schaffen können, wozu sie gestiftet worden?« Will man folgendem, im Verhör während der Gefangenschaft abgelegten Zeugnisse des Generals: daß zu eben dieser Zeit, in welcher die Feinde des Ordens mit Anschuldigungen und Anklagen wetteiferten, in demselben »viele Regularität, viele Frömmigkeit, viel Eifer, insbesondere viele Eintracht und Liebe obgewaltet habe, und während fünfzehn Jahren von äusserster Beklemmung nie innere Unruhe oder Tumult entstanden, sondern jetzt noch (im Jahr 1774) Alle ihrer, wenn noch so sehr verfolgten Gesellschaft mit warmer Liebe zu gethan seyen,« will man diesem Zeugniß, als durch den Obern ertheilt, alles Gewicht, jegliche Glaubwürdigkeit absprechen? Wohlan, wie will man andere, gegen jede Einwendung gesicheite Thatsachen entkräften? Nenne man irgend einen im Verlaufe der Zeit zahlreich gewordenen, weit durch die christlichen Länder sich verbreitenden, zu tiefgreifendem Einfluß, zu hohemt Ansehen, vielleicht auch zu genügender Ausstattung gelangten Orden, der nicht früher oder später in Fractionen, besondere Congregationen, verschiedene Verzweigungen sich geschieden, theilweise Reformen u. s. w. in seinem Innern hervorgerufen hätte! Nun zählte zur Zeit ihrer Unterdrückung die Gesellschaft Jesu in 37 Provinzen[374] aller Welttheile 612 Collegen, 340 Residenzhäuser, 50 Noviciate, 24 Profeßhäuser, 200 Missionen und über 22,000 Mitglieder jeder Abstufung, und erfreute sich einer Dauer von 233 Jahren. Wer wäre aber im Stande, irgend eine Trennung, irgend eine Modification, irgend einen Ausläufer von dem Hauptstamme zu bezeichnen? Der Cartäuserorden und die Gesellschaft Jesu sind unter den bedeutendern kirchlichen Orden die einzigen, aus welchen Fractionen und Reformen niemals hervorgegangen sind. Wäre dieß aber wohl ausgeblieben, wenn Zwietracht und Hader so tief gewurzelt, so endlos, so gefahrdrohend und ärgerlich geworden wären, wie es von daher vor. geworfen wurde, wo eine gründlichere Kenntniß hätte dürfen erwartet werden?

Behalten wir diese große Zahl der Ordensglieder im Auge; überblicken wir die Dauer der Gesellschaft, vergegenwärtigen wir uns das weite Gebiet und die Mannigfaltigkeit ihrer Thätigkeit, und vergessen wir über dem Allem nicht, daß auch diese Institution niemals der Vermessenheit sich unterwand, den Eintretenden seiner bloßen Aufnahme wegen gegen jeden Einfluß des anerborenen Verderbnisses sicher stellen und hiemit den Sieg über die menschlichen Leidenschaften auch dem Sorglosen verbürgen zu wollen, so wird es uns keineswegs in Staunen setzen, daß von Schuld, und etwa selbst von schwerer Schuld, nicht jeder Einzelne könne freigesprochen werden. Dabei aber werden wir ebenso wenig übersehen, daß gewissenhafte Treue, redliche Pflichterfüllung, ungefälschte Gottesfurcht, bereitwillige Hingebung zu jeglichem Dienste für Andere in der Regel geräuschlos, unbemerkt und ohne Aufsehen zu erregen, jederzeit walten, wirken und verlaufen; der Umfang, die Dauer und die Macht des Geredes hingegen immerdar mit der Weite der Abirrung des Einzelnen und mit der Größe des Aergernisses zunehmen, jene gewöhnlich überbieten. Wie denn schon im gemeinen Leben ein einziger Verbrecher mehr und einer unendlichen größern Anzahl von Menschen zu reden Veranlassung giebt, als zwanzig Individuen, deren Daseyn, obwohl nicht nutzlos und[375] schlaff, aber doch ruhig, schlicht und harmlos verläuft. Wollte man daher nach Jenen das Menschengeschlecht bemessen, dann müßte es wahrlich schlimm stehen mit demselben.

Kann darum nicht jedes Glied des Ordens jeglicher Pflichtverletzung freigesprochen werden, so dürfte dieselbe bei mehr als Einem vornemlich in allzugrosser Nachsicht gegen sittliche Verirrungen der Beichtkinder, in Lockerung der moralischen Grundsätze in einzelnen Fällen bestanden haben; etwa in dem Mangel an pflichtgemäßem Ernst, wie jener weder durch die in Anwendung gebrachten Forderungen des Christenthums gestattet wird, noch dem wahren Gedeihen der menschlichen Gesellschaft zuträglich seyn könnte. Aber selbst bei diesem Vorwurf, der vorzüglich an das vorige Jahrhundert sich anknüpft, ist nicht zu vergessen, zuerst: daß die Gesinnungen und die Sitten jener Zeit allerwärts durch eine Erschlaffung und Leichtfertigkeit sich auszeichneten, die mit der erschütterten Achtung gegen höhere Wahrheiten Hand in Hand gingen; sodann: daß weder Ordensgewand noch Ordensgeist vor der jeweils im Schwung gehenden Verderbniß einen Jeglichen zu beschirmen vermögen. Ferner verdient dabei erwogen zu werden, daß in keinem einzigen Lande die heftigsten Ankläger und bittersten Verfolger der Gesellschaft ihres eigenen sittlichen Werthes wegen so besonders berechtigt gewesen wären, allzuweit getriebene Nachsicht gegen Sünden den Gliedern der Gesellschaft zum Vorwurf zu machen.

Endlich, da wir es auch bei den Jesuiten mit Menschen, also den Gebrechen der menschlichen Natur nicht gänzlich enthobenen Individuen, zu thun haben, bleibt noch Eines zu berücksichtigen. – In je vertraulicherer Stellung zu dem Fürsten, seye es als Günstling, sey' es als Beichtvater, der Einzelne stehen mag; je mehr die Schwäche dort dem Mann der That, hier dem Mann des Raths Einfluß auf sich einzuräumen geneigt ist, als die ihrer selbst bewußte Regentenkraft sollte und dürfte, desto größere Lockung liegt hierin für denjenigen, dem solcher Einfluß gestattet wird; eine Lockung, gegen welche weder die Fülle des äussern Glanzes, noch die unscheinbare Armuth des[376] Ordensgewandes einen Jedweden immerdar sicher zu stellen vermag. Winkt dann hiemit ein Hinausschreiten über die Gränzen der Befugnisse (für den Menschen das Verführerischste) dem Gewandten mit gleichem Reiz, wie dem Hochgestellten: läge zuletzt so besonders viel daran, ob dessen ein Ludwig von Haro oder ein Pater Acunha sich anmaße? Oder hätte Spanien sich bitterer zu beklagen über einen Pater Nithart, als über einen Emanuel Godoy? Wäre der geheime Einfluß von jenem dem Regenten verderblicher gewesen, als die feile Eitelkeit von diesem?

Zum fruchtbaren und reichlich ausgebeuteten Mittel, um in Frankreich den Haß gegen die Gesellschaft so recht mitten in das öffentliche Leben hineinzupflanzen, wurde endlich la Valettes mißglücktes Handelsunternehmen. Wie man auch über dasselbe urtheile, das darf nie vergessen werden, daß weder der General noch der Ordensrath um dasselbe wußten, und daß das nachmalige Gerichtsverfahren und dessen Folgen insoweit wenigstens für die Jesuiten sprechen, daß sie solche Schlauköpfe, wie gewöhnlich vorausgesetzt wird, nicht gewesen seyen; denn sonst hätten sie nicht in die Parteilosigkeit und Redlichkeit der richterlichen Behörden ein so zweifelloses Vertrauen setzen können. Beruhte der Spruch, daß der Orden für das einzelne Glied haftbar seyn müsse, auf einer willkürlichen Voraussetzung, so bewies die Leichtigkeit, mit welcher falsche Wechsel konnten geltend gemacht und hiedurch die Schuld verdoppelt werden, sodann die Beschlagnahme aller Güter der Gesellschaft, um die Tilgung derselben unmöglich zu machen und den Widerwillen gegen sie mit gekränkten Interessen zu verknüpfen, daß jenes Begegniß als willkommenes Hülfsmittel zu schnellerer Erreichung des Zweckes seye ausgebeutet worden. Bei den aus der Hauptfrage entstehenden Gerichtsversammlungen sahen sich die Legisten auf ein unbemessenes Feld versetzt, auf welchem sie sowohl ihrer eigenen Gehässigkeit nach voller Lust fröhnen, theils die gewinnreiche Zuneigung hoher Gönner sich erwerben mochten, daher sie recht weidlich auf demselben sich herumtummelten. Wie indeß[377] über diesen Specialfall geurtheilt werde, in demselben kann unmöglich der Hauptgrund weder zu dem mit solcher Betriebsamkeit ausgestreuten Haß, noch zu der Fortdauer desselben, noch zu der geringsten Beschönigung der wider die Gesellschaft vollführten barbarischen Maßregeln liegen.


Und doch muß es hiezu einen Beweggrund gegeben haben. Welches aber mag wohl derselbe gewesen seyn? Alle damaligen Umstände, alles nachher Eingetretene, die ganze unberührte und durch keinen Zeitverlauf gemilderte, ja eher auf Wucher angelegte Vererbung des schäumenden Hasses an die Gegenwart weist uns auf die Rührigkeit der im Finstern gegen das Christenthum, als das Element der bisherigen Ordnung, wirkenden Verbrüderung; führt uns auf den Grimm der Bleiwage gegen das Kreuzeszeichen. In diesem, und einzig in diesem, können wir den letzten, seines Zweckes sich klar bewußten und alleinigen Grund der damals wider die Gesellschaft Jesu angehobenen Verfolgungen und des, in verstärktem Maaß auf unsere Zeiten herabgeerbten Tobens gegen sie finden.

Mit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts wußte jene geheime Verbrüderung, deren Entstehen in Dunkelheit gehüllt ist, die im Verfolg in eben solcher ihre Entwürfe und Zwecke ausgesonnen hat, und in diese erst nach langer Vorbereitung und Prüfung nur wenigen Eingeweihten hineinzublicken gestattet, auch in Frankreich sich einzuschleichen. Nachdem sie aus dem anfänglichen Zustande der Ueberwachung in denjenigen offener Beschützung durch königliche Prinzen übergegangen war, verbeeitete sie sich mit unglaublicher Schnelligkeit über alle Theile und alle Stände des Reichs, und köderte durch die Lockungen gesellschaftlicher Vergnügungen eine unermeßliche Menge argloser Gemüther, die ausser diesen nichts Anderes in ihr weder suchten noch fanden, nebenbei aber unbemerkbar mit Gleichgültigkeit[378] gegen die Religion, mit Geringschätzung ihrer Anforderungen und Uebungen, mit Verachtung gegen ihre Diener getränkt wurde. Umsonst hatten zwei Oberhäupter der Kirche, doch schwerlich auf bloße Vermuthungen hin und ohne etwelche bestimmtere Spuren ihrer letzten Tendenzen, mit Ernst gegen dieselbe gesprochen; umsonst hatte der Ritter Folard, nachdem er lange für sie gewirkt, der Stimme seines Gewissens Gehör gegeben, und es geoffenbart, daß dieselbe über einer Revolution brüte, welche den Umsturz jeder rechtmäßigen Gewalt als Endziel sich gesetzt habe. Jenes öffnete die Augen so wenig, als dieses; es war Sache der Mode, welche allgemach an die Stelle der obersten Autorität trat, in diese Verbrüderung sich aufnehmen zu lassen; ob auch dabei Tausenden und aber Tausenden jede Ahnung ferne blieb, sie möchten, ihrer selbst bewußt, andere als die eigenen Zwecke vergnüglichen Zusammenseyns unter Beseitigung beschränkender Formen, fördern helfen.

Daß außer diesen weiter reichende Zwecke vorhanden gewesen seyen, ist, so oft die Frage ernstlicher zur Sprache kam, entweder mit bitterem Ernst in Abrede gestellt, oder mit sardonischem Lachen als bemitleidenswerthe Gespensterfurcht von der Hand gewiesen worden. Jenes hat von Unzähligen in aller Aufrichtigkeit geschehen können, indem sie über die unschuldigen Aeusserlichkeiten und das, was für eine etwelche Gutmüthigkeit lockend seyn mag, hinauszuschreiten niemals in Versuchung kamen. Dieses, ging es von den Wissenden aus, ist natürlich; denn ein Geheimniß fängt dann schon an, seine Natur, vornehmlich aber seine Bedeutung und Wirksamtkeit zu verlieren, sobald man nur weiß, daß es ein solches ist. Auffallend war mir immer die Warnung, welche vor vielen Jahren ein sehr hochgestellter Staatsmann einer der ersten Monarchien an seinen Sohn selbst gegen jenen äussern und unschuldigen Anschluß an die Verbrüderung, mit folgender Erklärung richtete: »Ich war Lehrling und wußte nichts; ich war Geselle und wußte nichts; ich ward Meister und wußte nichts; ich ward Meister vom Stuhl und wußte nichts; da aber erhielt ich Gelegenheit, durch eine[379] Ritze weiter zu blicken, und ich schauderte zurück. Darum rathe ich dir, bleibe ferne.« Der göttingische Professor Feder, eine durchaus ruhige und höchst sittliche Natur, sagt ebenfalls: »Ich würde, wenn ich mit allem, was ich erfahren habe, noch einmal zu leben anfienge, nie wieder in irgend eine Gesellschaft eingehen. Denn gefährlich sind sie allemal für den unparteiischen Beobachter der allgemeinen Menschen- und Bürgerpflichten, leicht auch für die Geradheit des Charakters.«

Der positive Christenglaube und dessen Organ und Hort, die Kirche, als der offene, zu Anerkennung und Aufrechthaltung der göttlichen Ordnung über das Erdenrund verbreitete Verein hat zweyerlei Feinde. Man könnte die einen die theoretisch en, die andern die praktischen, oder auch die speculativen und die activen nennen; häufig stehen beide Arten in engem Bund wider dieselbe. Die ersten sind diejenigen, welche die Kirche als starre Verfechterin obsolet gewordener Kindersagen, als hemmendes Blei an den aufwärts strebenden Geistesschwingen gering achten, und ihre Beseitigung als eine Wohlthat für das Menschengeschlecht preisen würden. Die Andern sind diejenigen, welche als Feinde der bisherigen gesellschaftlichen Ordnung, zugleich den Aufbau auf ganz andern Grundlagen ruhender Gesammteinrichtungen anstrebend, dieselbe als das größte Hinderniß ihrer Absichten hassen, und deren Beseitigung, als selbstständiger Institution, nicht bloß gerne sähen, sondern durch alle sich darbietenden Mittel darauf hinzuwirken sich bemühen. Gewiß ist es nicht etwas Zufälliges, daß diejenigen Alle, welche durch mancherlei Verfügungen das Untergraben der Kirche auf geheimem Wege, oder deren Beschränkung durch gewaltthätige Vorkehrungen offen betreiben, gewöhnlich jener geheimen Verbrüderung angehören; gleichwie auch damals, als der Sturm gegen die Gesellschaft ausbrach, diejenigen ihr angehörten, durch welche dieser hauptsächlich veranlaßt wurde. Denn die Gesellschaft war seit ihrem Bestehen einer der mächtigsten Strebepfeiler an der Kirche, eines ihrer kräftigsten Organe in gedoppelter Bedeutung, sowohl durch ihre Stellung und das Vertrauen,[380] welches sie umgab, für die Gegenwart, so wie dann durch den Einfluß ihrer zahlreichen Bildungsanstalten für die Zukunft. Kann es daher befremdlich seyn, daß das vereinte Bemühen allererst gegen diesen Pfeiler und dieses Organ sich richtete, indem die Fortdauer seines Wirkens den Erfolg der wider die Kirche gerichteten Bestrebungen wesentlich hemmte, wenn nicht mehr als zweifelhaft machte? Es gehört auch keine besonders scharfsichtige Beobachtungsgabe dazu, um zu durchschauen, daß gerade in unsern Tagen das Wiedererscheinen der Gesellschaft auf demjenigen Felde, von dem man sie so gedeihlich verdrängt hatte, somit Besorgniß, die Zukunft, deren man sich so fest versichert glaubte, theilweise sich wieder entrissen zu sehen, zum hauptsächlichsten Beweggrund wird, um das wildeste Toben in jeglicher Verkörperung von neuem gegen sie heraufzubeschwören; dabei, weil die Klugheit Solches anräth, anstatt dieses letzten und tiefsten Grundes ganz andere, den Begriffen des grossen Haufens faßlichere Ursachen zurechtzumachen und voranzuschieben. Andere Erscheinungen, die mit diesen Vorgängen ausser jeder Beziehung stehen, sind dennoch geeignet, etwelches Licht selbst auf diese zu werfen. So ist es gewiß höchst merkwürdig, daß im Jahr 1827 der Grundstein zu dem Gebäude jener Universität in London, welche für allgemeine Glaubensfreiheit (d. h. Befreyung von allem Glauben) offen stehen sollte, durch den Herzog von Sussex, als den sichtbaren Obern jener Verbrüderung gelegt wurde. Ferner ist es eine bekannte Sache, daß unter den protestantischen Geistlichen die entschiedensten Rationalisten und Indifferentisten insgemein diesem öffentlich-geheimen Bund angehören; daß die sogenannten »Wahrheitsfreunde« in Norddeutschland (eine unverhehlt zur Feindschaft gegen das Christenthum sich bekennende Secte und gleichgesinnte Vorläufer der nachherigen »Lichtfreunde«) Temipel und Cultus in jenen geschlossenen Winkeln finden; daß endlich in England die Freimaurer nicht nur als Widersacher der Puseyiten auf dem Gebiete der Wissenschaft oder des Glaubens, sondern als deren entschiedene Feinde auftreten, dieweil sie die[381] zerrüttet geglaubte Grundlage des Christenglaubens wieder zu festigen beflissen sind. Oder sollte in all' dem Angeführten bloß ein zufälliges Zusammentreffen müssen erkannt werden?

Uebrigens müßte, wie früher berührt worden, das allein schon die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, daß unter den ausser der Kirche Stehenden die bittersten und heftigsten Feinde derselben in allen Ländern und zu aller Zeit zugleich die bittersten und heftigsten Feinde der Jesuiten waren. Das sollte deren organische Verbindung mit der Kirche und deren Bedeutung für die Kirche am genügendsten beweisen. Denn sobald sich der Haß auf eine große, vielgliedrige Verbindung wirst, so richtet derselbe seine Pfeile nicht gegen deren bedeutungslose, sondern gegen ihre edelsten, thatkräftigsten, bemerkbarsten Glieder. Und ebenso waren auch in der Kirche selbst diejenigen, welche ihr nur zum Schein angehörten, oder welche die Autorität derselben zu lähmten und zu untergraben beflissen waren, zu aller Zeit entschiedene Gegner der Gesellschaft. Denn liesse es sich wohl denken, daß ein und derselbe Mensch der Kirche sich widersetzte, dabei aber der Gesellschaft Jesu gewogen wäre? Wie sonderbare Individuen das Menschengeschlecht schon mag hervorgebracht haben, ein solches dürfte wohl schwerlich je zum Vorschein gekommen seyn; wir müßten in ihm die seltsamlichste Anomalie erkennen, die uns irgend begegnen könnte.


Clemens XIII, wie sehr man sich's auch angelegen seyn lasse, ihm gegenüber seinen Nachfolger, wenn nicht mit einem Heiligenschein, doch mit der Aufklärungsgloriole zu umziehen, sah hierin gewiß heller und tiefer als dieser. Er durchschaute den innern Zusammenhang des Sturmes wider die Jesuiten mit dem, unmittelbar hinter dem Rücken der Schaaren gegen die Kirche selbst Vorbereiteten; er sah, daß man nicht an das Aussenwerk einzig, sondern an das Hauptwerk selbst wolle.[382] Schon in seinem Breve vom 9. Brachmonat 1762 an den König von Frankreich drückt er dieses offen aus, indem dasselbe mit den Worten anfängt: »Wir bitten Dich, geliebtester Sohn, um Deinen mächtigen Schutz, nicht allein für die Glieder der Gesellschaft Jesu und ihrer Angelegenheiten, sondern für die Religion selbst, indem gegenwärtig beide Sachen auf's engste mit einander verknüpft sind. Denn längst schon haben die Feinde der Einen die Zerstörung der Andern als für ihre Zwecke unerläßlich erachtet.« Dann in einem spätern Breve vom 9. Juli 1768 an die französische Geistlichkeit, als ein Theil dieser Zwecke bereits erreicht war, sagt er: »Was bedarfs weiter? Die Obsorge um die heiligsten Angelegenheiten ist Euch beinahe gänzlich entzogen; man fragt Euch darüber nicht mehr um Rath, oder Ihr wisset selbst nichts mehr darum; und zu grosser Gefahr des Glaubens werden andere Lehrer zum Unterrichte der Zugend bestellt.«

In der That, in dem Schwanken des Hofes, die Magistratur jetzt seinen Diensten fügsam zu machen, dann aber, sobald sie minder gelehrig sich erwies, mit allem Pomp königlichen Glanzes und mit aller Barschheit königlichen Willens dieselbe anzuherrschen, hatte ein grosser Theil der französische Legisten Gefallen daran gefunden, auf den Fuß einer beharrlich und planmässig befolgten Opposition, nicht sowohl gegen einzelne Begehren, als vielmehr gegen die Autorität überhaupt sich zu setzen; dieß, weil viele derselben von der Irrlehre des Jansenismus angesteckt waren, zu allererst offen, unverhehlt und am hartnäckigsten gegen die Kirche. Und zwar giengen diese Feinde derselben nicht stufenweise zu Werke, sondern sie begannen sogleich mit dem Ende. Es ist das erste Beispiel eines bisanhin unerhörten Verfahrens wider die Kirche, ihr Ansehen, ihre Oberhäupter und deren bestimmte, durch die ganze katholische Welt anerkannten Aussprüche und Verfügungen, daß von einem weltlichen Collegium, ohne daß dieses förmlich von der katholischen Gemeinschaft sich losgesagt hätte, eine durch päpstliche Acten anerkannte Ordenssatzung, ja daß selbst päpstliche Bullen unumwunden, jene nicht[383] allein für Mißbräuche erklärt, sondern geradezu sammt diesen durch Henkershand verbrannt wurden; daß der wahnwitzige Uebermuth so weit gieng, das Gleiche an dem Hirtenbriefe des eigenen Bischofs zu vollführen und diesen sogar seiner Einkünfte verlustig zu erklären. Alles Empörende, was dreissig Jahre später die Nationalversammlung, die Constituante und der Convent in irgend einer Beziehung gethan haben, ist nur ein Nachzücken desjenigen, was im Jahr 1762 durch das Parlament begonnen wurde, und doch waren jene factisch die obersten Gewalten, was dieses nicht war. Man könnte die Gewaltthätigkeiten des Parlaments füglich eine Fortbildung des Gallicanismus in seiner gehässigsten Form nennen. Das bereits wankende königliche Ansehen vermochte die letzterwähnte Frechheit der Legistenzunft nur mit Mühe zu hemmen. Aber es dauerte nicht lange, bis ihm selbst, in der Unfähigkeit, aufrecht halten zu können, was eine Reihe von Vorfahren in Uebereinstimmung mit der Kirche angeordnet und bisher immer geschirmt hatte, der erste Herzstoß beigebracht wurde. So eröffnete, mittelst der im März 1764 erfolgten Genehmigung des Parlamentsschlusses vom 6. August 1762 über Abschaffung der Gesellschaft in Frankreich, Ludwig XV gleichsam feyerlich die Bahn, auf welcher sein Nachfolger zum Eintrachtsplatze sollte geschleppt werden. Dies nicht darum, weil die Sache die Gesellschaft Jesu betraf, sondern weil der Monarch hiemit einer Autorität, welche diejenige des Thrones zu überragen begann, sich zu Füßen legte.

So rasch erstarkte dieselbe, daß sie nicht volle zehn Jahre später der offenen Widersetzlichkeit noch den schnödesten Hohn beifügen konnte. Denn auch in Frankreich ärntete Clemens XIV für seine Willfährigkeit nicht einmal die armselige Genugthuung einer Anerkennung derselben. Das Parlament gestattete nicht, daß sein Aufhebungsbreve bekannt gemacht werde; dergestalt hatte es bereits seinen Stuhl über den des heiligen Petrus hinaufgesetzt. Jene weltliche Corporation wollte demjenigen, der auf diesem saß, so wenig das Recht einräumen, in[384] die Kirche einzuführen, was er ihr für zuträglich, als aus derselben hinwegzunehmen, was er ihr hinderlich erachtete; von dem Parlament nur sollte über Beides der allein gültige, unwiderrufliche Ausspruch ausgehen. Stemmte sich demnach die Feindschaft dieser Legisten bloß gegen die Jesuiten, oder tritt man ihnen bei solchen Schritten der bisher unerhörtesten Anmaßlichkeit zu nahe, wenn man jene blos für den Aushängeschild erklärt, hinter welchen die weit tiefer greifende Feindschaft gegen die Kirche selbst nothdürftig sich verhüllte?

In einem Umfange, wie er selbst wohl es zu ahnen nicht wagen mochte, war d'Alembert's jauchzender Zuruf an Voltaire in Erfüllung gegangen: »Hindern wir die jansenistischen Giftstimmen nicht, die Jesuiten aufzufressen; sind erst diese vertilgt, dann wird das Jansenisten-Gesindel von selbst verenden!« – Oder sollten jene geheimen Winke: Frankreichs Staatsschuld konnte am besten durch Beschlagnahme der reichen Stifte und Abteyen gedeckt, Oesterreich und Preussen am leichtesten ausgesöhnt, jenes für den Verlust von Schlesien durch Säcularisation der geistlichen Fürstenthümer am genügendsten entschädigt werden, mit dem Anschlage gegen die Jesuiten nur zufällig zusammengetroffen seyn? Sollte in Frankreich die sogenannte Reform der Bettelorden und die Aufhebung so mancher Kloster, zumal des weiblichen Geschlechts, als eine vereinzelte Maaßregel müssen angesehen werden? Sollte man wirklich nicht der Hoffnung Raum gegeben haben: seye erst die Vernichtung der bestorganisirten, lebenskräftigsten, auf kirchlichem Gebiete am vielseitigst thätigen Gesellschaft erreicht, dann würden die übrigen entweder von selbst fallen, oder deren Vernichtung unausweichlich folgen, hierauf das Weitere (zumal an unmittelbarer oder durch ihren Wandel mittelbarer Handreichung einzelner Fürsten der Kirche nicht zu zweifeln war) von selbst sich ergeben?

Zwar mochte Massillon noch immer im vollen Bewußtseyn seiner hohen Pflicht von der Kanzel zu Ludwig XV sprechen: »Welche Schmach für uns, Sire, wenn wir den Dienst der Wahrheit zum Dienst der Schmeichelei und der Lüge mißbrauchten?[385] Wenn wir von dem Predigerstuhl, aufgerichtet, um die Großen zurechtzuweisen, falsche Lobsprüche spendeten; wenn wir, ferne davon, die Lehrer der Könige zu seyn, zu feilen Sclaven der Eitelkeit und des Glückes uns herabwürdigten.« Aber schon wagten Höflinge hierüber dem König zuzurufen: »Welch' ein frecher Mensch! Die Ehre Ihrer Regierung hat er angegriffen! Darf dieser Priester es wagen, dieselbe zu besudeln?« Denn bereits hatte Helvetius ohne Rückhalt verkündet: »Wenn die Priester im allgemeinen grausam sind, so rührt dieß daher, daß sie einst Opferer, d. h. Schlächter, waren; das Wesen ihres ursprünglichen Standes klebt ihnen immer noch an. Die Kirche ist ein Tiger; aber das Wissen der Philosophen ist ein reines, heiliges Feuer. Ist der Bischof der größte Barbar unter den Menschen, so kommt dieß daher, weil er nie satt wird und keiner Gefahr ausgesetzt ist. Er ist ein Treuloser und eine Memme zugleich.«

Noch hatte der junge Abbé von Beauvais den apostolischen Muth, in Gegenwart der Madame du Barry und des gesammten verfaulten Hofes den König an die Pflichten des Fürsten zu gemahnen und das: Tu es ille vir, mit gewaltigem Ernst ihm an das Herz zu legen; im folgenden Jahr aber ihm zuzurufen: »Die Stunde schlägt! Die Stunde des Gerichts naht! Noch vierzig Tage, und Ninive wird zerstört werden!« (Ludwig XV starb wirklich vor Abfluß dieser 40 Tage.) Noch einigte er in der Leichenrede auf den verlebten Monarchen alle Kraft und allen Glanz der Beredtsamkeit zu Schilderung des Jammers seiner letzten Tage, sagte aber mit tiefem Blick in die bereits sich bildenden Zustände: »Mußte man denn, um einige alte Irrthümer zu beseitigen, die Wahrheit selbst antasten? Ja, fortan soll es keinen Aberglauben mehr geben, weil keine Religion mehr; keinen falschen Heroismus, weil keine Ehre mehr; kein Vorurtheil, weil keine Grundsätze mehr; keine Heuchelei, weil keine Tugend mehr. Verwegene Geister, schauet die Verwüstungen, welche euere Systeme anrichten! Erbebet über euern Erfolgen, über eine Revolution[386] noch beklagenswerther als die Ketzereyen, welche die Gestalt einiger unserer Nachbarstaaten umgewandelt haben.« – Flugs rief der am Grabesrande stehende achtzigjährige Voltaire in das Publicum: »Der Prälat habe in seiner Leichenrede der Wahrheit und der Vernunft Hohn gesprochen, seinen Wohlthäter (Ludwig XV hatte den Abbé zum Bischof von Senlis ernannt) geschmäht.« Ihn selbst aber grinste er an: »Ey, mein Hochwürdiger Herr! Sie wähnen Sich ein neuer Jeremias zu seyn! Wollen auch Sie Ihren König verrathen, wie dieser Jude?« Den Abbé Sabatier nannte er ähnlicher Ursache wegen »einen Elenden.« »Dergleichen arme Seelen«, sagte der Veteran der Gottlosigkeit, »verdienen keine Beachtung. Könnte eine Kröte in den Gärten von Versailles oder St. Cloud den dortigen Meisterwerken der Kunst Abbruch thun an ihrem Werth?« Und wie lange von dieser Zeit her stund es an, bis Jemand in der kurzen Frist von zwei Jahren einen ganzen Band voll der unfläthigsten und blutdürstigsten Carrikaturen gegen die Geistlichkeit sammeln konnte? eine Fluth von Bildern mit Unterschriften, wie: »Der Clerus gesäubert, ausgepeitscht, bettelnd, zusammengehauen, der Vergiftung, des Mordes beklagt, geprügelt, aufgeschlitzt, verfolgt, an die Laternen gehängt, mit Hagelgeschütz niedergeschmettert, Räthe, Kinder, Höflinge des Satans, Bewohner der Hölle.«

Welche Rechtfertigung aber geht nicht aus dieser, rasch an das äusserste Ziel vordringenden Entwicklung der Dinge auf Clemens' XIII Bulle Apostolicum über; welches Licht dagegen wirst sie nicht auf die Worte des Aufhebungsbreve's: »es seye kaum oder gar nicht möglich, daß, so lange die Gesellschaft bestehe, der wahre und dauerhafte Friede der Kirche wieder hergestellt werden könne?« – Sie bestand also nicht mehr die Gesellschaft; welcher Friede aber beglückte fortan die Kirche, in einzelnen Ländern bis auf unsere Tage? Waren denn und sind die Feinde der Gesellschaft die Friedfertigen, liegt besonders ihnen Alles daran, als Solche Kinder Gottes zu heißen?

Es war im Jahr 1752, als ein Engländer, eingeweiht in[387] die letzten Absichten des geheimen Bundes, zu Ancona dem P. Raffay, Professor der Philosophie in dem dortigen Collegium, in vertraulichem Augenblicke, weil er Zuneigung zu ihm gefaßt hatte, die Eröffnung machte: »er wäre jung und noch durch kein Gelübde gebunden, darum würde er wohl am zuträglichsten sich berathen, wenn er eine andere Laufbahn in's Auge faßte; denn kaum dürften bis zu Vernichtung der Gesellschaft noch zwanzig Jahre verfliessen.« Als hierüber betroffen der Professor gefragt: wodurch denn dieselbe ein so bitteres Loos möchte verschuldet haben? erhielt er zur Antwort: »Ohne Frage sind manche Glieder Ihrer Genossenschaft hoher Achtung werth; aber der Geist, welcher dieselbe belebt, steht unsern philanthropischen Absichten für die Menschheit im Wege. Ihr lehrt die Christen, im Namen Gottes der Kirche, die Menschen ihren Königen gehorchen, und schlaget sie dadurch in Fesseln. Ihr werdet zuerst springen, dann die Despoten.«

Allerdings durchdrangen Religion, christlicher Glaube, christlicher Sinn und christliche Uebung das gesammte Unterrichtswesen der Gesellschaft. Dieselbe hat der Jugend die großen Musterbilder der Alten in That und Form nicht (wie etwa von pietistischer Engherzigkeit könnte in Vorschlag gebracht werden) vorenthalten, aber ihre Lehrer haben der Begeisterung für eine trügerische die veredelte Freiheit, zu welcher nur das Christenthum uns erhebt, sie haben der falschen Tugend, für welche die Heiden sich begeisterten, die wahre, die den Glauben als Vater anerkannt, sie haben ihren irrigen Begriffen von Sittlichkeit die reinen des Christenthums an die Seite gestellt, und mit dem bloß blendenden das erwärmende Licht zu einigen gewußt. Glücklicher und erfolgreicher als sie hat Niemand die schwierigste Aufgabe der Erziehung zu lösen beflissen: über der Entwickelung des Verstandes die Anlagen des Herzens nicht zu verabsäumen, und neben der Bildung des Geistes gleiche Aufmerksamkeit derjenigen des Gemüthes zu schenken. Indem sie ihr Erziehungssystem auf Liebe zu dem Christenthum gründeten und mit dieser Alles durchdrangen, verstunden sie es, wie ein französischer[388] Schriftsteller sagt: »das menschliche Wissen gegen jenen giftigen Hochmuth sicher zu stellen, der dem innersten Wesen der Staaten gefährlicher ist, als alles Dunkel der Unwissenheit.«

Sollte es bloßer Zufall gewesen seyn, daß alsbald nach Unterdrückung der Gesellschaft die Baulichkeiten ihres berühmten Noviciatshauses in Paris zur einen Hälfte in einen Freimaurerwinkel, zur andern in ein formlich eingerichtetes Serail von feilen Dirnen verwandelt wurde? Mochte man hierin nicht eher den Ausbruch höhnender Siegestrunkenheit erkennen? Es war dasselbe dämonische Grinsen, welches vierzig Jahre später in Deutschland durch verwandte Geister Aehnliches trieb; z.B. in einer Bischofsstadt das von einem ehemaligen Oberhirten errichtete und ausgestattete Priesterseminar in einen Spital ausschließlich für Syphilitische verwandelte, und einzig durch Zufall zurückgehalten ward mit den Marmorsäulen des Hochaltars einer berühmten Klosterkirche den Eingang zu einem Theater zu zieren.

Alsbald der große Wurf geschehen, der mächtige Wehrstein an dem Bau der Kirche gebrochen war, konnten diejenigen, welche der Gründe der Unterdrückung der Gesellschaft Jesu am klarsten sich bewußt waren, die Früchte der gelungenen That, in ruhiger Erwartung des sichern Heranreifens aller übrigen, unmittelbar und augenblicklich auf dem Felde der Erziehung ärnten.

Denn daß die Entfernung der Jesuiten von den Lehranstalten hier ein Hauptbeweggrund ihrer Unterdrückung war, dort dieselbe zur erwünschten Folge hatte, sieht man aus dem, was durch die Genossen der geheimen Verbrüderung in allen Ländern geschehen ist, aus dem Triumphgeschrei, welches sie gerade deßwegen am lautesten erhoben haben. In Portugal mußte, um die veranlaßte unermeßliche Lücke auszufüllen, zusammengetrieben werden, was man an unreifen Köpfen, dünkelhaften Halbwissern und windigen Sophisten nur immer aufraffen konnte, und die Universität Coimbra verlor seitdem immer mehr an Ansehen und Bedeutung. Bereitwilligkeit, jeden Rest des Glaubens in[389] ministeriellem Sinne zu verflachen und bald möglichst vollends zu verjagen, ward höher geschätzt als wissenschaftlicher Ernst, bot die zureichendste Bürgschaft für erforderliche Lehrertüchtigkeit. Damit dann solches Bestreben nicht ein vergebliches seye, wurden die Eltern durch willkürliche Strafen gezwungen, ihre Söhne auf diese hohe Schule der Religionsverachtung zu schicken, wo fortan auch für Portugal der Revolutionsgeist groß gezogen wurde. – In den Rheinlanden wurden die Hochschulen zu Mainz und Bonn gestiftet, um den heranwachsenden Priestern den Febronianismus und Rationalismus ihrer hohen Patrone einzutrichtern. – Von Wien konnte ein Protestant bezeugen: »an der Brust der Geistlichkeit werde unter dem Nanten Theologie die philosophische Schlange genährt.« – Maria Theresia lebte noch, und schon konnte der Cardinal Migazzi ihr seine Bekümmerniß über Gegenwart und Zukunft eröffnen, als er ihr sagte: »Die Kirchenzucht in ihren Grundlagen zerwühlen, das ganze Gebäude der Religion zerstören, umgestalten, über den Haufen werfen, das hieße, Hrn. Stöger zu Folge, zwischen alter Lauterkeit und den Mißbräuchen der neuesten Zeit die Mitte halten. Ich erbebe, allergnädigste Frau, wenn ich daran denke, daß man es wagt, unter den Augen Euer Majestät, in Ihrer Hauptstadt selbst, im Schooß der ersten Universität Ihrer Staaten dergleiche freche Behauptungen in Wort und Schrift in Umlauf zu setzen.« – »Durch die Betriebsamtkeit unserer Brüder,« schrieb einer der Adepten in Bayern, »sind die Jesuiten von allen Professorsstellen entfernt worden. Wir haben die Universität Ingolstadt von ihnen gesäubert.« Sollte etwa das Unbegreiflichste – allgemeine Unfähigkeit der Jesuiten – eine solche Maaßregel zum Besten des Landes und der Jugend nothwendig gemacht haben? Lag nicht vielmehr der Grund hievon in der Richtung, welche sie der Erziehung gaben und die von der geheimen Secte für ihre Plane nicht zuträglich erfunden wurde? Gewiß nur dieses, wenn ein anderer jener Adepten schreiben konnte: »Muß uns daran gelegen seyn, die gewöhnlichen Schulen für uns zu haben, so liegt noch weit[390] mehr daran, daß wir uns der geistlichen Seminarien und ihrer Oberen versichern. Mit diesen Leuten gewinnen wir den vornehmsten Theil des Landes; – dergestalt kommt das ganze Volk in unsere Hände.«

Zu Frankreich gieng die Sorge um Herstellung der verödeten Collegien und Unterrichtshäuser auf die Parlamente über, oder mochte von diesen ohne Mühe an sich gerissen werden. Da aber mit einemmal eine unzählige Menge von Stellen zu besetzen waren, konnte es nicht schwer fallen, vorzugsweise solche Leute an dieselben zu bringen, von denen man sich eines Wirkens in demjenigen Geist versichert halten durfte, welcher den so unabsehbar folgereichen Umschwung bereitet hatte. Dieser Geist wurde zugleich den Formen eingeimpft, womit man die neuen Anstalten bekleidete. An die Stelle der ehemaligen monarchischen Einrichtungen trat jetzt eine republikanische; der Director wurde durch ein Directorium ersetzt, Bureau genannt; in das Collegium Ludwigs des Großen wurden 600 Knaben aus dem gemeinen Volke als Freischüler gesetzt, zugleich aber, um sie gegen jede Rüge oder Ahndung über Unbotmäßigkeit sofort sicher zu stellen, das bisanhin unerhörte Vorrecht der Inamovibilität ihnen zugetheilt, ja sogar der Appell comme d'abus von ihren Obern an die Tribunale eingeräumt; woraus in kurzem eine derartige Unfügsamkeit hervorgieng, daß die Schüler Spottschriften gegen ihre Lehrer nicht nur unter sich herumboten, sondern dieselben zum Ergötzen des Publikums sogar drucken ließen. Da begann die Emancipation der Jugend! Dieselbe hat bald genug ihre Früchte getragen; sie trägt und mehrt dieselben noch immerfort.

Keine sechs Jahre seit Unterdrückung der Jesuiten waren vergangen, als in Frankreich Stimmen über unbemessen um sich greifenden Unglauben und Gottlosigkeit bereits ertönten. Keine sechs Jahre waren vergangen, als ein General-Anwalt vor dem Parlament zu Paris erklärte: »Nicht ein Winkel mehr seye ihm bekannt, in welchen die philosophische Verpestung nicht eingedrungen wäre. Ueberall würden durch die Gluth[391] der Gottlosigkeit die Seelen versengt, die Herzen dürr; Weiber entschlügen sich ihrer heiligsten Pflichten, um in den Lehren des Unglaubens sich umzusehen. Die Grundpfeiler der Gesellschaft würden zernagt. Eine wahre Sündfluth von Schriften, erzeugt aus Irrreligion und Gesetzverachtung, seye über das Land hereingebrochen, und selbst die Kunst in den Dienst solcher Verderbniß getreten.«

Ueberhaupt ist die Richtung, welche seit Unterdrückung des Ordens die Erziehung der Jugend, in Frankreich zuerst, mehr oder minder aber auch in andern Ländern genommen hat, und der Geist, welcher derselben sich bemächtigte, zu merkwürdig, als daß diese bedenkliche Erscheinung nicht zu ernsten Betrachtungen Anlaß gäbe. Wer vorzüglich erhob sich, um, wenn immer es zu erreichen gewesen wäre, Robespierre's wankende Macht zu stützen, als die akademische Jugend von Paris? Wer erscheint bei tumultuarischen Auftritten immerdar in erster Reihe, als eben diese Jugend? Wer tritt bei sogenannten Emeuten wilder und trotziger auf den Kampfplatz, stürmt in diabolischem Rasen wider das, was Tausenden ehrwürdig und heilig ist, kecker voran, als die akademische Jugend von Paris? Wer nöthigt wildstörrigen Sinnes wegen die Behörden häufiger zu Zurechtweisungen und nicht selten zu den strengsten Maaßregeln, als eben wieder diese Jugend? Und der Name der Straße Vanneau bleibt, so lange er dauern wird, ein unvertilgbares Denkmal, daß die jetzige Erziehung Alles eher zu erreichen, als ihre höchste, vornehmste und edelste Aufgabe zu lösen wisse.

Zu eben der Zeit, als die dem Christenthum feindseligen Lehren ihre ungestörte Verbreitung fanden, und Choiseul der Sorbonne eine Beleuchtung derselben und ihrer Folgen förmlich verbot, schon im Jahr 1770, erklärte der General-Anwalt Seguier offen: »Der Gottlosigkeit genügt es nicht, sich die Geister unterthänig zu machen; sie will jeden Gedanken an Gott aus unsern Herzen herausreissen. Ihr ruheloser, waghalsiger, jederlei Abhängigkeit feindseliger Geist geht zugleich darauf aus, alle bürgerlichen Einrichtungen umzustürzen. Dann erst wird sie am[392] Ziele ihrer Wünsche sich glauben, wenn sie die vollziehende sammt der gesetzgebenden Gewalt in die Hände der Menge gebracht, wenn sie alle nothwendige Ungleichheit der Stände und Verhältnisse vernichtet, wenn sie die Majestät der Könige herabwürdigt, deren Ansehen zweifelhaft gemacht und den Launen der blinden Menge untergeordnet, ja die ganze Welt in Anarchie und in alles, von derselben unzertrennliche Unheil gestürzt haben wird. Alsdann werden in dem allgemeinen Gewirre wahrscheinlich diese angeblichen Philosophen, diese unabhängigen Geister, um über den gemeinen Haufen sich emporzuschwingen, auftreten und den Völkern vorreden, daß diejenigen, welche sie aufzuklären verstanden hätten, auch allein fähig wären, sie zu leiten. In dem Charakter, in der Regsamkeit, in der Neuerungssucht unseres Volkes wird die schrankenlose Freiheit weitere Mittel finden, um die furchtbarste aller Revolutionen zu bereiten.«

––––

Wirklich ist auch, nachdem diese in scheußlicherer Gestalt wüthete, als je sich hätte ahnen lassen, bisweilen die Frage aufgeworfen worden: ob wohl dieselbe ohne die vorangegangene Unterdrückung der Gesellschaft Jesu dennoch eingetreten wäre? Es hat nie an Solchen gefehlt, welche meinten, dieser eine unmittelbar hemmende Kraft zuschreiben zu dürfen. Sie halten dafür, durch ihre Verbindungen, durch ihren Einfluß, durch ihr Wirken auf Kanzeln und im Beichtstuhl, durch ihre Stellung zu einer großen Anzahl von Individualitäten hätte es der Gesellschaft möglich werden können, nützliche Entdeckungen zu machen, zu rechter Zeit beherzigenswerthe Winke zu ertheilen, Warnungen ergehen zu lassen, Einzelne von dem Irrwege zurückzuziehen. Hieran zweifle ich; einmal in den Lauf gesetzt, hätte auch die Gesellschaft Jesu gegen die wogende Fluth keinen haltbaren Damm bilden können. Uebrigens ist es ein undankbares[393] und nutzloses Bemühen, durch Wenn und Aber das Bett ausmarken zu wollen, in welchem der Strom der Zeiten sich würde hinabgewälzt haben, dafern diese Wenn und Aber aus dem Gebiete der Träumereyen in dasjenige der bestimmten Thatsachen würden hinübergetreten seyn. Indeß ist doch eine Thatsache vorhanden, welche zu Erörterung jener Frage festen Boden darbietet und eine Entscheidung derselben in dem Sinne wenigstens zulassen dürfte: daß die Unterdrückung der Gesellschaft Jesu der nachmaligen Gestaltung der Revolution in ihren empörendsten und gräßlichsten Erscheinungen wesentlichen Vorschub wenigstens mittelbar geleistet habe.

Diese Thatsache ist keine andere, als die bereits erwähnte Entfernung der Gesellschaft von aller Erziehung. Damit ward der größte Theil von Frankreichs Jugend dem Einfluß derjenigen ausgeliefert, die zwar schwerlich eine Revolution in so weitem Umfang wollten, wie sie ihn zuletzt gewonnen hat, die aber doch auf eine gänzliche Umgestaltung aller bisherigen Grundlagen und alles dessen, was auf dieselben gebaut war, hinarbeiteten. Frankreichs Zukunft wurde immer mehr abgetrennt von Gott, von der Kirche, von dem Königthum, von den nationalen Einrichtungen, von seiner Geschichte, seinen Gewohnheiten, seinen bewegenden Gedanken. Andere Bahnen wurden gezeigt, andere Formen eingewöhnt, andere Principien als allein richtige, zusagende und Gedeihen verbürgende angepriesen. Es kann nicht widersprochen werden, daß weitaus der größte Theil der durch die Entfernung der Gesellschaft erledigten Lehrstellen den Gegnern derselben, wenn nun nicht gerade ihrer Personen, doch gewiß ihrer Grundsätze, ihrer Bestrebungen und ihrer Erziehungspraxis übergeben, durch diese der Jugend diejenigen Lehren als die untrüglichen eingepflanzt wurden, welche die Jesuiten ferne von ihr halten zu müssen geglaubt hatten.

Man darf nur auf den größten Theil der hauptsächlichsten Theilnehmer und Gewaltiger der Revolution einen Blick werfen, und man wird sich überzeugen, daß ihre Jugend in die Zeit müsse gefallen seyn, in welcher die Gesellschaft bereits von allen[394] Unterrichtsanstalten entfernt war; daß denselben mithin andere Grundsätze, andere Ueberzeugungen mußten beigebracht, eine andere Richtung gegeben worden seyn. Es bietet zu Würdigung der Folgen, die aus jener Unterdrückung erwachsen sind, einen höchst merkwürdigen Haltpunct, wenn man überschaut, wie viele, nicht bloß Anhänger, sondern wirkliche Scheusale der Revolution einzig aus dem den Jesuiten entrissenen Collegium Ludwigs des Grossen hervorgegangen sind. Wollte man weiter nachforschen, so würde man zuverlässig bei andern Anstalten auf ein bestätigendes Resultat geführt werden. Aus jenem Collegium ist hervorgegangen der Minister Lebrün, welcher das Todesurtheil gegen Ludwig XVI besiegelte, ihm es ankündigte, der Vollziehung beiwohnte und der Versammlung Bericht darüber erstattete; ferner Robespierre zusammt seinen Henkersknechten Sijas und Pilot, von denen der Eine »die Arbeiten der Guillotine« in Paris zu beaufsichtigen hatte, der Andere an Robespierre schrieb: daß der Anblick, wie die Lyoner zu Hunderten hingemetzelt würden, seine Gesundheit herstelle. Aus ihm gingen hervor Camille Desmoulin und Chenier, die Posaunen der Revolution; dasselbe lieferte im weitern die Blutmenschen Freron, Noel und Tallien; es hatte jenen Audrein groß gezogen, der zum Dank, weil er aus den Papieren des Königs Anklagen auf ein Todesurtheil herausgefunden und für dieses gestimmt hatte, durch seine Spießgesellen dem Bisthum Quimper aufgezwungen wurde; gleich ihm war dessen Zögling ein gewisser Poiron, der aus gleich unsaubern Händen das Bisthum Arras, Dumouchel, der das Bisthum Nimes, Desbois, der das Bisthum Amiens annahm. Gewiß waren diese Genannten nicht die einzigen Zöglinge des Collegiums, die auf der Bahn der Revolution ihren Lauf nahmen, viele Andere mögen die dort eingesogenen Lehren, vielleicht nur in minder auffallender Weise in das Leben hinübergetragen haben. Meint man aber, wenn das Collegium unter der Leitung der Jesuiten geblieben wäre, es würden dennoch solche Ungeheuer, solche Blutmenschen, solche pflichtwidrige Priester daraus hervorgegangen seyn? es[395] würden bei fortdauerndem Einfluß der Jesuiten auf die Erziehung die antisocialen und antireligiösen Ideen binnen eines Vierteljahrhunderts ebensosehr die ganze Generation durchdrungen haben und kraft der ungemessenen Herrschaft, die sie über die Einzelnen gewannen, mit eben solcher, Alles niederwerfenden Gewalt über Kirche, Monarchie und die gesammte Gesellschaft hergefahren sey?

Jene angeführten, aus einer einzigen Bildungsanstalt hervorgegangenen Personalitäten sind doch für Annahme eines Zusammenhanges der Aufhebung des Jesuitenordens mit dem ungehemmtern Voranschreiten der zerstörenden Lehren ein schwer zu entkräftender Beweis, und es müßte ein ziemliches Maaß von Schwergläubigkeit erfordern, um haltbare Einwendungen gegen die Schlußfolgerung zu erheben: hätte man die Jesuiten nicht von der Erziehung verdrängt, so würden hundert und hundert junge Leute, statt daß sie nachher in der besten Manneskraft der Revolution huldigten und entweder dieselbe weiter trieben, oder von ihr sich ziehen liessen, eine ganz andere Richtung genommen haben; Mancher, der von der Religion sich lossagte, vielleicht sogar zu ihrer Vertilgung mitzuwirken sich vermaß, hätte sie lieben gelernt; Mancher, der in Unsittlichkeit und Rohheit aufgieng, hätte beide gemieden; Manchem, der eine zügellose Frechheit zum höchsten Gut stempelte, wäre Liebe und Gehorsam gegen die bürgerliche Ordnung eingeflößt worden; Mancher hätte gegen die Anwandlungen zur Empörung ein Gegengewicht in sich getragen; und vielleicht wäre mehr als ein Scheusal durch einen bessern Einfluß auf seine Jugendjahre zum achtungswürdigen Gliede des Menschengeschlechts herangewachsen. Ich will zwar keineswegs behaupten, daß diejenigen Alle, welche die den Jesuiten entrissenen Lehrstühle einnahmen, es geradezu darauf angelegt hätten, die Jugend für die Revolution zu erziehen; aber konnten nicht Unfähigkeit, Leichtsinn, Gleichgültigkeit da, wo zuvor Ernst, Erfahrung und die volle Einsicht in die Grösse der Aufgabe gewaltet, ebenso grossen Schaden stiften?[396]

Eine andere, negative Förderung, welche der Revolution gleichfalls aus der Unterdrückung der Jesuiten erwachsen ist, läßt sich ebensowenig übersehen; auch ist dieselbe nicht minder bedeutend. Ein Beispiel nemlich der Gewaltthat, der Rechtszertretung, der Beraubung, der massenweisen Beurtheilung unter etwelchen legalen Formen war gegeben; es war gegeben auf eine überraschende Weise; gegeben von daher, von wo es einen Einfluß auf die Gesinnungen unfehlbar üben müßte; gegeben gegen eine zahlreiche Menge von Individuen, die bisanhin in der öffentlichen Meinung hoch gestanden hatten. Ob über dasselbe damals gejauchzt, ob darüber wehgeklagt wurde, das kömmt nicht in Betracht; auch Jenen, die jauchzten, konnte es nicht entgehen, daß ein Gewaltsstreich durchgeführt worden, daß man um des Zweckes willen über die Mittel hinweggeschritten seye. Je auffallender, je tiefer greifend, mit je grösserer Autorität umzogen ein Beispiel des Unrechts ist, desto weiter und tiefer erstreckt sich seine Wirkung über und in die Gesellschaft; desto gewaltiger erschüttert es den Glauben an die Unantastbarkeit des Rechts; desto sicherer stumpft es bei Vielen das sittliche Gefühl ab; desto mehr zerrinnt die Achtung vor der Heiligkeit des Gesetzes und dem höhern Ansehen; desto unwiderstehlicher lockt es, in engerem Bereiche nachzuahmen, was in weiterem mit so viel Glück und unter so lautem Beifall gelungen ist. Welcher Einfluß dem ganzen Verfahren wider eine so hochgestellte, so sehr geachtete, so vielfach wirkende Gesellschaft in Lockerung aller Grundsätze und Zerstörung der Scheu vor Gewaltthat auf die Förderung der Revolution müsse zugeschrieben werden, das gehört zu den undurchdringlichen und unerforschlichen Geheimnissen, die aller menschlichen Berechnung sich entziehen; einen solchen Einfluß überhaupt aber bezweiflen, wegläugnen zu wollen, das hiesse den Zusammenhang der Dinge in Abrede stellen, dürfte zu den gewagtesten Behauptungen gezählt werden. Es tritt hier, nur in umgekehrter Anwendung, der gleiche Fall ein, wie mit Staatseinrichtungen, die durch unlautere Mittel zum Bestehen gelangt[397] sind, oder wie mit Regierungen, die Unrecht auf Unrecht häufen; dieselben müssen, durch natürliches Fortwirken des Vorangegangenen, in Anwendung der Justiz lahm werden und über manche furchtbare Verirrungen leichter hinweggehen; nicht immer, weil sie dieß wollen, sondern weil eine unsichtbare Macht ihren Arm zurückhält, eine erforderliche Bewegung nicht mehr in ihrer Gewalt steht. – Lally-Tollendal sah gewiß richtig, wenn er bemerkt: »daß die ungerechte Aufhebung der Gesellschaft Jesu den Zerfall der Ordnung nach sich geführt habe, als unvermeidliche Folge eines grossen Unrechts. Der öffentlichen Erziehung aber seye dadurch eine bis auf jenen Tag unheilbare Wunde geschlagen worden. Nur zu gut habe der Parlaments-Präsident Seguier, obwohl durch seine Collegen überwältigt, als ehemaliger Zögling der Jesuiten gewußt, wie ungerechter Weise sie seyem verschrieen worden.«

––

Das Oberhaupt der Kirche hatte gesprochen; ob frei, ob gezwungen, das durfte, seiner eigenen Erklärung gemäß, nicht untersucht, es mußte einfach befolgt werden, was dasselbe verordnete. Mehrere Fürsten, wie der König von Sardinien, einige geistliche Fürsten Deutschlands, fügten sich mit schwerem Herzen. Darauf bildete Florida-Blanca's trotziger Ungestüm ein überwiegendes Gegengewicht gegen Pius' VI Neigungen. Eine Gesellschaft, die den katholischen Glauben wider die tiefstgehenden Angriffe mit Gewandtheit und Erfolg stets verfochten; die denselben mit Beharrlichkeit und heroischer Selbstaufopferung über Länder verbreitet, in denen er zuvor nicht bekannt gewesen; die bei zwei Jahrhunderten als die festeste Stütze des apostolischen Stuhls und als Säule der Kirche sich erwiesen; die als Gewissensräthe der Fürsten auf alle Weltereignisse eingewirkt; die heranwachsende Jugend bald aller Stände gebildet,[398] und das Vertrauen aller Rangordnungen der Gesellschaft besessen; die alle Gebiete der Wissenschaften mit glänzenden Erfolgen angebaut hatte; diese Gesellschaft war mit einem einzigen Federzuge aus der Reihe der bedeutungsreichsten Institutionen der Christenheit verschwunden, schien durch einen Blitzstrahl darniedergeschmtettert, ohne die leiseste Möglichkeit, je wieder erstehen zu können.

Gegen alles Erwarten, alle Berechnungen einer übermüthigen Staatsweisheit zu Schanden machend, und trotz alles Hohnlachens des siegestrunkenen Hasses fand sie ihr Pathmos in Gebieten, auf denen von dem Oberhaupt der Kirche nichts weiter anerkannt wurde, als dessen leibliche Existenz, unter Monarchen, von denen man über jenen Vernichtungsact den größten Jubel, zu bereitwilligem Mitwirken das geneigteste Entgegenkommen hätte erwarten dürfen. Aber gerade bei diesen Monarchen – wäre es auch nur der Geist des Widerspruchs gewesen, der dazu ermahnt hätte, wäre es bloß deßwegen geschehen, um wieder in einer andern Art von Uebermuth zu bewähren, daß vor ihnen die Erlasse des Oberhauptes der Kirche nicht mehr als ein innhalts loser Schall seyen – fand die Gesellschaft, in dem Lande des Einen vorübergehend, in dem des Andern länger, Anerkennung, Schutz, Sicherheit. Die Bestrebungen des protestantischen Königs Friedrich von Preussen, des Gönners der französischen Philosophen, Schöngeister und Encyklopädisten, die in seine Staaten aufgenommenen Väter der Gesellschaft Jesu durch das Oberhaupt der Kirche anerkennen zu lassen, und die Vorwürfe der Achselträgerei, welche dieses für vermuthete Geneigtheit hiezu von den Gesandten der katholischen Höfe hinzunehmen hatte, sind zu den merkwürdigsten Erscheinungen in der Zeitgeschichte zu zählen. Friedrich schrieb seinem Geschäftsträger in Rom: er mochte nur dem Cardinal-Staatssecretär erklären, daß er fest entschlossen seye, in seinem Lande die Gesellschaft zu erhalten, da er noch nirgends bessere Priester gefunden habe, als die Jesuiten wären. Sein geheimer Agent, Abbé Ciofani, versicherte ihn nachher, Pius VI hätte sich gegen ihn[399] geäussert: »die Entscheidung seines Vorgängers zurückzunehmen, wäre ihm bei dem Widerspruch der kathol. Höfe unmöglich; dagegen gebe er das feyerliche Versprechen, daß er die Gesellschaft, welche sich in Preussen bilden würde, niemals für regelwidrig erklären wolle.« Den Jesuiten selbst sagte der König im Jahr 1775: »Ich werde euch schützen; weder der Papst, noch sonst Jemand hat mir das Mindeste zu befehlen.« – »Ich habe,« schrieb er einst, »anderthalb Millionen katholische Unterthanen. Es liegt mir daran, daß sie verständig und der Religion ihrer Väter gemäß erzogen werden. Hinsichtlich des Talents zum Erziehen haben die Jesuiten das Probestück abgelegt; einzig im Beisammenleben sind sie dieser grossen Aufgabe gewachsen. In solcher Art sollen sie bei mir leben, vorbehaltlich der kirchlichen Gesetze, welche der Papst ihnen vorzuschreiben für gut finden wird.« Selbst die Rechtfertigung, in die er seinen philosophischen Freunden gegenüber sich einlassen zu müssen glaubte, wird, wenn nicht zur Schutzrede, doch zum Zeugniß für die Verfolgten. »Wohl oder übel,« schrieb er Jenen, »obgleich ich Ketzer, ja sogar Ungläubiger bin, ich mußte den Orden erhalten. Man trifft in unsern Gegenden keine wissenschaftlich gebildeten Katholiken, ausser den Jesuiten. Ich hätte gar Niemand gefunden, der nur Schule zu halten im Stande gewesen wäre. So blieb mir keine Wahl übrig, als entweder die Jesuiten bestehen, oder die Schulen zu Grunde gehen zu lassen.« So wirkten sie unter dem Namen »Priester des königlichen Schulinstituts« fort, bis sein Verfolger die Universitäten Halle und Frankfurt mit der wohlfeilen Schenkung ihrer Güter bedachte. – Wer aber sollte es glauben? selbst das Ordensgewand, welches diejenigen in Preussisch-Polen nicht ablegten, setzte die bourbonischen Höfe in Furcht, ihre Diplomatie in Bewegung, den Papst mittelst dieser in Schrecken. L'habit ne fait pas le moine, wußten die Jesuiten wohl, sie legten das Ordensgewand ab.

Viele Väter der Gesellschaft hatten sich in die Häuser ihres Ordens in Weißrußland geflüchtet. Als das Breve Clemens XIV erschien, wollte Stanislaus Czerniewicz, Rector des Collegiums[400] zu Polozk, der päpstlichen Verfügung Gehorsam leisten. Die Kaiserin aber, welche bei Besitznahme dieses Theils von Polen Beibehaltung seines Religionszustandes verheissen, verbot es ihm. Auch sie war, gleich ihrem Nachbarn und Zeitgenossen, überzeugt, daß ihre katholischen Unterthanen keine bessere Priester und Erzieher finden könnten als die Jesuiten. Dieselben hatten sich ausserdem durch Verwendung bei den Türken für gefangene Russen Ansprüche auf das Wohlwollen der Czarin erworben. Eben als das Unterdrückungsbreve erschienen war, oder allernächstens erscheinen sollte, sollte es der Nuntius in Polen versuchen, dieselbe gegen den Orden zu stimmen. Der Botschafter des Papsts mußte sich aber die Demüthigung gefallen lassen, von der schismatischen Selbstherrscherin die Erklärung hinzunehmen: »Sie könne nicht begreifen, weßwegen man einen Orden aufheben wolle, welcher mehr als irgend ein anderer seine Kräfte der Erziehung der Jugend, sich selbst aber dem wahren Wohl der Volker widme.« Alle weitern Bemühungen scheiterten an ihrer Festigkeit, welche von ihr selbst in das Licht der Gerechtigkeit gestellt wurde. Die Leitung der kirchlichen Angelegenheiten von Weißrußland war mit besondern Vollmachten dem Bischof von Mallo, der zu Mohilew seinen Sitz hatte, übertragen. Dieser, der Gesellschaft günstig, erlaubte ihnen die Aufnahme von Novizen, und die Kaiserin verwendete sich hierauf bei dem neugewählten Papst um Herstellung der Gesellschaft. »Die Gerechtigkeit,« schrieb sie ihm, »die Forderung der Vernunft, endlich meine feste Ueberzeugung von der Nützlichkeit der Jesuiten in meinen Staaten bestimmen mich, dieselben zu beschützen.« Unbedingt entsprechen konnte Pius VI nicht; er durfte nicht weiter gehen, als vorerst über ihr Fortbestehen und über die Aufnahme von Novizen in den russischen Staaten hinwegsehen.

Bald darauf erkrankte der Papst so schwer, daß man an seinem Aufkommen zweifelte. Kaum auf dem Wege der Besserung, bestürmten ihn die Gesandten der bourbonischen Höfe aufs neue gegen diese Ungebührlichkeit in einem andern Winkel der Erde. Man sieht hieraus deutlich genug, daß immer noch Zorneseifer[401] und Wuth den Mangel an Rechtsgründen gegen den Orden ersetzen mußten. Denn sonst müßte es das Uebermaaß des Lächerlichen genannt werden, wenn hundert Religiosen in Weißrußland Spanien Ursache zu Befürchtungen hätten geben sollen. Aber nicht bloß in Rom, in Petersburg selbst suchte der König von Spanien, oder vielmehr dessen Minister und Rathgeber, die Verhaßten zu verfolgen, zu ächten, zu verderben. Von der Kaiserstadt aus sollte der Bischof von Mallo gezwungen werden, seine vom Papste erhaltenen Vollmachten herauszugeben. Catharina ließ jedoch dem spanischen Botschafter einfach erwieder: »Sein Herr möge Gründe gehabt haben, die Jesuiten aus seinen Staaten zu verbannen; sie habe die ihrigen, dieselben in ihrem Reich zu erhalten.« Da diese Zumuthungen nicht an das Ziel führen wollten, wurde der König von Polen aufgeboten, daß auch er mithelfe, die Kaiserin zu bearbeiten. »Es braucht hier keine Vermittlung,« schrieb sie ihm, »ich bin Herrin in meinem Haus.« Auch das genügte noch nicht. Auf einen abermaligen Versuch folgte die bestimmte Erklärung der Kaiserin: »Ich habe die Verfügung des Bischofs von Mohilew gutgeheißen; will der Papst Ernst gegen ihn anwenden, so werde ich ihn zu schützen wissen. Lieber ein Schisma, als Vertreibung der Jesuiten aus Weißrußland.« Selbst jetzt noch wollten die bourbonischen katholischen Höfe nicht ruhen. Sie trieben den Papst an, er müsse verlangen, daß das Unterdrückungsbreve gegen die Jesuiten auch in Rußland verkündigt werde. Der Papst konnte abermals nicht ausweichen. Die Kaiserin hingegen antwortete: »So lang ich lebe, lasse ich nie eine Bulle in meinen Staaten veröffentlichen.« Der nicht ruhende Ungestüm der katholischen Höfe veranlaßte unangenehme Conflicte zwischen dem Oberhaupt der Kirche und der Kaiserin, unter welchen sie den Jesuiten Vollmacht ertheilte, sich einen Vicar des Generals mit allen Privilegien, deren die Gesellschaft sonst genossen, als Obern zu setzen. Sodann dauerten die Collegien zu Mohilew und Polozk fort, es wurden Novizen aufgenommen[402] und die vornehmsten Herren von Lithauen durch die Väter erzogen.

Obwohl nun auf kleine Anzahl zurückgeführt und auf engen Raum beschränkt, war die Gesellschaft doch noch thatsächlich, für Rußland aber rechtlich vorhanden. Ein Keim derselben war gerettet; bald durfte er hervortreten aus der Verborgenheit an das Licht, indem später, als der Sturm sich zu legen begann, die Verfügungen der Kaiserin von dem Oberhaupt der Kirche genehmigt wurden. Zwölf Jahre, nachdem das Unterdrückungsbreve die kathol Christenheit in Bestürzung gesetzt hatte, zählte die Gesellschaft in Rußland 178 Mitglieder aus verschiedenen Ländern. Paul I, dem man neben manchen bizarren Eigenthümlichkeiten einen hellen Blick in den Ursprung, das Wesen und die Förderungsmittel der Revolution und einen entschiedenen Widerwillen gegen dieselbe nicht absprechen kann, erzeigte sich dem Orden besonders gewogen, und kam hierin mit seinen Gesinnungen denjenigen des neuen Oberhauptes der Kirche entgegen. Dieses fand daher in dem Beherrscher Rußlands keinen Widerspruch, als es am 7. März 1801 die Gesellschaft im russischen Reich förmlich herstellte, den Vorschriften des Stifters gänzlich sich zu unterwerfen, Seminarien und Collegien anzulegen, der Erziehung wie der Seelsorge sich zu widmen gestattete, den Priester Franz Carun zum General ernannte, und dieselbe in seinen besondern Schutz nahm.

Inzwischen war die Aussaat, welche die Männer des Hasses in den Ländern der bourbonischen Höfe so fleißig ausgestreut hatten, bald genug freudig und üppig in die Halme geschossen. Dieselben Mittel, deren Anwendung gegen die Jesuiten die hohen Herren so dienstwillig zugegeben hatten, wurden nun in verstärktem Maaße gegen sie selbst in Bewegung gesetzt. Die Feinde der Jesuiten und der Kirche hatten den Fürsten vorgespiegelt, sie dürften um so größer und weiser sich dünken, je barscher sie die Rechte der letztern und ihres Oberhauptes Stück für Stück prüfen, anzweifeln, bei Seite setzen ließen. Waren[403] aber die ihrigen fester begründet, geheiligter, wohlthätiger? Durften sie sich beklagen, wenn zu der verkündeten Lehre bald eifrigere, regsamere Mitschüler sich einfanden, als sie, die zuerst auf den Bänken sich niedergelassen? Unter dem wilden Orkan dann, der so lange über Europa brauste und, was noch so fest gewurzelt schien, an die Erde zu strecken drohte, hatte man allerseits ganz anderer Dinge zu gedenken, als einer in stiller Verborgenheit machtlos ihr Daseyn fristenden Gesellschaft, die noch zudem für Anerkennung in jener Landschaft, die ihr als Zufluchtsstätte gedient, eine Urkunde des Oberhauptes der Kirche vorweisen konnte.

Man kann wohl sagen, die ausgebrochene Revolution habe der Gesellschaft Jesu zum Schirm gedient. Denn wer weiß, ob ohne dieselbe die bourbonischen Höfe ihren Sturm in St. Petersburg nicht fortgesetzt, am Ende die Kaiserin nicht doch zur Willfährigkeit gestimmt hätten? Die Revolution hatte jedenfalls bei Allen, welche entweder deren Beute werden sollten, oder ihren zerstörenden Lehren keine Macht auf sich einräumen wollten, die Begriffe über die Gesellschaft wesentlich geläutert und umgestaltet. Nach so langen und schweren Erfahrungen konnte es einzelnen Fürsten nicht entgehen, daß sie durch leichtfertiges Handbieten zu deren Unterdrückung sich selbst einer der tüchtigsten Stützen beraubt, der Nachkommenschaft die sicher leitende Magnetnadel entrissen, hiemit an Untergrabung ihres eigenen Ansehens gearbeitet hätten. Kaum das Sturmeswehen der Revolution vertobt zu haben schien, stellte der König von Neapel dem Papst vor: »In diesen unglücklichen Zeiten seye als besonders rathsam zu errachten, sich der Priester der Gesellschaft Jesu zu bedienen, um die Jugend in christlicher Frommigkeit und Gottesfurcht wieder zu unterweisen.« Am 30. Juli 1801 dehnte Pius VII seine Verfügung Betreffs der Jesuiten im russischen Reich auch auf die Staaten des Königs beider Sicilien aus.

Wohl war es, wenn wir den Zustand der Religion nach den zwanzigjährigen Wettern, die über die schönsten Länder[404] unseres Erdtheils dahergetoset sind, in's Auge fassen, ein Jahrzehend später würdige »Sorge um Alle,« welche das Oberhaupt der Kirche bewog, einundvierzig Jahre, nachdem jener Schlag durch die Hofe ertrotzt worden, die Gesellschaft wieder zu ihrem ehevorigen Zweck und nach ihrem ehevorigen Wesen in die gesammte Kirche zurückzuführen; zu dem Zweck vorzüglich, »sich der Erziehung der katholischen Jugend zu widmen, dieselbe im Glauben zu unterrichten und zur Tugend zu bilden, wie auch Seminarien und Collegien zu leiten.« Fortan bedurfte es keines protestantischen und keines schismatischen Fürsten mehr, um, in leidenschaftsloser Würdigung der Gesellschaft, vielleicht auch aus Widerstreben gegen das Haupt der Kirche, ihr eine Zufluchtsstätte zu bereiten. Jerusalems Pforten hatten dem Flüchtling nach Aegypten mit voller Sicherheit zur Rückkehr wieder sich geöffnet, und wie, wenn der Bau vollendet ist, das Gerüste mag abgetragen werden, so verwandelte sich nicht volle siebenzehn Monate später, nachdem Pius VII seinen Ausspruch gethan, das so lange Jahre hindurch gastliche Land in ein feindliches. Am 7. August 1814 erschien die Bulle Sollicitudo omnium, am 20. Dec. 1815 die kaiserliche Ukase, welche die Jesuiten einsweilen aus St. Petersburg und Moskau, fünf Jahre später aus dem ganzen Reiche verbannte.


Es ist auffallend, wie, kaum jene Bulle die Anerkennung der Gesellschaft über die gesammte Kirche ausdehnte, die Feinde beider für das Breve Clemens XIV jene Infallibilität in Anspruch zu nehmen suchten, welche sie sonst dem Oberhaupt der Kirche, wenn dasselbe auch über die tiefgreifendsten Fragen ex cathedra spricht, entweder gar nicht zuerkennen, oder selbst in Spott zu verkehren beflissen sind, und hierin, so zu sagen, katholischer seyn wollten, als der Papst selbst. Die Frage: ob so viele genehmigende, begünstigende, anpreisende Stimmen von sechsundzwanzig[405] Oberhäuptern der Kirche, von Pauls III Bulle Regimini militantis Ecclesiæ, bis zu derjenigen Clemens XIII Apostolicum, nicht allermindestens eben so großen Gewichts seyen, als diejenige eines bestürmten, bedrohten, in mannigfaltige Unfreiheit verstrickten Papstes, – diese Frage kam' nicht einmal in Betracht; die Uebereinstimmung einer Reihe von dreissig Nachfolgern, von Paul III bis auf Pius VII, sollte jener einzigen Ausnahme gegenüber ohne alles Gewicht seyn; die Summe der bauenden, erhaltenden, rechtfertigenden Zeugnisse sollte vor dem einzigen niederwerfenden, zerstörenden in unwiderrufliche Nullität sich zurückziehen!

Wie in dem Gejauchze über die endlich erstürmte Unterdrückung der Verhaßten vergessen ward, daß bei einem ähnlichen Verfahren gegen die Tempelherrn alle Rechtsformen wenigstens äusserlich beobachtet worden; wie die notorielle Verdorbenheit der Humiliaten, die vorangegangenen wiederholten Mahnungen an sie und selbst ihr Mordanschlag auf den heiligen Carl der Erinnerung entfallen war, so wurde über dem Ingrimm, die zweifellos unwiederbringlicher Vernichtung Anheimgefallenen so unerwartet wieder erstehen zu sehen, mit der Geschichte noch weiter reine Tafel gemacht, und über die, in ähnlichem Falle mehr als einmal vorgekommene Berufung von dem übel an das besser unterrichtete Oberhaupt der Kirche hinweggeschritten, als wäre dergleichen aus keiner Zeit vorzuweisen. Man wußte nicht, daß Clemens VIII zwar wohl die »guten Brüder« des heil. Johannes von Deo abgeschafft, nachdem aber der Advocat Angelus Androsilla und der Bruder Johann von Carthagena ihre Rechtfertigung mit einleuchtenden Gründen durchgeführt, Clemens IX sie in den vorigen Stand zurückgestellt hatte, in welchem sie zur Erleichterung ihrer leidenden Mitmenschen an mehr als einem Orte noch jetzt segensreich wirken. Es blieb ein unberücksichtigter Vorgang, daß »die Armen von der Mutter Gottes der frommen Schulen« (die Piaristen), mancher wider sie erhobenen Anschuldigungen wegen, durch Innocenz X als Orden aufgelöst, sodann aber durch Paul V wieder[406] eingesetzt wurden, dieweil Mehrere, besonders aber der Capuciner, Bruder Valerianus de Magnis, Theologe König Ladislaus IV von Polen, die Grundlosigkeit der ihnen zur Last gelegten Anschuldigungen lichtvoll dargethan hatte. Der Groll und der Zeter, welche ausbrachen, sobald das freye Oberhaupt der Kirche, bewogen durch die Erfahrung, durch die Vorstellungen von Königen, durch »die Bitten von Erzbischöfen und Bischöfen und dem Verein der ausgezeichnetesten Männer,« widerrief, wessen der unfreye Vorgänger nimmer länger sich hatte erwehren können, ließ Solches und Anderes bei Seite liegen, um ebensowohl gegen die neuerdings allgemein anerkannte Gesellschaft, als vornehmlich gegen denjenigen, der ihre hohe Nützlichkeit für die Kirche durchschaut hatte, mit alter Zügellosigkeit in frischem Drang loszuschäumen.

Auch damals, und seitdem immerwährend, erneuerte sich, was im Anfang der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durchgehends hat können wahrgenommen werden: die Feinde der Gesellschaft Jesu und die Feinde der Kirche fallen in Eines zusammen, oder wenigstens schaaren sich alle Gleichgültigen, alle Verflacher der Kirche, alle kirchlichen Deutschthümler, alle Gönner der gouvernementalen Unterjochung der Kirche, alle diejenigen, welche mit dem todten Leich nam derselben vollkommen zufrieden sich geben können, und gewiß alle diejenigen, welche die bloße Verstandesbildung der Jugend nicht nur für das Eine Nothwendige, sondern für das ausschließlich Genügende erachten, auf Seite von Jenen, und dieß um so eifriger, je mehr sie sich überzeugen, daß durch die Gesellschaft dem Götzen des Jahrhunderts die Weihrauchkörner könnten vorenthalten werden.


Hätte nicht meine Individualität und mein ganzes geistiges Wesen von jeher gegen die Lehren und die Bestrebungen der Revolution entschieden sich gesträubt: der Blick auf ihre Förderer[407] und Gönner, auf die Mittel, die sie in Anwendung brachten, auf die Absichten, die sie zu erreichen sich bestrebten, auf das sonstige Thun und Lassen derselben, würde stets von ihr mich zurückgeschreckt, gegen die Vorspiegelungen, mittelst deren man ihr Eingang zu verschaffen suchte, wenigstens behutsam gemacht haben. Sind es die gewissenhaftesten Männer, welche am eifrigsten für dieselbe wirken? Die Wege, welche sie allerwärts betreten, die Mittel, deren sie so häufig sich bedienen, geben darüber hinreichendes Zeugniß. Sind es die uneigennützigsten Männer? Sofort bei dem Gelingen ist allerwärts ihr Erstes, daß sie Gewalt, Ansehen und hohe Besoldungen unter sich theilen und ängstlich darob wachen, daß sie ihnen nicht wieder entrissen werden. Sind es die wahrhaftigsten Männer? Die Vergleichung ihrer pomphaften Versprechungen und der nachmaligen Zustände geben hierüber die befriedigendste Auskunft. Sind es die gottesfürchtigsten Männer? Ihre geführten Reden, ihre oft zur Schau getragenen Grundsätze, ihre ganze Weise löst jeden Zweifel. Sind es die sittlich reinsten Männer? Die nähere Umgebung jeder Orte verschafft über mehr als Einen von ihnen genügende Kunde.

Ebenso lag für mich von jeher die beste Apologie der Jesuiten in der Persönlichkeit ihrer lautesten, lärmendsten, bittersten Feinde. Allein hier, da ich in einem Lande und zu einer Zeit schreibe, wo das bloße Wort Jesuit alle dämonischen Gewalten entfesselt hat, ist es nothwendig, daß ich vor Allem gegen jedes Mißverständniß, gegen jede falsche Deutung, vorzüglich aber gegen den Vorwurf ungerechten und leichtfertigen Urtheils über höchst achtungswerthe Personen mich verwahre. – Wir wissen aus der ältern, wie aus der neuern Geschichte der Gesellschaft und könnten es noch ausserdem der Wichtigkeit der Sache selbst entnehmen, daß beinahe überall, wo die Frage über deren Berufung in ein Land oder in eine Stadt der Erörterung durch befugte Personen anheimfiel, eine Verschiedenheit der Meinung sich offenbarte; daß, neben der entschiedenen Bejahung, durch die eigentlichen Feinde Widerspruch, durch Andere aber[408] Bedenklichkeiten noch so beharrlich seyn mögen, noch so wenig von denselben sich zurückbringen lassen, deßwegen zu den Feinden der Gesellschaft zählen, und hiemit Verdacht gegen ihre wahre Katholicität erheben zu wollen, wäre nicht bloß ungerecht, wäre baare Lieblosigkeit.

Der Zweifel, ob diese oder irgendwelche andere kirchliche Institution zu einer gegebenen Zeit, an einem bestimmten Ort, für eine besondere Wirksamkeit geeignet seyn dürfte oder nicht, schließt noch keinen Zweifel über den Werth einer solchen Institution selbst, noch weniger feindselige, oder auch nur ungeneigte Gesinnung gegen dieselbe, am allerwenigsten Widerspruch gegen die Kirche in sich. Jener ist relativ, dieser absolut; bei jenem kann manchen besondern Umständen oder Verhältnissen Rechnung getragen, selbst, wenn man will, denselben allzugrosses Uebergewicht eingeräumt werden, hier dagegen kann dergleichen nicht in Anschlag kommen; in Beziehung auf Jenes mögen, gleichviel ob richtige oder irrthümliche, immerhin hinsichtlich des Besondern wohlgemeinte Ansichten obwalten, neben welchen Anerkennung der fraglichen Institution, selbst Achtung und Geneigtheit gegen dieselbe dennoch bestehen kann. Lassen sich ja bei allen folgereichen Fragen, daher auch bei derjenigen: ob Zeit, Ort und Umstände die Berufung der Gesellschaft Jesu zu irgend einem bestimmten Wirkungskreise nothwendig oder auch nur räthlich machen? – immer noch, neben triftigern und überwiegenden, solche Beweggründe denken, denen mindestens Würdigung und Anerkennung redlichen Wohlmeinens nicht darf versagt werden, Einwendungen, die bei weitem nicht dazu berechtigen, denjenigen, der durch dieselben sich bestimmen läßt, zu den Widersachern des Ordens selbst zu zählen. Läßt sich doch in keinem Fall läugnen, daß irgend eine Institution für den einen Ort passender seyn möge, als für den andern, unter gegebenen Umständen für zweckmässiger und ersprießlicher zu halten seye, als unter andern, wenigstens in durchaus aufrichtiger Meinung von Einzelnen dafür gehalten wird. Diese meine Ueberzeugung in Betreff einiger höchst achtenswerther Männer zu Luzern[409] welche dort gegen die Berufung gestimmt haben, dürfte um so unbefangener seyn, da ich kein Bedenken trage, zu erklären: daß ich selbst, so ich hierüber zu sprechen berechtigt gewesen wäre, mit der entschiedensten Festigkeit auf Seite derjenigen würde gestanden seyn, welche für diese Berufung, als für eine heilsame, wohlthätige und nothwendige Maßregel, sich erklärt haben. Daß sie dieses aber seye, dafür giebt es kein sichereres Kriterium, als das unmittelbar nach der Schlußnahme aufwirbelnde Geschrei aller Zerwühler, Radicalen, Nihilisten, Communisten und Anarchisten, sammt dem jammerseligen Nachtönen aller Hälblinge.

Es giebt dann noch einen Einwurf, der von Einzelnen nicht ohne seltsamliche Befangenheit, hie und da aber doch in guter Treue erhoben, von Andern in bestimmterer Erkenntniß seiner Wirksamkeit aufgegriffen wird, dieweil er zugleich geeignet ist, den Anstrich einer ehrenhaften Mässigung zu verleihen. Dieser Einwurf lautet: fünfzehn Jahrhunderte habe die Kirche bestanden ohne Jesuiten, daher wären sie offenbar derselben nicht nothwendig, ja sogar überflüssig. Nichts ist (um nicht zu sagen abgeschmackter) unlogischer als diese breitgeschlagene Behauptung. Besteht denn nicht der Organismus des menschlichen Individuums, lange bevor dasselbe diese körperliche Gewandtheit, jene geistige Ausbildung sich hat aneignen können? Würde dieser Organismus oder dieses Individuum nicht ohne alle Frage auch dann noch fortbestehen, wenn entweder jene Gewandtheit oder diese Ausbildung ihm fremd geblieben wäre oder wieder könnte entzogen werden? Hat er aber einmal beide sich erworben, so würde der Mensch es als höchst sonderbare Zumuthung erachten, wenn Jemand ihm ansinnen wollte, darum, weil er dieselben in den Kinderjahren noch nicht besessen, oder zur Zeit, der er ihrer weniger bedurft, noch nicht damit ausgestattet gewesen, sie wieder aufzugeben. Ebenso ist die Gesellschaft Jesu nicht Etwas, dem kirchlichen Organismus Angefügtes, sondern sie ist Etwas aus demselben Entwickeltes, aus dessen innerster Lebenskraft Hervorgegangenes und von derselben Durchdrungenes[410] auch dergestalt mit demselben Verbundenes, daß er durch dessen Hinwegnehmen leiden müßte, obwohl er dadurch keineswegs könnte gefährdet werden. Darf daher mit dem Vordersatz jenes Einwurfs selbst der entschiedenste Freund der Jesuiten unbedenklich sich einverstanden erklären, so muß er doch die Folgerung ebenso von der Hand weisen, als wenn sie in Beziehung zu irgend einem menschlichen Individuum wollte aufgestellt werden.

Diesem würde eine andere Meinung entgegenstehen, ungleich gefährlicher als jene, weil sie thatsächlich auf Irrwege führen würde; die Meinung nemlich: wenn ein verblendeter und beschränkter Verehrer der Gesellschaft Jesu meinte, dieselbe gewissermassen mit der Kirche identificiren, das Bestehen oder die Wirksamkeit der Kirche von dem Bestehen der Gesellschaft unzertrennlich halten zu dürfen. Hiemit würde er in den gröblichen Irrthum verfallen, den heiligen Geist, welchen Christus der Kirche verheissen hat, in eine Form bannen zu wollen, ausserhalb welcher er entweder gar nicht, oder doch nur mangelhaft wirken könnte. Ich bin überzeugt, daß die Jesuiten selbst einem solchen Irrthum zuerst entgegentreten würden; ihr Benehmen nach dem Breve Clemens XIV, in welchem sie sich in schweigendem Gehorsam unter den Ausspruch des Oberhauptes der Kirche fügten, giebt dessen das unwiderleglichste Zeugniß. Konnte eine solche verkehrte Meinung sie nicht beschleichen zur Zeit, da Alles wieder sie anstürmte, so würden sie derselben noch weniger beipflichten in einer Zeit, wo dieses zwar nicht aufgehört hat, in der sie aber dennoch vielfältig der ehevorigen Wirksamkeit zurückgegeben wurden. Jener Einwurf und dieser Irrthum sind zwei Extreme, zwischen welchen die richtige Einsicht in der Mitte liegt. – Kehren wir von dieser Abschweifung zu den eigentlichen Widersachern der Gesellschaft Jesu zurück!

Die wider die Jesuiten Lärmenden scheiden sich zunächst in zwei Kategorien: in Wissende und Nichtwissende, in Tonangebende und Einfallende, in Voranschreitende und Nachstampfende. Da die Letztern den grossen und hellen Haufen bilden,[411] so mag wohl die Musterung bei diesem beginnen. Auch dieser läßt in verschiedene Cohorten sich scheiden. Am zahlreichsten tritt diejenige auf, welcher von den Jesuiten schlechterdings nichts bekannt ist, als der bloße Name, und dieser auch erst, seitdem sich dessen die Zeitungen als eines allgemeinen Losungswortes zum Entfesseln aller wilden und verneinenden Kräfte bedient haben. Für diese ist er nichts weiter als ein Laut, ein allgemeiner Sammelruf, ein ungedeutetes Wortzeichen, welches alle möglichen Gelüste in Bewegung setzt, ohne daß sie über dessen Bedeutung auch nur die mindeste Rechenschaft sich geben könnten. Es ist jenes Hepp! Hepp! welches vor zwanzig Jahren die niedere Bevölkerung verschiedener deutscher Städte gegen die Juden zum Schäumen brachte, und über dessen Sinn die Gelehrten sich die Köpfe zerbrachen, während die schutzlosen Israeliten allen Mißhandlungen und Gewaltthaten durch eine tobende Menge sich blosgestellt sahen. Diese Art wird am besten characterisirt durch ein Individuum in Genf, welches bei einer anarchischen Versammlung mit Andern aus voller Kehle rief: a bas la rotte de Lojala! Da aber der Lärmende diesen Namen zum Erstenmal gehört hatte, mußte er den Nachbar erst fragen, wer denn dieser scheußliche Mensch, den er so gründlich darniederzubrüllen sich bestrebte, eigentlich gewesen seye? Als er hierauf den befriedigenden Aufschluß erhalten: das seye ein südamerikanischer General gewesen, brüllte er noch weit unermüdlicher: a bas la rotte de Lojola!

Nach diesen ziehen diejenigen heran, welche den Jesuiten aus Befangenheit, Unwissenheit, Vorurtheil abgeneigt sind, die nur ein einziges Ohr haben, welches für den Strom aller Anschwärzungen und Lästerungen selbst nicht einmal hinreicht; die dann, überwuchtet durch denselben, wähnen, wie ernstlich an der Wohlfahrt der Menschheit sich scharwerken und wie gewichtige und vorwärtsgeschrittene Leute sie seyen, wenn bei dem Wort Jesuit auch sie in erkleckliche Entrüstung sich hineineifern. Sie sind repräsentirt durch diejenigen, welche, in ihrem wortreichen Eifer durch die Frage unterbrochen: was sie denn von[412] den Jesuiten zu besorgen, worin sie über dieselben sich zu beschweren, was sie denn eigentlich wider sie vorzubringen hätten? nichts zu antworten wissen, als: es sind eben doch Jesuiten!

Weiter schaaren sich Jene, welche in der erhobenen Hetze als Statisten und Choristen auftreten, blos die Bewegungen eines Vordermannes nachahmen, den Haufen vermehren, weil sothanes Thun als zeitgemäß präconisirt wird, somit dabei der wohlfeilen Ehre sich betheiligen, an der Rettung des mit Knechtschaft bedrohten Menschengeschlechts aus Leibeskräften mitzuwirken und als rüstige Handlanger an dem Bau des Tempels Salomonis zu operiren. Sie richten die Augen in den blauen Himmel, weil hundert Andere sie ebenfalls hinaufrichten, und laufen nach einer Straßenecke, weil sie ein Paar hundert Füße vor ihnen dahin in Bewegung sehen, anneben ein fleißiger Zeitungsleser dergleichen Handthierung in so allgemeiner Noth sich nicht entschlagen soll. Solche Art Widersacher werden schockweise gezählt. Sie können euch die rührendsten Reden über die bedrohlichen Gefahren herabwimmern, welche, durch die Jesuiten bereitet, gegen das Menschengeschlecht im Anzug wären, und nachher ganz wohlbehaglich gestehen, sie hätten niemals Gutes, wohl aber immerdar allerlei Schlechtes in Betreff der Jesuiten gehört; auch hätte es sie niemals angewandelt zu fragen, ob denn neben diesem jenes ebenfalls vorhanden seye.

Natürlich dürfen dann auf diesem blühenden Felde des inngründigen Jesuiten-Priester-Kirchen- und Katholiken-Hasses auch diejenigen nicht fehlen, für deren Meinungen, Lehren, Bestrebungen und Wesen das in alterthümlicher Observanz beibehaltene Beiwort »christlich« ohngefähr dieselbe Bedeutung hat, )wie bei der letzten deutschen Kaiserin der zurückgebliebene Titel »allzeit Mehrer des Reichs,« wo nicht vollends wie bei den englischen Königen derjenige »Beschützer des Glaubens;« auch mich diejenigen, welche die ausschließlich gültige Strömung der Offenbarung von oben nach unten in pantheistischem Wahnwitz in eine von unten nach oben gehende verkehren; die deßhalb[413] sämmtlichen unverkennbaren Signaturen der erstern, von dein Gruße des Engels im Hause von Nazareth bis zum Tage von Bethanien, eine etwelche subjective Geltung nur für so lange zugestehen können, als die »Gesammtintelligenz« (jene Umschlingung der Phantasie und des Bedürfnisses, aus welcher Gott hervorgeht) nicht anders darüber verfügt, alsbald jedoch, so diese gesprochen hat, einer Sünde wider einen solchen, den einzigen, von ihnen anerkannten und angebeteten heiligen Geist sich schuldig machen weder wollen, noch dürfen. Hier winkt die herzerhebende, palmenreiche Arena auch denjenigen, welche niemals das Bewußtseyn berührt hat, daß die Andern, zwar wohl als Brüder in Christo, vor allem aber im Auftrag von diesem verkünden sollen, was nur von ihm ausgegangen ist, zu ihm allein führen kann; die daher in so naivem Ignoriren und bei bloß erdgebornem Zusammenbrüdern mit allerlei, kraft eigenen An- und Ausspruches wohlberechtigtem Volk, auch dessen letzter Forderung, daß das Heilige aufhöre, in treubrüderlicher Dienstfertigkeit sich fügen können, sobald ihnen dargethan wird, daß »die religiösen und geistigen Interessen des höhern Volkslebens,« von reinerem Lichte umschienen, dessen sich entschlagen wollen; sintemal sie, durch die »Gesammtintelligenz« überbrüdert, an dieser sich nicht werden versündigen wollen und dürfen. In solchen Augenblicken müßte es sich auf's Fürtrefflichste bewähren, welche ergiebigen Ritterdienste für Amt und Brod der, jedes positiven Gehalts entbehrende Christianismus vagus (als Schwimmblase) zu leisten im Stande seye. Möchte doch derselbe, wie nichts außer ihm und am wenigsten eine abgeschlossene und beharrlich festgehaltene Auffassung der so bildsamen christlichen Lehre, treulich schützen gegen jede unzeitige Anmaßung, jener allein gültigen »Gesammtintelligenz« eine unverrückbare Ueberzeugung entgegenstellen zu wollen. Wie tief unter diesen Lichtziehern der Zeit steht nicht der Jesuite, der in Glaubenstreue dem Jesuiten verwandte katholische Priester, welche Beide mit allem Nachdruck, den sie in dieses Wort legen können, sagen: »ich weiß, an wen ich glaube; welche[414] Beide in felsenfestem Glauben die anvertraute Hinterlage bis zum Tod bewahren und Beide mit dem Apostel sagen und nöthigen Falls mit ihm bethätigen zu müssen wähnen: »ich sterbe täglich!« Wie weit hinter jenen Geschmeidigen stehen nicht alle die beschränkten Fanatiker der ersten Jahrhunderte der Christenheit, welche ebensosehr der schrankenlosen imperatorischen Machtvollkommenheit, als der heidnischen »Gesammtintelligenz« gegenüber, Angesichts der Scheiterhaufen, der mordgerüsteten Büttel und der reißenden Bestien bekannten, Christus, nicht, daß er der Weise von Nazareth, sondern »daß er der Herr seye zur Ehre Gottes des Vaters;« welche verkündeten, nicht, was die »neuere Wissenschaft« aus diesem tagtäglich zu machen für gut findet, sondern: »derselbe gestern und heute und in alle Ewigkeit!«

Nun kommt aber ein nicht unbedeutender Trupp, für den das Wort Jesuit eine ganz bestimmte und anerkannte Bedeutung hat; zwar nicht gerade die engbegränzte, welche durch den Sprachgebrauch ihm angewiesen wird, sondern im Gegentheil eine höchst umfangsreiche und manigfaltig angewendete. Sie haben dieses Wort zum gemeinsamen Halloh ausgeprägt, erst gegen alle glaubens- pflicht- und kirchengetreuen Katholiken, sodann gegen die würdigen, gewissenhaften und ehrenwerthen Priester unter denselben insbesondere; ferner ist es der Ruf gegen alle diejenigen, welche überhaupt dem geoffenbarten Christenthum eine höhere Bedeutung zugestehen, als die Nihilisten noch gestatten möchten, und die dasselbe nicht auf ein Unendlich-Kleines wollen abziehen lassen (in welcher Bedeutung dann auch von protestantischen Jesuiten gar häufig und scharf gesprochen wird); weiter tönt es gegen alle diejenigen, welche in den bürgerlichen Einrichtungen nur etwelche Ordnung noch, in den öffentlichen Verhältnissen nur etwelchen Ernst und einige Ehrenhaftigkeit noch, in der Frage über Recht und Unrecht und in der Würdigung so des einen als des andern nur etwelche Parteilosigkeit noch, bei Erörterung der allgemeinen wie der besondern Angelegenheiten nur einen Rest von Redlichkeit[415] und Wahrhaftigkeit noch erhalten möchten; entschiedener wird es gegen diejenigen gerichtet, welche Freiheit der Meinung und Freiheit der Rede in anderem Sinne nehmen, als in demjenigen schmiegsamer Anbequemung und lautloser Unterwürfigkeit unter die Häuptlinge alles Umsturzes und des in's Brüllen getriebenen blinden Haufens; erfolgt endlich noch, wie es den Anschein dazu hat, die Bewegung auf der Bahn des Fortschrittes in geometrischem Verhältniß, so dürfte in der Schweiz die Zeit nicht mehr ferne stehen, in welcher nicht nur Jeder, der an sich Etwas ist, und weiß, was er will, sondern auch Jeder, der Etwas hat, als Jesuit wird gelten müssen.

Was wir in der Schweiz seiner Mannigfaltigkeit nach auf engern Raum zusammengedrängt und in seiner Erscheinung schärfer eingeprägt sehen und ungehemmter ausgesprochen hören, das könnten wir, nur weiter zerstreut, überall finden. Besonders würden wir weit umher jener Species von Denkgläubigen und Freisinnigen begegnen, die, wenn z.B. in Paris an einem schönen Morgen Einer ihnen berichten würde, in vergangener Nacht hätten die Jesuiten die Thürme von unserer Lieben Frauen Kirche in die Tasche gesteckt, weder Anwandlung noch Zeit fänden, zu überlegen, ob dieß nur physisch möglich, geschweige denn, ob es moralisch denkbar seye; denen es in ihrer vorurtheilsfreyen Bestürzung über so Ungeheures nicht zu Sinne käme, die Augen aufzuheben, ob denn diese Thüren wirklich nicht mehr sichtbar wären, sondern die nichts Eiligeres zu thun wüßten, als in alle Barbierstuben, Kaffehäuser und Schenken zu rennen und dieselben mit ihren Declamationen über das entsetzliche Volk der Jesuiten zu erfüllen, die zu allem Gräulichen nun auch dieses verübt hätten.

Man erinnert sich zwar wohl, daß im Jahr 1784 ein Spottvogel eine Schrift herausgegeben hat unter dem Titel: »Augenfälliger Beweis, daß die Jesuiten an dem Erdbeben in Calabrien Schuld sind.« Es sollte uns nicht wundern, wenn es damals Leute gegeben hätte (und wie gut mag es seitdem nicht gelungen seyn, deren Zahl zu mehren?), welche den Spaß[416] als Ernst nahmen. Gehört es doch zum untrüglichen Kennzeichen eines vorwärtsgeschrittenen, vorurtheilsfreyen, casinofähigen Menschen, über Eisenbahnen und gegen Jesuiten peroriren zu können. Ein jauchzendes Hear him! kann nur demjenigen entgegenjubeln, welcher genugsamen Vorrath von erforderlichen Tinten mit sich führt, um den Jesuiten zum rechten Schreckbild auszumahlen. Ja ein Jeglicher, der ernstlich an dem Fortschieben des Jahrhunderts sich betheiligen will, muß es als Pflicht erachten, alles Mißbeliebige, was je in der Welt vorgieng, mit Donnerstimme den Jesuiten aufzubürden, nach Kräften mitzuwirken, der mündig gewordenen Menge allmählig einen derartigen, mit obligatem Inngrimm wider sie gewendeten Köhlerglauben einzupflanzen, daß es nur des gehaßten Namens bedarf, um dessen Träger in Alles zu verwickeln, ja dieselben zu Urhebern und geheimen Förderern von Allem zu machen, was entweder an sich beklagenswerth, oder für die Wortführer unerwünscht ist. So geschah es z.B. vor fünf Jahren im Wallis. Die dortigen Jesuiten kannten die Umtriebe der Jung schweizer; sie sahen, wie dadurch steigende Gährung hervorge– rufen wurde; sie ahneten bei der Stimmung der Gemüther, daß ein Ausbruch nicht werde zu vermeiden seyn; auch entging es ihnen nicht, daß alsdann die radicale Partei mit vollen Backen die Schuld ihnen beimessen würde. Da durchschauten sie wohl, daß Pflicht und Klugheit gebiete, diesen politischen Fragen völlig fremd zu bleiben. Als daher Einzelne sie berathen wollten, wurden dieselben nicht nur abgewiesen, sondern den Vorstehern der Gemeinden verdeutet, sie möchten ihren Mitbürgern den Wink ertheilen, die Väter mit dergleichen Besprechungen nicht zu behelligen, da doch Keiner würde angehort werden; es wurde selbst in jenen Tagen jede Berührung nach aussen unterbrochen. Dennoch hat nachher die junge Schweiz die Jesuiten als Haupturheber des bewaffneten Zu sammentreffens bezeichnet, und alle öffentlichen Blätter der Schweiz widerhallten fröhlich von dieser Anklage. Im Jahr 1845 war wieder dasselbe zu hören, wiewohl ich versichert bin – Zeugnisse, wie[417] über jene Zeit, sind mir nicht zu Theil geworden – daß sie auch dazumal wieder die gleiche Weise des Verfahrens werden eingehalten haben.

In solcher Art hat vor nicht langer Zeit in Deutschland ein gewisser Deppen eine Schrift »über die Demagogie der Jesuiten« herausgegeben. Dieser Ehrenmann überbietet noch das Parlament von Paris, denn dasselbe führt doch noch ein langes Verzeichniß bestimmter und faßbarer Vergehungen auf, deren aller die Gesellschaft sich schuldig gemacht hätte; jener hingegen befleißt sich einer musterhaften Kürze, denn er sagt geradezu: »es gibt kein Laster, keine Niederträchtigkeit, deren die Jesuiten sich nicht schuldig gemacht hätten; in allen Schändlichkeiten sind sie Meister gewesen; hundert Folianten würden nicht hinreichen, das Register ihrer Sünden zu fassen.« Welcher Dienst an der armen Menschheit, wenn der theure Mann (ich glaube, er seye ein schlesischer Schulmeister, dem es daher an Gehülfen nicht fehlen könnte) auch nur den ersten von diesen hundert Folianten dem Druck zu übergeben sich entschließen könnte!

Wenden wir uns aber von diesen Haufen zu den eigentlichen Stimmführern, zu denjenigen, welche wissen, was sie mit ihrem rastlosen Geschrei gegen die Jesuiten wollen, so erblicken wir unter ihnen zuerst diejenigen, die überhaupt das Christenthum als eine antiquirte Sache betrachten, daher mit denen Allen, welche dasselbe nach seiner concreten Gestalt festzuhalten und fortzupflanzen sich bemühen, auch die Jesuiten hassen; sodann diejenigen, welche in Beziehung auf die Kirche eine Auflösung ihres innern Verbandes und eine Lockerung der hierarchischen Ordnung als Segnung für das Menschengeschlecht anpreisen, deßwegen mit denjenigen, welche Willen und That für Erhaltung der Kirche verwenden, auch die Jesuiten hassen; ferner diejenigen, welche die staatlichen Einrichtungen mehr aus atomistischen Rotationen, als aus organischen Kräften möchten hervorgehen lassen, darum mit denen Allen, welche für Anerkennung und Wirksamkeit von diesen einstehen wollen, auch die[418] Jesuiten hassen; diejenigen sodann, welche jede Beschränkung des Individuums durch die Macht des Ansehens und durch den Einfluß einer mit mancherlei Vorschriften den Menschen in Anspruch nehmenden Religion als Eingriff in dessen Rechte verschreyen, darum mit denen Allen, die hiefür zu wirken sich berufen halten, auch die Jesuiten hassen; im weitern diejenigen, welche statt des Gehorsams die Freiheit (eigentlich die Ungebundenheit, oder die blinde Unterwürfigkeit unter ihre Satzungen) zur bewegenden Kraft der Gesellschaft machen möchten, darum mit denjenigen Allen, die den Gehorsam zu lehren, zu pflanzen, zu dem selben, als für die Grundkraft jeder gedeihlichen Einrichtung, von dem Hause angehoben, bis zur Kirche hinaufsteigend, jeden Einzelnen anzubilden sich bestreben, auch die Jesuiten hassen; diejenigen, welche zwar allen Werth auf die Entwicklung der Verstandeskräfte durch Unterricht setzen, die Ausbildung hingegen der Willenskräfte durch Erziehung Preis geben, darum mit denen Allen, welche dieser den Vorrang einräumen, auch die Jesuiten hassen; diejenigen besonders, welche an die materiellen Güter und Bestrebungen dergestalt gekettet sind, daß sie von solchen, welche dieselben unendlich überragen, nur nicht einmal mehr das Daseyn ahnen, die darum mit denen Allen, die die Anerkennung ihres Werthes zu erhalten beflissen sind, auch die Jesuiten hassen; endlich und vor Allen aber diejenigen, welche in Heranbildung der Jugend zu Vereinigung aller jener Zwecke der Zukunft sich bemächtigt, und, weil die Möglichkeit, dieselbe einer andern Richtung zuzuwenden, vorzüglich an die Jesuiten sich knüpft, der Gesellschaft tödtlichen Haß geschworen haben.

Wirst man auf die Bestrebungen der Zeit und auf die Erscheinungen der Zeit nur den flüchtigsten Blick, so kann man, wenn nicht über eine bestehende Verbrüderung, doch über ein gleichzeitiges Zusammenwirken der mannigfaltigsten feindseligen Kräfte gegen die (wahre) katholische Kirche von keiner Täuschung länger sich beschleichen lassen. Das Wirken dieser Kräfte wird schwieriger, der Erfolg desselben zweielhafter auf jedem Punct, auf welchem die Jesuiten festen Fuß gewinnen können.[419]

– Daher dieses vereinte Geschrei, auch bei verschiedenen Beweggründen; daher diese zusammenlärmenden Stimmen, wenn auch in abweichenden Lauten. Es ist, wie einer meiner Freunde richtig bemerkte, nicht sowohl die offensive Macht, als vielmehr die defensive Kraft, welche in ihnen verfolgt wird. Den klarsten Beweis hiefür geben diejenigen Länder, in welchen nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Sturm gegen sie anhob. Diese hatten von einem offensiven Auftreten der Gesellschaft nichts zu fürchten, weil zu einem solchen, dafern es möglich gewesen wäre, damals keine Veranlassung, kein Zweck vorhanden, weil anscheinend gegen die katholische Kirche keine Gefahr, kein roher Angriff gerichtet war. Aber ihre defensive Kraft stand der zwar willkürlichen, aber nur allmähkig voranschreitenden Beeinträchtigung der Kirche, stand den Attentaten gegen ihr Ansehen, stand der Vergiftung derselben durch die Lehren einer materialistischen Philosophie im Wege. Darum mußte erst diese Kraft gebrochen werden um jeden Preis; sie soll noch heutzutage durch alle Mittel, und wären es selbst diejenigen des Treubruches, der Anarchie, der versunkensten Lügenhaftigkeit, selbst des Mordes und des Brandes, darniedergehalten werden. Die Einsichtigern unter den Feinden wissen so gut, als Andere, daß, wie zur jetzigen Zeit die Sachen stehen, die katholische Kirche in unserm Europa durch die Jesuiten an äusserer Ausdehnung nichts gewinnen kann; dieselben wiegen sich aber dergestalt in dem übermüthigen Wahne: ihnen ausschließlich gebühre die Herrschaft über die Gemüther, zu ihren Zwecken einzig müßte diesen die Richtung gegeben werden, daß sie Jeden, in welchem durch die Lehre der Jesuiten ein anderes Licht aufgeht, Zeden, der durch diese in fester Ueberzeugung mit der Kirche geeint wird, Jeden, dessen Leben durch sie tiefere Wurzeln gewinnt, als eine widerrechtlich ihnen entrissene Beute betrachten und gegen diejenigen, welche solcher Sünde wider ihren Geist sich schuldig machen, das allgemeine Aufgebot mit allen möglichen Waffen ergehen lassen. Wahr ist es, die Jesuiten haben in ehemaliger Zeit, in welcher die Gränzen zweyer getrennten Gebiete,[420] noch nicht scharf ausgemarket, vielfältig in einander liefen, die Kriegsweise, zu welcher die Gegner der Kirche nicht nur vollkommen berechtigt, sondern sogar berufen sich glaubten, ebensowenig verschmäht, als diese. Indeß würde es nicht schwer fallen, alle daherigen Anschuldigungen verstärkt und vermehrt auf jene zurückzuwenden. In einseitiger Erinnerung an jene Vergangenheit werden nun die Gestalten aus derselben immer von neuem als Schreckensphantome heraufbeschworen, um durch sie die eifernde Beschränktheit so Mancher zu berücken, welche vor den letzten Zwecken der wissenden Jesuitenfeinde zurückschaudern würden. Man bethört sie durch das Vorgeben, das Wort laute: Jesuiten gegen Protestanten (d. h. solche unter diesen, die noch eine göttliche Offenbarung glauben), indeß es der Wahrheit gemäß lautet: die Bleiwage gegen das Kreuz. Von jener Gesellschaft, deren Geheimnisse, einst weit undurchdringlicher waren, als diejenigen der Jesuiten, die den Cultus gegen sie durch Ehre, Gunst, Glanz und Macht ablohnt, wozu es in unsern Tagen den Jesuiten an allen Mitteln fehlt, die manchen Orts mit verhüllter und dennoch unverkennbarer Despotie reichsnet, von ihr geht das Delenda Carthago über die Gesellschaft Jesu, über die Kirche, über das Christenthum aus. Befraget hierum Spanien und Portugal!

Lege man sich einfach die Frage vor: ist je ein irreligiöser, ein unsittlicher, ein revolutionär gesinnter, ein zur Empörung geneigter, ein wider seine Obern anstrebender, ein blos für zeitliche Zwecke lebender Mensch als Verfechter der Jesuiten aufgetreten? Welches wird die Antwort seyn? Denen aber, die für dieselben auftreten, welche andere Vorwürfe könntet ihr ihnen insgemein machen, als daß sie euere Aufklärung nicht fordern, euerm Fortschritt nicht huldigen, euerer Gleichmacherei und euerem Freiheitszwang wider Alles, was von geistiger Autorität ausgeht, nicht das Wort reden, euer Hinwegräumen aller Schranken nicht anpreisen, euer Jagen nach materiellen Genüssen und Gütern nicht theilen wollen? Welche andere Vorwürfe, als daß sie im Glauben etwas Unwandelbares, in der Kirche[421] etwas durch höhere Anordnung Gesetztes, im Staat eine Construction von oben herab anerkennen, und in dem Oeffnen der Schleussen und in dem Hereinbrechen der Fluth, die dieses Alles hinwegzureissen droht, eben nichts so besonders Glückhaftes zu erkennen vermögen? Könnet ihr den Vertheidigern der Gesellschaft Jesu ebenfalls vorwerfen, daß sie fremdes Gut gestohlen, mit Eiden gespielt, das Recht gehönt, Schlechtes, was sie unverdeckt getrieben, mit Frechheit geläugnet, in andere Häuser die Brandfackel geschleudert, Horden zum Morden und Sengen ausgerüstet, über ihre geheiligtesten Verpflichtungen mit lachendem Frevelmuth sich hinweggesetzt, und bei diesem Allem auf die hohe Stufe ihrer Cultur gepocht hätten?


Schreiben die Jesuiten Bücher; man läßt ihnen diese Freiheit; sicher aber ist es, daß, wenn der Verfasser als solchen sich zu erkennen giebt, man irgend Etwas darin auswittern und ihm zum Vorwurf machen wird, was, hätte ein Anderer vom ersten bis zum letzten Wort gleichlautend es geschrieben, schwerlich darin wäre gefunden worden. Treten sie als Prediger auf, man laßt sichs gefallen; aber gewiß muß ihr Vortrag einen versteckten Zweck haben, auch wenn derselbe sich nicht ergrübeln läßt, und den er gewiß nicht hätte, wäre die Predigt von einem Andern gehalten worden. Wollen sie Beicht sitzen, man läßt sie gewähren, und zückt höchstens die Achseln über diejenigen Personen, welche an ihrem Beichtstuhl sich einfinden mögen. Nicht das Bücherschreiben, nicht das Predigen, nicht das Beichthören ist's, um dessentwillen man die Jesuiten nicht dulden will, sondern dann vorzüglich, wenn sie der Jugend sich annehmen wenn sie als Erzieher auftreten wollen, besonders wenn künftige Priester durch sie gebildet werden sollen, dann müssen die Schildwachen von dem einen Ende des feindlichen Heerlagers zu dem andern das: Hannibal ante portas! sich zurufen.[422]

Der Zeit- und Weltgeist weiß es wohl, daß die Schulen der Kampfplatz sind, auf welchem entschieden werden soll, wem die Zukunft gehöre. Hier hat Jener seine Werkstätte aufgeschlagen, hier den Sammelplatz errichtet, aus dem er, eingeübt und vollgerüstet zur Eroberung und Beherrschung der Welt, seine Legionen durch alle Pforten aussendet. Hier will ausschließlich er ordnen, bilden, walten, gebieten. Er sieht es wohl, daß, wenn ihm die Jesuiten auf diesem Boden begegnen, er es mit hochverständigen, kunsterfahrenen, umsichtig und nachhaltig wirkenden Männern zu thun hat. Er fühlt es, daß seine lehrenden Glieder, wie sehr er auch sie gespeist, getränkt und mit Leib und Seele sich verpflichtet hat, gegen einen erziehenden Körper, welchen ein Geist, ein Wille, eine Kraft belebt, welcher einen Zweck und ein Ziel im Auge hat, nicht bestehen können. Es mag seyn, daß er für den Unterricht mehr Mittel besitzt, zu demselben grössere Gewandtheit bringt, Mannigfaltigeres zu leisten vermag, glänzendere Erfolge aufzuweisen im Stande ist, daher ohne Besorgniß hierin mit den Jesuiten sich messen, sie vielleicht weit hinter sich zurücklassen dürfte. Aber die Erziehung, das ist's, was er fürchtet, das ist seine schwache Seite; über seine Tüchtigkeit zu dieser Kunst, der ersten und wichtigsten von allen, darüber kann er sich nicht ausweisen, denn sie kann und soll wohl mit dem Unterricht Hand in Hand gehen, ist aber ganz verschiedener Natur von jenem. Auch fordert er von seinen Bestallten nichts weiter, als daß sie bestmöglichst und mit möglichst Vielem den Kopf und die Verstandeskraft anbauen und mit dieser mehr oder minder gewandt, mehr oder minder zu operiren lehren, anbei mag vortheilhaft das Herz und die Willenskraft füglich brach gelassen werden; oftmals noch sehr glücklich, wenn nur dieses! Er fürchtet eine zu festem Glauben, zu treuer Anhänglichkeit an die Kirche, zu freudigem Gehorsam, zu schöner Bescheidenheit, zu wahrer Gewissenhaftigkeit, zu ächter Frömmigkeit erzogene Jugend. Eine solche würde ihm seine Zukunft entreissen, denn sie würde auf eine ganz andere Wandelbahn gezogen.[423]

Die Zeugnisse über Tüchtigkeit der Jesuiten in dem grossen und schwierigen Werke der Erziehung folgen sich von Baco an ununterbrochen durch die Folge der Zeiten hinab bis auf unsere Tage, und zwar durch die ausgezeichnetsten Männer, durch die hervorragendsten Intelligenzen, selbst durch Solche, welche man nicht als Pfeiler der Religiosität anerkennen wird, wie Voltaire. Der Protestant Grotius darf neben Pascal doch wohl eine Geltung in Anspruch nehmen. Jener sagt über sie: »tadellos sind ihre Sitten, ihre wissenschaftliche Bildung ist gut, ihr heiliger Wandel gewinnt ihnen großes Ansehen bei dem Volk. Mit Weisheit wissen sie zu befehlen, in Treue gehorchen sie. Der neueste unter allen Orden, hat der Ruf der Jesuiten denjenigen der frühern überflügelt, daher diese scheel auf sie sehen. Zwischen starrem Gehorsam und trübsinniger Anmaaßung in der Mitte, fliehen sie der Menschen Gebrechen nicht und jagen ihnen nicht nach.« Aber Pascal muß schwerern Gewichtes seyn, als der Protestant Grotius; dieser wird ignorirt, jener fortwährend ausgebeutet.

Unbedenklich sey zwar zugegeben, daß der Jesuiten-Zögling, demjenigen einer zeitgeistigen Anstalt gegenübergestellt, in verschiedenen Dingen den Kürzern ziehen, und in dem Mancherlei, was jener zur Schau tragen mag, schwerlich es ihm gleich thun dürfte. Ob ein heilsames Maaß der geistigen Anstrengung, wie die Jesuiten es einzuhalten und mit freyer Erholung zu versetzen wissen, einer immerwährenden Spannung nicht vorzuziehen, ob Alles durch die Schule zu bewerkstelligen, dem nachmaligen Leben nichts zu überlassen seye, mag gleichfalls unerörtert bleiben. Selbst die Behauptung soll nicht angefochten werden, daß die Jesuiten unserer Zeit wissenschaftliche Notabilitäten, wie ihnen dieselben früher niemals mangelten, nicht aufzuweisen haben, daher auf diesem Felde mit andern Anstalten nicht Schritt halten können. Das aber ist heutzutage nicht das Eine Nothwendige; weit mehr muß in Zurückführung der Jugend zu gediegener Gesinnung, in der Christianisirung der heidnisch gewordenen Zeit die Bürgschaft einer gedeihlichen[424] Zukunft gesucht werden. Sind nun die Jesuiten nicht die Einzigen, welche dieß können, so sind sie doch diejenigen, welche es am entschiedensten wollen; deren Betheiligung daher bei Bildung künftiger Priester eine so hochwichtige Sache ist. Denn vorzugsweise bei diesen, und für dieselben besonders in dem Maaße, in welchem sie zu einstiger Wirksamkeit unter dem Volke berufen sind, kommt es ungleich weniger auf den Umfang des Wissens in allerlei Fremdartigem an, als auf feste Anhänglichkeit an das Eine Nothwendige und diejenige Institution, welche zu dessen Bewahrung der Menschgewordene eingesetzt, auf Glaubenstreue, Herzensreinigkeit und Pflichteifer. Die weltlichen Gewalten, welche bei Entscheidung über Tüchtigkeit des künftigen Priesters neben das geistliche Ansehen sich hineingedrängt haben, geben schon dadurch zu merken, welches Gewicht sie auf Jenes legen, was doch das Erste und Letzte seyn sollte, daß sie dieses gegen ein verlangtes Allerlei ex omni scibili nur allzusehr in den Hintergrund treten lassen. Erhält ein durch die Jesuiten gebildeter Priester von dergleichen vielleicht eine geringere Ausstattung auf seinen Lebensweg, so wird dagegen diejenige, welche unter allem Umständen den ihm Anbefohlenen zu gut kommen kann, desto reicher und gediegener.

Hat es aber mit dem Vorgeben, daß die Jesuiten nur einen geistabstumpfenden Mechanismus einzutrichtern verstünden, daß es innerhalb der Mauern ihrer Erziehungshäuser so finster aussähe, daß sie selbst sogar unfähig wären, die Jugend zu wecken, zu bilden, zu gewinnen, seine volle Richtigkeit; wie kommt es denn, daß es eine so große Seltenheit ist, unter ihren Zöglingen Einen zu finden, der nicht nachher noch Liebe zu ihnen bewahrte, der nicht mit Achtung von ihren Personen, mit dankbarer Rückerinnerung von der Zeit spräche, die er bei ihnen zugebracht? Wie kommt es, wenn denn Alles so mangelhaft, so unzweckmäßig, den menschlichen Bedürfnissen so unangemessen ist, daß die strengsten Ankläger, die bittersten Widersacher gegen die Gesellschaft nicht aus der Zahl derjenigen auftreten, welche bei der genauesten Kenntniß, über sie zu klagen, am meisten[425] Ursache haben sollten, zu bejammern, daß ihre Geistesanlagen, ihre Willenskräfte, ihr bildsames Gemüth und die schönen Tage ihrer Jugend in ihre Hände gefallen seyen? Wie leicht, wenn Grund zur Klage mit Liebe zur Wahrheit sich verbände, würde es nach der Befreyung aus einer solchen Zwangs- und Verbildungsanstalt ihnen nicht fallen, offen wider dergleichen Erzieher das Wort zu ergreifen, da sie von ihnen nichts mehr zu fürchten oder zu hoffen, vielmehr das Entgegenjubeln so vieler Tausende zu gewarten hätten?

Wie kam es, daß in Portugal der scheußliche Pombal, in Bologna der nichtswürdige Cardinal Malvezzi bei der Jugend an die Jesuiten eine Anhänglichkeit und gegen ihre gewaltthätigen Verfügungen einen Widerstand fanden, die Beide sicher nicht erwarteten? Dort erklärten die Novizen, selbst Knaben von sechszehn Jahren, daß sie von den Vätern sich nicht trennen, denselben folgen wollen bis in den Tod; konnte zu Coimbra die empörendste, selbst bis zur Todesdrohung sich steigernde Behandlang auch nicht den Jüngsten unter jenen zum Abfall bewegen. Eben so wenig konnte zu Bologna Malvezzi anders als durch die roheste Gewalt etwas ausrichten. Er befahl nämlich, gestützt auf ein angebliches Breve, welches aber Niemand jemals zu Gesicht bekommen hatte, noch bevor dasjenige wegen Unterdrückung der Gesellschaft erschienen war, allen Obern, erst ihre Novizen, sodann die Studirenden der Universität zu verabschieden. Auch hier weigerten sich die jungen Leute, dem Befehl zu gehorchen. Auch hier mußten die Novizen mit Gewalt aus den Ordenshäusern gerissen und ihren Eltern zurückgegeben werden; die Studirenden aber erwiderten: Gehorsam gegen Gott gehe demjenigen gegen die Menschen voran. Sofort ward gewaffnete Macht aufgeboten, um sie aus dem Collegium vor die Stadt zu schleppen. Hier sollten erst Liebkosungen, darauf Drohungen die jungen Leute zu Ablegung des geistlichen Gewandes bewegen. Da beide wirkungslos blieben, mußten die Soldaten Gewalt brauchen und Jedem das Kleid vom Leibe reissen, Nach diesem wurden alle öffentlichen Schulen, in denen die Jesuiten zu Bologna[426] bisher gelehrt hatten, zu großem Leidwesen der Eltern wie der Schüler geschlossen.

Wie kommt es ferner, daß die jungen Germaniker, wenn sie längst aus Rom in ihr deutsches Vaterland zurückgekehrt sind, innige Anhänglichkeit an die Männer bewahren, unter deren Obhut sie herangebildet worden sind, fortwährend mit Liebe von ihnen sprechen, noch lange Zeit Verbindung mit diesen und mit ihren zurückgebliebenen Studiengenossen unterhalten? Wie kommt es, daß dieselben zu Erfüllung ihrer religiösen Pflichten freudige Gewissenhaftigkeit, zu ihren Studien Ernst, in ihrem Betragen Anständigkeit, in ihrem Wesen Heiterkeit und Unbefangenheit, in dem Umgang Freimüthigkeit mit Bescheidenheit gepaart, bei ihren Spielen jugendliche Munterkeit stets bewähren? Gehet z.B. an einem Vacanztage nach St. Saba, beobachtet das halbe Hundert künftiger Priester für Deutschland, bewegt euch unter ihnen, unterhaltet euch mit ihnen, nehmet Theil an ihren, jetzt geistigen, jetzt körperlichen Erholungen: was tritt euch entgegen? eine Schaar blühender Jünglinge, sittliche Reinheit ihr Gepräge, Zufriedenheit in ihren Blicken, Fröhlichkeit aus ihnen strahlend, Freiheit in Allem mit geziemender Schranke, Spiel und Scherz, Ernst und Wißbegierde, je nachdem die Saite berührt wird, ungehemmte Bewegung durch Haus und Garten, und unter ihnen der Pater Rector und sein Assistent, unterschieden bloß durch Alter und Kleidung, aber in ihrer Mitte weilend mit dem Wohlwollen, mit der Liebenswürdigkeit, mit der Zufriedenheit von Vätern, die unter einer Schaar hoffnungsvoller, geliebter, anhänglicher, leitsamer Söhne sich bewegen, an einer Stätte, an welcher nicht das Wort, sondern das beiderseits wohlverstandene Wechselverhältniß Gesetz, Maaß und Regel vorschreibt. Hier spreche ich nicht vom Hörensagen, nicht nach Berichten oder nach Büchern, sondern als Augenzeuge, als redlicher Beobachter. Es war einer der anmuthigsten Nachmittage während meines Aufenthaltes in Rom, derjenige, welchen ich dort zubrachte. Und damit nicht Jemand etwa meine, man habe es auf einen günstigen[427] Eindruck angelegt, habe gleichsam eine Parade veranstaltet, so ist zu wissen, daß ich dorthin gekommen bin, ohne daß man es wissen konnte, daß ich eingetreten bin in einem Augenblicke, in welchem die ganze Schaar nach voller Luft in der freiesten Bewegung sich befand.

Sollt' es ein einnehmenderer, sollt' es ein Besseres versprechender Anblick seyn, derjenige eines Haufens junger Leute, die in Tabakqualm, hinter schäumenden Bierhumpen, unter dem Gesang von Zoten sitzen, mit zweideutigen Spässen sich gegenseitig erquicken, die Staatseinrichtungen zurechtpoltern, oder über die Lehrer herfahren; vielleicht durch Geberde, Haltung, Ton, Benehmen und Rede das kannibalische Wohlseyn jener bekannten Fünfhundert uns in Erinnerung bringen? Welche, so ihr anders hiefür noch einigen Sinn und etwelchen guten Willen habet, welche hieltet ihr zu Wahrung und Spendung der heiligsten Güter geeigneter, weil ernster, gewissenhafter, an sich würdiger; welchen möchtet ihr mit gutem Gewissen den Glauben, die Sittlichkeit, und die in Beiden wurzelnde Ordnung des Volkes lieber anvertrauen; welche, meine ihr wohl, böten für ein würdiges Priesterleben sicherere und genügendere Bürgschaft, jene oder diese? Aber freilich jene werden es einst zu ernst nehmen, sie werden Begriffe von dem Wesen, der Würde, den Pflichten gegen die Kirche und damit des Priesters mitbringen, die ihr zu den ausländischen Seltenheiten machen möchtet; aber die Bildung zu ihrer Bestimmung ist jenseits der Berge vollendet worden, darum werden sie Ultramontanen seyn, indeß die befriedigendste Aussicht vorhanden ist, daß die Andern als fügsame Werkzeuge des Oberamts, wenigstens als wackere Bierkumpane des Hrn. Amtsrevisors bestens sich qualificiren werden.

Steigen wir aber hinab zu Verhältnissen weit untergeordneter Art. Denken wir uns einen der rüstigsten Zeitbeweger, einen Derer, welcher wider Alles, was in religiöser, politischer und gesellschaftlicher Ordnung seit Jahrhunderten gelehrt und gesetzt worden jst, auf jeglichem Wege zu Felde zieht; denken[428] wir uns, ein solcher bedürfte eines Menschen, dem er die Pflege seiner Person, die Obhut über sein Eigenthum, die alltägliche Verrichtung aller Dienste, deren Wahrnehmung das Leben eben so angenehm wie deren Verabsäumen unbehaglich macht, anzuvertrauen hätte; würde wohl seine Wahl zweifelhaft seyn, wenn neben einem solchen, bei dem seine eigenen Ansichten über Glaube, Sittlichkeit und gesellschaftliche Ordnung bereits in Fleisch und Blut übergegangen wären, ein Anderer stünde, dem durch priesterlichen und wär' es meinenthalb jesuitischen Unterricht, Gottesfurcht, goldreine Gewissenhaftigkeit, Treue, Unverdrossenheit zu jeglichem Dienst, anbei Bescheidenheit und freudige Willfährigkeit zu jedem Aufgetragnen wäre eingepflanzt worden; oder welchem von diesen Beiden möchte er wohl den Vorzug geben? Wie dürfte überhaupt das Verhältniß einer Herrschaft zu Dienstboten sich gestalten, welche die Lehren eines Bruno Bauer, Sallet, Jordan und ähnlicher Propheten in das volle Leben hineinzusetzen verstünden? Wie es aber kommen müßte, wenn dergleichen zur bewegenden Kraft des Gemeinlebens werden sollten, das lehrt uns Salzbacher in seiner Reise nach Nordamerika mit wenigen Worten. Ein gewisser Owen stiftete dort eine Atheisten-Gemeinde mit vollkommener Gleichheit und Gütergemeinschaft. »Enthusiasten, Landstreicher, Gauner und faule Taugenichtse,« sagt er, »meldeten sich als Mitglieder der Gesellschaft und liessen sich eine zeitlang auf gemeinschaftliche Kosten wohl schmecken. Wie nichts mehr vorhanden war, gieng die saubere Cameradschaft auseinander.« Denken wir an Ciceros Wort! »Beseitigt man die Ehrfurcht gegen die Götter, so weiß ich nicht, ob hiemit nicht die Treue, die gesellschaftliche Ordnung unter den Menschen und die vortrefflichste aller Tugenden, die Gerechtigkeit, zugleich weichen müßte?«

Wollte man den Versuch machen und zehn junge Leute zum Unterricht, zur Erziehung und zur Heranbildung für den geistlichen Stand einer durch Jesuiten geleiteten Anstalt übergeben, und ebensoviele zu diesem Ziel den in Deutschland nunmehr[429] gewöhnlichen Weg machen lassen, hierauf ihnen insgesammt christliche Gemeinden auf dem Lande zur Leitung anvertrauen, und sodann nach Verlauf einiger Jahre genau untersuchen, wo unter dem Volke grössere Pünktlichkeit in Besuch des Gottesdienstes und in Beobachtung der Religionsvorschriften, wo grössere Anhänglichkeit an die Kirche und an alle ihre Verordnungen, wo entschiedenere Festigkeit in dem wahren katholischen Glauben, wo grössere Eingezogenheit und Sittlichkeit, festere Ordnung und Redlichkeit, wo überhaupt ein zu schönerer Lebensthätigkeit durch das Christenthum angehauchter Geist, unter den so verschiedenartig Herangebildeten selbst aber grössere Einfachheit, Berufstreue, Zufriedenheit, Unterordnung unter Obere, Alles dasjenige herrsche, was den wahren Priester ziert und ehrt – wie würde wohl der Versuch ausfallen, welche Ergebnisse würde er darbieten? Das eben ist die grosse Kunst der Väter, daß sie nicht allein den Knaben und Jüngling mit den schönen Vorzügen der menschlichen Gesellschaft in der edlern Bedeutung des Wortes und zu den Anforderungen seines künftigen Berufes auszustatten, von diesen ein klares Bewußtseyn und zu deren Erfüllung einen treuen Ernst hervorzurufen, sondern zugleich seine Individualität zu respectiren, seine Anlagen zu veredeln wissen, nicht aber sie unterdrücken oder zerstören. Ich habe in der Ritterakademie zu Innsbruck den Knaben eines Freundes besucht, der, mit vorzüglichen Geistesgaben ausgestattet, auf dem Lande jedoch, unter weiblicher Aufsicht, die ihn durchgreifend nicht zu leiten vermochte, eine Zeitlang herangewachsen, einem jungen Wildfang glich, dessen Anlagen aber unter mancherlei Unfügsamkeit immer wieder durchblitzten. Nachdem ein tüchtiger Mann mit dem schönsten Erfolg ihn zu unterrichten begonnen, wurde er, kaum zehn Jahre alt, den Jesuiten übergeben. Er befand sich, als ich nach Innsbruck kam, erst drei Vierteljahre unter ihrer Leitung, und ich war ganz überrascht von der Veränderung, die in dieser kurzen Zeit mit dem Knaben vorgegangen war. Derselbe hatte an seiner anerbornen Lebhaftigkeit nicht das Mindeste[430] eingebüßt, dagegen erwies er sich leitsam, bescheiden, wißbegierig, und hatte bereits den Anstrich eines Zöglings gewonnen, der auch in dem Umgang mit ältern Personen für sich zu interessiren weiß.


Es ist dann, um mit erbittertem Groll durch jedwedes Mittel zu wirken, in neuerer Zeit nicht unterlassen worden, aus den alten Rumpelkammern an Schriften hervorzulangen, was immer, hier von der Ungründlichkeit, dort von der Beengtheit, dann wieder – was den gewaltigsten Staub aufwirft – von der Intoleranz der Jesuiten und ihrer Unehrerbietigkeit gegen die Reformatoren Zeugniß geben sollte; gleich ob dieses Alles ein nothwendiges Attribut und ein unveränderlich sich fortpflanzendes Requisit ihres Unterrichts bleiben müßte! Anbei haben sie den bekannten Ausspruch: Sint, ut sunt, aut non sint, sammt der Festigkeit der Väter, in welcher sie durch Erfahrung Bewährtes nicht alsbald an das erste Beste aufgeben und nicht jede auftauchende Theorie sofort in ihre Praxis aufnehmen wollen, dahin ausgebeutet, daß jede Ansicht, die vor Zeiten gehegt, und jedes Urtheil, das ehemals gefällt worden, ja selbst jede Redeweise, deren sie einst sich bedient, daß dieses Alles durchaus unverändert heutiges Tages noch bei ihnen in Anwendung komme und unfehlbar in Anwendung kommen müsse. So haben sie aus einem verrotteten Compendium der Weltgeschichte, zu Anfang des verwichenen Jahrhunderts verfaßt und damals in einigen deutschen Jesuitenschulen gebraucht, Stellen abdrucken lassen, welche entschieden für die Autorität des heil. Stuhles sprechen, die Arianer trocken Ketzer, aber auch die Reformation eine Kezerei nennen und die Personalitäten der Reformatoren etwas unsanft berühren. Was sollte hiemit bewiesen werden? Sollten die ausgehobenen Stellen die reale oder die formale Unzweckmässigkeit des Geschichtsunterrichts darthun?[431] Durfte denn die Autorität des heil. Stuhles nicht mehr, wie vor hundert Jahren, anerkannt werden, dieweil dieselbe einigen Staatsgewaltigen und einigen Zeitungsschreibern oder Geschichtsfälschern nicht mehr behagt; sollten darum die Jesuiten Anerkennung dieser Autorität nicht mehr lehren? Sind etwa die Arianer seit hundert Jahren deßwegen aus Irrgläubigen in Rechtgläubige verwandelt worden, weil vor den Zeitweisen der altkatholische Glaube seine ehemalige Gültigkeit an jedweden Irrglauben abtreten sollte? Darf von festem katholischem Standpunct aus die Reformation und zum Theil die Personalität ihrer Urheber nicht mehr beurtheilt werden, wie von Anfang her geschehen ist, alldieweilen man sicher grosses Bedenken tragen würde, das Urtheil ihrer Nachfolger über die Kirche auch nur im geringsten zu verkümmern oder zu ermässigen?

Sollte aber das Entsetzliche, Unverantwortliche und Gefährliche auf das Formelle, auf die Wahl der Ausdrücke sich beziehen? – Wie, wenn Jemand es unternehmen wollte, einer ähnlichen Aehrenlese aus protestantischen Schulschriften jener Zeit sich zu unterziehen? Meint man wohl, es wäre so ganz unmöglich, ein Seitenbild zu jenen Urtheilen und Ausdrücken aufzustellen? Ich selbst erinnere mich aus meiner Schulzeit, also nicht aus dem Anfang des vorigen, sondern aus den ersten Jahren des laufenden Jahrhunderts, von einem Papst »Höllenbrand« sprechen und alle Irrlehren jeder Zeit weidlich preisen gehört zu haben. – Zu eben der Zeit, als die Revolution ihre Schöpfer und Geschöfe in Tiger unter Menschengestalt verwandelte; als durch sie die Glieder des Königshauses geopfert, der Adel geschlachtet, die Priester hingewürgt, die Massen durch Ersäufung und Hagelgeschütz belehrt wurden; ihre unverjährbaren Rechte auf Besitzthum für ein Verbrechen, und Tugend für einen Schandfleck galt, deren das Eine nur durch Blut zu sühnen, das Andere darin abzuwaschen seye; als durch alle Nachbarländer die gleiche Orgie der Hölle brausen sollte, selbst mitten unter diesem Höllensabbath hat doch nicht von allen Kanzeln das Freudengejauchz über den »nahen Sturz des alten[432] Babylons« können zurückgehalten werden, hat doch die damalige Zeitschrift eines Protestanten gemeint, aller jener Fluch der Revolution würde genügend aufgewogen durch deren beglückende Folge, daß nunmehr Rom, der Papst, die katholische Kirche zumal vernichtet würden.

Wollten wir nach Seitenbildern uns umsehen, welche Alles, was die zeitgemäße Geschäftigkeit wider die Jesuiten aufzustöbern im Stande ist, weit hinter sich lassen, so brauchen wir nicht um ein volles Jahrhundert zurückzugehen; die allerneueste Zeit bietet uns dergleichen dar, weit über jeden Bedarf hinaus. Nicht im Jahr 1735, sondern im Jahr des Heils 1842 ist in der lichtpflegenden Universitätsstadt Göttingen von einem gewissen Bodemann, welcher gewiß Jeden übel ansehen würde, der dessen Ehrenperson in Geisteserleuchtung und Fortschritt unter die Jesuiten herabsetzen wollte, ein »Handbuch für Volksschullehrer beim Unterricht über die Unterscheidungslehren« herausgekommen, worin Stellen, wie folgende, in Fülle sich finden: »der große Goliath zu Rom läßt nicht nach, in Bullen und Allocutionen den Kindern Israel Hohn zu sprechen;« »der Mariendienst ist der vollständigste Götzendienst und trägt den Charakter des baaren Unsinnes an der Stirne;« »die katholische Kirche stellt den Satz auf, daß der Mensch auch wohl sein eigener Erlöser werden könne;« »die katholische Kirche hat gar kein Hehl, daß ihr überwiegender Grund (für Austheilung des Sacraments der Eucharistie in einer Gestalt) kein anderer ist, als unverschämte Impertinenz, mit der sie, anstatt durch Gründe zu widerlegen, nur mit knabenhaftem Uebermuthe zu sprechen weiß;« »die Messe ist der Drachenschwanz, der viel Ungeziefer und Geschmeiß erzeugt.« Dergleichen Kern- und Kraftsprüche sind durch das Schriftlein in Fülle angebracht. Wollte nun ein Jesuit dieses mehr denn hundert Jahre später als jenes Compendium erschienene Büchlein zur Hand nehmen und darauf den Beweis gründen: sehet, das wird durchweg in den protestantischen Volksschulen, wenigstens in denjenigen des Königreichs Hannover, gelehrt, wie würde man nicht von allen Seiten über ein so[433] beschränktes und vermessenes Urtheil herfahren, diejenigen, welche solcher Betriebsamkeit wider sie sich unterziehen, vielleicht zuerst!

Es wird doch Niemand verlangen, daß die Jesuiten in ihren Schulen der Reformation Lobreden halten und die Personen der Reformatoren panegyrisiren sollen. Dessen aber bin ich fest überzeugt, daß, würde Jemand mit einem Jesuiten über diesen Gegenstand zu Rede kommen, derselbe (Jeder von ihnen) so ehrlich und offen wäre, zu gestehen: das werden, können und dürfen wir nie. Keiner von ihnen Allen würde mit hohlen Phrasen von Prüfung, Gewissensfreiheit, Toleranz u. dgl. zu Verkleisterung einer entgegengesetzten Praxis um sich werfen. Gehet aber in protestantische Schulen, deren Lehrherren mit hoher Selbstvergnüglichkeit auf die beschränkten, dumpfen, geistlähmenden Schulen der Jesuiten herabsehen, dagegen auf ihre eigene Unbefangenheit, Freisinnigkeit und Zeitgemäßheit unendlich viel sich gute thun, und höret da den schalen, geistlosen, einseitigen, und nicht nur bisweilen von den gehässigsten Urtheilen durchwürzten Geschichtsunterricht! Wahrlich, um dergleichen mit so entschiedener Virtuosität treiben zu können, müßten die Jesuiten erst lange noch bei den Lichtziehern des Jahrhunderts, bei den Popularitätsmännern der Zeit in die Schule gehen, und mit allem, ebenso lechzendem, als leicht zu stillendem Durst der genügsamen Seichtigkeit um die lautere Quelle jedes soliden Wissens und jedes richtigen Urtheils, um irgend ein Conversations-Lexikon, sich lagern.

Ueberhaupt ist es, nebenbei gesagt, mit diesem Anbieten und Fordern von Toleranz eine ganz curiose Sache. Wird ein Vorgang, eine Personalität der Geschichte auf den Grund von Documenten, glaubwürdigen Zeugnissen und der Thatsachen an sich mit aller Ruhe und in rein objectiver Haltung dargestellt, treten aber dieselben hiedurch in ein anderes, als das bisher gewohnte Licht, ergeben sich andere, als die längst zurechtgemachten und traditionell gewordenen Resultate, flugs heißt es: jene so natürliche als gerechte Forderung der Toleranz seye unverantwortlicher Weise mit Füßen getreten worden. Werden[434] Vorgänge der Gegenwart, die empörendsten Verfügungen der Gewalt, die augenfälligsten Vorkehrungen der gesetzverachtenden Willkür mit den Acten in der Hand, diesen Schritt für Schritt folgend, aufgehellt, dargelegt, alsbald muß nicht allein jene gerechte Forderung aus den Augen gesetzt, es muß sogar frevelhafter Weise der Friede gestört worden seyn. Ließe sich indeß von dieser Seite an Verunglimpfendem und Kränkendem, was hinab, von dem giftigsten Spott bis zur plumpsten Lästerung und dazu noch ohne vorausgegangene Herausforderung nur immer zu Tage gefordert werden kann, auch bloß so viel sammeln, daß es den zehnten Theil dessen betrüge, was von anderer Seite scheffelweise ausgestreut wird? Es soll von der Fluth eckelhafter Zeitungen, welche in den Ländern deutscher Zunge hierin sich überbieten, so wenig als von der Obsorge der Censuren, jede Hemmung dieses wallenden Stromes treu fleissigst zu verhüten, nicht gesprochen werden; aber läßt sich in neuester Zeit der gesammten katholischen Literatur aller Länder auch nur ein Buch vorhalten, das jenem monströsen eines gewesenen Stadtschreibers von Reutlingen gleich käme, in welchem derselbe ein Schimpf Alphabet gegen den Papst zusammen stoppelte, und mit erstaunlicher Mühe es dahin brachte, daß selbst die Buchstaben X und Y darin paradiren konnten? So ist noch in jüngster Zeit in Schlesien, zu Erbauung und Belehrung der dortigen Katholiken, unter dem Titel: »der Antichrist,« eine Schrift erschienen, in welcher gegen das Oberhaupt der Kirche alle erdenklichen Verunglimpfungen im vollesten Maaße ausgeschüttet werden. Findet es die Congregation des Inder nothwendig, irgend ein offenbar gotteslästerliches oder gegen die Kirche feindseliges Preßerzeugniß auf das Verzeichniß der verbotenen Schriften zu setzen, welcher Spott ertönt nicht über diese Verfügung, welcher Lärm wird nicht erhoben über unwürdige Bevormundung, Geistesdruck und Engherzigkeit? Daß aber seiner Zeit Bretschneiders »Freiherr von Sandau« den Katholiken auf Staatskosten in die Hände gezwungen, dessen Widerlegung hingegen, den »Freiherrn von Wiesau,« um ihr[435] gutes Geld zu erwerben durch strenges Censurverbot ihnen beinahe unmöglich gemacht wurde, das muß wohl ganz in der Ordnung gewesen seyn!

Welche Bibliothek von Schriften vollends würde sich nicht aufstellen lassen, wenn man in Rom, oder in einer andern katholischen Stadt in die kleinlichte Gewohnheit sich hätte verlaufen können, alljährlich ein Bild von Luther oder eines andern seiner Bestrebungsgenossen zu verbrennen? Ist es aber nicht mehr in Erinnerung, daß bis auf wenige Jahre hin ein solches, mit allen Attributen päpstlicher Würde ausgestattet, jedes Jahr an bestimmtem Tag in großem Schaugepränge zu London verbrannt worden ist? Freilich wird es heißen: in Rom wäre eine solche gemeine Handlung das empörendste Unrecht gewesen, es wäre damit die geistige Ueberlegenheit gehöhnt worden; hier jedoch habe man der fremden politischen Gewalt Solches nach vollem Verdienen anthun dürfen, ja müssen. Was würde man ferner sagen, wenn an irgend einem katholischen Ort der gottesdienstliche Gebrauch der Protestanten, und zwar derjenige, den sie für ihren höchsten und tiefsten erachten, öffentlichem Hohn preisgegeben würde? Daß aber an meinem Geburtsort seit der Reformation bis auf den heutigen Tag der Nachtwächter verpflichtet ist, am Christabend und in der Neujahrsnacht die Präfation der Messe (natürlich mit unterlegten andern Worten) zu singen, das mag man durchaus angemessen finden. Gewiß gibt es kein Wort, an welches so wunderliche Begriffe sich knüpfen, wie an das Wort Toleranz.

Dennoch ist es, wer wollte dieß läugnen, ein schönes Wort, ist der Begriff, den dasselbe bezeichnet, ein edler, ein höchst würdiger, ein erhabener. Aber von dem Wortlaut bis zu dem Begriff ist ein weiter, ein noch weiterer Weg von diesem zur Wirklichkeit. Fragen wir dieser nach, will es uns dann nicht, wie im gewöhnlichen Leben und selbst in den individuellen Beziehungen so oft, bedünken, es werde gewöhnlich am breitesten von derjenigen Eigenschaft gesprochen, von deren Besitz man am fernsten ist, und es möchten die Beweise, wie ein wahres[436] Wort über Anpreisung und Ausübung der Toleranz Rousseau gesprochen, in dichter Fülle und in jeglicher Gestalt heran sich drängen? Sollte nicht tausenderlei Erfahrung dar auf hindeuten, daß in ebendem Verhältniß, in welchem die innere Ueberzeugung ein von Gott gegebenes anerkennt, mit Freude erfaßt und im unentweglicher Festigkeit sich aneignet, daß in ebendiesem das Wort (wenn als solches selbst seltener ausgesprochen), Begriff und Wirklichkeit sich durchdringen? Wogegen bloße Subjectivität unter innerem Zwiespalt des Bedürfnisses nach solchem Gegebenen und des Bestrebens, an dessen Stelle sich selbst zu setzen, über dem leeren Wort sich zerarbeitet, dabei dessen Wesen zwar bei jeglicher Art von Vereinung, den Gegensatz aber ausschließlich gegen die Bejahung in Anwendung zu bringen, gleichsam durch innere Nothwendigkeit gedrängt wird. Die wahre Toleranz ist Frucht der Gnade, die Gott den Demüthigen gibt; der Mangel derselben, welchen bloßes Gerede nicht zu ersetzen vermag, knüpft sich an den Hochmuth, der von jener niemals berührt wird.

––––––

Doch, von dieser Zwischenbemerkung kehre ich zu der Erörterung des Hauptgegenstandes zurück. – Auf der einen Seite hat man sich viel zu schaffen gemacht, mit der Forderung der Regel: das einzelne Ordensglied müsse in solcher Art Gehorsam leisten, als wenn es ein Leichnam oder der Stock in der Hand eines Greisen wäre; auf der andern Seite hat man Bücher' gefüllt mit Declamationen gegen die über Alles sich erstreckende und in Alles sich mischende Herrschucht der Jesuiten. Abgesehen davon, daß im Grund das Wort des heil. Apostels: »ich lebe, aber doch nicht ich, sondern Christus lebet in mir,« das Gleiche besagt; abgesehen davon, daß schon der heil. Benedict den Gehorsam von seinen Schülern als wesentlichste Pflicht verlangt und der heil. Franz denselben beinahe mit dem gleichen Ausdruck fordert, wie der heil. Ignatius; abgesehen davon, daß eine religiöse Genossenschaft[437] ohne Gehorsam gar nicht denkbar ist; hat man nicht erwogen, daß überhaupt derselbe, wie schon früher angedeutet, die bewegende und erhaltende Kraft der katholischen Kirche seye, in sie gleichsam eingepflanzt und ihr vorgebildet durch denjenigen, den sie als ewiges Haupt und verherrlichten Träger alles Gehorsams anerkennt. Allein auch ohne dieß ist sich nicht zu verwundern, daß eine Zeit, welche den Gehorsam nicht allein geringschätzt, ja verachtet, sondern ihn gewissermaßen aus dem Menschengeschlecht dergestalt verbannen möchte, daß er am Ende nur noch in den Wörterbüchern als ein ausser Gebrauch gekommener Laut angeführt würde, daß eine solche Zeit mit Unwille auf die eigentlichen Stammhalter des Gehorsams herabschaut, und, da der Schritt hiezu ein gar leichter ist, gerade deßwegen ihren Ingrimm gegen dieselben richtet, weil sie in Lehre und Uebung den Gehorsam so hoch emporheben. Wie es aber in der Welt oft geht, der Widerspruch, in welchen man hierüber sich verwickelt, wird nicht geahnet. Indem man diejenigen, an welchen jener Gehorsam so unerträglich, so empörend gefunden werden will (obwohl die Unterwerfung unter denselben That des freyen Willens bleibt), zu verborgenen Herrn der Welt, oder ihnen wenigstens den Vorwurf macht, nach solcher Herrschaft zu streben, hat man nicht bedacht, daß gerade hierin die schönste Lobrede auf den gehaßten Gehorsam gehalten, demselben eine geheimnißvolle Macht zugestanden werde; dieß um so mehr, als er der Angelpunct seyn soll, auf welchem jene angebliche Weltherrschaft, oder doch der Versuch, dieselbe an sich zu reissen, ruhe: demnach müßte er eine so wirkungs-, darum so werthlose Eigenschaft nicht seyn!

Bot und bietet der Orden nichts Anderes dar, als die Aussicht auf jene vermeinte Weltherrschaft; konnte und kann er einzig durch die trügerischen Reize von dieser zu derjenigen Hingebung an denselben locken, welchen er von seinen Gliedern fordert; darf das edlere Verlangen, seine Kräfte den höchsten Bedürfnissen des Menschengeschlechts in Bildung der Gemüther zur Gotteserkenntniß und Gottesliebe, in Leitung der Seelen[438] zu dem obersten Ziele des Daseyns zu widmen; darf der uneigennützige Heldenmuth, unter Entsagung, Beschwerden, Ge fahren, Martern und Tod dem Glauben Bekenner, der Kirche Kinder, den Seelen das ewige Heil zu gewinnen; darf die Sehnsucht, unter Armuth, Entbehrung, Gehorsam, Aufopferung für Andere, unter Furcht und Zittern um sich selbst, in der weltüberwindenden Hoffnung des ewigen Gnadenlohnes zu wurzeln; – darf und kann dieses Alles, als verschiedene aber überwiegende Beweggründe des Eintrittes in die Gesellschaft nicht in Anschlag kommen, durchaus nicht, wie der blinde Eifer so kecklich behauptet, - dann fürwahr ist dieselbe die unerklärlichste Erscheinung in der Weltgeschichte. Da der gesammte Orden zur Zeit seiner Aufhebung über 20,000 Mitglieder zählte, so darf man mit Recht fragen: wie mochten vernünftiger Weise einem solchen Trugbild von Herrschaft jährlich so viele Hunderte damit nachjagen, daß sie bereitwillig ihre Jugend in strenger Zucht, unter schwerer Prüfung, in langer Vorbereitung zubringen, alsdann der äussersten Armuth, jederlei Entbehrung und Pflichterfüllung, bei gänzlichem Aufgeben des eigenen Willens, sich unterzogen? Wie konnten durch eine solche Nebelgestalt alljährlich viele Hunderte bethört werden, daß sie das Liebgewordene an das Widerstrebende, die Gewohnheiten der Heimath an die Beschwernisse der unwirthlichen Fremde, die Ruhe des Hauses an die Stürme der See und an die Schauer des mißbehaglichsten Clima's, das Weilen im Schoße der Civilisation an die Unstäte unter ungezähmten Wilden, und die unangefochtene Sicherheit Europa's an die Kerker, Folterwerkzeuge und Mordwaffen China's und Japans ohne Zaudern, ohne Sträuben, ohne die leiseste Einwendung oder ohne Widerrede vertauschten? Hätte jene Weltherrschaft in Beziehung zu der Gesammtheit sogar in Wahrheit bestanden, für den Einzelnen wäre sie doch nur ein Trugbild, eine Nebelgestalt gewesen. Denn, wie beschränkt, oder wie sehr von Herrschsucht gestachelt man den Einzelnen sich denken möge, der einen wie der andern Voraussetzung mußte es doch hell genug einleuchten, daß zu[439] jenem obersten Ziel der Herrschaft, oder auch nur des geringsten Antheils an derselben von Hunderten nicht Einem zu gelangen möglich werde. Daß man das Leben einsetzen könne, um unter Gefahr seines Verlustes ein erträumtes oder wirklich hohes Gut zu gewinnen, ist begreiflich; daß man aber den gesammten, muthmaßlich langen Lebenslauf einsetzen könne, um unter alltäglichen Beschwerden gegen das Ende desselben, nur in höchst zweifelhafter Wahrscheinlichkeit des Gelingens, dem Zwecke sich zu nähern, zu welchem jenes Alles das kostbare Mittel seyn sollte, das wäre um so weniger denkbar, je grösser die Zahl derer seyn würde, die durch solches Blendwerk sich bethören ließen. Aber ja, sie hat sich eine Herrschaft erworben, die Gesellschaft, eine Herrschaft, an welcher Jeglicher Theil nehmen mochte; diejenige, deren Unterlage die Achtung und das Vertrauen, deren Erwerbungsmittel Religiosität, Tugend, Selbstaufopferung, edle Bildung des Geistes und des Herzens sind!

Ihr aber, die ihr so sehr die Rückkehr dieser Herrschaft fürchtet, die ihr so aus allen Kräften dagegen euch anstemmen zu müssen glaubet, die ihr so erbauliche Reden über Civilisation und deren Segensfrüchte, so prunkvolle Lobpreisungen des Fortschrittes zu halten wisset: nennet die Völker, welchen ihr die ächte Civilisation, bloß mit dem Crucifix in der Hand und dem Rosenkranz im Gürtel, gebracht habet! Zählet sie auf die Seelen, denen durch euch Kraft in des Lebens Mühsalen, Trost in seinen Bekümmernissen, innere Ruhe unter den Stürmen der Leidenschaften und eine helle Leuchte aus dem irdischen Dunkel zu dem ungetrübten Glanz des Himmels geworden ist! Gebet uns Kunde von den Ländern, in die durch euer Bemühen Ordnung, Zufriedenheit, Einigkeit, gegenseitiges Wohlwollen, wahre Liebe eingekehrt ist! Weiset sie auf die Blutzeugen, die euere Gesinnung stark gemacht hat, um selbst die Qualen der Kerker, die Peinigungen durch Henkersknechte zu ertragen, und im Hinblick auf eine jenseits wirkende Krone so geruhig und heiter das Blutgerüst zu besteigen, wie ihr vielleicht die Treppe hinangeht, die euch zu einem Bacchanal führt![440] Bei diesem Allem fehlt es mir nicht an Beobachtungen und Erfahrungen, über die Gesellschaft, die ich, theils während meines kurzen Aufenthaltes in Rom, theils auf meiner Heimreise selbst zu machen Gelegenheit hatte. Auch nach der Rückkehr von Neapel nach Rom kam ich mit verschiedenen ihrer Glieder mehrmals mit dem Hochwürdigsten P. General, auch mit dem Assistenten für Deutschland, P. Janssen, in Verkehr, am öftersten, der Sprachverwandtschaft wegen, mit P. Peters. Die hohe Meinung, die ich von dem Scharfblick der VV. Jesuiten hatte, wurde durch jede Unterhaltung mit ihnen befestigt und erhöht. Ich hatte Gelegenheit, die Klarheit zu bewundern, mit der jede Frage alsbald aufgefaßt, von allen Seiten in's Licht gesetzt, die möglichen Folgerungen nach jeder Beziehung daraus abgeleitet wurden. Die Erörterungen über jeden zur Sprache gebrachten Gegenstand waren ebenso ruhig, als sie das Wesen der Sache, ihrem innern Zusammenhang nach, Schritt für Schritt entwickelten.

Man pflegt sich die Jesuiten als Leute vorzustellen, die stets Netze und Garne und Treiber in Bereitschaft hätten, um Andere für die katholische Kirche einzufangen, daher keine hohere Aufgabe kennten, als diejenige, was immer sich darböte, in dieselbe entweder hineinzulocken, oder hineinzustoßen. Ich bin überzeugt, daß, wäre es in meinem Heimathsort oder in andern protestantischen Orten bekannt geworden, daß ich einen der ersten Besuche zu Rom al Gesú abgestattet und denselben häufig wiederholt hätte, man nach dem 16. Juni allgemein würde gerufen haben: sehet, das ist das Werk der Jesuiten! Diese Schlauköpfe haben sichs wohl gedacht, daß sie hier einen leichten Fang machen konnten, und darum werden sie an Entgegenkommen und Schmeicheleyen und Lockungen und Ueberredungen es nicht haben mangeln lassen. Da sieht man wieder, wie man sich vor ihnen in Acht zu nehmen hat! – Wahrlich den Jesuiten habe ich in dieser Beziehung nichts zu verdanken, wohl aber denjenigen, die sich um so großer, gewichtiger und erleuchteter glauben, se grimmiger sie die Jesuiten hassen, und[441] je gründlichere Lästerungen und Verdrehungen gegen dieselben sie zum Besten geben; die anbei darüber entrüstet sind, zu vernehmen, daß Gott, wider ihre Absicht, gerade ihrer vorzüglich zu Werkzeugen seiner Gnade an mir sich bedient habe.

Indeß, da ich wohl wußte, daß ich mehrern Gliedern der Gesellschaft dem Namen und bisheriger Gesinnung nach nicht unbekannt seye, hätte es mich so besonders nicht befremden können, wenn etwa der Eine oder Andere von ihnen, in Voraussetzung, es liesse sich hierüber wohl ein offenes Wort mit mir sprechen, wenigstens auch einige Winke oder Andeutungen sich erlaubt hätte. Aber wie oft ich auch al Gesú mich einfand, wie manche längere Unterredung über die mannigfaltigsten kirchlichen Erscheinungen und Zustände mit dem Hrn. P. General und noch öftere mit Hrn. P. Peters ich hatte, diese Saite wurde nie auch nur von ferne, selbst nicht einmal in der leisesten Anspielung berührt. Auch hier blieb ich in dieser Beziehung mir überlassen; und ich darf wohl sagen, daß diese zarte Discretion meine Achtung vor den Vätern der Gesellschaft Jesu ungemein erhöht hat; denn eine flüchtig hingeworfene Aeusserung des berühmten P. Peronne, eigentlich bloß Wiederholung eines durch Vermittlung des Herrn Abbé Migne zu Paris am Ende des Jahres gegen mich geäusserten Wunsches, hervorgegangen aus der reinsten Theilnahme, konnte ebensowenig als Versuch, mich bestimmen zu wollen, angesehen werden, als im gemeinen Leben das Wort: ich hoffe Sie wieder zu sehen, für eine förmliche Einladung gelten kann. Eben dieser so wohlthuenden Schonung wegen fand ich mich veranlaßt, bei meiner Firmung durch den Hrn. Cardinal Ostini in der Capelle des heil. Aloys in Gegenwart vieler Zeugen dem Hrn. P. General dafür zu danken, daß er keinen Versuch gemacht habe, auf mich einzuwirken. Er hatte den Sinn dieser Danksagung wohl verstanden, denn er erwiderte mir mit dem heitersten Blick: »Das habe ich nicht im mindesten für nöthig erachtet, ich sah wohl voraus, daß es so kommen würde.«

Das nun in Beziehung auf mich selbst. Eine Wahrnehmung[442] von allgemeinerer Bedeutung konnte mir in Rom ebensowenig entgehen; diejenige nemlich, daß die Gesellschaft jenes Vertrauen, dessen sie zur Zeit ihrer ausgedehntesten Wirksamkeit genoß, unter der Ungunst der Zeiten nicht im mindesten eingebüßt, oder daß sie dasselbe, wie sie es damals besessen, sich wieder erworben habe. Ich mochte in Rom al Gesú vorübergehen, wann ich wollte, stehs sah ich die glänzendsten Gespanne vor dieser Kirche halten; ich mochte in dieselbe eintreten, wann es war, so fand ich in derselben eine große Zahl Andächtiger aller, besonders der höhern Stände. Des Sonntags war dieselbe immer dicht angefüllt. Das Gleiche nahm ich in ihrer Kirche zu Neapel wahr. Freilich die Anschuldigung eines höchst würdevollen Gottesdienstes (wenn anders hieraus dergleichen erhoben werden darf), glänzender Ausstattung der Kirchen an festlichen Tagen, wunderschöner Beleuchtung derselben bei den Abendandachten, die Vereinigung dessen Allen, was die Anwesenden fesseln, anregen, emporheben kann, diese Anschuldigung müßte die Jesuiten heutigen Tages wieder ebenso treffen, wie in der Vergangenheit. Ich war dessen Zeuge zu Neapel an dem Feste eines Ordensheiligen, zu Rom an demjenigen des heiligen Aloys; an beiden Orten wohnte ich an diesen Festtagen einer erhebenden Feierlichkeit bei. Blicken wir unter solchen Umgebungen nicht auf diejenigen, welche vielleicht nur hineingehen, um zu schauen; blicken wir auf die Vielen, welche durch Anderes bewegt und gehoben sich fühlen. Nehmen wir zu Begründung unserer Urtheile nicht das niedrig Menschliche, nehmen wir dazu das in edlerem Verlangen emporstrebende Menschliche. Ist, was von der Kirche ausgeht, in Huldigung gegen Jenes, ist es nicht vielmehr in liebreicher Berücksichtigung von diesem geordnet?

Nach meiner Rückkehr von Neapel in die ewige Weltstadt wohnte ich in der langen Galerie des Quirinals, auf Monte-Cavallo, der Kirche des Noviciats der Jesuiten gegenüber; beinahe so oft ich zum Fenster hinausblickte, sah ich entweder Wagen dort anfahren, oder Leute in dieselbe eintreten. Auch da gedachte ich der seltsamen Widersprüche in dem Urtheil über[443] die Väter. Auf der einen Seite beschuldigt man sie eines zu weit gehenden, höchst gefährlichen Latitudinarismus und behauptet, dieses Hätschlen der Sünden führe besonders die Vornehmen so zahlreich ihren Beichtstühlen zu; auf der andern Seite klagt man, sie erfüllten durch unbemessenen Rigorismus die Gemüther mit einer Aengstlichkeit, welcher Einzelne auf Kosten ihres innern Friedens bisweilen unterlägen. Wo ist hier die Wahrheit zu suchen?

––––––

Da ich die Rückreise von Rom nach der Schweiz in Gesellschaft eines kurz zuvor zum Priester geweihten Germanikers (Hrn. Dominicus Gmür von St. Gallen) machte, und dieser angewiesen war, unterwegs in den Collegien der Gesellschaft seine Unterkunft zu suchen, so fand ich mit ihm freundliche Aufnahme in denjenigen aller Städte, durch welche der Weg uns führte. Von Loretto bis nach Innsbruck habe ich überall, wo Häuser der Jesuiten sich befinden, in diesen mich aufgehalten; überall bin ich in der zuvorkommendsten Weise empfangen, auf's Wohlwollendste behandelt worden; überall habe ich Männer von den edelsten Grundsätzen, von den einnehmendsten Manieren, von ungemeiner Milde und Sanftmuth gefunden. Der Grundsatz des Ordens, über nichts, was demselben widerfährt, zu klagen, alle Angriffe schweigend über sich ergehen zu lassen, den bittersten Verunglimpfungen Geduld und Schonung entgegenzustellen, und hierin dem Vorbild desjenigen zu folgen, »welcher nicht schmähete, da er geschmähet war, nicht drohete, da er zu leiden hatte, und denjenigen freiwillig sich übergab, die ein ungerechtes Urtheil über ihn herbeiführten,« ist in den Charakter der Individuen übergegangen, deren Name die Jüngerschaft gegen ihn andeutet.

In allen Häusern des Ordens konnte ich ungesucht die genaueste Pünctlichkeit im Kleinen wie im Grossen, im geringfügig[444] Scheinenden wie in Wichtigem bemerken; Unverdrossenheit in jedem Moment, in welchem die Obliegenheit rief, die heiterste Geselligkeit in den Viertelstunden, welche der Erholung gewidmet, – aber auch diese eingehalten nach unverbrüchlicher Vorschrift; daneben ein anerkennenswerthes Bestreben der Obern, mir jeden Orts den Aufenthalt angenehm zu machen, ohne darunter in der eigenen freien Bewegung mich zu hemmen, oder sich selbst in der vorgeschriebenen Ordnung stören zu lassen. Unter solcher doppelten Rücksichtsnahme gewinnt die Gastfreundlichkeit ihre wahrhaft erfreuende Seite, wird das Verweilen in einem solchen Hause zur Annehmlichkeit, jede Bedenklichkeit, lästig zu fallen, alsbald beseitigt. Ich habe schon im meiner Jugend oftmals sagen hören; körperliche Reinlichkeit lasse auf Reinheit der Seele schliessen. Gewiß liegt viel Wahres in diesem Satz. Jene nun habe ich in allen den Häusern der Gesellschaft, in denen ich verweilte, immer gefunden. Man möchte es eine geringfügige Sache nennen, aber doch darf ich sie nicht unberührt lassen: allerwärts sah ich vor dem Refectorium einen Brunnen mit zwei Hahnen angebracht, daneben zwei reine Handtücher; Keiner trat in jenes ein, Keiner verließ dasselbe, ohne jedesmal die Hände zu waschen.

Im Innern der größten und angesehensten Häuser, selbst den Hauptsitz des Ordens al Gesú zu Rom nicht ausgenommen, herrscht übrigens die größte Einfachheit, welcher, zu gleich mit jener Reinlichkeit, das Gepräge der Ruhe und Ordnung aufgedrückt ist. Das Zimmer des P. General hat vor demjenigen des Capuciner-Generals nichts zum voraus, als den grössern Umfang; das Geräthe darin ist schwerlich werthvoller als in jenem. Die Zellen der Vater unterscheiden sich von denjenigen der Capuciner ebenfalls bloß durch etwelche grössere Räumlichkeit; und schwerlich würde der Religiose eines etwas begüterten Klosters diesseits der Alpen mit der Wohnstätte eines Jesuiten, und wäre es diejenige des Rectors selbst eines ansehnlichen Collegiums, tauschen wollen. Auch die Zimmer für Fremde unterscheiden sich von den andern nur wenig,[445] höchstens durch ihre bequemere Lage. Eben so einfach ist das Mahl, während dessen immer vorgelesen wird, und welches auch allfällige Nachzügler schweigend einnehmen. Kurz, man findet hier die Armuth der Religiosen gewiß so streng, als sie bei den Capucinern nur immer kann gefunden werden, die Beobachtung aller Vorschriften ebenso pünctlich, als bei den Cartäusern.

An mehrern Orten, namentlich in Reggio und zu Innsbruck, bin ich in die Erziehungsanstalten der Gesellschaft geführt worden; ich habe die Classen in Augenschein genommen von denjenigen der jüngsten Schüler bis hinauf zu denen, welche der Vollendung ihrer Studien nahe stehen. Ich spreche nicht von den schönen, zweckmässigen Räumlichkeiten, welche allein schon das Verweilen in denselben zur Freude machen; das sind ausserwesentliche Dinge, die vielleicht da oder dort der Gesellschaft eher mögen gegeben, als durch sie angeordnet worden seyn. Aber der Eindruck, welchen die Zöglinge aller Altersstufen auf den Eintretenden machen müssen, das ist ihr Werk. Ueberall sah ich an denselben die Farbe blühender Gesundheit, – Beweis, daß sie nicht, wie die, aller eigenen Anschauung entbehrende Urtheilsfertigkeit vorgiebt und zum Nachleyern Hunderte bereitwillig findet, in engen Klostermauern ohne Bewegung und Erholung ihre Jugend vertrauren müssen; überall paarte sich Munterkeit mit einer heutzutage so selten gewordenen Bescheidenheit, Höflichkeit ohne Schüchternheit, anständiges Benehmen ohne linkische Steifheit. In Reggio wurde ich bei dem Eintritt in die Classe der Jüngsten, Knaben von sieben oder acht Jahren, gegrüßt, ohne daß sie die fremde Erscheinung verblüfft angeglotzt hätten; sie wiesen mir ihre Schriftproben, ihre Zeichnungen mit einem offenen Entgegenkommen, als wären sie an mich gewöhnt; die Mittlern zeigten nichts von jener ungeschliffenen, oft tölpelhaften Verlegenheit, welche auf der Scheidelinie zwischen Kinder- und Knabenjahren in öffentlichen Schulen manchmal einen so widerwärtigen Eindruck macht oder Lichtenbergs Wort zur Anschauung bringt, daß in vielen Schulen die[446] Knaben eher angewöhnt würden, die Nase zu rümpfen als zu putzen; und ebensowenig war an den ältesten (bis zu siebenzehn Jahren) vorlautes Wesen, oder jener anmaßliche Blick, oder jene glimmstengelnde Bengeley wahrzunehmen, welche zu sagen scheint, die Welt warte nur, bis ihnen der Bart gewachsen seye, um dann endlich zu gewinnen, wessen sie so lange entbehrt habe.

Im Theresianum zu Innsbruck wurde ich auch in die Kleiderkammer der Zöglinge geführt. Ich darf mit Recht sagen, daß die verständigste und besorgteste Hausfrau schwerlich so zahlreichen Vorrath genauer und besser in Ordnung halten könnte, als ich es hier sah. Nicht minder anständig (das Wenigste, was ich davon sagen kann) und zugleich räumlich fand ich ihr Refectorium, wo eben die Tische gedeckt stunden. An den Zöglingen aber, deren die meisten in ihren Lehrsälen versammelt waren, konnte ich die gleiche Bemerkung machen, wie zu Reggio, und ich verließ diese Räume ebenso befriedigt wie jene; durch Alles, was ich gesehen, wurde ich in meiner Achtung, in meinem Vertrauen zu der Gesellschaft gefestigt, aufs neue überzeugt, daß, wenn eine erfreulichere Aera für die Menschheit eintreten solle, dieß dann nur möglich seye, wenn der Gesellschaft Jesu zunächst auf die Erziehung der höhern Stände und auf die Bildung künftiger Priester, dann allmählig auch anderer Classen der ehevorige Einfluß wieder eingeräumt werde. Oder sollten diejenigen Gemeinden Deutschlands, an welchen Germaniker als Seelsorger wirken, über dieselben sich zu beschweren Veranlassung finden?

––––

Bald nach meiner Rückkehr in die Schweiz staunte ich, in den öffentlichen Blättern zu lesen, der P. Provincial der Gesellschaft Jesu und die Regierung von Luzern hätten sich über[447] die Bedingungen verstanden, unter welchen jene die Leitung des zu errichtenden Priesterseminariums übernehmen würde. Ich hatte sehr triftige Gründe zu glauben, daß beide Theile von einem solchen Einverständniß noch ziemlich ferne stünden, und daß die Absicht, die Väter zu diesem Zwecke nach Luzern zu berufen, noch längere Zeit blosser Wunsch bleiben dürfte. Indeß die Verständigung war erfolgt; wie und auf welchen Grundlagen, weiß ich nicht, da ich in näherer und dauernder Berührung zu Luzern mit Niemanden stehe. Mehr als was bloß summarisch der Schweizerische Correspondent darüber berichtete, habe ich bis zu dieser Stunde nicht erfahren, da ich durch den gesammten Zeitungswust auch nicht eine Minute mir rauben lasse.

Sobald diese Nachricht ruchtbar wurde, ertönten die Posaunen des Radicalismus und der Negation von einer Gränze der sogenannten Eidgenossenschaft bis zur andern, und immer lauter und schrillender wurde geblasen, und es drangen die Töne in alle Winkel und in alle Schenken und in alle Gruppen, zu denen ihrer Drei sich sammelten, und sie zischten hinein in alle Gelage und selbst durch alle Schulen; und immer mehr wurden die Ohren betäubt, und immer mehr wirbelte es in den Köpfen, und immer rüstiger wurde mittelst der Preßbengel die Urtheilskraft zu Boden geschlagen, und immer gründlicher die Ueberlegungsfähigkeit ausgefegt; und rabiater schallte es aus allen Tiefen von Tag zu Tag jenen unausgesetzten Posaunenstössen entgegen. Da ward mir hinsichtlich jener schon lange gewonnenen Würdigung der Feinde der Gesellschaft und der Gründe des Hasses gegen sie von Tag zu Tag wesentliche Bestätigung. Waren sie sich dessen bewußt oder nicht? Immerhin mußte der Gegensatz, den die Jesuiten wider ihr Wesen bilden, kraft unbezwinglicher Naturnothwendigkeit alles Entgegenschäumen in seinen Grundtiefen aufwühlen, und den flammenden Gischt bis zu den Eiseszinnen der Gebirge hinansprühen. Bei den Gehaßten volles Hingeben an die Kirche in ihrer concreten Gestalt, bei den Häßern verächtliches[448] Geringschätzen oder frevelmüthiges Niederdrücken derselben bei unheimlichem Gemahnen, daß auch sie einst in diese getragen worden; bei jenen das stäte Bild wohlgefügter Ordnung, bei diesen ein Valetsagen aller Ordnung, inwiefern sie nicht die Gewalt zum Stützpunct hat; bei jenen Gehorsam die bewegende Kraft in dem Einzelnen, wie in dem verbundenen Ganzen, bei diesen der Gehorsam nicht allein als Tugend, sondern selbst bis auf den Wortlaut abhanden gekommen, oder in den lautlosen Frondienst gegen knechtende Gewalt verwandelt; bei jenen ein Heranbilden der Jugend zur Furcht Gottes, zu heiliger Scheu vor seinen Geboten und allen sittlichen Zierden des socialen Lebens, bei diesen Geringschätzung alles dessen, unter Förderung dünkelhaften Wissens, anmaßlichen Auftretens und ungefüger Barschheit. Ueber dem sichtbarlich sich bildenden stürmischen Aufbruch von Hunderttausenden wider sieben Jesuiten, die in Luzern sich niederlassen sollten, traten mir in ihrem vollen Umfange die riesigen Widersprüche vor Augen, welche ein sittlich verfaultes Geschlecht mit einer Leichtigkeit verschluckt, als wären es unbemerkliche Mücken.

Es kann nicht meine Aufgabe seyn, auch nur die flüchtigste Skizze von der Weise zu entwerfen, in der es darauf angelegte und der Mittel, durch die es zu Stande gebracht wurde, ein durch papierene Bande wenigstens zu leidlichem Anschein noch geeintes Volk entschieden auseinander zu reissen, das auseinander Gerissene in blutigen Zwiespalt sich gegenüberzustellen, und einerseits alle verneinenden Kräfte zu fanatischem Mordschnauben aufzustacheln, ander seits diejenigen, welche diesem als Opfer hätten fallen sollen, zu gottvertrauender, darum muthiger Gegenwehr zu begeistern, in jedem Fall eine Saat des bittersten Hasses auszustreuen, dessen Fortdauer bei allem lügnerischen Gebrauch vertrockneter Canzleiformeln so schnell nicht abwelken wird. Hoffentlich wird dieses Blatt der Geschichte den Nachkommen nicht blos mit den daran haftenden Blutspuren überliefert werden, es wird sich doch wohl eine Feder finden, welche den schauderhaften Zeichen die Auslegung beifügt und mit geprüfter[449] Waage über die Parteien zu Gericht sitzt. Mit wenigen Worten jedoch jene Widersprüche berühren zu wollen, kann demjenigen, der nach Zeit, Ort und Gesinnung der Sache so nahe steht, wie ich ihr stehe, nicht verargt werden.

Sieben Jesuiten tollten nach Luzern kommen, um die Bildung der künftigen Priester dieses ganz katholischen Cantons zu leiten. Auf einmal scholl's wie Sturmesbrausen von Genf bis Rheinek: Wie? Jesuiten nach Luzern? Auf! der Protestantismus der gesammten Schweiz schwebt in der äussersten Gefahr! – Sprach man zuvor von Jesuiten als von Jugendlehrern, so zuckte man mitleidig die Achseln. Was sollen diese, hieß es, mit ihrem verrosteten Mönchskram in unserer vorangeschrittenen Zeit, bei der unermeßlichen Entwicklung der Wissenschaft, bei der Höhe, welche unsere Cultur erstiegen hat, bei der allgemein verbreiteten Bildung? – Berührte man sonst den Protestantismus und als dessen Gegensatz den katholischen Glauben und katholisches Leben, so sah man die Leute erst recht breit auftreten und verkündigen: der Protestantismus allein entspricht dem wahren Wesen und Bedürfniß des menschlichen Geistes; er nur kann demselben zusagen; er einzig ist die eines freien Volkes würdige Religionsform (wenn denn doch eine solche nothwendig seyn sollte), denn er allein schlägt den Geist nicht in Fesseln. Er beruht nicht auf äußern Satzungen, er bedarf nicht, wie der Katholicismus, menschlicher Vorschriften, er hält nicht, wie dieser, überall Bande in Bereitschaft; er nur strebt vorwärts, wie es des Geistes Bestimmung ist; er wurzelt in des Menschen Brust, er hat seine Wohnstätte in eines Zeden lichtem Verstand, verklärt tritt er hervor als »Gesammtintelligenz;« seines Sieges bewußt, mag er ruhigen Blickes in die Ohnmacht des hinsterbenden Katholicismus hineinblicken! – So hieß es sonst bei jeder Veranlassung. Nun sollen sieben Jesuiten nach Luzern kommen, und, gleich als hätte ein Windwirbel es weggefegt, zerronnen ist das stolze Bewußtseyn, verklungen sind die schönen Phrasen, bereits an den, so hinab in die Grundtiefen sich senkenden und untastbar darin ruhenden Wurzeln sollte die Art liegen, und für die 1,292,871[450] so glaubensfesten Protestanten und vielleicht gar die 1755 Juden im Canton Aargau noch inbegriffen, sollte der unerbittliche Hannibal an den Thoren stehen.

In solcher Noth, dieß es nun, wäre dringlich, daß Alles sich aufmache, was einen Mund zum Schreien, was eine Hand zum Schreiben, zuletzt was eine Faust zum Dareinschlagen habe. Es sollten die Rathe rathen, die Zeitungen spornen, die Volksredner lärmen, unermüdlich alle Wächter rufen. Es wurden wider die gefährlichen Sieben Volksversammlungen gehalten, von tausend bis zu zwanzigtausend anschwellend. Es wurde durch die Cantone ein Volksbund geschlossen, als ob das Land in der äussersten Gefahr, am Rande des Unterganges schwebe. Es wurden die Heldenherzen registrirt, es wurden Rüstungen veranstaltet, es wurden durch hochgesinnte Retter Kriegsgeschwader geordnet. Handwerksbursche aller Länder wurden zusammengebrüdert, schwellenden Muthes, um für Gewissen, Freiheit und Vaterland zu siegen, oder davon zu rennen. Erklärungen oder Begehren zur Unterschrift liefen herum, und mehr als eine Dorfgemeinde, deren Bewohner zuvor vielleicht niemals das bloße Wort Jesuit gehört hatten, stand auf wider die Entsetzlichen wie ein Mann, oder auch ein Mann für Alle (wie es denn im Canton Schaffhausen vorgekommen ist, daß Einer Namens Aller – ein neuer Winkelried – die Feder in die Dinte stieß), oder die Lebenden für die Todten, die Jetzigen für die Kommenden, indem nicht nur an einem Ort die Zahl der Unterschriften diejenige der Ortsbewohner überstieg. In der protestantischen Waat wurde die Frage gestellt: Willst du, daß Jesuiten unter uns sich einnisten? die Verneinung aber dazu benützt, um nebenbei die erste Morgenröthe der schönen Parisertage von 1791 und 1792 wieder heranbrechen zu lassen, oder zu dem Versuch, die beglückenden Gedanken Weitlings aus der stummen Schrift in die lebensvolle That zu versetzen. Leute, die Ursache genug gehabt hätten, vor dem bloßen Gedanken an solche Möglichkeit zurückzuschaudern, thaten aus dem feurig herumgebotenen Taumtelkelch dermaaßen Bescheid, daß sie in[451] dem veranstalteten Bacchanal in den gleichen Taumel verfielen, und in blinder Wuth mitraseten wider ein Element, welches allein gegen das letzte Ueberfluthetwerden der Gesellschaft verläßliche Bürgschaft zu leisten vermöchte. Die sichtbare und wirklich nahe stehende Guillotine, sammt der unsichtbaren, aber dennoch sich manifestirenden Gewalt, welche dieselbe am Ende in Bewegung setzen könnte, verlor ihr Schreckendes über der Angst vor Scheiterhaufen, die man sich an die Wand gemalt hatte. Die unverkennbar um sich greifende Verthierung der Menschheit in erfolgreich angestrebter Entfeßlung aller Leidenschaften schien manchen Bethörten ein geringeres Uebel, als die noch so beschränkte Herstellung einer geistigen Macht, welche jener entgegenzuwirken, diese durch das einzige helfende Mitte zu dämpfen verstünde. Individuen, in manchen Dingen leidlich klug und verständig, waren dem Fieberkranken gleich geworden, der mit brennender Gier nach dem Gifttrank greift, und mit Händen und Füßen gegen die Arznei schlägt, die, wenn nicht alsbald Heilung, doch Beschwichtigung bringen könnte. Kurz, es machte weitumhin durch alle Schichten der Gesellschaft ein Getriebe und ein Gethue sich bemerkbar, welches aus den niedersten Gründen zur höchsten Bergeshöhe hinanwallte, und wovon einzig die tiefste Besonnenheit und die gewiegteste Nüchternheit sich unberührt erhalten konnte. Ist aber die Revolution während fünfzehnjähriger Gewaltherrschaft niemals an eine Frage gelangt, welche sie zur letzten Enthüllung ihres Wesens dergestalt nöthigte, wie diese, so ist es auch bei keiner Veranlassung je so offenbar geworden, daß sie durch Rohheit zur Rohheit erziehe; daß es der großen Menge gewöhnlicher Menschen schwer falle, der langsamen, aber nachhaltigen Einwirkung von dieser mit Erfolg sich zu erwehren, und daß das Umsichgreifen eines entsittlichenden, darum immer mehr zerstörenden Jacobinismus unvermeidlich in ihrem Gefolge seye.

Dann wieder lautete es in bedenklichem Wort, sie säen Zwietracht, die Jesuiten, sie reizen die Gemüther auf, sie gefährden die innere Ruhe, ste trennen die Verbundenen, sie stören den[452] Landesfrieden; die protestantischen Nachbarn können nicht fleißig genug auf der Hut, nicht wachsam genug seyn. – Aber seit fünfundzwanzig Jahren leben und wirken die Jesuiten zu Freiburg, in der Nachbarschaft des protestantischen Waatlandes, dicht an der Gränze des protestantischen Berns. Unfehlbar werden Beweise, schlagende Beweise für diese Anschuldigung in Fülle beigebracht, es wird aus diesen Cantonen zur Genüge dargethan worden seyn, weß Alles gegen diese Protestanten sie bereits sich unterwunden hätten, um hieraus mit überzeugender Gewißheit sich versichern zu können, wessen sie unfehlbar von anderwärts her gegen die Protestanten anderer Cantone ebenfalls sich unterwinden würden. – Aber wie auch gelärmt, und was Schreckendes in Fülle verkündet wurde, nicht eine einzige Thatsache aus so nahe liegender Beziehung ist zur Sprache gekommen, nicht auf die mundeste Spur, daß gerechte Beschwerde von dorther je verlautet habe, konnte hingedeutet werden. Selbst der rasch vorwärts geschrittene Radicalismus der Berner Gebietiger vermochte nicht Klage zu führen, daß die Jesuiten auch nur von ferne je sein Fortschreiten zu hemmen, oder ihm in den Weg zu treten versucht hätten. – Ja noch mehr. In eben jenem katholischen Canton Freiburg bildet das Städtchen Murten mit kleiner Umgebung eine protestantische Parcelle. Hier doch werden diese Nichtkatholiken das Daseyn der Jesuiten zu fühlen gehabt, hier doch werden sie ohne allen Zweifel vielfältig geneckt, in ihrer Ueberzeugung beirrt, in ihrer Gewissensfreiheit bedrängt worden seyn; diese doch werden während eines vollen Vierteljahrhunderts des Bekehrungseifers der Jesuiten nur mit großer Noth sich haben erwehren können; von daher werden gewiß Beweise auf Beweise sich häufen; von daher wird eine Wolke von Zeugen ausmarschiren. Aber auch von daher nicht der leiseste Laut, nicht der unbedeutendste Beleg zu dergleichen aus Murten. So haben doch gewiß die Waatländer viel zu erzählen, wie die Jesuiten im Wallis, von Brieg aus, in ihrem Canton es treiben, was sie da Alles versuchen, wie fleißig sie da ihre Drachenzähne säen? Tiefes[453] Schweigen hat auch hierüber bis zu dieser Stunde geherrscht. Wie gewaltig demnach von Mund zu Mund jene Phrasen klangen, lautlos und stumm blieb Alles, sobald es sich um Belege, um erweisliche Belege, um Belege handelte, denen man nöthigen Falls hätte nachfragen können.

Doch jene, welche über die verderblichen Zwecke der Jesuiten die ermüdendsten Reden gehalten, den gründlichsten Widerwillen ernstlich losgelassen, für ihre gerechte Entrüstung weder Maaß noch Ziel gekannt haben: sie haben wohl die Eintracht gepflegt durch ihre, bald höhnische, bald gewaltthätige Behandlung der katholischen Mitbürger? Sie haben wohl die Gemüther beruhigt durch ihr anmaaßliches Beherrschen der Kirche? Sie haben wohl keine Mißstimmung hervorgerufen durch ihre Verfolgung würdiger Geistlicher, durch ihren Raub an den gewährleisteten Stiftungen der Vergangenheit und der Verwendung desselben zu allerlei unheiligen Zwecken? Sie haben gewiß den Landesfrieden nicht gebrochen durch Ausrüstung und Ausstattung Solcher, die auf eigene Faust die Brandfackel, den Mordstahl und die Verwirrung in ein Bundesland tragen sollten? – Doch ja, die Jesuiten haben dieses Alles verschuldet, denn warum wollten sie auf den Ruf einer rechtmässigen katholischen Obrigkeit in ein ganz katholisches Land, in einen selbstständigen Canton kommen, in unverantwortlicher Mißkennung des höchsten Willens aller Radicalen und Nihilisten? So fielen alle Unthaten verthierter Menschen ausschließlich Gott zur Last, denn weßwegen hat er dieselben geschaffen.

Aber Luzern ist eines der Vororte der Eidgenossenschaft; deßwegen berührt die Frage, ob es seine künftigen Priester, ob diejenigen, die einst der Kirche, nicht dem Staat (wovon sie durch die Verfassung zweckmässig ausgeschlossen sind) dienen sollen, durch Jesuiten wolle bilden lassen, nicht bloß den betreffenden Canton, sondern den gesammten Bund; deßwegen muß hier die Cantonal-Souveränetät der Bundes-Autorität nachstehen. – Dabei wird dem Wortlaut des Bundesvertrages: die XXII souveränen Cantone »vereinigen sich durch den gegenwärtigen Bund – zu Behauptung ihrer[454] Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit gegen alle Angriffe fremder Mächte, und zur Handhabung der Ruhe und Ordnung im Innern;« sodann: »die Tagsatzung trifft alle erforderlichen Maaßregeln für die innere und äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft,« – diesem Wortlaut wird bei Volksversammlungen, in grossen Räthen und auf der Tagsatzung mit der solemnesten Frechheit eine Deutung angetobt, als wäre dieser Bund, weil »gegen alle Angriffe fremder Mächte,« demnach auch gegen sieben Jesuiten geschlossen, und als wäre mit ihrer Berufung einleuchtend, unbestreitbar der casus foederis eingetroffen, welcher die Befugnisse der Souveränetät aufhebe. Als dagegen vor vier Jahren die radicalen Rapacitäten Aargaus unter entschiedenem Widerspruch der katholischen Einwohner, unter anfänglicher Einrede des grossern Theils der verbündeten Stände, in offenbarer Verachtung eines klar sprechenden Artikels der beschworenen Bundesverfassung, in den Saturnalien der rohesten und gewaltthätigsten Willkür das urkundlich gewährleistete Eigenthum der uralten und reichen Abteyen des Landes in wildem Frevel an sich gerissen, da müßte die Cantonal Souveranetät über dem Bund stehen, und gelang es endlich durch allerlei Mittel, die Stimmen von zwölf »treuen, biedern« Eids- und Bundesgenossen zusammenzukünsteln, daß sie, unter Verabschiedung jedes Rechts- und Schamgefühls, kein Bedenken trugen, in den Tagsatzungsabschied aufzunehmen: was die Bundes-Urkunde in unmißverstehbarem Wort tage, sage sie eigentlich nicht, und was dieselbe ausdrücklich verbiete, werde durch sie unzweifelhaft gestattet, – ein Fündlein, welchem sie früher den glimpflichen Namen Transaction anheuchelten.

In Luzern hatte alsbald nach den Behörden die Mehrzahl des Volkes für Berufung der Jesuiten insofern gesprochen, als dieselbe nicht, wozu sie befugt gewesen, Einsprache dawider eingelegt. Zwar mochte einer wenig zahlreichen, aber jegliches Mittel aufgreifenden Partei daselbst, welche seit drei Jahren jeden Anlaß benützte, um der Regierung Verlegenheiten zu bereiten und, wo immer die Möglichkeit dazu zu erschauen war,[455] selbst deren Fortbestehen in Frage zu stellen, mittelst rastloser Umtriebe es erreichen, einen Theil des Volkes zu vermögen, gegen jene Berufung ein Verbot (das Veto) einzulegen; worauf dieselbe anfangs laut und zuversichtlich durch die ganze Schweiz verkündete: das Luzernervolk seye in seiner überwiegenden Mehrheit entschieden gegen dieselbe. Als hierauf der Erfolg ganz anders sich erwies, mußte durch das Mitwirken der Gleichgesinnten in andern Cantonen der Gegenstand erst zur eidgenössischen Sache, dann zu derjenigen der gesammten protestantischen Bevölkerung, selbst der entlegensten Landestheile, gemacht, sollte durch angezettelte Verschwörung, durch förmlichen Aufruhr, durch gewaffneten Einbruch mitten im Frieden die zu Gesetzeskraft erwachsene Schlußnahme unter beabsichtigtem Umsturz der Regierung gewaltsam hintertrieben werden. Galt es dagegen im Jahr 1841, dem Canton Aargau durch die Ueberzahl von etlich hundert Protestanten eine den Katholiken nachtheilig scheinende Verfassung aufzuladen; galt es, eine solche, welche gleichzeitig durch terroristische Maßregeln gegen diejenigen begann, die auf gesetzlichem Wege das willkürliche Walten radicaler Dränger hemmen wollten, in Solothurn mit erzwungener Mehrheit durchzusetzen, so war in beiden Fällen die Mehrheit ohne alle Rücksicht auf Gründe und Beschwerden der Minderheit unbedingt zu respectiren; war darnach auch nicht von ferne zu fragen, wie weit im der Zahl die Minderheit dieser Mehrheit sich annähere, auf welcher Seite das größere Recht, der bessere Wille sich finde? Hatte sich ja die Mehrheit erklärt, durch diese die untrügliche Stimme gesprochen. Hier dagegen wurde von einer ansehnlichen, darum berücksichtigenswerthen Mehrheit geredet, diese mit vollem Anspruch auf Beistand in den Vordergrund gestellt, verkündet, daß man sie ohne Pflichtverletzung nicht dürfe im Stich, lassen. In diesem Fall sollte demnach, wenn nicht die Mehrheit keine Mehrheit, so doch die Minderheit nicht dasjenige seyn, wofür sie, sonst in allen andern Fällen gelten mußte: – nicht mehr vorhanden, sobald die Zahl von jener aufgenommen und bekannt gemacht war.[456]

Die Jesuiten, hieß es ferner, sind Fremde, sie haben kein Vaterland, sie geben für eine schweizerische Gesinnung keine Bürgschaft, ihre Einwirkung auf die Jugend ist darum um so bedenklicher. Da verdient doch vordersamst erwogen zu werden, daß es bisanhin den übrigen Cantonen noch nie eingefallen ist, einem andern Vorschriften darüber geben zu wollen, wen er zum Unterricht seiner Jugend nicht geeignet halten dürfe, welcher Herkunft diejenigen seyn müßten, die er hiezu zu berufen für gut finde, von Bundeswegen den Grundsätzen, der Richtung, oder der Methode derselben nachzufragen; daß bis dahin weder Tagsatzung, noch grosse Räthe, noch Volksversammlungen geglaubt hatten, als oberste Schulbehörden der Eidgenossenschaft auftreten zu sollen; daß vielmehr bis jetzt fest an der Meinung gehalten worden ist, Solches seye Sache des betreffenden Cantons, so wie auch einzig dessen Behörden die Verantwortlichkeit einer übereilten oder mißglückten Wahl über sich zu nehmen hätten. Vollends dann, als zum Theil der Abhub deutscher Flüchtlinge in mehr als einem Canton mit offenen Armen empfangen, als in heisser Sehn sucht nach deren Lebensbrod dieselben hier mit Lehrer- und dort mit andern Stellen eilfertig versehen wurden, da fiel es keinem Canton ein, den andern hierüber zur Rede stellen, seine volle Befugniß ihm streitig machen zu wollen, die Einrede zu erheben: diese Menschen seyen landesflüchtige Fremdlinge, in der Heimath dem Gesetz verfallen, Niemand kenne ihre Lehre, ihre Absichten, ihre Zwecke, um so begründetere Zweifel seyen deßwegen über ihre Gesinnungen zu erheben, gerechte Besorgniß zu hegen, sie möchten einen schlechten Geist der Jugend einpflanzen. Und als hierauf die giftige Saat, welche diese Fremdlinge mit vielfacher Geschäftigkeit ausstreuten, in Verbreitung der schlechtesten und zertrennendsten Lehren, in Verhöhnung aller vormaligen eidgenössischen Tugenden, in stäter Herabwürdigung der ältesten Bundesglieder, in übermüthigem Spott über deren Glauben, Cultus und Kirche, in immerwährendem Hetzen in dem engern Bereich der Bürgerschaften, in unausgesetzten moralischen Meuchelanfällen[457] auf Jeden, der nicht ihres Gelichters ist, in der Verpestung, die sie mittelst der niederträchtigsten Ausbeutung der Preßfreiheit über den grossen Haufen verbreiteten, nur allzuschnell aufgieng und nur allzuüppig wucherte, selbst da fiel es Niemand bei, den sie aufnehmenden Cantonen von Bundeswegen den Vorwurf zu machen, daß dieses Fremdlinge und dazu meist noch Glücksritter seyen; daß sie zu so vielem Unheil über das Land noch alle Schmach auf den Schweizernamen wälzten; daß innerer Friede und inneres Gedeihen bei dem ungezügelten Walten dieses zusammengelaufenen Volkes unmöglich, daß dasselbe der Giftwurm seye, der das innerste Mark der ehebevor glücklichen und friedlichen Eidgenossen durch seinen Zahn benage und zugleich durch seinen Auswurf zersetze. Da wäre jede Stimmte, welche in dem redlichsten Wohlmeinen, auch noch so leise und gemässigt, hierauf angespielt hätte, dem schneidendsten Spott und der gellendsten Lache begegnet, und im besten Fall würde man mit Entrüstung über ein so unbefugtes Unterwinden gegen die Cantonal-Souveränetät und das sichtbar aufblühende Volksglück sich geäussert haben.

Was ein Jesuit ist, was er glaubt, was er lehrt, was er anstrebt, wie er wirkt, was er als Prediger verkündet, wie er als Beichtvater sein Amt verwaltet, worauf er als Jugenderzieher sein Augenmerk richtet, das kennt man, das ist Niemand verborgen, nicht im Dunkeln treiben sie ihr Werk. Aber dieselben sind allzupositiv in ihrem Glauben, allzutreu an ihrer Kirche, allzupünctlich in Allem, was den Gottesdienst betrifft, mit einem Wort, sie sind zu entschieden katholisch und suchen mit ernster Thätigkeit in jeglichem Wirkungskreis die gleiche Gesinnung zu pflanzen und zu pflegen. Das nun ist's, weßwegen die gerühmte Freisinnigkeit sie verwirft, sie verfolgt, was sie durch alle Mittel zu hindern trachtet. Wie wissenschaftlich, sittlich und gesellschaftlich monströs eine Lehre seye, wie weit hinaus in die Negation sie schreite, hinter dem Schild der anerkannten Denkfreiheit ist sie geborgen; aber die eminent positive Lehre hat auf solche Sicherheit keinen Anspruch, sie kann[458] keinen haben, denn sie soll als Zeugniß unfreien Denkens gelten. Hatte Luzern zu Bildung seiner künftigen Geistlichkeit sieben Ronge's, hätte es sieben Pantheisten, hätte es sieben Junghegelianer, hätte es sieben erklärte Atheisten berufen, gewiß die Tagsatzung hätte hierin keine Gefahr erkannt, die andern Cantone würden vor dem blossen Gedanken an eine Einmischung bei so preiswürdiger That zurückgeschaudert seyn, die bekannten Vaterlandsfreunde wären ruhig und unbesorgt geblieben, manche Zeitungsblätter wurden den herrlichen Fortschritt mit Entzücken verkündigt haben, und Jubel und Jauchzen wäre aus mehr als einer Kehle hervorgebrochen, die jetzt über dem Halloh gegen die Jesuiten vielleicht heiser geworden ist.

Ferner hat man es nicht gewußt, oder nicht wissen wollen, vermuthlich aber für zweckdienlich erachtet, es in Vergessenheit zu stellen, daß von den Jesuiten niemals die Absicht gehegt worden ist, in den Canton Luzern zurückzukehren, daß sie ein solches Verlangen niemals geäussert, daß sie niemals der dortigen Regierung sich angeboten, noch weniger versucht haben, ihr sich aufzudringen; wie sie denn keinem Land, keiner Stadt sich aufdringen, wider Willen derjenigen, die hierüber zu entscheiden berechtigt sind, auch da nicht länger verweilen, wo sie für entbehrlich gehalten werden. Offenkundig (die Zeitungen haben ja seiner Zeit des Weiten und Breiten davon gesprochen) ist es, daß das Verlangen nach ihrer Rückkehr von Luzern selbst ausgegangen ist; wodurch dasselbe veranlaßt worden war, blieb ebensowenig ein Geheimniß. Wie lange es hierauf dauerte, welche Schritte geschahen (Alles ohne Zuthun der Gesellschaft), bis endlich ein Beschluß möglich wurde, ist ebenfalls wieder Jedermann bekannt; weniger vielleicht, daß die Obern der Gesellschaft nicht alsbald so willfährig sich erzeigten, wie sonst derjenige zu thun pflegt, der mit heißer Begierde irgend Etwas zu erreichen hofft, oder gar es zu erreichen sich bestrebt, ja daß es sogar eine Zeitlang zweifelhaft war, ob sie nur dem an sie ergangenen Ruf entsprechen würden. Trotz dessen sind flammende Reden gehalten worden von den Anschlägen der Jesuiten,[459] wie sie auch da sich eindrängen wollten, von der Herrschsucht der Gesellschaft, von der kalten Gleichgültigkeit, mit der sie über blutende Leichen und über rauchende Trümmer ohn' alles Bedenken fröhlich einherschreite, wenn sie nur irgendwo ihren Thron aufschlagen könne. Auch das gehörte zu dem »süssen Brei« jenes Dichters, welchen die Masse aller Kategorien gierig hineinschlang und darob für Alles ein offeneres Ohr behielt, als für Wahrheit.

So ist in dieser Angelegenheit des Grundfalschen, Boshaften, Erlogenen, einzig auf den Zweck Berechneten unermeßlich viel von allen Seiten zusammengesteuert, zusammengerednert und zusammengeräthlet worden. Das Endergebniß liesse sich in einen Erlaß, ohngefähr folgenden Wortlautes, fassen: »Wir Fortschrittler, Wir Revolutionsmänner, Wir Nihilisten, Wir Bleiwägler insgesammt, in pleno und specialiter ad hoc versammelt, fragen nicht: hat Luzern als souveräner Stand irgend ein anerkanntes Recht; wir fragen nicht: glaubt es, in heller Einsicht oder in stockdichter Verblendung, daß die Jesuiten als Erzieher seiner künftigen Priester ihm nützlich seyn könnten; uns berührt es nicht, ob diesen Jesuiten in solcher Beziehung Vertrauen zu schenken seye, oder nicht; uns geht es nichts an, ob diese Jesuiten ihren Einfluß auf das, wozu sie berufen sind, und auf den Canton, in den sie berufen sind, beschränken, oder darüber hinaus erstrecken dürften – wiewohl wir von vornherein annehmen, daß sie den Nachbarcantonen lästig fallen, und diese, trotz der so hoch entwickelten Cultur und aller, so wachsamen als kostbaren Polizei, weder ihres verderblichen Einflusses sich entschlagen, noch erforderliche Maßregeln der Abwehr werden treffen können; denn dieses Alles kann auf unsere, so wohlgemeinten als rechtlich begründeten Beschlüsse keinerlei Einfluß haben; sondern: es sind eben Jesuiten, und diese wollen wir nicht, diese dulden wir nicht, für dieses Nichtwollen und Nichtdulden haben wir die erforderliche Anzahl durchaus unberechtigter, aber desto lauter sprechender Stimmen zusammengebracht und, alsbald wir gepfiffen[460] haben, sind diese zumal laut geworden, so daß euch, die ihr es wagen könnet, andere Meinung zu hegen, die Ohren hätten gellen mögen. Hienach habt ihr euch zu fügen, daran geschieht unser, als der einzig gültige Wille; im übrigen der garantirten Cantonal-Souveränetät und der anerkannten Gewissensfreiheit in allen Stücken unbeschadet.«

Wollte man glauben, es seye der Protestantismus, der die angeführten Widersprüche erzeugt und in sich hinein geschlungen habe, so würde man nicht nur irren, sondern gegen denselben höchst ungerecht seyn; sofern man nämlich unter Protestantismus und Protestanten eine, durch ein bestimmtes Glaubensbekenntniß und durch treues Festhalten an den aus der Kirche geretteten Lehren der Offenbarung zu einem gleichartigen Ganzen verbundene Religionsparthei versteht. Daß dieser Protestantismus für die Jesuiten zwar keine Sympathien haben, daß ihm deren Niederlassung in einem katholischen Nachbarlande nicht gerade die erwünschteste Sache seyn könne, das soll ihm nicht verargt werden. Dennoch aber kann man nicht nur, sondern man darf mit allem Recht von demselben die bessere Meinung hegen, daß er sich schämen würde, umt Solches zu hindern, dergleichen Triebfedern, wie hier geschah, in Bewegung zu setzen, solche Mittel, wie sie jetzt ungescheut gehäuft wurden, anzuwenden, daß er zu ehrlich, zu wohlgesinnt wäre, zu viel Gewissen hätte, um ohne die leiseste Bedenklichkeit selbst die verworfensten Gewaltthaten zu versuchen. Im Gegentheil, ich könnte Protestanten nennen, deren die Einen unbefangen genug sind, dem Recht und einer unverkennbar guten Absicht über bloß eingebildete Besorgniß oder beengende Abneigungen das Uebergewicht einzuräumen; noch Mehrere aber, denen gegründete Furcht über die möglichen Folgen einer immer weiter gehenden Entwicklung des losgebrochenen Treibens näher steht, als wenn alle Jesuiten von Europa nach der Schweiz ziehen wollten.

Nein, es ist nicht der Protestantismus, wenigstens nicht der glaubensfähige Protestantismus, von dem jenes Alles ausgegangen[461] ist, ja der auch nur beifällig ihm zustimmte, sondern es ist der in den Nihilismus fortgeschrittene und damit zugleich in den Radicalismus aufgegangene Protestantismus, welcher in Verbindung mit allen, jenen beiden verwandten Elementen zu dem, was ich vorgehends berührt habe, sich vollkommen berechtigt halten mochte. Fraget, wie viele von denjenigen, welche am lautesten gegen die Jesuiten geschrieen, die, weil sie erst die verschiedenen Behörden Luzerns, hierauf die Mehrheit des dortigen Volkes, sodann alle Katholiken, zuletzt selbst diejenigen Protestanten, welche offener Widerrechtlichkeit das Wort nicht reden konnten, mit den Jesuiten identificirten; die deßwegen, weil sie in solche Betäubung sich hineingearbeitet hatten, am Ende selbst vor den entsetzlichsten Gewaltthaten nicht mehr zurückbebten, fraget, wie viele von diesen an den geoffenbarten Glaubenswahrheiten, die der alte Protestantismus als geheiligtes Gut bewahrt hat, mit zweifelloser Anhänglichkeit noch festhalten; wie Viele derselben ihnen durch ihr Leben Zeugniß geben; wie viele derselben den Gottesdienst schätzen und fleissig besuchen; wie viele derselben nicht auch im Bereich der Zucht, Sitte, Ehrbarkeit, Redlichkeit, Berufstreue, Mässigkeit, Sparsamkeit als entschieden Protestirende sich bewähren? Fraget, wie viele aus ihnen, wenn sie auch von der Fleisches-Emancipation als Lehre ihr lebenlang nichts gehört haben, doch in praktischer Uebung derselben den blossen Theoretiker zu Schanden machen würden? Fraget, wie viele aus ihnen, wenn ihren auch das Wort Materialismus ganz unbekannt ist, doch genaue Vertrautheit mit der Sache an den Tag legen?

Läßt dann sich aus den Mitteln, die zu Erreichung eines Zweckes angewendet werden, ein Urtheil über diesen selbst ableiten, so kann der Entscheid über den Werth der widerstrebenden Zwecke zweyer, in der äussersten Erbitterung sich gegenüberstehenden Parteien weder schwer fallen, noch schwanken, sobald wir jene angewendeten Mittel in's Auge fassen; so wenig als die durch momentane Rücksichten gebotene Bemäntelung des Grundverwerflichen, als einer dennoch »guten Sache,« denjenigen[462] irre zu leiten vermag, der hinreichend freyen Sinn bewahrt hat, um die Ereignisse, sowohl an sich, als in ihrem Zusammenhange zu erwägen. Da nehmen wir nun auf der einen Seite einen ruhigen, bemessenen, gesetzlichen, anbei festen Gang wahr, fern von aller nutzlosen Wortmacherei, auf der andern ein unablässiges Treiben, ein unausgesetztes Hetzen, ein fortwährendes Ueberbieten im Verdrehen, Entstellen und Lügen; auf der einen Seite sehen wir entschlossenen Muth zu Abwehr des Unrechts, – auf der andern tollkühne Frechheit zu unbegränztem Verüben desselben; auf der einen Seite erblicken wir eine Gesammtbevölkerung zu innbrünstigem Flehen in dem Heiligthum des Herrn geschaart, – auf der andern wuthschäumende Horden, unter Zechgelagen in den Schenken tobend; auf der einen Seite hören wir das demuthsvolle Seufzen um den gnadenreichen Beistand des Allmächtigen, – auf der andern das gräßlichste Hineinfluchen in einen infernalen Tollsinn. Auf welcher dieser beiden Seiten nun möchte, wenn nicht das Recht, so doch der preiswürdigere Zweck zu suchen seyn? Oder sollte derselbe vertreten werden durch Individualitäten gleich jenem vollblutigen Neueidgenossen, der beim Herausreichen congrev'scher Raketen aus einem bundesbrüderlichen Arsenal unter mephistophelischem Grinsen schnarrte: »die werden in Luzern zischeln?«

Um aber diese, selbst wider Willen allzuausführliche Erörterung endlich zu schliessen, seye nur noch eine Frage erlaubt an den ersten Besten unter denjenigen selbst, welchen das höchst gewagte Lob gespendet wird: »sie hätten der Liebe zum Vaterland und zur Freiheit sich selbst zum Opfer gebracht.« Die Frage ist diese: wäre damals ein Jesuite wehrlos in euere Gewalt, Einer von euch hingegen unter seinem Mordschnauben in Gewalt der Jesuiten gefallen, wessen Loos hättet ihr wohl theilen mögen? Die Beantwortung dieser einzigen Frage (und gewiß kann sie Keinem schwer fallen) richtet euch, euere Helfershelfer, euere ganze Sippschaft, zusammt euerem, durch Gottes unverkennbare Leitung mißglückten Unterfangen![463] Doch ob dem Ausgang dieses Unterfangens, wie auch darin in verständlichem Wort die von der Menschenweisheit mißachtete Stimmte gesprochen, mögt ihr vorerst noch nicht verzagt seyn; hat er ja zum lustigen Sabbath geschmeidigerem Volk die Bühne eröffnet! Zum fröhlichen Reigen werden sie jetzt sich sammeln, Jene, zu denen Job gesprochen: »Ja, unter den Menschen seyd ihr die Einzigen; mit euch wird die Weisheit sterben! Wer aber wüßte nicht, was ihr wisset!« Diesem wedelnden Volk, welches in auferbaulicher Devotion die Kerze aufsteckt vor dem Heiligen, im Rücken aber die Hand drückt dem guten Gesellen mit der schönen Hahnenfeder, dieweil man doch nicht wissen kann, wozu er zu brauchen wäre, ist alsbald mit jenem Ausgang Gelegenheit entgegengewallt, wunderherrliche Reden zu halten an die Andern: in welch' empörender Anmaßung man ihr Recht und Bestehen gefährdet, mit welchem Frevelmuth man ihnen an Leib und Leben gegangen, wie inngründig sie für dieselben gezittert, wie himmelhoch jauchzend sie gewesen, daß jenes erhalten, diese gerettet worden. Aber weiter werden sie wimmern zu diesen Andern: »Wie treu mit Euch wir es meinen, wie herzlich wir darob jubeln, daß das Recht sieghaft gewesen; des Leibes und der Habe Ihr Euch erwehrt, daran werdet ihr doch wohl nicht zweifeln! Indeß ob dem Allem hat Euch nicht entgehen können, daß man in blankem Ernst Euch an das Leben habe greifen wollen! Wir wissen aber, Ihr seyd Leute, bei welchen ein gutes Wort eine gute Statt findet, die es schwer auf's Gewissen nähmen, so sie Andern zum Beharren in so todfeindlichem Zorne Anlaß geben sollten! Das Recht, dieß hat uns ausser der Massen gefreut, das Recht habt Ihr jetzt gewahrt, das Leben habt Ihr aus dem Todeskampfe gerettet, Gott mögt ihr wohl danken (Solches verargen die Gegner Euch nicht), daß er dazu Euch beigestanden! Aber, höret auf unsern wohlgemeinten Rath, er ist parteilos, er geht aus doppelseitigem Bruderherzen hervor: um des lieben Friedens willen tödtet jetzt Euch selbst, damit Ihr Andere bewahret, daß sie in solche[464] verabscheuenswerthe Verirrung wider Euer Recht, Leib und Leben nicht etwa von neuem hineingerissen werden; hiemit entziehet Ihr ihnen jeden Vorwand, Euch ferner übel zu wollen! Preiswürdig ist der muthvolle und sieghafte Kämpfer für das Recht, preiswürdiger derjenige, welcher der unterliegenden Widerrechtlichkeit in frohem Entgegenkommen anbieten mag: ihr gebühre dennoch, sobald sie es nur mit einigem Geziemen fordere, der alleingültige, unwiderrufliche Entscheid?« – Ob unter so zuckersüsser Rede die Bleiwage ganz stumm bleiben mag?

Es sprachen aber so nicht allein sogenannte Freunde. Es sprechen so auch diejenigen, welche so viel darauf sich zu Gute thun, daß der freyen Regung der Volker, wie immer sie seye, und wonach immer sie trachte, durch sie keinerlei Eintrag geschehe. Und treulich halten diese an sich, wenn des Schlechten noch so viel geschieht, wenn des Empörenden noch so viel verübt wird; denn respectiren muß man, schützen sie vor, was im Namen des Volkes unterfangen, was in dessen angeblichem Willen glücklich vollführt wird. Bricht man unter wildem Hohnlachen den Bund, vollstreckt man längst gehegte Anschläge auf gewährleistetes Eigenthum, mästet sich die Willkühr unter richterlichen Formen mit wilder Verfolgung, muß ein duldsames Volk seine Liebe zur Kirche durch ökonomischen Untergang büssen, heult der glückhafte Uebermuth sein væ victis! mit Korybanten-Gerassel in die Ohren der Schlachtopfer, da wird der gute Rath so theuer, wie zu des Propheten Elisäi's Zeit in Samaria der Lebensbedarf, da ein Eselskopf achtzig Silberlinge und das Viertel Taubenmist fünf galt. O, sagen sie alsdann bei sich selbst, es geht Alles so ruhig, so friedlich, so seinen geordneten Gang: sollten wir Blinde sehen, wir Taube hören, wir Stumme reden, zwekwidrig stören das Voranschreiten so vielversprechender Entwicklung? Sobald dagegen das Recht der übermüthigen Anforderungen standhaft und der gräuelvollen Anschläge sieghaft sich erwehrt, und nichts weiter begehrt, als daß ihm seine wohlgefestete Befugniß, derjenigen jedes Dritten unnachtheilig, belassen werde, dann ziehen sie die Schleussen des guten Raths,[465] höher als vor der Sündfluth diejenigen des Himmels. Diese Rathgeber sind die wahren Triarier des Unrechts, die alte Garde des Frevels, welche geruhig dem Verlauf des Schlachtgewühles zusieht, in heiterer Siegeshoffnung für den Herrn, dem sie dient; dann jedoch, so seine Trompeter zum Rückzuge blasen müssen, unverweilt herbeistürzt, um durch andere Operation ihm zu sichern, was er unter Gemetzel und Mordbrand vergeblich angestrebt. Aber freilich die legitimen Reminiscenzen sind zum »Brandmal,« die dynastischen Interessen zum funkelnden Stern geworden! Mag somit derartiger Verbrauch des guten Raths euch noch in Verwunderung setzen?


Es ist oft gesagt und in neuester Zeit als ausgemachte Sache wiederholt worden, daß in Rom über der Mutter der Sohn, über Maria der Erlöser, wenn nicht beinahe vergessen, doch in den Hintergrund gestellt werde. Ihr, wird gesagt, seyen die meisten Kirchen geweiht, zu ihren Festen vereinige sich die vorzüglichste Feyerlichkeit, zu deren Verherrlichung werde das Meiste aufgewendet, ihr Bild an den Straßenecken und an Gebäuden am häufigsten gefunden, zu ihr am vertrauensvollesten in den Kirchen gefleht, die lauretanische Litanei am inbrünstigsten gebetet, ihr Lob schalle des Abends in Gesängen vornehmlich durch die Straßen, durch ihren Namen wolle der Arme zur milden Gabe bewegen, und als Betheurung und Ausdruck des Staunens seye derselbe im Gespräch am öftersten zu vernehmen. Beherrscht von dieser Meinung, wenn gleich nicht in ähnlichem Grade darüber entrüstet, wie manche Andere kam ich nach Rom und glaubte, in mancherlei Wahrnehmungen eine Bestätigung derselben zu finden. Auch ich war anfangs geneigt, dafür zu halten, eine solche Hintansetzung des Erlösers zu Gunsten seiner jungfräulichen Mutter lasse sich gar nicht in Abrede stellen; eine Vernachlässigung, welcher, wenn sie wirklich[466] statt fände, ein wahrer Christ das Wort doch niemals reden könnte. Allein auch hierüber wollte ich nicht sofort urtheilen, sondern sehen und hören. Allererst erlaubte ich mir gegen einen deutschen Geistlichen meine Besorgniß zu äussern, daß eine solche Hintansetzung schwerlich zu mißkennen seye. Dieser vermochte aus längerer, unbefangener Beobachtung dieselbe zu losen; er bewies mir, daß auch diese Anschuldigung aus jener Oberflächlichkeit hervorgehe, die in Unfähigkeit, Alles sorgfältig zu beobachten und mit einander in Verbindung bringen, alsbald mit einem fertigen Urtheil in Bereitschaft stehe.


Auch das gemeine Volk in Rom, bemerkte er mir, kenne den Unterschied zwischen Christo, der Fülle der Gnade, und Maria, der Fürbitterin um Gnade, gar wohl; und wenn auch deren Name in seinem Mund häufiger vorkomme, und wenn auch durch die Marienfeste die Erinnerung an sie lebhafter angeregt werde, so dürfte ich mich vollkommen überzeugt halten, daß Niemand in Rom so unwissend seye, entweder Mutter und Sohn auch nur gleich setzen, oder das, was dem Sohn allein gebühre, auf die Mutter übertragen zu wollen. Schon daß abwechselnd durch die Kirchen das ganze Jahr hindurch das Sanctissimum ausgestellt seye, erhalte den Glauben an den Erlöser und die Anbetung desselben und das Vertrauen auf ihn stets durch das ganze Volk lebendig.

Ich vernahm die gegebenen Aufschlüsse gerne, unterließ aber nicht, von deren Triftigkeit durch eigene Beobachtung mich zu überzeugen. Die erwähnten Ausstellungen des Hochwürdigsten gaben dem Bemerkten nicht geringe Bestätigung. Eine solche Ausstellung, welche in der betreffenden Kirche jedesmal 40 Stunden dauert, zeigt schon in der äussern Anordnung, daß hier das Höchste sich finde, was dem Glauben des katholischen Christen kann dargeboten werden. Ich habe während dieser Feyerlichkeit eines Abends nach St. Peterskirche mich begeben. Sie gewährte einen imposanten Anblick. Auf dem Hochaltar, über den hundert Lampen um die Confessio der Apostelfürsten, stand unter einem Wald brennender Wachskerzen das hochwürdigste[467] Gut. Durch jede Seitenkapelle verbreitete eine einzige Lampe ein unsicheres Licht, und hinauf in die hohen Wölbungen und hinaus bis zum Eingang zerrann der Lichtglanz in das Dunkel. Hunderte von Betern knieten, in Andacht versenkt, an dem Geländer der Confessio, viele andere zerstreut in den gewaltigen Schlagschatten, welche die Pfeiler warfen. Dieß, vierzig Stunden ununterbrochen dauernd, gemahnt Jeden an die Nähe dessen, welcher der Quell und das Ziel seines Glaubens ist. In ähnlicher Weise findet diese Ausstellung in jeder andern Kirche statt. Nun giebt es wohl Niemand in Rom, der als Glied der Kirche gelten wollte, welcher nicht mehrere Male während des Jahres durch die Anbetung, die er dem Sanctissimum erwiese, lebendig daran erinnert würde, wer sein Haupt, wer der Quell des geistigen Lebens, wer der Grund seiner Zuversicht seye. Ausserdem besteht eine sehr zahlreiche Erzbruderschaft vom allerheiligsten Altarssacrament, die zur immerwährenden Anbetung desselben sich verpflichtet hat. Hiezu sendet sie unausgesetzt, Tag und Nacht, das ganze Jahr hindurch, einige ihrer Glieder in die Kirche, welche an der Reihe ist. Eine Erorterung über den Glauben an die wesentliche Gegenwart Christi im Altarssacrament kann in dieser Schrift nicht durchgeführt, wohl aber die Sache von dem katholischen Standpunkt aufgefaßt und hienach das Urtheil gefällt werden: daß vermöge dieser Einrichtung dem Sohn eine ganz andere Stellung und ein ganz anderes, unendlich höheres Verhältniß zu dem Gläubigen angewiesen werde, als der Mutter. Demnach würde jene Anschuldigung schon hiedurch entkräftet.

Wahr ist es, das Gebet, welches bei den kirchlichen Feyerlichkeiten zweiten Ranges, zumal bei den Abendandachten, am öftersten in den Kirchen gehört wird, und welches der Italiener von zartester Jugend an spricht und kennt, ist die Lauretanische Litaney, in welcher »die reinste, keuscheste, unbefleckte, liebliche, wunderbare Mutter, die weiseste, ehrwürdige, mächtige, gütige, getreue Jungfrau, die Königin der Engel, der Patriarchen, der Propheten, der Apostel, der Märtyrer, der Beichtiger, der Jungfrauen,[468] aller Heiligen,« bei jeder dieser Eigenschaften und bei allen andern Auszeichnungen, die ihr beigelegt sind, um Fürbitte angefleht wird. Wie sehr aber die jedesmalige Wiederholung des »Bitte für uns« zu jedem Ausdruck der Verherrlichung sie während der Dauer des Gebetes hervorhebt, so tritt sie doch wieder zurück der Stellung nach, die sie in der Litaney einnimmt, und dem Gewicht der andern Seufzer nach. An Christus, an die Dreyeinigkeit wendet sich das Hülfe rufende Herz zu allererst; von Christo, von der Dreyeinigkeit hofft es Erhörung, hofft es Erbarmen; hier allein findet es den Quell der Gnaden, deren Leiterin Maria bloß ist; es weiß dieß, es ist dessen fest überzeugt, siebenmal seufzt es darum, und erst nachdem es sich Bahn gemacht hat, nachdem es vorgedrungen ist an den Thron der Allmacht und Gnade, sieht es sich gleichsam um und erblickt Maria, wie einst von dem Schwerte des Schmerzens durchbohrt unter dem Kreuze, so nun von Glorie umzogen an jenem stehen; es nimmt sie gleichsam bei der Hand, zieht sie mit sich hin, daß ihr Flehen mit seinem Seufzen sich vereine. Das Herz weiß, daß Maria nicht hilft, nur mit ihm und für dasselbe bittet. Hat es dann sein Seufzen beendigt, so erwartet es volle Erhörung, Erlösung, Erbarmung doch nur von dem Lamm Gottes, »welches dahin nimmt die Sünden der Welt,« und es wendet sich an dieses, welches um seiner Mutter willen Erhörung, Erlösung, Erbarmung ihm nicht versagen wird. Also auch hier wieder der Sohn vor der Mutter, über der Mutter; und das übersieht, vergißt auch der Beschränkteste, auch das Kind nicht; denn so aller Unterweisung baar, so zur Religionsübung blos abgerichtet darf man, wie Manche möchten glauben machen, das italienische Volk sich nicht denken.

In welchen Illusionen über Unwissenheit des gemeinen Volkes in Italien man immerhin sich wiegen möge, so unwissend ist auch der Unwissendste nicht, daß es ihm unbekannt wäre, daß die höchste und tagtäglich in allen Kirchen und von allen Priestern begangene Feier, die heilige Messe, einzig und allein auf den dreimaleinen Gott sich beziehe; daß er, so oft er derselben[469] beiwohne (die Zahl derer aber, welche dieses einzig auf den Sonntag und einige der vornehmsten Feste beschränken, mag sehr gering seyn), vor dem Dreimaleinen kniee, zu dem Dreimaleinen bete, und diejenige Person der Dreieinigkeit gegenwärtig wisse, die uns zum Heil Mensch geworden ist. Er ruft mithin nicht nur täglich den Sohn an, sondern er nahet sich dem Sohn und der Sohn nahet sich ihm; er steht täglich in dessen und nicht in der Mutter wesentlicher Gemeinschaft; er ist darüber gar nicht im Ungewissen, wem er die Gnadenwirkung des heiligen Opfers zu verdanken habe, dieweil er während der ganzen Handlung mehr als einmal hört und versteht, daß Alles ihm zu Theil werden möge durch Jesum Christum, Gottes eingebornen Sohn, der in Gemeinschaft des heiligen Geistes mit dem Vater regieret von Ewigkeit zu Ewigkeit.« Wird dabei die »selige, glorreiche, allezeit jungfräuliche Gottesgebärerin Maria« ebenfalls genannt, so weiß jedes Kind, daß ihr erst die nachfolgende Stelle angewiesen ist. Gleiche Bewandtniß hat es mit dem Rosenkranz, der am Abend gebetet wird, und dem gewöhnlich der Segen folgt. Jener wird mit Eifer gebetet, der wahre Werth aber auf diesen gelegt, die Mutter zwar gepriesen, die geheimnißvolle Gnadenwirkung aber von dem Sohn erwartet, in dem, alsbald von dem ganzen Volk aus dem Pangue lingua angestimmten, Tantum ergo dieses bezeugt, in dem darauf folgenden Genitori genitoque abermals der Dreimaleine verherrlicht.

Der Glaube an die persönliche Gegenwart Christi im Altarssacrament und die hievon unzertrennliche tägliche, ja stündliche Anbetung derselben ist so innig in die ganze Anschauungsweise eines italienischen Katholiken verflochten, so unabweisbares Bedürfniß desselben, so der Pfeiler seines Glaubens, daß mir einst der berühmte Pater Ventura sagte: es hätten ihn Viele zu jeder Zeit versichert, nur die Gewißheit, Christum in ihrer Nähe zu haben, mache sie glücklich, und sie würden der Verzweiflung anheimfallen, wenn der Gedanke möglich wäre, daß der Glaube an diese Gegenwart sich anstreiten ließe. Wie läßt[470] sich bei solcher Ueberzeugung und bei der hier berührten Praxis die Anschuldigung rechtfertigen, es würde des Sohnes weniger gedacht, als der Mutter? Trete man im Vorübergehen in die nächste Kirche, während die Messe celebrirt wird, alsbald muß man sich überzeugen, daß die Anwesenden dieser genau folgen, in dieselbe mit aller Innigkeit verflochten sind; schwerlich wird es einem Einzigen einfallen, wenn der Ministrant zum Sanctus klingelt, statt zu Gott, zu Maria sich zu erheben, oder das Mea culpa, statt an den Sohn, an die Mutter zu richten.

Manchmal des Nachts hört man in den Straßen Rom's von Vorüberwandelnden das Eviva Maria singen, aber vergessen wir nicht, daß es immer mit dem: e chi la creó schließt. Wo, wann und in welcher Art der Christ die heilige Jungfrau preise, nie kann dieses geschehen, ohne daß nicht immer desjenigen zugleich gedacht würde, den auch sie verherrlicht hat, und der unendlich, alle menschlichen Begriffe übersteigend, hoher steht als sie. Am letzten Abend der Mayenandacht horte ich in der Kirche der Theatiner eine ausgezeichnete Predigt des P. Ventura über die allerheiligste Dreieinigkeit. Er behandelte dieses schwierige Thema mit einer Klarheit, mit einer Faßlichkeit, daß der Hochgebildete, wie der Ungebildete sich wahrhaft erbaut finden mußte, und es wohl kein schöneres Zeugniß geben konnte, daß er die Geister und Herzen zu fesseln verstehe, als die Stille und Ruhe, welche von Anfang bis zu Ende über der dichtgedrängten Zuhörerschaft in der großen Kirche waltete. Am Schluß berührte er den Rosenkranz und wies dabei einleuchtend dar, daß es unmöglich seye, denselben zu beten, ohne zugleich an die höchsten Geheimnisse, die an die Person des Erlösers sich knüpfen, dringlich erinnert zu werden, mithin jeder Vorwurf, als würde über der Mutter der Sohn vergessen, verschwinde.

Das nun ist wieder einer der Fälle, in welchen leicht gefaßte und möglicher Weise durch den ersten Anschein genährte Vorurtheile vor genauer Erforschung, vor etwelchem tiefer gehenden Umblick und vor parteiloser Prüfung in sich selbst zerrinnen.[471]

Das heidnische Rom ist todt und begraben, das christliche lebt und webt. Jenes und dieses haben Alterthümer aufzuweisen, und beiderlei Art reicht beinahe gleichweit hinaus. >Die ersten sind zerstreute Knochen eines unermeßlichen Riesengerippes, merkwürdig, staunenswerth; Fragmente gewaltiger, durch sich selbst sprechender Actenstücke, aber außer Beziehung zu der Gegenwart; die andern sind eingefügt in den lebendigen Organismus und werden immerfort berührt durch dessen Regen und Walten. Sie ist theilweise zusammengebrochen, verödet, der Spielplatz der Jugend geworden, jene Basilika Cäsars, die die einst von dem Gewühle der Rechtsuchenden und Rechtvertretenden und den ernsten Richtersprüchen wiederhallte; aber jetzt noch schmachtet der Nachfolger des großen Meisters in dem mamertinischen Kerker, jetzt noch sprudelt der Quell, der ihm zur Wiedergeburt seines Wächters das Wasser bot. Noch zieht sich der heilige Weg am Capitol hinauf, durch Septimius Severus Triumphbogen zu dem Flavischen Theater; er ist öde, Niemand betritt ihn mehr, verklungen ist der Jubelruf, der den eintretenden Imperator begrüßt, das Gejauchz, welches den siegenden Fechter umrauscht, das Todesröcheln, welches von Bestien und Sclaven hinaufgestöhnt; aber noch verkündet das Kreuzlein auf der mit Christenblut getränkten Arena den Sieg des Nazareners über Imperatoren und Legionen und Weltherrschaft und Götzenthum. Noch steht als formloser, kaum zu beachtender Block die Meta sudans, von welcher einst Tausenden der lebende Quell sprudelte; aber jetzt noch ist dem lebensvollen Christenglauben ein Kleinod, wie damals, das Prophyrbecken, in welches die heilige Praxede das Blut der Märtyrer sammelte. Zwischen Winkelgäßchen und Gartengemäuer windest du dich durch zum tarpeiischen Felsen; dein Zweck ist nur, daß du sagen könntest: auch an diesem bin ich nicht vorübergegangen; aber noch hörst du auf Pietro in Montorio den Apostelfürsten durch den martervollen Tod das Zeugniß wiederholen: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.« Schweigend gehst du vorüber an dem schweigsamen Forum Trajan's und wirfst[472] einen neugierigen Blick auf die zerbrochenen Granitsäulen und auf die über die Grundfläche zerstreuten Trümmer; es ist ein Bruchstück der Grabesstadt Pompeji mitten in das Leben, in das Eilende, Rauschende, Bewegliche geworfen: aber noch spricht zu dir in den unterirdischen Wölbungen von St. Martino in Monte die Versammlung der dreihundert Bischöfe unter ihrem Oberhaupt, dem heiligen Silvester, noch rüsten sie sich, hinzueilen nach Nicäa, um den Grundton anzugeben zu dem tagtäglich als lobsingendes Bekenntniß durch den Dom der Gesammtkirche schallenden: Ut in confessione verae sempiternaeque Deitatis et in personis proprietas et in essentia unitas et in majestate adoretur aequalitas.

Wie es über Ezechiels Todtenfeld rauschte und die vertrockneten Gebeine des Herrn Wort hörten und er ihnen Odem gab und der Wind sie anblies, daß sie wieder lebendig wurden, so sind auch auf dem Leichenacker des alten Roms einzelne der umher liegenden Gebeine angehaucht worden von dem weckenden Odem, weil hineinversetzt in das wahre, in das lebendige Leben. Es sind diejenigen, welche der Geist der Kirche berührt, denen er in dem Kreuz das Sigel des neuen Lebens aufgedrückt hat. So ist, da er dem Tode verfallen war, zurückgerufen in das neue, in das wahre, in das volle Leben jener ungeheure Thermensaal mit den riesenhaften Porphyrsäulen geheimnißvollen Ursprungs, der einst von den Orgien heidnischer Ueppigkeit wiederhallte. Ihn hat in dasselbe zurückgerufen das tägliche unblutige Opfer und der Klaggesang strenger Ordensmänner. In Staub gesunken sind die alten Götzen jenes, sie zumal umschließenden Tempels, den kein volles Menschenalter vor der Ankunft desjenigen erstehen gesehen, von dem der Prophet verkündete: »er wird zu nichte machen alle Götter des Landes;« aber achtundzwanzig Wagen voll irdischer Ueberreste seiner Blutzeugen haben das verödete Götterhaus mit dem christlichen Leben durchdrungen, haben es dem christlichen Leben gewonnen, haben der Königin der Märtyrer dasselbe geweiht. – Es ist nicht mehr der riesenhafte Denkstein über der Gruft eines zu[473] den Todten hinabgestiegenen Volkes, jenes Colosseum; wohl sind in demselben die Klagetöne der schweißtriefenden Juden, wie das Freudengejauchz der schaulustigen Quiriten verhallt; aber das Kreuz auf der Arena verkündet noch jetzt den Todeskampf der Christen, zeigt noch jetzt das zur Erde rieselnde Blut der Väter, deren geistige Kinder wir sind, einigt in höherer Bedeutung Vergangenheit und Gegenwart, und weihet das lautlose Steinwerk zum beredten Herold des göttlichen Erbarmens. – Auch sie wären dem Tode verfallen, jene bilderreichen Thurmsäulen, welche den Zeitgenossen die Thaten ihrer Imperatoren vor Augen stellten; aber die einfachen Standbilder der ewigen Friedensboten über dem Kriegs- und Schlachtgewühle und den Triumphzügen verkünden, daß höher als diese andere Kämpfe und andere Siege und andere Ruhmeskronen stehen, auf einer Bahn, die geöffnet ist Jedem bis an's Ende der Tage. – Und wessen Verrichtungen sie anzeige und wessen Lob sie spreche, die Bilderschrift auf jenen Prachtkegeln, die das dahingeschwundene Geschlecht von den Nilesufern in die ewige Stadt verpflanzt, du weißst es nicht, es sind unentzifferte Züge, die doch nur fremder Begegnisse Kunde dir gäben; aber das Kreuz von ihrer Spitze zeigt dir, daß die Zeiten und deren Fülle in Beziehung zu demjenigen stehen, den dasselbe dir versinnbildet, und daß durch ihn in solcher diese stummen Denkmale auch zu dir treten, dem sie vielleicht hienieden stets ein ungelöstes Räthsel bleiben.

Doch die Todten, die als Wandervögel alljährlich zu Tausenden nach Rom kommen, sie zieht eine unheimliche Macht in unbewußter Wahlverwandtschaft zu dem Todten, und häufig mit flüchtigem, oft mit befangenem Blick schreiten sie vorbei an der reichlich strömenden Fülle des allerwärts ihnen winkenden Lebens. In undankbarem Abmühen möchten sie das Todte in das Leben, das Vergangene in die Gegenwart zurückarbeiten, und die Kälte, den Schauer, den Moder, der jenem anklebt, diesem anheften, – darum weil sie die Bruchstücke von jenem fertig zu lesen glauben, dieses ihnen zur ungedeuteten Hieroglyphe[474] gewerden ist. In Rückerinnerungen aus ihrer Jugend, einst mit Bewunderung für das zertrümmerte Heidenthum und mit Vorurtheil gegen das, alle Lebenserscheinungen durchdringende Christenthum getränkt, ergehen sie sich in Wehklagen, daß von jenem nur sparsame Ueberreste sich erhalten haben, in mitleidsreie es Seufzen, daß sie diesem so oft begegnen müssen, in unmuthsvollen Expectorationen, daß das Letztere einen Strahl seiner heiligenden Macht in so Manches gesenkt habe, was den Untergang des Erstern überdauert. Heimgekehrt, wissen ihrer so Viele über jede Scherbe, über jeden Mauerrest, über jeden Schutthaufen aus jener Vergangenheit Buch zu führen, die gründlichste Rechenschaft zu ertheilen; fraget sie aber über so Vieles, was gleich weit in jene hinausreicht, dabei aber der Gegenwart ebenso gut angehört als jene, fraget sie über das, was seit fünfzehn Jahrhunderten dasselbe wie heute verkündet, und es wie heute so morgen und in alle Ewigkeit verkünden wird, sie werden euch keinen Bescheid zu geben wissen; es werden euch Zweifel anwandeln, ob sie denn in Rom, in Rom der Christenstadt, wirklich gewesen seyen. Daher bei oft ins Kleinlichte gehender Kenntniß desselben doch so viel Unkenntniß; daher bei so allzeit fertigem Urtheil so viel Vorurtheil.

––––

Vollends dann in unterirdischer Finsterniß, sparsam von einigen Lichtlein erleuchtet, durch die Irrgänge alter Sandgruben oder Steinbrüche, zwischen den aufgeschichteten Grabkammern zuckt das Leben in den Tod, ragt der Tod in das Leben hinein. Sie waren einst beide in Roms Katakomben verschwistert, dieweil die Lebenden, rings von Todten umgeben, des wahren Lebens sich bewußt wurden; dieweil die Todten ihre Schlafstätte fanden, wo sie im Glauben an das wiedergeborne Leben sich der Gewißheit getrösteten, daß der Tod der sichere Eingang zu diesem seye. Und jetzt noch verkündet aus den geöffneten[475] Gräbern, an den verlassenen Altären, von den einsam gewordenen Bischofssitzen der Tod das Leben; und wie düster, wie schaurig, wie öde Alles auch seye, dasselbe steht doch zu deinem Leben, fühlst du anders dessen Schwingungen in dir, in Beziehung; es weht dich nicht der Hauch des Grabes, es haucht dich der Geist an, der damals hier waltete und belebte, wie er jetzt noch waltet in der Kirche, und belebt durch die Kirche, die hinausgezogen ist aus den Grüften an das helle, freie, freundliche, Alle erquickende Sonnenlicht.

Pompeji und Roms Katakomben! Welche Verschiedenheit des Anblicks, des Eindrucks, der Gefühle, die durch Beide angeregt zurückgelassen werden! Ueber dir wölbt sich dort Neapels heiterer, tiefblauer Himmel; es umfangen dich linde, laue Lüfte; es schweift dein Blick zu dem geheimnißvollen Berg, über das üppig grünende Land; im Sonnenglanz steigst du durch die Gräberstraße hinauf, schreitest ein durch das Stadtthor in die verödeten Gassen, vorüber den Buden und Werkstätten und Bädern und den Mauern der Häuser, die von einstiger Zier und Bequemlichkeit zeugen, weiter zu dem Forum mit den großartigen Trümmern seiner Tempel und seiner Basilika, hinab zu den Theatern und den Lustwandelbahnen in ihrer Nähe. Aber es bewältigt dich in dem Contrast zwischen dem Himmel und dem Erdenfleck, worauf du stehst, zwischen den zerstörten Resten menschlicher Kunstsinnigkeit und den vollkräftigen Gebilden einer immerfort jugendlich frischen Natur, unter den Zeugnissen eines einst behaglich hier sich bewegenden Volkes und dem eintönigen Widerhall deiner Fußtritte auf dem uralten Lavapflaster, ein Mißdehagen, eine Beklommenheit, die dich hinaustreibt aus diesem schaurigen Thal des Todes in das warme, blühende, wallende Leben; und sicher müßte der entweder der eifrigste Alterthümler oder ein Klotz seyn, der es hier ohne Begleiter einen halben Tag auszuhalten vermöchte.

Wie anders in Roms Katakomben, in die ich mit dem kundigsten Führer und Berichterstatter über dieselben, dem P. Marchi, hinabzusteigen das Glück hatte! Dieselben Gefühle, die den[476] heiligen Hieronymus vor fünfzehn Jahrhunderten durchdrangen, da er als Knabe mit seinen Alters- und Schulgenossen in diesen Schlafstätten der Blutzeugen und Gläubigen weilte, werden jetzt noch rege in einem Jeglichen, der mit wärmerem Gefühl, mit einem für das geistig Hohe empfänglichern Sinn in dieselben hinabsteigen mag, als in einen Grubenschacht, aus welchem die Metalle für den Weltverkehr zu Tage gefördert werden. Wohl sind auch aus ihnen edle Metalle eines geistigen Weltverkehrs zu Tage gefördert worden; eines Weltverkehrs, der nicht allein die Stände und Geschlechter und Völker und Länder und Erdtheile unter einander, sondern diese mit dem Himmel verbindet. Da siehst du ebenfalls das Gestein, von dem sie umschlossen waren, und dessen Signatur, welche den kundigen Blick darauf hinwies; als Verlarvung des kostbaren Innhalts tritt dir vor das Auge die Höhlung, in der einst das Fläschchen mit dem vergossenen Blut bewahrt, die ausgezeichnetere Gruft in Form eines Altars, in welcher der Bischof, der zum Zeugniß des Glaubens das Leben gelassen, beigesetzt worden. Ob auch die Luft dumpf, der Gang meist enge, die Wanderung beschwerlich seye: es durchdringt dich ein eigenes Gefühl der Ruhe, du findest dich heimisch, es umweht dich der Hauch des Glaubens, des Muthes, der Tugend, der unzerstörlichen Lebenshoffnung dieser Bekenner Christi; du erschaust in der Einfachheit der vorkommenden Bilder ihre Lostrennung von dem zierlichen Heidenthum, ihren Gegensatz gegen dasselbe, welches den unbeholfenen Pinsel der Mitbrüder allein für würdig hielt, mit den geheimnißreichen Darstellungen die Stätten der Ruhe der Hingegangenen, der Andacht der Weilenden zu schmücken; du ahnest aus den getrennten größern Räumen, worin einst der Gottesdienst gefeiert worden, die sittliche Strenge, welche sorgfältig die Geschlechter schied; du überzeugst dich an den steinernen Sitzen, einst für die Bischöfe bestimmt, von dem Hinausreichen priesterlicher Ueber- und Unterordnung bis in die Uranfänge der Kirche.

Sie sind nun hinausgezogen die Banner des Königs aller[477] Könige, sie flattern durch die Lüfte, sie wallen von Zinnen und Thürmen, und froh, frei und sicher schaarst du dich zu dem ihnen folgenden Zuge; und doch fühlst du dich heimisch in diesen engen Räumen, denn du stehst an der Tugend strahlenden, an der Blut getränkten Wiege deines Geschlechtes. Der gute Hirte, der auf der Schulter das in die Irre gegangene Schaf zurückträgt, an dem lebendigen Quell, der seiner Hand entströmt, es tränkt, ist ja jetzt noch derselbe Hirte, trägt und tränkt jetzt noch, wie damals. Moses, der dem Felsen das lebendige Wasser entspringen läßt, ist noch dasselbe Sinnbild dessen, der für uns der lebendige, ins ewige Leben fließende Brunn ist, wie er es für die Ahnherren des Glaubens, für die Stammväter war, in deren unter Mühen und Trübsal errungenes Gut wir ruhig als Erben uns gesetzt haben. Jonas im Wallfisch, die Knaben im Feuerofen, Daniel in der Löwengrube, Isaak auf dem Holzstoß sind für uns die gleichen vorbildlichen Zeichen des Kampfes und des Sieges, wie sie für Jene es waren. Das Bild aber der Jungfrau mit dem Kinde festigt uns in dem ehrfurchtsvollen Vertrauen zu ihr, denn es sagt uns, es seye ein Vertrauen, welches so weit hinausreicht als der Glaube an denjenigen, der, ewig und gleich mit dem Vater, menschliche Natur in ihr angenommen.

Man möchte beschwerende Anklagen gründen auf den Gebrauch, welchen die Kirche von den Leibern macht, die in diesen Grüften gefunden werden. Mag auch, ich weiß es nicht, zu einer Zeit weniger Vorschrift und Ordnung, weniger Abwehr verwerflichen oder beschränkt-frommen Mißbrauches hierin gewaltet haben, sicher ist's, daß seit langem auch hierauf jene genaue Sorgfalt verwendet wird, welcher Alles, was die Kirche berührt, in Rom unterworfen ist. Die Katakomben sind zur obersten Aufsicht unter drei Bischöfe getheilt. Die Nachgrabungen werden regelmäßig während des Winters – im Sommer würde es der Gesundheit der Arbeitenden gefährlich seyn – fortgesetzt; aber je weiter unter der Erde sie fortschreiten, mit desto größerer Schwierigkeit geschieht es, weil ein sehr strenges[478] Verbot der Congregation über die heiligen Gebräuche die Erde, als durch die Auflösung christlicher Leiber geweihte, an den Tag zu schaffen, untersagt. Pater Marchi versicherte mich, daß in den Katakomben von St. Agnese eine Familie aus dem Neapolitanischen schon seit anderthalb Jahrhunderten diese Arbeit gleichsam erblich verrichte; wohl der schönste und triftigste Beweis redlicher Diensterfüllung, welche unter den Huftritten unserer Aufklärung in allen Verhältnissen immer seltener erblüht.

Ob ein aufgefundenes Grab den Leib eines blossen Gläubigen, ob es denjenigen eines Märtyrers enthalte; dann, ob eines Solchen, der in martyrio cruento oder in martyrio incruento das Leben gelassen, darüber kann nie Irrthum obwalten, da durch constante Zeichen dieses Alles angegeben wird. Für das blutige Märtyrthum zeugt das Blutfläschen, die Todesweise der andern wird durch verschiedene Sinnbilder angedeutet. Das Grab eines blossen Gläubigen wird niemals geöffnet, höchstens die Tafel mit der Inschrift hinweggenommen. Solcher findet man in der christlichen Sammlung des Vaticans eine grosse Zahl, manche auch in den Vorhallen mehrerer Kirchen, besonders in derjenigen von St. Maria in Trastevere.

Gelangen die Arbeiter an das Grab eines Blutzeugen, so haben sie hievon alsbald dem Bischof, unter dessen Obhut die Katakombe steht, Anzeige zu machen. Dieser dann säumt nicht, in eigener Person sich einzufinden, oder einen Beauftragten hinzusenden, welcher das Gefundene vorläufig unter Siegel legt. Später wird in Beiseyn des Bischofs oder seines Beauftragten das Grab geöffnet, das Vorgefundene in einen Korb gelegt, und dieser unter den Augen der Arbeitenden abermals versiegelt, ein Verbal-Proceß darüber aufgenommen, und Alles in das Haus des Bischofs getragen. Hier wird es untersucht und in Verwahrung gehalten, bis die gefundenen Reste als Geschenk an eine Kirche übergehen. Befindet sich an dem Grab eine Inschrift, so wird diese den Gebeinen beigelegt; und da dieselbe gewöhnlich den Namen des Blutzeugen enthält,[479] so ist dieser hiemit bekannt. Allein die meisten Gräber ermangeln derselben; alsdann wird dem aufgefundenen Körper ein Name gegeben, immer ein solcher, der in Beziehung zu dem christlichen Leben und zu dem über dasselbe abgelegten Zeugniß steht, wie Victor, Felix, und dgl. Deßwegen werden solche Ueberreste getaufte Heilige genannt, woraus das unsinnige Vorgeben entstanden seyn mag: es würden in Rom Gebeine getauft, sodann als Heilige verehrt.

Pater Marchi erzählte mir, es seye unlängst ein Grab gefunden worden, worin zwei Leiber von Märtyrern gelegen hätten, der Eine ein Erwachsener, der Andere dem Anschein nach ein Knabe von fünfzehn Jahren. Daß der Eine unter Blutvergiessen das Leben gelassen, dessen habe das vorgefundene Fläschchen Zeugniß gegeben, der Mangel desselben darauf hingewiesen, daß der Andere ohne solches seye hingerichtet worden. Dabei hätten sich an den Gebeinen unverkennbare Spuren gezeigt, daß der Andere verbrannt worden seye, und zwar ohne allen Zweifel in umgekehrter Richtung, mit den Füssen aufgehängt, das Haupt gegen den Holzstoß gerichtet.

Auch zu Neapel finden sich dergleichen Katakomben, besonders unter dem grossen Spital San gennaro dei poveri: diejenigen zu Rom sind aber weit sehenswerther, jedenfalls frei von heidnischer Beimischung, was in Neapel nicht der Fall zu seyn scheint. Denn man gelangt in den dortigen Katakomben unter andern in eine hohe und verhältnißmäßig räumliche Halle, an deren Wänden noch schöne Fresken zu sehen sind, die von griechischer Kunst zeugen und auch nicht von ferne an das Christenthum erinnern. Linguisten mögen sich an Grabschriften die Schreibarten Pheleicissimæ und Gabeinus merken, was an den Hellenismus der alten Parthenope erinnert.[480]

Bekannt sind in Neapel die Monache di casa, welchen mancherlei Bemerkungen über Unverträglichkeit und Klatschsucht angehängt werden. Es sind dieß Frauenspersonen, die in Nonnentracht umhergehen und einige klösterliche Vorschriften in ihren Häusern beobachten. Der Fremde, dem dieß unbekannt ist, wird stutzig und fragt: ob denn die Klosterfrauen zu Neapel die Clausur nicht kennen, ob sie so frei über Märkte und durch Strassen umherschweifen dürfen? In Rom kommen diese Hausnonnen nicht vor, wohl aber etwas Aehnliches, was meiner Ansicht nach entschieden den Vorzug verdient, nemlich die Spose di Cristo. Das sind Mädchen, welche häufig schon in den Kinderjahren dem Heilande sich verlobt haben, aber entweder zu arm sind, um in ein Kloster eintreten zu können, oder nicht im Stande, die Lebensweise desselben zu ertragen. Indeß das Gelübde, Jungfrauen zu bleiben, haben sie (freiwillig) doch abgelegt, sie halten sich streng durch dasselbe gebunden, so gut als ob sie in einem Kloster ihr Leben verbrächten. Ihnen bleiben daher die weltlichen Lustbarkeiten fremd, und, stolz auf ihren Stand als Spose di Cristo, würden sie jeden Heirathsantrag mit Unwillen von der Hand weisen. Häufig treten sie in einen Dienst, gewöhnlich bei einer geräuschlos lebenden Haushaltung. Als Hauptbedingung fordern sie, daß sie täglich in die Messe gehen und allen religiösen Verpflichtungen getreulich nachkommen dürfen. Ohne dieß würden sie nicht bleiben. Wer aber geneigt und im Fall ist, Solches ihnen gewähren zu können, der darf die sicherste Ueberzeugung haben, daß er keine willfährigere, anhänglichere, redlichere und treuer besorgte Dienstboten finden dürfte. Ihrer strengen Eingezogenheit darf er zum Voraus schon versichert sich halten.[481]

Daß in Rom Conversionen häufiger vorkommen, als sonst irgendwo, ist begreiflich. Fehlt es ja nie an Solchen, welche mit zuvor schon gehegter Absicht oder angeregter Neigung nach dem Mittelpunct der Kirche sich begeben, dieweil es sie hinzieht, an diesem selbst offen zu bekennen, wozu inneres Sehnen oder vielleicht bereits gewonnene Ueberzeugung sie geleitet hat. Ausserdem sind der Veranlassungen, der nicht zu berechnenden Einwirkungen, welche dergleichen anbahnen, fördern, bewerkstelligen, gar mancherlei. Ganz Rom ist für den, welcher Ohren hat, zu hören, gleichsam eine nie verstummende, in der mannigfaltigsten Redeweise an einen Jeden sprechende Predigt zu Verkündung des in das Leben eingetretenen christlichen Glaubens. Auf Rom läßt sich das Wort des Psalmes anwenden: »Der Tag übergiebt dem Tag das Wort, und eine Nacht thut kund das Wissen der andern. Es giebt keine Sprache und keine Rede, in der ihre Stimmte nicht gehört würde. Ihr Schall gehet aus in alle Lande und an die Ende des Erdkreises ihre Worte.«

Wohl möchte es nichts Anziehenders, nichts Lehrreicheres geben, als wenn die Beweggründe, die Veranlassungem, die Einflüsse könnten zusammengestellt werden, welche während des Verlaufs bloß eines einzigen Jahres auf die verschiedenen Individuen zu deren Rückkehr in die Kirche eingewirkt haben. Ohne allen Zweifel würde man daraus sich überzeugen können und überzeugen müssen, daß bei den Bedeutendern und in jeder Beziehung Selbstständigen unter denselben nichts weniger unterlaufen seye, als dasjenige, was man gewöhnlich Proselytenmacherei nennt, von der man so gerne Rom angesteckt wähnt; indeß man gewiß, wenigstens in den höhern Classen, so der Geistlichen als der Layen, hier derselben so ferne steht, als irgendwo, ebenso viel Zartgefühl besitzt, um in die innersten Herzensangelegenheit eines Dritten unberufen sich nicht einmischen zu wollen, als anderwärts.

Uebrigens giebt es eine zweifache Proselytenmacherei; und es ist die größte Frage, welche von beiden schwunghafter betrieben[482] werde, indeß diejenige, welche von beiden die würdigere seye, weniger zweifelhaft seyn kann. Es giebt eine Proselytenmacherei, welche in festbegründeter Ueberzeugung wurzelt und die Liebe als Agens hat, eine andere, welche, wenn nicht aus Wanken und Gleichgültigkeit hervorgeht, doch die Abneigung, wo nicht den Haß, zur bewegenden Kraft macht; eine, welche, glücklich im Besitz reicher und kostbarer Habe, jeden Andern zu deren Mitbesitz einladen, mit demselben ihn ausstatten möchte, eine andere, welche, auf ihre Entblößung stolz, denjenigen, der diese nicht theilt, bereden möchte, auch seines Besitzes als eines werthlosen Dinges sich zu entschlagen; die eine theilt mit, die andere entzieht, denn sie kann nichts geben, im besten Fall dem Menschen nur dasjenige lassen, was der, welchen sie gewinnen möchte, längst schon gehabt hat. Die eine weiß, daß sie das Individuum, welches sie zum Gegenstand ihrer Bemühungen wählt, in eine über alle Zeit und allen Raum sich erstreckende und von dem Himmel zur Erde reichende Verbindung einfügt, die andere, daß sie von dieser es losreist, um es in eine solche zu bringen, der keine andere Bürgschaft gegeben ist, als diejenige des (immerhin wandelbaren) guten Willens einer grössern oder geringern Anzahl von Personalitäten. Jene hat einen positiven, ja mehr als positiven, einen unerschütterlichen Ausgangspunct und faßt eine positive Wirksamkeit ins Auge (wiewohl es gutmüthigem Eifer leicht begegnen mag, daß er in dieser Beziehung allzuleicht sich täusche), jene, von Negativem ausgehend, ist ausser Standes zu berechnen, wo das Endziel der Negation gesteckt seye.

Aber gerade da, wo die Proselytenmtacherei aus dem Bewußtseyn des vollen Besitzes und aus einer anerkannten Verpflichtung hervorgeht, zu dessen Theilnahme auch Andern zu verhelfen, kann in untergeordneten Verhältnissen die Anwandlung zu einer gewissen, die natürlichen Gränzen leicht überschreitenden Bethätigung derselben nahe liegen. Ich will gar nicht bezweifeln, daß mancher Priester in einfacher Gutmüthigkeit seines Herzens sich verpflichtet glaubt, dieselbe versuchen zu sollen,[483] wo nur immer Gelegenheit dazu sich darbieten mag; daß daher in Gefängnissen oder in Spitälern oder an andern derartigen Orten Mancher aus den untern Volksclassen in die katholische Kirche hinübergezogen wird, der an eine Rückkehr in dieselbe sonst vielleicht nie gedacht hätte; daß sogar zwischenein auch Mittel mögen angewendet werden, deren Rechtfertigung schwer fiele. Eine Frage aber wäre es, ob diejenigen, welche bei vorkommenden Fällen alsbald Lärm zu schlagen bereit stehen, auch immer die Umstände, durch die dergleichen Bekehrungen leichter gemacht werden, kennen und, wenn sie dieselben kennen, ob sie vor Uebertreibung ebenfalls sich frei halten und daneben zu richtiger Beurtheilung dessen geneigt seyn mögen, was vielleicht in mehr als einem Fall den Lärm nothwendig dämpfen müßte?

Es ist vor wenigen Jahren vorgekommen, daß mehrere nichtkatholische Sträflinge längere Zeit in einer Gefangenschaft zu Rom sich befanden. Von diesen giengen Einige, ob aus innerer Ueberzeugung, ob in Hoffnung, ihr Loos zu verbessern, ob in vollkommen freyem Willen, oder überredet, weiß ich natürlich nicht, zur katholischen Kirche über. Das wurde bekannt, und augenblicklich begab sich der Hausprediger einer Gesandtschaft, der in aller Zeit vorher niemals um diese Landsleute und Menschen sich bekümmert hatte, in die Gefangenschaft und ließ dieselben zusammen kommen. Denjenigen, welche katholisch geworden waren, machte er darüber Vorwürfe, mußte aber die Einrede vernehmen: wenn um die religiösen Bedürfnisse der Gefangenen diejenigen sich nicht bekümmerten, welche im Fall wären, darum sich erkundigen und Beistand leisten zu können, wenn der Gefangene aller Mittel zu seiner Belehrung und Tröstung sich beraubt sehe, so dürfe es Niemand befremden, daß er zu denjenigen Mitteln seine Zuflucht nehme, die ihm freundlich dargeboten würden. Dieß wäre Ursache, weßwegen sie katholisch geworden seyen. – Den Andern nun, welche deren Beispiel nicht gefolgt waren, gab der Prediger Namens seines Fürsten eine Geldunterstützung. Darüber beschwerten[484] sich nun jene Erstern, indem sie meinten, sie wären trotz ihres Uebertrittes zu der katholischen Kirche Unterthanen ihres Landsherrn, so gut als jene Andern, zumal die Zahl der unter seiner Regierung stehenden Katholiken keine geringe seye. Das hatte die Folge, daß von dem Staatssecretariat des Innern nichtkatholischen Geistlichen der Eintritt in die Gefängnisse untersagt wurde. War dieses Verbot nicht durch jenen Vorgang gerechtfertigt? Diente aber das gespendete Geschenk als Mittel, Jene in ihrem nichtkatholischen Glauben zu festigen, gegen die Andern verdiente Ungnade zu beseitigen, wäre dieses Mittel ein preiswürdigeres, als dasjenige, durch geweckte Hoffnung besserer Behandlung oder schnellerer Entlassung einen Gefangenen zur Annahme eines andern Glaubens zu bewegen?

Bei manchen ungesuchten und unbeabsichtigten Bekehrungen selbstständiger Personen würde man nicht selten auf die überraschendsten Veranlassungen und Einwirkungen stossen; auf Einwirkungen, wenn nicht gerade so unerklärlich und wunderbar wie diejenige, welche Alphons Ratisbonne in die Kirche hineinführte, doch immer so auffallend, daß in ihren ersten Anfängen wenigstens der Finger Gottes nicht verkannt werden könnte; wie in jenem Regenschirm, welchen ein Engländer in einem Beichtstuhl zurückgelassen hatte, was zur Veranlassung wurde, ihn sammt einem Freunde wieder in die Kirche zurückzuleiten, wie Solches in Abbé Rohrbach er's »Ueberblick über die vornehmsten Bekehrungen« zu lesen ist.

Einen nicht minder merkwürdigen Gang nahm die Bekehrung einer deutschen Dame, welche vorzüglich alle die Abneigung gegen das Papstthum und die Person eines Oberhauptes der Kirche mit sich nach Rom brachte, welche so häufig den deutschen Protestantismus aller Schattirungen und Abarten durchdringt und stachelt. Eines Tages begegnete sie unsern des Stadtthores dem Papst, der eben eine Spazierfahrt machte. Da zwang es sie mit unwiderstehlicher Gewalt, gleich Andern, auf die Kniee zu fallen und den Segen des ehrwürdigen Greisen[485] zu empfangen; was augenblicklich einen so tiefen Eindruck auf sie machte, daß sie beinahe in Thränen zerfloß und lange noch, nachdem der Papst schon vorübergefahren war, in ihrer knieenden Stellung verblieb. Als sie endlich sich aufraffte, kehrte die vorige Gesinnung zurück und sie machte sich über ihre ungeziemende Schwachheit bittere Vorwürfe, Seye doch, kam es ihr hierauf zu Sinn, derjenige, bei dessen Erscheinen sie sich auf die Kniee gelassen, und der sich Oberhaupt der Kirche nenne, ein sündiger Mensch gleich Andern; warum denn ihm solche Ehrerbietung beweisen?

Die Reue über ihre Schwachheit steigerte sich zum Grimm, und sie beschloß, Genugthuung für dieselbe sich dadurch zu verschaffen, daß sie dem Papst seine Anmaßlichkeit, bei gemeinsamer Unvollkommenheit mit allen andern Menschen, geradezu vorhalte. Zu dem Ende ließ sie um eine Audienz bitten, gleichzeitig aber Postpferde bestellen, um unverweilt nach ihrer kühnen That wenigstens dem Bereich des Beherrschers des Kirchenstaates sich zu entziehen. Es war nicht schwer, die Audienz zu erhalten. Die Dame hatte wirklich den Muth, ihr Vorhaben auszuführen und dem Papst zu bemerken: wie er sich den Stellvertreter Christi auf Erden nennen könne, da er ein sündiger Mensch seye? Mit seiner anerbornen Milde antwortete ihr der Papst: »Obwohl er selbst tagtäglich dieses sich sage und Gott anflehe, daß er, unangesehen dessen, zu Führung des schweren Amtes mit seiner Gnade dennoch ihm beistehen wolle, freue es ihn, wenn er auch durch Andere hieran erinnert werde, damit er stets desto lebendiger und demuthsvoller dessen gedenke.«

Diese Antwort entwaffnete die Dame. Sie fühlte sich wieder ebenso betroffen, als an dem Tage, da sie dem Papst auf offener Strasse begegnet war. Man versicherte mich (und es fällt mir bei der Persönlichkeit Gregors XVI gar nicht schwer, es zu glauben), der Papst seye hierauf, gleich einem Katecheten, in einige der wesentlichsten Puncte des katholischen Glaubens mit ihr eingetreten, und habe die Audienz verlängert, um über verschiedene Differenzen die Dame zu belehren. Dieß[486] Alles habe auf dieselbe solchen Eindruck gemacht, daß sie die Postpferde abbestellt, hierauf um einläßlichere Unterweisung sich umgesehen, endlich die volle Ueberzeugung gewonnen habe, daß der katholische Glaube der wahre, sie somit zu diesem übergetreten seye.

Ein deutscher Edelmann, dem ich die Nachricht über diese gewiß höchst merkwürdige Rückkehr in die Kirche verdanke, erzählte mir, wie er in seinen frühern Jahren durch die Eitelkeiten und Zerstreuungen des Hoflebens geradezu um allen Glauben gekommen seye. Die protestantische Lehre, in der er mit aller leblosen Kälte des norddeutschen Rationalismus erzogen worden, habe er nur allzubald über Bord geworfen, die katholische dagegen gar nicht gekannt, oder höchstens nach den abschätzigen Urtheilen, welche in seinem Heimathlande gewohnheitsgemäß über sie gefällt würden. So seye er auf Reisen nach Rom gekommen, mit dem Vorhaben, länger daselbst zu verweilen. Leichtfertigkeit und Neugierde hatten ihn getrieben, einen Jesuiten um Unterricht in der katholischen Glaubenslehre anzugehen, nicht sowohl, um in dieser sich umzusehen, als vielmehr, um von dem Standpunct des Rationalismus und des Protestantismus, bei sonstigem Mangel an aller innerer Ueberzeugung, dem Jesuiten zu widersprechen, also gewissermaßen bloß unfruchtbar den Verstand beschäftigende Dialektik zu treiben. Mit bewundernswerther Klarheit habe sein Widerpart (denn einen Lehrer erkannte er in ihm nicht) die wesentlichsten Lehren des Christenthums dargelegt, und mit noch grösserer Ruhe seine Einwendungen angehört, mit schlagenden Gründen sie zu entkräften gewußt, ohne jedoch einen andern Eindruck in ihm hervorzurufen, als denjenigen der Achtung vor der Geistesschärfe des Mannes, dem er gegenüber stund. In seiner Rolle als entschiedener Protestant habe er sich immer wieder auf die heilige Schrift zurückgezogen und dieselbe als Schild allen noch so schlagenden Beweisen des Jesuiten entgegenhalten. Da seye ihm einst von demselben mit aller Gelassenheit bemerkt worden: sofern er dabei auf die Lutherische Uebersetzung sich stütze, so[487] führe er dasjenige, was er beweisen wolle, zugleich wieder als Beweisgrund an, drehe sich somit in einem nichtigen Kreise herum. Denn Luther selbst habe, um für den wesentlichsten Satz seines Systems einen Ausspruch der göttlichen Schrift anführen zu können, zuerst diese in Röm. III, 28 verfälscht; wie er denn dessen alsbald sich überzeugen werde, wenn er nur seine Uebersetzung mit der Urschrift vergleichen wolle.

Mit dieser Nachweisung, die damals für ihn eigentlich eine Entdeckung gewesen, habe er sich nach Hause begeben, und nimmer von dem Gedanken sich losmachen können, daß es mehr als ein Wagniß dürfe genannt werden, die heilige Schrift als obersten und allgemeinen Richter in Glaubenssachen zu proclamiren, dann aber, damit der Ausspruch dieses Richters den eigenen Meinungen eine untrügliche Sanction verleihe, eben diese Schrift zu verfälschen. Hiedurch seye Luthers Beruf als angeblicher Kirchenverbesserer vor sein en Augen in ein bedenkliches Licht, seye zugleich an die Stelle der bisherigen Gleichgültigkeit der Zweifel getreten; habe er die frühern Entwicklungen des Jesuiten, die sonst eindruckslos an ihm vorübergegangen wären, in seiner Erinnerung wieder hervorgenommen, die Unterredungen nunmehr mit Ernst und wahrem Verlangen nach Licht und Belehrung fortgesetzt. Aus einem kalten und widerspruchsreichen Dialektiker seye er in einen Wahrheit suchenden Schüler umgewandelt worden, dabei die Gnade Gottes ihm zu Hülfe gekommen. So habe die Nothwendigkeit des Glaubens zum wahren Leben ihm fortwährend fühlbarer sich gemacht, habe er immer mehr, immer heller und tiefer erschaut, daß allein der katholische Glaube der wahre seyn könne, habe es ihn mit unwiderstehlicher Geistesmacht in die katholische Kirche hineingezogen. Je mehr und mehr seye ihm die Ueberzeugung aufgegangen, daß er in ihr nur das Licht finden könne, nach welchem er zuvor gar kein Verlangen gehabt, die Seelenruhe, deren Entbehrung er bisweilen nur allzu schmerzlich gefühlt, und den Trost, dessen Segensfülle er bisanhin niemals geahnet. Wie er dann ein Bekenntniß abgelegt, seye er in jeder Beziehung inne geworden,[488] daß eine wahre Wiedergeburt in ihm vorgegangen seye.

Ich habe es niemal vermocht, das abgebraische Axiom, daß Minus mit Minus multiplicirt Plus gebe, an irgend einer Erfahrung oder an irgend einer concreten Thatsache mir klar zu machen. Durch dergleichen Bekehrungsfalle wird dasselbe anschaulich: die Negation führt in eben demselben Augenblick zum Positiven, in welchem sie sich selbst negirt, das Minus durchdringt das Minus und wandelt es in Plus um.

Die merkwürdigste Conversion in neuester Zeit dürfte ihrer wunderbaren Verumständungen wegen diejenige seyn, welche vor kaum anderthalb Jahren in einer andern Hauptstadt Italiens erfolgt ist. Eine Dame von sehr guter Herkunft, geistreich und wahrhaft gebildet, hatte noch als Mädchen, zusammt einer gleichgesinnten Jugendfreundin, in den Lehren des Protestantismus diejenige Befriedigung, die Beiden Bedürfniß gewesen wäre, nicht gefunden; es drängten sich Beiden allerlei Zweifel auf, welche sie nicht zu lösen vermochten. Sie nahmen Bücher zur Hand, mittelst welcher ihnen wohl ein etwelcher Schimmer, nicht aber das volle Licht aufgieng. In dieser Ungewißheit wurden sie einig, sich an einen Geistlichen in der Nachbarschaft zu wenden, der ihre Lectüre leitete, und in der gewonnenen Richtung sie festigte. Nicht lange hernach verheirathete sich die Eine an einen Mann, der mit dem Adel der Herkunft aus einem der edelsten und angesehensten Geschlechter seines Landes denjenigen des Geistes und des Herzens verband, dabei aber ein entschiedener Protestant war, in dem Protestantismus die allein richtige und gültige christliche Lehre anerkannte. Eben so festgewurzelt war bei der Frau die Neigung für die katholische Kirche, ja sie gewann an innerer Gewißheit unendlich, als später die Jugendfreundin, durch keine Rücksichten und Hindernisse gehemmt, in den Schooß derselben zurückkehrte. Aber die Frau brachte ihre Sehnsucht dem ehelichen Frieden zum Opfer, welcher einzig hier durch nur hätte können gestört werden. Viele Jahre flossen über diesem bittern Kampf dahin, ungetrübt für[489] ihr eheliches Verhältniß, weil sie denselben in ihr innerstes Heiligthum verschloß. Indeß mächtiger ward der Zug zu dem reinen Quell aller Gnaden in ihr rege, als mit dem Tod einer einzigen Tochter in der schönsten Jugendblüthe die schwerste Heimsuchung sie traf. Doch zu keiner Zeit weniger, als eben in jenen Tagen, hätte sie es wagen dürfen, hierüber gegen ihren Mann auch nur die leiseste Andeutung verlauten zu lassen. Denn dieser hatte eben damals in seinen Dienstverhältnissen, aus Beweggründen, die ihm nur zur Ehre gereichen, unter Untergebenen einige gemischte Ehen gefördert, was ihm in dem streng katholischen Lande nicht geringe Unannehmlichkeiten zuzog. Dieselben mißstimmten ihn vorzüglich gegen die katholische Geistlichkeit, welche hieran Theil hatte, und damit gegen die Kirche selbst. Entschiedener zugleich erwies er sich für den Protestantismus, dem er unzertrennlicher nicht allein für seine Person anhieng, sondern welchen er auch mit aller Macht äusserer und innerer Ueberlegenheit in denjenigen zu festigen sich angelegen seyn ließ, auf welche er seiner Stellung gemäß einzuwirken vermochte.

Dieses Auseinandergehen in der Erkenntniß und in den geheiligtesten Bedürfnissen des Herzens war das einzige Schwere, was die treffliche Frau zu tragen hatte; aber auch Etwas, was durch alles Uebrige, was sonst das Leben ihr darbot, nicht konnte aufgewogen werden. In solcher Verlassenheit war sie einzig auf eine katholische Freundin angewiesen, der sie ihre Bekümmerniß eröffnen durfte, von der sie verstanden wurde, bei der sie Theilnahme und Ermuthigung fand, in deren Haus sie einen katholischen Priester traf. Gemeinsam mit diesem wurden die Frauen einig, eine Novene zu veranstalten, um Gott zu bitten, daß er dem Mann einen geneigteren Sinn in Betreff der katholischen Kirche verleihen wolle. Die Frau aber, weit entfernt, auf Kosten des in jeder andern Beziehung höchst glücklichen ehelichen Verhältnisses Gewährung ihres Verlangens gleichsam erzwingen zu wollen, hielt sich so sehr zurück, daß sie nicht einmal eine katholische Kirche betrat; nur um bei dem Mann[490] nicht Mißstimmung hervorzurufen. Deßwegen wurde die Novene in der Art veranstaltet, daß die Frau in dem Hause der Freundin mit dieser gemeinschaftlich betete, während gleichzeitig in der Kirche der Priester im Geist und im Gebet mit ihnen am Altar sich vereinigte.

Bald hernach wurde der edlen Frau auch diese Freundin durch den Tod entrissen. Welche Wunde dieser schwere, in fremdem Lande doppelt schmerzliche Verlust ihr schlug, läßt sich leichter fühlen, als aussprechen. Indeß blieben die Verhältnisse einige Zeit noch, wie sie seit langem gewesen waren, bis eines Tages unerwartet der Mann seiner Gattin die Eröffnung machte: er sehe wohl, daß ein unwiderstehlicher Zug sie nach der katholischen Kirche ziehe; hege sie das Verlangen, sich unterrichten zu lassen, so wolle er ihr hieran nicht hinderlich seyn; nur wünsche er, daß sie in der Wahl des Geistlichen seine Neigung (oder vielleicht auch noch nicht verschwundene Abneigung) berücksichtige. Dieses war nicht schwierig, indem derjenige, auf den Beide, als auf einen Landsmann, leicht sich vereinigten, des vollesten und verdientesten Zutrauens bei Jedermann sich erfreuen durfte.

Sofort wurden die nöthigen Vorkehrungen zu baldigem Beginn dieses Unterrichts getroffen. Da die Dienstpflicht den Mann in einer andern Stadt zurückhielt, als in derjenigen, in welcher der Geistliche wohnte, verlangte er fortwährende Berichterstattung über den Innhalt und den Erfolg des Unterrichts. Der Geistliche fand, daß dieses am zweckmäßigsten durch die Frau selbst könnte übernommen werden, und veranlaßte diese, die gepflogenen Unterredungen schriftlich an den Mann gelangen zu lassen, mit dem Anerbieten, Unvollständiges ergänzen, Nothwendiges beifügen zu wollen. Sobald er aber die ersten Früchte seiner Belehrung gelesen, überzeugte er sich alsbald, daß es der Nachhülfe von seiner Seite nicht bedürfe, wie es ihm auch erwünschter war, wenn dieser Verkehr zwischen Mann und Frau statt finde ohne alle Dazwischenkunft von seiner Seite.[491]

Um über die Controverspuncte sich selbst besser orientiren und beurtheilen zu können, inwiefern seine Gattin den ertheilten Unterricht auffasse, erbat sich der Mann zugleich einige Bücher über diesen Gegenstand, die er nicht allein erhielt, sondern auch mit grosser Aufmerksamkeit las, also daß der halberwachsene Sohn, der inzwischen die Mutter besuchte, die Frage: wie der Vater sich befinde? dahin beantwortete: er sitze beinahe Tag und Nacht über den Büchern, weit mehr als sonst. – Begreiflich konnte der Unterricht nicht schwierig seyn; der ausgestreute Same fiel auf einen Boden, der schon seit zwanzig Jahren nicht nur bereitet war, sondern der Aussaat harrte. Nach wenigen Wochen konnte der Mann die Anzeige erhalten, es stehe der Aufnahme seiner Gattin in die Gemeinschaft der katholischen Kirche nichts mehr entgegen, dieselbe hänge einzig noch von seiner Zustimmung ab. Auch diese erfolgte, und zwar mit freiem und freudigem Willen. Darauf wurden Tag und Ort verabredet, wo diese Aufnahme vor sich gehen sollte; und zwar, damit Aufsehen vermieden werde, in einer kleinen Stadt, unsern der Hauptstadt. Doch nicht lange hernach bemerkte der Mann: er sehe eben nicht ein, warum eine andere Stadt gewählt werden sollte, als diejenige, in welcher der Geistliche, der den Unterricht ertheilt habe, und in der sie sich gerade befänden. Auch das wurde beliebt; und so brach endlich der Tag an, an welchem das vieljährige stille Sehnen der Frau an das so heiß gewünschte Ziel gelangen sollte. Alles war bereitet; da trat unerwartet der Mann zu dem Geistlichen und fragte: ob es nicht angienge, daß auch er, gemeinsam mit seiner Gattin, das Bekenntniß des katholischen Glaubens ablege? Die Mittheilungen aus dem erhaltenen Unterricht, in Verbindung mit dem eifrigen Forschen in den empfangenen Büchern, hätten ihn zu der gleichen Ueberzeugung geleitet, und in dieser seye auch sein Entschluß zur Rückkehr in die Kirche unerschütterlich begründet. In so wunderbarer göttlicher Gnadenheimsuchung mochte die beglückte Frau an diesem Tag, der nun beide Eheleute mit der Kirche vereinigte, mit dem dreifachen Ehrenkranz des Glaubens,[492] der Geduld und des Gottvertrauens sich geschmückt sehen und eines Lohnes sich freuen, den vor kurzem noch ihre kühnste Hoffnung nicht hätte erwarten dürfen. Je grösser, entschiedener und beharrlicher die Vorurtheile waren, die den Mann vorher der Kirche gegenüberstellten, und je weniger Menschen zu deren Beseitigung beigetragen haben, desto glänzender ist auch der Sieg, den dieselbe über ihn errungen hat; je edler dann sein Charakter ist, je weniger das reine Licht erkannter Wahrheit durch untergeordnete Rücksichten bei ihm konnte getrübt werden, desto grössern Werth muß auch sein freyes Bekenntniß dieser Wahrheit ihm verleihen.

Ich theile hierin nicht Etwas aus Hörensagen mit, nicht Etwas, was durch den Lauf von Mund zu Mund entstellt oder ausgeschmückt worden wäre. Ich könnte Zeit, Ort und alle Namen nennen; ich habe nicht allein das Glück gehabt, diese lebendigen Glieder der heiligen Kirche kennen zu lernen, sondern habe den ganzen Verlauf der Sache aus dem Munde des Geistlichen, der den Unterricht ertheilte und von dieser zweifachen Rückkehr Zeuge war, selbst vernommen.


Die Thatsache, daß in Rom viele Conversionen mehr oder minder bemerklicher Personen vorkommen, mag jenseits der Berge, wo gewöhnlich nur die Resultate bekannt werden, die Ursachen und Mittel aber, welche zu denselben geführt haben, verborgen bleiben, jenen Wahn einer überall auf der Lauer stehenden Bekehrungssucht erzeugt und durch häufiges Wiederholen dergestalt darin befestigt haben, daß dieselbe unter Roms, wenn nicht Merkwürdigkeiten, doch Eigenthümlichkeiten aufgeführt wird. Unkenntniß und Vorurtheil stehen gewöhnlich in gegenseitiger Wechselbeziehung; jene festigt in diesem, und dieses stößt jener eine Vergnüglichkeit ein, mittelst welcher sie aus ihrer rein negativen Sphäre in die positive sich versetzt zu haben vermeint.[493] Beide sind, wo es sich um Rom handelt, von grossem Gewicht; sie pflanzen Meinungen fort, rufen Urtheile hervor und bieten, wo es hiezu Veranlassung giebt, zu Folgerungen die Hand, welche auf ganz willkürlich gesetzten Prämissen ruhen. Wie oft, indem ich so manches Gehörten und Gelesenen mich erinnerte, die Sachen hernach in Wahrheit ganz anders fand, wie oft habe ich nicht gewünscht, die Leute möchten selbst nach Rom kommen und sehen, aber weiter nichts mitbringen, als Angen, um sehen zu können, als den Sinn, sehen zu wollen.

So haben sie sich in Deutschland ein Gespenst gebildet, welches überall, in den Ministerien, in den Schreibstuben der Subalternen, in den Zeitungen, in den Kirchenblättern, in allen Lucubrationen der fleissigen Bücherlieferanten umgeht, was sie als Vogelscheuche auf alle Kreuzstrassen stellen, vor dem alle Zeitgemässen gebührend zurückbeben sollen, und was nebenbei tausend armen Seelen ihr bischen Daseyn vergällt; – sie legen demselben den Namen Ultramontanismus bei. In Deutschland, sagen sie, seye dieses Schreckbild nur der Reflex eines in Rom wohnenden Ungethüms, welches dort dem brüllenden Löwen gleich herumgehe und suche, wen es verschlinge. O! ihr Lieben und Guten, ihr Geängstigten und Zagenden, ihr Wachenden und rastlos Herumschildernden, möchte es euch doch so gut werden, nach Rom zu kommen und überall nachzuspüren, wo ihr das Ungethüm finden möchtet! Ich meine fast, euer noch so angestrengtes Suchen würde vergeblich seyn. Aber sie schreyen: nein! nein! wir brauchen nicht nach Rom zu gehen; das Suchen wäre eine überflüssige Sache; wir wissen schon, wo es sitzt; dort in dem grossen Gebäude, in welches man aus dem Hof des Quirinals hinabsteigt, dort sitzt es, dort brütet es über seinen Planen, dort schmiedet es die Ketten für die arme Menschheit, dort laufen in seinen Händen die Faden zusammen, mittelst deren es die Völker der Welt gängeln möchte, dafern unsere Fürsten und ihre Räthe nicht (Gott sey Dank!) so klug und energisch wären, denjenigen, welcher nach Deutschland[494] hinauslaufen sollte, zu durchschneiden, daß er seine Ziehkraft verliere, oder sobald man dieser trauen wollte, zerreissen würde.

Dieser Ultramontanismus, inwiefern derselbe in Rom seinen Sitz haben und von da hinaus über die Berge nach festem (verderblichem – versteht sich ohnedem) Plan agiren sollte, ist ein Gebilde, erzeugt aus eurer krankhaften Einbildungskraft und eurem bösen Gewissen. Nicht dort auf Monte-Cavallo, sondern hier, in der unauflöslichen Verbindung jener beiden Elemente ist der Sitz dieses Gebildes; und eben deßwegen könnt ihr seiner nicht los werden, verfolgt es euch, wo ihr geht und steht, gleich Horazens atra cura; ja, nähmet ihr Flügel der Morgenröthe und flöget ihr ans äusserste Meer, ihr würdet es auch dort wieder finden, seine Hand würde auch dort auf euch lasten. Sind aber nicht jene seine natürlichen Erzeuger, von denen es noch mit etwelcher Realität ausgestattet wird, so ist es überhaupt nur ein Schemen, ja weniger noch, ein bloßer Wortlaut, den ihr der blindgläubigen Masse als Losung hingeworfen habt, unter welcher ihr sie zum Heerzuge zusammenruft, um denselben wider etwas ganz Anderes, euch aber Wohlbekanntes zu richten. Die Schläge, sagt ihr, sollen ausschließlich das Ungethüm treffen, welches als Ultramontanismus umherschleicht; ihr aber wisset nur allzugut, daß sie in dieser Beziehung in den Wind ausgehen, das Substrat hingegen, welches davon getroffen wird, die wahre, ächte, diesen Namen allein verdienende katholische Kirche ist; und daß, je besser es euch gelingt, diese dem Auge durch euer Gespenst zu entrücken, die gutmüthigen Gesellen in ihrer Geisteseinfalt desto tapfer er darauf losschlagen. Gewiß wandelt euch zuweilen ein Schalkslachen an, wenn ihr sehet, wie tapfer sie unter dem Namen Ultramontanismus die Kirche selbst unter die Faust nehmen.

Ihr aber, die ihr ehrlich in dem Wahn stehet, der Ultramontanismus seye eigentlich eine Art Ueberwucherung der katholischen Gesinnung, kämet ihr nach Rom, wolltet ihr da nachspüren, fändet ihr Gelegen heit, hier euch umzusehen, dann vielleicht könnte der Alp von euch weichen, dann könntet ihr genesen[495] nach Hause kehren. Ihr habt euch vielleicht in die Meinung verrannt: Rom seye über allen Detail der deutschen Kirchen auf's genaueste und bis ins Geringfügigste informirt, auch lasse es nichts und keine Gelegenheit vorübergehen, um auf sie in jeglicher Weise einzuwirken, Alles seinem Willen gemäß zu normiren; offene und geheime Canäle in Menge wären vorhanden, mittelst welcher römische Ansichten, Gesinnungen und Neigungen zu beharrlich verfolgtem Zwecke verbreitet würden, jede Eigenthümlichkeit vor denselben unerbittlich weichen müßte; eine rastlose, ins Wunderbare gehende Thätigkeit herrsche dort, um anzubahnen, durchzusetzen, festzuhalten, was in Rom's Interesse nur immer erzielt werden wolle. Man meint, es gelte hier in Bezug auf die kirchlichen Angelegenheiten Deutschlands, was in Schillers Don Carlos der Großinquisitor zu dem König sagt: »dein Leben liegt angefangen und beschlossen in der Santa-Casa heiligen Registern.« Darum dürfe man in Rom nur nachschlagen, um selbst über die unbedeutendste Specialität einen Actenstoß hervorlangen zu können. – Dem aber ist nicht so; denn der Schluß aus analogen Verhältnissen ist kein gewagter. Ich habe in Bezug auf die Vorgänge und Zustände in der Schweiz, welche doch in neuester Zeit die Kiche wesentlich berührt haben, bei weitem nicht diejenige genaue Kenntniß gefunden, welche ich unfehlbar voraussetzte, ja bei mehreren Cardinälen (die man sich doch insgesammt als Glieder des obersten Raths der Kirche, daher mit den Angelegenheiten derselben genau vertraut denkt) zeigte sich ein Mangel hieran, der mich in Staunen setzte. Sollte es demnach in Bezug auf deutsche Angelegenheiten, die noch dazu ungleich umfassender, mannigfaltiger, weiter verzweigt und dazu versteckter sind, als die schweizerischen, anders stehen? Diese berühren, wenn man selbst diejenigen der rein katholischen Cantone dazu zählt, in welchen die kirchlichen Verhältnisse niemals getrübt waren, eine Zahl von 800,000 Katholiken, jene, wenn man Oesterreich und Bayern ausnimmt, das Zehnfache. Ist die Kenntniß in Beziehung auf[496] die Erstern eine mangelhafte, sollte sie in Beziehung auf die Andern vollständiger und tiefer gehend seyn?

Aber, sagt man, gerade dieser Mangel an näherer Kenntniß unserer kirchlichen Angelegenheiten ist es, den wir der lobsamen Wachsamkeit unserer Ministerien, der preiswürdigen Fürsorge unserer ministeriellen Kirchenräthe und der unergründlichen Umsicht aller von den Ministerien eingesetzten sonstigen Räthe, so wie dem Gebiß, welches unsere hochpatriotischen Beamteten den Bischöfen angelegt haben, vorzüglich verdanken. Ohne dieß würde Rom längst schon in Alles sich eingemischt, Gesetz und Vorschrift nach seinem Belieben und zu seinem Vortheil (denn diesen und Rom können viele Leute getrennt sich gar nicht denken) gegeben haben. – So viel ich in Rom beobachten konnte, so scheint dort ein solches Bestreben der Allesregiererei und des in Alles Sichmischen gar nicht vorhanden zu seyn; das einzige Bestreben geht dahin, daß das rechtliche Bestehen der Kirche überall anerkannt und die hievon unzertrennliche Befugniß derselben, unbeirrt in ihrem Innern walten zu können, nicht in anmaßlicher und machttrunkener Willkür gehemmt, wo nicht gar beseitigt werde. Rom ist weit davon entfernt, den Frieden stören zu wollen; aber es weiß, daß zwischen schweigsamem Dulden und wahrem Frieden ein wesentlicher Unterschied und noch lange nicht Ursache vorhanden seye, diesem Lobreden zu halten, wenn gleich die lederne oder die moralische Knute jenes in schönster Vollendung zu erzielen wisse.

Um in die mannigfaltig verzweigten Verhältnisse eines Volkes, die darüberhin mehr geistiger als materieller Natur, wie diejenigen der Kirche sind, zu selbstsüchtigem Zwecke mit Absicht und Erfolg einwirken zu können, wäre doch gewiß Kunde der Sprache dieses Volkes vor Allem das Unerläßlichste; ohne solche muß nothwendig Alles zweifelhafter, unverständlicher werden. Ferner müßte ein solches Volk nothwendig durch Personen, welche ihrer Gesinnung nach den Wirkenden, ihrer Herkunft nach denjenigen verwandt wären, auf welche eingewirkt werden soll, an dem Mittelpunct einer derartigen Thätigkeit[497] sich vertreten sehen. Nun aber läßt sich unter sämmtlichen Angestellten der Staatskanzlei nicht nur kein einziger Deutscher, Keiner, bei dem man eine genauere Kenntniß der deutschen Verhältnisse, Zustände, Neigungen, Richtungen voraussetzen könnte, sondern überhaupt Niemand finden, der auch nur eine oberflächliche Kenntniß der deutschen Sprache besässe. Abgesehen davon, daß hiedurch nicht allein das maaßüberschreitende, sondern selbst das nothdürftigste Einwirken wesentlich erschwert wird, halte ich dieses für ein Gebrechen, und erlaubte mir da und dort, hierauf, als auf ein solches aufmerksam zu machen. Daß die Acten der Bischofswahlen nach Rom gehen müssen, daß die Bischöfe durch das Oberhaupt der Kirche präconisirt werden, daß einige reservirte Fälle an die Pönitentiarie der Kirche gelangen, daß etwa Dispensen nachzusuchen sind, das kann man doch keinen Einfluß weder auf die Angelegenheiten noch auf die Gemüther in dem Sinne nennen, in welchem man denselben als Aufgabe und Frucht des sogenannten Ultramontanismus ausgeben möchte. Allerdings ist in ehevoriger Zeit in dieser Beziehung von Rom aus mehr geschehen. Man könnte aber wohl sagen, was damals zu viel geschah, geschieht jetzt zu wenig; dieß gewiß nicht zum Vortheil der Kirche, aber ebensowenig zum Vortheil der Staaten, die unfehlbar sich selbst unendlich besser berathen würden, wenn sie ehrlich und redlich die freye Existenz der Kirche anerkennen und demjenigen, der zu deren obersten Leitung berufen ist, sein Recht zugestehen wollten, anstatt die Eine wie das Andere, bei der noch statt findenden Unmöglichkeit, Beide wegdekretiren zu können, unter allerlei Windungen und verwerflichen Schlichen wegzureglementiren.

Indeß, es giebt einen Ultramontanismus, welcher Realität hat, der aber von Rom durch kein anderes Mittel, als durch das alleroffenste und allereinfachste: durch sein Daseyn, hervorgerufen wird. Die Kosmologen behaupten, die Sonne seye an sich ein kalter Körper; und doch wird durch ihre Strahlen auf unserer Erde die Wärme bewirkt. Wie dieß zu erklären[498] seye, weiß ich nicht, wohl aber, daß es, sobald sich die Sonne verbirgt oder unter den Gesichtskreis herabsinkt, weniger warm ist. Somit wäre die Sonne nicht der Quell der Wärme, sondern das Mittel, die Wärme zu erzeugen; diese hätte demnach weniger die Richtung von dem Punct auf die Oberfläche, als vielmehr von dieser nach jenem. Ob jene Hypothese der Kosmologen haltbar seye, ist mir unbekannt, aber sie ist für mich ein Bild von diesem Ultramontanismus. Rom hat gar nicht nothwendig, den organischen Zusammenhang aller Gliederungen mit dem Haupt, die Beziehung aller einzelnen Puncte zu dem Mittelpunct besonders zu lehren, mit möglichster Zuthulichkeit diese Lehre zu verbreiten; es kann dieses der richtigen Schlußfolgerung eines Jeden, der eine durch den Weltheiland gestiftete Kirche anerkennt, es kann dieses der Geschichte und seinem achtzehnhundertjährigen Bestehen überlassen. Könntet ihr von Tausenden, die sich's nicht bloß zur Ehre (worin immer noch allzuviel Subjectivität sich mischen kann), sondern zur Pflicht, zur heiligen Pflicht anrechnen, ultramontan genannt zu werden, einen Jeden befragen, ob er hiezu in Rom oder von Rom aus unmittelbar (mittelbar, ja! – denn nach dieser Beziehung erschallt das nie verstummende Wort) unterwiesen, erzogen, vielleicht gar gedungen worden seye, möglicher Maßen würdet ihr unter dem gesammten Tausend nicht einen Einzigen finden, der dieses bezeugen könnte, vielleicht nicht einen Einzigen, der Rom gesehen, oder mit Jemand, der von dort ausgegangen wäre, je in Berührung gestanden hätte. Und doch findet ihr, trotz euerer Vigilanz, trotz euerer ministeriellen Rüsen, trotz eueres in alle Schulen eingeführten Entkatholisirungsdranges, trotz euerer bebänderten Decane, trotz euerer so redlich und ehrlich amtenden Censoren, und trotz eueres Fahndens auf jegliche ächt katholiche Regung unter Priestern und Layen Viele, die euer Schmachwort ultramontan sich zu höherer Ehre rechnen, als jeden huldvollen Blick des Herrn Oberammtmanns, als jeden Ronge'schen[499] Händedruck des Herrn Assessors, und selbst als jedes Kreuzlein, wofür sie das Kreuz in den Tausch geben müßten.

Woher dieses? Sie haben das Endziel erblickt, an welches all' euer sogenannter Entfeßlungs- und Entfinsterungskram unfehlbar führen muß; sie haben die Nothwendigkeit erschaut, daß das Fortbestehen der Kirche, (der Kirche im wahren Sinne des Wortes) und die Einheit der Kirche sich gegenseitig bedingen; die Geschichte hat sie belehrt, daß der einfache Stuhl, vor welchem, mit allem Erdenglanz umschienen und mit aller Erdenmacht ausgestattet, so viele Throne aus dem Dunkel aufgestiegen und in dasselbe zurückgesunken sind, weder eine Zufälligkeit, noch ein Gebilde der Menschenweisheit seyn könne; sie haben sich überzeugt, daß, ungeachtet eures Geiferns über Anmaßung, Untertretung und Zwangherrschaft, der geistigen, zugleich aber wohlgeordneten Freiheit hier eine geschirmtere Zufluchtsstätte eröffnet seye, als in allen euern Organisations-Edicten und Landrechten. Darum zieht ein, die Grundtiefen ihres Seyns bewegendes Verlangen, nicht ein dämonischer Stachel der Widersetzlichkeit, wie ihr in der strotzenden Fülle eures Vorurtheils wähnt; ein in ihr Wesen verflochtenes Bedürfniß nach dem Bauenden, nicht, wie euer reizbarer Ingrimm vorgeben möchte, ein strafbarer Kitzel zum Zerstören, sie Alle nach dem Kern, welcher der Ausgangspunct aller sicheren Lehre und aller Einigung in deren Anwendung, aller Autorität und aller geregelten Ordnung, aller Freiheit und zugleich alles wohlverstandenen Gehorsams ist. Und wäret ihr lernfähig, so würdet ihr unter allem euerem schwirrenden Eisern über leidigen und hemmenden Ultramontanismus schon längst eingesehen haben, daß nicht Rom es ist, welches denselben pflegt, sondern euer eigenes gewalthaberisches und kirchlich-revolutionäres Thun und Treiben, welches die erhaltenden Kräfte, die edlern Geister zwingt, unverwandten Blickes nach jenem Lichte zu schauen, das, »seit der Morgenstern über den Völkern aufgegangen und der Tag angebrochen ist in den Herzen,« immerfort geleuchtet, nach dem Magnet, welcher unter dem schäumendsten Wogengefluthe[500] stets die sichere Bahn bezeichnet hat. Das ist der Ultramontanismus, den ihr so bitter haßt, welcher der Vergewaltigung der Kirche durch euere materielle Wucht, ihrer Zersetzung durch das Aufbürden einer wildfremden Doctrin und solcher Formen, welche feindlichem Boden entwachsen sind, ihrer Zersplitterung in haltlose Subjectivitäten und Individualitäten sich entgegenstemmt. Wo in einem Lande Solche sich finden, welche hiefür einzustehen Anmuthung und Obliegenheit in sich tragen, da bedarf es für sie keines Zeichens zu gegenseitiger Erkenntniß und keines Wortlauts zur Verständigung; derselbe Glaube, die gleiche Liebe, die nämliche Treue zu der Mutter einigt sie Alle.

Uebrigens ist auch von den Worten Ultramontanismus und ultramontan mittelst unbemessenen Verbrauchs jeder scharf gefaßte und klare Begriff rein abgezogen, sind dieselben auf ganz unbestimmte und schwanke Benennungen beschränkt worden, die im Grund von willkürlich gebildeten Lauten wenig sich unterscheiden. Wollte man diejenigen, welche diese Worte am geläufigsten in Mund und Feder führen, ersuchen, den Begriff, den sie damit verbinden, genau zu formuliren, so würde wahrscheinlich von zwei Sachen eine erfolgen: entweder müßten sie denselben Meinungen und Bestrebungen unterstellen, zu denen selbst derjenige sich nicht bekennen könnte, den sie sogar als ultra-ultramontan verschreyen möchten; oder sie würden als ultramontane solche Ueberzeugungen und Richtungen bezeichnen, von denen Jeder erklären müßte: das ja sind keine andern, als die ächtkatholischen; aber ihr habt jenes als eigenes Wort bloß darum ausgeprägt, weil ihr auch den Begriff des Wortes katholisch verfälscht habt, und dieses nunmehr in einer Weise gebraucht, wogegen Jeder, der es ferner in seiner richtigen Geltung anwenden will auf's bündigste sich verwahren muß. Was unsere Väter noch katholisch schlechthin nannten, das nennet ihr jetzt ultramontan; was ihr aber katholisch nennet, das hätten unsere Väter vielfältig geradezu von sich gestossen. – Wird nun ein Mensch, eine Meinung, ein Bestehendes[501] ultramontan genannt, so heißt dieß im Sinne derjenigen, welchen dieses Wort geläufig ist, gewöhnlich so viel, als: dieses hat unsere Zustimmung nicht, es ist nicht so, wie wir es haben möchten. Dabei ist, aller natürlichen Anwendung der Sprache entgegen, nicht derjenige, auf den das Wort angewendet wird, der Träger seiner Bedeutung, sondern derjenige der es anwendet. Deßwegen ereignet es sich nicht selten, daß über Jemand die Einen als über einen Ultramontanen herfahren, während die Andern wähnen, ihm mit der Erklärung, er seye dieses nicht, ein besonderes Lob beizulegen; oder daß je nach Zeit und Veranlassung von den gleichen Leuten die nämlichen Individualitäten heute dem Wort verfallen und morgen desselben entledigt erklärt werden. Verkehrt sich übrigens für den wahren Katholiken das Wort ultramontan nach seiner scheltenden Bedeutung in einen Lobspruch, so hat er allen Anlaß, eine genaue Selbsterforschung anzustellen, sobald er durch die Bezeichnung: nicht ultramontan zu seyn, gelobhudelt werden will. Schaue er nur auf die Personalitäten, von denen dieses Wort ausgeht, und auf die Zwecke, denen sie nachjagen, dann wird er nicht lange im Zweifel stehen können.

Wie aber, um hier wenigstens mit ein paar Worten den Gegensatz zu berühren, wie, wenn man in Rom, von dortigem Standpunct aus hinüberschauend über die Gebirge, von einem Ultramontanismus spräche, der noch weit verbreiteter ist, einen ganz andern Charakter an sich trüge und ein ganz anderes Ziel sich setzte? Der nicht in einem Streben nach Einigung und Erhaltung, sondern in doppelter Weise sich offenbart: nach der einen in Zertrennung und Zerstörung, in Auflösung und Verflachung, in dem Eintreiben eines durchaus unkatholischen Geistes in die katholische Lehre, katholische Uebung, katholische Verfassung, katholische Literatur und katholische Gesinnung; nach der andern in hämischer Betriebsamkeit zu Verbreitung der böswilligsten Schmähungen, der giftigsten Lügen, der frazzenhaftesten Entstellungen. Fehlt es für die Rührigkeit des erstern nicht an einer Fülle offenkundiger[502] Zeugnisse jeglicher Art, so würde es zuverlässig Demjenigen, der in die engern Kreise des gemeinen Lebens eintreten und eine Zeitlang in denselben sich bewegen könnte, ebensowenig schwer fallen, Belege für dessen Vorwalten nach der andern Seite in Menge beizubringen. Dieses Treiben, was sich zu Rom Ultramontanismus nennen ließe, ist sicher nach der einen Beziehung verderblicher, nach der andern unstreitbar gehässiger, als was die Tagesblätter und die Buchmacher von Deutschland Ultramontanismus nennen, und nach der letztern aber weiter verbreitet, als sie nur gestehen mögen. Einer meiner Freunde gewann zu Rom in gegenwärtig laufendem Jahre Gelegenheit, über diese letztere Art von Ultramontanismus eine ergötzliche Erfahrung zu machen. Er hatte zur Feyer der heiligen Woche dorthin sich begeben. Wenige Tage nach derselben traf er auf einem Ausfluge nach Tivoli mit einer Protestantin zusammen. Noch bewegt durch die großen Eindrücke, welche Alles auf ihn gemacht, und namentlich der so mächtig ergreifenden Segnung am Ostertage, lenkte er die Unterhaltung auf diesen Gegenstand. Aber die Protestantin erwies sich ganz unwillig dagegen und erwiderte ihm: Es möchte wohl hingehen, daß am Ostertage der Papst die Katholiken segnete, wenn er nur nicht Fluch und Verdammung gegen alle Andersglaubenden dabei ausspräche. »Das thut er,« setzte sie versuchter Berichtigung meines Freundes im entschiedensten Ton der zuversichtlichsten Behauptung bei, »so hat es bei meiner Confirmation der Pastor mir ausdrücklich gesagt.« Wäre etwa derartiger Ultramontanismus nicht vorhanden? Würde nicht manchen Orts eifrigst für denselben geworben? Fände man ihn nicht ganz in Ordnung? Oder erhöben sich wohl mit Ernst Stimmen dagegen? Man sieht, der galanteste Denkglaube schleppt so gut seine Geistessessein hinter sich her, als der Aberglaube, und der helldünnste Aufkläricht hält an seinen Traditionen so zäh, als die dunkle Kirche an den ihrigen,[503] Diesem, durch alle Künste der Sophistik und alle Wendungen der Redefertigkeit aufgerüsteten Schreckbilde ist als treuer Waffenbruder in dem so ehrlich geführten Kampfe noch ein anderer an die Seite gestellt worden, damit er den Zweck fördern helfe: die Lehre von der alleinseligmachenden Kirche. Ja, sie besteht diese Lehre, sie muß bestehen, so lange es eine Kirche giebt, welche ihren Ursprung von Gott unmittelbar ableitet, der Verbindung mit ihm sich bewußt ist. In derjenigen Fassung hingegen, in welcher dieselbe Lehre als Anklage und Verwerfungsurtheil gegen die ächtkatholische Kirche sich handhaben läßt, ist sie ein Kind, hervorgegangen aus der Umschlingung des Indifferentismus und der Entstellung, eine Frazze neben der wahren, klarbegriffenen Lehre, wie solche in richtigem Verständniß dargestellt und aufgefaßt wird. In solchem ist sie zu Rom, gleichwie anderwärts, von Geistlichen aller Rangstufen in meiner Gegenwart oftmals berührt, in ihrer Thesis mit aller Strenge, wozu Offenbarung, Vernunft und feste Ueberzeugung berechtigen, verfochten, in ihrer Anwendung stets mit einer Milde festgehalten worden, von der man auf der Gegenseite keinen Begriff hat, sie nicht will aufkommen lassen.

Schon die Annahme einer ignorantia invincibilis, wie dieselbe nicht zu Milderung eines Systems von vornherein statuirt werden muß, sondern aus blosser Wahrnehmung der Zustände sich ergiebt, durchdringt jene Lehre mit einer Mäßigung, gegen welche das abschätzige Urtheil über die warmgläubigen Glieder der Kirche gewaltig absticht. Welches Gewicht dann, in Verbindung mit dieser Lehre, das katholische Dogma auf das Bestehen und die Erhaltung der sichtbaren Kirche lege, meinet ihr etwa, die unsichtbare seye ihr nicht ebensogut bekannt, als euch, oder dieselbe werde von ihr verworfen? Aber freilich gilt ihr nicht diese als Kern, sondern jene; aber freilich macht sie das Daseyn und das fortwährende Daseyn von jener zur unerläßlichen Bedingung der Möglichkeit von dieser. Erst eine sichtbare Kirche, und sodann nur die Hoffnung, daß der, »welcher die Seinen kennet,« noch Manchen dazu zählen dürfte,[504] den menschliches Auge, als deren Glied zu erkennen, nicht vermag.

Es haben jedoch in jenen Uranfängen der Lossagung von der sichtbaren Kirche, ihrer Lehre und ihrer Autorität, in welchen dieser baaren Negation noch viel Positives zur Seite lief, die Förderer von jener eine Behauptung von alleinseligmachender Wirkung ihrer, als vollgültige Lehre verbreiteten Meinung noch ungleich schroffer hingestellt, als in unserer Zeit durch die Kirche geschieht. Oder lag dem Bedenken, worin Luther seinem Churfürsten anrieth, die Wiedertäufer, so Mann als Weib, mit Schwert und Feuer und durch jegliches Mittel vom Leben zum Tod zu bringen; lag jener Flammenrede gegen Carlstadt; lag jenen Verwünschungen gegen Zwingli und seine Anhänger nicht die Forderung einer alleinigen Gültigkeit der Lehre, wie sie durch ihn ermittelt worden, zu Grunde? Liesse sich nicht vermuthen, in den Worten: »man würde zu sündigen fürchten, wenn man sich mit denen verbände, welche, wenn auch nur in Einem, aber in einem wesentlichen Puncte abweichen,« träte dieser Meinung selbst der neueste Panegyrist jener Bestrebungen bei, dafern nicht die unverkennbare Tendenz seines Unternehmens eine kräftige Verwahrung gegen diesen Irrwahn einlegte?

Ist nun jene Behauptung von den Nachfolgern derjenigen, welche mit solcher Gewalt von der Kirche sich losgerissen haben, im Verlauf der Zeit gänzlich untergraben worden, so dürfen sie, bei dem Beweggrund, aus welchem dieses hervorgieng, solche Ermäßigung der ursprünglichen Entschiedenheit sich nicht zum Verdienst anrechnen. So wie es unzertrennbar in das Wesen der katholischen Kirche verflochten und keineswegs ihrem Belieben anheimgestellt ist, ob sie ihre Lehre als die alleinseligmachende noch ferner erklären wolle, oder nicht; ebenso war es anderseits eine unvermeidliche Nothwendigkeit, daß die spätern Bekenner der abweichenden Lehre jene Behauptung der frühern zuletzt ganz aufgeben mußten.

Indeß hat sich doch eine schwache Abschattung des alleranfangs noch mit grossem Ernst Gesetzten bis in unsere Tage erhalten,[505] ja will in diesen mit merkwürdigem Gethue recht breit lagern. Nachdem nemlich, im Widerspruch mit dem ursprünglichen Lehrtypus, das Evangelium seinem Gesammtinnhalte nach dem subjectiven Meinen eines Jeglichen preisgegeben worden und dasselbe sein durchweg bindendes Ansehen verloren, haben sie sich den Namen »Evangelische« beigelegt, und führen nun denselben mit grossem Gepränge. Spräche sich hiemit ein Zeugniß aus für Anerkennung eines leitenden und einigenden Ansehens, welches dem Evangelium zugestanden werde, so läge in dem Wort doch irgend ein Gewicht nach der einen Seite, indeß, wie nunmehr die Sache stehen, in demselben die blosse Anmaßlichkeit nach der andern Seite hervortritt, worin es gewissermassen zu sagen scheint: wir allein, die wir das Evangelium nach voller Lust zerarbeitet haben, wir allein noch besitzen dasselbe; ihr Katholiken dagegen besitzet es durchaus nicht, wenigstens ist es für euch ein verschlossenes Buch; gleich als ob nicht der unerschütterliche Glaube an das Evangelium das Cement wäre, welches den Bau auf den Grundstein festigt, gleich als ob es in der katholischen Kirche einen Gottesdienst gäbe ohne Evangelium; als ob nicht, welches Gewicht seine Worte für jeden Gläubigen haben müßten, schon darin sich kund gäbe, daß es nur stehend darf angehört werden! Wahrhaft schmerzlich wird es daher oft, zuhören zu müssen, wenn Katholiken durch unbedachtes Nachsprechen jener hochmüthigen Benennung die kränkende und herabsetzende Anmaßlichkeit derjenigen, die ausserhalb ihrer Gemeinschaft stehen, so zu sagen rechtfertigen, und gleichsam dem Hohn beipflichten, der in so hochfahrender Aneignung gegen sie ausgesprochen wird.


Zweierlei hat in Rom meine Erwartung nicht ganz befriedigt: die Fronleichnamsprocessionen und die Kirchenmusik. Erstern[506] geht jenes Ansprechende, Sinnige, Gemüthliche ab, welches bei diesen Festlichkeiten, als der Verherrlichung der streitenden und triumphirenden Kirche, in vielen kleinern Städten Deutschlands und der Schweiz, selbst in grössern Dörfern, Alles in Anspruch nimmt und zu einem grossen Ganzen sie einigt. In Rom verwandeln sie sich mehr in ein Gepränge, wobei die Gesammtheit in zwei Hauptparteyen sich scheidet: in Handelnde und in Zuschauende. Da sieht man nicht jene grünen Baumzweige, zwischen denen der Zug sich durchbewegt; da vermißt man die Weihrauchfässer, die vor dem dahergetragenen Heiligthum sich aufschwingen, die Blumenfülle, die zu den Füßen des Tragenden ausgestreut wird; da fehlen die geschmückten Altäre unter freyem Himmel, an welchen nach allen vier Weltgegenden die Evangelien gelesen werden; da entbehren wir den feyerlichen Schall der Glocken (denn welche Glocken haben sie oft in Italien selbst bei den größten Kirchen, und wie vollends werden dieselben geläutet, oder eigentlich gehämmert!); da mangelt die mitziehende Gemeinde, Männer und Weiber, Jungfrauen und Jünglinge; so Manches wird hier vergeblich gesucht, was diesseits der Gebirge bei sonnenhellem Himmel diesen Tag zum Fest der Feste macht.

Seyen wir deßwegen nicht ungerecht; stellen wir nicht unbedingte Forderungen, die, weil sie hier zulässig, deßwegen nicht überall erreichbar sind. Wie wäre es möglich, daß bei der Hauptprocession, an dem Festtage selbst, auch nur ein Theil der Einwohnerschaft Roms mitziehen könnte? Wo wäre, da dieselbe nur um den, obwohl die Plätze aller Städte an Umfang weit übertreffenden, St. Petersplatz zieht, der erforderliche Raum, da schon die Zahl der Ordens-und Weltgeistlichen sammt den vielen Zöglingen aller Seminarien und Klosterschulen wenigstens dreitausend beträgt? Wie lange müßte nicht der Festzug dauern, da jetzt schon die Vordersten der entgegengesetzten Seite der Colonnade sich nähern, wenn am Anfang der andern das Bauner der heiligen Kirche, unmittelbar nach deren Oberhaupt, sich erhebt? Begreiflich ist es dann wohl, daß die Menschen, sobald[507] sie bei einer solchen Feyerlichkeit nicht durch einiges Mithandeln betheiligt sind, in den Stand bloßer Zuschauer hinübertreten, worüber freylich die Andacht nicht besonders angeregt, wenigstens nicht auf die Dauer in Anspruch genommen wird.

Mehrere Congregationen, zwischen Ordens- und Weltgeistlichkeit gewissermassen in der Mitte stehend, wie die Theatiner, die Philippiner, die Jesuiten u. A. finden zu der grossen Procession sich nicht ein. Bei einigen Orden vermißte ich gerade die Obern, die ich sonst wohl erkannt hätte; bei manchen Individuen den Ausdruck jenes geistigen Mithandelns und jener Weihe, ohne welche ein solcher Zug mehr einem durchmarschierenden Heerhaufen gleicht, mit dem Unterschied, daß statt der Gewehre Kerzen getragen werden. Machten unter den vielen Capucinern, Franziscanern und andern zahlreichen Conventen Einzelne durch unverkennbare Andacht und Innigkeit geistiger Theilnahme an der Feyer sich bemerklich, zeigten sie, daß sie von deren Bedeutung ergriffen und durchdrungen sich fühlten, so trugen hingegen weit Mehrere eine gewisse Gleichgültigkeit zur Schau, in der es beinahe den Anschein hatte, als wären sie zu einem Frondienst aufgeboten. Wie der Mensch in Beziehung auf seine Lebensverhältnisse sagen muß: nil ab omni parte beatum, und dabei über Mißgeschick doch nicht klagen darf, so kann man auch hinsichtlich desjenigen, was mit der Kirche in Verbindung steht, sagen: nil ab omni parte sanctum, ohne daß hiedurch ihrer erhabenen Bedeutung Abbruch gethan würde.

Die wahre Procession mit dem unverkennbaren Merkmal der Weihe, der Würde des Festes, des Bewußtseyns der hohen Feyer beginnt eigentlich erst mit dem Erscheinen des Domcapitels von St. Peter, oder wenn, wessen ich mich nicht mehr genau entsinne, etwa ein anderes demselben vorangeht, worauf überhaupt, ansteigend in ihren Rangstufen, bis hinauf zum Decan des heiligen Collegiums, unter Festgesängen die hohe Geistlichkeit folgt. Zuletzt aber, nach drei Inseln und zwei Tiaren, jede in Mitte zweyer geharnischter Schweizer mit ihrer Hellbarde,[508] das Oberhaupt der Kirche auf seinem Tragsessel, die Fächer von Pfauenfedern zur Seite, das hochwürdigste Gut in den gefalteten Händen haltend – welch ein Bild der Demuth, der Gottesfreudigkeit, ich möchte sagen der Verklärung! Eine solche Innigkeit, eine solche Hingebung kann nicht Sache des Wollens, es muß, dieß ließ sich bei der Erscheinung Gregors XVI nicht verkennen, es muß freithätig hervorquellen, der Ausdruck des innersten, tiefsten, lautersten Wesens seyn. Ich möchte es einen reinen Harfenton nennen, welcher, wo er in reinem Herzen eine ähnlich gestimmte Saite trifft, dieselbe unfehlbar in entgegenklingende Schwingung setzen wird. Es ist nicht die Macht des äussern Glanzes, es sind nicht die Zuthaten blendender Hoheit, es ist die dynamische Gewalt der in Anbetung des Höchsten aufgehenden Würde, welche in dem Augenblick ihres Herannahens die Menschen in Andacht darniederbeugt.

Durch die ganze Octave ziehen aus verschiedenen Hauptkirchen abwechselnd Festzüge aus und durch den Bezirk, der jenen als Pfarrsprengel angewiesen ist; so am Sonntag aus St. Johann im Lateran, am letzten Tage der Octave wieder über den St. Petersplatz, doch dießmal nur, so weit die Colonnade reicht; bei diesen beiden pflegt gewöhnlich der Papst zu Fuß mitzugehen, was aber dießmal bei keiner derselben der Fall war, weil etwelches Unwohlseyn ihn daran hinderte. Diese Processionen beginnen Jedesmal ein paar Stunden vor Ave Maria; die Häuser der Strassen, durch welche sie ziehen, sind mit Tapeten oder Teppichen behangen, eine oder ein paar Musikbanden vom Bürgermilitär werden dazu berufen, von den Pfarrgenossen gehen Einige, jedoch verhältnißmässig nicht Viele mit; dagegen drängen sich desto mehr Zuschauer beim Ausziehen und beim Einziehen des Zuges an die Kirche und durch die Strassen, was begreiflich weder bemessene Ordnung fördert, noch für erforderliche Stimmung ein Hebel seyn kann. Ich habe die meisten dieser Processionen mit angesehen, angezogen aber oder angesprochen fand ich mich von keiner. Die ungeheuren Kirchenfahnen, unter deren Last ihre Träger beinahe erliegen und welche[509] bei dem leisesten Windzug von den Vieren, welche die Stricke halten, nur unter den abentheuerlichsten Windungen können die rigirt werden; die riesigen Kreuze aus Pappendeckel, welche unbehauene Holzstämme vorstellen und ebenfalls nur mit Mühe aufrecht zu halten sind; die ohrzerreissenden, disharmonischen Töne ungeübter Blechmusiken, dieß Alles konnte keinen befriedigenden Eindruck auf mich machen, bildete gegen solche Festzüge, die ich anderwärts gesehen hatte, einen allzugrossen Contrast. Böte Rom nicht eine Menge erhebenderer und würdigerer kirchlicher Feyerlichkeiten, dieser wegen müßte derjenige, welcher bei solchen Anderes sucht, als Befriedigung der Neugierde oder der Schaulust, nicht dahin gehen.


Noch weniger darf man nach Rom gehen in der Hoffnung, gediegene und erhebende Kirchenmusik zu hören. Natürlich die päpstliche Capelle (ein wahrer musikalischer Solitär) ist hievon ausgenommen. Instrumentalmusik in einer Kirche gehört zu haben, erinnere ich mich nicht, einzig Orgel und Gesang. Bei dem Charakter, welchen gegenwärtig die Kirchenmusik in Rom leider angenommen hat, möchte ich dieses noch ein großes Glück nennen. Aber die Orgeln sind selten von Bedeutung, stehen gewöhnlich zu der Größe der Kirche in keinem Verhältniß, und die Leistungen derselben lassen sich mit denjenigen auch nur mittelmässiger deutscher Kirchen nicht vergleichen. Z. B. ein höchst widerwärtiges Nachschnarren der Pfeifen in jedem Augenblick, da der Organist inne hält, wie es in der Kirche von St. Ignaz das Ohr beleidigt, würde sicher in Deutschland nirgends geduldet werden. Das Lärmen einer mehr oder minder vollständigen türkischen Musik, namentlich das gellende Glöckleinspiel anzubringen, das ist das höchste Bestreben der italienischen Orgelbauer, das ist ihr Stolz, das begründet ihren Ruhm. Die schönste und volltönigste Orgel, die auch wirklich den Anforderungen an dieses wahrhaft kirchliche Tonwerk entspricht, habe ich in der Chorkapelle von St. Peter gehört.

Das jedoch ist nicht die wesentlichste Calamität im Bezug auf Kirchenmusik; sondernder schlechte, ja höchst verwerfliche Geschmack[510] der dieselbe nicht bloß verweltlicht, sondern im eigentlichsten Sinne frivol gemacht hat, ist es noch mehr. Für denjenigen, welchen die wahre Gesinnung, das einzig gültige Verlangen in die Kirche führt; welcher die Erwartung hegt, daß Alles, was er sieht und hört, zum zusammenstimmenden »Empor die Herzen« werde, für diesen kann es nichts Betrübenderes geben, als die Macht der Tone, anstatt zur Sammlung und Erhebung, zur Zerstreuung und zum Darniederdrücken verwendet und den demüthigenden, zugleich aber himmelwärts hebenden Ernst des unblutigen Opfers unter dem leichtfertigsten Geleyer gleichsam gehöhnt zu finden. Ein solcher Uebelstand muß in Rom weit mehr auffallen, als an jedem andern Ort; um so mehr, da von dem heiligen Gregor dem Grossen, dem Schöpfer des würdigen Kirchengesanges, bis auf Benedict XIV herab, die Päpste mit großem Ernst darob hielten, daß diese wichtige Begleitung des Gottesdienstes nicht zu dessen Verunstaltung mißbraucht werde. Hat doch das tridentinische Concilium in seinen Bestimmungen, was bei der Feyer der Messe zu beobachten, was zu meiden seye, den Bischöfen zur Pflicht gemacht, »von Orgelspiel und Gesang alles Flatterhafte und Unreine ferne zu halten, damit das Haus des Herrn in wahrem Sinne ein Bethaus möge genannt werden.« Auch wurde ich versichert, der Cardinal-Vicarius Petri, habe unter dem 16. August 1842 ein Decret gegen diese Mißbräuche erlassen, die überdem in eigenen Schriften und selbst in periodischen Blättern ernstlich gerügt worden sind. Es scheint aber, dieses Verderbniß seye jedoch bereits so allgemein in das Fleisch und Blut der Jetztlebenden übergegangen, daß die Capellmeister und Organisten es gar nicht mehr wagen dürften, andere als die leichtfertigste Opernmusik vorzutragen, sonst sie allgemeiner Geringschätzung in Bezug auf ihre Tüchtigkeit sich bloßstellen und unfehlbar den bewährtesten Ruf auf's Spiel setzen würden. Fragte ich aber, warum die Geistlichen jeder Kirche nicht ernstlich entgegenträten, so erhielt ich zur Antwort: alsdann würden solche Kirchen sich minder besucht sehen. Anerkennen auch Einzelne unter ihnen[511] den großen Uebelstand, so besitzen sie den Muth nicht, demselben entgegenzuwirken; Andere sind vielleicht nicht einmal mehr fähig, zu dieser Erkenntniß sich zu erheben. Es darf wohl befremden, daß ein Mann, wie der voriges Jahr verstorbene päpstliche Capellmeister Baini, nicht neben seiner Einsicht allen seinen Einfluß einsetzte, um diese ärgerliche Verderbniß, und wäre sie noch so weit verbreitet und noch so tief gewurzelt gewesen, und wäre ihr noch so allgemein gefröhnt worden, aus allen Kräften zu rechter Zeit zu hemmen. Es ist mir ein betagter und höchst einsichtsvoller Capellmeister – leider habe ich seinen Namen vergessen – genannt worden, der dieses Verkommen der Kirchenmusik von ihrem eigentlichen Wesen, was erst seit Anfang dieses Jahrhunderts eingerissen seye, nicht bitter genug zu beklagen wisse, aber das erforderliche Gewicht, um dagegen aufzutreten, eben nicht mehr besitze. Fragt man dem Grund des Uebels nach, so findet man auch diesen da, von woher früher so manches Verderbliche über die Kirche sich gewälzt hat. Alle, mit denen ich hierüber zu Rede kam, stimmten darin überein, daß dieß ebenfalls ein Vermächtniß aus der Zeit der Franzosenherrschaft seye, welche das Kirchliche frivol genug behandelt habe. Von daher schreibe sich diese nachtheilige Einwirkung auf den allgemeinen Geschmack.

Ich habe hierüber Erfahrungen gemacht, die mich jedesmal wahrhaft betrübten. Zum Erstenmal war dieß der Fall in der deutschen Kirche St. Maria dell Anima. Dieselbe war einer durchgängigen Herstellung und Erneuerung wegen zwanzig Monate geschlossen geblieben. In dieser langen Zeit wurde auch eine neue Orgel gebaut, die, wenn sie nicht gerade ein deutsches Meisterwerk ist, doch zu den bessern in Rom gehört. Ein Tyroler, mir, wie sämmtliche in der Anima befindlichen Priester, bald befreundet, war als Organist berufen worden und hatte deutschen Geschmack und deutschen Ernst in Betreff der Kirchenmusik mitgebracht. In den letzten Tagen des Aprils erfolgte die Eröffnung der Kirche durch ein Triduum, an dessen erstem Abend der Patriarch von Constantinopel functionirte[512] und am Schluß der Feyer den Segen ertheilte. Die Orgel halte die ganze Handlung mit der erforderlichen Würde begleitet, als im Augenblick der höchsten Feyer, wo Alles vor dem emporgehaltenen Sanctissimum auf die Knie fiel, das widerwärtige Glöckleinspiel durch die ersten Tone hallte. Da wich bei mir plötzlich alle Andacht der Entrüstung, und ich konnte nicht begreifen, wie mein Crazolara, der so richtige Gedanken über Kirchenmusik oft vorher gegen mich geäussert, so sich habe vergessen können? Kaum daher in das Refectorium eingetreten, apostrophirte ich denselben über diesen schreyenden Mißgriff. Da erwiderte er mir: der Orgelbauer, der ihn beim Spiel gehütet, hätte anfangs beharrlich darauf bestanden, bei der heiligen Handlung die türkische Musik loszulassen, denn ohne dieß stünde sein Ruf auf dem Spiel. Er aber habe sich diesem aus allen Kräften widersetzt, und da Jener nicht durchzudringen vermocht, habe er wenigstens, während er selbst im Spiel begriffen gewesen, unvermerkt das Register des Glotleinspiels gezogen, damit doch dieses den Italienern zu lieb dazwischen klinge.

Ein anderes Mal trat ich zufällig Abends in die grosse Dominicanerkirche St. Maria sopra Minerva. Auch hier wurde der Segen ertheilt, das Orgelspiel war aber so, daß, wenn zehn junge Bursche ebensoviele Mädchen erblickt hätten, sie dieselben unbedenklich hätten ergreifen und während des Segens einen Walzer oder Hopser nach der Musik tanzen können. Ich verließ die Kirche voll Unwille über ein solches Jahrmarktsgeleyer.

Unter den Nonnen von St. Cecilia hörte ich am Abend der dortigen Fronleichnamsprocession ausgezeichnete Stimmen und ebensoviel Präcision und Ausdruck in dem Gesang; aber wieder mußte ich sagen: trüge doch dieser einen kirchlichen Charakter an sich! Das Vorgetragene hätte in einer Singakademie mit Recht Beifall verdient, für eine Kirche dagegen und für eine hohe Feyer in einer solchen paßte es durchaus nicht. Er kamt mir vor wie Arien aus Opern.[513]

Dieses Mißbehagliche, und hiezu noch, wo anderwärts Instrumentalmusik in den Kirchen zu hören war, die Nachlässigkeit im Zusammenstimmten hat mich bis nach Venedig verfolgt, wo ich am Allerheiligenfeste in der Kirche des heiligen Marcus Erhebenderes zu hören hoffte, aber nicht minder getäuscht ward. Auch hier war sowohl die Wahl der Musikstücke, als die Ausführung so wenig ansprechend wie anderwärts; und ich darf wohl gestehen, daß der einfache, von einer kleinen Orgel begleitete Gesang der wenig geübten Schulkinder in der katholischen Kirche zu Schaffhausen mir immerdar ungleich würdiger und ansprechender schien, als die Musik in manchen grossen Kirchen Italiens, zumal wenn dort nicht sogenannte deutsche Messen mit den schneidenden Doppellauten in meine Ohren prickelten; denn wie man diesen deutschen Messen (d. h. unterlegtem deutschem Text) irgend einen Vorzug einräumen könne, das blieb mir stets unerklärlich. Zuletzt läuft es auf eine wahre Micheliade hinaus.

Das bisher Gerügte sind verletzende Uebelstände, die an die Compositionen und an die Wahl der Stücke, etwa auch an die Ausführung sich knüpfen. Es giebt noch einen andern Uebelstand, der wenigstens störend genannt werden dürfte, wenn selbst über jenes keinerlei Tadel sich aussprechen liesse. Tritt nemlich bei grossen Festlichkeiten – wie es z. B. am Vorabend des Festes des heil. Aloys der Fall war – ein stark besetzter Chor mit untermischten Solopartien auf, so haben die Capellmeister die üble Gewohnheit, mit einer dicken Notenrolle auf das Geländer unablässig dergestalt den Tact zu dreschen, daß über dem unerträglichen Klopfen jeder Eindruck verloren geht. Dieß berührte mich unangenehm zum Erstenmal in St. Clara zu Neapel, und ich konnte mich nicht genug darüber verwundern, wie der Tact für das Schickliche dem materiellen Tactschlag so könne zum Opfer gebracht werden. Wer an so Etwas nicht gewöhnt ist, für den geht jeder sonstige Werth des Gesangs völlig dahin.

Fragt man nach kräftigen, wohlgebildeten, klangvollen[514] Stimmen, so fehlt es nicht an Veranlassung, dergleichen zu hören. Wie bei den Zöglingen der grossen Anstalt von S. Michele zu Rom alle vorhandenen Talente oder künstlerischen Anlagen sorgfältig gepflegt und zu dem höchstmöglichsten Grad der Ausbildung emporgehoben werden, so auch das Talent für Musik, namentlich für Gesang. Die Anstalt liefert ihre Zöglinge zu den meisten bedeutenden kirchlichen Feyerlichkeiten, und die Leistungen derselben müssen in Beziehung auf Kunstfertigkeit unfehlbar befriedigen; ist dieß in Bezug auf den Stoff weniger der Fall, so ist Solches nicht die Schuld derjenigen, welche bloß auszuführen haben, was ihnen vorgelegt wird. Was aber diese junge Leute zu leisten vermögen, sobald dieses dem Ort, der Umgebung und der Veranlassung angemessen ist, das konnte ich dem Schluß des Marienmonats in der Kirche St. Andrea della Balla entnehmen, wenn anders unter den Sängern, die dort versammelt waren, Zöglinge von San Michele sich befanden. Wie jedoch dem seye, einzig dort hörte ich einen Gesang, der sowohl in Beziehung der Ausführung als der kirchlichen Würde nichts zu wünschen übrig ließ, daher, wie es des Kirchengesanges Bestimmung ist, wahrhaft in Andacht emporhob.


Im Waisenhause zu Rom besuchte ich die Knaben, in dem kleinen Kloster von San Giuseppe die sechszehnjährige Tochter des verstorbenen Landeshauptmanns Müller von Näfels. Ich konnte mich der Thränen nicht enthalten, wie ich diese Schlachtopfer des fanatischen Radicalismus erblickte. Als nämlich dieser, durch seine Helfershelfer in den Cantonen Zürich und St. Gallen aufgestachelt und sicher gestellt, nicht nur die von sämmtlichen Cantonen einst besiegelten und gewährleisteten Verträge, weil sie den Katholiken des Landes Glarus eine unabhängige und gesicherte Stellung einräumten, in wilder Gleichmachungsgier zerriß, sondern hierauf noch die katholische Kirche[515] auf die empörendste Weise an seinen Siegeswagen knebeln wollte, gehörte der Landeshauptmann Müller zu denjenigen, welche an der Spitze seiner Glaubensgenossen, wenn nicht die erste Gewaltthat hindern konnten, so doch dem andern Unterfangen entgegenzustehen versuchten. Wie sie seinen Schwager, den Zeugherrn Tschudi, in dem scheußlichsten Kerker bei der unmenschlichsten Behandlung in einen solchen Zustand versetzt hatten, daß ihnen nur die Wahl blieb, denselben im Namen der Rechtsgleichheit, der Freiheit und zeitgemässer Institutionen zu morden, oder durch vier Mann auf einer Matraze in das Haus seiner hochbetagten Mutter zu zweifelhafter Herstellung zurückbringen zu lassen, so hatten sie den Landeshauptmann Müller genöthigt, um ähnliche Süssigkeiten einer Regeneration nicht verkosten zu müssen, landsflüchtig zu werden. Die harten Einbußen an dem Vermögen, der Blick in eine düstere Zukunft, der Kummer um ihre nächsten Anverwandten brachen seiner zu Hause gelassenen Gattin das Herz. Man darf ihren Tod die erste traurige Frucht einer Unterdrückung der Katholiken nennen, die nur darum weniger beachtet worden ist, weil sie über eine kleine Zahl sich erstreckte, auf einen unbedeutenden Erdenwinkel sich beschränkte.

Der Vater nahm nun die vier mutterlosen Waisen zu sich und wendete sich nach Italien, in der Hoffnung, zu Modena eine Anstellung zu finden. Als dieß fehlschlug, trug er seine Hoffnungen nach Rom, wo aber kein besseres Licht für die Zukunft ihm aufgieng. Der Capellan der Schweizergarde Seiner Heiligkeit, Monsignore de Curtins, hatte ihm für die Sommermonate seine Wohnung im Vatican eingeräumt. Eines Tages im August 1839 begegnete er Müllern auf der Engelsbrücke, von wo derselbe mühsam nach seiner Zufluchtsstätte sich fortschleppte. In der gleichen Nacht wurde Herr von Curtins durch die Trauerbotschaft seines Hinscheids aufgeweckt. Als er nach dem Vatican hinauseilte, sah er die vier Kinder um den Leichnam des Vaters in Thränen zerfließend, rathund hülflos in fremdem Lande. Doch hatte das älteste derselben,[516] ein Mädchen von fünfzehn Jahren (welches nicht lange hernach dem Vater nachfolgte), voraussehend, daß alsbald eine Versieglung der Hinterlassenschaft erfolgen dürfte, noch so viel Besonnenheit, aus dem Schrank die wichtigsten Papiere und Briefschaften des Verstorbenen herauszunehmen und, damit ja Niemand neuer Verfolgung der Gebietiger im Heimathlande könne bloßgestellt werden, zu verbrennen.

Allerdings forderten diese, daß die Kinder zugebracht würden; aber der rastlosen Verwendung ihres Oheims, des gleichfalls verfolgten und gewaltthätig vertriebenen Pfarrers von Glarus, eines Bruders des Zeugherrn Tschudi, gelang es, dieses zu verhindern. Denn sobald er den frühzeitigen Tod des Schwagers vernommen, eilte er selbst nach Rom, um den hülflosen Waisen zu rathen, wie immer möglich für sie zu sorgen. Die Knaben fanden hienach einen neuen Vater in dem allgemeinen Vater der Christenheit, der sie auf seine Kosten in das Waisenhaus versorgte und sie dort erziehen läßt; die Mädchen fanden eine zweite Mutter in der vortrefflichen Gräfin Lützow, Gemahlin des österreichischen Botschafters in Rom, welche auf gleiche Weise dieselben in San Giuseppe unterbrachte. So hat die Vorsehung für die Waisen gut gemacht, was die Menschen böse zu machen gedachten. Mir aber, als ich diese Kinder besuchte, traten in ihnen Ankläger und Zeugen gegen diejenigen vor Augen, welche, wenn ich noch den tadelfreyesten Beweggrund hervorhebe, einer Theorie zu lieb, kalten Blutes den anderthalbhundertjährigen Frieden eines Landes vernichten, einzelne ihrer Mitbürger, deren Geschlechter seit Jahrhunderten die Zierde desselben gewesen, um Glück, Ruhe und Wohlstand bringen und derartige Schlachtopfer sich bereiten konnten. War es aber nicht Schlimmeres, als blosse Theorie, da solche Wütherei eintrat, ungeachtet die katholischen Glarner am Ende in die Beraubung der urkundlich gewährleisteten Rechte sich fügen, nur diejenigen ihrer Kirche retten wollten? einer Kirche, die wahrlich die sechsmal zahlreichern Protestanten dieses Ländchens[517] niemals gefährdet hat und ebensowenig in Zukunft hätte gefährden können.


Kurze Zeit nach meiner Ankunft in Rom machte ich die Bekanntschaft des königlich sächsischen Hofmalers, Hrn. Vogel von Vogelstein. Er wünschte in seine große Portraitsammlung von Zeitgenossen mein Bild aufzunehmen. Nicht ohne einige Mühe konnte er meine Einwilligung erlangen, denn bisher hatte ich jede Aufforderung, mich mahlen oder zeichnen zu lassen, beharrlich von der Hand gewiesen, da ich es für kleinliche Eitelkeit halte, Andern sein Ebenbild aufdringen zu wollen. Nur das Jahr vorher hatte ich eingewilligt, daß der Sohn meines verstorbenen Freundes, des Grafen von Enzenberg, Graf Hermann, mein Bild entwerfe, weil es bloß im Scherz begonnen, dann aber in treuer Wahrheit ausgeführt wurde. Auch das, daß eine Copie jener in Rom gefertigten Zeichnung dieser Schrift beigelegt wird, war nicht mein Tand, sondern wiederholter Wunsch der Verlagshandlung, welchem Hr. von Vogel freundlichst entsprach.

Von bleibendem Werth für mich sind die angenehmen Stunden, die ich um diesen liebenswürdigen Mann zubrachte. Er hatte eben jene bildliche Darstellung der Hauptideen von Dante's göttlicher Comödie vollendet und öfters habe ich mich in Betracht der reichen und tiefgedachten Composition versenkt. Wohlverdienter Ruf ist derselben nach Deutschland vorangeflogen, indem nicht lange vor des trefflichen Mannes Rückkehr dahin die »Allgemeine Zeitung« Kunde von seiner reichen Schöpfung gegeben hatte. – Vor dieser begegnete ich einem Landsmanne aus dem Tessin, dem Abbate Giuliani, von der Congregation der Somascher, Lehrer der Mathemtatik in dem Clementino zu Rom, zugleich aber einer der gründlichsten Kenner und der begeistertesten Verehrer des unsterblichen Dichters,[518] dessen Werk sein Hauptstudium geworden ist. Abbate Giuliani las eines Tages eine sehr geistreiche Beleuchtung von Hrn. v. Vogels sinnvoller Composition vor. Man hätte dabei sich fragen mögen, wer in die Tiefen der Dichtung des Florentiners mit klarerer Auffassungsgabe mochte eingedrungen seyn, der Maler oder der Redner? Am zweiten Ostertage hörte ich in der Akademia Tiberina einen andern Vortrag desselben: über Dante's Ehrerbietung gegen die päpstliche Autorität. Wäre ich nicht dem Beiwort zeitgemäß entschieden abhold, so würde ich dasselbe diesem Vortrag unbedenklich beilegen. Denn wirklich darf es zeitgemäß genannt werden, manche irrige Meinungen, die in Betreff des Dichters Wurzel fassen wollen, zu berichtigen. Wie man nämlich in Deutschland selbst dahin sich verirrt hat, Dante sogar den Ruf eines Propheten der Reformation anzuklügeln, so meinte man, einiger aus dem Zusammenhang gerissener Stellen wegen ihn als Zeugen wider das päpstliche Ansehen, selbst wider die Institution des Papstthums aufrufen zu dürfen. War das Erste eine lächerliche Spitzfindigkeit in jener Art, wie Tacitus zum Propheten des Preussenthums erschwatzt werden sollte, so geschah in dem Andern dem Dichter Unrecht, wie Hr. Giuliani mit schlagenden Beweisen dargethan hat. Denn wenn der Guelfe kein Bedenken trägt, die Häupter seiner Partei, die grimmigsten und rastlosesten Widersacher der Päpste, Kaiser Friedrich II und seinen Canzlar, Peter von Vineis, als Ketzer in die Hölle zu verweisen, so möchte es doch schwer fallen, ihn als Gegner der Kirche und des Papstthumts anzuführen. Vielmehr wie Roms Gründung nur einen Zweck hat –


Denn Rom und Reich (um Wahres zu verkünden)

Ward nur gestiftet, um den heil'gen Ort

Zum Sitz für Petri Folger zu begründen –


so ehrt Dante in Anastasius II die päpstliche Würde selbst in der Hölle (XI, 6) durch ein glänzendes Grabmal und sagt zu Nikolaus III (Hölle XIX, 103):
[519]

– – weil Ehrfurcht meine Zunge hält

Für jene Schlüssel, die Du einst getragen,

Da Du gewandelt in der heitern Welt,

Enthielt ich mich, Dir Schlimmeres zu sagen;


gleichwie er im Fegfeuer mit Adrian V nur knieend spricht, und auf dessen Frage: »was knieest du hier?« erwidert:


Ich empfand

Ob deiner Würde Vorwurf im Gewissen,

Daß ich vor Dir noch grad und aufrecht stand.


Schon in seinem (obwohl der Kirche widersprechenden) Urtheil über Cölestin V liegt ein Beweis, welche hohe Ueberzeugung von päpstlicher Würde ihn durchdrang; an andern, noch weit schlagendern fehlt es nicht. Wenn aber Dante über einige Päpste strenger zu Gericht sitzt, so hat man es zu wenig beachtet, daß er immer die Person von der Institution streng scheidet; daß gerade hiedurch der Tadel gegen jene, dafern sie den Forderungen von dieser nicht entsprachen, weit eher hohe Achtung vor dieser, als das Gegentheil beweise. Was besonders Bonifacius VIII anbetrifft, so muß wohl billiger Entscheid einen Theil der heftigen Worte auf Rechnung der Partei-Gesinnung Dante's und der damals auf beiden Seiten herrschenden Erbitterung schreiben. Oder hätte etwa der entschiedene Ghibelline sich gemässigter erzeigen sollen, als der feurige Guelfe? Oder wüßte umgekehrt die Geschichte das Licht, welches der Dichter um den Can grande zieht, durch keinen Schatten zu temperiren?

Forster weiß in seinem »Handbuch für Reisende in Italien« von dem Herzog von Modena nichts weiter zu berichten, als: »daß er durch sein absolutestes Regierungsystem, durch sein lästiges Preßgesetz, durch die lange Liste verbotener Bücher, worunter die Comedia divina von Dante, und die Nichtanerkennung der Orleans'schen Dynastie in Frankreich sich berühmt gemacht habe;« wogegen ich freilich einiges Anderes, was Hrn. Förster entweder entgangen ist, oder was er jenen Entsetzlichkeiten[520] gegenüber keiner Beachtung werth halten mag, zu erichten wüßte. Es ist wahr, man könnte (die Sache bloß vom absoluten Standpunct erwogen) die hier ausgesprochene Proscription, die dort erwachende Mißstimmung gegen Italiens größten Nationaldichter für eine unerklärliche Abnormität hatten, sie geradezu eine unverzeihliche Versündigung gegen Geist und Talent, eine unläugbare Verknocherung der empörendsten Art nennen. Aber die Sache hat eine Seite, die auch jene Mißstimmung, wenn nicht geradezu rechtfertigt, doch wesentich entschuldigt.

Man kennt die Bestrebungen des »jungen Italiens,« wie es darauf sinnt, unter Gewaltthat, Blutvergiessen und allen Gräueln der Revolution den gesellschaftlichen Zustand der Halbinsel im Sinne seiner abentheuerlichen Theorien von Grund aus umzukehren; wie es auf allen erdenklichen Schleichwegen Mißvergnügen auszusäen und Genossen des Frevels an sich zu ziehen bestrebt; wie es in tollkühnen Wagnissen, unter denen Menschenleben, Sicherheit und Ordnung nicht hoher geachtet werden als Seifenblasen, seine Zwecke zu erreichen strebt; wie es einer gesicherten Werkstätte, um seine Entwürfe vorzubereiten, eines schirmenden Zufluchtortes, um über deren Vollstreckung zu brüten, wie es so offenen als geheimen Vorschubes bei denen sich zu erfreuen hat, deren Rechenkunst bereits die Procente zu ermitteln weiß, welche ein ähnlicher Zustand auf der Apenninen-Halbinsel, wie derjenige auf der Pyrenäen-Halbinsel, auf Kosten der Bewohner ihnen selbst tragen würde. Dieses junge Italien hat Dante's Ghibellinen-Gesinnung gegen einige Päpste auf das Papstthum selbst, dann von diesem auf alle Regentenhäuser übergetragen und mißbraucht, es hat um jener willen den großen Dichter zum Thema seiner mordbrennerischen Pamphlete, als Vordermann zum Sturme gegen die Kirche, als Fahnenträger im Anlauf gegen die bestehende Ordnung erwählt. Dante war seit alter Zeit zur Autorität in Italien geworden; Dante's Name galt als der gefeierteste durch Italien; Dante klang dem italienischen Ohr als[521] ein bedeutungsvoller Laut. Unter das Gewicht dieser Autorität, dieses Namens, dieses Lauts stellten nun die Schwärmter für eine Revolution ihre Entwürfe, entlehnten von ihm das Wort zu deren Beschönigung, suchten mittelst desselben Manche anzuködern, zu bethören. Dante und abermals Dante klang es aus dem Munde derjenigen, die man als die Begabtesten, als die Rastlosesten, als die Unverbesserlichsten unter jenen ruchlosen Landesregeneratoren kannte. Der offenkundige Mißbrauch mußte am Ende den besonnensten und redlichsten Gebrauch verdächtig machen; bald war es dahin gekommen, daß selbst das bloße Reden über den herrlichen Dichter Argwohn erregte, und in Gefahr brachte, in die Vorkehrungen, die Jene den Regenten abzwangen, verwickelt zu werden.

Zu den Häuptern des jungen Italiens wird der landflüchtige Advocat Zacheroni gezählt; wie es denn scheint, daß in diesem Lande ebenfalls Advocaten an der Spitze der Umwälzungspartei stehen, daß sie zu ihrem Besten auch hier die Ordnung in einen großen Rechtshandel verwandeln möchten. Dieser gab im Jahr 1838 zu Marseille den Commentar von Guiniforto degli Bargigi zu des Dichters Hölle heraus und zeigte in der Widmung desselben an das junge Italien, was dieses in der Comedia divina zu suchen und zu finden, weßwegen vorzüglich sie so hohen Werth für dasselbe habe. Durch diese Widmung, dann durch das Bemühen, die Schrift heimlich und heftweise in das Land hineinzuschwärzen und durch dasselbe zu verbreiten, wurde überall die Censur aufmerksam gemacht, und es erfolgte ein Verbot gegen diesen Commentar, welchen so strenge Maßregeln nicht getroffen hätten, wenn er in Italien und durch einen harmlosen Gelehrten dem Druck wäre übergeben worden; denn der Inhalt desselben ist unverfänglich, ja Bargigi darf mit Recht zu den vorzüglichsten Scholiasten des Dichters gezählt werden.

Aber der Advocat macht diesen zu dem Genossen seiner Gesinnungen und der Bestrebungen seiner ganzen, durch die Welt zersprengten, aber zu ihren Anschlägen geeinten Sippschaft.[522] Er dichtet dem Dichter Italiens Zusammenschmelzen, Haß gegen das päpstliche Ansehen, das Zertreten desselben an. Aus dem Lande der Verbannung spricht er zu seinen Genossen, in der Sprache der Werkführer und Handlanger an dem neuen Thurmbau in sämmtlichen Ländern: »In Italien wird alles Denken unterdrückt. Wen das Elend seines Vaterlandes bekümmert, dessen wartet entweder das Beil des Henkers, oder das schauervolle Elend einer schweren Gefangenschaft. Es ist ein besonderer Zufall, daß Dante's heiliger Gesang nicht, entweder politischer Gründe wegen, oder unter dem Vorwand der Religion, kann verworfen werden. Haben traurige Zeiten Italien tödtliche Wunden geschlagen, so haben die Stellvertreter Christi dasselbe vollends um alle Einheit gebracht. Machtlos, um es sich zu unterwerfen, haben sie immerwährend Hader genährt, die Parteyen unterstützt und zu Vollendung der Schmach die Fremden herbeigerufen, damit sie mit Blut es düngen.

»Unter Unfällen werden kräftige Geister gestähelt; die Liebe zur Freiheit, welche Christus uns gelehrt hat, zieht sie groß; die Philosophie lehrt sie, Besseres hoffen. Hievon belebt, verschmähte Dante, der Hocherhabene, durch Unterwerfung unter die Kirche seine Heimkehr nach Florenz sich anzubahnen. Leuchten nicht Sonnenglanz und Sternengefunkel über jeden Erdenfleck, und läßt sich der süssen Wahrheit nicht unter jedem Himmelsstriche nachsinnen! Radicalreform des Katholicismus und der politischen Einrichtungen Italiens, das ist der wesentlichste Innhalt, das der Hauptzweck seiner Dichtung, in der er dem Anbruch des neuen Morgenroths entgegensingt. Theokratie und Despotismus hielten sein Vaterland in Ketten, er trat ihnen entgegen. Erhaben, freyen Blickes, schweift der Ghibelline über den Trümmern einer Welt und harrt einer bessern Zeit, eines Menschenalters der Grosse und des Friedens. Sein Hauptfeind ist Rom und dessen krebsartig zerfressener Hof. Er harrte des Sieges, der die grosse Hure in die Hölle werfen wird,

Von wo's zuerst der Neid heraufgesandt;[523]

dann wird seine Sitte und Eintracht zurückkehren, dann wird Italien, dem Joch der Factionen entrissen, einig und stark werden. Dante war ja der Erste, welcher der römischen Kirche ihre Hurenwirthschaft mit den Königen, ihre Verknechtung der Religion zu politischen Zwecken offen vorwirft.«

Natürlich wird von dem nach Regeneration lechzenden Jung-Italiener die Geschichte zurechtgemacht in gleicher Art, wie sie von seinen Gesinnungsgenossen anderer Länder zu ähnlichen Zwecken zurecht gemacht wird. Durch Dante's ganz Italien begeisterndes Gedicht, versichert der Advocat Zaccheroni seine gläubigen Jünger, seye der römische Hof so niedergeschmettert worden, daß er sich nach Avignon geflüchtet habe. Darauf hätte die Inquisition den Geistesschwung, zu welchem an Dante's Gedicht Alles sich erkräftigt, durchaus erstickt, und die Ausleger sich bequemen müssen, des Dichters erhabene Gedan ken von politischer und religiöser Reform auf die Proportionen eines theologischen Sermons oder einer moralischen Abhandlung zurückzuführen. Am Ende klingt noch ein Seufzer, daß die Deutschen in den Busen der schönen Sclavin sich eingenistet hatten, gleich als in Feindesland. »Aber« ruft der Advocat, »junges Italien! – Dante zeigt dir das Ziel! Deine Aufgabe ist, Italien seiner hohen Bestimmung entgegenzuführen!«

Dann kommt noch ein heftiger Vorwurf gegen Silvio Pellico, daß eine harte Gefangenschaft ihn dahin habe bringen können, den Katholicismus selbst in seinen größten Mißbräuchen zu ehren und zur Devotion sich erziehen zu lassen; ja daß er sogar in seinem Gedicht: »Dante's Tod,« den sterbenden Ghibellin en zur Selbstdemüthigung vor die mißgestaltete Hure geschleppt habe. Diese Palinodie seye eine baare Insulte gegen Dante's Andenken, dessen Gedicht fortan für Italiens Völker zum Freiheitsbanner, zum Zeichen der Einigung gegen Rom werden müsse.

Nachdem überall in Italien die Censur diesen Commentar in Beschlag hatte nehmen lassen, setzte der Advocat seinen[524] Bestrebungen die Krone auf durch eine, von Spott und Uebermuth strotzende, nachgesendete Zueignung an den vorigen Papst, Sie lautet so:

»Ihre liebevolle Beflissenheit, mittelst der Ehrwürdigen Vater des heiligen Officiums und der bewaffneten Macht sich die Exemplare meines herausgegebenen Buches zu verschaffen, nachdem sie auf gesetzlichem Wege in Ihre weltlichen Herrschaften hineingekommen waren, ist mir Zeuge der heissen Begier, die Sie zu demselben in Sich tragen, und verleiht mir die Kühnheit, ihm Ihren Namen vorzusetzen, sintemal derselbe darin die würdige Stelle eben da finden wird, wo der Ghibelline diejenigen anderer Ihrer Vorgänger hingewiesen hatte. – Nehmen Sie mit dem guten Willen vorlieb, bis ich im Fall seyn werde, Ihnen eine Arbeit von grösserem Belang darzureichen, woran ich schon Hand angelegt habe: das letzte Concilium in St. Peters Hauptkirche.

Voll Ehrfurcht gegen die Majestät der höchsten

Schlüssel gewärtige ich Ihren väterlichen Segen.

Marseille, den 15. August 1838.

Joseph Zaccheroni.«


Man denkt sich Rom so gerne als heilige Stadt, als das Salem, zu welchem von Morgen und von Abend, von Mittag und von Mitternacht die Volker ziehen, als den Ort der Sicherheit für Alle, die gleich dem gescheuchten Vogel ein Obdach suchen, als die Ruhestätte für Jene, die dem ermatteten Hirschen ähnlich nach dem gefahrlosen Lager sich sehnen, als den Hafen, welchem so manches umhergetriebene Schiff zusteuert. Ohne allen Zweifel ist es für Viele, die aus äussern und innern Irrsalen, Gefahren und Stürmten sich retten wollen, ein Salem, eine Zufluchtsstätte, ein schirmender Hafen. Man[525] denkt es sich so gerne als die Stadt, in welcher unablässig die Dankgesänge zu dem Dreyeinigen aufsteigen, das Lob der unbefleckten Jungfrau ertönt, in welcher Alles die Ehre dessen verkündet, der in der Höhe ist, den Frieden unter denen, welche, guten Willens, hienieden weilen. Man erwartet hier den geistlichen Streitern zu begegnen, die mannigfaltig sind, wie die gerüsteten Schaaren eines wohlgeordneten Kriegsheeres, vielartig, wie das goldgewirkte Gewand der Königin im Hohenlied. Man hört sie wohl diese Dankgesänge, diese Loblieder auch man begegnet in ihnen jenen Streitern. Doch mischt sich in dieses nur allzuviel dessen hinein, was mitten unter dem Bilde des Friedens, der Ruhe, der Sicherheit das Gegenbild dieser freundlichen, erquickenden, segnenden Güter hervortreten läßt. Nur allzuhäufig wird der Eindruk, den die rein geistliche Stadt auf uns machen müßte, gestört durch das Erscheinen von Kriegsleuten aller Waffengattungen, aller Rüstungen, aller Farben. So schön, ja glänzend und wohlberitten die päpstliche Reuterei ist, so stattlich die Grenadiere daherziehen (die übrige Infanterie hat blos den Anstrich gewöhnlicher Milizen), so möchte man dieses Waffengepränge einen Mißklang nennen, der durch die sonstige Harmonie sich durchzieht, und uns bitter daran gentahnt, daß hienieden auch nicht ein Ort seye, der mit ungetrübtem Frieden uns umfange, erquicke, das Vollgepräge desjenigen an sich trage, welcher den Seinen den Frieden hinterlassen wollte. Wie heiterer und wohlthuender wäre nicht der Eindruck, den Rom auf uns machte wenn nirgends Kriegsvolk uns begegnete; wenn nur droben, wo der Vater der Gläubigen für diese wachet, wirket und lebt, die alterthümlichen Schweizer, »zu seiner leiblichen Hut bestellt« (wie der Dienstvertrag sagt), an der Pforte und am Eingang in die Gemächer die Wache hielten; wenn bei den feyerlichen Umzügen neben den Kleinodien und seiner Person einzig diese daherschritten, und bloß das Geleite der Edelwache den Wagen des Oberhauptes der Kirche und Regenten des Landes mit würdigem Glanze umgäbe.[526]

Ehedem, so wurde ich wenigstens dessen versichert, habe man in Rom von solchem Kriegsgetöse in Trommeln und Trompeten, von solchem Kriegsprunk in mancherlei Waffenarten nichts oder nur sehr wenig gehört und gesehen. Aber auch dessen, daß dieses nothwendig geworden, trage jene verwegene Notte von Umwälzern die Schuld, die nichts unversucht lasse, um wenigstens in dem südlichen Theil der Halbinsel durch Aufruhr, Mord und Verwirrung ihre würdigen Beglückungsplane durchzusetzen. So laste ihr Unterfangen, wenn es auch bisher noch immer vereitelt worden, doch fortwährend darin auf dem Lande, daß dessen Oberherr sich genöthigt gesehen, zu Schutz und Abwehr Vorkehrungen zu treffen, welchen empfindliche Vergrösserung der Lasten unvermeidlich gefolgt wäre, was Einzelne, die über dieser nicht auf die Ursache zu blicken vermöchten, zur Rückwirkung im Sinne jener trügerischen Rotte geneigt machen dürfte Alle Lebensbedürfnisse hätten seitdem, solcher nothgedrungenen Vermehrung der Waffenmacht wegen, grösserer Besteurung unterworfen werden, eine Erhöhung des Preises erfahren müssen. Und dennoch brüsten Jene sich damit, daß allgemeine Wohlfahrt, bisher nicht gekannte Glückseligkeit von dem Gelingen ihrer Entwürfe unzertrennlich seyn werde; und dennoch fehlt es nicht an Thoren, welche durch ihre Vorspiegelungen sich blenden lassen, an denen die laut redenden Zeugnisse aus nicht sehr ferne liegenden Zeiten, aus so vielen andern Ländern unbeachtet vorübergehen! Thoren, welchen selbst die neueste Heldenthat dieser Weltverbesserer, bei mißlungenem Bubenstück durch den Diebstahl an der Ersparnißkasse zu Rimini sich zu trosten, die Augen nicht aufgehen! Wird es auch an Einverstandenen nicht fehlen, welche hiefür, wie für Alles, was in solchem Dienste versucht wird, Entschuldigungsgründe, wo nicht Rechtfertigung, fertig in Bereitschaft halten, und nicht den Mordbrenner, sondern den Hausbesitzer für straffällig erklären.

Trotz jenes Kriegsvolkes, was Rom nun mit allen grossen Städten gemein hat, macht es doch wieder einen Eindruck, den mindestens von denjenigen, die ich gesehen habe, keine andere[527] Stadt zurückläßt, trägt es neben dem Gepräge, worin es jenen gleich kömmt, wieder ein eigenthümliches an sich. Was du beinahe in allen andern Städten findest, das findest du in Rom ebenfalls, hiezu aber noch vieles Andere, was du sonst allerwärts vergeblich suchen würdest. Liebst du Zerstreuung, Rom bietet dieselbe in mannigfaltigerer Weise, als jede andere Stadt; freut dich das Gewühl der Straßen, die Straße Toledo in Neapel abgerechnet, findest du es, wie auf dem Corso, vielleicht in keiner andern Stadt des Festlandes; suchst du die Einsamkeit, diese gewiß kann dir, bis hinaus nach dem Campo Vaccino, dem alten Palatinus, und bis zu St. Croce in Gerusalemme in solcher Art nirgends geboten werden; zieht die Gesellschaft dich an, sie ist in Rom so belebt, so glänzend, so geistreich als irgendwo, zugänglicher aber als allerwärts. Ist das Alterthum dein Steckenpferd, wo fändest du so reiche Ueberreste desselben in jeglicher Gestalt? Nimmt die Kunst dich in Anspruch, vereinigt nicht Rom deren herrlichste Gebilde aus jeder Zeit, in jedem ihrer Zweige, eine Menge von Werkstätten, deren täglich neue Schöpfungen mit den vorangegangenen wetteifern? Hast du der Wissenschaft dich geweiht, es fehlt weder an stummen, noch an lebendigen Mitteln, die darin dich fördern können; willst du erforschen, was die christliche Wohlthätigkeit zu Stande bringen könne, in wie unerschöpflichen Formen sie zu wirken verstehe, Rom bleibt auch in dieser Beziehung Hauptstadt der Welt; ist endlich dein Verlangen dahin gerichtet, das christliche Leben in seinen manigfaltigen Erscheinungen kennen zu lernen, so weißt du ja, daß Rom seit anderthalb Jahrtausenden der Mittelpunkt der Christenheit gewesen, daß es derselbe noch jetzt, ja daß es in seiner noch gegenwärtig eigenthümlichen Gestalt einzig aus jenem hervorgegangen seye. Trägt auf der einen Seite Alles in Rom den Charakter des Grossen, Weiten, Vollendeten, entschieden Ausgeprägten an sich, so ist es doch anderseits wieder anmuthig, fesselnd, heimelig. Es läßt diese Signatur seines Wesens auch auf diejenigen übergehen, welche in demselben weilen und sich bewegen; man findet sich leicht, schließt[528] bald an einander sich an, ist mittheilsamer als vielleicht sonst irgendwo.

In Beziehung auf das, was das Bindemittel des gesellschaftlichen Verkehrs ist, die Unterhaltung, macht Rom ebenfalls einen andern Eindruk, als sonst die meisten grossen Städte. Hier z. B. ist das Theater nur von untergeordneter Bedeutung, daher man mit jenem Schmalbier: ob die Schauspielerin Agehöriger Weise aus den Coulissen hervorgetreten seye, ob der Schauspieler H bei dieser oder jener Stelle die Hände nach Erforderniß bewegt habe, ob die Sängerin C bei irgend einer Passage gleiche Höhe ergurgelt habe, wie vor einem Jahr die Sängerin D, ob die Tänzerin F den Fuß noch über die wagrechte Linie hinauf habe erheben können, in Rom nicht beköstigt und gar übersättigt wird. Kammern giebt es auch nicht; daher man sich über den Stand der Parteyen, über das Gelärmte der Wortführer, über die Angriffe auf die Regierung, über die liberalen Motionen ebensowenig ereifern, als jedes Kaffehaus und jede Schenke in eine Taschenausgabe des Ständehauses verwandeln kann. Von dem langweiligen und abgedroschenen Geschwätze über Eisenbahnen, in wie viel Minuten diese oder jene befahren werde, wie viel Procente eine jede abwerfe und welche Concurrenz ihr bevorstehe, bleibt man ebenfalls verschont. Dagegen hört man in Kassehäusern und Barbierstuben (denn diese werden oft zum Sammelplatz ebenso verschiedener Personen, wie jene) von bevorstehenden Feyerlichkeiten in der einen oder andern Kirche, von Processionen, von Gegenständen sprechen, die überhaupt auf die Kirche Bezug haben. Es wird erörtert, ob der Papst bei diesem oder jenem Fest sich einfinden werde, oder eingefunden habe, wer seine Stelle vertrete, u. s. w. Jedes bedeutendere Ereigniß, welches zu der Kirche in Beziehung tritt, weckt Theilnahme; in das, was mit derselben in Verbindung steht, findet man oft unerwartete Einsicht. So hörte ich einst den Barbier mit demjenigen, den er unter dem Messer hatte, ein gar nicht uninteressantes Gespräch über Monte-Casino und die verdienstlichen Arbeiten seiner Bewohner führen.[529]

Es ist natürlich, daß die öffentliche Erörterung allerwärts derjenigen Gegenstände sich am liebsten bemächtigt, welche den Menschen zunächst liegen; ob uns dieselbe zusage oder anwidere, das ist Sache des Geschmacks, vorzüglich der Wahlverwandtschaft.


Samstags den 27. April fuhr ich von Rom nach Neapel ab. Die Station, welche der Vetturin am ersten Tage machte, war nicht der Mühe werth, denn wir kamen nur bis Valmontone, was erreicht wurde, ohne nur unterwegs füttern zu müssen. Der Vorwurf, daß man mit solcher Fahrgelegenheit höchst langsam vorankomme, gilt blos von dieser Seite der Apeninnen, auf derjenigen gegen das adriatische Meer ist es ganz anders. Aber auch darüber läßt sich leichter klagen, als der natürlichen Ursache nachforschen. Will man dieß, so wird man über den natürlichen Grund nicht lange im Zweifel stehen. Auf dem ganzen Wege von Florenz bis nach Neapel wird die Strecke, die man zurücklegen kann, durch die Nachtquartiere bestimmt, in welchen sich möglicher Weise Halt machen läßt. Ich habe einige Male, wenn ich mißvergnügt war, nicht weiter gekommen zu seyn, was mit schweizerischen oder deutschen Kutschern so leicht möglich gewesen wäre, des andern Tages mich selbst fragen müssen: wo ich denn die Nacht hätte zubringen wollen? und in der Unmöglichkeit, genügende Antwort ertheilen zu können, mich zufrieden stellen müssen. Waren doch schon die Wirthshäuser der noch einigermaßen erträglichern Orte, wie z. B. in Otricoli und Nepi elend genug. Am adriatischen Meer dagegen, von Loretto bis nach Intola, wo man nach Bologna einlenkt, liegt in geringer Entfernung von einander Städtchen an Städtchen. Diese alle bieten ohngefähr ähnliche Herbergen; wenn nicht gerade so bequeme und wohlversehene wie durch das Breisgau hinab, an der Bergstraße und längs des Rheines,[530] doch immerhin leidliche. Uebrigens sind für denjenigen, welcher keine Eile hat, diese Vetturini immer dem Postwagen vorzuziehen: man kann sich leichter seine Reisegesellschaft wählen, ist nicht so zusammengepfercht, wie in jenen, und – die Hauptsache – man sieht das Land, weil man nie des Nachts fahren muß.

Die Gegend um Valmontone, das alte Labicum, ist sehr malerisch. Man fährt durch eine Schlucht hinunter, über welcher rechts auf zerklüftetem Hügel ein Dörfchen steht, der Berghang links mit Wald bekleidet ist, den der Deutsche auf dem langen Wege von Florenz nur zu sehr vermißt. Alles trägt Spuren vulkanischer Wirkung. Von der Osteria, die in schönem Thalgrunde liegt, führt, was selten in Italien, eine Allee riesengrosser Bäume nach dem Städtchen, das, wie beinahe alle im Kirchenstaat, auf einem Hügel erbaut ist; jenseits des Gründes, hoch über der Osteria erbebt sich ein Klösterlein. Valmontone war bei den Alten seiner guten Trauben wegen berühmt. Wenigstens muß Clodius Albinus sie sehr schmackhaft gefunden haben, weil er bei einem Gastmal 23 Pfund derselben verzehren konnte. Liest man aber in den römischen Schriftstellern das Lob der Trauben oder der Weine einer Gegend, bekommt man dann letztern heutzutage in den Osterien zu schmecken, so muß man sich fragen: hatten die Alten einen minder seinen Geschmack, oder hat die Behandlung der Reben und der Weine Rückschritte gemacht? So rühmen Strabo und Plinius den Wein des benachbarten Segni's; Martialis sagt von demselben:


Potabis liquidum Signina morantia ventrem,

Ne nimium sistant, sit tibi parca sitis.


Ich habe zwar keinen davon getrunken, bin aber, demjenigen nach zu schliessen, der mir in Valmontone vorgesetzt ward, fest überzeugt, daß er jetzt die adstringirende Wirkung, wenn nicht auf den Magen, doch gewiß auf die Zunge üben würde (Von dem Wein in Capua, der als der beste, nachdem anderer zurückgewiesen worden, gelten sollte, und doch nur mit Zucker[531] gemischt sich hinunterschlingen ließ, mag ich gar nicht sprechen. Er war schlechter als der geringste unsers nördlichen Landes in mittelmäßigen Jahren. Im Hauptgasthof des jetzigen Capua's wären Hannibals Krieger schwerlich verwöhnt worden.)

Der schöne Abend konnte zu nichts Besserem benützt werden, als zu einem Spaziergang nach dem Städtchen, welches mir aus der Geschichte Innocenzens wenigstens dem Namen nach bekannt war. Er hatte es dessen, durch Schulden gedrückten Herren abgekauft und seinen Bruder Richard damit belehnt, so daß es noch in der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts der Familie Conti zugehörte. Jetzt ist es, wenn ich nicht irre, im Besitz der Fürsten Doria-Pamphili, die hier ein ziemlich grosses, aber auch ziemlich vernachläßigtes Schloß haben.

Auf einem freyen Plätzchen vor der Kirche öffnet sich eine schöne Aussicht, einerseits in das Thal hinunter, anderseits über die Landschaft, welche den Anblick eines Knäuels von Hügeln, einzelne mit Städtchen gekrönt, darbietet. Ein junger Geistlicher trat mit jener milden italienischen Freundlichkeit zu uns hin, die einen so wohlthuenden Eindruck zurückläßt. Er führte uns in die Kirche, theilte uns Nachrichten über das Städtchen mit und nannte uns die vorzüglichsten Puncte der Fernsicht, auf denen das Auge ruhte. – Bei einbrechender Dämmerung mischte sich in das Geläute von dem Kloster über der Osteria das Krachen der Böller von der jenseitigen Höhe. Die Kirche des Städtchens feyerte am folgenden Tage ein Particularfest.

In dem hinter Valmontone fortlaufenden Thal sieht man, was in Italien selten, einige Ruinen von Burgen. Die erste, auf mässiger Höhe über einem Weiler, zeigt noch crenelirte Mauern, die in ziemlicher Strecke über den Hügelsaum sich zogen. Es könnten die Trümmer des Castells Montefortino sevn, einst Eigenthum der römischen Montfortini. Weiterhin, wo das Thal sich öffnet, sieht man zwei zerfallene Burgen mit dachlosen Thürmen, wie man sie in Deutschland häufig findet. Es gieng mir hier, wie mit der Gegend um St. Maria dei Angeli, sie war mir geschichtlich bekannt und hatte daher mehr Anziehendes[532] für mich. Nicht weit von Valmontone, rechts ab von der Straße, erhob sich von seinem Hügel das Städtchen Segni, von welchem Innocenzens Geschlecht den Beinamen führte – Commites Signini, einst Vaterstadt Papst Vitalians, der dem Kirchengesang eine Vorschrift gab und die Orgeln verbessert haben soll. Bald hernach blickte ich nach Anagni hinauf, wo Innocenz geboren worden, und sein Geschlecht bis zu dessen Erlöschen zu den sogenannten zwölf Sternen der Stadt gehörte. Fünf Miglien weiter gings nach Ferentino, wo Innocenz in Freundschaft zu dem Bischof so oft weilte; jetzt, was ich beim Durchfahren bemerken konnte, ein jämmerlicher Ort, der, obwohl ein Bischofssitz, bei einer Einwohnerzahl von 8000 Menschen dem Fremden nicht einmal eine Herberge bietet.


Am Morgen des 28. Aprils kam ich in dem freundlichen San-Germano an und bestieg sogleich einen Esel, um nach Monte-Cassino hinauszureiten, wo ich schon lange angekündigt und erwartet war. Es ist ein überraschender Anblick, wenn man durch den langen düstern Thorweg dieses Stammhauses der Benedictiner und ihrer zahlreichen Aeste voranschreitet in den ersten Hof, vor die großartige Treppe, die in den zweiten Hof zum Eingang in die Kirche führt. Ein Geistlicher, der eben hinaustrat, ahnte, wer ich wäre, und führte mich, altem Benedictiner Brauch gemäß, zuerst in die Kirche und aus dieser in die anstossende Bibliothek, wo die Anwesenheit mehrerer Bewohner des Klosters schon einen günstigen Eindruck auf mich machte, denn es war daraus wahrzunehmen, was dann bald darauf in dem Umgange sich bestätigte, daß die jetzigen Cassinenser, wenn sie auch an zeitlichem Besitz eine nie herzustellende Einbusse erlitten haben, wenigstens den alten wissenschaftlichen Ruf des Ordens und des Hauses wieder zu verjüngen sich bestreben.[533]

Die wesentlichste Anregung hiezu verdanken sie dem am 10. Juni des vorhergehenden Jahres im Alter von 80 Jahren verstorbenen Archivar Ottavio Fraja Frangipane, einem Mann, dessen Name bei allen Gelehrten Europa's mit demjenigen von Monte-Cassino unzertrennlich sich verbindet. Derselbe stammte aus einem achtenswerthen Geschlechte zu Puzzuoli und trug, weil er zur Erziehung nach Monte-Conssino gesendet worden, gleichsamt von Kindesbeinen an das Gewand des heiligen Benedicts. Schon am 20. Sept. 1779, da er eben das 17te Jahr angetreten, legte er das Ordensgelübde ab. Von dieser Zeit bis zum letzten Lebenshauch schmückten ihn alle Tugenden des Christen und des Religiosen. Noch als Novize kam er bisweilen mit andern Conventualen in das Archiv, dessen berühmter Vorsteher, Giambattisto Federici, ihnen die schönen Miniaturen der Handschriften zeigte, die aber Ottavio weniger lockten, als diese selbst, so daß er, wo es ihm immer möglich ward, aus dem Kreise seiner Mitbrüder sich hinausstahl, um im Lesen der Schriftzüge sich zu üben. In kurzem hatte er es bereits dahin gebracht, die Stelle eines Codex aus dem IX Jahrhundert, deren Entzifferung selbst der so kundige Camillo Pellegrini in seiner Historia Principum Langobardorum aufgegeben hatte, fertig lesen zu können. Fortan boten auch die ältesten Pergamente der Abtei seinem geübten Blick keine Schwierigkeiten mehr dar. Das Kloster verdankte seinem unverdrossenen Fleiß, unter Federici's Mitwirken, einen diplomatischen Coder in 13 Bänden, einen reichen Nachtrag von lateinischen Wörtern des Mittelalters zu Du Cange's Glossar, viele Berichtigungen zu Ughelli's Italia Sacra (die jetzt zu zwei Banden angewachsen sind) und geschichtliche Denkwürdigkeiten über die vornehmsten Besitzungen der Abtei.

Unter der kummervollen Zeit der Fremdherrschaft, welche die Abtei in eine Anstalt (Stabilimento) verwandelte, aber doch die Religiosen beisammen ließ, vollendete Ottavio das von seinem Vorfahren begonnene Repertorium über das gesammte Archiv, jedoch nicht als mechanische, sondern als wissenschaftliche[534] Arbeit, besonders mit wichtigen Andeutungen in Beziehung auf Palaeographie ausgestattet. Seinem sorgfältigen Durchforschen des cassinensischen Handschriften-Schatzes verdankt man die Auffindung von 10 Reden des heiligen Augustins, welche dem sonst so sorgfältigen Nachspüren der Mauriner entgangen sind. Frangipane hat sie im Jahr 1819 zu Rom herausgegeben. Der Beifall, den er hiefür erntete, veranlaßte ihn, noch Mehreres aufzusuchen; nicht ohne Erfolg; denn er war so glücklich, den Nachträgen zu den Werken des Bischofs von Hippo, welche von den Canonikern Caillau und Saint-Zoes im Jahr 1836 zu Paris herausgegeben wurden, werthvollen Zuwachs zu verschaffen. Ausser diesen Ueberresten entdeckte er den sechsten Brief des karthaginensischen Diakons Ferrand, des Schülers des heil. Fulgentius, woron Gallandi in seiner Bibliothek der Vater nur ein kleines Bruchstück veröffentlichen konnte. Als Widerlegung der Arianer ist dieser Fund von hoher Wichtigkeit.

Dabei stand Frangipane in brieflichem Verkehr nicht allein mit allen Gelehrten Italiens, wie den Cardinälen Zurla, May, den berühmten Geschichtsforschern Pompeo Litta in Mailand und Carl Troja in Neapel und vielen Andern, sondern auch mit denjenigen der meisten übrigen Länder; unter den Deutschen mit Niebuhr, Blume, Pertz, Schulz, dann dem Dänen Estrup u. A. Zu den verschiedenartigsten Zwecken wurde er um Auskunft, Unterstützung, Mitwirken angegangen, immer bereit, aus den Schätzen der cassinenischen Handschriften mitzutheilen, was verlangt wurde, oder was er auffinden konnte, oder was ihm wichtig schien. – Hiefür liegt in den zahlreichen Briefen, die er empfangen, eine Fülle von Zeugnissen; übereinstimmende ertheilten ihm diejenigen, welche je selbst zu Monte-Cassino einsprachen. Man darf hierüber nur lesen, was Pertz in dem fünften Band des Archivs für ältere deutsche Geschichtskunde und Blume in dem Prodromus corporis juris civilis sagen.

Dabei zierten den für seinen Beruf und die Wissenschaft[535] lebenden Mann Demuth und Bescheidenheit. »Alles zur Ehre Gottes und des heil. Benedicts«, waren gewöhnlich die Worte, mit denen er die seinen Verdiensten gewidmeten Lobsprüche von sich abwendete. Unter wie glänzenden Anerbietungen er in verschiedene Städte gezogen werden sollte, die bescheidene Stellung in seinem geliebten Monte-Cassino hatte allein Werth für ihn. Wollte man aber meinen, es wäre ihm vergönnt gewesen, in freyer Musse alle seine Zeit auf jene Lieblingsstudien zu verwenden, so würde man sehr irren. In seinen frühern Jahren war ihm auch die Verwaltung des Klosters übertragen, welcher er nicht minder förderlich war, als dem Archiv. Ferner hatte er die Novizen im Gregorianischen Gesang, als dessen gründlicher Kenner, zu unterrichten. Bei zwanzig Jahren verwaltete er das beschwerliche und zeitraubende Amt eines apostolischen Pönitentiars an der cassinensischen Basilica, wo täglich nicht allein aus der Nachbarschaft, sondern aus weiter Ferne viele Beichtende ihn angiengen. Neben diesem Allem richtete er sein Augenmerk darauf, für das Archiv einen tüchtigen Nachfolger anzuziehen. Es ist der 14. Sebastian Kalefati. Ottavio Fraja Frangipane starb, wie er gelebt hatte, heiter, fromm, gottergeben bis zum letzen Athemzug.

Man wird von mir keine Nachrichten über die Schätze der Handschriften-Sammlung, über andere Merkwürdigkeiten erwarten, welche Monte-Cassino noch jetzt in sich vereinigt. Andere haben dieses besser beschrieben, als bei kurzem Aufenthalt es mir möglich wäre. Jene silbernen Inschriften an den alten Bronzethüren, die vornehmsten Besitzungen der Abtey in der ältesten Zeit aufzählend, sind vielleicht das einzige Document dieser Art, was irgendwo gefunden wird. Für das südliche Italien eine Seltenheit ist die große, ausgezeichnete Orgel. An innerer Pracht, an dem Reichthum der mannigfaltigsten Marmorarten, an kunstverständiger Verwendung derselben steht der Kirche von Monte-Cassino nur diejenige der Cartause von Pavia zur Seite. Aber wie in dieser, so ist auch in jener die prachtvolle Sacristei ihrer ehemaligen Schätze entblößt. Die[536] Franzosen haben den ganzen Vorrath theils kostbarer, theils kunstreicher, dann durch Alterthumt und Arbeit unschätzbarer Priestergewänder in der Sacristei selbst auf einen Haufen geworfen und angezündet, um der hineingewirkten edeln Metalle schneller habhaft zu werden. Einer, der nachher die Asche sammelte, erhielt aus dieser noch Goldkörnchen für den Werth von fünfzig Ducaten.

Es war am 30. Dec. 1798, daß ein Hause Franzosen in San-Germano einzog und in dem Palast der Abtei die schauderhafteste Wirthschaft trieb, worauf General Championet am Neujahrstag 1799 den Vorschlag eines Waffenstillstandes mit General Mack rund von der Hand wies. Sobald der Unterhändler sich entfernt hatte, ließ Jener den hochbetagten Abt vor sich schleppen und gab einen Befehl des französischen Directoriums vor, welchem gemäß in drei Stunden 100,000 Ducaten müßten bezahlt seyn, oder der Abt erschossen, das Kloster zerstört werden. Das hieß Unmögliches verlangen, daher der Abt und die Ordensbrüder sich zum Tode bereiteten. Einige greise Religiosen versuchten es indeß, den Wütherich milder zu stimmen; statt dessen gerieth er in solchen Zorn, daß er ohne Scheu vor dem Alter sie zum Zimmer hinausstieß. Um den Ungestüm einigermaßen zu mildern und wenigstens das Leben des Abts zu retten, wanderte aus dem Kirchenschatz der Rest des vorhandenen Silbers (vieles war vorher schon zum Besten des Königs und des Reichs hingegeben worden), Kreuze, Rauchfässer, zwei große Bilder von St. Benedict nach San Germano herab; auch eine heilige Familie von Raphael mußte in die ruchlosen Hände des Räubers übergehen. Mit allem dem waren nicht mehr als 30,000 Ducaten zusammenzubringen, Championet hiemit nicht befriedigt, so daß er den Abt mit vorgehaltener Pistole zu Unterzeichnung eines Wechsels von ungeheurem Belang nöthigte. Nachdem seine Soldaten den Palast der Abtei noch geplündert, zog der Franzose dem General Mack entgegen. Unmittelbar nach seinen Vorrücken versammelte sich der Pöbel von San-Germano, richtete einen[537] Freiheitsbaum auf, verkündete die Republik und eignete sich als ersten Act der volksthümlichen Gewalt einige Mühlen der Abtei an.

Aber frei solches Schwindels erhob sich das übrige neapolitanische Volk und trat muthig und mit glücklichem Erfolg den Franzosen entgegen. Das mußte nutürlich das Werk des alten, zitternden, streng bewachten Abts seyn. Championet schrieb ihm von Capua: »Ich bin davon unterrichtet, wie Sie, Herr Abt, unter den Bewohnern jener Gegend den Aufruhr nähren. Wissen Sie, daß Sie den ersten Unfug, den ersten Mord, der dort begangen wird, mit Ihrem Kopf werden bezahlen müssen. Christenthum und Gottesfurcht legen Ihnen die Pflicht auf, zum Wohl des Menschengeschlechts zu predigen. Sollten Sie den treulosen Charakter ihrer Secte bewähren, nicht als Freund eines Volkes sich erweisen, das dem Verderben entgegenrennen will, so zittern Sie.« – Zudem wurde der Abt genöthigt, in einem Hirtenbrief seine geistlichen Untergebenen zu ermahmen, der Waffengewalt sich zu enthalten, die fremden Herren zu ehren. Ein Armeebefehl war beigefügt, Niederbrennen aller Ortschaften drohend, deren Bewohner nicht der Republik sich anschtiessen würden. Die Unterthanen der Abtei blieben zwar ruhig, bezeugten aber ihre wankellose Treue gegen dieselbe, ihren Kummer über die erlittenen Bedrängnisse erboten sich zur Aufnahme des Abts und der Religiosen, nothigen Falls zu deren Vertheidigung.

Die parthenopäische Republik war eine Ephemeride. Am 9. Mai verkündete das Licht von tausend Fakeln im San-Germano Ruffo's Siege, die Flucht der Franzosen. Schon am folgenden Tag erschienen diese in der Nähe von San-Germano. Die sogenannten Vertheidiger des Königs ergriffen die Flucht, und die angsterfüllten Bewohner der Stadt suchten Sicherheit in den Gebirgen; die Religiosen von Monte-Cassino wandten sich wieder ihrem Kloster zu, Niemand blieb in der Stadt zurück als der Abt und drei der Brüder, welche, alt und schwach, wie er, nicht zu entrinnen vermochten.[538]

Im Kloster herrschte unbeschreibliche Bestürzung, vermehrt, als aus dem Thal hinauf der Kanonendonner dröhnte. Wer es vermochte, schickte sich zur Flucht an, ergriff aus der Kirche, was an Reliquien oder andern Kostbarkeiten ihm sich darbot, und machte sich auf die einsamsten Fußsteige, überzeugt, die Mauern des Vaterhauses nicht mehr zu sehen. Nur ein betagter Ordensbruder, der Novizenmeister mit seinen Zöglingen und ein Einziger der jüngern Conventualen blieben in dem verlassenen Kloster. Friedrich Gattola, so hieß der Greis, vermochte durch das Ansehen seines Alters die Furcht der Zugebliebenen zu besiegen und sie zu festigen, im Vertrauen auf Gott dem Tod zu trotzen, um, so es möglich wäre, das Schlimmste abzuwenden.

Waffenschimmer und Schüsse kündigten den Brüdern die Nähe der schäumenden Wütheriche an. Sie empfahlen ihre Seelen Gott, öffneten die Thore, und sahen in kurzem achtzig französische Soldaten mit gezückten Schwertern (weil sie einen Hinterhalt fürchteten) unter fürchterlichem Gebrüll durch den Thorweg des Klosters hineinziehen. Die Ordensbrüder bemühten sich, dieselben zu beruhigen: es seye hier kein Versteck zu besorgen; aber knirschend vor Grimm drangen sie ein, in der Absicht, nicht allein zu plündern, sondern zu zerstören. Keine Stelle war so verborgen, in die sie nicht, geflüchteten Schätzen nachspürend, einbrachen; keine Mauer konnte sie hemmen; mit Waffen und, Fackeln bahnten sie sich den Weg, verwüstend, u. nichts zu rauben war. Es war, als folgten die paar wehrlosen Mönche einer Rotte Teufeln, hier die Hand der Wildern durch Bitten von Brand zurückhaltend, dort mit Flehen die Führer beschwörend, sie möchten doch manches Kostbare gegen Zerstörung sichern, von dem französischen Namen das unaustilgbare Brandmal abwenden, im 19ten Jahrhundert die gräßlichen Rasereyen der Saracenen des achten wiederholt zu haben. Vorzüglich wendete sich die Obsorge der Mönche der Bibliothek, dem Archiv und der Kirche zu, die Wuth der Franzosen aber vorzüglich gegen diese; manches Buch wurde zerrissen, nachher[539] zur Nahrung des Feuers verwendet. Die eisernen Thüren des Arvichs ließen vermuthen, dieser Raum besonders möchte Schätze bergen. Sie sprengten die Thüren auf, drangen beutegierig hinein. Da bat sie der junge Heinrich Gattola, der zuvor den alten Schriften viele Zeit und Sorge gewidmet, kniefällig, sie möchten diese, ihnen selbst nutzlose Kostbarkeiten schonen. Ein Säbelhieb in den Nacken war die Antwort. Lautlos und ohne Klage zog der demüthige Ordensbruder sich zurück, und wollte, in Besorgniß, dem Rohen schaden zu können, einem fragenden Officier nicht einmal die Ursache seines Blutens offenbaren. Tobend in vereitelter Hoffnung, warfen sie die Schriften unter einander, verschleppten sie bis hinaus in die Gärten, verwendeten sie, um Speisen darein zu wickeln; von den Urkunden rissen sie die Siegel ab, manche Handschrift gieng in Stücken, Vieles wurde zuletzt mitten im Archiv dem Feuer geopfert, und unter steter Todesgefahr dankten die Religiosen der göttlichen Vorsehung, daß nicht das ganze Kloster in den Flammen aufgieng.

Gräßlicher hausten die Ungethüme in der Kirche. Das Tabernakel wurde mit dem Degengriff aufgesprengt, die Hostienbüchse herausgerissen, in der Sacristei das Silber von den Reliquien weggeschlagen, diese fortgeschmissen, der Chrisam, des wenigen edlen Metalls an den Gefässen wegen, ausgeschüttet. Wie sie mit den heiligen Gewändern verfuhren, habe ich oben berührt. Unter diesen befand sich der Mantel, welchen einst der grosse Feldherr Consalvo bei seinem triumphirenden Einzug in Neapel getragen, nachher dem heiligen Benedict gewidmet hatte. Ihn traf das gleiche Loos der Zerstörung mit allem Uebrigen. Dem Raub ließen die Ruchlosen den Hohn vorangehen; sie bekleideten sich mit den Meßgewändern, den Rauchmänteln, nahmen Wachskerzen in die Hand, zogen processionsweise zur unterirdischen Kirche hinab, und sangen dort im Psalmenton die Marseillaise, hierauf Hurengesänge, und brachen zwischenein in ein gellendes Gelächter aus; dazu hatten sie noch Lastthiere, Esel, welche den Raub forttragen sollten, in die[540] Kirche gebracht. Nachdem die heiligen Gewänder verbrannt waren, wollten sie noch die kostbare Orgel zusammenbrechen. Doch hieran wurden sie von ihren, durch die Bitten der Mönche erweichten, Häuptlingen gehindert.

Noch waren sie des Plünderns und des Verwüstens nicht satt, als der späte Abend anbrach. Aus den ausgehobenen Thüren und herbeigeschleppten Büchern zündeten sie in den Schlafsälen und selbst in der Bibliothek Feuer an und brieten Fleisch darüber. Thiere wurden geschlachtet, Wein herbeige schleppt, ein Unwesen getrieben, wie es von den Wilden eines andern Welttheils nicht ärger hätte geschehen können. Mitten unter diesen Horden bewegten sich die wenigen Mönche in unablässiger Wachsamkeit, daß das Feuer nicht um sich greise; wohin sie aber den Blick wendeten, sahen sie Pergamente, Bücher, Stücke von Kirchengeräthe in den Flammen prasseln. Mit Tagesanbruch endlich zogen die Scheusale aus den nackten Mauern ab. Ueberall konnten die bekümmerten Klosterbrüder auf angebrannte Bücher, rauchende Stoffe, halbversengte Fleischstücke treten. Kaum aber die Franzosen von dannen gewichen waren, stürzte sich, Geyern gleich, der Abschaum der Kreuzstrassen in das Kloster und warf, um es mitschleppen zu können, was sich noch vorfand, zu den Fenstern hinaus. Von San. Germano gesehen glich in jener Nacht das Kloster einer unermeßlichen Feueresse, und von oben herab sah man die ganze Nacht hindurch die Kanonen um die Stadt blitzen. Hier wurde noch Scheußlicheres verübt, als oben in der Einsamkeit des Berges. Mit der Stadt gieng auch der Abbatial-Palast beinahe ganz in Feuer auf.

Bis Joseph Bonaparte im Jahr 1805 in Neapel einbrach, verfloß allzukurze Zeit, als daß Monte-Cassino von den Unfällen jener Gräuelstage sich hätte erholen können. Zwar nahm der Eroberer den Abt wohlwollend auf und sagte ihm beim Weggehen mit pathetischem Lächeln: »Widerfährt Ihnen je Etwas, so schreiben Sie nur geraden Weges an mich, immer werde ich Ihnen zu Diensten stehen.« Aber ebenso pathetisch[541] war bald nachher die Proclamation des zum König von Neapel verwandelten Großwählers, durch die er sämmtliche Klöster schloß und ihr Vermögen dem Staatsschatz zuwies. Doch sollten die Bibliotheken und Archive von Monte-Cassino, Cava und Monte-Vergine an ihren Orten bleiben und an dem erstern durch 50, an den andern beiden durch je 25 Religiosen besorgt werden; das Ordensgewand jedoch mußten sie ablegen, ihrer Güter waren sie beraubt worden. Trotz dessen beobachteten die Zurückgebliebenen die Regel und die gottesdienstlichen Zeiten, wie vorher. Dafür wurden sie von Uebelwollenden verdächtigt, verläumdet, durch Soldaten bewacht, mit denen sie ihren kärglichen Lebensunterhalt noch theilen mußten. Mit Murat kehrte eine etwas mildere Zeit zurück und er erwies sich stetsfort geneigt, allen dringlichern Bedürfnissen abzuhelfen.

Durch das Concordat zwischen Pius VII und König Ferdinand wurde Monte-Cassino hergestellt; aber an die Stelle des vormaligen reichen Besitzes trat jetzt eine jährliche Anweisung auf den königlichen Schatz. Nicht allein das Vermögen war dahin, nicht allein die Zahl der Religiosen war verringert, auch die moralische Bedeutung des Ordensstandes war erschüttert. Und nochmals drohte Untergang im Jahr 1820 durch die Schwätzer, welche für kurze Zeit die öffentliche Gewalt an sich gerissen hatten und das Land in einen ersprießlichern Zustand hineinzureden sich vermaßen. Es war aber gar zu wenig zu erhaschen, und zudem wurde ihnen das Handwerk des Reichsnens bald genug gelegt; Beides diente der Abtei zum Schirm. Jetzt wohnen bei zwanzig Religiosen in dem schönen Bau, fünfzehn Knaben werden dort erzogen, das Seminar des Cassinensischen Sprengels, etwa sechszig Jünglinge, steht unter Leitung der dortigen Benedictiner, und in der Kirche findet Jedermann stets den Beichtstuhl offen. Zugleich aber ist in dem Kloster ein reges wissenschaftliches Leben erwacht; eine Buchdruckerei ist angeschafft worden, und es ist nicht zu zweifeln, daß in der Folge die gelehrte Welt mehr als einer werthvollen Gabe von daher sich wird zu erfreuen haben. Fundamentalwerke der Geschichte[542] und aller mit ihr verwandten Wissenschaften können doch nur durch das vereinte Bemühen solcher Congregationen zu Stande gebracht werden.


Der Prior des Klosters (der jetzige Abt hält sich immer in San. Germano auf, wo er einen eignen Palast besitzt), dessen Geschichtschreiber, der gelehrte Luigi Tosti, der Bibliothekar und ich fassen des Abends in traulichem Kreise beisammen. P. Luigi lenkte das Gespräch auf die Geschichte Innocenzens des Dritten, absichtlich voraussetzend, ich gehöre der katholischen Kirche an. Wiewohl ich damals nahe daran stand, anzuklopfen, ob mir würde aufgethan werden, hätte ich doch durchaus nicht Etwas scheinen wollen, was ich im eigentlichen Sinne noch nicht war, und erklärte daher alsbald: er stehe im Irrthum, wenn er mich für einen Angehörigen der katholischen Kirche halte. Er machte dessen kein Hehl, daß es ihm nur darum zu thun gewesen seye, dieses Capitel zu berühren, denn er knüpfte hieran die Bemerkung: aus meiner Geschichte lasse sich entnehmen, daß ich die Kirche für dasjenige an erkenne, was sie seye; nothwendig aber sollte dieses einen Jeden, der bereite so weit gekommen wäre, dahin führen, mit derselben sich zu vereinigen, dafern er nicht in Widerspruch mit sich selbst fallen und einer Inconsequenz sich schuldig machen wolle. Denn die Wahrheit einerseits erkennen, anderseits aber nicht bekennen, seye die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist, müsse unvermeidlich in's Verderben stürzen, so anders der Mensch die Offenbarung nicht für eine blosse Schulmeinung halte, welcher er nach Gutfinden beipflichten möge oder nicht.

Ich bemerkte ihm hierauf etwas ausweichend: der Mensch könne die Institution der Kirche hoch stellen, wie wirklich von mir geschähe; er könne an den Vorschriften der Kirche und an den Lehren derselben Vieles finden, was ihm zusage; hiemit[543] aber seye noch nicht erwiesen, daß gerade Alles genugsam ihm einleuchte, daß er unbedingt Alles annehmen könne. Auch seye der Wunsch, daß Einer, der der Kirche nicht angehöre, und ebensowenig derselben aus Unwissenheit oder blindem Vorurtheil abgeneigt seye, in deren Schooß zurückkehren möchte, bälder ausgesprochen, als erfüllt. Er natürlich von seinem Standpunct stelle sich dieses weit leichter vor, als es in der Realität seye. Niemand könne ja wissen, welche äussern Hindernisse einem solchen Schritte entgegenstünden, ja vielleicht denselben sogar unmöglich machten. Um von Anderem nicht zu sprechen, so waren doch die ehelichen und elterlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Ob er denn glaube, daß hier keine Pflichten in Anschlag zu bringen seyen; daß eine Conversion von grossem Segen begleitet seyn könnte, wenn sie Unfriede und Hader zur Folge haben würde? Ob die Zukunft der Kinder nicht ins Auge zu fassen wäre? Ueberhaupt erfordere ein derartiger Entschluß lange, ruhige und ernste Ueberlegung, er könne unmöglich zu denjenigen gehören, die gleichsam im Stegreif sich fassen liessen.

Die Einen pflichteten mir bei, und sprachen dabei die Hoffnung aus, daß ich hinsichtlich der ersten Schwierigkeit wohl noch würde erleuchtet, jede von aussen entgegenstehende durch Gottes Gnade hinweggeräumt werden. Aber P. Tosti hatte Lust, die freundschaftliche Controverse fortzusetzen. In Betreff der ersten Einwendung, meinte er, liesse sich wohl Rath schaffen, jeder Zweifel leicht sich lösen; denjenigen, welcher in Erkenntniß der Wahrheit schon so weit vorgerückt seye, wie ich es zu seyn scheine, vollends zu unterrichten, könne nicht schwer fallen. Die andere Einwendung verdiene allerdings Berücksichtigung, dürfe aber durchaus nicht zum unbedingten Abhaltungsgrund werden. Denn in Sachen des Seelenheils bleibe immer der Mensch sich selbst der Nächste, und keine Rücksicht auf Andere dürfe ihn von dem abhalten, was er demselben als zuträglich erkenne und erkennen müsse. Das seye doch klar, daß in der zukünftigen Verantwortung unmöglich der[544] Eine für den Andern einstehen, nicht der Eine die Schuld auf den Andern werfen könne. Sage ja unser Herr selbst, wer nicht stark genug seye, um seinetwillen Vater und Mutter und Weib und Geschwister, Haus und Heimath zu verlassen, der seye seiner nicht werth. Hiemit setze er selbst die Bekenntniß seiner Person über alles Andere hinauf, beseitige hiedurch jede mögliche Einwendung. – Der Entgegnung, daß ja ein ächter Protestant, der durch den aus dem Protestantismus hervorgehenden Unglauben nicht sich belhören lasse, Christum ebenfalls bekenne, und daß ich ihn von jeher als eben denjenigen anerkannt und bekannt hätte, als welcher er in der katholischen Kirche verkündigt und geglaubt werde, folgte die Einwendung: daß aber dieses Bekenntniß folgerichtig auch die Annahme alles dessen in sich schliesse, was Christus sonst angeordnet und zu stäter Beobachtung seiner Kirche übergeben habe; daß daher einzig diese im Besitz aller derjenigen Heils- und Gnadenmittel sich befinde, deren der Mensch, um Christum von Herzensgrund bekennen und alles Vertrauen in ihm setzen zu können, so nothwendig bedürfe.

Wohl, meinte P. Tosti, verdiene diese Angelegenheit das reifliche Nachdenken. Er könne sich aber wohl vorstellen, daß in dem Geräusch und unter den Zerstreuungen Rom ich hiezu so leicht nicht Veranlassung, oder doch die erforderliche Stimmung nicht finden würde. Da ohnedem er sammt seinen Mitbrüdern hoffe, ich würde einige Tage auf Monte-Cassino verweilen, so möchte ich meinen Aufenthalt verlängern, so lange es mir beliebte; hier, in klösterlicher Einsamkeit, würde ich in meinem Nachdenken und in meiner Prüfung durch nichts gestört werden; stiegen über dieses oder jenes Bedenklichkeiten auf, so fehle es nicht an Männern, die mit Bereitwilligkeit mir Aufschlüsse ertheilen, allfällige Zweifel gerne lösen, in jeder Beziehung treue Dienste mir erweisen würden. Anbei lasse sich leicht einsehen, daß meine Rückkehr in die Kirche, dafern sie in Rom erfolgen sollte, Aufsehen erregen, die Kunde bald in alle Länder sich verbreiten müßte, was ich vielleicht eben[545] meiner Verhältnisse wegen eher möchte verhüten wollen. Hier in Monte-Cassino dagegen könnte ich in die Kirche aufgenommen werden, ohne daß irgend Jemand früher etwas davon erführe, als mir selbst zuträglich schiene.


Ich war froh, daß hiemit ein Punct zur Sprache gekommen war, über den ich mich ohne allen Rückhalt nicht allein aussprechen konnte, sondern aussprechen mußte. Ich bemerkte: ob und wo oder wann ich mich als ein Glied der katholischen Kirche erklären könnte oder würde, hierüber wüßte ich vorerst nichts zu sagen; hingegen seye das gewiß, daß ich mich niemals und selbst nicht für einen Augenblick dazu verstehen könnte, es bloß heimlich zu seyn. Allerdings liessen sich besondere Umstände denken, in welchen man eine zeitweilige Verheimlichung mit gutem Gewissen sich erlauben dürfte; nach meiner Meinung könnten dergleichen jedoch nur höchst selten eintreten und küßten immerhin durch ein augenfälliges Gewicht sich rechtfertigen. Beweggründe solcher Art nun wären jedenfalls in Bezug auf meine Person nicht vorhanden. Ueber dasjenige, was in höchster Beziehung dieselbe betreffe, glaube ich Niemand Rechenschaft schuldig zu seyn; deßwegen könnte ich, sobald es sich um das Bekenntniß der erkannten Wahrheit und der vollen Ueberzeugung handle, durch dasjenige, was ausser mir stehe, niemals abgehalten oder zurückgeschreckt werden. Müsse, wie hierüber kein Zweifel zulässig seye, die, ohne alle trübenden Nebenansichten erfolgende Rückkehr eines Nichtkatholischen in den Schooß der Kirche von jedem wahren Glied derselben als eine göttliche Gnadenerweisung, mithin als etwas absolut Gutes angesehen werden, warum dieses vor andern Menschen verheimlichen? Wäre sie das hingegen nicht, wäre eine solche Rückkehr eher etwas Tadelnswerthes, ob sie wohl durch Verheimlichung preiswürdiger werden könnte? Nie in meinem Leben hätte ich anders seyn als scheinen, oder anders scheinen, als seyn wollen.[546]

Nie, auch unter den bedenklichsten Zeitläuften nicht, hätte ich die Stimme der Ueberzeugung zurückgehalten, was ich als wahr und gerecht erkannt, nicht auch als Solches furchtlos verkündet, Ob ich nun in dieser wichtigsten Angelegenheit für Gegenwart und Zukunft zu einem solchen, sonst in allen Vorfällen auf das Entschiedenste zurückgewiesenen Widerspruch zwischen der innern Gesinnung und dem äussern Benehmen mich bequemen sollte? Das wäre mir durchaus unmöglich, mit meinem eigenthümlichsten Wesen unvereinbar. Wer einmal von der ganzen Wahrheit der katholischen Kirche überzeugt wäre, nicht aber hinreichenden Muth besässe, dieselbe unter allen Umständen und selbst bei gewisser Voraussicht von schiefer Beurtheilung, Anfechtung, Widerwärtigkeit und was immer menschliche Beschränktheit und Feindseligkeit ihm bereiten möge, zu bekennen, der könne doch von wahrer Ueberzeugung nicht sprechen, indem jeder Muth von derselben unzertrennlich seye. Wie ferner bei bloß heimlicher Erklärung? Sollte ich die Kirche besuchen, oder nicht? Wenn das Letztere, welchen einstigen Gewinn alsdann die Gemeinschaft mit der Kirche, oder ob wenigstens allen Gewinn, den sie gewährt, dieses mir bringen würde? Wenn das Erstere, ob hiemit die Heimlichkeit beobachtet würde? Wollte deßwegen nachher Jemand mich fragen, wie ich zu der Kirche stünde, ob ich der Wahrheit ausweichen, dieselbe sogar in Abrede stellen dürfte? Wie ich sämmtliche diese Fragen mir selbst beantworten müßte, stehe vor der Hand der Entschluß fest: daß von dem Augenblick an, in welchem ich in die Gemeinschaft der Kirche zurückkehren wollte, ich es nicht im geringsten verhindern würde, daß mit dessen Vollziehung diese alsbald zu Jedermanns Kenntniß gelange. – Diesem mußten Alle ihren Beifall zollen; und da der Augenblick zur Complet gekommen war, nahm unsere freundschaftliche Unterredung mit dem herzlichsten Wunsch ein Ende, daß Gottes Gnade das unverkennbar an mir begonnene Werk zu meinem Heil bald vollführen wolle.

Daran ist nicht zu zweifeln, daß, sobald ich dieß hätte wünschen mögen, meine Rückkehr in die Kirche heimlich hätte[547] geschehen können. Aber weit gewisser ist es, daß ich hiezu niemals mich würde bequemt haben. Auch seit dieselbe erfolgt ist, habe ich unter keinerlei Umständen jemals nur die leiseste Anwandlung eines Wunsches gehabt, daß dieses möchte geschehen seyn; dagegen schwebte es mir oft vor, wie peinlich ein solches Verhältniß am Ende werden müßte. Hätten irgendwelche positive oder negative, immer aber bloß menschliche Berücksichtigungen zu jenem Entschlusse mich bewegen können, da hätte ich zwischenein auftauchender Besorgnisse: leicht dürften in nicht durchaus lautern Absichten Vorwürfe über nicht durchaus lauteres Benehmen einigermaßen begründete Anknüpfspuncte finden, schwerlich mit so ganz heiterem Bewußseyn mich erwehren können. Auch da mag ich jetzt wohl berühren, wie ich im April des Jahres 1841, unmittelbar nach meiner Rücktrittserklärung aus meinen bisherigen Verhältnissen gegen einen Freund mich äusserte. Diesem hatte ein sehr hochgestellter Mann in ** gesagt: wenn ich nur mich entschliessen wollte, zur katholischen Kirche überzutreten, so würde eine höchst zusagende Stellung mir ohne allen Zweifel angeboten weiden. Ich erwiderte: zu solchem Uebertritt könnte ich mich vor der Hand (damals) nicht entschliessen, auf alle Fälle aber wäre ein vorangehendes Anerbieten jener Art das sicherste Mittel, selbst bei entschiedener Neigung mich zurückzuhalten.

Will man es unerklärlich, will man es tadelnswerth finden, daß drei Jahre später, nachdem die volleste Ueberzeugung für mich zur leitenden, bestimmenden, ja zwingenden Macht geworden ist, allfälligen Befürchtungen nicht grösserer Einfluß seye eingeräumt worden, als früher möglichen Hoffnungen; daß die Wahrscheinlichkeit, das Mißfallen der Einen mir zuzuziehen, für mich nicht grösseres Gewicht gehabt habe, als die Gewißheit, das Wohlgefallen vieler Andern mir zu erwerben; daß Rücksichteleyen negativer Art ebensowenig zurückhalten, als Aussichten positiver Art anspornen konnten? So viel ist sicher, daß, wenn ich zu einem bloß heimlichen Anschluß an die Kirche mich hätte verstehen können, es kaum wahrscheinlich gewesen[548] wäre, daß das Geheimniß auf lange Zeit so verwahrt würde geblieben seyn, daß auch nicht die leiseste Ahnung der wahren Thatsache hinausgedrungen wäre aus den Wänden, die dasselbe hätten verschliessen sollen. Würde ich aber hiedurch die katholische Kirche, welche da ist die »Gründveste und der Pfeiler der Wahrheit,« besser geehrt haben, als so; oder stünde ich selbst ehrenvester da, als so, da alsbald Jedermann wissen durfte und sollte, wie es in Beziehung zu derselben mit mir stehe?

Damit ist zugleich die Frage beantwortet: ob überhaupt nicht ein wahres Christenthum denkbar seye, welches alle äussern Formen als zufällig, aufferwesentlich und gleichgültig betrachte und ausschließlich an den Geist sich halte; eine Art eklektisches Christenthumt, welches in seinen Gedanken von der Kirche, so wie von jeder ausserhalb derselben stehenden Partei, annehme, was ihm zusage, anbei das Hauptsächlichste in das sogenannte ehrlich und redlich Handeln setze? Man darf nur erst an der Pforte der Kirche stehen, noch nicht einmal an diese angeklopft, geschweige denn in ihrem Innern selbst nur oberflächlich sich umgesehen haben, um von der Grundverwerflichkeit dieser Meinung aufs vollkommenste sich zu überzeugen. Dieß ist, beim Licht betrachtet, nichts anderes als ein etwas manierlicherer Rationalismus, dessen letzte Consequenzen aber unvermeidlich auf alle die Irrwege führen müssen, auf welchen der ungeschliffenere in die Kreuz und Quere springt. Demnach bliebe es ganz und gar dem subjectiven Gutfinden eines solchen Eklektikers anheimgestellt, was er von allen diesen Parteien, deren in seinen Augen keine im Besitz der vollen Wahrheit stünde, annehmen oder verwerfen wolle. Es mag ihm wohl bequem dünken, ein derartiges Christenthum zu eigenem Hausgebrauch sich zurechtzumachen, ein Kirchlein in sein Gärtchen sich zu bauen, um unter dem Begiessen des Kohls zwischeneln sich zu erholen; aber er vermehrt damit nur die Summe der Individualitäten, die draussen stehen; von denjenigen aber, welche ihre Wahrheit sieghaft damit erweisen zu können glauben, daß[549] sie unablässig einen Hagel von Steinen und Koth gegen die Kirche schleudern, unterscheidet er sich einzig dadurch, daß er einer solchen Beweisführung ruhig zusieht, allenfalls denkt, dieselbe ließe sich in gleicher Berechtigung gegen diejenigen anwenden, welche sich so ernstlich auf dieselbe verlegen. Diese Leute sind im Grunde in Bezug auf das Christenthum eben das, was in Bezug auf die Politik das Juste milieu, nur für jenes ganz natürlicher Gründe wegen nicht so verderblich, wie die Letztern für die bürgerlichen Einrichtungen und die gesellschaftliche Ordnung es sind. Wäre indeß das Christenthum nicht von Gott unmittelbar ausgegangen, stünde es nicht unter seiner unverkennbaren Obhut, würde nicht wesentlich der inwendige Mensch in sein Gebiet gehören, dann allerdings würde ihr Einfluß auf dasselbe ebenfalls ein zerstörender seyn; so aber gleichen sie denjenigen, die wohl mit gutem Willen und in redlichem Gefühl, dessen zu bedürfen, Etwas suchen, demselben aber allerwärts, nur da nicht nachspüren, wo sie es unfehlbar finden müßten; die zwar, wie der heilige Augustinus sagt, emsig nach Gold, dabei nur ihr eigenes Grab sich graben.

Ist die Kirche die Stadt auf dem Berge, die Stadt, die einen Grund hat, dessen Baumeister Gott selbst ist, so einigt sich in ihr Sichtbares und Unsichtbares. Aber es hilft nichts, aus der Niederung entweder zu ihr sich hinaufwimmern, oder gar Bruchstücke derselben in diese hinabseufzen zu wollen. Hier gilt es, mit dem Psalmisten zu rufen: »Sende dein Licht und deine Wahrheit; sie nur können mich hinan und herbei führen auf deinen heiligen Berg und zu deinen Gezelten.« Wie jeder Gläubige, dem Apostel zufolge, ein lebendiger Stein an dem Bau des Hauses Gottes seyn soll, so kann er dieses einzig dadurch werden, daß er an denselben angefügt wird; er muß also durch die Gehülfen jenes Baumeisters hinauf sich tragen lassen; hiemit muß die Eigenschaft der Stadt auf dem Berge, das Unverborgenseyn, ihrem vollen Wesen nach in ihn ebenfalls übergehen. Im Thal bleiben und bloß zuweilen einen freundlichen Blick hinaufsenden zu wollen, hilft nichts.[550]

Uebrigens hielt eben jener Grundsatz: nicht den äussern Anschein mir beilegen zu wollen, indeß das volle Gepräge des Wesens noch mangle, mich von jedem Besuch der katholische Kirche zurück. Seit dem 19. März 1841 hätte ich volle Freiheit gehabt, in dieser mich einzufinden. Es wird aber Niemand sagen können, daß er je in derselben mich erblickt habe, als einzig bei zwei Gelegenheiten, bei welchen jedoch der Beweggrund nicht in der Kirche, sondern in persönlichen Beziehungen lag. Das eine Mal bei dem Trauergottesdienst für einen Sohn meines Freundes, des Grafen von Enzenberg, das andere Mal bei demjenigen für diesen selbst. Welchen Beweggrund hiezu, um ihn dem allein wahren und gültigen gegenüberzufiellen, man immerhin herausklügeln möchte, ein anderer waltete nicht ob, als derjenige: in den Augen der Katholiken nicht für einen der Ihrigen angesehen zu werden, indeß ich es dem wahren Wesen nach doch nicht war; und ebensowenig auf der andern Seite zu der nicht minder irrigen Vermuthung Veranlassung zu geben, als besuchte ich diese Kirche vielleicht gar aus Mißstimmung über Widerfahrenes; womit nach meiner Ueberzeugung der Weg zur Kirche unerläßlich zum Weg des Verderbens werden müßte. Doch bin ich fest versichert, daß ein Besuch, dessen Beweggrund in ein Zwielicht sich gehüllt hätte, ungleich weniger Groll würde veranlaßt haben, als nachher, wo derselbe nicht mehr (in eigener Unklarheit Ergrimmter) einem unklaren Verhältniß konnte nachgesehen werden, sondern wo Bedürfniß, Recht und Pflicht denselben offen ankündigten, mit gebieterischer Macht dessen Anerkennung forderten.

Schon war in Rom die Reisegesellschaft nach Neapel gefunden, der Vertrag mit dem Vetturin bereits geschlossen, der Tag der Abfahrt festgesetzt, als die Fürstin Wolkonski mir bemerkte: »Sie kommen zur günstigen Stunde nach Neapel,[551] Sie werden das Blut des heiligen Januarius sehen, versäumen Sie doch nicht dieses Wunder.« – Nun von dem Blut des heiligen Januarius hatte ich schon viel gelesen, und ebensoviel von allen den Manipulationen, welche angewendet würden, um es zum Fliessen zu bringen. Daß es noch zu anderer Zeit gezeigt werde, als während der Octave seines Festes, im September, das wußte ich nicht. Die Nachricht der Fürstin war mir daher sehr erwünscht. Ich gieng somit, wie ich es nachher Jedermann erklärt hatte, nach Neapel, in Bezug auf diese Sache ohne Glauben und ohne Unglauben, aber doch in der Erwartung, irgend einer versteckten Vorkehrung zu begegnen, welche auch der genauesten Beobachtung sich zu entziehen wisse. Vorherrschend war allerdings der Wille, zu sehen, zu beobachten, und zwar, so es immer möglich wäre, genau zu sehen, dabei vorgefaßte Meinung möglichst ferne zu halten. Stand hier die lange Erfahrung, so stand dort das Zeugniß so mancher Reisebeschreiber, beide gegenseitig sich aufwägend. Jedenfalls konnte ich mich am wenigsten von der Vermuthung losmachen, die Sache in ein solches Helldunkel gehüllt zu finden, unter welchem dieselbe, bei allen zufällig darüber ziehenden Streiflichtern, immer noch in hergebrachtem Ansehen erhalten, demnach in vollkommen gleicher Berechtigung mit dem Glauben auch der Zweifel könnte geltend gemacht werden.

Es war Samstag Nachmittags, den 4. May, als das Blut des heiligen Januarius in grosser Procession aus dem Dom nach der Kirche von St. Clara begleitet wurde, wohin schon am Vormittag das Haupt des Heiligen gebracht worden war. Bei den Empfehlungen, womit ich versehen war, und den Verwendungen meines Freundes und Landsmannes, des Hrn. Abbo Eichholzer, fiel es nicht schwer, innerhalb der Schranken um den Hochaltar meinen Platz zu erhalten. Zunächst, aber ausserhalb derselben, fanden sich zwei Bänke, mit Weibern aus der untern Volksklasse angefüllt, welche in gellendem Ton aus voller Kehle unablässig schrieen. Wie widerwärtig anfangs die Sache mir schien, so überzeugte ich mich doch bald, daß sie mit[552] dem Ave Maria, mit dem Vater Unser, der Lauretanischen Litanei und ähnlichen Gebeten wechselten. Es waren diejenigen welche als Abstämmlinge von der Amme des heiligen Januarius, oder, wie Andere sagen, aus seinem Geschlechte selbst, seit unfürdenklichen Zeiten diesen Ehrenplatz und das Ehrenrecht des schreienden Gebets inne haben, und hierauf ebenso stolz sind, als ein Adelicher auf seine Ahnen, Titel und Befugnisse; daher sie auch jenes Recht mit gleicher Sorgfalt auf ihre Nachkommen zu verpflanzen beflissen sind. Gewiß kostet es nicht die geringste Anstrengung des Verstandes, darüber zu lachen, daß die Betreffenden auf diesen Vorzug so großen Werth setzen, daß derselbe nur an Lazaroniweiber sich knüpft, daß sie dennoch viel darauf sich zu gute thun, ungeachtet er nicht mit dem Besitz materieller Güter verkünden ist; ungeachtet er sich nicht, wie der Gewinn eines Fabrikherrn oder die Procente einer Eisenbahn, in Zahlen darstellen läßt; ungeachtet er durch keine äussern Ehrenzeichen sich bemerklich macht; ungeachtet er nur auf die Kirche sich beschränkt, nur auf einen kirchlichen Glauben (oder meinethalb Wahn) sich stützt. Meinem Gefühle nach liegt etwas Rührendes in dieser innern Herzensfreude armer Weiber, ihre Herkunft von einer Person ableiten zu können, die in uralter Vorzeit in so naher Beziehung zu demjenigen sich befunden, der erst einer Gegend geistlicher Wohlthäter, hierauf todverachtender Zeuge des Glaubens, sodann Vermittler der höchsten Gnaden Gottes, endlich Gegenstand der Verehrung des ganzen Landes geworden ist. Der nüchterne Verstand kann hier Abhandlungen denken, reden und schreiben; der flache Spott mag hier für schaale Witze seinen wohlgedüngten Boden finden; das Gemüth wird diesem, in höherer Beziehung zuletzt gleichgültigen Gebrauch immer ein anziehende Seite abgewinnen.

Es mag draussen Dämmerung gewesen seyn, als das Glockengeläute das Herannahen der Procession in die lichtstrahlende, menschenvolle Kirche ankündigte. Die lebensgrossen silbernen oder reichvergoldeten, auch wohl mit Edelgesteinen besetzten Brustbilder von sechsundvierzig Heiligen zogen voran, vorüber[553] dem Hochaltar, auf welchem die Ueberreste des Blutzeugen und Landesvertreters in sein, von Diamanten, Smaragden und ähnlichen Edelgesteinen funkelndes Brustbild eingeschlossen standen. Jeder der sich nahenden Heiligen wurde von den Weibern mit einem Gebet begrüßt und, je nachdem derselbe ihrem Herzen näher stand, ward das Schreyen lauter und gellender, hatte es förmlich den Ausdruck, als wollten sie das Himmelreich mit Gewalt und Ungestüm an sich reissen. Aber auch hier bot sich mir alsbald die Bemerkung wieder dar, wie grundlos die Anschuldigung seye, als würde über den Geschöpfen der Schöpfer, über den Erlösten der Erlöser, über den Heiligen der Quell der Heiligkeit vergessen; denn jedem, den Heiligen gebrachten Lebehoch (als solches klang die Begrüßung) und dem Ora pro nobis folgte immer das Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto. Also auch hier dem Heiligen die Anerkennung, dem Dreimaleinen allein die Ehre!

Endlich kam, in eine Art Monstranz eingefügt, das Flaschchen mit dem Blut und wurde auf die Epistelseite des Altars gestellt. Ich drängte mich diesem so nahe als möglich, und fand zwischen schaulustigen Gesichtern und foppenden Bocksbärten noch Raums genug, um den ganzen Hergang mit der genauesten Aufmerksamkeit zu beobachten. Anfangs wollte es mir als tadelnswerthe Nichtachtung des Schicklichkeitsgefühls vorkommen, daß eine Handlung, die – wenigstens nach neapolitanisch-kirchlichen Begriffen – eine eminent religiöse seyn sollte, unter einem solchen, bis zu den obersten Stufen des Altars und dicht an die Seite des Priesters sich vordrängenden Gehäufe von Neugierigen und gewiß auch Frivolen sollte vorgenommen werden. Nachher aber ward es mir klar, daß die Möglichkeit, den Vorgang mit der größten Genauigkeit, ohne alle Rücksicht auf Gesinnung und Zweck der Nahestehenden beobachten zu können, nicht nur nicht sollte beschränkt, sondern in dem größten Umfang eingeräumt werden. Sind es doch immer Fremde, die am ersten Tage der Ausstellung des Blutes innerhalb der Schranken des Altares ihre Stelle suchen. Welches[554] deren Absicht seye, die unter anderer Vorkehrung so leicht sich darbietende Anschuldigung: es seye nicht von dem Flüssigwerden des Blutes zu reden, Niemand könne sich nahen, Täuschung des Fernegehaltenen seye leicht möglich, sollte hiedurch beseitigt werden. Und in der That, gegen vierzig Personen stunden so dicht um den Gegenstand, daß es für diese Alle keines scharfen Auges bedurfte, um den Hergang mit der möglichsten Aufmerksamkeit zu beobachten.

Ein Priester hob nun das Gefäß, worin die Fläschchen (eine genaue Abbildung desselben, wie der Fläschchen, findet sich in den Actis Sanctorum, Septemb. T. VI) enthalten sind, aus der Monstranz, ein anderer stand neben ihm mit einer brennenden Wachskerze, von nicht grösserem Durchschnitt, als der dritte Theil eines Zolles, gerade hinreichend, um über die gläserne Einfassung des Fläschchens genugsames Licht zu verbreiten; zudem ward die Kerze so gehalten, daß zwischen ihr und dem Gefäß noch immer Zwischenraumes genug blieb, um das Widerstreben gegen die Sache unter dem Verdacht von einwirkender Wärme-Ausströmung aus der schwachen Flamme von vornherein zurückzuweisen. Dem entgegen ist dann viel gesprochen und bereitwillig geglaubt worden von der Manipulation des Priesters, durch dessen warme Hände, in Verbindung mit der Temperatur der Kirche, der in dem Fläschchen enthaltene Stoff endlich flüssig werden müsse. Alle, welche Solches behaupten, haben entweder dieses Flüssigwerden nicht gesehen, oder, wenn sie es gesehen haben, und dennoch von einer solchen Manipulation sprechen, sind sie die schändlichsten Lügner, welche wissentlich Etwas vorgeben, was durchaus anders sich verhält, wovon nicht einmal eine Spur vorhanden ist,

Dasjenige Fläschchen, in welchem der Stoff (ich will mir bloß diesen Ausdruck erlauben), welcher flüssig werden soll, sich befindet, ist versiegelt, und Niemand, der das Siegel betrachtet, wird den Argwohn hegen, als wäre es neuern Ursprungs. Weiteres jedoch könnte ich über dasselbe nicht sagen, indem begreiflich zu genauer Beobachtung (wohlverstanden – bloß[555] des Siegels) die erforderliche Zeit gemangelt hätte. Die Fläschchen selbst stehen in einem Gefäß – in Gestalt eines kleinen Handlaternchens – auf der Vorder- und Rückseite mit einem Glas versehen; zwischen ihnen und den beiden Gläsern ist aber ein leerer Raum, im Durchmesser eines Fingers. Unter diesem einschliessenden Gefäß befindet sich ein metallener Stiel, etwa fünf Zoll lang, zur Handhabe dienend, und über demselben ein metallenes Krönchen, oben mit einem Kreuz versehen. Mittelst des erstern wird es in die Monstranz eingeschraubt. Der dichte Stoff, von bräunlichter Farbe, füllt das Hauptfläschchen nicht ganz, sondern es bleibt von demselben bis zur Mündung ein leerer Raum, nicht des vollen Drittheils des Fläschchens groß. Der Priester faßt nun mit der einen Hand den Stiel, mit den Fingerspitzen der andern den obersten Theil jenes Kreuzes, und geht damit an dem Altar hin und her, um den Anwesenden das Fläschchen zu zeigen; wobei er dieses nicht, sondern das ganze Gefäß wiederholt umkehrt, der andere aber mit dem kleinen Lichte leuchtet, um Jeden zu überzeugen, daß der Stoff in festem Zustande sich befinde. Eine andere Bewegung habe ich den Priester nie machen gesehen; selbst von der leisesten Berührung des Glases, hinter welchem immer noch frei und in leerem Raum das Fläschchen stünde, geschweige denn von einer Manipulation, kann gar nicht die Rede seyn; eine Berührung des Fläschchens selbst wäre physisch unmöglich.

Während das Gefäß öfters gewendet wurde und der darin enthaltene Stoff fest blieb, sang der Chor das Miserere und das athanasianische Glaubensbekenntniß. Lauter und inbrünstiger beteten die Weiber die lauretanische Litanei, die Versammlung schloß sich den Gebeten an. Zwischenein erhoben Jene mit dem Ausdruck des heissen Verlangens, ja des Ungestüms, ihre Stimmen sonst noch. Ich konnte aber nichts verstehen, weil sie in neapolitanischem Dialect ihrem Herzen Luft machten. Wohl hatte ich gelesen, sie giengen, wenn das Flüssigwerden zu lange sich verziehe, nicht selten von dem heißen Flehen in Verwünschungen gegen den Heiligen über. Ich fragte[556] meinen Freund und Landsmann, den Abbé Reinhard, der neben mir stand, ob in diesem Augenblick dergleichen Verwünschungen seyen ausgesprochen worden? Er versicherte mich, schon öfters an den Festen des heiligen Januars in der Kirche sich eingefunden, so Etwas aber niemals gehört zu haben. Auch dieses müsse er für Erfindung Uebelwollender oder Unwissender halten, die einzig aus dem Ton schliessen könnten und wollten. Dießmal aber hätten die Weiber gerufen: »O heiliger Schutzpatron, Du siehst so blaß aus, Du bist so mager! Aber es ist sich dessen nicht zu verwundern, da Du in deinem Leben für uns so viel gearbeitet hast!« Auch hierüber mag die dünkelhafte Selbstgenügsamkeit lachen; liegt aber nicht in diesen Worten die Naivetät eines kindlichen Glaubens?

Eine etwelche Bewegung der Ungeduld zeigte sich dennoch durch die Versammelten; denn bald eine Viertelstunde lang hatte der Priester das Gefäß gewendet, und immer noch zeigte sich der Stoff in seinem festen Zustande. Endlich warf er einige leichte Bläschen, und plötzlich war er zerronnen, die Flüssigkeit füllte das Fläschchen, welches zuvor den oben bemerkten leeren Raum gezeigt hatte. Sobald der Priester das erfolgte Wunder ankündigte, schallte, von der Menge angestimmt, das Te Deum durch die Hallen der Kirche; der Priester aber fuhr fort, das Fläschchen mit der flüssiggewordenen Materie Jedem zu zeigen, drückte es Jedem auf Stirne und Brust und reichte es zum Küssen dar.

Das ist der getreue Bericht meiner Beobachtungen am Abend jenes Samstages. Ich könnte auf Alles, was ich hier mittheile, jeden Augenblick den Eid ablegen: daß ich Anderes, als was ich mit meinen Augen gesehen habe, nicht, dieses aber auch so berichte, wie ich gesehen habe.

Nach dem erfolgten Flüssigwerden wurden die Ueberreste wieder nach San Gennaro zurückgetragen. Die zahlreiche Procession, die mit ihren vielen Kerzen in der Dunkelheit der Nacht durch die lange, schmale Gasse, die von St. Clara nach der Domkirche führt, sich bewegte, bildete einen magischen Anblick.[557] Aus weiter Ferne klangen die Stimmen der Weiber herauf, die mit ihren Lobgesängen dem Heiligen voranzogen. Eine dichte Menschenmenge stand in der Nähe der Kirche, um den Zug anzusehen. -

Am folgenden Vormittag fand ich mich frühzeitig genug in der Capelle des heiligen Januarius ein, wo das Flüssigwerden wieder vor sich gehen sollte. Dießmal konnte ich noch näher hinzutreten, noch genauer beobachten. Wieder wurde das Miserere angestimmt, und die auf den Knieen liegende Menge harrte mit Ehrerbietung und freudigem Erwarten, die Augen nach dem Altar gewendet. Mit dem Bischof von Lancaster und einem General-Vicarius aus Canada stand ich auf dessen oberster Stufe, unmittelbar neben dem Priester, welcher das Gefäß in den Händen trug. Er behandelte es auf vollkommen gleiche Weise, wie der andere Priester am Abend vorher. Mehr als einmal hielt er mir dasselbe unter Augen, und ich überzeugte mich von der vollkommenen Dichtigkeit und Festigkeit des Stoffes, so wie man bei gesunden Augen und klarem Bewußtseyn von irgend einer Sache nur immer sich überzeugen kann. Jetzt so wenig, als am Abend vorher, fand auch nur von ferne eine andere Berührung des Gefässes statt, als in der oben beschriebenen Weise. Dießmal jedoch dauerte es nicht so lange, bis der Stoff flüssig wurde. Es mochten kaum fünf Minuten vergangen seyn, als die Bläschen zum Vorschein kamen, die Masse vollkommen zerrann, das Fläschchen sich wieder gefüllt hatte, da zuvor ein ähnlicher leerer Raum zu sehen gewesen. Wieder ergoß sich die dichte Menge, welche die Januarscapelle und ausser derselben einen Theil der Domkirche gefüllt hatte, in das Te Deum.

Am letzten Tage der Octave führte mich der Zufall nochmals in die Capelle des Heiligen, wo ich den Innhalt des Fläschchens in flüssigem Zustande der Verehrung ausgestellt fand. Zu dieser erschien in eben diesem Augenblick ein neapolitanischer Großer aus einem der vornehmsten Geschlechter. Er nahte sich ihm mit der gleichen Ehrerbietung, wie ein[558] nebenan knieender Lazaroni, ließ es sich auf Stirne und Brust drücken, wie dieser, und küßte es, gleich diesem. Dieß geschah in einem Augenblick, von dem der Fürst nicht wissen konnte, ob Jemand oder Niemand ihn sehen, ob von den viermalhunderttausend Bewohnern Neapels dieser oder jener seiner dargebrachten Ehrerbietung Zeuge seyn, ob ein prüfender oder ein zweifelnder, ein glaubender oder ein spottender Fremdling sein Erscheinen würdigen oder belächeln dürfte. Dasselbe mußte also nothwendig Folge innerer Anregung seyn, denn keinerlei Berechnung konnte sich einmischen, wie man etwa von des Königs, in grossem Geleite abgestatteten Besuch bei dem heiligen Blut sagen konnte: dieß seye eine, in kluger Berechnung dem Volksglauben dargebrachte Huldigung.

Und was nun? Nach dem wiederholt Gesehenen, sorgfältig Beobachteten die unerschütterliche Ueberzeugung, daß hier etwas Außerordentliches, etwas Unerklärliches, Unbegreifliches statt finde, – ein Wunder, sofern man vor diesem Ausdruck nicht zurückschreckt, oder denselben auf Etwas anwenden will, was alljährlich öfters vorgeht. Ich darf mit der festesten Zuversicht wiederholen, daß ich weit eher mit dem entgegengesetzten Vorsatz, als mit demjenigen, etwas Außerordentliches und Unerklärliches sehen zu können, in St. Clarens Kirche mich eingefunden, daß ich nicht übereilt einen Entscheid gefaßt, daß ich am ersten Abend jedes Urtheil suspendirt habe, indem ich vorerst nochmals sehen wollte. Unbefangener bin ich allerdings schon am ersten Abend geworden durch die alsbald in meine Erinnerung tretenden Lügen der Reisebeschreiber von einer Manipulation des Fläschchens in warmen Händen, sammt allen den Zuthaten und Erklärungen, wodurch sie die Sache entweder lächerlich zu machen, oder in einen groben Betrug zu verwandeln sich bestreben.

Nachdem ich sodann am folgenden Tage bei hellem Sonnenlicht, auf den Stufen des Altares, dicht an der Seite des Priesters, den ganzen Hergang nochmals von Anfang bis zu Ende und mit gleichem Vorsatz, bloß prüfen zu wollen, beobachtet[559] hatte, da sah ich keinen zureichenden Grund mehr, mit meinem Urtheile zurückzuhalten, oder durch hervorgesuchte Wenn und Aber dasselbe zu verclausuliren, oder es in die Schwebe zu stellen, oder an der richtigen Wahrnehmungsfähigkeit meiner Sinne zu zweifeln; sondern, wo ich befragt wurde, oder wo das Gespräch auf diese Sache sich lenkte – was zu Neapel in den der Ehre des Heiligen gewidmeten Tagen so selten nicht ist – äusserte ich mich: etwas Wunderbares, wenigstens Unerklärliches könne hier selbst von dem Ungläubigsten, so er nur redlich unb aufrichtig seyn wolle, nicht geläugnet werden. Entweder müsse er ein Solches im eigentlichen Sinne, so wie es von dem Oberhaupt der Kirche, von der gesammten Geistlichkeit und von dem ganzen neapolitanischen Volk dafür gehalten werde, annehmen, oder unvermeidlich ein noch weit grösseres Wunder darin anerkennen, daß ein Betrug (zwischen welchem und der außerordentlichen Erscheinung keine Wahl offen steht), der jeweils nur unter dem Zusammenwirken Mehrerer möglich seye, durch den Lauf vieler Jahrhunderte in immer gleich ungeschwächter Wirksamkeit habe fortdauern können. – Ich weiß wohl, daß die Wörter Blendwerk, Priesterlist, Habsucht, Herrschsucht als allzeitfertige Trümpfe immerwährend in Bereitschaft liegen. Das aber sind Worte, durch die das Zeugniß gesunder Sinne sich nicht entkräften läßt.

Stellen wir uns für den Augenblick auf den Standpunct des Betruges; so darf man des Vorganges nur Einmal Zeuge gewesen seyn, um sich gestehen zu müssen, daß ein solcher jedenfalls unmöglich Werk eines Einzigen seyn könne, etwa eines Solchen, dem das Geheimniß, unter Verpflichtung sorgfältiger Ueberlieferung an einen Nachkommenden, wäre anvertraut worden, sondern daß ein Zusammenwirken Mehrerer unerläßlich seyn müsse. Nun müßte es unbedingt eine Thatsache sonder Gleichen genannt wer den, wenn durch den Verlauf mehrerer Jahrhunderte eine zahlreiche Reihe der gewissenlosesten Betrüger ununterbrochen den ersten Rang unter der neapolitanischen Geistlichkeit hätte einnehmen können, somit ein Jeder in die Zwecke[560] und Absichten der Vorangegangenen und der Gleichzeitigen mit der nämlichen Willenlosigkeit oder Gewissenlosigkeit eingegangen wäre; indeß die Geschichte mehr als einem Erzbischof oder ihm Nahestehenden das unverwerfliche Zeugniß der Frömmigkeit und aller priesterlichen Tugenden beilegt. Aber auch dieses in Abrede gestellt und angenommen, was sich durchaus nicht zurückweisen läßt, daß immerfort ihrer Mehrere in das Geheimniß müßten eingeweiht seyn: wäre es nicht das unbegreiflichste aller Wunder, wenn im Verlauf so vieler Jahrhunderte, von einer so großen Zahl Wissender nie ein Einziger je – wo nicht aus Redlichkeit und Wahrheitsliebe – doch in Beschränktheit, in unüberlegter Plauderhaftigkeit, in unbewachtem Augenblick, zuletzt aus Bosheit, aus Rachsucht, in Widerspruchsgeist, in Zeiten, welche dergleichen begünstigten, aus Speculation, in Hoffnung sich in Credit setzen zu können, kurz, aus welchen lobenswerthen oder verwerflichen Gründen immer es seye, aus der Schule geschwatzt, entweder den Betrug rein aufgedeckt, oder doch genugsame Merkmale, die zu dessen Enthüllung führen konnten, an die Hand gegeben hätte.

Die Bollandisten haben bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts mit der genauesten Scrupulosität sich bemüht, nicht nur die schriftlichen Zeugnisse und Berichte über diesen Vorgang aus allen Zeiten zu sammeln, sondern wiederholt an Ort und Stelle Alles zu erforschen und zu beobachten. Schon im Jahr 1661 reisten Henschen und Papebroch deßwegen nach Neapel, und waren am 10. März in Gegenwart mehrerer andern Personen Zeugen der Sache. Beinahe hundert Jahre später kam der Bearbeiter der Acten über den heil. Januarius in gleicher Absicht dahin, und am 21. August 1754 wurde in Gegenwart der zum Schatz Verordneten (mehrerer Herrn vom höchsten Adel), vieler Geistlicher und anderer angesehener Männer durch den Erzbischof das Blut aus der Nische genommen und eine Acte über dessen Verwahrung und Hervornahme aufgesetzt und unterzeichnet. In dieser heißt es: »Die ehrwürdigen Ueberbleibsel werden mit der größten Vorsicht (summa cantela)[561] verwahrt; die Schreine sind aus Werkstücken von Marmor in die Mauer gebaut, durch zwei Thüren, jede inn- und auswendig mit Silberblech beschlagen, verschlossen. Jede Thüre hat zwei Schlösser und zwei verschiedene Schlüssel; zwei derselben verwahrt der Erzbischof, zwei ein zu der Deputation Verordneter (aber mit öfterm Wechsel der Person durch das Jahr). Blut und Haupt zugleich werden des Jahres nur Drei mal, das Letztere allein wird an mehrern hohen Festen hervorgenommen. Der Erzbischof sendet alsdann einen Delegirten, der Verordnete findet sich in Person ein, und Zeugen geistlichen und weltlichen Standes sind immer viele anwesend. Würden aber die Verordneten nicht zur bestimmten Stunde sich einfinden, so wäre es unmöglich, die Ueberbleibsel hervorzunehmen.«

Man kennt die Sorgfalt, womit die Christen das Blut der Märtyrer unter allem Toben der Heiden und selbst unter dem Henkersschwert, und wären es auch nur Tropfen desselben gewesen, oder hätten sie nur Tücher in dasselbe tauchen können, auffaßten, selbst mit Erde von der Richtstätte vermischt es zusammenrafften. Prudentius sagt in seinem Preisgesang auf den heil. Vincentius über diesen Gebrauch:


Hic purpurantem corporis

Gaudet cruorem lambere,

Plerique pestem lineam

Stillante tingunt sanguine,

Tutamen ut sacrum suis

Domi reservent posteris.


Der heilige Januarius nun war Bischof von Benevent, und wurde in der Christenverfolgung unter Diocletian im fünften Jahre des vierten Jahrhunderts mit einigen Gefährten nach Puzzuoli geschickt, um im dortigen Amphitheater den wilden Thieren vorgeworfen zu werden. Seine Leidensgeschichte erzählt uns, daß diese gesänftigt zu seinen Füssen sich gelegt hätten, worauf der Richter, hierob noch wüthender geworden, Befehl zu seiner Enthauptung gegeben habe. Bei dieser faßte[562] eine gottesfürchtige Frau sein Blut in zwei Fläschchen auf, in das eine das reine und unvermischte, in das andere das mit Erde gemengte. Unter Kaiser Constantin dann wurden die Gebeine des Blutzeugen von Puzzuoli nach seiner Geburtsstadt Neapel gebracht und in der durch den heil. Bischof Severus in seiner Ehre (ausserhalb der Mauern) erbauten Kirche beigesetzt. Die Frau, welche sein Blut aufbewahrt hatte, brachte dem Bischof die Fläschchen, und so wie diese dem Haupt nahe gebracht wurden, erhielt es seine Flüssigkeit wieder. Im neunten Jahrhundert belagerte Sicon, Fürst von Benevent, die Stadt Neapel, wobei er vor Allem Obacht hielt, daß Niemand die heiligen Ueberbleibsel wegtrage; denn er glaubte, dieselben gehörten dem Bischofssitz, nicht dem Geburtsort des Blutzeugen. Nachdem er die Stadt eingenommen und die Gebeine erhoben, brachte er sie unter lautem Frohlocken nach Benevent. In den stürmischen Zeiten König (Kaiser) Friedrichs II wurden sie in die Abtei Monte-Bergine geflüchtet und so heimlich unter dem Hochaltar eingemauert, daß bei zweihundert Jahren Niemand Etwas davon wußte. Im Jahr 1480 sollte ein neuer Hochaltar gebaut werden, da wurden sie entdeckt und im Jahr 1497 mit großer Feyerlichkeit wieder nach Neapel gebrach. Das Haupt indeß, nebst dem Blut, war immer in Neapel geblieben.

Wer entweder in dem königlichen Museum zu Neapel die in Pompeji gefundenen Gegenstände, oder zu Rom in dem christlichen Museum des Vaticans, oder endlich in der Sammlung des P. Marchi die in den Katakomben gefundenen Glasgesässe zu Aufbewahrung des Märtyrerbluts gesehen hat, der wird keinen Zweifel darüber hegen, daß auch dieses Fläschchen aus eben jener Zeit herstamme. Dessen geben ihm dann noch, ausser Mabillon, die Abbildungen Zeugniß, welche in Boldelli's Osservazioni sopra i sagri cimiteri di SS. Martiri ed antichi Cristiani di Roma zu sehen sind. Die in diesem Werk abgebildeten Fläschchen haben nicht allein ihrer Gestalt nach mit demjenigen, worin das Blut des heil. Januarius aufbewahrt wird, die größte Aehnlichkeit, sondern[563] es zeigt sich an denselben ebenfalls, entweder auf dem Boden oder an der Seite, auf der sie lagen, ein Sediment von gleicher Farbe, wie jenes Blut. Die Vermuthung, daß auch in diesen reines, nicht mit mineralischen Substanzen vermischtes Blut enthalten seye, wurde seiner Zeit durch einen von Leibnitz angestellten chemischen Versuch zur Gewißheit erhoben. Er erhielt ein solches Fläschchen aus den Katakomben von St. Calixt zu Rom, und brachte das Sediment mit einer Auflösung von Sal ammoniacum in gemeinem Wasser in Verbindung, um zu sehen, ob Etwas davon in das Glas eingefressen habe, und sich wieder ablösen lasse. Allein hievon erzeigte sich nichts, das Glas war nicht im mindesten angegriffen; woraus Leibnitz den Schluß zog: dieser Ueberrest seye Stoff von Blut, ohne Beimischung einer mineralischen Substanz, welche allein während so langer Zeit in das Glas einzudringen vermocht hätte.

So viel über den Ursprung und die Beschaffenheit des Fläschchens und seines Innhaltes. Allein noch bis auf den heutigen Tag haben die Einen gemeint, mit etwelchen lügenhaften Berichten oder durch ein paar Witzworte die Sache abfertigen zu können. Redlichere haben es versucht, verschiedene Hypothesen aufzustellen; das Einfachste, irgend ein chemisches Präparat in durchaus übereinstimmendes Raumverhältniß zu bringen, auf durchaus gleiche Weise zu behandeln, und dann mittelst eines durchaus gleichen Erfolges von dem angeblichen Geheimniß den Schleyer zu lüften, das ist meines Wissens noch nie versucht worden, wenigstens noch nie gelungen. Man kennt zwar wohl in der Chemie ein Präparat, welchem man den Namen Januarsblut beigelegt hat; dasselbe mag das Aussehen von Blut haben, es mag seyn, daß es bei einer gewissen Behandlungsweise, bei gewissen Temperaturgraden flüssig wird; darin liegt aber noch kein Beweis, überzeugend würde derselbe nur bei Anwendung einer durchaus gleichen Behandlung, ohne alles Hinzutreten eines von aussen einwirkenden Elementes. Daß von der brennenden und bloß bei dem Vorzeigen[564] flüchtig hingehaltenen Kerze auf das zwischen den beiden Gläsern isolirt stehende Fläschchen irgendwelche Wärme ausströmen könne, das wird gewiß Niemand, welcher Augenzeuge war, behaupten wollen. Aber die Hand des Priesters! sagt man. Diese hält allerdings den Stiel des Gefässes, indeß die Fingerspitzen der and ern das Kreuz auf der Spitze berühren. Mache nun Jemand den Versuch mit einem Taschenlaternchen, erfasse er dessen Stil, stelle er in den leeren Raum den sensibelsten Thermometer, und beobachte er, ob derselbe nach viertelstündigem Halten auch nur unmerklich steigen werde? Nun bleibt noch die athmosphärische Wärme in der vollen Kirche übrig. Nehme man einen Körper, der aus festem Zustande noch weit schneller in den flüssigen übergienge, als geronnenes Oel, und bringe man denselben in vollkommen gleiche Temperatur-Verhältnisse, und sehe wieder nach, ob die Veränderung in gleichem Zeitverlauf sich zutrage, ob jedenfalls der Uebergang aus dem festen in den flüssigen Zustand mit gleicher Schnelligkeit erfolge, wie hier, wo das Flüssigwerden nicht ein allmähliger, sondern ein rasch verlaufender Proceß ist? Zu diesem Allem müßte noch eine höchst seltsame Voraussetzung hinzukommen: daß nemlich die höhere neapolitanische Geistlichkeit vor Jahrhunderten schon in dem Besitz chemischer Geheimnisse gewesen seye, welche die in neuester Zeit erstaunlich vorangeschrittene Wissenschaft bis auf den heutigen Tag noch nicht zu entziffern gewußt habe. Sollte das etwa ein hinterlassenes Erbstück des Erzzauberers Virgilius gewesen seyn, von dessen Künsten Bischof Conrad von Halberstadt in seinem Reisebericht bei Arnold von Lübeck uns so merkwürdige Dinge erzählt? Bemerkenswerth bleibt es immer, daß der berühmte Chemiker Davy sich ausser Standes sah, eine befriedigende Erklärung aufstellen zu können, daher der Annahme einer ausserordentlichen Herganges nicht abgeneigt war. Daß sein Anerbieten zu chemischer Untersuchung der in der Flasche befindlichen Substanz von der Hand gewiesen wurde, ist doch wohl begreiflich, weniger, daß er ein solches Anerbieten nur[565] machen konnte. Bleibt hiemit gewiß für immer der analytische Weg versperrt, so steht der synthetische unbedingt offen, und Niemand könnte einen Chemiker an Herstellung einer Substanz hindern, mit welcher, unter vollkommen gleichen Modalitäten, eben dasjenige sich zutrüge, was mit der Substanz in dem Fläschchen.

Hören wir nun nach diesen apriorischen Schlußfolgerungen einige Zeugnisse! Beginnen wir dabei mit einem der neuer sten. – Unter die tiefsten Denker und unter die ausgezeichnetesten Gelehrten seines Faches, die Neapel in letzter Zeit aufzuweisen hat, gehörte der Professor Nikolaus Fergola, ein Mathematiker ersten Ranges, anneben hervorgehoben durch alle jene höhern und edlen geistigen und moralischen Eigenschaften, welche die Römer unter dem Wort Virtus begriffen haben. Er starb als Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften am 21. Juni 1824. Unter den werthvollen Handschriften, die er zurückließ, und welche von der Bibliothek des königlichen bourbonischen Museums aufbewahrt werden, fanden sich auch vollständige, nur der Anordnung noch bedürfende Materialien zu einer Schrift, die voriges Jahr durch den Professor Flauti herausgegeben wurde unter dem Titel: Teorica de miracoli, esposta con metodo dimostrativo seguita da un dicorso apolegetico sul miracolo di S. Gennaro, welchem noch eine Abhandlung beigefügt ist: II sentimento ed il pensiero essere incompatibili alla materia, matematicamente dimostrato.

Mathematiker gelten in der Regel nicht als Leute, welche durch Eindrücke auf die Einbildungskraft leicht sich bestechen lassen; sie gehen in der Regel bei ihren Forschungen behutsam zu Werke, wollen auf den Grund der Erscheinungen dringen, begnügen sich nicht mit Schein und Möglichkeiten, sondern verlangen zwingende Beweise. Fergola's Definition eines Wunders ist ganz kurz folgende: »Ein Wunder ist ein Phänomen, von dem sich keine natürliche Erklärung geben läßt;« wobei Fergola zugleich die Unzulänglichkeit der Wolfischen[566] und der Clarkschen, so wie die Frechheit der Spinoza'schen Definition nachweist. Darauf geht er zu der innern Möglichkeit der Wunder über und widerlegt die Einwendungen der Gottlosen. Nachdem er ferner über die Natur der Wunder, deren Urheber und Zweck, und über die Energumenen seine Sätze aufgestellt und erwiesen, kömmt er auf das Wunder des Bluts des heiligen Januarius.

Zuerst beschreibt er mit aller Genauigkeit das Gefäß, in welchem das Fläschchen gezeigt wird, und stimmt bezüglich der Weise der sorgfältigen Aufbewahrung mit dem früher Erwähnten vollkommen überein. Das Flüssigwerden erfolgt 25 Male im Jahr, mithin in einem Jahrhundert 2500 Mal, obwohl es etwa zu einer Zeit unterbleibt. Die namhaftesten Aerzte, Philologen, Kritiker Neapels sind häufig Zeugen des Vorganges gewesen, und Keiner je fand sich zu Einwendungen dagegen veranlaßt. Das Blut, so wie es flüssig wird, zeigt keine leimartigen Bestandtheile, sondern wird flüssig wie Wasser, und bleibt sich in diesem Zustande stets gleich. Ob vor den Beschauenden das Fläschchen täglich über tausendmal gedreht werde, nie wird dasselbe trübe. Fergola hat seiner Abhandlung eine Tabelle beigefügt, in welcher die Wärmegrade der Kirche während drei Octaven, nach Fahrenheit'schem Thermometer, und zugleich die Zeitdauer des Flüssigwerdens und die Beschaffenheit von diesem genau verzeichnet ist. Während der ganzen Octave vom 19. bis 26. September 1794 wechselte der Wärmegrad in der Kirche bloß zwischen 77 und 80 Grad Fahrenheit (20 bis 21 1/ 2 Reaumur), wahrlich ein unbedeutender Unterschied; die Zeit des Flüssigwerdens dagegen von 5 bis 27 Minuten, und einmal nur wurde die Substanz bloß halb flüssig. Bemerkenswerth ist, daß am 19. Sept. bei 80 Graden 27 Minuten, am 26. aber bei 77 Graden nur fünf Minuten verflossen. Vom 2. bis 10. May 1795 wechselte das Thermometer zwischen 67 und 80 Grad, die Zeit zwischen 2 und 41 Minuten, bei 67 Grad verflossen 15 Minuten, bei 80 Grad 33 M.; wonach Wärmegrad und Zeitdauer ausser[567] aller gegenseitigen Beziehung stehen. Noch merkwürdiger ist der Wechsel der Zeitdauer in dem Verhältniß zu der Folge der Tage. Man wäre vielleicht geneigt, zu glauben, die Zeit bis zum Flüssigwerden nehme im Fortschreiten der Tage ab, und wenn dasselbe heute stattgefunden, werde es morgen um so schneller vor sich gehen. Keineswegs. Am 2. May verflossen 12 Minuten, am 3. bloß 2, am 4. hingegen 41 und am 5. nur 22. In den acht Tagen vom 19. bis 26. September des gleichen Jahres schwankte das Thermometer zwischen 74 und 81 Grad, die Zeit aber zwischen 3 und 32 Minuten. Auch dießmal standen Zeit und Warmegrad durchaus in keiner Wechselverbindung. Im September erfolgt das Flüssigwerden um 9 Uhr Vormittags, worauf das Blut aus der weit wärmern Januars Capelle auf den Hochaltar der kältern Domkirche getragen wird und bis zum Abend, wo man es wieder in seine Nische stellt, in immer gleich flüssigem Zustande bleibt. Im May ist es täglich zweimal flüssig, Vormittags von 9 bis 12 Uhr; um Mittag wird das Reliquarium verhüllt und die Kirche geschlossen. Wird hierauf Nachmittags drei Uhr die Hülle weggenommen, so findet sich das Blut wieder in festem Zustande, bis es abermals fliessend wird.

Das nun sind die Beobachtungen eines Privatmannes, während des Verlaufes einer kurzen Zeitfrist. Allein seit dem Jahr 1659 werden alle Wahrnehmungen über die Beschaffenheit des Blutes bei dem Herausnehmen aus der Nische, über die Umstände, unter denen es flüssig wird, über den Grad der Flüssigkeit, über den Zeitverlauf bis zu dieser, durch den Schatzmeister der Capelle und einen Chorherrn Jedesmal aufgezeichnet. Würde das wohl geschehen, oder der Mühe werth erachtet werden, wenn hier Betrug statt fände? Diese Aufzeichnungen sind zugleich ein fortlaufender Commentar zu dem eidlich beschworenen Bericht des Secretärs der zur Deputation des Schatzes Verordneten, der darüber sagt: »Manchmal verzieht sich das Flüssigwerden, Einmal etwa erfolgt es gar nicht; bisweilen ist das Blut schon flüssig, wenn es aus dem Schrank[568] genommen wird; nicht selten füllt es das Fläschchen so, daß die Bewegung des Flüssigen nicht kann wahrgenommen werden. Das Gleiche ist zuweilen der Fall, wenn es ausgesetzt ist; entweder bleibt es so den ganzen Tag, oder es sinkt wieder. Jetzt wird die ganze Masse flüssig, dann wieder bleibt ein Klumpen zurück, der in dem Fläschchen umherschwimmt; ein anderes Mal, jedoch selten, wird es flüssig, indem es zum Küssen dargereicht wird, gewöhnlich indeß, wenn es auf dem Altar steht, wo Niemand es zu berühren im Stande ist; eine brennende Kerze wird von Zeit zu Zeit hingehalten, um zu sehen, ob das Flüssigwerden erfolgt seye. Alle diese Verschiedenheiten erzeigen sich ohne Ordnung oder Reihengang, auf den etwa die Witterung Bezug haben konnte. Nicht nur wird zu gleicher Zeit des einen Jahres wahrgenommen, was in derjenigen des andern anders ist, ja oft in der gleichen Octave, selbst an dem gleichen Tage sind Verschiedenheiten zu bemerken.«

Hierin ist dann die Behauptung des Temperaturwechsels zwischen der angeblich kältern Nische, worin das Blut aufbewahrt wird, und der wärmern Kirche entschieden widerlegt, wenn nicht von vornherein dürfte angenommen werden, daß diese Temperatur-Verschiedenheit nicht so bedeutend seyn könne, um einen festen Körper in einen flüssigen zu verwandeln. Wäre aber auch, wovon sich nach Fergola's Untersuchungen das Gegentheil herausstellt, die Mauer-Nische wirklich kälter, als die Domkirche, so könnte doch der Unterschied der Temperatur nicht so beträchtlich seyn, um einen flüssigen Stoff in ganz kurzer Zeit in den Zustand des Geronnenseyns zu verwandeln. Mache man den Versuch mit dem feinsten Oel, und sehe man, ob in einer neapolitanischen Kirche je eine so niedere Temperatur eintrete, die das Oel zum Gerinnen dringen könne! Der Engländer Weedall stellte dergleichen Versuche an. Er setzte ein Glasgefäß mit Gallerte aus Kalbsfüssen, mit einem Thermometer versehen, über eine Feuerwärme von 73–75 Grad Fahrenheit, und mußte sie fünf Viertelstunden drehen, bis sie[569] zu zerfliessen begann; bei steigender Wärme von 60–86 Graden bedurfte sie 35 Minuten, bei 105 Graden (321/2 R., also einer Temperaturhöhe, die zu keiner Zeit in der Kirche vorkommen kann) 15 Minuten. Bei 78 Graden wird Butter nur in fünf Viertelstunden, und erst auf der Oberfläche weich, und bloß bei 100–106 vergeht er in 12 Minuten völlig. Eis dagegen würde bei 68 Grad seine Festigkeit nicht lange bewahren, doch ebensowenig, und betrüge es an Gewicht blos eine Unze, in 12 Minuten vollständig zergehen. Hiebei ist dann nicht zu übersehen, daß alle diese Stoffe bei gleichem Wärmegrad unabweichlich in gleicher Zeitfrist sich verändern, indeß bei dem Blut des heil. Januarius hierin die größte Verschiedenheit bemerkt wird, und der Wärmegrad auf die Zeit des Flüssigwerdens keinerlei Einfluß übt. Wie endlich soll man es erklären, daß die Flüssigkeit das Einemal das Fläschchen füllt, ein Andermal nicht?

Fergola läßt seinen Beobachtungen den Satz folgen: Ein hermetisch verschlossenes, jedem chemischen Agens und jedem äussern Einfluß unzugängliches Fläschchen ist auf zwei Drittheile seines Raumes mit einer harten Substanz angefüllt; wie kommt es nun, daß diese, in die Nähe eines andern Körpers (der Reliquien des Heiligen) gebracht, unter verschiedenen Modalitäten, jetzt den gleichen Raum einnehmend, dann das Fläschchen füllend, doch ohne es zu zersprengen, flüssig wird gleich Wasser, dabei niemals das Fläschchen trübt? Hierauf entgegnet er: »als Canon der Physik steht fest: man darf zu Erklärung der Naturerscheinungen keine andern, als wahrhaftige Gründe und deren nicht mehr, als zur Erklärung nothwendig sind, beibringen.« Weiter ist es Canon der Kritik: »Die Cautelen, welche eine Gesellschaft anwendet, um eine Thatsache gegen Betrug sicher zu stellen, müssen gewisse Gränzen haben, über welche hinaus dieselben nicht gehen dürfen, denn sonst müßte man Cautelen gegen die Cautelen verlangen, was in's Endlose getrieben werden könnte, und unfehlbar alle morasche Gewißheit vernichten, die Gesellschaft auflösen würde.[570]

Unter solchem Skepticismus könnte kein Sohn sich für rechtmässig erkennen, kein Vertrag gültig, gar nichts mehr gesichert seyn.«

»Aber,« fährt er fort, »möchten die Rationalisten am Ende einwenden: wäre es nicht denkbar, daß die Priester von San Gennaro mittelst falscher Schlüssel Nachts die Capelle ausschlössen, das Fläschchen aus dem Reliquarium herausnahmen, und Menstruum, oder irgend eine chemische Zubereitung in dasselbe gössen und es bewerkstelligten, daß am folgenden Tag zu bestimmter Stunde das Blut flüssig werde?« – Fergola beantwortet dieß mit dem Sprüchlein: »Betrug dauert selten lange,« und zum Theil mit denjenigen Gründen, welche in Betreff einer Sache, die unter den verschiedensten Königshäusern und unter Zusammenwirken vieler Personen während mehrerer Jahrhunderte immer statt gefunden hat, alsbald auch mir sich darboten. »Trüge man indeß,« sagt Fergola weiter, »den Einwendungen der Ungläubigen grössere Rechnung, als sie verdienen, ließe man die Mauernischen im Schatz des heiligen Januars die Nacht durch auf's sorgfältigste bewachen, und das Flüssigwerden gienge dennoch vor sich, würden Jene wohl alsdann die Richtigkeit der Thatsache anerkennen? Lieber würden sie das Wort der Juden wiederholen: die Wächter haben geschlafen, sie haben von den Priestern sich überlisten lassen. Aber in der Octave der Translation bleibt das Blut immerwährend von Mittag bis drei Uhr auf dem Hochaltar des Doms, nur verhüllt, und zeigt sich Jedesmal beim Enthüllen geronnen und wird neuerdings flüssig. Wer schleicht denn am hellen Tage hinein, um die Operation des Füllens des Fläschchens vorzunehmen?« Fergola schließt dieses Capitel mit den Worten, welche sich auch mit vollem Recht auf die gelahrten Wunderzerklärer des Neuen Testaments anwenden lassen: »Wer die Wahrheit der Wunder läugnen will, sieht sich zu tausenderlei Tollheiten gezwungen.«

Gehen wir nun zurück in die Zeiten, um die ältesten Zeugnisse über diesen Vorgang abzuhören. Die Marteracten über[571] den heil. Januarius und seine Gefährten, aus diesen die ältesten Breviere, beschreiben denselben gerade so, wie er noch jetzt wahrgenommen wird. »Eine vornehme Sache,« heißt es im achten Lesestück des Breviers für das Fest des heiligen Januarius, »ist auch sein Blut, welches geronnen in einem Glasfläschchen aufbewahrt wird. So wie man es in die Nähe des Hauptes des Märtyrers bringt, wird es auf wunderbare Weise flüssig, und bis auf den heutigen Tag sieht man es dann Blasen werfen, als wäre es so eben vergossen worden.« – Das älteste Zeugniß mit Zeitbestimmung reicht an acht Jahrhunderte hinaus. Im Leben des heiligen Peregrinus, des schottischen Königs Malcolms Sohn, liest man: »Der heilige Peregrinus kam auch nach Neapel zu dem erlauchten Wunder des heiligen Blutzeugen Januarius. Dort werden zwei Glasfläschchen mit dem Blut des Heiligen aufbewahrt. Es ist steinhart. Werden aber die Fläschchen dem Haupte des Blutzeugen genähert, so wird das Blut mit einem gewissen schäumenden Brodeln alsbald flüssig und die Fläschchen bleiben unversehrt.« – Daß wenigstens Haupt und Blut aufbewahrt werden, berichtet kein Jahrhundert später der sicilianische Cartäuser Maraldus. – Aeneas Silvius zählt in seinem Commentar zu den Reden und Thaten König Alfonso's vier sehenswerthe Dinge in Neapel auf. »Als fünftes,« sagt er, »wenn es Jemand vernehmen will, würde ich beifügen, jenes heilige Blut des heiligen Januarius, welches bald geronnen, bald flüssig gezeigt wird, obwohl es vor 1200 Jahren für den Namen Christi vergossen worden ist.« – Das älteste neapolitanische Druckwerk sind wahrscheinlich die Pandectæ medicinales Matthæi Silvatici, herausgegeben im Jahr 1474 von dem königlichen Leibarzt Angelo Cato. In der Zueignungsschrift an den König Ferdinand von Aragonien zahlt derselbe zu Neapels Schätzen auch das Blut des heiligen Januarius. »Was soll ich« sagt er, »von dem Blut dieses Martyrers sprechen, welches zu Neapel mit größter Ehrerbietung aufbewahrt wird? Welche Wunder immer unter den Angen der Bekenner Christi in unserer Zeit vor sich gehen mögen,[572] wäre eines leuchtender, unläugbarer? Von dem Haupte entfernt, wird das Blut hart, in dessen Nähe gebracht, wird es flüssig, ebenso, als wäre es an diesem Tage vergossen worden.« – Aehnliches bezeugt der genuesische Doge Fregoso, welcher vom Jahr 1478–1483 als Flüchtling zu Neapel sich aufhielt. – Robert Gaguin erzählt in seinem Meer der Chroniken, oder Geschichtsspiegel von Frankreich (Mirouer hystorial de France): am 3. May 1495 habe König Karl VII in Begleit vieler Cardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und Prälaten in St. Januarskirche der Messe angewohnt, darauf seye ihm Haupt und Blut des Heiligen gezeigt worden, letzteres steinhart; kaum es aber einige Zeit auf dem Altar gestanden, habe es alsobald sich zu erwärmen und zu fliessen begonnen, gleich Blut, welches so eben einem lebenden Menschen wäre entzogen worden.

Am Ausführlichsten spricht darüber einer der merkwürdigsten Männer am Anfang des 16ten Jahrhunderts, der berühmte Franz Pico, Fürst von Mirandola, der gleichnamige Vetter nemlich von jenem, welchen Scaliger das Monstrum der Gelehrsamkeit genannt hat. Derselbe gab im Jahr 1502 ein Werk heraus: de fide et ordine credendi. Darin findet sich folgende Stelle: »Zu Neapel, in der Campagna, werden die Ueberreste des Blutzeugen Januarius aufbewahrt. Ein Gefäß enthält sein Blut, welches frommer Sinn nach seiner Hinrichtung aufbewahrte. Stellt man dasselbe in die Nähe der Glieder, so fängt es gleichsam zu schäumen an und wird flüssig und kehrt in den frühern Zustand des Blutes zurück; entfernt man es an einen andern Ort, so gerinnt es wieder und wird fest, und nimmt die Gestalt an, wie Blut sie haben muß, das vor vielen Jahrhunderten vergossen worden. Doch geschieht dieses nicht immer; denn sobald jener Gegend irgend ein Unfall droht, oder Ruhestörung es hindert, so deutet es durch seine Unbeweglichkeit die be vorstehende Plage an, wie die Landesbewohner aus langjähriger Erfahrung wissen. Ich habe mit meinen eigenen Augen dieses feste und seiner Natur gemäß schwarze Blut bei der Annäherung an das Haupt roth, flüssig werden[573] Blasen werfen gesehen, gleich als wäre es unmittelbar der Ader entströmt. Ich wiederhole es: ich habe es mit eigenen Augen gesehen und habe mich vollkommen überzeugt, daß dieses auf natürlichem Wege unmöglich so sich zutragen könne. Denn für den Philosophen ist es eine ausgemachte Wahrheit, daß Etwas, was seine Gestalt verloren hat, in dieselbe nicht wieder zurückkehren könne. Wer dieses nicht glauben wollte, den würde leicht die Erfahrung belehren: er dürfte nur Blut nehmen; wäre es erst geronnen, und nach Monaten – ich will nicht einmal sagen Jahren – in einen erdichten und staubförmigen Stoff verwandelt, so würde es in seine vorige Gestalt, oder nur in die Accidentien der Gestalt, d. i. Röthe, Flüssigkeit u. s. w., nicht wieder zurückgebracht werden können.«

Diesen Zeugnissen läßt sich noch eine Bulle Sixtus V beifügen, worin er sagt: »Wir wollen, daß die in der erzbischöflichen Kirche von Neapel gelegene Capelle, der Schatz des heil. Januarius genannt, wo das Haupt und das Blut dieses Heiligen aufbewahrt wird und, wie Wir vernommen haben, die göttliche Majestät beständige Wunder wirkt, mit erforderlicher Ehrerbietung besucht werde.«

Noch im Anfang des vorigen Jahrhunderts verfaßte ein neapolitanischer Rechtsgelehrter in entschieden beipflichtendem Sinn über diese Thatsache folgendes Gedicht:


Nondum credis Arabs, Scythicis quin Barbarus oris

Confugis ad veræ religionis iter?

Aspice, palpa hæc! Stat longum post Martyris ævum

Incorruptus adhuc et sine tabe cruor;

Imo hilaris gliscit, consurgit, dissilit, ardet

Ocyor, extremæ est impatiens tubæ.

Perfidus an cernis, capiti ut cruor obvius, ante

Frigidus et durus, ferveat et liqueat?

Caute vel asperior, vel sit adamantinus Afer

Sanguine quin duro sponte linquente liques?


Gegen dergleichen Zeugnisse könnten nur Gegenzeugnisse,[574] erwiesene Thatsachen, concrete Gründe Gewicht haben; blosses Abweisen, nacktes Läugnen, wohlfeiles Spotten erklärt nichts, entkräftet nichts, hellt das Dunkel nicht auf. Der Baron Bielefeld sagte seiner Zeit freilich zu Neapel: »einen solchen zerrinnenden Stoff wissen unsere Apotheker ebenfalls zu bereiten.« Aber warum haben sie es in Berlin nie versucht, diese ausserordentliche Erscheinung zu reproduciren? – Ein anderer Deutscher brachte die scharfsinnige Erklärung: es wären zwei Monstranzen vorhanden, eine mit dem harten, die andere mit dem flüssigen Blut, und während der Function würde jene von dem Priester escamotirt. Wer auch nur einmal den Vorgang beobachtet hat, der käme hiemit wieder zu einem Wunder, wenigstens zu einem wahren Herenmeister, der mit der wunderwerthesten Leichtigkeit vor den Augen von Tausenden eine ganze Monstranz wegstipitzen könnte, ohne daß Jemand es wahrnähme. – Noch abenteuerlicher hat der Franzose Serces, um das Flüssigwerden zu erklären, die Nähe des Vesuvs und der Solfatara zu Hülfe genommen. Aber wie müßte es denen zu Puzzuoli und zu Resina ergehen, wenn die Wärmeströmung von diesen beiden Puncten eine solche Wirkung bis in den Dom von Neapel ausdehnen könnte? Da er wohl fühlen mochte, dieß könne nicht gelingen, so fiel es ihm nicht schwer, zu behaupten, die Sache gienge an verborgenem Ort, blos in Gegenwart von leichtgläubigem Pöbel, unter Fernehalten gebildeter Personen, und zu einer Zeit vor, die nicht genau festgesetzt seye. Das heißt wenigstens das Lügen in ehrlicher Weise betreiben, indem auch nicht ein Pünctchen Wahrheit in dasselbe gemischt wird. Ein Engländer trug das Wunder von dem Heiligen auf seine Priester über. »Wunderbar,« rief er, »sind die chemischen Kenntnisse der Priester des Schatzes von St. Januar!« – So sinnt man in Ermanglung einer zureichenden Erklärung lieber das Ungereimteste aus, als in offenem Bekenntniß seiner Unfähigkeit wenigstens das Ausserordentliche und Unerklärliche zu bekennen. Man ist unendlich weit über die Zeit jenes bescheidenen und pflichtmässigen Zweifels hinausgeschritten, welchen der[575] hessische Jurist Heinrich Kornmann in seinem lateinisch geschriebenen Buch: »Ueber die Wunder der Verstorbenen,« in Betreff des vorliegenden so ausdrückte: »Wiewohl die Sache allgemein bekannt ist, möchte ich doch das sichere Zeugniß Solcher vernehmen, die gegenwärtig waren und mit offenen Augen den Vorgang beobachteten.«

Unter den frühern Reisenden spricht Keyßler wenigstens gemäßigt und ohne die läppischen Zuthaten, womit Spätere ihre Berichte würzen zu müssen glaubten. Da in seiner Reisebeschreibung die Zeitangaben hinsichtlich seines Aufenthalts zu Neapel mangeln, so ist es ungewiß, ob er das Flüssigwerden des Blutes selbst gesehen, oder den Hergang nur nach Berichten und aus Vermuthungen beschrieben habe. Ich bin geneigt, das Letztere anzunehmen; denn er sagt darüber Folgendes: »Die in dem Glase befindliche Materie ist braunroth und gleicht dem Balsamo Peruviano, welcher auch leicht flüssig gemacht werden kann. An dem Tag, da dieses Wunder geschehen soll, steht dieses Blut vor einer Menge Lichter (unwahr, die Menge ist nicht groß und Jedenfalls ragen die Lichter bedeutend hoch über das Gefäß hinauf); das Glas, worinnen es nun zwar noch in einer kleinen Phiole, die etwa eines Fingers lang, eingeschlossen ist, wird den umstehenden und zwar mit großer Begierde herzu sich drängenden Personen zum Kusse an den Mund und hernach an die Stirne gehalten (aber immer dann erst, wenn es schon flüssig ist, daher Keyßlers Folgerung von selbst dahin fällt); bei solcher Gelegenheit stürzt der Priester dasselbe mehr als tausendmal (rein unmöglich, soll heissen ein paar Duzendmal) um, daß der Boden oben und auf die Seite zu stehen kömmt. Die Wärmte seiner Hände (ohne allen Einfluß, wie ich überzeugend gesehen und dargethan habe), der Qualmt der Lichter (welcher nicht die geringste Wirkung hervorbringen kann), der Dunst, welcher aus der Menge des Volkes in einer warmen Jahreszeit (man denke an Fergola's Vergleichung zwischen Thermometer und Zeitverlauf), und endlich der warme Odem, der aus dem Munde der Küssenden kommt (nachdem[576] das Flüssigwerden schon geschehen ist), nebst andern Umständen (deren Angabe nicht hätte sollen unterlassen werden) könnte auch eine andere, vorher flüssig gewesene Materie schmelzend machen. (In einer Anmerkung führt Keyßler an: »Im Jahr 1733 hat der bekannte Chemikus Hofrath Neumann in Berlin das Geheimniß erfunden, auf eine leichte Art und so oft er will, eine dergleiche Fliessung des Blutes, wie von des heil. Januarius Reliquien vorgegeben wird, nachzumachen.« – (Für Gläubige wie Ungläubige wäre es interessant, dieses unter vollkommen gleichen Modalitäten, wie das Ereigniß in Neapel, sich vormachen zu sehen.) »Es wäre billig,« fährt Keyßler fort, »daß man den Ungläubigen und Ketzern genugsame Freiheit vergönnte, die Umstände dieses Wunders genauer einzusehen (diese ist ihnen aber wirklich ohne alle Beschränkung vergönnt), anstatt daß sie sich, wie Andere, begnügen lassen müssen, daß der Priester endlich ruft: il miracolo e fatto, und dann mit großen Freuden das Te Deum laudamus angestimmt wird.«

Wenn Kotzebue in dem Flüssigwerden des Blutes nur einen der vielen Beweise von dem dummen Aberglauben der Neapolitaner findet, so ist er doch ehrlich genug, nicht den Aberglauben an beliebig Ersonnenes in Anspruch zu nehmen. Er sagt: »Man glaubt gewöhnlich, die Flüssigkeit der rothen Materie werde durch die Wärmte der priesterlichen Hand hervorgebracht; aber darin irrt man. Die kleine Phiole, welche das sogenannte Blut enthält, ist in einer größern gläsernen Flasche eingeschlossen, so daß zwischen beiden ein leerer Raum sich befindet, die Wärmte einer Hand folglich schwerlich bis dahin dringen kann, und auf jeden Fall ein sehr unsicheres Mittel seyn würde. Wohlunterrichtete (d. h. nicht über die Sache selbst, sondern in omni scibili et nonullis aliis – sogenannte Aufgeklärte) haben mich versichert, das Wunder werde blos durch chemische Mittel bewirkt, daher es auch oft so lange daure; aber fehlen könne es nie, wenn die Flasche nur immer brav geschüttelt (das aber wird sie nicht, sondern blos gewendet) werde. Wenige Leute, selbst wenige Priester, sind im Geheimniß,[577] und es giebt unter den letztern vernünftige Leute, die steif und fest an das Wunder glauben.«

Elise von der Recke wollte zwar die flache Verständigkeit an dem Vorgange ebenfalls üben, aber ihre pretiöse Nervenschwäche vereitelte das lobwürdige Vorhaben, sie konnte es in der Kirche nicht aushalten und mußte sich zurückführen lassen. Doch gereichte es ihr zur trostreichen Beruhigung, »den Erfolg eines Experimentes nicht gesehen zu haben, dessen Geheimniß leicht zu errathen seye.« Dafür giebt ihr Begleiter, Böttiger, in einer Anmerkung zu ihrem Reisebericht ein Zeugniß, dessen merkwürdiges Gewicht sicher ihm selbst nicht einleuchtete. Er sagt nemlich: »das größte Wunder an diesem Wunder seye wohl das, daß es bei dem Mitwissen so Vieler (woher aber wußten der Hr. Hofrath dieses?), die damit zu thun haben, seit so vielen Jahrhunderten stets unverrathen geblieben seye.« Also immerhin ein Wunder, und zwar allerdings dieses (ohne daß der Herr Hofrath es auch nur zu ahnen vermochten) unbestreitbar das grössere, darum schwerer zu glaubende!

Der, wie durch mancherlei Geisteswerke, so auch durch seine »Wahrheit in der Hermes'schen Sache« bekannte königlich Preußische Staatsrath Rehfues, hat in seinem »Gemälde von Neapel« diesen Vorgang durch fade und höchst vergriffene Spässe zu beseitigen versucht. »Bekanntlich,« sagt er, »wieder holt sich dieses Wunder seither beinahe jedes Jahr einigemal, und Viele haben versucht, es natürlich zu erklären. Indeß ist es, wie vorauszusehen war, Keinem gelungen; denn wenn der Himmel einmal ein Wunder thun will, so ist es natürlich, daß er es einrichtet, um nicht von jedem Zweifler erklärt werden zu können. Freilich giebt es der Vorwitzigen genug, die, wenn sie's auch nicht erklären können, dennoch nicht glauben wollen; und es hat uns daher manchmal geschienen, als ob die Art von Wundern, welche die Siamesen von ihrem Heiligen, Pra Ariaharia, erzählen, die beste sey, weil sie alles Nachgrübeln schon von selbst verbietet.« – Dann wieder: »Ich will mich nicht mit Erklärungen abgeben, wie das Wunder geschieht; denn darum[578] ist es ja eben ein Wunder, weil man es nicht erklären kann. Genug ist es, zu bemerken, daß in Neapel auch noch andere Leute steif und fest daran glauben, als nur der Pöbel.« An einem andern Ort sagt er: »Es mag wohl seyn, daß die Weiber im Einverständniß mit den Priestern sind.« (Welchen Dienst würde er der Wahrheit erwiesen haben, wenn er auch nur von ferne hätte andeuten wollen – wie und zu welchem Zwecke dieses Einverständniß bestünde?) »Es giebt wenige Wunder, die der Welt etwas genützt hätten. Dieses gehört auch unter die unfruchtbaren; und es ist nicht abzusehen, warum der Heilige nicht lieber jedes Jahr durch eine zehnfältige Ernte seinen frommen Neapolitanern ein Liebeszeichen giebt.« – Dann wieder: »Man weiß, wie oft das Blut des heiligen Januarius in Neapel flüssig wird; aber Niemand weiß, wie das zugeht, ausser den Wenigen, welche der Himmel zu diesem Wunder gebraucht. Ich habe selbst gesehen, wie die Flasche in der Hand des Priesters that, und kann mir nur eine Erklärung denken, welche, glaube ich, noch Niemand gemacht hat. Wie, wenn jene trockene, dunkelrothe Masse Eis wäre, welches man bekanntlich in Neapel weit besser zu behandeln versteht, als in Archangel? In der Hand des Priesters vergeht es zuverlässig, besonders wenn er die Flasche (die er gar nicht berührt) recht fest hält und andächtig dazu betet. Am bequemsten aber wird es seyn, zu glauben.« – Am bequemsten, wenigstens am leichtesten für Hrn. Rhefues wäre es gewesen, die Sache mit Eis sogleich nachzumachen, und sein ἕυρα durch die Welt zu rufen. Daß doch oft die größten Spitzköpfe auf das Allereinfachste nicht verfallen können!

Der Franzose Misson versichert in seinen Reisen, den Vorgang »dieses angeblichen Wunders« zweimal gesehen zu haben. Er läßt uns die Wahl zwischen einem wirklichen Wunder oder dem plumpsten Betrug (le tour le plus grossier). Indeß, sagt er, mache es in der katholischen Kirche größeres Aufsehen, als irgend etwas. Hr. Paschal zählt es zu den Kennzeichen der wahren Religion. Um aber als Gelehrter jeden[579] ehrenrührigen Verdacht, als pflichtete er diesem bei, von sich abzuwälzen, führt er aus Horazens fünfter Satyre des ersten Buches jene Stelle an, wie heidnische Priester das Volk wollten glauben machen, sie wüßten Weihrauch ohne Kohle zu schmelzen. – Kein volles Jahrhundert später sagt Dupaty: »Er zwar habe das Flüssigwerden ebenfalls gesehen; aber es gehe ganz natürlich damit zu.« Des geringfügigen Umstandes jedoch, das Wie etwas näher zu bezeichnen, enthebt er sich gänzlich. Am Ende fügt er bei: »Seit einiger Zeit ist dieses Wunder in Mißkredit gekommen; vermuthlich wird es bald ganz aufhören. Wahrscheinlich wird es mit Nächstem auf der Welt nur ein einziges Wunder noch geben: die Welt.«

Auch einige Lügenberichte oder läppische Witze englischer Reisender mögen folgen. Addisson fertigt die Sache mit der Benennung einer »tölpelhaften Schwankes« ab. – Middleton heftet seinen Lesern Folgendes aus seiner Einbildungskraft auf: Während in der Kirche ein paar Messen gelesen werden, machen sich die übrigen Priester insgesammt mit dem Fläschchen viel zu schaffen; es ist in solcher Weise aufgehängt, daß, während ein Theil, Dank der Wärme der Hände oder der Beihülfe anderer Mittel, zu zerrinnen beginnt, die Tropfen auf den leeren Grund eines andern Fläschchens hinabfallen.« Nicht ehrlicher berichtet der Doctor Moore in seinem Vierv of society and Manners in Italy, Lett. 64, der Priester gebe sich viele Mühe, das Fläschchen zu erwärmen und zu streicheln. (Rein unmöglich, da er dasselbe gar nicht berühren kann.) – Ein neuerer englischer Reisender, welcher unter dem Namen Eustacius sogenannte »Classische Reisen« herausgegeben hat, obwohl Katholik, erklärt nicht, sondern fertigt blos ab: »Niemand,« sagt er, »giebt sich die Mühe nachzuforschen; man setzt voraus, die Thatsache rechtfertige sich durch sich selbst; die Neapolitaner behelfen sich des Grundsatzes der alten Deutschen: heiliger und ehrerbietiger ist es, von den Göttern zu glauben, als zu wissen.«

Stellen wir nun alle Berichte, von dem neapolitanischen[580] Arzt Matthäus Silvaticus im fünfzehnten Jahrhundert bis auf denjenigen des englischen Naturforschers Waterton in letzter Zeit auf die eine Seite, auf die andere Alles, was seit Masson bis auf den neuesten Touristen herab vorgegeben, geklügelt und gewitzelt worden ist, und würdigen wir die Summe von Beidem, ohne alle Rücksicht auf die Erscheinung selbst, blos nach ihrem Zusammenhang und nach ihrer Beweiskraft an sich, welches Resultat gewinnen wir? Dort eine ununterbrochene Reihenfolge durchaus übereinstimmender Zeugnisse, hervorgegangen aus genauer Erkundigung, ruhiger Beachtung, abgelegt mit Ernst und Würde; hier dagegen Urtheile von Hörensagen, aber mit der naktesten Zuversichtlichkeit ausgesprochen, aus der Luft gegriffene Verdächtigungen, freche Verdrehung dessen, was unter den Augen von Tausenden vorgeht, und oft gemeine Spässe an der Stelle von erwarteter befriedigender Erklärung. Das Mildeste, was sich darüber sagen läßt, ist jenes Wort: »und ihr Zeugniß stimmte nicht überein.«

Unerklärliches muß Jeder anerkennen, der unbefangen sehen, redlich urtheilen will. Die Kirche aber stellt den Glauben an ein fortwährendes Wunder mit dem Blut des heiligen Januarius insofern einem Jeden anheim, daß sie denjenigen, der dasselbe als solches nicht anerkennen mag oder kann, deßwegen von ihrer Gemeinschaft nicht ausschließt. Dagegen sollte man meinen, das geringste Maaß von Ehrlichkeit würde es vorziehen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, als, um hiezu nicht sich verstehen zu müssen, mit frecher Hand nach Auskunftsmitteln zu greifen, welche einen ganzen, immerhin achtenswerthen Stand durch eine lange Reihe von Jahren zu gewissenlosen Betrügern stempeln. Wenn der Neapolitaner die Abwendung der drohendsten Gefahr des Vesuvausbruches vom 20. Dezember 1631 der Fürbitte des heil. Januarius verdankt, der Protestant dagegen dieselbe dem zufälligen Umstand zuschreibt, daß die Lava einen andern Weg genommen und das Toben des Elementes ohnedem nachgelassen habe, so stellt sich Jeder auf einen Standpunkt, den er mit Gründen vertheidigen kann; wenn aber der[581] Letztere, um die Mangelhaftigkeit seiner Erklärung dessen, was der Andere zweifellos annimmt, nicht eingestehen und vor demjenigen, was dieselbe überragt, nicht sich beugen zu müssen, seine Zuflucht entweder zu Kindereyen oder zu Unredlichkeiten nimmt, dann weicht der Boden unter seinen Füßen, und er sinkt unter diejenigen herab, welche das Austreiben der Teufel nicht anders als durch einen Bund mit Belzebub, dem Obersten der Teufel, erklären wollten. In jedem Fall hat die abergläubische Ungläubigkeit vor der abergläubischen Leichtgläubigkeit nichts voraus, als ihr pausbackiges Blasen.

Nach allem, mit eigenen Augen Gesehenen und sodann aus glaubwürdigen Berichten in Bestätigung desselben Vernommenen mußte ich dem Urtheil von Sabbatino am Schlusse einer Abhandlung über das Blut des heil. Januarius beipflichten, welcher sagt: »Ich weiß gar wohl, daß viele Ausländer, selbst Katholiken, an dem Wunder zweifeln, oder, bevor sie es sehen, nicht daran glauben. Da ich aber Solche öfters in die Schatzcapelle begleitet und sie zu genauem Beobachten veranlaßt habe, überzeugten sie sich, daß hier nicht mehr zu zweifeln wäre, und daß der Vorgang auf keine Weise einer natürlichen Ursache sich zuschreiben lasse. Nachdem sie Augenzeugen geworden waren, hat Mancher gegen mich sich erklärt: das Flüssigwerden des Blutes seye wenigstens eine wunderbare Sache; Keiner, der sie beobachtet, vermochte einen Grund aufzufinden, sie ferner zu bezweifeln.« – Darum mag wohl Solger, ob auch Mancher darüber die Achseln zucken dürfte, ein wahres Wort gesprochen haben, wenn er in seinen philosophischen Gesprächen sagt: »Es gehört ein weit stärkerer Geist dazu, ohne Krittelei und Erklärungssucht Wunder zu glauben, als Alles, was mit den gemeinsten Verstandesregeln nicht übereinstimmen will, matt und feig hinwegzuläugnen.«

Somit war nach wiederholter genauer, aber redlicher (in den Augen aller Gegner aus bloßem Widerspruchsgeist das Unverzeihlichste) Beobachtung, die mich das Wunder, oder, wenn es milder lauten sollte, das Ausserordentliche anzuerkennen[582] zwingt, mein Urtheil festgestellt, als mir die Schrift des Abbate Luca zu Gesicht kam: Sopra una celebre controversia di battuta in Inghilterra negli anni 1831 e 1832 intorno alla liquefazione del Sangue di S. Gennaro, Vescovo e Martire. Ich entnahm derselben zu meiner größten Befriedigung, daß dreizehn Jahr früher der englische Priester Weedall in gleicher Jahreszeit Augenzeuge des Vorganges gewesen seye und beinahe die gleiche Argumentation über das Wunder in dem einen oder in dem andern Sinne (d. h. als Wunder des Betrugs oder als Wunder in Wahrheit) aufgestellt habe, was er in dem zu Birmingham erscheinenden Catholic Magazin and Review, veröffentlicht, hiedurch zu einer lebhaften und lange dauernden Erörterung Veranlassung gegeben hatte, in welcher die Gegner bloß hinter unhaltbare Hypothesen sich verschanzten. Hr. Weedall konnte den Hergang mit gleicher Bequemlichkeit beobachten, wie ich; er beschreibt denselben mit den gleichen Umständen, wie ich; und er begnügte sich mit den gleichen Umständen, wie ich; und er begnügte sich mit dem am Abend in St. Chiara Gesehenen so wenig, als ich, sondern verschob ebenfalls sein Urtheil, bis er am folgenden Morgen im Dom zum zweitenmal Zeuge gewesen. Hier stand er, gleich mir, neben dem Priester und überzeugte sich, gleich mir, daß bei der Weise, wie derselbe daß Gefäß halte, die körperliche Wärme auf den Stoff in dem Fläschchen, möge nun derselbe bestehen, woraus es seye, nicht den allergeringsten Einfluß zu üben im Stande seye. »Leichter,« sagt er, »würde die an einen Leuchter gelegte Hand eine Kerze entzünden, als jene Berührung einen festen Stoff flüssig machen.« Hiemit bin ich vollkommen einverstanden.

Es wurde Hrn. Weedall von einem Ungenannten eingewendet: »die gebildetesten und achtungswerthesten Neapolitaner und der Erzbischof selbst (da mals der greise Cardinal Ruffo) glaubten wahrscheinlich nicht an das Wunder.« Darüber machte er die gleichen Bemerkungen, wie ich. Ich setze in das Begleiten der Procession und in den Besuch des Königs bei dem[583] Blut nicht einmal so grossen Werth, wie er; das liesse sich am Ende als Ostentation deuten; solche aber konnte für jenes Haupt einer der ersten Familien Neapels, mit welchem ich in der Capelle zufällig zusammentraf, unmöglich Beweggrund des bloßen Privatbesuchs werden. Auch könnte ich einen andern und zwar nicht bloß durch sogenannte Bildung, sondern durch tüchtige Wissenschaftlichkeit ausgezeichneten Fürsten nennen, der mit der vollesten Anerkennung des Unerklärbaren mit mir darüber sprach. Ein Gelehrter, der zwar nicht genannt ist, denn ich aber wohl kenne, und der zu den unterrichtetesten und achtungswerthesten Personen Neapels gewiß mit Recht gezählt werden darf, zugleich Mitglied des Domcapitels ist, sagte zu Hrn. Weedall: »Ich will Ihnen frei meine Meinung gestehen. Ich bin nicht leichtgläubig, und prüfe Alles. Man spricht oft von Wundern, welche da oder dort sich sollen zugetragen haben. Im Allgemeinen schenke ich ihnen nicht leicht Glauben. Was aber das Blut des heiligen Januarius betrifft, so ist mir jeder Zweifel darüber aufgehellt. Ich halte das Flüssigwerden augenfällig und ohne Bedenken für eine wunderbare Sache. Liesse sich vernünftiger Weise an nehmen, es walte unter uns ein geheimes Einverständniß? Sie kennen unsere Stellung. Wir bilden zwei getrennte Corporationen mit verschiedenen Capellen und ganz abweichenden Rechten und Privilegien. Mir ist nicht gestattet, den Schatz zu betreten, und die Capelle vom Schatz hat keine Befugniß, in unserm Capitel sich einzufinden. Wir mögen uns gegenseitig kennen, eine engere Verbindung aber besteht unter uns nicht. Das Wunder geht bald in unserer Kirche, bald in der Capelle vor, und dieß durch so manche Jahrhunderte hinab, unter so vielen politischen Revolutionen, über welchen so oftmals die Interessen und die Gesinnungen der Bürger in Zwiespalt gekommen sind. Es wäre unmöglich, daß wir in versteckter Spitzbüberei eine geheimte Verabredung treffen, daß so viele unserer Vorfahren sie hätten aufstellen und festhalten können. Wer über diesen Gegenstand mich befragen mag, dem weiß ich keine andere Antwort zu ertheilen, als: Komm und[584] siehe! Kommen auch Sie und sehen auch Sie, nicht bloß an einem einzigen Morgen, sondern jeden Morgen, die ganze Octave hindurch. Prüfen Sie genau, und Sie werden finden, daß das Flüssigwerden nicht nur wirklich erfolgt, sondern daß sich zuweilen eine Vermehrung des Volumens zeigt, worin meiner Ansicht nach die bemerkenswerthefte Eigenthümlichkeit bei diesem Vorgange besteht.«

So, entfernt von Leichtgläubigkeit, wie von Ungläubigkeit, und nach sorgfältiger Beobachtung in freyer Ueberzeugung zu bekennen genöthigt: daß hier Etwas vor sich gehe, zu dessen Erklärung weder menschliche Erfahrung, noch menschlicher Scharfsinn hinreiche – darf von der reinsten Gewissenhaftigkeit dennoch die Frage gestellt werden: wozu dieses Wunder? Diese Frage darf um so unbedenklicher gestellt werden, weil die Gewissenhaftigkeit zugleich eine durchaus befriedigende Antwort zu ertheilen im Stande ist. Beobachte den Neapolitaner, wie lebhaft, wie beweglich, wie als Spielball seiner Einbildungskraft er sich erzeigt! Sein Auftreten, in welcher Gestalt du ihn sehen magst, seine Gebärden, der Ausdruck seiner Sprache verräth dir schon sein wallendes Blut, seinen des Ungewöhnlichen bedürftigen Sinn. Bei einem solchen Volk könnte bloße Belehrung unmöglich lange vorhalten; dasselbe bedarf Etwas, was ihm seine Abhängigkeit von dem Höhern nicht vor die Ohren, sondern durch die Augen vor den innern Sinn bringt. Ihm ist eine gewaltige Macht nothwendig, die ihn zwischenein von der Erde, welche gleich einer Buhlerin alle Reize und Lockungen vor ihm enthüllt, oder deren verzaubertes Kind er ist, losreißt, die ihm laut und vernehmlich zuruft: es ist Etwas über dir, in dessen Hand dein Geschick steht, was mit Segen dich überschütten, was Landesnoth über dich herwälzen kann. Dieses Verborgene, Geheimnißvolle ist ihm, der weniger durch die Speculation, als durch das Wahrnehmbare sich ziehen läßt, zu unfaßbar, gewinnt unmittelbar auf ihn nicht diejenige Einwirkung, wie auf den mehr geistigen Menschen. Darum ruft jener alljährlich wiederkehrende Vorgang,[585] für seine Begriffe weit verständlicher, ihm zu: das Verborgene, welches jenes so Erfreuende als Bekümmernde dir zu bereiten vermag, tritt dir nahe in seinem Boten, dem heiligen Januarius, der zugleich dein Anwalt vor demselben ist; in dem, was unter deinen Augen zu verschiedenen Zeiten des Jahres sich zuträgt, hast du das Siegel, daß Gott deiner gedenkt, zugleich die Weckstimme, daß du seiner ebenfalls gedenkest.

Uebrigens wurde einem meiner Freunde durch einen ganz gewöhnlichen Lazzaroni jene Frage auf eine Weise beantwortet, welche jede Klügelei darniederschlagen und die aufgeschwollenste Philosophie zum Verstummen bringen muß. Bloß in der Absicht, zu vernehmen, was der Lazzaroni wohl vorbringen würde, fragte er denselben: weßwegen denn alljährlich das Wunder sich wiederhole? Da erwiderte dieser mit dem Ausdruck des siegreichsten Bewußtseyns: »Weßwegen denn hat Gott Himmel und Erde erschaffen? Weßwegen hat er Euch ins Daseyn gerufen?« Der natürliche Verstand hatte diesem einfachen Menschen die kürzeste Formel an die Hand gegeben, mit welcher der Glaube dem in den Zweifel sich hüllenden Unglauben entgegentritt.

An Calculatoren, welche längst schon in Groschen und Pfenningen berechnet haben, welchen Schaden ihrem Staat dasjenige bringe, was sie Aberglauben nennen, fehlt es nicht; möchte einmal Einer in der Berechnung, welchen Nutzen die Beseitigung des Glaubens an dieses Wunder dem neapolitanischen Volk bringen dürfte, zu der Rechnung die Probe liefern! Wenn aber der leichtfertige, sinnliche, zu mancherlei Bösem geneigte Neapolitaner auch nur einmal des Jahres, zerknirscht oder in Anbetung hingerissen, vor dem Altar liegt, auf welchem er die verehrten Ueberreste erblickt, sollte dieses, weil er vielleicht des andern Tages wieder seinen gewohnten Gang fortgeht, darum gar keinen Werth haben? Und wenn ihr eine ganze Litaney von Schlimmem über die Neapolitaner abzukugeln wisset, würde dieselbe sich verkürzen, wenn ihr ihm[586] das Wunder mit dem Blut des heiligen Januarius zu sequestriren vermöchtet?

Vorstehendes über diesen merkwürdigen und jedenfalls unerklärlichen Vorgang lag schon zum Druck bereit, als mir in dem zweiten Januarsheft des »Katholiken« das Zeugniß des englischen Naturforschers C. Waterton zu Gesicht kam. Ich konnte nur höchst angenehm überrascht mich finden, zu sehen, daß derselbe, ebenfalls unter eigener Anschauung, durchaus das Nämliche wahrgenommen, und die vollkommen gleiche Ueberzeugung gewonnen habe, wie ich. Auch er berichtet wahrheitsgemäß, daß der Canonicus das Gehäuse, worin die »Fläschchen sich befinden, vor seinen Augen zum öftern von einer Seite zur andern gewendet habe, um zu zeigen, daß das Blut nicht flüssig seye, wobei er das Gehäuse nur mit den Fingerspitzen berührt habe.« – Auch er sagt von jenen Frauen, die aus der Familie des Heiligen abstammen, daß sie innbrünstige Gebete zum Himmel emporschicken, wobei sie sich in einer schwer zu beschreibenden Weise geberdeten. »Fremde,« sagt er ebenfalls, »die mit der italienischen Sprache (dem neapolitanischen Dialekt) nicht, oder nur unvollkommen bekannt sind, und die den durch einen solchen Act erregten Euthusiasmus nun nicht theilen, haben behauptet, die Frauen schimpften und schmähten den Heiligen, weil sein Blut nicht so schnell flüssig werde, als man es wünschte. Ich befand mich, während die Frauen beteten, dicht bei ihnen, und hörte weder Drohungen, noch Schimpfworte, sondern nur Aeußerungen der andächtigen Begeisterung.« Den Hergang des Flüssigwerdens hatte er ebenso genau und wiederholt beobachtet, als ich, demnach mit seinen eigenen Augen gesehen, »daß das Blut einen Klumpen bildete und durchaus unbeweglich war.« Ferner giebt er Zeugniß, daß der ärmste Mann ebensogut als die Königin Wittwe (die damals gerade in der Kirche sich sich befand), die Reliquie in der nächsten Nähe habe betrachten können. Auch er hatte dasselbe in seinem flüssigen Zustand wiederholt besichtigt, und schließt seinen Bericht mit folgenden Worten: »Alle meine frühern[587] Erlebnisse traten vor diesem Ereigniß in den Hintergrund, und ich spreche hiemit als meine volleste Ueberzeugung aus: daß das Flüssigwerden des Blutes des heil. Januarius ganz unzweifelhaft durch ein Wunder bewirkt werde.«


Ich habe mich bei meinem kurzen Aufenthalt in Neapel oft an diesem Volk ergötzt, zumal in Begleit meines Landsmannes Reinhard, der dessen Art und Weise kannte, es zu behandeln und mit ihm zu sprechen wußte. Greift man einen Franzosen bei seiner Ehre an, zweifelt man an seinem Muth, dann hat man ihn von der empfindlichsten Seite berührt; ehedem war dasselbe der Fall bei dem Schweizer, gegen dessen Treue und Redlichkeit Verdacht gehegt werden wollte; nennt man einen Deutschen einen Flegel, oder betilelt man ihn Spitzbuben, so wird er am sichersten aufbrennen. Für den Neapolitaner giebt es ein Wort, welches er empfindlicher aufnimmt, einen Zweifel, der ihm noch schwerer auf's Herz fällt, als dem Franzosen derjenige an seinem Muth. Nenne ihn Türke, und du hast in sein Innerstes gegriffen. Wenn du mit Einem um irgendwelchen Dienst handelst, so kannst du ihm birbante (Spitzbube) sagen, dafern es nur mit lachendem Munde geschicht und du allenfalls eine Erwiderung, die vielleicht ein Spott oder ein Scherz ist, ebenso gleichmüthig hinnehmen magst; aber Turco würde Jener nicht so gelassen ertragen. Früge man in Deutschland mit dem Ton der Entrüstung oder des Vorwurfs irgend einen Menschen: ob er getauft seye? er würde den Fragenden anglotzen und meinen, was das ihn angienge. Nicht so der Neapolitaner. Das sei tu batezzato? mit dem Ton des Zweifels gesprochen, ist das Empfindlichste, was man ihm vorhalten kann. Wir fuhren einst auf einem Curriculo von Nocera nach Castellamare. Der Bursche, der das Pferd leitete, hatte weniger Verstand, als sein Thier.[588]

Unbarmherzig hieb er auf dasselbe los, hielt dabei öfters die Leitseile straff und machte es ganz störrig, daß wir immerfort in Gefahr schwebten. Reinhard mochte mit ihm poltern, wie er wollte, es half Alles nichts; wollte er ihm das unmenschliche Peitschen verbieten, so erwiderte der Bursche: das Pferd gehöre ihm, er könne es behandeln wie er wolle. Endlich aber fuhr er ihn an: sei tu Turco o Cristiano, sei tu batezzato? Damit war der Bursche niedergeschmettert; willig gab er die Zügel sammt der Peitsche aus der Hand und sprach auf dem Rest des Weges kein Wort mehr. Allerdings haben diese Leute von ihrem starken Glauben an die Bedeutung der heiligen Taufe bis zu der Ansicht, dieselbe seye eine herkömmliche, aber unschädliche, darum fortan zulässige Aufnahms-Ceremonie noch einen weiten Weg zu durchwandern. Sollten sie aber je an diesem lichtvollen Ziel anlangen, würde dann wohl besser mit ihnen zu verkehren seyn, würden sie für die Fabriken ein brauchbareres Material abgeben?

Neugierig, geschwätzig sind sie durchweg, aber auch gutmüthig. Ich wollte mich anheischig machen, irgendwo, besonders auf dem Lande, mit irgend Jemand um Etwas zu feilschen, und gewiß in ein paar Minuten hätte sich ein ganzer Kreis um uns her gebildet, aus welchem jedes Individuum zu dem Handel sprechen würde. Wir mietheten zu Salerno ein Curriculo, um nach Castellamare zu fahren, und begegneten unterwegs jenem erwähnten, welches von daher kam. Nun wurden die beiden Führer einig, unter unserer Genehmigung ihre Ladungen auszutauschen. Während wir daher das Pferd in Augenschein und von dem engen Sitz das Maaß nahmen, ob er wohl räumtlich genug seyn möchte, standen unversehens bei sechs Personen um uns her; die Einen wendeten sich an die beidem Bursche, um ihnen vorzurechnen, was sie gewönnen, Andere an uns, um uns zu dem Tausch zu ermuntern, da er ganz zu unserem Vortheil ausfiele. Ein baarfüssiger Krämer, der ein großes Brett mit Glaswaren auf dem Kopfe trug, machte ebenfalls Halt, um in die Unterhandlung zu sprechen,[589] und gieng, nachdem er seinen Beitrag zugesteuert, so ruhig, wie er gekommen war, seines Weges.

Zudringlich, geldsüchtig, seine Forderungen oft ins Lächerliche übertreibend ist all das Volk, welches überall, wie die Wespen eine frühreife Frucht, den Fremden, noch ehe er den Fuß auf die Erde setzen kann, umschwärmt. Ehe er sich umsieht, ist er durch einen Kreis von Bettlern, Führern, Wegweisern, Gepäckträgern, Fuhrleuten, Eselsmiethern und allen Arten und Abarten solches Volkes eingeschlossen; Alle drängen sich, Alle zugleich strecken die Hände aus, Alle zugleich rufen, Alle zugleich bieten ihre Dienste an, von allen Seiten schallts ihm entgegen: Eccellenza! Als wir in Castellamare einfuhren, stürzte ein solcher Schwarm Dienstfertiger, noch bevor wir stille hielten, mit einem Geschrei, als wie eines gewaltigen Sturmes Brausen, auf uns ein, daß es unmöglich ward, auf Tausende auch nur Eines zu antworten. Diesem gellenden Durcheinanderschwirren so vieler Stimmen stellte ich plötzlich und unausgesetzt mit aller Kraft der Lunge eine solche Masse unartikulirter Töne entgegen (in unserer Schweizersprache Joolen genannt), daß rasch Alle ins lauteste Lachen übergiengen und wir ganz gute Freunde wurden; Alle diese Dienstfertigen liessen sich nun ruhig bedeuten: wir bedürften für den Augenblick gar nichts, als eines Mittagessens. Doch ein paar Bubem mit Eseln, die uns zu dem königlichen Lustschloß Quisisana hinauf spediren wollten, lauerten diesem ab, und folgten uns mit ihren Thieren durch die Strassen. Sie liessen sich bloß dadurch abweisen, daß wir ihnen in jeder Strasse minder boten, als in der vorigen, indem wir bemerkten, wir wären ja dem Ziel schon um so viel näher.

So hatten wir uns in dem Städtchen la Cava auf die steinernen Stufen unter einem bedeckten Gang gesetzt, um Jemand zu finden, der unsere Reisesäcke nach dem Kloster Trinita, eine starke halbe Stunde in dem Gebirg, hinaustrage. Flugs waren wir von wenigstens acht Burschen umgeben, die, in vollem Eifer gestikulirend und declamirend, uns überzeugen wollten,[590] wie mühsam der Weg, wie fern das Kloster seye. Der Erste forderte einen Piaster, der Andere einen Dukato, der Dritte versicherte, nur so seinen Herren zu lieb würde er sich mit acht Carlin (1 fl. 36 kr.) begnügen. Wir lachten sie aus, trieben unsern Scherz mit ihnen, was gutmüthig aufgenommen, immer mit gleicher Münze bezahlt wurde. Endlich sprang aus ihrer Mitte der Stattlichste und Bestgekleidete hervor und anerbot, für ein Carlin (12 kr.) mit beiden Reisesäcken sich zu beladen und zugleich unser Wegweiser zu seyn. Mit diesem Wort war der Handel geschlossen. Unterwegs unterhielt er uns damit, wie er bei der Rückkehr mit seinen Cameraden einen schweren Stand haben werde, daß er uns so wohlfeil bedient habe. Er war ein so munterer Begleiter, und ertheilte uns über Alles so freudig und klar Bescheid, daß wir gleich vergnügt von einander schieden, als er das Doppelte seiner Forderung von uns empfieng. Am folgenden Tag aber wußte derjenige, welcher unser Gepäcke wieder zurücktragen sollte, bereits, was wir am vorigen Abend für das Hinaustragen gegeben hätten, und wollte deßwegen nicht mit wenigerem sich zufrieden geben.

Eines Nachmittags fuhr ich mit meinem Landsmann, dem Abbé Reinhard, von Neapel nach der Villa des vorigen Nuntius, Monsignore di Pietro, hinaus, theils um demselben vor seiner Abreise nach Portugal einen Abschiedsbesuch zu erstatten, theils um nochmals an der Lage der Villa, welche unbestritten die herrlichste vom ganzen Posilipp ist, und deren wunderreiche Aussicht einzig derjenigen von Capo Miseno nachsteht, mich zu ergötzen. Wir mietheten einen Nachen und bedingten als Ziel der Fahrt die Spitze des Posilipps, über welcher, Nisida gegenüber, das Landhaus sich erhebt. Es scheint aber, daß der Name »Spitze« einem andern Punct des Vorgebirgs beigelegt wird; denn als wir an diesem angelangt waren, erklärten die Schiffer: jetzt befänden wir uns am Ziel unserer Wünsche. Ich lachte ihnen aber bemerklich, daß die eigentliche Spitze des Posilipps vor Nisida liege, und daß wir[591] unserer Geschäfte wegen dorthin fahren müßten. Ungeachtet die Entfernung kannt eine Viertelstunde beträgt, klangts schon wieder von einem Piaster, einem Ducato mehr, setzte aber auch das Versprechen billiger Vergütung unsere Ruderer alsbald wieder in unverdrossene Bewegung. Auf der Rückfahrt wurde dann neuerdings von der weiten Strecke und der großen Anstrengung ein Weites und Breites gesprochen. Reinhard ließ sich in Erörterungen ein, gab zwar Zusicherungen, wies anbei Uebertriebenes von der Hand. Ich dagegen, weil ich von Allem nur selten ein Wort verstand, mußte über die Erörterungen unaufhörlich lachen, womit ich meine Leute alsbald gewann. Questo, sagten sie, auf Reinhard deutend, questo a il petto stretto, um quello Signore, auf mich hinweisend, a il cuore largo. Beim Aussteigen hatte aber mein Landsmann die Sache bald abgemacht, er zahlte einen Carlin mehr und die Schiffer gaben sich auch zufrieden.

Angenehm für den Fremden ist dieser Zudrang von Bettlern und Erwerbsuchenden allerdings nicht, doch kann dabei nicht entgehen, daß die sich Anbietenden irgend einen Dienst zu erweisen suchen, die Verlangenden am Ende mit Wenigem zufrieden sind, indeß die Bettler anderwärts (z. B. in den protestantischen Cantonen der Schweiz) meinen, sie hätten Alles von rechtswegen zu fordern und man seye, was man geben mag, eigentlich schuldig. Allerdings sind die Beschwerden, welche über jene italienischen Dienstfertigen oft laut genug geführt werden, nicht ungerecht. Das aber ist ungerecht, die Ursache dieser Belästigung anderswo suchen zu wollen, als wo sie einzig zu finden ist; das ist ungerecht, sie ausschließlich dem Volk aufzubürden, welches dazu Veranlassung giebt, und hieran allgemeine Folgerungen über dessen Charakter anknüpfen zu wollen. Gewiß ist dieses einzig Wirkung der jährlichen Nomadenzüge der Reisenden. Diese sind es, welche dem Volk jenes Gepräge aufgedrückt, welche zu solchem Gewerbe es herangezogen haben, und nun vergessen sie den Schulmeister und seufzen, daß der Schüler so gelehrig gewesen seye. Erst trat ein Bedürfniß[592] nach dergleichen Hülfleistungen ein, dieses erzeugte das Uebermaß der Anerbietungen und aus diesem gieng dann mittelst ganz natürlicher Wirkung die Zudringlichkeit hervor. In frühern Zeiten, d. h. bis zum Ende des abgewichenen Jahrhunderts, waren es meistens reiche Leute, welche so weite Reisen unternahmen, und ihre Paoli weniger zu Rath halten mußten, als gegenwärtig Viele ihre Bajochi; da war es begreiflich, daß der leicht gewonnene Erwerb lockte. Wie dann die Zahl der Zugvögel sich mehrte, mußte auch die Zahl derjenigen sich mehren, die dem mühelosen Geschäfte sich hingaben, ihnen die Federn auszupflücken. »Wo das Aas ist, da sammeln sich die Adler« (oder auch die Insecten), sagt unser Herr im Evangelium; das bewährt sich hier. Daß in den Ortschaften, durch welche die Hauptzüge gehen, oder welche die anziehendsten Puncte sind, diese Plage durch die Fremden hervorgerufen wurde, dessen kann man sich leicht überzeugen, sobald man auf die minder besuchte Seite der Apeninnen oder vollends in das Innere des Landes kömmt; da wird man nicht von Bettlern bestürmt, nicht von Führern und Pferdeverleihern umlagert, da hat man keine Ursache, über all dieses Beschwerniß Klage zu führen.

Der heilige Thomas von Aquin sagt: raro sanctificantur, qui multum peregrinantur. Dieses Wort findet seine begründete Anwendung, wie auf die Reisenden selbst, so in natürlicher Wechselwirkung auf die Bewohner derjenigen Gegenden, die von jenen in großen Schaaren durchzogen werden. Z. B., welche Ueberreste jener Einfachheit, Biederkeit, Sitteneinfalt, die Einem noch vor 50 Jahren ungesucht begegneten, findet man jetzt in denjenigen Theilen der Schweiz, welche von den Schwarmen der Neugierigen, Müssiggänger und Prasser aller Länder in ähnlicher Weise durchschwirrt werden, wie die Gegenden um den Golf von Neapel? Wahrlich dort findet sich Aehnliches wie hier, nur unter andern Formen und etwas minder lästig, des kühlern Blutes wegen. Ich bin weit entfernt, all dieses Widerwärtige in Schutz nehmen,[593] oder es auch nur erträglich finden zu wollen; es hat mich überall angeeckelt, so gut als jeden Andern; z. B. in Terni, wo in der Nähe der Wasserfälle kein Schritt sich thun läßt, ohne daß zwischen dem Gebüsch oder den Felsen eine Hand zum Fordern herausragte; aber das widerstrebt mir, die Wurzel anderwärts suchen und landläufigem Geschwätz gemäß sie gewissermassen finden zu müssen, als da, wo man dieselbe nicht erst aufzusuchen hat, sondern wo sie unverdeckt am Tage liegt. Sobald man es daher, bevor ein allgemeines, darum leicht übereiltes, deßwegen ungerechtes Urtheil ausgesprochen wird, über sich gewinnen kann, zu beobachten, wo vorzüglich zu jener Klage unverkennbarer Grund sich darbiete, wo dagegen nicht, ist hiemit der erste, unerläßliche Schritt geschehen, dem Warum dieses Unterschiedes nachzuspüren; dann wird man über dasselbe unmöglich lange im Dunkeln bleiben können. Freilich dürfte es dabei schwer fallen, wenigstens bedingter Anerkennung einer Behauptung von J. J. Rousseau ganz sich zu erwehren: daß nämlich in dem anfänglichen Naturzustand alle Menschen gut gewesen wären, das Schlechte hingegen ihnen erst seye anerzogen worden. Hier müßte man sicher durch Vorurtheil im höchsten Grade geblendet seyn, wenn man dieses Schlechte, oder doch höchst Beschwerliche und manchen Genuß, den Natur, Kunst und Alterthum sonst gewähren, Verbitternde nicht als Wirkung jener Anerziehung erkennen, nicht sich gestehen wollte, daß die Maßen durch die Maßen verdorben werden. Dadurch wird freilich der Behauptung von Förderung der Civilisation durch die in raschem Fortschreiten erleichterte Möglichkeit, das Menschengeschlecht in einen unablässig beweglichen Nomadenhausen zu verwandeln, ein riesiges Fragezeichen entgegengestellt. Die Beurtheilung, ob das Fragezeichen an gehöriger Stelle angebracht seye, oder nicht, hienge von dem Begriffe ab, den wir dem Wort Civilisation unterlegen. Können wir einen gewissen moralischen Schwerpunct, den dieselbe dem Charakter verleiht, und mittelst dessen er auf geordneter Bahn seinen Lauf nehmen sollte, nicht davon trennen,[594] alsdann werden wir kaum dieses Fragezeichen übel angebracht finden; könnte aber jenes ausser Berücksichtigung fallen, müßte deren wahrer Charakter mehr in einer gewissen Verschlissenheit, in einer oberflächlichen Allgemeinheit, in einer geläufigen Redefertigkeit, die über alles Denkbare sich zu er giessen immerwährend bereit steht, in einem Jagen nach viel fältigem Erwerb, als Mittel zu ausgesonnenen Genüssen, gesucht werden, dann freilich dürfte mit vollem Recht derjenige ein schwatzgallichter Murrkopf genannt werden, welcher das Fragezeichen wohl angebracht fände.

Wenn die Plackgeister der Reisenden, welche von den Paoli's und Carlini's derselben ihr Daseyn fristen und jenen Insecten vergleichbar sind, die von dem Blut des Menschen zehren, manche Aeusserung des Unwillens hervorrufen, so ist Solches begreiflich, weil natürlich; diese Erscheinung aber zur Unterlage des Urtheils über ein ganzes Volk machen zu wollen, kann nur der grämtlichen Leichtfertigkeit eines Touristen beifallen, der von Paris, Berlin, Wien, von woher es seye, seinen fertigen Maßstab mitbringt, und, was mit demselben nicht zusammentrifft, in die Brüche wirst. Diese haben es zwar durch ihr Jammern, Klagen und Verwünschen wohl dahin gebracht, daß unter vielerlei gläubigem Leservolk, welches in treulichem Hineinschlingen alles Vorgesetzten eine Tinktur der Urtheilsfähigkeit sich erworben zu haben meint, an den Wortlaut Italiener das Beiwort, »träg« oder »betrügerisch« unzertrennlich sich anknüpft.

Wer nicht bloß lesen muß, sondern sehen kann, findet Manches anders. Er wird sich z. B. bald überzeugen, daß in Italien weder die handwerktreibende Classe in den Städten, noch das Landvolk minder rührig seye, als in andern Ländern. Tagdieben, die aufrechten Rückens durch die Welt kommen wollen und auf den Beutel anderer Menschen speculiren, giebt es in den großen Städten aller Länder im Ueberfluß; diejenigen von Italien haben hierin nichts zum voraus. Sonst habe ich zu Rom und in Neapel die Werkstätten so früh geöffnet[595] und so spät geschlossen und die Arbeit in denselben so rüstig betrieben gesehen, als irgendwo diesseits der Alpen. Den Tribut, welchen in den Sommermonaten der Himmelsstrich auferlegt, darf man nicht so unbedingt auf blosse Rechnung der Menschen schreiben. – Aber eben dieser Himmelsstrich erleichtert dem Landvolk die Arbeit, ohne daß es den Ueberschuß an Zeit immer zu verwenden wüßte. Daß es in jener nicht saumselig seye, beweist der Anbau des Bodens, den ich bis auf den Col di fiore, wo die Höhe nur noch ein geringes Erträgniß gewährt, so gut besorgt sah, als irgendwo in Deutschland. In solchen Gegenden, wo dieß weniger bemerklich ist, wie in der Campagna di Roma, hängt dieses unbedingt von den Eigenthumsverhältnissen ab. Vor Perugia und anderwärts begegnete ich oft Weibern, welche Gemüse nach der Stadt trugen, dabei an den Lenden einen Rocken befestigt hatten und vor sich her spannen; was doch kein Beweis von Trägheit ist. Als ich am 23. Juni des Morgens in der Gegend von Civita Castellana die Augen aufschlug, sah ich Hunderte von Arbeitern mit der Erndte beschäftigt. Es war Sonntag. Eine solche Thätigkeit am frühen Morgen dieses Tages befremdete mich. Da ertheilte mir einer der Reisegefährten die Auskunft: die Hitze könne hier den gereiften Feldfrüchten so verderblich werden, als in kältern Gegenden der Regen. In solchen Fällen seye es dem Bischof des Sprengels, oder auch dem Pfarrer eines Ortes gestattet, die Erlaubniß zum Einsammeln zu ertheilen und den Gottesdienst bis zum Eintreten der grössern Tageshitze zu verschieben. Auf den folgenden Tag traf das Fest Johannes des Täufers ein, eines der größten in den Kirchen des päpstlichen Gebietes; Nachmittags war auf dem fruchtbaren Gelände zwischen Tolentino und Macerata das regsamste Erndtegewimmel zu sehen; was diejenigen sich merken mögen, welche die alberne Sage, die Kirche und die kirchlichen Feste beförderten die Trägheit, so begierlich wiederkauen.

Daß in Landstrichen, auf welchen der Erde ihre Erzeugnisse[596] nur unter größerer Anstrengung können abgerungen werden, unter climatischen Verhältnissen, welche dem Menschen für Nahrung, Kleidung, Heitzung mannigfaltigere Bedürfnisse auferlegen, die Nothwendigkeit, diesen fürzusorgen, zu größerer Regsamkeit zwinge, ist natürliche; darum aber dürfte diese noch so wenig eine Tugend genannt werden, als die Genügsamkeit des Südländers, welche ebenfalls mehr Wirkung des Clima's, als des Willens ist. Es wäre noch eine Frage: ob den gewöhnlichen und natürlichen Menschen nicht überall ein Hang zur Trägheit bewältigte, den er erst dann zu überwinden sich bestrebt, wenn er auf irgend eine Weise über die unterste Stufe des Daseyns sich erhebt. Hienach wäre es das Ungerechteste zu nennen, Trägheit, als vorherrschenden Charakter, irgend einem Volk ausschließlich vorzuwerfen, oder denselben gar (wie ich dergleichen von Jugend an zu hören gewohnt war) für unvermeidliche Wirkung irgend einer Religionsform ausgeben zu wollen. Obwohl Norwegen in allen Beziehungen der Gegensatz von Neapel genannt werden kann, bezeichnet Mügge in seinem Reisebericht über dieses Land die Trägheit dennoch als einen nationalen Fehler seiner Einwohner, und dieß bis hinauf in die unwirthlichsten Einöden der Gebirge. Als Beweis dessen führt er an, daß eine Haushaltung, für welche in Deutschland ein einziges Dienstmädchen vollkommen ausreichen würde, in Christiania deren zwei bedürfe. Wieder sagt er: wenn dort ein Arbeiter seinen Taglohn verdient habe, halte es schwer, für Geld und gute Worte ihn zu bewegen, die Arme noch weiter zu rühren. Haben wir da nicht den neapolitanischen Lazzaroni, wie er leibt und lebt! Warum aber wollt ihr diesem, dem die heitere Sonne Feurung und einen Vorrath von Kleidern für so mannigfaltigen Wechsel des Wärmegrades erspart, über welchem der blaue Himmel sein Sternengezelt ausspannt, dem zu seiner Leibesnahrung einige Pomeranzenschaalen und für das Festmahl Macaroni genügen, vor dessen Blick »der Berg« und das Meer tagtäglich neue Reize entfalten, warum wollt ihr diesem seine Genügsamkeit und sein[597] daran geknüpftes Far niente zum Vorwurf machen? Wär er ein edlerer Mensch, wenn er als leibeigener Frohnknecht eueres Industrialismus sein Leben in einer Spinnstube verdumpfte?

Nehmen wir das Gegenbild von dieser angeblichen Trägheit und beantworten wir mit ehrlicher, vorurtheilsfreier Gesinnung die Frage: welches von Beiden doch das anziehendere, zusagendere seye, welches unter ihnen auch nur dem bescheidensten Ideal der Menschheit näher stehe? Hülfsmittel, zureichende Hülfsmittel zu genügender Beantwortung könnten vielleicht die Fabrikgegenden jedes Landes liefern. In dem hochgepriesenen England z. B. sind Wolverhampton und Willenhall sehr gewerdfleissige Ortschaften; ihre Gesammteinwohnerschaft ist von den zartesten Kinderjahren an bis zu dem Greisenalter, dessen Kräfte aufgezehrt sind, mit Fertigung von Eisenfabrikaten, an letzterm Ort ausschließlich von Ketten und Nägeln, beschäftigt. Welchen Umriß der dortigen Zustände giebt uns nun, nicht etwa ein mißstimmter Reisender, Einer, der eilenden Fusses durchgezogen und flüchtige Blicke rechts und links geworfen und ohne oder mit Vorsatz ein Zerrbild hingezeichnet hätte, sondern ein mit aller Genauigkeit entworfener, weil durch Untersuchung in Auftrag des Parlaments erstatteter Bericht: »der Childrens employement commissions report«? Diesem zufolge wohnen zu Wolverhampton die Menschen nicht desser als die Irländer in ihren schlechtesten Hütten. Es sind wahre Löcher, in denen sie sich aufhalten, und zu denen man nur durch Moräste von Schmutz gelangen kann. Im Innern dieser Wohnungen findet man durchaus nichts, als den nothdürftigsten und dazu noch armseligsten Hausrath. Die Kinder, denen man draussen begegnet, sind blaß, schlapp, kachektischen Aussehens; um sie dämlich zu machen, werden ihnen Präparate von Opium gegeben, kaum die Hälfte derselben besucht eine Sonntagsschule. Was die Väter die Woche durch erwerben, wird des Sonntags in Branntwein vertrunken, und hält das Geldchen zufällig bis in den Montag hinein, so wird dieser noch dazu genommen. In Willenhall ist's noch schlimmer. Da sind beinahe alle Einwohner[598] mißgestaltet, mit mancherlei Gebrechen behaftet. In die Kirche geht Niemand, gewöhnlich ist die Stimme des Pfarrers diejenige eines Predigers in der Wüste. Dieser Report, welcher in die Abgründe eines intellectuellen, moralischen, physischen und socialen Verderbnisses schauervolle Blicke uns eröffnet versichert, daß zu Birmingham eine große Menge von Eltern ihre Kinder beinahe nie sehen; jene bringen den Tag in den Fabriken zu, diese sind der Hut eines andern, nur wenig ältern Kindes, oder eines alten Weibes überlassen. Während zu Manchester noch im Jahr 1841 auf 32 Einwohner ein Augeschuldigter kam, hat sich im vorigen Jahr das Verhältniß schon wie 1: 16 gestellt, indeß es sich nach Mittermaier in dem durch Manche so tief herabgesetzten Neapel wie 1: 105 und in den Abruzzen gar nur wie 1: 191 herausstellt. Wie anders in dem entgegengesetzten Norden, den man sich so gern als Sitz strenger Redlichkeit und Sittlichkeit zu denken gewohnt ist! Da kam nach officiellen Berichten zu Stockholm in den Jahren 1841 und 1842 auf neun Einwohner ein Beklagter, ein Verurtheilter auf dreizehn, in kleinern Städten kein bedeutend verringertes Verhältniß (nur auf dem Lande 1: 139). Sollten aber die dort an Weidern, wie an Männern nicht selten vorkommenden Straffälle, das Abendmal im Zustande der Trunkenheit empfangen zu haben, in katholischen Ländern, zumal in solchen, denen noch kein ministeriell zugestutzter Katholicismus auf regiert worden ist, auch nur denkbar seyn? Welche fruchtbaren Bemerkungen liessen sich nicht vollends an eine Statistik der Ehescheidungen knüpfen! Oder wäre die Leichtigkeit derselben ebenfalls Blüthe der Civilisation, Segensfrucht der Vernichtung der Kirche, Siegespreis des würdigen Kampfes um sogenannte Geistesentfeßlung? Was könnet ihr gegen diese Zahlen einwenden?[599] Ueber den Aberglauben, die Unwissenheit, die geistliche Vernachlässigung der Neapolitaner wissen Reisebeschreiber, Kirchenzeitungen und Repertorien die inngründigsten Abhandlungen zu schreiben, oder die herzbrechendsten Seufzer loszulassen. Wer durch die Einen sich belehren, durch die Andern sich bewegen lassen könnte, der müßte meinen, das Volk kenne dort in der That nichts von dem Christenthum und Niemand gäbe sich Mühe, ihm einen andern Begriff davon beizubringen, als den unklaren, welchen es etwa, und dieß nur zufällig, dem ungedeuteten Cultus entnehmen könne. Wir diesseits der Berge belächeln den beschränkten Neapolitaner, der die Menschen in Christen (Katholiken) und Türken scheide; der ohne Ahnung, daß es auch noch andere Formen der Verehrung Christi gebe, als die seinige, unter die Türken Alles zähle, was nicht Katholik seye. Aber könnte man nicht mit ebenso vollem Recht über diejenigen lachen, welche in anmaßlicher Selbstgenügsamkeit bei einem aus- und abgeklärten und auf eine bloße Verstandes-Operation reducirten Christenthum auf alle diejenigen, die mit einem solchen nicht beglückhaftet sind, als auf Geschöpfe minderen Schlages herabsehen, und denselben zwar nicht die absolute Fähigkeit, mit ihnen ebenbürtig noch werden zu können, wohl aber die Möglichkeit hiezu absprechen, allsolange sie nicht ihrem, das Leben ungleich mehr in Anspruch nehmenden Christenthum entsagen könnten. Sollte die Querköpfigkeit eines Stockpietisten, oder die gemüthlose Flachsinnigkeit eines Rationalisten oder die schnaufende Aufgedunsenheit eines in beiderlei Farbe schillernden Ausgleichers vor der glaubenseinfältigen Beschränktheit eines neapolitanischen Lazzaroni so viel zum voraus haben? Ein Unterschied kann bloß darin liegen, daß der Erste vielleicht ein Professor, der Andere Mitarbeiter an einer gelehrten Zeitschrift, der Dritte Flugblättler, der Vierte aber Lastträger oder Fischer ist, dessen Beine wahrscheinlich, so lange sie ihn trugen, niemals in Strümpfen steckten.

Wäre ein Versuch denkbar, was der Protestantismus mit und aus den Neapolitanern machen würde, gewiß dürfte kaum[600] ein Menschenalter dahingehen, bis diejenigen, welche nicht gänzliche Abtrennung von Gott für den vollendeten Fortschritt des Menschengeschlechts zu erklären vermöchten, selbst wünschen müßten, dieselben katholischem Glauben und Cultus wieder zurück geben zu können. Uebrigens ließen sich aus Erfolgen, die nicht Versuche, sondern eine längst bestehende Einwirkung in jenem Sinne hie und da gehabt haben, Schlüsse mit ziemlicher Sicherheit bauen. Ob in letzter und allgemeiner Beziehung der Unglaube oder der Aberglaube zu gefährlichern Ausbrüchen führen könne, darüber könnte man noch in speculative Erörterungen eintreten, schwerlich aber darüber, welcher von Beiden auf den allgemeinen, gewöhnlichen und tagtäglichen Lebensverkehr störender und unbehaglicher einwirken dürfte; oder man müßte der Erfahrung jegliches Stimmrecht geradezu absprechen.

Es gilt gewissermaßen als ausgemachte Sache, daß in den katholischen Ländern, namentlich in denjenigen jenseits der Gebirge, über die Glaubenslehren wenig Unterricht vorkomme, das Volk mit dem Cultus sich begnügen müsse, und daß es in Bezug auf denselben nicht sowohl Belehrung erhalte, als vielmehr (wenn ich so sagen soll) dafür abgerichtet werde. Dieses für den Augenblick zugegeben, läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß aller Cultus der katholischen Kirche die Anerkennung Christi als eines persönlichen, als des Eingebornen und Weltheilandes nothwendig voraussetze, zugleich aber als etwas Lebendiges das Leben selbst berühre und zu sich in Wechselbeziehung setze, was in solcher Weise ein bloßer Vortrag, und alle in die Gränzen der Speculation eingeschlossene Belehrung nicht vermag. Daß es aber an dieser in aller und jeder Hinsicht in Neapel fehle, muß ich sehr bezweifeln. Einmal wenigstens habe ich in der gedrängt vollen Jesuitenkirche vor dem Hochamt eine Predigt gehört, ein anderes Mal trat ich gegen Abend in die Kirche von St. Maria del Carmine, wo ich zum Schluß einer solchen kam und viele der anwesenden Lazzaroniweiber beinahe in Thränen zerfliessen sah. War vielleicht beim Austritt aus der Kirche der Eindruck bald wieder verflogen, so wolle man mir doch zur[601] Güte sagen, ob so zweifellose Versicherung sich geben lasse, daß Aehnliches anderwärts und bei der kunstgerechtesten Auseinandersetzung eines philosophischen Problems oder eines moralischen Themas durchaus nicht zu besorgen seye?

Schon die zahlreichen, durch die Stadt zerstreuten Kirchen sind in ihrem immerwährenden Offenstehen ein lautloses Verkünden höherer Wahrheiten. Man kann mit Recht jede Kirche »eine Thüre des Himmels« nennen; aber die Thüre darf nicht verschlossen seyn, wenn man durch dieselbe eingehen soll. Wer nun möchte ein Verzeichniß führen über die Tausende, die alltäglich, bloß als zufällig Vorüberwandelnde, bloß weil die offen stehende Thüre sie daran gemahnt, bloß weil durch dieselbe, ob zwar ohne artikulirten Ton das Ohr berührend, ein rufender Laut hinaus dringt, zu jeder Stunde eintreten durch dieselbe? Wer möchte Buch halten über die Heilsgedanken, welche so im Vorbeigehen geweckt werden, über die Gebete, zu denen ohne dieß der Mensch nicht Anregung fände, über die Seufzer, die zum Himmel emporsteigen, nur weil die Gelegenheit sie hervorruft, über so manche Anregungen des Höhern, und sollten es auch leicht wieder sich verflüchtigende seyn, wozu sonst Veranlassung schwerlich sich böte. Allerdings kann man dergleichen verborgene Gemüths- und Herzens Operationen anzweifeln, sie in Abrede stellen, die Voraussetzung derselben als Täuschungen einer leicht beweglichen Einbildungskraft erklären; denn es werden an den Kirchen für Ein- und Austretende keine Contremarken gegeben, wie bei den Theatern, und noch weniger lassen sich für Gefühle und Gedanken, wie bei den englischen Zollwegen, turnpikes anbringen, um am Abend genau aufzählen zu können, wie Viele den Tag über durchpassirt wären.

Denken wir uns Neapel mit seiner Bevölkerung von mehr als 400,000 Einwohnern, von denen ein nicht unbeträchtlicher Theil vielleicht keinen festen Wohnsitz hat, oder denselben öfter wechselt, so dürfte die Vermuthung, es möchte in Beziehung eines regelmässigen religiösen Unterrichts der Jugend eben nicht so sich verhalten, wie es an sich zu wünschen wäre, eine ganz[602] unbegründete nicht seyn. Das aber wäre nicht allein unbegründet, sondern höchst ungerecht, wenn man hiebei die, aus den unabweislichen Verhältnissen hervorgehenden Einflüsse nicht in Anschlag bringen wollte. Ich möchte wohl wissen, wie es damit in andern grossen Städten, in denen es, obwohl unter anderer Form, Lazzaronivolk genug giebt, und in welchen ähnliche Verhältnisse nothwendig statt finden müssen, wie in Neapel, gehalten werde? Ob wohl, trotz daß dort weit mehr Pollzei immerwährend in Bewegung ist, und weit mehr reglementirt, vielleicht über Alles Mögliche ungleich mehr Register geführt und mehr geschrieben und von allgemeiner Geistesbildung fühlbarer Wind gemacht wird, als in Neapel, ob auch dort jedes Kind so ganz sicher und regelmässig den erforderlichen Religions-Unterricht erhalte?

Die Geistlichkeit in Neapel scheint wohl zu fühlen, daß in mancher Beziehung die Macht der unabweislichen Verhältnisse grösser seye, als die helleste Einsicht in das, was nothwendig wäre, als alles Bemühen um dieses. Aber sie hat ein Ersatzmittel aufgefunden, und muß demnach nicht durchweg so gleichgültig, träg, selbstsüchtig seyn, wie diesseits der Alpen oft mit kurzem Wort behauptet wird. Dieses Ersatzmittel sind die capelle serotine, von denen vielleicht Mancher, der sogar längere Zeit zu Neapel sich aufgehalten und hunderterlei Dingen nachgefragt und hernach über tausenderlei Bericht erstattet hat, nicht einmal Etwas weiß. Diese capelle serotine bestehen darin, daß ein Geistlicher Abends seine Kirche eröffnet und darin förmlichen Religionsunterricht ertheilt, verbunden mit etwelchen Gebeten und gottesdienstlichen Uebungen. Jener aber ist der Hauptzweck; wer darnach ein Verlangen hat, kann in der Kirche sich einfinden. Freilich ist auch hiemit weder Verzeichniß noch Controlle verbunden, das Unterricht-Nehmen ist, wie das Unterricht-Ertheilen, Sache des freyen Willens, aber die Gelegenheit wenigstens ist eröffnet, und daß der Gebrauch immer fortdauert, dient zum Beweis, daß dieselbe nicht ungenützt gelassen werde.[603]

Das jedoch ist nicht die einzige Weise, in welcher Geistliche und zwar – was nicht zu übersehen – ohne alle Verpflichtung, bloß in christlicher Liebe, der Jugend der untern Volksklassen sich annehmen. Ich begegnete eines Sonntags auf einem Spaziergange von Capodimonte herab mehrern Zügen junger Leute, von 7 bis zu 17 Jahren hinaus. In guter Ordnung, singend, und von ein paar Geistlichen begleitet, schritten diese Züge über die Landstraße. Mein Freund Reinhard ertheilte mir hierüber folgende Auskunft: Um die Jugend des Sonntags dem verderblichen Herumwühlen zu entreissen, sammelten Geistliche dieselbe um sich, gäben ihr Unterricht im Gesang, auch in christlicher Lehre, und zögen mit ihr ausserhalb der Stadt ins Freye, wo sie unter ihrer Leitung und stäter Aufsicht angemessenen Spielen sich überlassen könnte. Abgesehen von der Belehrung, welche die jungen Leute erhielten, und daß sie auf diese Weise von wildem Zeitvertreib zurückgehalten würden, übte dieses wohlwollende Bemühen der Geistlichen einen versittlichenden Einfluß in zweifacher Beziehung; zuerst durch Angewöhnung zu einem geordneten und bescheidenen Betragen bei der Jugend, sodann selbst auf die Eltern, indem sie nemlich sich bemühten, ihren Knaben eine doch etwelchermassen sonntägliche Kleidung, besonders Schuhe und Strümpfe anzuschaffen, da sie vorher die Kinder auch des Sonntags halb nackt hätten umherlaufen lassen. Wirklich bemerkte ich unter den Vielen, denen ich begegnete, kaum ein Paar, welche barfuß giengen. Abends dann sah ich wieder mehrere solcher Züge bei ihrer Rückkehr nach der Stadt. Es war al Carmine, dem eigentlichen Lazzaroniviertel. Die jungen Leute schritten, gut geordnet und geistliche Lieder singend, durch die Menge, und es war unschwer zu bemerken, daß diese wohlgefällig auf sie blickte; manche der umhersitzenden Fischer und Schiffer erhoben sich bei ihrer Annäherung, und nicht Wenige nahmen vor dem geistlichen Gesang ihre Mützen ab.

Daß es junge Leute geben könne, bei denen eine beklagenswerthe Unwissenheit in religiöser Erkenntniß zum Vorschein[604] komme, das will ich nicht in Abrede stellen. Ob aber Neapel, oder überhaupt katholische Länder die einzigen seyen, in denen Solches sich wahrnehmen ließe, das wäre erst noch zu erörtern. Abbo Reinhard und ich trafen eines Abends in Puzzuoli mit einem solchen jungen Menschen zusammen. Wir giengen durch die Stadt, in der Absicht, das Amphitheater aufzusuchen, als uns derselbe einige bronzene Götzenbildchen, namentlich einen Priap, als eben aufgefundene Alterthümler zum Verkauf anbot. Ich lachte und sagte zu meinem Begleiter: e cinque cento. Der Knabe, 13 bis 14 Jahre alt, gut gekleidet und mit einer vielversprechenden Physiognomie, welcher das Gepräge einer gewissen Gewandtheit unverkennbar aufgedrückt war, lachte ebenfalls und gestand uns ehrlich, daß die Bildchen weder antik, noch cinque cento, sondern von gestern wären; um ihnen den giallo antico, zu verleihen, brauche man sie nur einige Stunden in die Solfatara zu legen. Er erbot sich nun als Führer zu den Alterthümern Puzzuoli's. Da aber Reinhard mehrmals dort gewesen, glaubte er, das Amphitheater ohne einen solchen zu finden; den Tempel des Serapis hatten wir so eben verlassen. Der Junge mochte merken, daß wir uns nicht auf dem rechten Wege befänden und zog unverzüglich ein Doppelcarlin aus der Tasche, um es als Wette anzubieten, daß wir das Amphitheater nicht finden würden, wobei zur Bedingung gesetzt ward, daß hierüber von beiden Theilen nichts dürfte gesprochen werden. Reinhard nahm die Wette an und ich, als Unbetheiligter, wurde Depositär der Baarschaft.

Indem wir so vorschritten, machte ich eine Bemerkung in französischer Sprache; flugs führte der Knabe die Unterhaltung in dieser fort. Dieß machte uns stutzig, und wir fragten ihn, wo er französisch gelernt habe? Per prattica, war die Antwort; er seye Führer der Fremden und so habe er im Umgang mit diesen französisch gelernt; englisch seye verzweifelt schwer, Deutsche kämen selten, die Reisenden beider Nationen bedienten sich gewöhnlich des Französischen, darum wären jene Sprachen ihm unbekannt. Diese Unbefangenheit und das aufgeweckte Wesen[605] des Knaben ergötzte uns, die Wette wurde inzwischen aufgehoben und er zu unserm Wegweiser nach dem Amphitheater bestellt. Nun fieng er an, von dem Serapistempel, von andern alten Tempeln und von den heidnischen Gottheiten zu sprechen, Er zeigte sich eben so bewandert in der Mythologie, als überhaupt in den Merkwürdigkeiten in Puzzuoli's Umgebung; denn als er um die Zeit befragt wurde, in welcher der Monte Nuovo entstanden seye, wußte er genau nicht allein das Jahr, sondern Monat und Tag anzugeben. Mit dem Allem stieg unser Interesse an dem Knaben.

Reinhard sagte zu ihm: da du in der alten Mythologie so gut bewandert bist, so laß sehen, was du von christlicher Lehre und dem Katechismus weißt. Da war der schwache Punct getroffen. Ohne die mindeste Verlegenheit zu zeigen, antwortete der Junge: ja davon wüßte er nichts, er habe nie einen Katechismus gesehen, oder Religions-Unterricht erhalten. – Aber euer Pfarrer, wurde ihm bemerkt, wird doch wohl Christenlehre halten; wie kommt es, daß du nie an dieser Theil genommen hast? – O, versetzte der Knabe, unser Pfarrer e tanto stupido! Auf die Frage, ob er denn noch nie gebeichtet, noch nie das heil. Sacrament empfangen habe, antwortete er: schon mehrmals. Da zeigte sich aber, daß er über die Bedeutung Beider nur den oberflächlichsten Begriff hatte. Bei weiterem Nachforschen überzeugten wir uns, daß er etwelchen Schulunterricht müsse empfangen haben, denn er konnte, wenn nicht ganz fertig, doch ziemlich leidentlich lesen, versicherte, auch ein wenig schreiben zu können.

Dieser Zustand des jungen Menschen, bei sichtlicher Bildungsfähigkeit, gieng uns zu Herzen. Ich bemerkte demselben, daß jene Kenntniß der Mythologie bei seinem Beruf als Fremdenführer ihm allerdings von einigem Nutzen seyn könnte, nicht aber für sein wahres Heil; daß dieses Kenntniß der christlichen Religions-Wahrheiten erfordere, wozu der Katechismus ihm Anleitung geben könne; dieselbe werde seinem Beruf keinen Eintrag thun, seye ihm aber in höherer Beziehung unerläßlich. Er[606] hörte unsere Bemerkungen wenigstens ohne Abneigung an und versprach auf das Anerbieten, ihm einen Katechismus zusenden zu wollen, denselben zu lesen und sich einzuprägen. Wir ließen uns von ihm seinen Tauf- und Geschlechtsnamen angeben, erneuerten beim Scheiden unsere Zusage, gleichwie er das Versprechen, daß er den zu übersendenden Katechismus unfehlbar sich zu Nutz machen wolle. Nach Neapel zurückgekehrt, kaufte ich den Katechismus, welcher durch den kürzlich verstorbenen Erzbischof, den Cardinal Caraccioli, für die Erzdiöcese approbirt war. Mein Freund Reinhard half mir, ein Schreiben an den blos acht Tage vorher eingesetzten Bischof von Puzzuoli verfassen, dem ich von dem Vorfall Nachricht gab, mit der Bitte, den Katechismus dem Knaben zustellen zu wollen.


Auch Neapel besitzt ein Collegium della pronaganda fide, am Abhang des Hügels von Capodimonte, auf welchem der königliche Palast liegt und über dessen Rücken der herrliche Park sich ausdehnt. Dasselbe ist gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Matthäus von Ripa, der lange Jahre als Misionär in China sich aufhielt, gestiftet und durch sein Vermögen ausgestattet worden, aber einzig zur Bildung von Chinesen zu Glaubensboten für ihr Land bestimmt. Mein Freund und Landsmann, Abbé Eichholzer, der mit allen bemerklichen Personen Neapels bekannt ist, hatte die Gefälligkeit, mir durch sein Geleite Zutritt in diese Anstalt zu verschaffen. Die Zahl ihrer Zöglinge kann nicht groß seyn, wenn man bedenkt, wie langer Jahre es bedarf, um einen chinesischen Knaben mit der zum katholischen Priester und zum Missionär erforderlichen Bildung und Tüchtigkeit auszustatten, und wenn man die Kosten für einen Jeden, von der Abreise bis zur Rückkehr in sein Land in Anschlag bringt. Man berechnet den Aufwand für jeden Zögling auf 6000 Ducati, daher bei der Beschränktheit der Hülfsmittel nicht auf jedes Jahr einer kommt.[607]

Zu der Zeit, in welcher ich in das Collegium eingeführt wurde, befand sich die grössere Anzahl mit ihren Lehrern in Vorlesungen außerhalb des Hauses. Ich traf nur zwei der jüngern und einen sechszigjährigen blinden Priester, ebenfalls Chinese. In der Propaganda zu Rom wird Jedermann die chinesischen Zöglinge an ihrer eigenthümlichen Kopfbildung und an den, von den europäischen so sehr abweichenden Gesichtszügen aus der Mitte aller andern alsbald herausfinden. Was er in ihren Zügen als unverkennbaren Ausdruck des Charakters liest, vorherrschende Gutmüthigkeit und weiche Milde, das zeigt sich hier, übereinstimmend in dem Alten, wie in den Jungen, in ihrem Benehmen, in ihrer Gefälligkeit, selbst in dem Ton ihrer Rede. Sie brachten allerlei Stoffe und Erzeugnisse des Kunstfleisses ihrer Landsleute herbei, insgesammt Belege, in welcher hohen Vollkommenheit in China alle Arbeiten gefertigt werden. Die Seidenzeuge hatten eine Dichtigkeit und einen Farbenglanz, worin sie selbst diejenigen der ausgezeichnetesten Fabriken Europa's übertreffen dürften. Um uns einen Begriff von ihrer Sprache zu geben, las uns der Eine aus einem chinesischen Buch vor, der Andere schrieb mir auf chinesisches Papier und in chinesischen Schriftzügen meinen Namen. Als ich die Zeit, die er dazu brauchte, und den Raum, den die wenigen Worte einnahmen, überschaute, kam es mir zu Sinn, welches Glück bei unserer Preßfreiheit es wäre, wenn wir der chinesischen Schriftzeichen uns bedienen müßten! Darin läge ein wirksames Gegengift gegen diese Pestilenz. Welche Zeit würde nicht zum Schreiben, Setzen, Lesen erfordert; welcher Umfang für die großen französischen Blätter, und vollends für die englischen Zeitungsmonstra! So lange China seine Schriftzüge beibehält, könnte der Kaiser seinem Volk unbedenklich Preßfreiheit gestatten, es bedürfte wenigstens langer Zeit, bis sie demselben die destructiven Lehren bis zur Uebersättigung eingeträufelt, die Wahrheit in Lüge, das Unrecht in Recht verkehrt und Alles wider einander gehetzt hätte.

In weiser Vorsicht, damit sie mit ihrer Muttersprache nicht[608] außer Uebung kommen, hält man die Zöglinge von dem Umgang mit Italienern möglichst fern, daher sie in der Sprache derselben höchst unerfahren sind; kaum daß sie von den Dienstboten des Hauses einige Ausdrücke erhaschen. Die Unterrichtssprache ist die lateinische, in dieser muß sich daher Jeder unterhalten, der des Chinesischen unkundig ist. Die Zöglinge wissen sich sehr leicht darin auszudrücken.

In einem großen Saal des Hauses befinden sich die Porträte Aller, welche, seit die Stiftung besteht, ihre Ausbildung darin erhalten haben. Weil aber gerade eine Reparatur dieses Theils des Hauses statt fand, waren die Bilder abgenommen, so daß ich sie nicht sehen konnte. Obwohl die Gesammtzahl der daraus hervorgegangenen Glaubensboten nicht sehr groß seyn kann, so finden sich unter derselben dennoch verhältnißmäßig Viele, die Opfer des christlichen Eifers bei Verbreitung des Evangeliums unter ihren Landsleuten geworden sind. Die Anwesenden erzählten uns, es seye vor nicht langem Bericht eingetroffen, daß Einer, der der wenigen Jahren das Haus verlassen, bei der vorjährigen Christenverfolgung in Cochinchina das Leben gelassen habe. Wahrlich, es ist schwer zu entscheiden, wer größere Bewunderung verdient, die Lehrer, die den Herzen der Zöglinge unter so vielen laut sprechenden Zeugnissen, welches zeitliche Loos ihrer warte, dennoch eine solche warme und muthvolle Liebe zu dem Christenthum einstößen können, oder die Zöglinge, welche durch diese Aussicht von dem Glauben und der Bestimmung, zu der sie erzogen werd en, nicht zurückbeben. Wollten es die Philosophen und jene Alle, die so verächtlich auf das christliche Priesterthum herabblicken, doch einmal versuchen, durch ihre noch so bestrebsam vorgetragenen Lehren Aehnliches zu bewirken!


Gründliche Kenntnisse, Gelehrsamkeit, Forschungseifer, der an die allgemeinsten, wie an die speciellsten Gegenstände sich[609] macht, sind in Italien ungleich weiter verbreitet, als man sich im Auslande gewöhnlich vorstellt. Beinahe jede bedeutendere Stadt hat ihre gelehrte Gesellschaft, deren Mitglieder sich regelmäßig versammeln und die Ergebnisse ihres Forschens und ihrer wissenschaftlichen Thätigkeit gegenseitig sich mittheilen; wie denn bald nach der Rückkunft an meinen Aufenthaltsort von derjenigen zu Assisi mir die unverdiente Ehre widerfuhr, unter deren Mitglieder aufgenommen zu werden. Sollten zwar die Lieferungen des Preßbengels als Maaßstab der in einem Lande verbreiteten Kenntnisse und der Pflege der Wissenschaften gelten, dann freilich stünde Italien gegen die Länder deutscher Zunge weit zurück. Aber unfehlbar sind jene Lieferungen der unzuverlässigste Maaßstab an sich, sie wären es noch mehr in der versuchten Anwendung auf Italien. Dieß aus zwei Ursachen. Die erste, weil dort nicht Jeder, der einige Blätter geschrieben hat, durch den Kitzel gestachelt wird, mit diesen seine sämmtlichen Sprachgenossen zu behelligen und zugleich seinen Namen auf einem Titelblatt zu lesen; sodann weil der Fabrikationsvertrieb gedruckter Sachen (der Buchhandel) in Italien im Grunde gar nicht organisirt ist, und es weit mehr Mühe kostet, in Neapel dasjenige sich zu verschaffen, was in Rom gedruckt wurde, als hier in Schaffhausen dasjenige, was in Riga herauskommt.

Es fehlt auch Neapel nicht an großen Gelehrten, die einen reichen Schatz gründlichen Wissens mit eben so großer Liebenswürdigkeit und Anspruchlosigkeit, als mit jener einnehmenden Anmuth verbinden, welche den Italienern besonders eigen ist. Nicht blos Alters halber, sondern ebensosehr der Vielseitigkeit seiner Kenntnisse wegen, auch darum, weil ich demselben zuerst, schon am Tage nach meiner Ankunft in Neapel, bei Eichholzern begegnete, mag der Abbé Guarini genannt werden. Aus dem beinahe achtzigjährigen Greifen blitzt unter wenig besorgter Aeusserlichkeit und kleiner Statur alle Lebhaftigkeit eines beweglichen Geistes, namentlich aber eine caustische Ader, welche Jedem zuzurufen scheint: gare, â qui me touche! Er schüttelt martialische Epigramme gleichsam aus dem Aermel, und[610] wehe demjenigen, auf welchen er die Pfeile seines vollen Witzes richtet, er zermalmt ihn ebenso gewiß, als sein römisches Vorbild es konnte. Daneben ist er im Umgang der anspruchsloseste und der gemüthlichste Mann, den man finden kann, anbei gesprächig, witzig, lebhaft. Als vormaliger Dominikaner gilt er für einen Theologen, der seines Gleichen suche, ausgezeichnet durch scharfe Dialektik, und ein Thomiste, wie wenige. Derjenige Zweig aber, worin er die entschiedensten Verdienste hat, ist die oscische Sprache, deren Wiederhersteller er mit allem Recht genannt werden darf. Er hat eine Grammatik und ein Wörterbuch derselben und verschiedene Untersuchungen darüber geschrieben, durch die sich sein Ruf weit über Neapel hinaus verbreitete. Ihm zuerst ist es gelungen, die unentzifferbar scheinenden Aufschriften an einzelnen Häusern zu Pompeji, worüber zuvor Manche sich den Kopf zerbrochen hatten, so fertig als richtig zu lesen, wie er denn auch in der Alterthumskunde der ganzen Umgegend durchaus heimisch ist. Bei einer höchst einfachen Lebensweise hat er den beträchtlichsten Theil seiner Einkünfte auf den Druck seiner mancherlei Schriften verwendet, deren Verleger, wozu eben in Neapel Mancher sich genöthigt sieht, er größtentheils selbst ist. Ein deutscher Gelehrter, dem eine derselben die verdiente Meinung über den Verfasser einflößte, äusserte den Wunsch, er möchte Alles besitzen, was er geschrieben, war aber nicht wenig betroffen, als ihm der Abbé Guarini des andern Tages eine halbe Bibliothek in die Herberge sandte.

Als Geschichtsforscher kennt das Ausland den Cavaliere Carlo Troja, der in seiner Geschichte von Italien namentlich den Rechtsverhältnissen unter der wechselnden Oberherrlichkeit der verschiedenen nordischen Volker seine Ausmerksamkeit schenkt. Im Fach der Geschichte ist er unbestritten der gründlichste und thätigste Gelehrte Neapels in gegenwärtiger Zeit. – Die Gesellschaft, welche zu Durchforschung der Archive und Heraus gabe aller urkundlichen Denkmäler des Königreichs sich gebildet hat, darf zu ihren in jeder Beziehung ausgezeichnetsten Mitgliedern den Fürsten Belmonte zählen, dessen Bekanntschaft[611] ich schon in Rom machte. Ihm ist vorzüglich die Aufsuchung und Bearbeitung der Urkunden aus der byzantinischen Kaiserzeit zugefallen, was jeder Kenner für eine Arbeit erachten wird, die ihren Mann fordert. Nicht geringere Kenntniß hinsichtlich des Altgriechischen muß wohl als Herausgeber und Ergänzer mehrerer herkulanensischen Rollen der Oberintendant des bourbonischen Museums, Monsignore Scotti, Erzbischof von Thessalonich, besitzen. Ist seine Gelehrsamkeit groß, so ist seine unbeschreibliche Liebenswürdigkeit noch grösser, und Beiden hält seine Anspruchslosigkeit die Wage, indem er mehrere Bisthümer, zu deren Annahme der König ihn nöthigen wollte, ablehnte, und nur mit Mühe dazu bewogen werden konnte, durch Ertheilung des Titels von Thessalonich zu bischöflicher Würde sich erheben zu lassen. Ich trug eigentlich Bedenken, durch Einwilligung in sein wohlwollendes Anerbieten, die werthvollesten und ausgezeichnetsten Gegen stände der herkulanensischen Alterthümer in eigener Person mir zeigen zu wollen, ihm die kostbare Zeit zu rauben. Durch ihn bin ich auch auf die erwähnte Abhandlung des verstorbenen Fergola aufmerksam gemacht worden; er legte mir das Original derselben vor, und seinem Bemühen verdankte ich am Tage vor meiner Abreife ein Exemplar der Druckschrift. In dankbarer Erinnerung an denselben überraschte mich ein Jahr darauf die Nachricht an seinen unerwarteten Hinscheid um so schmerzlicher. Er war eine edle Seele in der reinsten und vollesten Bedeutung dieses Wortes, ein frommer Priester, wie nur irgend einer, ein Gelehrter, der jedem Lande Ehre gemacht hätte. Wer ihn kannte, durfte ihm ein Have anima candida! von Herzensgrund nachrufen.

Unter den Forschern und Kennern der Alterthümer Neapels und der ganzen Gegend nimmt unstreitig der Canonicus de Jorio den ersten Rang ein. Man dürfte sagen, es befinde sich am Posilypp und bis hinaus auf das Cap Miseno kein altes Gemäuer, was er nicht durchforscht, untersucht, zu erklären sich bemüht, kein Stein, den er nicht umgekehrt hätte.[612]

Wer in und um Neapel sich umsehen will, dem ist seine Indicazione del pin rimarcabile in Napoli e contorni unentbehrlich. Ueberdem hat er einen Führer durch Pompeji, Untersuchungen über den Serapistempel in Puzzuoli, Nachrichten über die herkulanensischen Ausgrabungen, eine Beleuchtung der Reise des Aeneas in die Unterwelt und die elisäischen Felder nach Virgil, und über manche andere Gegenstände des Alterthums geschrieben. Ich traf den liebenswürdigen Mann heiter und geistreich, obwohl an körperlichen Gebrechen schwer leidend, mitten in einer ausgesuchten, zahlreichen Bibliothek sitzend, und diese gleichsam so in sein Ich verwachsen, daß er einem Bedienten nur die Nummer eines Buches nennen durfte, um dasselbe alsbald vor sich auf dem Tische zu sehen, und mit einem bewundernswerthen Gedächtniß augenblicklich zu finden, worauf er in demselben aufmerksam machen wollte. Es mag wohl kaum ein Gegenstand des Alterthums zur Sprache gebracht werden, worüber er nicht sogleich den klarsten und erschöpfendsten Bescheid zu ertheilen wüßte. Auch als Geistlicher macht er seinem Stand Ehre; wenigstens sind mir seine politisch-moralischen Grundsätze für die christliche Jugend sehr gerühmt worden.

Mit ausgezeichneter Belesenheit in den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte hat der Abbé Quadrari in einer Dissertation die alberne Behauptung des bekannten Joseph Potters, in dessen »philosophischer, politischer und kritischer Geschichte des Christenthums und der christlichen Kirchen« widerlegt: als hätte die ursprüngliche Kirche um die Dogmen wenig sich bekümmert, jeder Christ seine besondere Lehre gehabt, und eine solche, die von sämmtlichen Gläubigen anerkannt worden wäre, es gar nicht gegeben. Dogmen, behauptet Potter, wären erst in der Mitte des dritten Jahrhunderts in der Alexandrinischen Schule entstanden und Anfangs bloß Sache der Gelehrten und der Schulen gewesen. Erst zur Zeit und unter Einfluß Constantins habe jene Gleichgültigkeit in Betreff der Dogmen aufgehört. Diese Behauptung müßte für das System des[613] Biographen des Bischofs zu Pistoja und für die Folgerungen, die er seinen Zwecken gemäß daraus ableiten konnte, zu reichhaltig seyn, als daß er nicht jene aller Begründung ermangelnde Meinung besonders ins Licht gestellt hätte. Sie ist ganz geeignet, unwissende oder oberflächliche Leute zu berücken. Aber Abbé Quadrari hat die völlige Haltlosigkeit derselben schlagend nachgewiesen. – Ich erwähne dessen bloß als eines Beleges, daß es in Neapel nicht an Männern fehle, welche auf die Erscheinungen der neuern Literatur ein aufmerksames Auge haben und hinreichende wissen schaftliche Bildung besitzen, um, mit dieser ausgerüstet, wider die schönrednerische Flachheit aufzutreten.


Das hätte ich kaum erwarten dürfen, in Neapel Karrikaturen auf die Aargauischen Unthaten vom Jahr 1841 zu begegnen. Es sind mir deren drei mitgetheilt worden, jede mit einem beißenden Epigramm des alten Guarini versehen. Die schneidendste ist diejenige, welche die Uebergabe des neuen Bundesvertrages zu Aarau in feyerlichem Zuge darstellt. Auf einem Lehnsessel, in großem Staatscostüm, die Füße auf einem Kissen, umgeben von den Satrapen der Macht in Thiergestalten und überragt von dem Bajazzo, der auf der Schellenkappe die Innschrift trägt: l'elat c'est moi, sitzt der Großgebietiger Waller; ein immenser Roßkopf auf einem schmächtigen Husarenleiblein an seiner Seite dürfte Aargau's ruhmfunkelnden Marschall vorstellen, ein anderer Thierkopf, aus schlächterähnlichem Gewande herausragend, die mit Oel und Eisen gewerbende neusolothurner Audacität; gesinnungsverwandte Gebietiger anderer Cantone, Candidaten der vollziehenden Gewalt einer neuen Helvetik könnten hinter den übrigen Ungethümen versteckt seyn. Schlichte, einfache und ehrliche Leute, neben Schalksgesichtern und Thierphysiognomien, diese aus den Fenstern des Rathhauses blickend, schauen dem Zug zu. Denselben[614] eröffnet eine Musikbande nackter Faunen, welchen weder Hörner noch Schweife fehlen. Ihnen folgt der Staatskanzler mit der besiegelten neuen Bundesurkunde, auf deren Einband die Zahl XII zeigt, daß in ihr dieser leidige und lästige Artikel nicht mehr enthalten seye. Ihr unmittelbar folgt ein Mensch, halb als Bär gekleidet, die Hand der Gerechtigkeit tragend, die er nie gekannt. An seinem hochmüthigen Auftreten erkennt man die bandfabricirende Excellenz von Neubern, und das demüthig nachwedelnde Hündlein trägt auf einem Täfelchen in der Schnauze den eigenen Namen »Baselland« zur Schau. Nächstdem erscheint mit hervorragender Halskrause und Collier grec, den gebrochenen Krummstab und die gestohlene Insel der Propstei von St. Ursus und Victor unter dem Arm, einer der Autokratoren Solothurns, ihm nach der Gefährte, (Repräsentant des Volkes) in zerlumptem Mantel und zerrissenen Strümpfen. Als schmächtiger Franzose, mit der Brille auf dem hageren Gesicht und mit Tanzschuhen an den spindlichten Beinen, einen Esel, von dem mit allen Emblemen des Freimaurerthums gezierten Mantel umwallt, am Arm führend, schreitet Waat einher, das zu jener Zeit merkwürdig janusköpfige Genf hinter ihm, das martialische Jungschweizergesicht der heilbringenden Bundesurkunde, das süßlichte des ancien regime einem einfältigen Tropfen zugekehrt, der mit verbundenen Augen nachtappt. Nach diesem tritt Tessins Espartero auf, der glückhafte Blutmensch Luvini, welchem unheimlich Nessi's Schatten sich ankrammt und von dem Begleiter in blutbeflecktem Mantel ihn trennt; aber zwischen dem Vertreter Tessins und der belästigenden Schattengestalt erhebt sich über des erstern Haupt, züngelnd und ringelnd, ein Drache. Mit Bäffchen, Prädicantenmäntelchen und Brille, dem Zeichen emsigen Bücherlesens, schreitet in pedantischer Bedächtlichkeit das behutsam abwägende Zürich daher; es trägt wirklich die Wage in der Hand, da aber die Schale mit dem Capuciner von derjenigen, in welcher der Diener des Worts sitzt, in die Höhe getrieben wird, schließt es mit seelenwonnigem Blicke dem Zuge sich an. St. Gallen[615] hat einen Schnurrbart und ein martialisches Gesicht, muß aber des Stelzfußes wegen, dieweil der andere Fuß zu dem Feyerzug nicht sich einfinden mag, einer Krücke sich bedienen. Schaffhausen oder Glarus (der Componist hat vielleicht das Ptar nobile fratrum unter ein Bild gefaßt) ist, um nachhumpeln zu können, sogar zweyer Krücken und darüberhin noch eines Stockes bedürftig, und hat ausserdem an seinem Kopf den letzten Ausdruck menschlicher Physiognomie eingebüßt. Bünden dagegen hätte diese bewahrt, selbst eine Soldatenuniform gerettet, aber das eine Auge desselben ist noch durch die katholische Binde der Gerechtigkeit und Bundestreue verhüllt. Den Zug schließt in alter Schweizertracht, doch mit neumodigem Militärhut geziert, eine Karbatsche in der Hand, und auf dem dreiköpfigen Höllenhund reitend, anbei einen höchst vergnüglichen Blick auf die Voranschreitenden werfend – Mephistopheles. In der Mitte zwischen den Zuschauern und dem Zuge sitzt ruhig, Alles überschauend, halb Wolf, halb Fuchs, der Gott sey bei uns.


Die Ahnung einer gewissen Gleichheit aller Menschen ruht, durch die Einen minder erkannt, bei den Andern klarer in das Bewußtseyn hinaustretend, in der Brust beinahe eines jeden Einzelnen. Sowohl diejenigen, welche in den Gesammtzuständen eine göttliche Weltordnung verehren, dabei in allen Sonderverhältnissen, somit auch in Bezug auf die ihrigen, und dieß nicht minder an sich, denn hinsichtlich der Beziehung derselben zu Allem, was um sie her ist, einer göttlichen Leitung in demuthsvoller Unterwerfung huldigen, als ihrerseits diejenigen, welche in dem Menschengeschlecht nichts weiter erkennen, denn einen auf dem Erdenrund umherkrabbelnden Atomenhaufen, legen auf Anerkennung dieser Gleichheit ein großes Gewicht.[616]

Beide mit Recht. Aber bei jenen hat dieselbe einen dynamischen Gehalt, diese möchten ihr mehr oder weniger eine materialistische Realität geben. Bei jenen wurzelt sie in der unzertrennbaren Verbindung des Menschengeschlechts mit Gott, dem Schöpfer, Erlöser und Heiligmacher, bei diesen wird sie unvermeidliches Ergebniß der immer weiter gehenden Abtrennung von Gott. Jenen ist zu deren Annahme volle Berechtigung von oben gegeben; sie ist ihnen gegeben in wankelloser Anerkennung der Stellung der Menschen als Kinder eines gemeinsamen Vaters, der gleichen Bestimmung Aller unter den mannigfaltigsten äußern, niemals aber zufälligen Formen; sie ist ihnen ferner gegeben in richtiger Würdigung ihres in Beziehung zu dem obersten Richter vollkommen gleichen Werthes bei treuer Pflichterfüllung unter weitreichenden, wie unter geringfügigen Obliegenheiten und des für Jeden bereitstehenden gleichen Erbes. Die Andern schaffen sich eine Berechtigung dazu mittelst ihrer Theoreme, ihrer selbstersonnenen Ideale, ihres nackt materialistischen Ausganges und Zieles, und fordern, wenn sie es dahin bringen können, unbedingte Anerkennung ihrer Gültigkeit mittelst Zerstörung, Zwang und Gewaltthat. Indem die Einen die von Gott ausgehende Gleichheit anerkennen, lehren und verkünden, erhalten und festigen sie die gesellschaftliche Ordnung und durchdringen sie die menschlichen Gemüther mit frommer Ergebung in höhere Fügung, mit heiterer Ruhe und Zufriedenheit; während die Herolde der andern Gleichheit zu einiger Verwirklichung derselben nur durch den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung gelangen könnten, jedenfalls, um ihr nahe zu kommen, alle dämonischen Leidenschaften des menschlichen Herzens in Mißvergnügen, Neid und zügellosen Begierden aufstacheln müssen.

Das Wesen jener wahren, weil vor Gott gültigen Gleichheit kann nicht würdiger und richtiger bezeichnet werden, als durch die Worte, welche der in allen Beziehungen so vortreffliche, aber von den Jesuitenfeinden bitter gehaßte Dauphin, Sohn Ludwigs XV und Vater jener drei letzten Könige von[617] Frankreich, welche die Benennung »allerchristlichste« für ihre Zierde hielten, an diese noch als Kinder richtete. Er hatte nemlich dieselben in die Taufregister seiner Pfarrkirche, mitten unter allen andern Neugebornen, je nach dem Zeitpuncte ihrer Geburt, einschreiben lassen, und sie bisweilen hieran erinnert: »Da stehen,« sagte er zu ihnen, »euere Namen, untermischt unter diejenigen alles Volkes. Hieraus mögt ihr lernen, daß der Vorrang, dessen ihr geniesset, nicht an euere Natur sich knüpfe, denn dieser gemäß sind alle Menschen gleich. Eine wahre Verschiedenheit wird nur durch Tugend begründet. Wie leicht kann nicht das Kind eines Armen, dessen Name auf dem Verzeichniß dem eurigen nachsteht, vor Gottes Augen größer seyn, als ihr in denjenigen des Volkes es je seyn werdet.«

Diese Idee der Gleichheit hat durch die Menschen zu mancher Zeit auf verschiedenen Wegen in die Wirklichkeit eingeführt werden wollen; wie sehr sie aber auf denselben sich abmühen, sie wälzen doch nur den Stein des Sisyphus. Wären sie durch das Blendwerk ihrer selbstgeschaffenen Ideale nicht berückt, so würden sie sich längst überzeugt haben, daß alle jene Wege, und wie viele derselben noch mögen ersonnen werden, nimmermehr zum Ziele führen können. Die Einen haben das Menschengeschlecht in jenes mißgestaltete Traumbild unter wildem Sturm hineinzurasen sich unterwunden, ohne in ihrem Tollsinn zu ahnen, daß sie vorerst die ganze Natur umkehren müßten. Wohl hatte es ihnen gelingen mögen, ihrem Phantom zu lieb die Thürme des Straßburgermünsters, damit sie nicht ferner so unbefugt in den blauen Himmel hinausragten, auf die Höhe gewöhnlicher Hausdächer zu erniedrigen; aber die physische, die intellectuelle, die moralische Natur, ja selbst die ihrem eigenen Gang überlassenen gesellschaftlichen Verhältnisse hätten wider ihr eitles Bemühen Tag für Tag Widerspruch eingelegt. Und wo es ihnen auch theilweise gelungen ist, diese Gleichheit scheinbar aufzustellen, der Versuch hat der That nach in das Entgegengesetzte umgeschlagen. Sie haben zwar wohl, was gesellschaftlich höher stand, tiefer herabgedrückt; aber, was tiefer stand,[618] emporzuheben, dazu war ihre Fähigkeit unzureichend, all ihr Thun und Treiben fruchtlos. Dem lächerlichen Eisern wider »Vorrechte« ist es zwar wohl gelungen, diejenigen, welche rechtmässig solche befassen, bis auf einen gewissen Grad derselben zu berauben; dagegen sind mit dem Raub Andere bekleidet worden, welche unter der Larve der Gleichheit dieselben thatsächlich und ungleich drückender üben, als Jene pflegten. So wurden zwar die Befugnisse der höher Gestellten manchen Orts vernichtet, aber die Natur der Dinge hat alsbald andere geschaffen, und die ohnmächtigen Herausforderer der göttlichen Ordnung haben es nicht weiter zu bringen gewußt, als mit dem Raub, jedoch in schreyendern Farben, die Nackten zu bekleiden, über das anmaßliche Gebaren, womit die maulfertige Menge darin sich spreizt, eine Zeitlang mit Samielsblicken zu kichern, und an die Stelle einer Aristokratie eine Kakistokratie zu stellen, wo Optimaten sonst walteten, nachher Pessimaten reichsnen zu lassen.

Andere haben einen minder gewaltsamen, aber eben so wenig zum Ziele führenden Weg eingeschlagen. Sie bemühen sich, nicht allein durch äussere Abzeichen für die Stunden des Beisammenseyns, durch angelernte und alsdann in Anwendung gebrachte Formeln eine scheinbare Gleichheit sichtlich darzustellen, sondern vornehmlich durch bereitwilliges Aufgeben aller entschieden ausgeprägten und in das Leben eintretenden Gestaltungen einer höhern Ueberzeugung, in allgemeiner Gleichgültigkeit gegen solche und in matter Genügsamkeit mit demjenigen, was für den alltäglichen gemeinen Lebensverkehr ausreicht, eine innere Gleichheit flacher Princips- und Gemüthsarmuth hervorzurufen, und eine Verwirklichung der äussern hiedurch allmählig anzubahnen. Es sollte fortan nur eine allgemeine Menschheit geben, in wonneseliger Ekstase für diese ein Jeder für nichts weiter, als für ein Stäubchen dieses Atomenhausens sich hatten, ihrem höchstem Ideal gemäß ohne jede andere Gliederung, als wie sie für das Innere der geheimen Verbrüderung festgesetzt worden, darüberhin ohne anderes höheres Gesetz, als wie[619] jede Individualität es für sich selbst aufzustellen für gut finden möge.

Allein längst vor jenen Stürmern und vor diesen Schleichern ist Gleichheit, in wie weit dieselbe auf Erden verwirklicht werden kann und darf, ins Leben eingeführt worden durch die Kirche, und zwar auf die mannigfaltigste Weise, in den vielartigsten Formen. Wäre man nicht so arg in den Wahn verstrickt, alles wahrhaft Grosse, Preiswürdige und Gedeihen Verbürgende wäre eigentlich am sichersten ausser der Kirche, ja selbst im Gegensatz gegen dieselbe zu suchen; wollte man sich lediglich herbeilassen, so unendlich Vieles, was durch sie geordnet und gefördert wird, bloß mit offenenem Auge anzublikken, mit hellem Verstand zu prüfen, so könnte man sich bald überzeugen, daß sie vollkommen genügend gewähre, was man auf anderem Wege vergeblich anzustreben, durch andere Mittel umsonst zu erreichen sich bemühe; daß sie im Frieden und unter ordnungsgemäßem Gang in vollem Maaße zu Stande bringe, was unter Sturm und Zerrüttung, bei einem von ihr abgekehrten Richtung nur höchst unvollständig sich erreichen lasse; daß sie darüberhin Allem eine höhere Weihe ertheile, es in ganz andere, als bloß menschliche, irdische und zeitliche Beziehung setze.

Die Natur der Dinge, die durch das ganze Menschengeschlecht sich durchziehende und von demselben unzertrennliche Ordnung läßt den menschlichen Gleichmachern zu scheinbarer Erreichung ihres Zweckes durchaus kein anderes Mittel übrig, als dasjenige: das Hohe zu erniedrigen, das Hinaufragende zu verkürzen. Und wo etwa Solches ihnen gelungen ist, da sieht man aus ihrem Jubel und aus allen ihren nachfolgenden Schritten, daß ihnen dieses vollkommen genügte, ja daß sie, welches sonst ihr Vorgeben seyn möge, weiter nichts zu erreichen entweder hofften, oder sich vorsetzten. Eine allgemeine Freiheit, von der so viel Bombast gemacht wird, ins Daseyn zu rufen, liegt ausser dem Bereich ihrer Kräfte, höchstens eine allgemeine Knechtschaft können sie bewerkstelligen. In Beziehung[620] auf allgemeine Gleichheit aber bringen sie es nur zum Niedertreten in den gleichen Schlamm; so wie es hinsichtlich des Besitzes ihnen einzig möglich werden könnte, eine ähnliche Armuth, niemals aber eine gleiche Behäbigkeit zu erzielen. Denn, so wie sie nur materielle Zwecke haben, so stehen ihnen auch bloß mechanische Mittel zu Gebote.

Da sind denn die Mittel, Zwecke und Erfolge der Kirche nicht allein durchaus andere, sondern geradezu entgegengesetzte. Die Kirche (und ihr allein nur sind hiezu die Kräfte und die Hülfsmittel gegeben, nicht von ihr an sich gerissen), die Kirche hebt die Menschen zu gleicher Höhe empor, spricht ihnen die gleiche Würde zu, setzt sie zu demjenigen, der über Alle unendlich erhaben ist, in gleiche Beziehung, und macht dieses Alles nicht von den äussern Verhältnissen, sondern von der, Allen gleich sich darbietenden Gnade Gottes und der selbsteigenen Annahnte derselben abhängig. Die Kirche allein darf, ohne Besorgniß mißverstanden zu werden, oder zu frevelhafter Anwendung Veranlassung zu geben, dem Fürsten ankündigen: ob er vor den Augen des Alles Ordnenden und Alles Richtenden ebensoviel gelten wolle, als von seinen Unterthanen einer der Geringsten, das hänge von ihm ab; diesem aber: auf ein strahlenderes Diadem, als das von Edelgesteinen funkelnde seines Herrschers, seye auch ihm das Anrecht eingeräumt, und gleichen Werth habe er vor demjenigen, welcher in Knechtsgestalt gekommen seye, um ohne Unterschied Alle zu sich einzuladen, wie der in Purpur Geborne. Und dieses einzige Organ der wahrhaft freyen, aber weder das Hohe besudelnden, noch das Niedrige aufstachelnden Rede möchtet ihr beseitigen, um eure lästernden Schmutzblätter, oder eure perfiden Zersezzungsinstrumente an deren Stelle zu bringen! Und die reine Jungfrau, die einzige, welche ohne Verlust ihrer Jungfrauschaft solche kräftige Kinder gebären kann, möchtet ihr schwächen, daß sie eine Bastardenbrut würfe, bloß dazu tüchtig, rings um eure Kanzleyen und Polizeiwachtstuben den Staub zu lekken! Und wo je bei solch ungewohnter Rede – Dank eurem[621] vierzigjährigen, treufleißigen Scharwerken – euer Ohr erbebte, wolltet ihr zusammenlaufen und schlotternd und grinsend rufen: habt ihr sie gehört die ungebührliche, die anmäßliche Stimme der Kirche? Ziehet sie straffer an die Bande! Ob aber pflichtgemäß die Kirche jener Befugniß des freyen Wortes gegen Alle und nach eines Jeden besonderer Stellung zu der Gesammtheit solcher Rede sich unterziehe, sie greift dabei in die realen Zustände nicht nur nicht ein, sondern sie lehrt allgemeine Anerkennung und Achtung derselben als eines, wie Alles, von Gott Gesetzten und Geordneten.

Indeß eröffnet sie auch für die wirkliche äussere Gleichheit den Weg, aber einen offenen, rechtmässigen, friedlichen, heilbringenden; zwar nicht für eine Gleichheit, die jeglichen Unterschied aufheben will, aber für eine Gleichheit des Weges und des Zieles. Ihre Laufbahn ist einzig dem geistig, sittlich und körperlich Gebrechlichen verschlossen; kein Erforderniß der Herkunft oder der bloß weltlichen Verhältnisse wird von demjenigen verlangt, der dieselbe betreten will. Der Sprößling des Fürstenhauses hat kein grösseres Anrecht an die erhabenste Stufe in der Kirche, als das Kind des armen Taglöhners; sie beruft in ihren obersten Rath neben den Königssöhnen diejenigen des schlichten Landmannes; sie setzt auf ihre Bischofsstühle den vormaligen Schüler, dem in seiner Jugend die Charitas um Gotteswillen das tägliche Brod reichte, und nimmt in die ärmliche Capucinercelle denjenigen auf, dessen Jugend in dem väterlichen Palast aller Erdenglanz umrauschte; der Schleyer weiht das Hirtenmädchen zur Schwester der Fürstentochter, und unter Entbehrung und geheiligter Pflichterfüllung hat diese vor jenem nichts voraus, als das Bewußtseyn grösserer Verzichtleistung. In ihrer Stellvertretung dessen, der sie gesetzt hat, vernimmt und verwirklicht die Kirche, damit es ein fortan gültiges seye, das Wort des königlichen Propheten: »Der von der Erde den Dürftigen erhebt und aus dem Staube den Armen aufrichtet, daß er ihn neben die Fürsten setze, neben die Fürsten des Volkes.« Wo ist eine Laufbahn, wie diejenige der Kirche, auf[622] welcher, für einmal nur das Irdische und vor Menschen Geltende ins Auge gefaßt, Herkunft, Talent, Fleiß, Wissen, Frömmigkeit, Demuth in vollkommen gleicher Berechtigung mit einander wetteifern mögen; in welcher jetzt der empfangene, jetzt der erworbene innere Vorzug äussern und gesellschaftlichen sich beilegen kann?

Meint ihr aber, von Gleichheit seye dann nur zu sprechen, wenn es überhaupt keine in die Augen fallenden Vorzüge mehr gebe, wenn alles Höhere auf den Spiegel gemeinsamer Niederung zurückgeführt werde? Dieses Problem hat die Kirche ebenfalls gelöst; ihr allein wohnt die Kraft inne, nicht nur friedlich, sondern in gedoppelter Segenswirkung auch dieses zu lösen. Hiezu aber bedarf sie nicht des Pesthauches eines Wohlfahrtsausschusses, nicht der Wucht agrarischer Gesetze, nicht der Gräuel von Proscriptionen, nicht allgemeinen Brandes mittelst Baboeuf'scher Doctrinen; sie löst es friedlich, in freyer, in freudiger Zustimmung Aller, welche die hohe Bedeutung seiner Lösung erkennen; sie löst es durch den Lebensodem, der von ihr ausgeht, den wir Charitas nennen. Diese ist das innere, vergeistigende Element jener Menschenbrüderschaft, die ihren Anknüpfspunct und ihr Vorbild in dem Allerhabenen sindet, von dem uns zum Trost und zur Erhebung gesagt wird, »daß er sich nicht schäme, unser Bruder zu heissen.«

Gehe zu Rom in der heiligen Woche in die weiten Säle von Trinita dei Pellegrini, wo die Pilger der ganzen Welt in Schaaren sich drängen. Du siehst dort Gestalten in gleichmässigem Gewande; wie die Dienerschaft eines hochbegüterten Hausherrn sind sie um diejenigen, welche es in heiliger Zeit nach den heiligen Stätten zieht, beschäftigt, die Füße ihnen zu waschen und zu trocknen, die Gerichte ihnen zu auftragen, bei Tisch sie zu bedienen. Sind es Bestellte des Hauses, denen solche Sorge obliegt? Ja, es ist die Dienerschaft des Herrn aller Herrn, der hier in seiner Wohnung Gäste beherbergt; in ihrer Verrichtung tragen sie ein und dasselbe Gewand, sind sie Alle vollkommen sich gleich. Draussen aber schmückt den[623] Einen der Purpur, indeß der Andere bescheiden in seinem Schurzfell durch die Straßen wandelt; dieser trägt den Fürstenhut, jener erscheint morgen vielleicht als Taglöhner an dessen Palast. So findest du in ähnlicher Gleichstellung zum Werke christlicher Liebe die »Brüder des heiligen Johannes des Enthaupteten,« welche den zum Tode Verurtheilten im Gefängniß besuchen, in seiner zweifachen Angst ihn trösten, durch mildernde Theilnahme den schweren Gang zur Richtstätte ihm erleichtern, und durch gesammelte Almosen in den Straßen so seiner Seele, als seiner Hinterlassenen gedenken. Gehe nach Florenz! Auch dort findest du Priester und Layen, Vornehme und Geringe, in vollkommen äusserer Gleichstellung als Fratelli della misericordia zu verwandtent Liebesdienst geeinigt, um nemlich in stets bereiter Hülfserweisung jedem plötzlich Verunglückten beizustehen. Gehe in andere Städte, du wirst von Aehnlichem erfahren; z. B. zum Zwecke, Verstorbene zu beerdigen, aber nicht, wie dieß anderwärts verstanden wird, einzig um den entseelten Leichnam zu seiner Grabesstätte zu tragen, sondern ebensosehr zu erfüllen, was die christliche Liebe durch den christlichen Glauben für die abgeschiedene Seele des Miterlösten zu thun ermahnt wird. Was immer die Menschen versuchen mögen, um die, ihrem Gesammtdaseyn unvertilglich aufgedrückte unendliche Verschiedenheit auszugleichen, auf friedlichem Wege werden sie es kaum zum leisen Schein der Möglichkeit, auf gewaltsamem nur unter empörenden Freveln auf bloß flüchtige Augenblicke zu Stande bringen; in wie weit es erreichbar, läßt sich einzig durch die Kirche bewerkstelligen, und durch sie deßwegen allein, weil sie es nur zum Mittel von Zwecken macht, die alles Irdische überragen.


Ich habe zu Rom manchmal am späten, Abende Züge von Singenden unter meinen Festern vorüberwandeln gehört, und[624] wenn ich schaute, was es wäre, sah ich eine grössere oder kleinere Zahl junger Leute, von einem oder zwei ältern begleitet. Der Gesang selbst konnte nicht aus Fenster locken, nur die Neugierde vermochte es. Doch war zu vernehmen, daß es nicht weltliche Weisen seyen, welche sie sangen, der kirchliche Klang war unter aller Mißtönigkeit nicht zu verkennen. Ich erfuhr nachher, es wären dieses junge Leute, welche eine Nachtschule besuchten, und immer auf solche Weise unter Aufsicht nach Hause giengen; mittelst dieser Fürsorge werde das Herumschwärmen auf der Strasse und alle Anwandlung zu Unfug am sichersten verhütet. Da, wo über das Schulwesen am redseligsten geschrieben, und, wenn irgendwo eine derartige Schule zu Stande kommt, über diese abermalige Berücksichtigung eines dringlichen Volksbedürfnisses entweder Weihrauch mit vollen Händen in das Becken geworfen wird, oder sonst des Lobes und Preises kein Ende ist, begnügt man sich, daß die Schule bestehe, ohne zu ahnen, daß dieselbe oft nur der Ausgangspunct für manche Rohheit und Unsittlichkeit seye, und ebne auf Mittel, wie diesem könne vorgebeugt werden, zu sinnen, oder solche ausfindig zu machen. Hier aber in Rom, welches man sich so gerne in allen Dingen weit zurückstehend denkt, beschränkt man sich nicht darauf, der armen Jugend Gelegenheit zu verschaffen, einige nothwendige Fertigkeit zu erlangen, sondern man bemüht sich zugleich, darauf Bedacht zu nehmen, daß nicht auf der einen Seite Gutes erzielt, auf der andern aber weit Schlimmeres befördert werde.

Man gefällt sich darin, Italien, den Kirchenstaat zuvörderst, als ein Land zu denken, in welchem alle Aufmerksamkeit nur der Kirche zugewendet, aller Werth nur auf deren Besuch und auf Feste in derselben gelegt seye, selbst auf die nothdürftigste Bildung der untern Classen durchaus Niemand Bedacht nehme, dieß gänzlich dem Zufall überlassen bleibe. Wer aber da und dort über dergleichen Dinge Nachfrage halten, wer in Bezug auf Rom in der zweiten Auflage der aus den gründlichsten Nachforschungen und den bewährtesten Quellen hervorgegangenen[625] Schrift des Prälaten Morichini, jetzigen Nuntius zu München, degl' istituti di publica caritá ed istruzione primaria e delle prigioni in Roma, sich umsehen will, der wird auch hierüber bald zu einer andern Ueberzeugung gelangen. Freilich eine Sache findet man in ganz Italien, eine andere aber in Rom durchweg nicht: zunächst hat man dort keinen Begriff von einer Schule, die wider die Kirche sich erhebt, von Schulmeister-Seminarien, die durch ihre Zöglinge, wenn nicht Zweifel, so doch Gleichgültigkeit gegen höhere Wahrheiten, gegen die Satzungen, Vorschriften und Uebungen der Kirche unter dem Volk verbreiten, wenn nicht sollen, so doch unabwendbar werden; die den Wahn nähren, die Kirche seye nur für die alten Weiber vorhanden, die von ihr getrennte Schule dagegen der reine Quell, aus welchem der frische, kräftige Lebenssaft durch alle Adern des Volkes rinne. Da hört man nicht die Sprache, die ich so hundertmal von Landleuten gehört habe, die damit bloß etwas ganz Natürliches und von selbst sich Verstehendes auszudrücken meinten: »wenn mein Kind in der Schule nur schreiben und rechnen lernt, damit ist der Zweck erfüllt;« gleich als ob dasjenige, was auf das Christenthum Bezug hätte und was damals reglementarisch noch Hauptsache der Schule war, so viel als keiner Beachtung werth wäre. Das Andere, was wenigstens im südlichen Italien nicht gefunden wird, ist der Schulzwang, der in manchen Ländern mit einer so rücksichtslosen Härte durchgeführt wird, daß er die ehevorige Leibeigenschaft nicht allein in dieser, sondern in seiner Ausdehnung weit übertrifft. Und zwar sehen wir denselben in dem Maaße steigen, in welchem die Schulen der blossen Staatsbotmässigkeit unterworfen und der ausschließlichen Leitung derjenigen überlassen werden, die, unter möglichster Beseitigung jedes religiösen Elementes, nichts weiter als eine sogenannte Menschheit, aber eine ihren Zwecken dienstbare Menschheit heranziehen möchten; die längst das Crucifix an der Wand aus den Schulen verbannt haben, um ein Emblem sogenannter Geistesentfeßlung an dieselbe zu hängen, und die[626] Kinderkehlen für das: »Laßt uns ihr Brüder« geeigneter finden, als für das Ave Maria.

In Roms niedern Schulen lernen die Kinder zwar auch lesen und schreiben; aber, da die Anstalten insgesammt unter der unmittelbaren Aufsicht und Leitung der Kirche stehen, größtenthens aus dieser hervorgegangen sind, mithin derselbe Geist, der durch diese weht, auch in ihnen angefacht und genährt wer den soll, wird in ihnen die vielgepriesene Verstandesentwicklung, die nur allzuhäufig in mechanische Abrichterei umschlägt, und welche diesseits der Alpen so viel Geredes veranlaßt, der religiösen und moralischen Bildung untergeordnet. Der vorherrschende Standpunct, von dem aus die Schulen beurtheilt und gewürdigt werden, ist derjenige, daß sie Pflanzstätten des Christenthums und zwar desjenigen Christenthums seyen, wie die katholische Kirche dasselbe lehrt und übt. Deßwegen wird nicht ausschließlich nach der Tüchtigkeit des Lehrers zur Mittheilung jener Kunstfertigkeiten gefragt, sondern ebensogroße Aufmerksamkeit seiner sittlichen Befähigung zugewendet; wie z. B. auf der Insel Sardinien (gleichwie in dem schweizerischen Canton Freiburg) als solcher Keiner kann angestellt werden, ohne daß er hierüber ein Zeugniß des Erzbischofs vorlegte, und dieses selbst jedes Jahr aufs neue sich beglaubigen ließe.

Seit Joseph Casalanza im Jahr 1597 die »Väter der frommen Schulen« gestiftet, hat es weder zu Rom, noch im Kirchenstaat an Schulen für die untern Volksklassen gefehlt, und die Päpste haben vielfach auf dieselben ihr Augenmerk gerichtet, durch Erlasse und materielles Beistehen ihrer sich angenommen. Diese Vater unterrichteten im Jahr 1840 ohngefahr 15,000 Kinder beiderlei Geschlechts. Neben dem, was in vielfacher Weise von der Kirche ausgeht, wird durch die Privatwohlthätigkeit für Armenschulen, für Kleinkinderschulen u. dgl. Vieles gethan. So gründete im Jahr 1826 der Fürst Massimo eine Schule für 64 arme Kinder mit einer Lehrerbesoldung von 150 Scudi; eine andere wurde dreizehn Jahre später durch die Fürstin Borghese (wie denn dieser Name an[627] Alles, was zu Rom christlich Wohlthätiges gewirkt wird, unzertrennlich sich knüpft) gestiftet. In der Regel begnügt sich die christliche Liebe nicht mit der einmal ausgeworfenen Gabe, sondern es ist, als legte sie mit derselben zugleich die Verpflichtung sich auf, in fortwährender Obsorge zu wachen, daß der gepflanzte Baum seine reichlichen und gesunden Früchte trage. Dann bestehen Klosterschulen, d. h. nicht einzig bloß solche, wobei junge Leute zur Erziehung in die Gotteshäuser aufgenommen, sondern die von armen Kindern besucht werden. Die Frauen des kleinen Klösterleins von San Giuseppe am Campo Vaccino (meistens französische Nonnen) führten mich in die ihrige, in welcher etwa dreissig Kinder, augenfällig ganz armen Eltern angehörend, im Lesen, Schreiben, Stricken unterrichtet werden. Auch da trat mir das schöne Bild der Ruhe, Ordnung, Sittsamkeit und des Folgens auf den bloßen Wink der Lehrerin entgegen.

Es kann sein, daß nicht überall auf den Dörfern regelmässig geordnete Schulen bestehen. Aber man hat mich versichert, daß auch da manchen Orts die freiwillige Liebe ersetze, was das organisirende Gesetz ausser Acht lasse. Manchmal seye es der Pfarrer des Orts, welcher auf solche Weise einen Theil seiner Muße zum Besten der heranwachsenden Pfarrkinder verwende. Mehr als ein fähiger Knabe habe auf solche Weise eine Vorbildung erhalten, wodurch er in den Stand seye gesetzt worden, in eine höhere Schule, in eine der zahlreichen Lehranstalten Aufnahme zu finden, und damit eine ehrenvolle Laufbahn zu betreten.

Wir finden in allen Ländern deutscher Zunge Schulgesetze, Schulorganisationen, Schulvorschriften, Schulbehörden, Schulberathungen, Schulstrafen, Schulprämien, Schulzeitungen, Schulbücher, Schulmittel in Hülle und Fülle, also daß wir ein wahres Schulvolk können genannt werden, und meinen, wie die seligen Götter auf das ärmliche Treiben der Sterblichen in stolzem Wohlbehagen, so aus unserm Schul Olymp auf die bodenlose Schul-Misere anderer Lander und Völker herabschauen zu[628] können. Wir haben Recht, sofern es auf's Gesetzgeben, Zwingen, Rathen, Schreiben, Reden, Drucken und Lesen ankömmt. Wie steht es aber, wenn man nach dem Handeln, Eingreifen, Fürsorgen fragt? Welche Seitenbilder haben wir in dieser Beziehung neben denjenigen aufzustellen, welche Mittermaier in seinen italienischen Zuständen anführt? Wo sind die Seitenbilder z. B zu jener Gräfin Tornielli Bellini zu Novara, welche im Jahr 1833 zu Gründung eines Instituts, um Knaben und Mädchen theoretisch und praktisch in Gewerben zu unterrichten, 400,000 Lire hergegeben hat; zu jenem Falliola in Mailand, der 50,000 Lire zu Gründung einer Knabenschule auf einmal beitrug; zu jenen wenig wohlhabenden Landleuten, die eine nicht viel geringere Summe zu Stiftung einer Schule an der großen Seidenfabrik zu Aglie, auf der Insel Sardinien, in kurzer Zeit zusammenbrachten? Reden und Thun, man sieht es auch hier, sind zweyerlei Dinge. Wie aber der Sinn ächt christlicher Wohlthätigkeit nur durch die Kirche angeregt wird. so wird er in seiner schönsten Wirksamkeit erhalten einzig durch dasjenige, was zu derselben in der engsten Beziehung steht.


Ich sage nichts Unbegründetes, wenn ich die Charitas den Lebenshauch der katholischen Kirche nenne, der, von ihr ausströmend, alle ihre wahren Glieder durchdringt. Dieselbe ist eine Hinterlage, von demjenigen ihr anvertraut und durch denjenigen in sie übergegangen, der ihr nichts Geringeres gegeben hat, als sich selbst zum Lösegeld für Alle. Die Wechselbeziehung des Glaubens an seine immerwährende Gegenwart zu der stäten lebendigen Fortdauer dieser Charitas gehört ebenfalls zu den unausforschlichen Mysterien, woran der in alles Daseyn eingreifende Glaube so überreich ist. Es erzeugt zwar immer böses Blut, wenn man dieses Capitel berührt, und so lange man keine Zahlen vorführt, glaubt man sich berechtigt, auf eine[629] mindestens ebenso grosse Neigung zu Wohlthätigkeit ausserhalb der katholischen Kirche pochen zu können. Zahlen lösen aber jeden Zweifel, vor ihnen zerrinnt jeder Dunst. Der Freiherr Heinrich von Andlaw hat in seiner im May voriges Jahres erschienenen Schrift: »über die Stiftungen im Großherzogthum Baden,« in sehr einläßlicher Mittheilung nachgewiesen, daß in dem Zeitraum, welcher die letzten fünf Monate des Jahres 1834 bis Ende 1844 umfaßt, für Kirche, Schule, Almosen und besondere Wohlthätigkeitsanstalten in den katholischen Landestheilen des Großherzogthums 552,793 fl. 36 kr., in den protestantischen dagegen für gleiche Zwecke in dem nemlichen Zeitraum nur 145, 513 fl. 36 kr. seyen gestiftet worden, in jenen also, wenn wir das Verhältniß der Bevölkerung wie 2: 1 in Anschlag bringen, beinahe das Doppelte. Billigermaßen dürfen die durchaus verschiedenen Verhältnisse nicht übersehen werden, wenn sich ergiebt, daß zu ersterer Summe 108, 529 fl. 8 kr. durch Geistliche, zu letzterer hingegen durch ebensolche bloß 2654 fl. 44 kr. – Dort beiläufig 1/5, hier nicht einmal 4/60 beigetragen wurden. Dürften ähnliche Zusammenstellungen aus andern Ländern etwa abweichende Resultate liefern? Und welche fruchtbare Bemerkungen der mannigfaltigsten Art liessen sich nicht an diese authentischen Berichte knüpfen?

Hier haben wir trockene Zahlen, die Angabe materieller Mittel, deren Umfang noch lange nicht den eigentlichen Werth eines dargebrachten Opfers bestimmt. Ist doch die Widmung einer größern oder geringern Geldsumme zu irgend einem Zwecke der Wohlthätigkeit bei weitem nicht die edelste Frucht, die reinste Blüthe jenes von Christo ausgehenden Lebenshauchs. Eine Geldsumme kann der Reiche geben, ohne von jener Charitas nur im mindesten angeweht zu seyn, ohne die hohe Bedeutung und die Mahnungen derselben zu kennen, ohne nur deren Daseyn zu ahnen. Welcher Werth auch einer solchen Gabe müsse zuerkannt werden, wie ersprießliche Zwecke auch dadurch sich fördern lassen, sie kann gewonnen werden, weil es nun einmal so gebräuchlich ist, aus Ostentation, um irgend eine[630] Veranlassung mit größerer Solemnität zu umziehen, um sich selbst Genüge zu thun. Ist der Wechsel ausgestellt, ist derselbe honorirt, die Ausgabe gehörig zu Buch gebracht, dann ist das Geschäft, wie jedes andere, abgemacht. Die Charitas, die wahre christliche Liebe, betrachtet dieses nur als Grundsteinlegung zu einem Gebäude; sie weiß, daß hiemit dasselbe noch nicht aufgeführt ist, und, selbst aufgeführt, es der Obsorge noch fortan bedarf; ja daß dieser, ist auch der Grundstein durch Andere vor langer Zeit schon gelegt worden, nicht geringeres Verdienst gebührt, als demjenigen, welcher diesen gelegt hat.

Wollen wir den Umfang, wollen wir die vielartige Verzweigung, wollen wir die andauernde und in das zarteste Geäder des menschlichen Gesammtkörpers auslaufende Obsorge dieser Charitas, wie Rom auch in dieser als Weltstadt, als Mittelpunct der Christenheit sich darstellt, kennen lernen, so dürfen wir nur Morichini's erwähntes Werk zur Hand nehmen und mit erforderlicher Aufmerksamkeit dasselbe durchlaufen. Da sehen wir zu allervörderst (wie es auch, nicht als Verdienst, sondern als Verpflichtung anerkannt werden muß) die Oberhäupter der Kirche in ihrer gedoppelten Eigenschaft, als solche und als weltliche Herren Roms, mit ihrem Beispiel zu aller Zeit darin voranleuchten, daß sie wohlthätige Anstalten sowohl zu stiften oder auszustatten, als die bestehenden zu erweitern, oder denselben ihre fürsorglichste Aufmerksamkeit zu widmen beflissen waren. Daß sie auf Weihnacht und Ostern 5,000 Scudi austheilen lassen, mag zuletzt als Obliegenheit erkannt werden, welche der eigenthümliche Charakter ihrer Stellung ihnen auferlegt. Aber auch an die Staatseinkünfte ist der Armuth eine Ansprache, wenn nicht durch das Gesetz, so durch die anmuthigere und darum nicht minder bindende Vorschrift des Herkommens eingeräumt. Diesem nach werden jährlich 30,000 Scudi von dem Ertrag des Lotto's zu Almosen verwendet, woraus 3355 Personen täglich, 375 monatlich, 1040 in dringlichen Fällen Unterstützung in Jahresfrist erhalten haben. Binnen zwei Jahren[631] sind in der Stadt Rom aus Stiftungen und Staatseinkünften an Arme 648, 128 Scudi vertheilt worden.

Allein dieß Alles läßt sich mit klingenden Metallstücken abthun. Dürfen wir darin das Hervortreten der Menschenfreundlichkeit, der Mildthätigkeit, der christlichen Liebe zwar nicht verkennen, so findet diese doch andere Weisen, in denen sie, ihrer zärtern Natur nach, nicht äussere Hülfsmittel, sondern sich selbst einzusetzen im Falle ist. Nach beiden Seiten darf, ja muß Rom den Namen der Hauptstadt der Christenheit mit dem vollesten Gewicht in Anspruch nehmen; nach der einen Seite zeigt es uns seine umfangsreichen, wohlbedachten Stiftungen in Spitälern, Waisenhäusern, Pilgerherbergen für alle Nationen und Stände, Anstalten nach jedem Bedarf und zu jedweder Hülfleistung, wie für Blinde, Taubstumme, sonst körperlich Gebrechliche, zur Rettung für gefallene, zur Bewahrung für verlassene Mädchen, u. s. w.; nach der andern Seite stellt es uns, neben der Obsorge um jeglichen Bedarf der Nothleidenden, diejenige um die eigentliche Pflege, und zwar die geistliche, wie die leibliche, der Bedürftigen dar; nämlich seine Vereine, um Kranke in ihren Häusern zu verpflegen, seine Brüderschaften zum Besuch der Gefangenen, zur Besorgung der Entlassenen, zur Tröstung der Verurtheilten, zu Erweisung christlicher Liebe an Verstorbenen. Da lautet es nicht nur als allgemeine Empfehlung wohlgesinnter Hülfsbereitwilligkeit, sondern wird es in seinen besondersten Beziehungen aufgefaßt und verwirklicht jenes Wort, mit welchem einst der König die zu seiner Rechten Stehenden begrüßen und eingehen heissen wird in das seit Grundlegung der Welt bereitete Reich des Vaters: »Ich war hungernd und ihr reichtet mir Speise; ich war durstend und ihr gabet mir zu trinken; ich war ein Fremdling und ihr nahmet mich auf; ich war krank und ihr besuchtet mich; ich war im Kerker und ihr seyd zu mir gekommen!«[632] Oder, – da läßt sich abermals unbedenklich Berufung einlegen an die Erfahrung aller Zeiten, an das Bestehende in allen Ländern; aus welcher Zeit und wo hättet ihr eine Einrichtung aufzuweisen, die derjenigen der Bruderschaft von Mariens Verkündigung in Rom gleich käme? Ihrer Entstehung nach reicht sie in jene Zeiten hinauf, in welchen der bald nachher so schmählich herabgewürdigte »werkthätige« Glaube so vielerlei Großartiges hervorrief, wie er früher gethan hatte und später fortwährend noch that, ob zwar zu je Zeit nach verschiedenartigem Bedürfniß, doch in Beweggrund und Endzweck zu allen Zeiten gleichmäßig. Ihrer segensreichen Wirksamkeit nach knüpft auch diese besondere Gewohnheit ausschließlich wieder an Rom sich an, den Mittelpunct, nicht bloß der Leitung, sondern jeder eigenthümlichen Lebensregung der Kirche, die niemals unterläßt, zugleich mit dem äussern Wohlthun die Obsorge um das innere geistliche Wohlseyn zu verbinden. Nun daß bei solemnen Anläßen im Lebenslaufe fürstlicher Häuser, bei gewichtigen Ereignissen, welche an Glieder derselben sich knüpfen, in das Festprogramm die Ausstattung armer Mädchen als Beigabe der Bewährung allerhöchster Huld aufgenommen wird, gilt nicht als etwas ganz Ungewöhnliches; ist aber die Festlichkeit verrauscht, so mag zugewartet werden, wen die göttliche Gnade für die Rückkehr einer zweiten aufspare. Nicht so in Rom, wo durch die jährliche Wiederkehr des kirchlichen Festes diejenige des daran geknüpften Rosenfestes (dafern für diesen Thatbeweis der Charitas jener romanartig schmachtende Ausdruck gebraucht werden darf) verbürgt wird. Und auch hier wieder, wo diese anmuthige Veranstaltung in die still und geräuschlos wirkende Kirche verwachsen ist, wie anders als dort, wo sie nur als Erweiterung und Verschönerung des Hoffestes gelten kann und zu einem agreablen Zuwachs zu den allübrigen Decorationen dient? Dort werden der Ausgestatteten alljährlich mehr Hunderte, als hier nach langem, oft sehr langem Zeitverlauf Duzende gezählt. Da ziehen sie, ein langes Reihenpaar, mit dem bräutlichen Kranz in den Locken und im Gewande der Unschuld am Tage der[633] jungfräulichen Beschirmerin durch die Hallen der Kirche zu den Füßen des segnenden Vaters, ihm zu danken für die ansehnliche Mitgift aus der im Verlauf der Jahrhunderte reich gewordenen Stiftung, an welche niemals ein weltliches Schirmrecht, oder ein tus inspectionis, oder ein tus cavendi, oder was immer sie auf ihren Kathedern oder in ihren Schreiberstuben als ihr Jus mögen ausgeheckt haben, gleich einer ausmergelnden Schmarotzerpflanze sich angeklammert hat. Würde aber die Kirche glauben können, mit dieser Vertheilung geprägten Silbers ihrer Obsorge genügt, eine wesentliche Wohlthat erwiesen zu haben? Nein! Ihrem tiefsten Wesen gemäß sind diese Silberstücke nur das vor der Welt geltende Zeichen, daß sie jene in zärterer, umfassenderer Weise den also Begabten längst schon angedeihen lassen, sie derselben würdig erfunden habe. Denn nicht nach Zufall oder höchstens auf bloßen, von der Gunst des Augenblicks abhängenden Ausspruch werden diese aus der Zahl ihrer Altersgefährtinnen herausgehoben, sondern seit Jahren sind sie beobachtet worden, müssen über ihren Wandel fortlaufende Zeugnisse vor Augen liegen, spornt und zügelt die Aussicht auf Auszeichnung und Begabung auch diejenigen, welche die Zahl derer, die zu derselben können aufgenommen werden, überschreitet. Da möchte man wohl wieder fragen: könnte Aehnliches in gleichem Umfange, nicht sowohl der Summe des Dargezählten und der Menge der Individualitäten, sondern vielmehr der, bei Manchen unbestreitbar durch das Leben hindurchgreifenden moralischen Wirksamkeit nach, durch die bloße Philanthropie ebenfalls geleistet werden? Vollends aber: möchten der Cultur-, oder der bloße Begriffs-, oder der dürre Schreiberstaat, oder die kammerlichen Intelligenzen und parlamentarischen Maulfertigkeiten geneigt seyn, auch nur von ferne von solchen Ideen je sich anwandeln zu lassen, dergleichen aus dem Boden der Kirche als reife Früchte in nicht sparsamer Saat immerfort hervorwachsen?

Seyen wir nicht ungerecht! Viel Aehnliches hat unser Jahrhundert in manchen andern Städten entstehen, aufblühen, erstarken[634] gesehen. Neben vielem Eiteln, Gehaltlosen, Verwerflichen, was unser Zeitalter erzeugt und großgezogen hat, was es anpreist und worauf es stolz ist, ohne daß dessen Gehalt edlen Metalles wäre, läßt sich ein weitverbreitetes Bestreben, der Noth zu steuern, den Bedürftigen beizustehen, das Elend zu mildern, läßt sich, neben theilweise entsetzlicher Härte, eine gewisse Weichheit der Gesinnung in edlerer Bedeutung, eine Zartheit der Gefühle, die in vielfacher Gestaltung in die That überzugehen sich bestrebt, nicht mißkennen. Wäre jeder Fortschritt in seinen Beweggründen so tadelfrei, in seinen Zwecken so lauter, in seinen Wirkungen so beifallswerth, dann mit vollem Recht dürfte ein Feind des Menschengeschlechts Jeder genannt werden, welcher derartigem Fortschritt sich nicht anschliessen wollte. Was aber in solcher Beziehung irgendwo ins Leben gerufen worden ist, was irgend eines Ortes Anerkennung verdient, wenn es auch, bei vorhandenen reichern Hülfsmitteln, Aehnliches, was Rom aufzuweisen hat, überragt, diesem gebührt doch darin der Vorrang, daß längst schon Solches dort bestand, bevor anderwärts nur der Gedanke daran rege ward.


Unter Roms zahlreichen Anstalten ragen zwei weit über alle andern empor, finden sich vielleicht ähnliche, die in jeder Beziehung ihnen an die Seite könnten gestellt werden, nirgends in der Welt; und der Fremdling, der nach dem vielen Sehenswerthen und Merkwürdigen der ewigen Stadt fragt, kann unmöglich dieselben unberücksichtigt lassen, daß er nicht wenigstens Kunde darüber sich verschaffte, wenn es auch schwerer hält, in deren Innerem sich umzusehen. Die erste ist der Spital von San Spirito, Innocenzens des Dritten großartige und noch jetzt nirgends in der Welt übertroffene Stiftung, dieweil sie von dort an Gegenstand der Fürsorge aller seiner Nachfolger geworden ist.[635]

San Spirito liegt jenseits der Tiber, unsern von St. Peter. Wohl mag manche kleine Stadt sich finden, deren Umfang dem Complex aller Baulichkeiten, die zu demselben gehören, nicht gleich kommt, an Zahl der Bewohner ihm weit nachsteht. Noch ist die ursprüngliche Bestimmung, welcher gleichzeitiger Sage nach der Spital seine Gründung verdankt: Aufnahme, Verpflegung und Erziehung von Findelkindern, neben der andern, Besorgung der Kranken, Hauptzweck desselben. Aber diesem schliessen noch mehrere verwandte Zwecke sich an, wie denn eine Jahreseinnahme von 90,600 römischen Thalern (222,500 rheinischen Gulden) dergleichen wohl möglich macht. Ein Begriff der Großartigkeit dieser Anstalt läßt sich schon daraus gewinnen, wenn man weiß, daß in dem vorigen Jahrzehend des laufenden Jahrhunderts die Zahl der Aufgenommenen nach seinen beiden Hauptzweigen an Kindern 31,689 und an Kranken 134,916 betrug, also einzig von diesen in jährlichem Durchschnitt 13,491, was auf den einzelnen Tag 370 brächte.

Wie hoch, wie räumlich, wie heiter und lustig die Krankensäle der berühmtesten Spitäler Italiens seyen, z. B. diejenigen des großen Spitals in Mailand oder dessen, der zu Modena unter Besorgung der barmherzigen Schwestern steht, sie alle werden von denjenigen in San Spirito in jeder Beziehung überragt. Da ich in dergleichen Anstalten nichts lernen kann, so hat eine gewisse Scheu, Kranke und Leidende zum Gegenstand bloßer Neugierde zu machen, und die Besorgniß, sie hiedurch in ihren innersten Empfindungen zu verletzen, von der Wanderung durch Krankensäle von jeher mich abgehalten. Ich begnügte mich, hier von der Thüre aus in einen der geräumigsten Säle hineinzublicken, und war erstaunt über die Größe. Die Apotheke des Hauses steht zu der Anstalt in übereinstimmendem Verhältniß. Sie ist eine der besteingerichteten und schönsten, die man sehen kann; ihre Laboratorien sind mit allen Instrumenten und Einrichtungen, welche die Entwicklung der pharmaceutischen Wissenschaften in ihrem weitesten[636] Umfang gegenwärtig nur immer fordern kann, auf's vollkommenste versehen.

Mit meinem Besuch in San Spirito verband ich noch einen besondern Zweck. Ich wußte, daß in dem Archiv des Hauses die Urschrift der Ordensregel für die Spitalbrüder vom Jahr 1193 aufbewahrt werde. Saulnier hatte in seiner Geschichte des Ordens berichtet, sie seye mit dem Bild Innocenzens des Dritten in Miniatur geschmückt. Verschiedene Anfragen, die ich deßwegen früher nach Rom gerichtet hatte, waren aber alle ohne befriedigende Auskunft geblieben. Ich konnte nicht einmal mit Gewißheit erfahren, ob jene Handschrift vorhanden, oder vielleicht im Laufe der Zeiten zu Grund gegangen seye. Deßwegen wollte ich die Gelegenheit, an Ort und Stelle mich zu erkundigen, nicht versäumen. Der Archivar der geistlichen Congregation, die noch immer fortbesteht, hatte daher die Gefälligkeit, mich in das Archiv zu führen und die fragliche Handschrift, die wirklich noch vorhanden ist, mir vorzuweisen. Sie besteht in einem kleinen Folioband, auf deren erstem Blatt die Nachricht enthalten ist, daß (wenn ich nicht irre im Jahr 1737) der damalige Commendator dieselbe dem Zustande der Zerfalls, worin sie durch die Länge der Zeit versetzt worden seye, entrissen und restaurirt habe. Da fand sich nun allerdinge das von Saulnier erwähnte Bild. Allein Jedermann muß sich auf den ersten Anblick überzeugen, daß dasselbe nichts weniger als ein Portrait seye. Der Maler wollte eben zum Schmuck einen Papst hinmalen, und da genügten ihm die Kennzeichen der Würde, das Gesicht war Nebensache, denn es trägt den bedeutungslosesten Ausdruck eines ganz jungen Menschen. So haben oftmals die alten Maler eine Figur mit einem Kaisermantel und einer Kaiserkrone hingemalt und einen bestimmten Namen darunter geschrieben; aber nicht derjenige, der diesen trug, sondern der Kaiser an sich sollte dargestellt werden. Wahrscheinlich hatte Saulnier die Handschrift selbst nicht gesehen, sonst würde er von einem gleichzeitigen Ebenbild nicht haben sprechen können.[637]

Die andere große Anstalt, in ihrem Innern noch merkwürdiger und eine unendlich größere Mannigfaltigkeit des Sehenswerthen darbietend, ist das »Apostolische Hospitium von San Michele a Ripa« (am Ufer der Tiber), 334 französische Meter oder 1750 römische Palmen lang, 80 Meter tief und 4 Stockwerke hoch, mit acht Höfen und drei Kirchen und einer Einwohnerzahl von nahe an tausend Personen. Dasselbe steht unter der speciellen Obsorge des Cardinals Tosti, als apostolischen Visitators; ihm verdankt es seinen gegenwärtigen blühenden Zustand, nachdem es unter den Stürmen der Revolution gewaltige Erschütterungen erlitten hatte. Die an Kunstgegenständen aller Art und dem mannigfaltigsten wissenschaftlichen Vorrath reich ausgestattete Reihe von Prachtzimmern des Cardinals ist der augenfällige Beweis, daß San Michele dessen Lieblingsaufenthalt ist, wie denn selten ein Tag vergeht, an welchem er nicht längere Zeit daselbst zubrächte. Leider war dieß an dem Vormittag, an welchem ich mich dahin verfügte, nicht der Fall; aber ich fand den Auftrag, mich überall herumzuführen.

San Michele hat eine doppelte Bestimmung; es ist Waisenhaus und Versorgungsanstalt für Betagte zugleich; in jenem werden 220 Knaben und 270 Mädchen erzogen, in dieser 125 Greise und ebensoviele alte Frauen verpflegt. Sowohl die Alter als die Geschlechter sind durchaus getrennt; die Mädchen haben für den täglichen Gebrauch ihre besondere Kirche, die Knaben ihr eigenes Oratorium, und wenn sie an Sonn-und Feyertagen Alle in der großen Kirche zusammenkommen, sind sie doch so geschieden, daß sie einander nie zu Gesicht bekommen. Knaben können mit dem eilften Jahr eintreten und bleiben bis zum 20sten, wo sie mit einer Aussteuer von 30 Scudi, meistens aber mit einer ansehnlichern erworbenen Summe austreten, weil einem Jeglichen die Hälfte seines Erwerbes gutgeschrieben und, wenn er das Haus verläßt, eingehändigt wird. Unter diesen können es diejenigen, die durch Anlage und Ausbildung zum Gesang sich auszeichnen, oft zu einer erklecklichen[638] Summe bringen; denn häufig werden deren Mehrere zu besondern Kirchenfesten berufen, wofür sie immer eine ansehnliche Belohnung erhalten. Auch bei der Erziehung und Ausbildung der Mädchen wird besondere Rücksicht auf den Gesang genommen, damit sie desto eher Aufnahme in den Klöstern finden. Ich wurde bei meinem zweiten Besuch Roms in der Capelle der Mädchen durch einen Gesang überrascht, welcher unbestritten zu dem Vollendetesten gezählt werden durfte, was ich in dieser Weise je gehört habe. – Jedes austretende Mädchen erhält 100 Scudi Aussteuer zu seiner Verheirathung, 200 zum Eintritt in ein Kloster.

Den ersten Keim dieser wahrhaft großartigen Anstalt müssen wir in der christlichen Liebe des Prälaten Thomas Odescalchi suchen, welcher unter dem Pontificat Innocenz X verlassene und herumschweifende Kinder zu St. Galla vereinigte, und sie in der Religion und zu Handwerken erziehen ließ. Sein Geschlechtsverwandter, 'Papst Innocenz XI, unterstützte ihn in Erbauung eines eigenen Hauses zu diesem Zweck auf eben dem Grund, auf welchem der jetzige Riesenbau steht; im Jahr 1686 wurde dasselbe vollendet. Mehr als ein Jahrhundert früher hatte Leonhard Cerusi, mit dem Zunamen der Gelehrte, eine ähnliche Stiftung gemacht. Bei dieser waren zwar die jungen Leute in einer Wohnung vereinigt, wurden aber zu Erlernung von Handwerken täglich in die verschiedenen Werkstätten der Stadt geschickt. Innocenz XII faßte die günstige Lage der Odescalchischen Stiftung ins Auge, und sah sich bewogen, die zweckverwandte von Cerusi damit zu vereinigen, die Zahl der aufzunehmenden Knaben aber auf 300 zu erhöhen; für die Betagten beiderlei Geschlechts und die Mädchen bestimmte er den lateranensischen Palast. Noch grössere Erweiterungen verdankte San Michele Papst Clemens XI, auch Clemens XII fügte Einiges bei. Pius VI vollführte Clemens VI Absicht, die Waisenmädchen, welche bisher immer im Lateran gewohnt hatten, ebenfalls in San Michele unterzubringen. Daher erhielt der Bau durch ihn eine ansehnliche Erweiterung.[639] Leo XII und der vorige Papst haben der Anstalt gleichfalls ihre Aufmerksamkeit gewidmet, und unter der sorgfältigen Verwaltung des Cardinals Tosti ist es dahin gekommen, daß die Einnahmen und Ausgaben sich die Wage halten, was zuvor, bei Verlusten, welche die Anstalt während des französischen Einbruches erlitten, und Schulden, die sie nachher hatte machen müssen, der Fall nicht war.

Ich wurde zuerst in den Musiksaal geführt, wo vier der ältesten Zöglinge mit ihrem Lehrer sich anwesend fanden. Sie sangen gerade ein Quartett, bei welchem schwer zu unterscheiden war, ob der Umfang und der Klang ihrer Stimmen, oder die Reinheit und Richtigkeit des Vortrages grössere Anerkennung verdiente. Darauf wurden ihnen noch einige andere Campositionen vorgelegt, welche sie mit gleicher Fertigkeit und Vollkommenheit ausführten; so daß ich wohl begriff, wie sie zu Erhöhung der Feyerlichkeiten in die Kirchen berufen würden. Dieß geschah z. B. in St. Maria del Anima am 19. April, als dem Geburtsfest Sr. Majestät des Kaisers, welches in Beiseyn des Botschafters und des sämmtlichen Gesandtschaftspersonales durch ein grosses Hochamt gefeyert ward.

Es giebt kein Handwerk, was in Werkstätten getrieben werden kann, und keine Kunst, welche der Zögling, je nach Neigung, Anlage, Talent, nicht in dem Hause selbst aufs beste lernen könnte. Z. B. Alles, was in das Wollgewerbe ein schlägt; die rohe Wolle kommt in das Haus und geht als vollständig verarbeitete Uniformen für das päpstliche Militär heraus; ebenso ist es mit der Seide, die als Zeuche der verschiedensten Art das Haus wieder verläßt. Ferner kommt das Leder hinein und wird in Schuhe, vollständige Tchako's, in andere Arbeiten aus diesem Stoff verwandelt. Da sieht man in dem grossen Hof der Werkstätten diejenigen der Wagner, Schmiede, Schlosser, Drechsler, Steinhauer, Kupferschmiede, Schreiner. Wollen Andere Schriftgießer, Schriftsetzer, Buchdrucker, Buchbinder werden, auch dergleichen Werkstätten finden sich in dem Hause. Das Ausgezeichnetste aber sind die Lehranstalten[640] für Alles, was auf die bildenden Künste Bezug hat. Der Unterricht im Zeichnen jeglicher Art, Geometrie, Perspective, Anatomie, Sculptur, Architectur kann vollständiger, umfassender und erfolgreicher wohl kaum irgendwo ertheilt werden, als in San Michele. Hat man den Zeichnungssaal durchwandert, in welchem sämmtliche Knaben, diejenigen, welche den Künsten sich widmen, wie natürlich in so höherem Maaße, ihre Vorbildung erhalten, so gelangt man in die mancherlei Zimmer, in welchen Architekten, Marmorarbeiter für Ornamente, dann eigentliche Bildhauer, Steinschneider, Holzschneider, Stempelschneider, Mosaiker, Maler, Kupferstecher herangebildet werden; bis zu welcher Vollkommenheit, dafür kann es keinen überzengendern Beweis geben, als die Thatsache, daß die berühmtesten Kupferstecher zu Paris, Rom und Neapel Zöglinge von San Michele sind. Unter den Zimmern des Cardinals ist ein ziemlich geräumiges mit Kupferstichen von Zöglingen des Hauses ganz ausgeschmückt, gleichwie eine Reihe schöner Sculpturen in dem Corridor Arbeiten von ihnen sind. In der neuesten Zeit hat man auch mit Verfertigung von Gobelins wieder begonnen, und ich habe den Anfang eines solchen gesehen, der dem Schönsten, was die königliche Manufactur zu Paris zu leisten vermag, unbedenklich darf an die Seite gesetzt werden.

Man kann sich leicht vorstellen, wie groß, um für den Bedarf so vieler Menschen zu sorgen, die Küche seyn müsse. Es widerstrebt mir sonst, in dergleichen hineinzugehen; aber ich muß bekennen, hier fand ich alles blank und reinlich und das Personale nicht, wie so häufig, in einem Aeussern, um schon durch seinen Anblick den gesegnetesten Aypetit zu stillen. So sind auch die Refectorien räumlich, hell, luftig, und wieder hätte ich wünschen mögen, daß so Viele, welchen es schwer fällt, das Prädicat »unreinlich« von Italien zu trennen, hier sich hätten umsehen können. Obwohl es Samstag war, sah doch das Tischzeug noch gut aus. Daß überhaupt auch für das Leibliche bestens gesorgt seyn müsse, war daraus wahrzunehmen, daß in dem Refectorium der Knaben Jeder[641] sein eigenes Tellertuch hatte und vor jedem Gedeck ein Fläschchen Wein und ein schönes weisses Brödchen lag.

San Michele liegt nicht fern von St. Paul, nur auf dem rechten Ufer der Tiber und dieß an den Strom gebaut, wie jenes auf dem linken in einiger Entfernung von demselben. Bekanntlich müssen die Benedictiner, deren Kloster mit dieser Kirche in Verbindung steht, in der Mitte Mai's dasselbe wegen der Aria cattiva verlassen und nach St. Calirt ziehen, von wo sie erst im November nach St. Paul zurückkehren. Ich fand mich daher verlaßt, den Geistlichen, der mich herumführte, zu fragen: ob bei solcher Nähe des Stromes der Einfluß der schlimmen Luft sich nicht fühlbar mache? Er versicherte mich, daß dieß niemals statt finde, indem die an dem Gebäude vorüberfliessende Tiber die Athmosphäre stets rein und frisch erhalte. Hierin fand ich eine Bestätigung dessen, was mir eine ganz ungebildete Frau über die Ursache der Aria cattiva bemerkte, als ich mich verwunderte, daß auf dem etwas höher gelegenen Peters- und dem spanischen Platz dieselbe gewöhnlich herrsche, dagegen in den dicht bewohnten Theilen der Stadt nicht. Ich hatte mir die Sache gerade umgekehrt gedacht. Die Frau schrieb dieses Fühlbarwerden der bösen Luft der Ruhe des untern Dunstkreises über jenen weiten Räumen zu, der gewissermaßen in Stagnation sich befinde, wogegen auf dem Corso, und in andern Straßen die, mittelst häufig herumfahrender Wagen und durch das Ausströmen der Rauchfänge veranlaßte Bewegung eine ähnliche nachtheilige Einwirkung verhindere. Mir schien diese Erklärung ihrer Einfachheit wegen befriedigend.


Zwei Thatsachen, die beinahe aus allen Ländern alljährlich in Zahlen uns vor Augen treten, und deren Vorwärtsschreiten ebensowenig kann geläugnet, als deren Vorhandenseyn[642] muß beklagt werden, sollten den wärmsten Lobredner unserer hohen Cultur und Verfeinerung bald überzeugen, daß dieselben dennoch ihre bedenklichen Seiten darböten; dieß um so mehr, als oftmals deren Entwicklung für so vollkommener und die Stufe, die sie erklommen hat, für so höher gehalten wird, je mehr es ihnen gelingt, dasjenige zu beseitigen oder doch kraftlos zu machen, was gegen jene Uebel zum einzigen Gegengewicht, zum allein wirksamen Vorbeugungs- oder Heilmittel werden könnte. Je mehr nemlich die Menschen mit allen ihnen innewohnenden Kräften nach materiellen Gütern und Genüssen jagen; je mehr ihr Daseyn in die vergängliche Welt versinkt, und von seiner höhern Herkunft, Leitung und Bestimmung abgetrennt wird; je weniger die Religion in den ganzen Gang und in alle Thätigkeit des Lebens eines Menschen sich verflicht, und je geringerer Werth überhaupt auf dieselbe gesetzt wird, desto häufiger werden Seelenstörungen und Selbstmorde vorkommen. Diese beklagenswerthen Erscheinungen der einen und der andern Art zeigen sich in Italien weit weniger, als in andern Ländern. Morichini lehrt uns, daß die Zahl der Geisteskranken im Kirchenstaat auf 722 ansteige, immerhin eine grosse Zahl, wenn wir mit unsern Vergleichungen um fünfhundert Jahre zurückgehen; eine kleine, wenn wir andere Länder gegenüberstellen. Bei derselben würde es, die Einwohnerzahl des Kirchenstaats zu 2,734,000 Köpfen gerechnet, ein Individuum auf nicht volle 4000 treffen. Wir kennen die mancherlei Ursachen, welche zur Veranlassung solcher traurigen Erscheinungen werden können, ja es sind sogar in mehreren Ländern besondere Statistiken hierüber gefertigt worden. Auch dieses gestaltet sich in Italien anders, sofern wir wenigstens aus dem Kirchenstaat auf die übrigen Staaten schliessen dürfen. Bei einer grossen Zahl von jenen 722 rührt die Seelenstörung vornehmlich aus einer zu weit getriebenen Gewissenhaftigkeit oder Aengstlichkeit her, weil nemlich die ihr Unterliegenden sich für allzugrosse Sünder halten, die über ihre Gnade vor Gott im Zweifel stehen müßten. Welcherlei durchaus[643] verschiedene Hauptfactoren dieser Erscheinung in andern Ländern vorkommen, ist nur allzubekannt.

Eben so gering, im Vergleich zu andern Ländern, ist die Anzahl der Selbstmorde. Deren sind binnen vier Jahren in Rom bloß 28 vorgefallen, und unter diesen betrafen die meisten Fremde. Im übrigen Kirchenstaat kennt man dergleichen traurige Vorfälle kaum. Dagegen sind wir in manchen Theilen Europa' s dahin gekommen, daß wir, wenn bei einer Stadt von 160,000 Einwohner von sieben Selbstmorden des Jahres gesprochen wird, das Wörtchen nur dazu setzen. Ohne Frage bezeichnet auch dieses ein Fortschreiten, aber wahrlich nicht eines der befriedigendsten Art.

Zu Erklärung des Unterschiedes, welcher in dieser Beziehung zwischen nördlichen und südlichen Völkern herrscht, zieht man vielerlei Ursachen herbei, unter denen eine einzige, aber zunächst liegende, am wenigsten in Anschlag gebracht werden will. Namentlich wird dem Himmelsstrich, dem hellen Sonnenschein, der reinen Luft, der freiern Bewegung in diesen auf der einen Seite ebensoviel, als auf der andern dem Mangel hieran zugeschrieben. Dabei vergißt man, daß vor einem haben Jahrtausend dieß Alles ebenso sich verhielt, wie noch heutzutage, daß aber in jener Zeit solche traurige Verirrungen unter dem einen Himmelsstrich so wenig vorkamen, als unter dem andern. Ferner könnte man dessen gedenken, daß zur Zeit der Imperatoren-Herrschaft Himmel, Sonne und Luft über Italien die gleichen waren, wie in unsern Tagen, hingegen gerade damals unter dem versunkenen, fleischlich gewordenen, aller höhern Güter, jedes stärkenden und emporhaltenden Trostes verlustig gegangenen Geschlecht Selbstmorde häufig genug vorkamen; während umgekehrt zu der gleichen Zeit unter den Bewohnern der nördlich gelegenen Länder, die wahrscheinlich eines minder günstigen Climas sich erfreuten, als gegenwärtig, dieselben unerhört waren. Gewiß zeugt es von einem höchst beengten Gesichtspunct, diese Thatsachen von den climatischen Vethältnissen vorzugsweise abhängig machen zu wollen.[644]

Auf weit tiefer liegende Ursachen bin ich in Neapel nicht bloß von einem, sondern von mehrern meiner Landsleute aufmerksam gemacht worden. Dort befinden sich in dem Dienste des Königs vier Schweizerregimenter. Der Raum, auf welchem dieselben sich rekrutiren, ist verhältnißmässig ein sehr kleiner, welcher besondere climatische Verschiedenheiten nicht darbietet. Aber der eine Theil dieser Leute besteht aus Katholiken, der andere aus Protestanten. Nun bestätigt häufige Erfahrung mancher Jahre, daß unter den Letztern ungleich mehr Selbstmorde vorkommen, als unter den Erstern. Will man auch die Sache der Wirkung des Weines zuschreiben, welcher, allzu reichlich getrunken, den Fremdling mehr dumpf als fröhlich macht, so ist damit wohl das Auffallende an sich, nicht aber das immer merkwürdig bleibende Verhältniß erklärt. Die Geistlichen der Regimenter wissen aber aus der Beichte, daß katholische Soldaten von dergleichen Anwandlungen ebensowohl beschlichen werden, als protestantische; daß jene hingegen, entweder durch sich selbst oder unter ihrem Beistand, derselben weit leichter Meister werden.


Die einzige Person in Rom, die ich aus früherer Zeit her kannte, war der Cardinal Ostini, am Ende der zwanziger zahre apostolischer Nuntius in der Schu'eil. Die einzige Person, welche bald nach meiner Ankunft daselbst eine Frage an mich stellte, ohngefähr im Sinne des P. Luigi Tosti zu Monte-Caisino, war dieser Cardinal. Er erhielt beinahe die gleiche Antwort wie Jener, einzig mit der Zusicherung, daß ich in keinem Fall Rom verlassen würde, ohne ihm eine bestimmte Erklärung zu geben, ob meine Ueberzeugungen eine Rückkehr in die Kirche mir möglich machen würden, oder nicht. Damit war der Cardinal wenigstens in so weit befriedigt, daß er Alles meinem Gutfinden anheimstellte und bei den Spazierfahrten, die ich wöchentlich an ein Paar Abenden mit ihm machte, diesen[645] Gegenstand unerörtert ließ. Ich war dessen um so froher, als die innere Gewißheit mit einer Festigkeit vorhanden war, die keines Zuwachses bedurfte, die möglichen äußern Schwierigkeiten dagegen durch keinerlei Dazwischenkunft oder Verwendung dritter Personen sich beseitigen liessen. Von woher einzig, in keinem Fall aber unüberwindlich, solche sich hätten erheben können, habe ich früher, zusammt der Weise angedeutet, wie ich dieselben allmählig zu beseitigen mich bestrebte. Inzwischen war mitten unter der reichen Fülle alles Großen, Bedeutungsvollen und Herrlichen, was Rom und Neapel in jeder Beziehung mir darbieten konnten, dieses der vorherrschende Gedanke, dabei das Zusagendste, daß ich denselben, unberührt durch jeden Einfluß von Außen, in der Abgeschlossenheit meines Innern herumtragen und bewegen und hiedurch an Sicherheit, Festigkeit und Entschiedenheit unendlich gewinnen konnte; was vielleicht weniger der Fall gewesen wäre, wenn ich irgend Jemanden etwelche Einwirkung darauf eingeräumt hätte. Daß Hoffnungen, Wünsche, alle aber einzig aus dem reinsten Wohlwollen gegen meine Person hervorgehend, gehegt wurden, war selbst dann nicht zu verkennen, wenn auch nicht ein Wort die innere Gesinnung verrieth.

Kaum aber mochte von denjenigen, mit denen ich am öftersten in Berührung kam, Jemand nach so langem, scheinbar ungenützt gebliebenem Zeitverlauf nahe Verwirklichung dieser Hoffnungen, baldige Erfüllung dieser Wünsche noch erwarten; dieß um so weniger, da jenen Allen der unwiderrufliche Vorsatz bekannt war, am 22. Juni von Rom abreisen zu wollen. Welch anderer Vorsatz aber eben so fest, seiner Ausführung, so anders nicht die mächtigsten Hindernisse dawider sich aufthürmen würden, ebenso nahe stand, ahnete Niemand. Hätte ich es der durch meinen Lebenslauf sich hindurch ziehenden Führung, der immer deutlicher gewordenen Winke, der immer klarer sich entwickelnden Ueberzeugung entgegen, durchgesetzt, aus Rom heimzukehren, ohne vor der Menschen Augen sichtbar werden zu lassen, was in so langer Vorbereitung im Innern[646] endlich zur Reise gelangt war, dann gewiß wäre, ich bin dessen fest überzeugt, die Rückerinnerung an die ewige Stadt mir nachher ebenso peinlich geworden, als mir jetzt in derselben der heiterste und freundlichste Stern meines Lebens blinkt. Des Psalmisten Wort möchte ich auf dasselbe anwenden: »Könnt ich deiner vergessen, Jerusalem, so müßte ich meiner Rechten vergessen. An dem Gaumen soll meine Zunge kleben, wenn ich nicht deiner gedächte; wenn ich nicht Jerusalem allem Erfreulichen voranstellte.«

Was ich hier in diesen Blättern in Beziehung auf den innern, wie auf den äussern Gang meines Lebens einfach, schmucklos und wahrheitsgetreu mitgetheilt habe, trat von der Zeit an, da ich mich Rom näherte, als immer lichtvolleres Gesammtbild vor meine Augen, in welchem der Geburtstag des Jahres 1840 als strahlender Mittelpunct sich heraushob. Dabei durfte dem Gewicht zweyer Hauptmomente entscheidender und festigender Einfluß nicht versagt, in diesen vornehmlich eine liebreiche höhere Fürsorge nicht mißkannt werden, beide die volleste Gewährleistung bietend, daß, frei von aller subjectiven Trübung, die rein objective Enthüllung und Anschauung der Wahrheit diese Rückkehr in die Kirche bewerkstelligt habe. Sollten auch dieselben nicht mächtig genug seyn, um vorgefaßte Meinung, böswillige Verdrehung, parteisüchtige Lüge, blinde Entrüstung und was Alles in dieses Gebiet gehören mag, zu entwaffnen, so quillt doch aus ihn en die befriedigendste Sicherstellung des eigenen Bewußtseyns.

Wäre es mir möglich gewesen, bald nach dem 19. März 1841 in die Kirche zurückzukehren, wozu es an hie und da kund gewordenen Wünschen und Erwartungen nicht fehlte, und was damals vielleicht weniger befremdet hätte, als drei Jahre später, so hätte selbst bei vollkommen gleicher innerer Gewißheit dennoch bisweilen die Frage sich aufdringen mögen: ob Mißstimmung, Unwille, wenn ich so sagen soll, eine Art von Trotz, hieran nicht ebensoviel Theil hätte haben können, als volle Ueberzeugung, klare Einsicht, unabweisliches Verlangen? Diese[647] waren damals in dem Umfange, wie sie zu unbedingter Hingabe an die Kirche unerläßlich sind, noch nicht vorhanden, und konnten in der Art, wie sie unter fortschreitender Entwicklung nach drei Jahren gewonnen worden, auch noch nicht vorhanden seyn. Waren nach der einen Seite die äussern Bande gelöst, so waren deßwegen die innern nach der andern Seite hin noch lange nicht genügend angeknüpft, und eine Rückkehr in die Kirche zu jener Zeit wäre im Grund mehr ein Tausch der sichtbaren Verhältnisse, als die Frucht der Alles umfassenden, darum allein genügenden Erkenntniß gewesen. Das hätte mir nie zusagen können; obwohl die Hoffnung eines bildenden Einflusses der äussern Verbindung auf die innere Gewißheit sich dabei hätte festhalten lassen. Das Kind, welches durch seine Geburt schon mit der Kirche verbunden ist, wird durch sie für dieselbe erzogen; wer bloß in allmählig erwachendem Verlangen, sey es nun aus gänzlicher Gleichgültigkeit, sey es aus Ahnung der Mangelhaftigkeit des bisher Besessenen, heraus- und zu dem Genügendern Befriedigendern, Vollkommenern hingezogen wird, der kann und muß bei Andern nach Belehrung sich umsehen, die ihn, so rückwärts in das, was er verlassen, als vorwärts in das, was er sich aneignen möchte, hinein blicken zu können befähigte. Neben diesen denn mag es Einzelne geben, die vermöge ihres Lebensganges, ihrer Bildungsstufe und ihrer Persönlichkeit diesen Weg unmöglich betreten, auf diese Hülfe sich nicht beschränken dürfen, zumal wenn sie in gereiften Jahren als Glieder der Kirche sich darstellen wollen, da sie ihr zuvor nicht angehört hatten. Solche müssen, so sie mit gutem Gewissen Aufnahme in die Kirche begehren wollen, in sich selbst die Schule durchgemacht, in sich selbst das Für und Wider reiflich erörtert haben, so daß sie nebendem nur noch der Erkräftigung und Befestigung bedürfen. In solchem Falle befand ich mich; solcher Gang ist nicht sowohl durch mich erwählt, als mir vorgezeichnet worden, als der einzig mögliche, auf welchem ich zum Ziele endlich gelangen könne. Dabei diente mir das Bewußtseyn, daß in mein Vorhaben auch nicht das mindeste Trübende der erwähnten Art sich einmischen[648] könne, zu eben so großer Beruhigung, als es von wesentlichem Gewicht für mich war, nimmer zu verschieben, was Erkenntniß und Verlangen mit entschiedenem Wort forderten.

Das andere Hauptmoment gieng hervor aus einer gegenüber stehenden Gewißheit. Ich dürfte den verstocktesten Gegner, den böswilligsten Widersacher, die giftigste Lästerzunge und all das Volk, welches hinter Allem, wozu es selbst entweder nicht fähig wäre, oder was es einzig von seinem beengten Standpunct zu beurtheilen vermag, ich dürfte diejenigen Alle, welche in ersonnener Voraussetzung einen geheimen und versteckten, zugleich aber unlautern, wenigstens unehrenhaften Zweck herauswittern zu dürfen und zu sollen wähnen, mit der reinsten Zuversicht auffordern, irgendwelchen, auch nur scheinbaren zeitlichen Vortheil herauszucalculiren, welcher aus der Rückkehr in die Kirche mir sich darbieten konnte. Ich bin sicher, daß es auch dem angestrengtesten Scharfsinn, ohne meilenweit über die Bahn der Ehrlichkeit und Wahrheit hinauszutreten, rein unmöglich wäre, einen solchen zu erspähen; alldenn er müßte den unfehlbaren Erfolg in Anschlag bringen, das seit langem schon bei manchen Personen erworbene Wohlwollen mir dadurch unzweifelhafter zu sichern. Hätte das eigene Bewußtseyn außer diesem auch nur den leisesten Schimmer von zeitlichen Vortheilen mir entgegengehalten können, wahrlich, ich würde mich weit mehr bedacht, weit mehr gezaudert, hierin ein weit grösseres Hinderniß gefunden haben, als in jederlei, aus anerkennenswerthen, aber doch bloß menschlichen Rücksichten hervorgehender Einwendung meiner Frau, oder der mir am nächsten Stehenden. Aber gerade dieses Bewußtseyn, daß, ohne zu den abentheuerlichsten, waghalsigsten und grundlosesten Vermuthungen seine Zuflucht zu nehmen, ohne einer Bosheit verfallen zu seyn, für die es keinen Namen giebt, von dieser Seite nicht der leiseste Vorwurf mich berühren könne, machte mich frei, darum stark, fest und entschlossen.

Selten habe ich in entscheidenden Augenblicken, unter tiefgreifenden Verumständungen mir die Folgen verhehlet, welche[649] ein Auftreten nach diesem oder jenem Sinne haben könne, niemals durch diejenigen, welche, als minder Zusagende, auf Andere einen bestimmenden Einfluß hätten üben, sie unschlüssig oder wankend machen mögen, mich abschrecken lassen. Denjenigen, welche nachmals es so leicht fanden, mir zu bemerken: dieses, oder jenes hätte ich mir selbst zugezogen; würde ich eine andere Partei ergriffen haben, dann wäre es sicher anders gekommen, solchen Scharfsichtigen und Hellschauenden, was kommen würde, schon in dem Augenblicke vorauszusagen, in welchem noch Niemand meine Entschlüsse oder die Weise meines Auftretens kennen konnte, wäre mir zu keiner Zeit schwer gefallen. So war es auch nicht erst der väterlich theilnehmende Wink des Oberhauptes der Kirche, der auf Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten mich aufmerksam zu machen hatte, ich gedachte vorher schon, daß dergleichen nicht ausbleiben würden, wenn ich auch weder über deren Beschaffenheit, Gestalt und Umfang, noch über diejenigen, die derselben vornehmlich sich befleissigen wür den, Auskunft zu ertheilen vermocht hätte.


Aber hievon auch ganz abgesehen, fordert die Rückkehr in die Kirche, dafern dieselbe aus den rechten Beweggründen hervorgehen und in der allein wahren und gültigen Gesinnung erfolgen soll, eine Selbstverläugnung, verlangt sie Opfer, legt sie Verpflichtungen auf, deren entledigt zu seyn derjenige, welcher entweder die Bedeutung dieser Opfer und Verpflichtungen nicht zu würdigen im Stande ist, oder der es nicht weiter gebracht hat, als mit Geringschätzung auf die Kirche darniederzublicken, als höchstes Glück, als oberstes Gut preist. Es ist wahr, der Mensch, wenn er anders ein Glied der Kirche, nicht bloß dem Schein nach, sondern in Wahrheit und Wesenheit werden will, tritt mit seiner Rückkehr in dieselbe aus einem Zustande der Ungebundenheit in denjenigen der Gebundenheit[650] über, und vertauscht eine Freiheit, in der er seines Glaubens oberster Schiedsrichter und aller seiner aus demselben hervorgehenden Lebensthätigkeiten unbeschränkter Herr ist, – dem Ausdruck derjenigen gemäß, welche in jener so behaglich sich fühlen, - an ein Joch; aber freilich an das Joch, von welchem gesagt ist, es seye sanft, gleichwie die übernommene Last leicht. Ich habe früher bemerkt, daß der Gehorsam der Angelpunct seye, auf welchem die Menschwerdung und die Welterlösung ruhe. Dieser Gehorsam ist der Angelpunct der Welterlösung nicht allein, insofern er die bewegende Kraft dessen war, der mittelst desselben bis zum Kreuzestode sich erniedrigt hat, sondern er tritt ebensowohl hervor in Derjenigen, in welcher die Menschwerdung erfolgt ist und die dem Unbegreiflichene was ihr angekündigt worden, nichts Anderes entgegnete, als das, durch allen Lauf der Zeit hellleuchtende Wort: »Siehe, ich bin die Magd des Herrn, es geschehe, was du gesagt hast!«

Von der Zeit an, da der Jüngling, der väterlichen Gewalt entwachsen, selbstständig in das Leben tritt, wird er des Gehorsams immer mehr entwöhnt, bis er zuletzt selbst den Begriff desselben verliert und kaum noch sich erinnern mag, daß er ein Ausdruck des Sprachschatzes seye. Zwar spricht man wohl noch von Gehorsam gegen Landesvorschriften, vergißt aber, daß es, wie ich bereits früher bemerkt habe, zweyerlei Gehorsam gebe, einen mechanischen und einen dynamischen; einen, der durch die gegenübergehaltene Strafe und die Unmöglichkeit, derselben zu entweichen, bewirkt wird, einen andern, der in freyer Willensthätigkeit von innen herausgeht. Der Gehorsam gegen Landesgesetze trägt in der Regel den Charakter des erstern an sich, denn hinter denselben steht gewöhnlich als unerbitterlicher Rüger aller Verabsäumung die mehr oder minder empfindliche Strafe, die unfehlbare Aussicht auf Mißdehagliches, was zur Wahl des minder Mißbehaglichen in dem Gesetz zwingt. Geht Etwas von dem Charakter des wahren, einzig achten Gehorsams auch in jenen über, so ist dieß einzig[651] Einwirkung der Kirche, Abschattung des durch sie gepflanzten Gehorsams, dieweil sie der Obrigkeit, gleich ihr selbst, im Hinblick auf Denjenigen Gehorsam zu leisten gebietet, welcher Beide gesetzt hat. Wonach (beiläufig bemerkt) vom Schwindelgeist der Zeit befallene Staatsgewalten auf dem verderblichsten Wege wandeln, sobald sie glauben, die Menschen würden in Beobachtung der Anordnungen und Anforderungen in dem weltlichen Bereich um so bereitwilliger, dem Staat (wie sie es nennen) um so gehorsamer seyn, zu je grösserem Ungehorsam gegen die Kirche sie gezwungen oder verlockt werden könnten; da vielmehr der wahre Gehorsam gegen diese die unzerstörliche Wurzel des Gehorsams gegen jenen ist.

Fordert dagegen die Kirche Gehorsam, so kann sie sich nur an den freyen Willen wenden, wird allein dieser denselben gewähren, der Mensch aber, so wie er hiezu sich versteht, diesen freyen Willen durch die Kirche geweiht, geläutert, veredelt und gekräftigt zurück erhalten. Allerdings hat und übt auch die Kirche eine Strafgewalt; allein dieselbe ist solcher Natur, daß die Möglichkeit ihrer Anwendung schon den Gehorsam, und zwar jenen erleuchteten und veredelten Gehorsam voraussetzt. Sobald dieser von einem Individuum aufgegeben wird, hat sowohl die Belehrung, als die Zurechtweisung durch die Kirche ihre wirkende Kraft auf dasselbe verloren. Man sagt, der Trieb zur Freiheit seye dem Menschen eingeboren. Das ist nicht zu läugnen. Aber es steht der Geburt die Wiedergeburt zur Seite, und mittelst dieser soll die ebenfalls in dem Menschen schlummernde Fähigkeit zum Gehorsam wieder geweckt werden. Der Freiheit alles Gewicht einräumen, den Gehorsam aber als Gegensatz gegen dieselbe erklären wollen, hieße auf die leibliche Abstammung von Adam einen größern Werth legen, als auf die geistige Vereinigung mit Christo. Der Mensch muß zur Erkenntniß der hohen Bedeutung des Gehorsams und zur Lust an dem Gehorsam zurückkehren, sobald er Christum seinem vollen Wesen nach würdigt, demnach nicht allein bloß in seiner Beziehung zu den Menschen, sondern[652] auch in derjenigen zu dem Vater, dem er gleich ist. Denn so wie jener, als lebendiges Glied an dem Haupte, aller Güter und Gaben desselben theilhaftig zu werden sich bestrebt, kann er unmöglich mißkennen, daß freudiger, mit der wahren Freiheit sich einigender Gehorsam eine von dieser Wesenheit unzertrennliche Eigenschaft seye. Indem er denselben gegen den Körper, der da ist die Kirche, in sich hervorruft und bewahrt, kann er erst der Früchte, welche des Hauptes Gehorsam auch ihm getragen hat, in vollem Maaße theilhaftig werden und an sich selbst die Tiefe und den Reichthum jenes Wortes erfahren: »so euch der Sohn frei macht, seyd ihr recht frey.« Zu dieser Freiheit aber, wie zu jeder ächten, ist der Gehorsam die alleinige Pforte.

Dasselbe ist der Fall mit der Demuth. Auch diese wird nur durch die Kirche gelehrt und kann nur in ihr erlernt, d. h., sich angeeignet werden. Anerboren, ebenfalls mit der leiblichen Geburt, ist dem Menschen der Hochmuth, Wirkung der Wiedergeburt ist die Demuth. Denn so wenig als von dem Gehorsam läßt die Welterlösung von der Demuth sich abtrennen. »Er erniedrigte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an.« Wer? »Das Wort, das am Anfang war und das bei Gott und welches Gott war, und durch welches alle Dinge gemacht sind.« Auch diese Tugend wird einzig durch die Kirche gepflegt, geübt, vorgebildet, gefordert; in ihrem Bereich allein ist die selbe zu finden. Von Natur ist der Hochmuth uns eingepflanzt; die Kirche versetzt uns in das gedeihlichere Element der Demuth. Zu aller Zeit ist sie die Krone ihrer leuchtendsten Helden, der Schmuck ihrer erhabensten Geister, die Zierde ihrer frommsten Bekenner, die Eigenschaft ihrer lebendigsten Glieder gewesen. Um die Demuth zu verstehen, zu würdigen, in ihrer hohen Bedeutung zu schätzen, muß man der Kirche angehören, da diese Tugend einzig durch sie hervorgerufen wird, so wie auch sie nur das Wort zu ihrer Bezeichnung geschaffen hat und richtig zu gebrauchen weiß. Wie dann bisweilen alle Früchte eines Baumes von dem Boden, dem derselbe entwachsen[653] ist, oder die Fische von der Zugabe zu dem Wasser, in welchem sie leben, einen gewissen Geschmack bekommen, so auch gewinnen die Menschen von dem geistigen Element, worin sie leben und sind, eine gewisse Richtung. Wer das, was der Gegensatz der Demuth ist, als Vater anerkennen muß, dem wird, mehr oder minder erkennbar, des Vaters Art als Gepräge aufgedrückt seyn. So lassen sich an den Individualitäten mit ziemlicher Bestimmtheit zwei auseinander gehende Richtungen erkennen, vertreten durch zwei gegenüberstehende Principien; das eine, ausgesprochen in dem Wort: »ihr werdet seyn wie Gott«, – d. h., ein Jeglicher wird Alles von sich und durch sich erkennen, gut finden, bestimmen, festsetzen; das andere, verkündet in der Erklärung: »Niemand kommt zum Vater, denn durch mich;« – demnach Alles mit und durch Ihn und durch die von Ihm gesetzt Verbindung, bei welcher Derjenige, der Solches gesprochen, bleiben will bis ans Ende der Tage.

Zu diesen beiden christlichen Elementen gesellt sich als drittes, derselben Frucht und Wirkung – wie denn, in der Kirche ebensowohl, als ausserhalb derselben alle wesentlichen Eigenschaften, die bauen den, gleichwie die niederreissenden, in unzertrennbarer Wechselbeziehung stehen – der Glaube, von welchem in Wahrheit dann nur gesprochen werden kann, wenn er alles individuelle Meinen und alles subjective Fürwahrhalten möglichst ausschließt. Es kann sich zwar wohl fügen, daß dieses mit dem Glauben vollkommen übereinstimmt, allein Beide sind doch nicht dasselbe, sie haben durchaus verschiedene Quellen, verschiedene Beweggründe, deßwegen verschiedene Gültigkeit. Das eben ist das Irrthümliche, das Grundverwerfliche des Hermesianismus, daß er nicht, wie der krasse Rationalismus, die Offenbarung selbst, wohl aber den Glauben an dieselbe zerstört, und das Gegebene in ein Selbstgeschaffenes verwandelt. Die französische Sprache stellt einen scharfbestimmten und richtigen Unterschied auf zwischen foi und croyance. Man sagt, im Deutschen lasse sich das nicht wiedergeben.[654] Ich sollte doch meinen, es wäre möglich. Könnten wir nicht nach der Analogie von lieben und liebeln ebenfalls sagen, glauben und gläubeln? Jenes wäre die freudige Anerkennung, darum zweifellose Annahme einer zum Heil der Menschen von oben kund gewordenen, unter der Pflege der Kirche entwickelten, und durch allen Zeitverlauf geschirmten göttlichen Offenbarung; dieses ein nach subjectivem Ermessen mit derselben getriebener Dilettantismus, so zu sagen ein gefallsüchtiges Kokettiren mit dem Glauben, was je nach wechselnder Ansicht oder Bedürfniß, nach wetterwendischer Neigung oder Laune, bald eifriger bald lauter betrieben werden, von den: Ganzen heute mehr, morgen minder sich aneignen konnte. Der Glaube hingegen, wie die die katholische Kirche ihn pflanzt pflegt und von ihren wahren Gliedern fordert, verwirklicht des Erlösers Wort, mit welchem er die Jünger auf ein Kind hinwies: »so ihr nicht werdet wie dieses, so werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen;« zugleich sucht er sich das Zeugniß des Apostels über sich selbst beilegen zu dürfen: »ferne von mir sey' alles Rühmen, als im Kreuz Jesu Christi.«

Wie oft hat nicht in Rom dieses sichtbar mir sich dargestellt? Meine vergnügtesten Abende daselbst habe ich unter den Priestern der deutschen Kirche St. Maria del Anima zugebracht, denen mein Freund Curtins, als mit einer Art obern Leitung über das damit verbundene Pilgerhaus beauftragt, ebenfalls beigefügt werden darf. Ist auch ihre Zahl nicht groß, so bot sich in Beziehung auf Anlagen, Gemüthsart, Wissen, Lieblingsneigungen in ihnen eben diejenige Mannigfaltigkeit dar, welche von jedem grössern oder kleinern Verein unzertrennlich ist. Jeder trug sein eigenes Gepräge an sich, Jeder verfocht bei allen vorkommenden höhern Fragen seine eigene Meinung; in Beziehung hingegen auf Alles, was kirchliche Lehre, Einrichtung, Uebung, Forderung betraf, sprach sich bei Allen die gleiche Ueberzeugung, die nämliche innere Zuversicht, ein durchaus gleiches Zusammenstimmen aus. Wäre die Anzahl dieser Priester durch eine gleiche verdoppelt worden, so[655] hätte damit wohl jene äussere Manigfaltigkeit einen Zuwachs gewinnen können, indeß die Uebereinstimmung hinsichtlich dessen Allen, was von der Kirche ausgeht und zu der Kirche zurückzielt, sicher die gleiche geblieben wäre. Ebensowenig konnte bei italienischen und französischen Priestern derselbe reine Einklang verkannt werden, trat vor dieser tiefsten und höchsten Einheit jede Stammes- und Sprachverschiedenheit völlig zurück. Es kam mir dabei oft zu Sinn, wenn, statt jener sechs deutschen katholischen Priester, sechs deutsche protestantische Geistliche beisammen sässen, so dürfte es sich weit leichter treffen, daß unter ihnen Allen, sowohl über den Umfang des Glaubens, als über das Gewicht und die Nothwendigkeit der einzelnen Lehren desselben, nicht Zwei gleicher Meinung wären, als daß nur Ebensoviele in jeder Beziehung vollkommen übereinstimmten.

Aber gerade wegen jener unzertrennlichen Wechselbeziehung aller wesentlichen Eigenschaften des wahren Gliedes der katholischen Kirche, wonach im Grunde jede Haupttugend nur ein in verschiedenem Farbenspiel wahrgenommener Strahl des die Finsterniß durchleuchtenden Lichtes und eine besondere Manifestation des in dem Glied zur Gestaltung gekommenen Hauptes ist, fallen Gehorsam und Glaube wieder mit der Demuth zusammen. Der Erstere ist die Lossagung von dem eigenen, unvollkommenen und in die Irre führenden Willen, um einem reinern und auf den richtigen Weg leitenden sich zu unterwerfen; er ist also ein Act der Demüthigung, der an dem Willen vollzogen wird. Der Andere ist eine Unterordnung der eigenen trüglichen Intelligenz unter eine höhere und allein untrügliche; daher ein Act der Demüthigung, dem sich der Geist unterzieht. Denn so wenig Eigenwille und Gehorsam, so wenig lassen sich Hochmuth und Glaube vereinigen; nicht nur schliessen dieselben sich aus, sondern, wo die Einen walten, da müssen die Andern weichen. Der wahre Glaube laßt sich freiwillig und ohne Widerstreben zu Gott emporziehen; und eben deßwegen, weil er weiß, daß die Kraft von oben herabkommt und er ihr nur[656] Empfänglichkeit und Leitsamkeit anbieten kann, wird er demüthig werden in der Erkenntniß, daß das höchste Gut ein Gegebenes, nicht ein Errungenes seye. Der von der Kirche Getrennte meint, Gott zu sich herabziehen, wo nicht gar (wenigstens den Erlöser, wenn er eines solchen noch zu bedürfen glaubt) schaffen zu können; und damit wird es ihm schwer fallen, des Hochmuths sich zu erwehren. Alles Glauben, wie die Kirche es fordert, ist somit eine fortwährende Demüthigung, wobei unfehlbar die Demuth als Tugend in das menschliche Bewußtseyn, demnach auch in das Leben eintreten wird.

Der lange Weg, beginnend mit Anerkennung der geschichtlichen Bedeutung päpstlicher Einwirkung auf die Geschicke der Völker im Allgemeinen, hierauf, so in ihrer Großartigkeit, als nicht minder in ihrer Wohlthätigkeit und nach ihrem Einfluß bis auf die zartesten Verästungen des gesellschaftlichen Organismus, besonders hervortretend in einer aus dem Lauf der Jahrhunderte vorzugsweise herausgenommenen und mit möglichster Eindringlichkeit erforschten Zeit, nachgewiesen an einer hohen Persönlichkeit, hatte mich so unvermerkt als ungesucht zur Anerkennung des hehren und erhabenen Baues der Kirche, als einer über weiten Raum und durch langen Zeitverlauf mit tiefer Weisheit und in unverrückter Ordnung waltenden Institution geführt. Nach diesem sah ich mich eben so ungesucht durch Dienste, welche, bei entschiedenem Widerspruch gegen Gewaltthat und Widerrechtlichkeit in jeglicher Gestalt und auf jeglichem Boden, dem durch rohe Willkür in schnödem Unterdrückungs und Beraubungs-Gelüste niedergetretenen Recht der Kirche in der Gegenwart konnten geleistet werden, mit manchen Würdeträgern oder Gliedern derselben in Berührung gebracht. Inzwischen war ich unter mancherlei kränkenden und tief verwundenden, anneben dann wieder wohlthuenden Erlebnissen zu einer allseitigen Unabhängigkeit gelangt, unter welcher allein die Möglichkeit gegeben war, von dem Aeussern und bloß menschlich Scheinenden an der Kirche zu dem Innern, Wesentlichen und Belebenden mich zu wenden. Hiemit gieng allmählig, aber[657] immer heller und umfangsreicher das Licht auf über den Zusammenhang des Aeussern und Innern, des Sichtbaren und Unsichtbaren, des Vormaligen und Jetzigen, des Gegenwärtigen und Zukünftigen, dessen Allen zumal in seinen Gegensätzen. Auf diesem Wege ward ich immer näher dem Ziele gebracht, an welchem ich mich begnadigt fühlen sollte durch jene helle, zuversichtliche und siegreich die letzten Bedenklichkeiten verscheuchende Gewißheit, die dem Menschen nur zwischen offener und freudiger Huldigung gegen die erkannte Wahrheit und dem bedenklichsten Zerfall mit sich selbst die Wahl läßt. In gedoppelter, so innerer als äusserer Freiheit, diese dadurch erhöht, daß ebensowenig mußstimmende als, nach menschlichem Standpunct beurtheilt, verlockende Elemente sich einmischen konnten, durfte ich wohl von der bisherigen und unverkennbaren göttlichen Führung und Bereitung von so langer Zeit her mit voller Zuversicht erwarten, daß dieselbe Gnade auch jene Berücksichtigungen zur erwünschten Entwicklung führen würde, welche, wenn nicht unbesiegbare Schwierigkeiten entgegenstellen, doch zu Vollziehung des Vorhabens unter minder zusagenden Verumständungen nöthigen konnten.

Die feste Zuversicht täuschte nicht. Jene Anfangs erhobenen Einwendungen meiner Frau traten vor den gemachten Mittheilungen und dem ausgesprochenen Verlangen immer mehr zurück. Daß irrthümliche Meinungen von äussern Einflüssen, von Manchem, was entweder in der vermutheten Weise mich durchaus nicht berührte, oder in Wahrheit nirgends statt fand, bei ihr noch vorherrschten, war natürlich. Wer da weiß, welche Vorurtheile über Rom unter den Protestanten seit drei Jahrhunderten sich beinahe unvertilgbar gefestigt haben, selbst unter denjenigen, die weder vom blinden Haß erfüllt sind, noch jeder Albernheit, welche ihnen will aufgetischt werden, Glauben beimessen, den wird solches nicht befremden. Die Hauptsache war in's Reine gekommen; daß in Bezug des Andern mündliche Aufschlüsse in der Folge jede grundlose Voraussetzung berichtigen und besiegen würden, dessen war kein Zweifel zu hegen.[658]

Am 14. Juni Abends theilte ich auf einer Spazierfahrt dem Cardinal Ostini das Vorhaben mit, nach acht Tagen abreisen zu wollen. In Erinnerung an die frühere Zusage, daß ich Rom nicht verlassen würde, ohne ihm eine bestimmte Erklärung über Möglichkeit oder Unmöglichkeit meiner Rückkehr in die Kirche mitzutheilen, schien er bei dieser Eröffnung etwas befremdet. Allein ich verscheuchte alsbald jeden Zweifel, ob ich wohl würde Wort halten, indem ich beifügte, daß zu der innern Ueberzeugung nun noch die Beseitigung aller äussern Abhaltungsgründe hinzugekommen seye, ich somit die Hoffnung hegen dürfte, daß er selbst die Gewogenheit haben würde, den Act meiner Aufnahme in die Kirche vorzunehmen, wozu er den Tag bestimmen möchte. Vor Allem aber mußte ich ihm ebenfalls meinen Dank dafür bezeugen, daß er bei häufigem Umgang und unter so verdankenswerthem Wohlwollen, mich nach und nach zu allen entlegenern Merkwürdigkeiten Roms zu bringen, in jener Beziehung mich ganz mir selbst überlassen und keine weitern Versuche, zu dieser Rückkehr bewegen zu wollen, gemacht, sondern mit Vertrauen den eigenen Entschluß abgewartet habe. Wie dann diese Eröffnung aufgenommen wurde, wird wohl nicht nothwendig seyn, zu berühren. Der Cardinal bestimmte die zehnte Vormittagsstunde des nächsten Sonntags, um meine Erklärung anzunehmen.

Er war die einzige Person in Rom, welcher mein Vorhaben bekannt war; nur eine noch sollte vor Ausführung desselben Kenntniß davon erhalten: mein Landsmann Curtins, dessen unablässiger Fürsorge ich so unendlich viel Angenehmes, was mir in Rom zu Theil ward, verdanke. Ich gieng Samstag Abends zu ihm hinauf in den Vatican, um ihn zu einem Spaziergange einzuladen. Auf diesem, ausserhalb der Ringmauern des Palastes, eröffnete ich ihm: ich fände mich verpflichtet, eine höchst wichtige Neuigkeit ihm zur Kenntniß zu bringen, zugleich ihn um einen neuen Freundschaftsdienst zu bitten. Das erste nun bestand in der Mittheilung dessen, was an dem folgenden Morgen bei dem Cardinal vor sich gehen[659] werde; das Andere in dem Ansuchen, er selbst möchte sodann Schlag zehn Uhr in den Palast hinausgehen und bei Seiner Heiligkeit sich anmelden lassen, um dem Papst zu berichten, jenes Wort, welches er bei der letzten Audienz zu mir gesprochen: »er hoffe, ich würde noch sein Sohn werden,« gehe in eben diesem Augenblick in Erfüllung. Ich glaubte nämlich, bei dem ungemeinen Wohlwollen, welches der Papst mir bewiesen hatte, ihm als Oberhaupt der Kirche und als Landesherrn es schuldig zu seyn, daß er von meiner Rückkehr in die Kirche nicht erst hintennach und durch dritte Personen, sondern gewissermassen durch mich selbst, und zwar in eben dem Augenblick in Kenntniß gesetzt werde, in welchem jene vor sich gehe.

Curtins strahlte bei dieser Nachricht vor Freude und dankte mit bewegtem Herzen Gott, daß er mir solche Gnade habe zu Theil werden lassen. Er gestand mir ebenfalls, daß dieses längst schon sein heissester Wunsch gewesen seye, und er seit meiner Ankunft in Rom in dieser Beziehung unter der heiligen Messe mehr als ein Memento eingelegt hätte. Aber weiter zu gehen, auch nur die leisesten Andeutungen gegen mich zu äussern, hätte er niemals sich erlauben mögen, indem er wohl gefühlt habe, daß dieses ein Gegenstand so zarter Natur seye, daß selbst das längst dauernde und engste Freundschaftsverhältniß Scheu tragen müßte, denselben zu berühren. Ohnedem hatte er an die natürliche Voraussetzung sich gehalten, ich allein könnte im Fall seyn, zu wissen, wie es in diesem Punct mit mir stehe, was ich für thunlich und möglich erachten könne, was nicht.

Diesem folgte natürlich die Frage: wie ich es mit meiner Rückkehr in die Kirche wollte gehalten wissen, ob darüber Schweigen sollte beachtet, oder ob es kund dürfte gemacht werden? Ich erklärte mich gegen ihn in dem gleichen Sinne, wie früher in Monte-Cassino, mit dem Bemerken: mir selbst werde es wohl von Niemand wollen zugemuthet werden, daß ich das Geschehene andern Personen mittheile; seye er aber geneigt, Einzelnen von meinen Freunden und Bekannten es zu berichten, so räumte ich ihm hiezu die unbedingteste Befugniß[660] ein. Curtins machte nachher von derselben einen solchen Gebrauch, daß er mir hiedurch neue Verbindlichkeiten auferlegte.

Seit meiner Ankunft in Rom waren beinahe drei Monate verflossen. Gegen Niemand hatte ich hinsichtlich meiner Gesinnungen auch nur die leiseste Aeusserung verlauten lassen, Niemand hatte einen Schritt wahrnehmen können, der zu solcher Erwartung hätte berechtigen dürfen. Mag es auch seyn, daß (wie es nachmals an Andeutungen hierüber nicht gefehlt hat) unmittelbar nach meinem Eintreffen daselbst Dieser und Jener derartige Erwartung hegte, es war allzuviele Zeit verstrichen, als daß dieselbe noch hätte können festgehalten werden; und selbst bei denjenigen, welche mich am öftersten sahen, hatte die Vermuthung die Oberhand gewonnen, ich würde Rom wieder ebenso verlassen, wie ich in demselben mich eingefunden; zwar wohl anerkennend, welche Elemente christlichen Lebens dasselbe in sich schließe, aber ohne denselben eine Einwirkung auf mich einzuräumen. – Keine acht Tage, bevor meine Aufnahme in die Kirche statt fand, hatte eines Abends nach der Rückkehr von einer Fronleichnams-Procession der junge Baron Giovanelli mich in meine Wohnung begeleitet und dort mir erklärt nach langem Kampf mit sich selbst dränge es ihm, endlich Muth zu fassen, und mich zu fragen, welches eigentlich in Betreff der katholischen Kirche meine wahren Gesinnungen wären? Er habe bei so vielen Veranlassungen sich überzeugt, daß ich deren Institutionen, deren Lehren so gut kenne, als mancher Priester, in deren Geist so tief eingedrungen seye, als irgend Jemand, daß deren Gottesdienst mich so sehr anziehe und erbaue, als dieß bei einem wahren Glied der Kirche nur immer geschehen könne; und doch hätte ich mich niemals verlauten lassen, welche Beziehung zu meiner Person und zu meinem Innern ich diesem Alle einräumte. Jetzt stehe meine Abreise bevor- und dieß lasse vermuthen, ich werde von Rom heimkehren, ohne größere Gewißheit gewonnen zu haben, ohne zu einem erkennbaren Resultat gelangt zu seyn,[661] Damit möchte es beinahe den Anschein nehmen, als gehörte ich zu denjenigen, welche alle Religionsformen für unvollkommen und unzureichend, die katholische einzig für diejenige hielten, die unter denselben die mindest unvollkommene wäre. Allein dieses stünde denn doch mit meinen bisweilen geäusserten Ansichten über die Kirche in Widerspruch.

Diese Offenheit freute mich um so mehr, als mir durch dieselbe Gelegenheit gegeben war, eine irrige Voraussetzung in Betreff meiner Frau zu berichtigen, als wäre dieselbe von allem denkbaren protestantischen Widerwillen gegen die katholische Kirche durchdrungen. Dabei blieb es doch, um alles Aufsehen zu vermeiden, der festeste Vorsatz, von meiner Absicht der Rückkehr in die Kirche ausser dem Cardinal Ostini keinem Menschen Etwas zu sagen. Indeß war an jenem Abend die letzte Erklärung, deren ich harrte, noch nicht angekommen. Ich trat daher wohl in die aufgeworfene Frage ein, immer aber entgegenhaltend, wie schwer es dem in der katholischen Kirche Erzogenen und mit allen Banden seines geistigen Wesens an dieselbe Geknüpften fallen müsse, in die mancherlei äussern und innern Schwierigkeiten hineinzublicken, nach deren Beseitigung derjenige, der unter ganz andern Ansichten und deren Einflüssen auf das Leben herangewachsen seye, erst im Fall sich befinde, an der Pforte der Kirche anklopfen zu können. Ich durfte weiter nichts aussprechen, als die Hoffnung, daß meine Einsichten stets tiefer dringen und klarer werden, die äussern Hindernisse vielleicht doch noch weichen möchten.

So bewahrten die Einen immerhin etwelche Hoffnung für kommende Zeiten, indeß der grössere Theil meiner Bekannten der Vermuthung sich hingab, kaum dürfte Anderes von mir zu erwarten seyn, als Anerkennung von so manchem in der katholischen Kirche Vorzüglichem, Zweckmäßigem oder Ansprechendem, als, wie bisanhin, ein unbefangenes, parteiloses Urtheil. Noch am Morgen des 16ten Juni kam Theiner nach St. Maria del Anima und traf dort den Baron Giovanelli. Das Gespräch führte sie auf meine bevorstehende[662] Abreise, und sie stritten sich darüber, ob wohl je eine öffentliche Anerkennung der katholischen Kirche nach ihrem Wesen und ihrer Nothwendigkeit für jeden wahren Gläubigen von mir zu erwarten seyn dürfte. Theiner behauptete: wer so nahe zu stehen scheine, wie ich, dann aber von Rom weggehen könne, ebenso wie er gekommen seye, von dem müsse man beinahe befürchten, er stelle den Winken der göttlichen Gnade seinen eigenen Willen entgegen und sträube sich wider die Einflüsse derselben. Giovanelli dagegen, in frischer Rückerinnerung an die kurz vorher statt gefundene Unterredung, meinte, wenn allerdings für den Augenblick nichts zu erwarten seye, wäre doch nicht jede Hoffnung aufzugeben; stünde ich zwar noch nicht an dem Ziele, so befände ich mich doch sicherlich auf dem Wege; lasse sich auch nicht ahnen, wann, wo und wie ich an demselben anlangen möchte, so hege er dennoch zu der göttlichen Gnade das feste Vertrauen, daß sie mich dahin leiten werde.

Von St. Maria del Anima begab sich Theiner zu dem Hr. Cardinal Ostini. Dieser, weil ich zugleich mit der gemachten Eröffnung erklärt hatte: ich wolle von keiner Heimlichkeit wissen, theilte ihm mit, was in einer Stunde vor sich gehen würde. Hoch erfreut ging jener nach St. Maria zurück, und erklärte dem Baron Giovanelli, was er vernommen und welche Befriedigung es ihm gewähre, seinem Irrthum so unerwartet sich entrissen zu sehen.

Um zehn Uhr fand ich mich bei dem Cardinal ein. Man hat in Deutschland oftmals die abentheuerlichsten Berichte darüber verbreitet, was demjenigen, welcher in die Gemeinschaft der Kirche zurückkehren wolle, auferlegt werde, welche Forderungen an ihn gestellt würden, deren Zugeständniß den Betreffenden ohne Weiteres unter die Blödsinnigen oder unter die Ehrlosen einreihen müßte. Von Allem dem fand sich nichts. Es war Alles so einfach, so klar, so natürlich, wie es die Sache mit sich bringen mußte. Damit aber nicht Jemand meine, man habe aus Behutsamkeit, oder Schlauheit (wovon[663] man immer so viel zu fabeln weiß), oder aus persönlichen Rücksichten mit mir eine Ausnahme machen wollen, so diene Jedermänniglich zur Nachricht, daß die Formularien, welche ausgestellt oder in Empfang genommen werden, gedruckt sind: daß mithin auch darin wieder die Kirche keinen Unterschied zugiebt, sondern Alle, welche zu ihr zurückkehren wollen, gleich behandelt, in dieser Beziehung keinerlei Verschiedenheit des Standes oder der Persönlichkeit anerkennt. Auch von der vermeintlichen Wiedertaufe, von welcher ich später zu meiner größten Verwunderung hie und da sprechen hörte, ist keine Rede; was derjenige, welcher nicht ohne alle kirchengeschichtliche Kenntniß ist, schon von vornherein widerlegen könnte, indem ja mit solchem Begehren die Kirche der donatistischen Irrthümer sich betheiligen würde. Allerdings befragte mich der Cardinal über die Weise unserer Taufe, aber einzig um zu wissen, ob sie eine sacramentalische, der Intention der Kirche entsprechende Handlung, und nicht in eine willkürliche Aufnahms-Ceremonie, wie dieß bei einigen Secten der Fall ist, verwandelt worden seye. Wie nach Augustins Ausspruch Wort und Element zur christlichen Taufe unerläßlich sind, so wollte der Cardinal bloß versichert seyn, ob auch bei uns Wasser genommen, mit solchem das Kind begossen werde, so daß einige Tropfen abfliessen könnten, und ob die Namen der drei Personen des göttlichen Wesens klar, bestimmt und die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit in sich fassend, ausgesprochen würden. Da bisher solches Alles bei unserer Taufe stattgefunden hat, erklärte er dieselbe für eine der Kirche durchaus entsprechende. Im Weitern hatte ich einfach das athanasianische Glaubensbekenntniß nachzusprechen, dem Cardinal anzugeloben, daß ich von demselben niemals abweichen wolle, die göttliche Einsetzung und somit die Autorität der Kirche anerkenne, hernach jenes gedruckte Formular der Rückkehr in diese zu unterzeichnen.

Da ich mich wieder gesetzt hatte und zu dem frühern Verhältniß der Unterhaltung zurückgekehrt war, konnte ich nicht[664] umhin, dem Cardinal meine Verwunderung auszudrücken über die ziemlich kurzgefaßte Weise, in der meine Aufnahme in die Kirche erfolgt seye. Ich wäre ja über keine der wesentlichsten Lehren derselben befragt, mir nicht die mindeste Unterweisung ertheilt worden; er seye ja nicht einmal versichert, ob ich die vornehmsten Dogmen, namentlich diejenigen, worin die Protestanten so weit von der Kirche abweichen, auch nur kenne, geschweige denn, ob ich von deren Wahrheit und höherem Ursprung gehörig überzeugt seye. Ich konnte mich nicht enthalten, zu bemerken, das scheine mir, Jemand cavalierement in die Kirche aufnehmen. »O,« sagte der Cardinal, »auf die Weise, wie ich mit Ihnen verfahren bin, dürfen Sie keinen Schluß bauen. In Betreff Ihrer mochte ich mit Recht die zuversichtliche Erwartung hegen, daß Alles, was die Kirche lehrt und fordert, ihnen längst schon genügend werde bekannt seyn. Haben Ihre, zu allgemeiner Kenntniß gekommenen Studien hiefür einen Beweis gegeben, so werde ich wohl in der Voraussetzung, daß Sie durch weiteres Forschen und Nachdenken zur vollen Einsicht dürften geführt seyn, mich nicht geirrt haben.« Darum, fügte er bei, werde es, wie mit mir, nicht mit Jedermann gehalten; die Kirche lasse es an erforderlicher Vorsicht und Gewissenhaftigkeit nicht fehlen; Niemand werde in dieselbe aufgenommen, ohne daß man sich genügend überzeugt hätte, der Betreffende seye durch Unterweisung, die oft lange daure, zu hinreichender Kenntniß der kirchlichen Lehre und aller derjenigen Obliegenheiten gekommen, die er mit dem Eintritt in die Kirche auf sich nehme.

Ich hatte den Cardinal noch nicht verlassen, als Curtins herbeikam, um mir Kunde zu geben, wie von dem heiligen Vater die Nachricht, die er ihm mittheilen sollte, seye aufgenommen worden. Sie hatte denselben ebensosehr überrascht als erfreut, und er ließ mir sogleich durch Curtius seinen apostolischen Segen zu meinem ausgeführten Entschluß ertheilen. In eben dem Augenblick, da er bei dem Papst eingetreten, war der Cardinal Staatssecretär aus dessen Gemach herausgegangen;[665] kaum hatte der heilige Vater von Curtius die Nachricht vernommen, so klingelte er, um den Cardinal zurückzurufen und ihm dieselbe ebenfalls mitzutheilen, wie dieß am gleichen Tage gegen andere Personen seiner Umgebung geschah.

Außer Overbeks gab es Niemand in Rom, welcher meine Rückkehr durch mich selbst erfahren hätte. Aber alle meine Freunde und Bekannten vernahmen dieselbe schnell genug, und es fehlte nicht an der aufrichtigsten Theilnahme. Gerade bei dieser Gelegenheit lernte ich die katholische Kirche von einer Seite kennen, die meine Verehrung gegen sie erhöhen, meine Ueberzeugung, daß der wahre Geist sie durchdringe, daß das Leben in derselben vor dem so nahe stehenden Irrthum am sichersten verwahre, ungemein festigen mußte. Von dem Cardinal bis zu dem einfachen Pilgerbruder Michel in der Anima, von der Fürstin bis zu der armen Frau herab, welche mein Zimmer kehrte, wurden Beglückwünschungen an mich gerichtet; aber insgesammt alle und ohne Unterschied derjenigen, von welchen sie ausgiengen, waren nur ebensoviele Stimmen, die Dank gegen Gott bezeugten und zu solchem aufforderten, daß er seine Gnade mir habe widerfahren lassen. Alle Freude darüber ward nur in der Weise geäussert, daß dieselbe ihren Wiederhall in mir finden sollte; und von Allem, was man vielleicht sonst wähnen möchte, kann auch nicht bei einem Einzigen die leiseste Spur zum Vorschein. Hierin dann trat mir unverkennbar zweierlei vor Augen: zuerst die unerschütterliche innere Glaubensgewißheit, die unter aller Theilnahme bei einem Jeden zunächst hervorleuchtete, und in dem Bekenntniß sich offenbarte, daß mit dem Einen Nothwendigen, was ihn beglücke, nunmehr auch ich seye ausgestattet worden; sodann jene oft erwähnte Charitas, welche in so allseitigen Aeusserungen der Freude darüber sich kund gab, daß der unermeßliche Schatz, zu dem von Geburt an Jeder berufen, auch demjenigen seye erschlossen worden, der bisanhin von demselben ferne gestanden. Es lag in allen diesen Bezeugungen, gleichwie in allen andern, welche nachmals schriftlich an mich gelangt sind, etwas so Inniges, Mildes,[666] Liebreiches, eine solche einstimmige Obsorge um mein wahres Wohlseyn durch die Berufung zu den höchsten Gütern, zu deren alleinigen Verwalterin und Spenderin Gott die Kirche erkoren hat, daß dieß schon den Eintritt in eine, durch solchen Geist bewegte und alle zeitlichen Bande überragende Vereinigung zu einer beglückenden und trostreichen Sache machen muß. Dabei bethätigte sich ungesucht und ohne alle Nebenrücksichten und in vollem Glanze die Anerkennung eines belebenden Wechselverhältnisses zwischen dem heilsbedürftigen Menschen und dem gnadespendenden Gott. Und da, wo von dem obersten Hort der Lehre bis herab zu dem Letzten, der im Lichte derselben wandeln soll, Alles einstimmig von der göttlichen Gnade als der alleinigen, die Erkenntniß wie das Bekennen der Wahrheit wirkenden Ursache spricht, da, wo Niemand des Menschen Rennen und Laufen, Wollen und Anstreben auch nur leise berührt, da sollte von pelagianischem Irrthum das Ganze durchdrungen, durch solchen die Wahrheit verdrängt worden seyn! Und das in einer Kirche, welche, der Stimme der Ueberlieferung folgend, den Glauben ein »übernatürliches Licht, eine Gabe Gottes, eine von Gott eingegossene Tugend« nennt, dadurch der Mensch Alles fest und ungezweifelt für wahr hält, was Gott geoffenbaret hat, und was die katholische Kirche zu glauben vorstellt!«


Weiter geschah es, abermals gegen Vorsatz und Wille, daß meine Rückkehr in die Kirche zu Rom nicht auf die bloße Erklärung sich beschränken, sondern auch die sacramentalische Vereinigung mit derselben ebenfalls dort erfolgen sollte. Ich bemerkte dem Cardinal: von den sechs Tagen, die ich in Rom noch zuzubringen gedächte, wären die drei nächstfolgenden zu einem Besuch in Subiaco bestimmt. Damit wäre meine Zeit so sehr verkürzt, daß es mir nicht möglich würde, durch Beichte und den Empfang des heil. Abendmahls als wirkliches Glied der Kirche mich darzustellen und ebenfalls noch das Sacrament der Firmung zu erhalten. Ob es nicht angienge, dieses Alles[667] bis zu keiner Heimkehr zu versparen, wo ich entweder in dem nahen Kloster Rheinau oder in Einsiedeln Solches nachholen könnte? Damit erklärte sich der Cardinal vollkommen einverstanden; so daß ich Rom eigentlich mehr mit dem Willen, ein Glied der katholischen Kirche zu werden, als mit den Beweisen, ein solches zu seyn, würde verlassen haben. Das aber sollte nicht geschehen; was in Rom begonnen worden, sollte dort auch seine Vollendung gewinnen.

Noch am Abend des gleichen Sonntags suchte Curtins mit mir die Landkutsche auf, welche wöchentlich ein paar Male nach Subiaco fährt. Er zweifelte nicht im geringsten daran, daß der Montag einer der Tage der Abfahrt seye. Allein wir erhielten den Bescheid, vor Mittwoch gehe dieselbe nicht mehr ab. Zu diesem Ausfluge sind mindestens drei Tage erforderlich. Da nun der Platz in dem Postwagen auf Samstag den 22, Juni schon bezahlt war, reichte am Mittwoch die Zeit zu jener Fahrt nicht mehr hin, und ich mußte, wie ungerne es auch geschah, den Besuch der Geburtsstätte des Benedictinerordens aufgeben. Darin schien mir ein Wink zu liegen, ich dürfe Rom nicht als unreife Geburt, sondern nur in vollkommen bewerkstelligter Wiedergeburt durch Empfang der heiligen Sacramente verlassen.

Ich theilte also dem Hrn. Cardinal mit, daß mir nunmehr Zeit genug übrig bleibe, meine Rückkehr in die Kirche durch Erfüllung aller Forderungen derselben zu bethätigen. Dieß war ihm um so erwünschter, als er mir zu Empfang der heiligen Communion den kommenden Freitag und die Kirche von St. Ignazio vorschlagen konnte, wo er an dem Feste des heiligen Aloys ohnedem der gesammten studirenden Jugend Roms dieselbe austheilen, zugleich dann in der Capelle des Heiligen mir das Sacramtent der Firmung ertheilen würde. Zu letzterm erbat ich Herrn Overbek als Pathen, und eine große Zahl von Bekannten, Schweizer, Deutsche, Franzosen, Italiener hatten zu der Feyerlichkeit sich eingefunden, um durch ihre Anwesenheit Theilnahme an der mir widerfahrenen Gnade nochmals zu[668] bezeugen. In der Kirche selbst aber erschien ich an der Spitze dieser zahlreichen Jugend, gleichsam als Zeuge, daß der Weg des redlichen und demüthigen Forschens ebensowohl zu der Kirche hinführen, als derjenige des von Gott abgetrennten und hochmüthigen Forschens von ihr hinweglenken möge. Manche aber haben mir nachmals gestanden, daß mein Erscheinen, gleichsam als Führer dieser Jugend, einen tiefbewegenden Eindruck auf sie gemacht habe.

Einen nicht geringern machte auf mich die Wahrnehmung, daß, ohne es zu wollen, ja selbst ohne es nur zu ahnen, die beiden Hauptmomente meiner Rückkehr an Feste der Gesellschaft Jesu, das letztere aber an eine derselben besonders werthe Stätte sich knüpfte. Der 16. Juni war zur Erklärung meiner Rückkehr gewählt worden, weil früher diese nicht erfolgen konnte; den 21. hatte der Cardinal gewählt, weil an diesem Tag ohnehin die vorzüglichste kirchliche Function in St. Ignazio ihm zufiel. Jener Tag aber war das Fest des heil. Franz Regis, was mir erst hintennach bemerkt werd en ist, auf den andern fiel dasjenige des heil. Aloys. Dieses Zusammentreffen war mir ungemein erfreulich, da ich schon seit langen Jahren eine ganz besondere Achtung gegen die Gesellschaft Jesu in mir getragen hatte, ohne durch die Anschuldigungen, Herabwürdigungen und Lügenschriften, welche von allen Seiten mit so erstaunlicher Betriebsamkeit und in solchem merkwürdigen Uebermaaß gegen sie verbreitet wurden, je mich irre machen zu lassen, ja ein solches Vertrauen in dieselbe setzte, daß ich niemals die feste Ueberzeugung verhehlte: sofern es möglich seye, dem mit solcher verwüstenden Wirkung voranschreitenden innern Zerfall des Menschengeschlechts noch vorzubeugen, dasselbe von dem Abgrund, in welchen die revolutionären Bestrebungen aller Art es hinabzutreiben sich bemühten, noch zurückzureissen, dieß einzig dadurch sich erzielen liesse, daß überall der Gesellschaft auf die Leitung und Erziehung der heranwachsenden Geschlechter der ehevorige Einfluß wieder eingeräumt würde.[669]

So war durch göttliche Leitung am Vorabend meiner Abreife von Rom der vornehmste Zweck, weßwegen ich mich dahin begeben hatte, auf's vollständigste erreicht, stand ich an dem Ziele, über welches seit drei Jahren immer heller das Licht mir aufgegangen war, und fühlte ich mich beglückt durch jene innere Gewißheit und Festigkeit, welche die segensreiche Frucht ernsten und gewissenhaften Strebens nach Wahrheit und höherer Erleuchtung ist. Von dem Standpunct, von welchem ich jetzt in das Ganze der katholischen Kirche nach dem innern Zusammenhang ihrer Lehre, Uebungen, Einrichtungen, Forderungen und dargebotenen Gnaden blickte, konnte ich je länger desto weniger die Wuth begreifen, von der so Manche wider dieselbe erfüllt sind, den blinden Haß, der gegen dieselbe sie stachelt, und welcher vielleicht einzig von der gänzlichen Unkenntniß derselben überboten oder auch durch diese bedingt und genährt wird. Mehr als je schien mir in unsern Tagen, in Bezug auf denjenigen, welcher der Eckstein des Glaubens und der Kirche ist, zur That zu werden das Wort des gottesfürchtigen Mannes: »Dieser ist gesetzt zum Sturz und zur Erhebung Vieler in Israel und zum Zeichen, welchem wird widersprochen werden« Denn nicht einzig das förmliche Verwerfen desselben, sondern auch das Nichtanerkennen, als desjenigen, der es ist, muß Widersprechen genannt werden, in welches Jeder, der ihn zum bloßen Religionsstifter, und wäre es selbst mit der Eigenschaft eines Gottesboten, macht, ebensowohl sich verläuft, als der nackte Deist.

Ohne Einfluß auf den geistigen Menschen kann die, aus dem Zusammenwirken des eigenen Forschens, Prüfens und Vergleichens und der durch mancherlei Mittel entgegenkommenden Gnade hervorgehende Rückkehr in die Kirche unmöglich bleiben. Dieß habe ich an mir erfahren. Das Bewußtseyn, im Besitz einer Wahrheit zu seyn, die unter der schirmenden Obhut des heiligen Geistes fortan seit der Zeit gestanden, da der, welcher die Wahrheit selbst ist, sie hernieder brachte; einer Wahrheit, die im Verlauf der Zeit wohl sich entfalten und immer kräftiger entwickeln (wie aus dem Keim der Baum mit seinen Aesten,[670] Zweigen, Blättern, Blüthen, Früchten), nie aber berichtigt, wohl gar umgestaltet werden mag; einer Wahrheit, die der Mensch nur in Demuth annehmen, oder aber in Hochmutth verwerfen kann (dieweil alles Herumkünsteln und Herumklügeln daran und alles Zustutzen derselben nach der Tagesmeinung nur Larve ist, hinter welche dieser Hochmuth sich verbirgt); dieses Bewußtseyn macht zugleich empfänglicher für jede andere, wenn derselben immerhin untergeordnete Wahrheit, verleiht eine sonst ungeahnete Sicherheit in dem Festhalten an ihr, eine über alle Begegnisse emporhebende Gewißheit, und erhobt den Muth, wie zum Bekenntniß, so zur Verfechtung aller Wahrheit unter allen Umständen aufzutreten. Es geht mit solcher Einfügung (nicht blos Anschluß) in den Gesammtkörper ein Theil der Wesenheit des Hauptes, zu deren Mitbesitz jener berufen ist, nach dieser Beziehung auch in das Eingefügte über. Dem, aus dem Eingehen in die Wahrheit und aus dem Bekenntniß der Wahrheit in den Menschen hinüberquellenden Muth, für alle Wahrheit einzustehen, leuchtet als erkräftigendes Vorbild das zermalmende Wort, welches die ewige Wahrheit, nicht gegen die Personen, wohl aber gegen die Verirrungen und Unthaten der Pharisäer und Schreiber gesprochen hat.

Aber es geht in denjenigen, welcher dem Gesammtkörper eingefügt wird, ein Theil der Wesenheit des Hauptes auch nach seiner andern Beziehung, nach seiner Milde gegen die Irrenden, über, nicht allein vorgebildet, sondern fortan wirkend in jenem Wort: »Vater verzeih' ihnen, sie wissen nicht, was sie thun.« Darum ist ein wesentlicher Unterschied zu machen zwischen Anschluß an die katholische Kirche und Einfügung in den mit dem Haupt verbundenen Gesammtkörper. Bei Jenem kann der Mensch innerlich bleiben, wie er war, anneben in Allem, was an sichtbarem Thun die Kirche fordert und was an äusserer Bewährung der Theilnahme sie auferlegt, eifrig und folgsam sich erzeigen; bei diesem hingegen muß er selbst, kann aber im Grund nur er selbst mit Zuversicht sich bewußt werden, daß das äussere Band zum innern sich verklärt habe. Ist dieß der[671] Fall, so wird mit dem, daß sein Urtheil über die Sachen klarer strenger und entschiedener wird, dasjenige über deren Träger, über die Menschen, ruhiger, schonender, milder werden; wo er zuvor Beide vermengte, wird er jetzt sich bemühen, sie in bestimmter Unterscheidung auseinanderzuhalten; wo er zuvor geneigter war, über jene hinwegzugehen und an diese sich zu halten, wird jetzt sein inneres Wesen zu dem entgegengesetzten Verfahren ihn leiten; er wird ohne Scheu und Zagen vor Jedermanns Ohren bekennen können, alles Bösen, nicht aber der Bösen (mögen dieselben immerhin die in Gift getauchten Pfeile ihrer sittlichen Verworfenheit gegen ihn richten!) Feind zu seyn. Ob er in den Gang der Weltereignisse hineinblicke, und hier das Spiel so mancher finstern Elemente, so mancher zerstörenden Kräfte, so mancher verderblichen Zwecke, besonders in ihrer Richtung gegen die Kirche, vor seinen Blicken sich entfalte; ob er den Lauf des eigenen Lebens überschaue, und da auf manches Widerwärtige, Kränkende stoße, was ihm durch Andere bereitet worden: sein durch das Licht der Kirche erleuchteter Geist und sein von dem Lebensodem der Kirche angehauchtes Gemüth wird in den meisten Fällen, auch wenn subjectiver Willen und daraus hervorgehende concrete Absicht nicht kann geläugnet werden, ihn doch an jenes: »Sie wissen nicht, was sie thun,« gemahnen und dadurch eine Gesinnung festigen, welche in Demjenigen lebte, den diese Einsicht zur Fürbitte, somit zu dem reinsten Wohlwollen stimmte. Wie denn auch dem Apostel dieses einleuchtete, indem er sagt »Wenn die Fürsten dieser Welt die geheimnißvolle Weisheit Gottes erkannt hätten, würden sie niemals den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt haben.«

Das ist jene Liebe, welche als der vom Himmel auf die Erde gebrachte Schatz zu treuer Bewahrung in der Kirche hinterlegt, in ihr zur bewegenden Kraft geworden ist, durch sie allen ihren Gliedern eingepflanzt werden will, mittelst ihrer nur angeregt, von ihr nur gewonnen, in deren Lichte nur ihrem vollen Wesen nach erkannt werden kann. Wie zwar der gesammte Sprachschatz, deren die Kirche sich bedient, auch zu[672] anderweitigem Gebrauch und somit in gleicher Berechtigung mit ihr selbst, denjenigen Allen offen steht, welche dieselbe nicht kennen, ihr widerstreben, sie vielleicht sogar hassen, so bedienen sich auch diese derselbigen Ausdrücke, wie die Kirche; aber sie bezeichnen damit entweder verschiedene, oder ganz anders modificirte, manchmal sogar ihrer eigenthümlichsten Wesenhaftigkeit verlustig gegangene Begriffe. Das gerade findet Statt mit dem Wort Liebe, mit welchem nicht allein arger Mißbrauch, sondern häufig selbst Unfug getrieben, und welches am meisten oftmals von denjenigen im Munde geführt wird, die entweder am wenigsten von ihr angeweht, oder ohne Kenntniß ihrer ächten und allein gültigen Natur sind. Sie kehren die Sache um; das wesentliche Merkmal ihrer Liebe ist, wenn nicht ein willfähriges Beipflichten zu jedwedem Irrthum, zu jeder subjectiven, besonders mit etwelcher zuversichtlichen Anmaßlichkeit vorgetragenen Meinung, doch ein stummes Gewährenlassen derselben, ein unentschiedenes Schweben zwischen dieser und der Wahrheit, eine mattherzig eingeräumte, vollkommen gleiche Berechtigung für Beide; worüber dann unbedenklich die Menschen mögen preisgegeben, wohl gar allen Waffen der Bosheit blosgestellt werden, indeß sogar von der Theilnahme an jener verkehrten Anwendung einzig die Trägerin der göttlichen Wahrheit und die durch keine Gewalt von ihrem Bräutigam zu scheidende Braut, die Kirche, ausgeschlossen bleiben soll. Dem Begriff, mindestens dem Verfahren dieser Leute zufolge, müßte kein Menschenherz je der Liebe so gänzlich abgestorben gewesen seyn, als das Herz desjenigen, welcher dieselbe höher setzte als Engelssprache, als Prophetengabe, als Wunderkraft, als Mildthätigkeit; dieweil er an anderm Ort erklärt hat: ob auch ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium verkündigte, anders, als wir es verkündigt haben, der seye verflucht.« Und dieses Evangelium war kein anderes, als dasjenige von Christo, dem Gekreuzigten, welches in der katholischen Kirche nicht allein treulich bewahrt wird, sondern welches sie fortwährend selbst ist und bleiben wird bis ans Ende der Tage. Denn in der katholischen Kirche wird[673] nicht nur über Christus gesprochen (in der Predigt, die es zu Weiterem, als hiezu, nirgends, auch in jener nicht zu bringen vermag), spricht nicht nur er selbst (in dem vorgelesenen Evangelium – größtentheils seinen Worten), sondern ist er wesenhaft gegenwärtig (in dem allerheiligsten Altars-Sacrament.)


Ich spreche nicht von meiner Rückreise. Sie war vergnügt, anmuthig, lehrreich. Ich hatte auf derselben Gelegenheit, den Unterschied wahrzunehmen zwischen dem christlichen und zwischen dem christuslosen Staat, zwischen jenem, der auch die höhern Bedürfnisse des Menschen seiner Fürsorge nicht für unwürdig hält, und zwischen demjenigen, der für die Seelen nicht den Bettlerpfennig mehr in der Tasche behält, indeß er für die Körper Millionen auswerfen kann. Wir fuhren Samstag Abends mit dem Postwagen von Rom ab, die erste Station, an welcher um Mittag einiger Halt gemacht wurde, war Terni. Da ist die Einrichtung getroffen, daß mit der letzten Messe bis zu dessen Ankunft muß zugewartet werden, worauf die Reisenden, so sie den Postwagen verlassen, in die Kirche sich begeben. Wir diesseits der Alpen fördern nicht allein eine unermeßliche Menge Reisende, sondern beschäftigen außerdem eine große Anzahl Personen mit unsern Eisenbahnen, die doppelten Stellung von jenen zu Erde und Himmel gedenken wir nicht, und diese, welchen bei ununterbrochenem Dienst in dem Fernestehen von jeder Kirche am Ende selbst die Erinnerung an eine solche abhanden kommen muß, suchen wir gleichsam in die völlige Entfremdung von Gott hinauszuspediren. Welcher Regierung gebührt der Vorzug: der päpstlichen, die auch in materieller Beziehung auf das (wenn immerhin für Einzelne nur vermuthetes) Bedürfniß Bedacht nimmt, oder jeder modernen, die nicht einmal das Daseyn einer solchen zu ahnen scheint?[674] Viel Merkwürdiges habe ich auf dieser Rückreise gesehen, viel Erfreuliches ist mir wiederfahren, viele erwünschte Bekanntschaften habe ich gemacht. Vor Allem konnte ich nicht in der Nähe von Fermo vorüberreifen, ohne dem dortigen Cardinal-Erzbischof, der während der drangsalvollsten Jahre so lange an der Nuntiatur in der Schweiz hatte ausharren müssen, und mir in all' dieser Zeit so viele Beweise des Wohlwollens gegeben, einen Besuch abzustatten, und ihm Zeugniß zu bringen, in wie wohlverdientem Andenken bei so vielen ausgezeichneten und gutgesinnten Personen, die damals mit ihm in Berührung gekommen, er fortwährend stehe. Leider war für Beide die Zeit des Beisammenseyns allzukurz bemessen, ein heiterer Tag aber derjenige, welchen ich bei ihm zubrachte. Loretto durfte auch nicht übergegangen werden, und wäre es nur gewesen, um die schöne Kirche mit ihren herrlichen Bronzethüren und dem Sculpturen-Reichthum, welcher die Casa santa einfaßt, zu beschauen. Ancona lockte nicht zum Verweilen; aber eine behäglichere Fahrt, als von dort bis über Pesaro hinauf, längs der Meeresküste, unter dem sonnenhellesten Himmel, erfrischt durch ein leises Lüftchen, welches immer von neun Uhr Morgens über den klaren Wasserspiegel strich, läßt sich nicht denken; um so behaglicher, als mein Begleiter, Dominicus Gmür von St. Gallen, und ich den ganzen Weg, durch fremde Personen ungestört, mit eigenem Vetturin zurücklegten.

Mit einem höchst liebenswürdigen und durch die trefflichsten Gesinnungen ausgezeichneten Mann, dem Bischof Ugolini von Fossombrone, traf ich in Fano zusammen. Durch seine Veranstaltung wurde Hallers Restauration der Staatswissenschaften den Italiänern und durch diesen ich dem Bischof bekannt. Weil Fossombrone abseits meines Weges lag und ich meine Zeit etwas zu Rath halten mußte, kamen wir überein, im Hause der Jesuiten zu Fano uns zu finden. Die Schrift des Bischofs: Esame sulle varie opinioni delle scrittori profane e sacri intorno alla questione: se, e come venga di Dio la sovranitâ, temporale, zeigt den,[675] auch auf anderm, als dem theologischen, Gebiete einheimischen Gelehrten. Er theilt vollkommen Hallers Ueberzeugungen von dem Ursprung der fürstlichen Macht, im Gegensatz zu der, alles revolutionäre Streben begünstigenden und jede gesellschaftliche Ordnung auflösenden Fiction eines Contract social. In solchem Sinn erschien schon im Jahr 1836 sein Catechismo antirevoluzionario politico, und im folgenden Jahr eine meisterhafte polemische Restauration des Naturrechts unter dem Titel: Institutiones juris socialis naturæ. In den folgenden Jahren gab er heraus: Ristretto della teoria dello stato naturale sociale dal celeberrimo Dottore C. L. de Haller, und: Isame critico dell opinione adottata dagli scrittori par l'elezione del principo temporale. Ueberdem ist er Verfasser vieler theologischer und moralischer Abhandlungen, in welchen zu Bekämipsung der Revolution die Grundlehren des Hallerschen Systems, als mit der Vernunft, der Erfahrung und dem Christenthum durchaus übereinstimmend, gleichsam in jede Zeile hineingewoben sind.


Ich betrachte es als einziges Mißgeschick meiner Reise, daß bei der Ankunft zu Modena der Herzog durch Krankheit an das Bett gebannt war und hierin ein Hinderniß lag, ihm vorgestellt werden zu können. Ich bedauerte dieß um so mehr, als Alles, was ich in seinem Land von ihm hörte und sah, die hohe Idee, die ich längst schon von diesem Fürsten hegte, in vollem Maaße bestätigte. Zu derselben bin ich auf dem gleichen Wege gelangt, wie zu meinen Ueberzeugungen in Betreff verschiedener anderer Personen, aber auch besonderer Institutionen und Maaßregeln. Zuerst wurde durch mich erwogen, von wem die herabwürdigenden Urtheile über so Manches, und so auch über diesen Fürsten, hervorgiengen, bei welchen Veranlassungen sie geäussert wurden, an welche Verfügungen[676] desselben vorzugsweise sie sich anknüpften. Da zeigte sich bald, daß in allen Ländern die Umwälzungspartei ihn zur Zielscheibe ihres Hasses gemacht hatte und die Zungenfertigkeit der zahllosen Masse Nachhumpelnder an den vorgesprochenen Phrasen ich übte. Es zeigte sich, daß sein kräftiges Auftreten zum Schutz einer Rechte und zur Bewahrung seines Volkes gegen eine Glückseligkeit, die demselben auf Kosten des Landfriedens, unter Umsturz aller Ordnung, und zum Besten von Ideologen, Schwätzern und Ehrgeizigen wollte aufgebürdet werden, ihm die Ehre solches Hasses zugezogen und ein derartiges Geschrei wider ihn veranlaßt hatte; so daß wohl Jeder, den die Stärke und die Zahl der Stimmen berücken kann, meinen müßte, der Herzog wäre ein finsterer Tyrann, ein launenhafter Despot, ein geistesstumpfer Autokrator, eine wahre Anomalie des neunzehnten Jahrhunderts; daß man kaum der Vorstellung sich erwehren möchte, in Modena sähe es so finster, traurig, unheimlich aus, wie kaum an einem Orte der Welt.

Wenn man durch das Modenesische fährt, sieht man ein fruchtbares, wohlangebautes Land, schöne, freundliche Dörfer, wie man sie in Italien kaum anderswo findet, Gesichter, in deren Ausdruck keine Spur von Kummer, Elend und Druck wahrzunehmen ist. Nun das Land hat freilich der Herzog nicht geschaffen, die Dörfer hat er nicht gebaut, aber lastete auf jenem der vermeintliche Druck, so würde doch irgend Etwas davon sich bemerklich machen. Die Stadt Modena hat sich – und hier ist das Gepräge zu frisch, um es mißkennen zu können – in neuester Zeit bedeutend erweitert, verschönert, was kaum der Fall seyn dürfte, wenn es so unbehaglich wäre, unter der Regierung dieses Herzogs zu leben. Um denjenigen, welchen dieses gewissermassen zur Richtschnur ihres Urtheils über die Verwaltung eines Landes dient, doch etwas Tröstlicheres darzubieten, bemerke ich, daß ich während zweitägigen Aufenthalts in Modena nicht einem einzigen Bettler begegnete. Alle Personen, mit denen ich in Berührung kam, haben nicht allein mit Achtung von ihrem Landesherrn gesprochen, sondern[677] manche vorzügliche Eigenschaft desselben hervorgehoben, und seine landesväterliche Sorge, die man übrigens nicht bloß aus Worten vernehmen, sondern an sichtbaren, darum zweifellos sprechenden Schöpfungen sehen kann, angepriesen.

Muth, Entschiedenheit und Gottesfurcht sind Erbgüter seines Hauses, die daher auch dem Haupt desselben nicht fehlen. Den ersten hat er bewiesen, indem er selbst die Soldaten anführte, welche den Menotti und seine Mitverschworenen in dem Hause, worin sie versammelt waren, sollten gefangen nehmen, und, trotz der Schüsse, welche von diesen Vaterlandsfreunden auf ihn gerichtet wurden, nicht von seinem Kriegsvolk sich trennte. Wie begreiflich unter solchen Umständen die äusserste Entrüstung und wie natürlich es gewesen wäre, wenn der Herzog alle Mittel der Gewalt hätte anwenden lassen: die Berücksichtigung einer Familie, welche den untern Stock des Hauses bewohnte, worin die Landesbeglücker ihren Rathssaal aufgeschlagen hatten, überwog dennoch so, daß er von zwei mitgebrachten Kanonen, mittelst deren dasselbe hätte können zusammengeschossen werden, keinen Gebrauch machte, sondern lieber es darauf ankommen ließ, ob es nicht gelingen werde, zuletzt auf andere Weise in dasselbe einzudringen. Hierauf bewahrte seine Entschiedenheit das eigene Land, den angränzenden Kirchenstaat und das Parmesanische vor den Gräueln der Revolution. Seine Gottesfurcht ist nicht, wenn ich so sagen soll, eine officielle, eine solche, die aus der erkannten Wohlanständigkeit eines guten Beispiels des Obern hervorgeht, sondern die in den Tiefen des Gemüthes wurzelt, daher nicht damit zufrieden ist, wenn die Untergebenen den äussern Schein derselben an sich tragen, sondern will, daß sie auch bei ihnen zur lenkenden Kraft des Lebens werde. Gerade hierauf hatte die, durch jene revolutionären Bestrebungen nothwendig gewordene Besetzung des Landes nicht vortheilhaft eingewirkt. Namentlich hatte bei dem untern Hofgesinde eine bedenkliche Gleichgültigkeit gegen Erfüllung der religiösen Pflichten und wohl auch Anderes, was unabweislich diesem auf dem Fuße[678] folgt, sich eingeschlichen. Das sollte gebessert werden. Kaum daher die Truppen das Land wieder verlassen hatten, berief der Herzog deutsche Ligorianer zur Seelsorge für das untere Hofgesinde (ebenfalls vielfältig aus Deutschen bestehend), und der klugen Thätigkeit dieser Vater gelang es, bei ihren Pflegbefohlenen in Kurzem wieder Anerkennung des Werthes der heil. Sacramente und des Besuches des Gottesdienstes hervorzurufen. Deßwegen stehen die Ligorianer bei allen Wohlgesinnten zu Modena in hoher Achtung. Der Herzog aber mag, theils dieser Ursache wegen, theils weil er durch die antikirchlichen Bestrebungen der Neuerer sich nicht berühren läßt, zu jeder andern auch noch die Nachrede sich gefallen lassen, bigott zu seyn; ein Wort, welches heutzutage denjenigen: Jesuit, ultramontan u. dgl., sich anreihen läßt. Was würden sie erst sagen, wenn sie jenes merkwürdige Decret kennten, mittelst dessen der Herzog alle, den Rechten der Kirche zuwiderlaufenden Gesetze und mißbräuchlichen Uebungen eines Schlages aufgehoben hat, ohne sich durch die Furcht ängstigen zu lassen, hiedurch an seiner Würde oder an seiner Unabhängigkeit Etwas einzubüßen? Oder sollte der Fürst, welcher in das Schlepptau der Sophisten sich nehmen liesse, beide besser wahren, als derjenige, welcher das Wesen und das Recht der Kirche anerkennte?

Das Spital und die Versorgungsanstalt für Frauenspersonen, unter Leitung und Obsorge der Barmherzigen Schwestern stehend, ist nicht nur ein großes, sondern ein großartiges und in aller Beziehung trefflich eingerichtetes Gebäude, in welchem, neben der leiblichen Pflege, ebenso sorgfältig auf die geistliche Bedacht genommen ist. Hat auch der jetzige Herzog dasselbe nicht gestiftet, so hat er es doch hergestellt, erweitert, ansehnliche Summen auf dasselbe verwendet, und ein schönes Marmorrelief am Fuße der Treppe verkündet ihn als vornehmsten Wohlthäter des Hauses. Wahrscheinlich ist auch das Spital für Männer, welches die Fate ben fratelli besorgen, von ihm ebensowenig unberücksichtigt geblieben. Ich habe dieses nicht[679] gesehen, kann also bloß aus der Analogie eine Vermuthung hierüber ableiten. Hingegen verdankt eine Erziehungsanstalt für taubstumme Mädchen ihr Daseyn dem Herzog. Ich brachte in derselben mit mehrern literarischen Notabilitäten von Modena einen unvergeßlichen Abend zu, und war bei einer kleinen Prüfung, welche die Lehrerin vornahm, erstaunt über die schöne geistige Entwicklung, die diese armen Mädchen gewonnen hatten. Eine dritte große Anstalt, welche durch den Herzog geschaffen worden, ist die Irrenanstalt zu Reggio. Als vierte, damals ihrer Vollendung nahe stehend, und als Bauwerk zugleich eine Zierde von Modena, läßt diesen das unfangsreiche Convict sich anreihen, welches zur Unterrichtung und Erziehung einer bedeutenden Anzahl junger Leute den Jesuiten übergeben werden soll.

Bekanntlich ist der Herzog sehr reich – riechissimo, sagte mir ein vortrefflicher Mann. Ausserdem daß sein Reichthum dem Lande an sich zu gut kommt, macht er von demselben wohlthätigen Gebrauch, nicht allein auf die erwähnte, sondern auch auf andere Weise. Als vor wenigen Jahren Theurung eintrat, war es wieder der von unsern warmen Volksfreunden so vielfach verlästerte Herzog, welcher aus seinen eigenen Mitteln den Dürftigen Beistand leistete und sorgte, daß die Noth für sie weniger fühlbar werde. Das also wäre der Despot, den sie in Deutschland so gerne als Schreckbild hinmalen, von dem sie nur Schlimmes auszusagen wissen, weil er die Plane der angeblichen Weltbeglücker durchschaut, denselben kräftiger entgegensteht, als kein anderer Fürst, und nicht durch einen Haufen Schwätzer und Rechtszertreter sich in den Quiescentenstand will setzen lassen.

Jene schönen Eigenschaften eines Regenten sind von dem Vater auch auf die Söhne übergegangen. Jemand, der in enger Beziehung zu dem herzoglichen Hof steht, versicherte mich, wenn unter gewichtigen Weltereignissen je wieder die hohe Gestalt eines christlichen Helden vor der Gegenwart erscheinen sollte, so wäre dieses unfehlbar in dem Herzog Ferdinand, dem zweiten Sohn des Herzogs, zu gewarten. Der Hof selbst stellt das[680] schöne Bild einer durch alle geistigen und sittlichen Vorzüge geeinten Familie dar.

Dem fürsorglichen Wohlwollen, womit mein Freund und Landsmann, Graf Johann von Salis, meinen zweitägigen Aufenthalt in Modena mir lehrreich und anziehend zu machen sich bemühte, setzte er damit die Krone auf, daß er mir den Hauptmann Caponi zum Begleiter nach Reggio mitgab. Man wird nicht leicht einen Mann von vortrefflichern Gesinnungen, gediegenerem Charakter, richtigeren Urtheil und erfreulicherer Dienstfertigkeit finden, als ihn. Wie groß möchte wohl die Zahl derjenigen Kriegsleute in allen Ländern seyn, welche bei der Abfahrt von einem Ort an die Gefährten die Frage stellten: ob sie gewohnt wären, das Reisegebet zu verrichten? (mit dem Lobgesang Zachariä beginnend) und dann aus dem Gedäch miß mit der vollesten Sicherheit zu respondiren wüßten, wie es von ihm geschah. Wie groß dürfte nicht eher die Zahl derjenigen seyn, welche Kriegsstand und religiöse Anregungen geradezu für Gegensätze betrachteten, was doch ehebevor anders gewesen seyn dürfte? Je mehr das religiöse Element als Grundwurzel dieses mir theuer gewordenen Mannes hervortrat, desto klarer und gereifter war auch sein Urtheil über alle gewichtigern und in die allgemeinen Verhältnisse tiefer eingreifenden Gegenstände, die zur Sprache gebracht werden konnten.

Wir hielten an der Irrenanstalt, welche einige hundert Schritte vor Reggio liegt. Sie ist neu erbaut, von ansehnlichem Umfang. Der Arzt, Herr Galloni, hatte die Gefälligkeit, uns überall herumzuführen. Eine kleine Zahl solcher Unglücklicher, an welchen die Heilungsversuche zur Zeit noch fruchtlos geblieben waren, befanden sich in einem Hof beisammen, friedlich, aber größtentheils in starres Hinbrüten versunken. Wie zu Hall, bei Innsbruck, sah ich auch hier musikalische Instrumente in einem der Säle, und Herr Galloni versicherte, daß Musik häufig unter die vorzüglichen Hülfsmittel zur Heilung könne gezählt werden. Wir fuhren darauf in das Collegium[681] der Jesuiten, von denen ich, wie bereits erwähnt, in ihre Schulanstalt (in einem andern Gebäude) geführt wurde, und in derselben jenen befriedigenden Eindruck gewonnen, wovon ich früher gesprochen habe.

Dankbarkeit verpflichtet mich, einen Mann nicht unerwähnt zu lassen, dessen Wohlwollen ich, wie es scheint, längst schon, ehe er nur daran denken konnte, mich je persönlich kennen zu lernen, gewonnen hatte, und der, kaum ich ihm vorgestellt worden, Alles aufbot, um das an sich schon freundliche Reggio mit unvertilgbaren Zügen meiner Erinnerung einzuprägen. Es ist dieß der Advocat Jakob Bongiovanni, der zwar im Augenblick meiner Ankunft abwesend war, nach ein paar Stunden aber zurückkam, und von welchem die Jesuiten und andere Notabilitäten, die durch diese herbeigerufen worden, mich versicherten: daß es ihm eigentlich Kummer würde verursacht haben, wenn er nachher hätte vernehmen müssen, ich wäre in Reggio gewesen, ohne daß es ihm möglich geworden, mich zu bewillkommen. Alles, was die dienstfertigste Liebenswürdigkeit nur auszusinnen vermag, um einem Fremdling den Aufenthalt in einer Stadt irgendwie angenehm und interessant zu machen, wurde durch ihn veranstaltet; er begleitete mich in die vornehmsten Kirchen, in deren einer man so eben bei Ausgraben des Bodens zum Behuf ihrer Verbesserung ein höchst merkwürdiges Pavimentum aus weit zurückliegender Vergangenheit aufgefunden und zum größern Theil schon abgedeckt hatte; mit jugendlicher Behendigkeit (wiewohl er bedeutend älter seyn muß, als ich) traf er in der prachtvollen und reich ausgestatteten Kirche der heiligen Jungfrau della Ghiara alle Vorkehrungen, um mich das wunderthätige Bild derselben in der Capelle hinter dem Hochaltar im möglichster Nähe anschauen zu lassen; er führte mich in die Sammlung von Naturmerkwürdigkeiten des berühmten Spallanzani, auf die reichhaltige Bibliothek, in der ich jedoch, da es schon spät am Abend geworden war, bloß ausruhen konnte; er wollte mich nicht entlassen, ohne daß ich aus seiner (wie ich hörte) sehr ansehnlichen Büchersammlung[682] zum An denken ein Exemplar der seltenen Originalausgabe der Fastenpredigten des P. Segneri mit mir nähme; – wie ich denn versichert wurde, daß man Bedenken tragen müsse, ein Buch von ihm zu entlehnen, indem er sofort bereit stehe, es dem Verlangenden als Geschenk zu überlassen. Am folgenden Morgen fand er schon um fünf Uhr in dem Collegium der Jesuiten sich ein, um nochmals Abschied von mir zu nehmen, und begleitete uns an die Wohnung des Polizeibeamten, damit er uns jeder Mühe zu Besorgung unserer Pässe enthebe, wobei er mit großer Anstrengung diesen aus dem Bett bewegen mußte, ohne welche Fürsorge wir wahrscheinlich einen ziemlich langen Halt hätten machen müssen, indem nur unablässiges Treiben denselben endlich in Bewegung zu setzen vermochte. Ein solches wohlwollendes, fürsorgliches Hingeben eines in hoher Achtung stehenden Mannes, den wir zuvor nicht einmal dem Namen nach kannten, und dieß von dem Augenblick des ersten Zusammentreffens an bis zu demjenigen der Trennung, muß doch gewiß in Jedem, der Solches zu würdigen weiß, eine unauslöschliche Erinnerung zurücklassen. Sollte daher Gott mir die längste Lebenszeit bestimmt haben, nie würde ich den Namen Reggio aussprechen können, ohne des Advokaten Bongiovanni zu gedenken, den ich die personificirte Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit nennen möchte.


Nicht geringere Sorge um mich trugen die Benedictiner von St. Johann zu Parma, deren Kloster, der Kathedralkirche gegenüber, ein prachtvoller Bau ist. Der Abt, Herr Ildephons Verzer, ein ungemein freundlicher alter Herr, hatte nach Empfehlungen, welche von Einsiedeln vorangegangen waren, schon auf der Heimreise nach Rom mich erwartet und durch meinen Reisegefährten über den St. Gotthart, den P.[683] Jacob von St. Stephan in Augsburg, bei späterem Wiedersehen zu Rom mich dringlich gemahnen lassen, daß ich Parma auf der Heimreise ja nicht übergehen möchte. Deßwegen durfte ich es nicht versäumen, von Modena dorthin mich zu wenden. Wäre es mir eingefallen, eine Reisebeschreibung zu geben, so könnte ich aller Merkwürdigkeiten erwähnen, welche Parma in sich schließt, zu denen allen die Benedictiner mich geleiteten; ich könnte von verschiedenen Personen sprechen, deren Bekanntschaft sie mir verschafften, von denen ich wenigstens den Bibliothekar, Ritter Pezzana, dem verschiedene kleine Schriften, Ergebniß specieller Forschungen über parmesanische Literar- und Kunstgeschichte, zu danken sind, nicht übergehen darf. Welche handschriftliche, zum Theil durch ihre künstlerische Ausstattung werthvolle Schätze die Bibliothek von Parma, gleich derjenigen zu Modena, durch diese aber wahrscheinlich noch übertroffen, besitzt, läßt sich aus jedem Handbuch über Italien erfahren; so wie das Theater Varnese, in Verbindung mit dem Palast dieses Geschlechts zu Rom, der Farnesina und den Trümmern der farnesischen Gärten daselbst, uns einen Begriff von der großartigen und geschmackvollen Baulust und den reichen Hülfsmitteln desselben einen Begriff geben.

Vor meiner Abreise bereitete sich mir noch etwas überaus Angenehmes. Der Abt sagte mir nach Tisch, er wolle mir die Schule des Klosters vorstellen; die jungen Leute hätten in neuester Zeit von mir gehört, daher werde es dieselben erfreuen, mich zu sehen. Er ließ sie Alle auf sein Zimmer kommen, etwa zwanzig an der Zahl, von ohngefähr acht bis sechszehn Jahren hinauf, insgesammt anmuthige, wohlgebildete, vielversprechende Physiognomien. Bei großer Unbehülflichkeit in der italienischen Sprache konnte ich freilich mit ihnen nicht so mich unterhalten, wie ich gewünscht hätte. Da kam mir Gmür damit zu Hülfe, daß er eine Anzahl Bilder des heil. Aloys, die er von Rom mitgenommen, anbot, um sie zu vertheilen. Ich wies nun eines vor, mit dem Bemerken: wer von Allen zuerst die Hand[684] aufhebe, sollte dasselbe in Empfang nehmen. Lange wollte Keiner es wagen, endlich faßten (wie solches allerwärts geschehen würde) ein Paar der Jüngsten den Muth, und hoben die Hand auf. Da ich aber dem Zweiten sagte, er habe mit dem Ersten beinahe gleichzeitig die Hand erhoben, es wäre daher billig, daß ihm der Preis ebenfalls zuerkannt würde, und es dabei sichtbar ward, daß ich nicht bloß ein paar Exemplare, sondern einen hinreichenden Vorrath solcher Bilder besässe, kamen unverweilt Alle, um eines solchen theilhaftig zu werden. Bald darauf trat Einer aus ihnen zu mir und bat mich, ich möchte ihm meinen Namen unter das Bild schreiben, worin ich ihm gerne willfahrte. Kaum dieß geschehen war, äusserte Einer nach dem Andern die gleiche Bitte, so daß ich, weil am Ende auch Einige der Capitularen sich anschlossen, bei einer Viertelstunde vollauf zu thun hatte, um den Bildchen allen meine Unterschrift beizufügen. Mir aber gewährte dieß, in Erinnerung an das Fest des heil. Aloys und weil derselbe Patron der studirenden Jugend ist, ich aber in so leichter Weise der gesammten Schule eine Freude bereitete, wahres Vergnügen, gleichwie es auch nicht zu verkennen war, daß meine Willfährigkeit dem Abt angenehm seye; denn er knüpfte an Bild und Schrift eine passende Ermunterung an sämmtliche Schüler.


Es giebt wohl wenige Kirchen, welche an künstlerischen Ueberresten aus dem frühern Mittelalter noch so viel bewahrt haben, wie die ehemalige Kirche des Klosters von St. Zeno in Verona, dessen einer der letzten Aebte Papst Clemens XIII, als Cardinal Rezzonico und Venetianer, gewesen war. Der deutsche Priester, Hr. Oberauch, der die Gefälligkeit hatte, zu den vornehmsten Sehenswürdigkeiten und Männern dieser Stadt mich zu führen, machte die richtige Bemerkung: es seye dieß vermuthlich dem Umstand zu verdanken, daß in späterer[685] Zeit das Kloster nicht reich genug gewesen seye, um, gleich andern derartigen Stiften, einen neuen Bau, der wahrscheinlich vieles Alte als werthlos würde zerstört haben, zu unternehmen. Denn es läßt sich gar nicht ermessen, was von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an allerwärts, besonders aber in Rom, an dergleichen Kunstsachen verloren gegangen ist. Hieran wird man am augenfälligsten erinnert bei einer Wanderung durch das unterirdische St. Peter, wo man an Hochbildern, Sculpturen, Grabmälern und andern Gegenstanden dieser Art, welche einst zur künstlerischen und monumentalen Ausstattung der Kirche dienten, einen reichen und höchst merkwürdigen Schatz aufbewahrt findet, indeß in mancher andern Kirche solche Sorgfalt weniger angewendet worden seyn mag. An St. Zeno zu Verona schienen mir vorzüglich merkwürdig die Bronzethüren, welche mit ihren ungestalteten Figuren in das erste Ringen der Kunst um anschauliche Darstellung eines Gegenstandes zurückweisen. Sie haben zwar in dem langen Lauf der Zeit etwas gelitten, es wäre aber nicht unmöglich, den Gegenstand zu entziffern; – wahrscheinlich die Legende des Heiligen, in dessen Ehre die Kirche geweiht ist.

Wer die acht (durch ihren Reichthum an Urkunden immer schätzenswerthen) Quartanten von Biancolini's ki Notizie storiche delle Chiese di Verona zur Hand genommen hat, der wird über die Menge von Kirchen, Capellen und Klöstern, welche in dieser Stadt sich fanden, staunen. Bei einer Wanderung durch die Nebenstraffen stößt er noch auf viele der letztern; aber die Schildwachen davor zeigen ihm, daß sie in Casernen umgewandelt seyen. Es hat eine Zeit gegeben, in welcher die erbaulichsten Sermonen darüber zu lesen waren, wie die Klöster Zwinger des Müssigangs, des Geistesdruckes, des Aberglaubens, mitunter auch der Unsittlichkeit gewesen seyen, und welchen Dank die Menschheit denjenigen wissen müsse, welche diese Zwinger geöffnet, ihre Herstellung unmöglich gemacht hätten. Es fehlt auch unserer Zeit nicht an Rednern, welche das alte Thema von neuem behandeln.[686] Wie kommt es aber, daß noch Keiner an den so nahe liegenden Gegensatz, an die glückliche Umwandlung sich gemacht und auseinandergesetzt hat, wie sie nun in ihrer jetzigen Bestimmung zu Wohnstätten der Thätigkeit, der geistigen Regsamkeit, eines geläuterten und dennoch kräftigen Glaubens und der reinen Sittlichkeit geworden seyen? Denn alsdann nur läßt sich von wohlbedachter Fürsorge sprechen, wenn das Unvollkommene an Vollkommeneres vertauscht, an die Stelle des Schlimmen das Gute gesetzt wird. Sollte aber bei Verwandlung eines Klosters in eine Caserne in Wahrheit hievon können gesprochen werden? Sollten wirklich mit den vorigen Bewohnern all' jene Mißstände ausgezogen, mit den neuen der Gegensatz derselben eingezogen seyn, und eine Caserne einen lieblichern und anziehendern Anblick gewähren, als ein stilles, friedliches und wohlgeleitetes Kloster?

Was es aber mit allen jenen angeblich menschenfreundlichen und menschheitsfördernden Motiven zu Aufhebung der Klöster der Wirklichkeit nach auf sich habe, dafür mag eine einzige Thatsache als Stellvertreterin der letzten, wenn auch seltener ausgesprochenen, dennoch allein wahren Gründe einstehen. Posen zählte seiner Zeit als katholische und erzbischofliche Stadt mehrere Klöster. Der Rechtsstaat, welcher dieses Theils von Polen sich bemächtigt hatte, konnte nicht umhin, seine Menschheit durch Aufhebung dieser Klöster zu beglücken und zu fördern; paßten sie ja nicht mehr in die Zeit, war ja ihr ferneres Bestehen eine Abweichung mitten in der vorangeschrittenen Entwicklung, konnte ja ihr Wirken bloß ein der obscuren Vergangenheit angemessenes seyn. Da fand sich der unerwünschte Umstand, daß unter ihnen ein Kloster der Philippiner bestand, gestiftet durch eine noch vorhandene adeliche Familie und mit dem urkundlich ausgesprochenen Vorbehalt, daß, wenn je das Kloster erlöschen sollte, das gesammte Stiftungsgut der Familie wieder müßte zurückgegeben werden. Somit war die Erreichung des letzten und nackten Zweckes bei Aufhebung der Klöster an diesem einzigen unmöglich; vor der[687] Besorgniß aber, daß eine reiche Familie noch reicher werden könnte, wurde es für zuträglicher gehalten, den angeblichen Zweck der Menschheit in den Hintergrund treten zu lassen. Dieses einzige Kloster blieb dort bis auf den heutigen Tag. Wie würde es aber der Menschheit ergangen seyn, wenn eine hinreichende Anzahl ähnlicher Bestimmungen gleiche Hindernisse in den Weg gelegt hätten?

Es kann nichts Erfreulicheres geben, als an drittem Ort werthen Personen zu begegnen, deren Nähe man niemals hätte ahnen können. Dergleichen unerwartete Ueberraschungen sind mir schon mehrmals zu Theil geworden. Eine solche war mir auch im Noviciat der Jesuiten zu Verona bereitet. Wie ich dort eintrat, sagte mir der Pater Rector, wirklich befinde sich der Erzbischof der Mechitaristen aus Wien bei ihnen; es werde ihm wohl angenehm seyn, mich zu empfangen. Der P. Rector wußte nicht, daß ich denselben von der Kaiserstadt her kannte, und es mir somit doppelt erwünscht seyn mußte, ihm meine Aufwartung zu ma chen. Der wohlwollende Prälat sprach aus der tiefsten Fülle seines Herzens von der Freude, die er bei der Nachricht meiner Rückkehr empfunden, und wie sein Dank gegen Gott so innig seye, als derjenige meiner bewährtesten Freunde. Er versprach mir, unverzüglich nach seinem Eintreffen zu Wien meinen Sohn rufen zu lassen und ihm von meinem Wohlbefinden Nachricht zu geben, da er sich wohl vorstellen könne, wie angenehm es demselben seyn werde, solche von Jemand, der mich getroffen, unmittelbar und bald möglichst zu vernehmen. Der Erzbischof säumte auch nicht, sein Versprechen zu erfüllen.


Bei der Ankunft in Botzen standen schon Pferde in Bereitschaft, um uns nach dem Ritten, dem Sommeraufenthalt der Botzner Familien, herauszutragen. Sie nennen denselben Sommerfrisch;[688] und wahrlich muß das Weilen in dieser Gebirgswelt, welcher die Abdachung gegen Süden einen mildern und dennoch nicht minder großartigen Charakter aufdrückt, als der entgegengesetzten der Abfall gegen Norden, das physische, intellectuelle und gemüthliche Leben gleichmäßig erfrischen. Mein Reisegefährte und ich fanden auf dieser herrlichen Bergeshöhe die herzlichste Aufnahme in dem gastlichen Hause des Hrn. Baron Giovanelli, gegen dessen Sohn ich mich in Rom aufs bestimmteste hatte verpflichten müssen, nicht durch Botzen zu reisen, ohne diesen Abstecher zu machen. Ich hatte auch den Eltern des Erfreulichen über denselben so viel zu berichten, gleichwie ich gegen ihn zu sehr mich verpflichtet fühlte, überdem durch meine Freunde in München längst schon mit dem Vater in zu naher geistiger Bekanntschaft stand, als daß nicht dieses Alles meinem eigenem Verlangen, diese in die persönliche übergehen zu lassen, hätte entgegenkommen sollen. Hier fand ich mich im Kreise, nicht allein der liebenswürdigsten, sondern zugleich einer wahrhaft katholischen Familie und im erkräftigenden Umgang mit einem Mann, dessen Ueberzeugungen und Weltansichten, in deren bedeutungsreichsten Beziehungen, zu den meinigen in vielfachem Einklang standen. In solchen Augenblicken und im Verkehr mit solchen, durch alle Macht des geistigen Wesens uns anziehenden Individualitäten können wir einer leisen Klage darüber, daß das Leben unter Kommen und Gehen, unter Zusammentreffen und Scheiden verlaufe, kaum uns erwehren; und doch wird hiedurch einzig die Vielseitigkeit und damit das Anmuthige desselben bedingt. – Als ich vor acht Monaten dieses schrieb, durfte ich freilich nicht ahnen, daß das persönliche Bekanntwerden mit diesem, damals noch lebenskräftig scheinenden Mann wirklich ein Kommen und Gehen für immer zu nennen und daß die Nachricht seines Hinscheids eine der ersten seyn würde, der ich bei meinem zweiten Besuche Roms begegnen mußte.

In dieser mit allen Herrlichkeiten der Natur ausgestatteten Gebirgswelt hätte leicht der Neid mich anwandeln können, dafern[689] ich demselben zugänglich wäre. Eine halbe Viertelstunde hinter der Häusergruppe, welche Klobenstein heißt, meist Wohnungen der Botzner Familien, in deren Mitte sie eine liebliche Capelle erbaut haben, liegt das Pfarrdorf, dessen Namen ich nicht mehr ganz sicher bin, daher ihn lieber unerwähnt lasse. Der Baron Giovanelli führte mich zu dem Geistlichen und hier in dem Pfarrhofe des einsamen Bergdörfchens, wohl 4000 Fuß über der Meeresfläche, fand ich eine Bibliothek, wie man sie in mancher Stadt, in mancher bedeutenden Abtei vergeblich suchen, nur höchst selten bei einem sehr begüterten und dabei wissenschaftlich hochgebildeten Privatmann finden dürfte. Ich spreche nicht von deren Umfang, welche ihren Besitzer nöthigte, oberhalb seiner Wohnung ein besonderes Haus bauen zu lassen, sondern von deren innerem Werth. Welchen grossen Sammlungen von Bibelerklärern, welchen Sammlungen von Urkunden oder Geschichtsquellen, wie d'Achery, Martene und Durand, Balutz u. dgl., welchen Kirchenvätern man nachfragen mag, sie alle, zusammt der Bibliotheca patrum maxima finden sich in der Bibliothek dieses Pfarrers, jene aber insgesammt in den besten Ausgaben, oft in den ausgesuchtesten Exemplaren. Ebenso fand ich mehrere Prachtwerke; aber nicht minder war die neuere theologische und historische Literatur, bis auf einige der bewährtesten Zeitschriften herab, vertreten. Der Besitzer dieses Bücherschatzes muß ein ungemeines Glück gehabt haben, umt dieses Alles zusammenbringen zu können; und er hat es nicht zusammengebracht als todtes Kleinod, sondern er lebt in seinen Büchern, läßt, was bei derartig Begüterten nicht immer der Fall ist, mit der wohlwollendsten Zuvorkommenheit auch Andere Gebrauch davon machen. Dabei kann man einen einfachern Mann, als diesen Pfarrer, kaum sehen, der um so merkwürbiger wird, wenn man weiß, daß er bis zu seinem neunzehnten Jahr buchstäblich weder lesen noch schreiben konnte, Beides erst in diesem zu lernen begann und darauf Studien machte, um zum Priester geweiht zu werden. Höchst wahrscheinlich sind die beiden nahen Bischofsstädte Trient und Brixen, höchstens Innsbruck, zugleich die[690] Endpuncte seiner Welt, über welche hinaus er in seinem Leben schwerlich je gekommen ist. Er zeigte eine kindliche Freude, als er mich mit solchem Interesse in seiner Bibliothek weilen sah, und schleppte Alles, was ich nur immer zu sehen wünschte, oder worauf zufällig die Rede kamt, mit der freudigsten Behendigkeit herbei; so wie ich meinerseits durch das schlichte Wesen, die Anspruchslosigkeit und unverkennbare Herzensgüte des Mannes ungemein angezogen mich fühlte. Hier in seiner Bibliothek, sagte er mir, finde er mit seinen Caplanen während der Abgeschiedenheit in den langen Wintertagen genügenden Stoff zur Beschäftigung, so wie zur gegenseitigen Unterhaltung.


Das Anmuthigste begegnete mir in Zirl, der ersten Poststation ausserhalb Innsbruck. Wir waren von da mit Tagesanbruch abgefahren und machten dort für einen Augenblick Halt, um schnell ein Frühstück einzunehmen. Gmür und ich befanden uns ganz allein in einem obern Zimmer. Beim Heruntergehen stand unter der Hausthüre ein Mädchen, wahrscheinlich die Tochter des Wirths, die mir mit auffallender Ehrerbietung die Hand küßte. Ich hielt es für Landessitte, und fand deßwegen nichts Befremdendes darin. Auf ähnliche Weise zog der Wirth, ein älterer Mann, die Mütze vom Haupt, und half mir ebenso in den Wagen. Kaum aber hatte ich mich gesetzt, so trat er näher und sagte mit gerührtem und doch zutraulichem Ton: »ich gratulire Ihnen.« Ich wußte rein nicht, was das bedeuten sollte, erwiderte daher: was es denn zu gratuliren gäbe? Da versetzte er: »Ja wir wissen Alles von Ihnen, wir haben Alles in den Zeitungen gelesen. Ich versichere Sie, ganz Tyrol ist voll Freude darüber.« Bei diesen Worten gieng mir ein Licht auf, wodurch diese ungemeine Zuvorkommenheit möchte bewirkt worden seyn. Anfangs fiel ein leiser Verdacht auf meinen Reisegefährten, er dürfte vielleicht mit dem Wirth über mich gesprochen[691] haben; allein er war nicht aus dem Zimmer gekommen. Es blieb daher nichts übrig, als die höchst wahrscheinliche Vermuthung, daß der Conducteur meinen Namen konnte genannt und hiedurch den Wirth zu solcher (wirklich rührenden und gewiß aus der Tiefe des Herzens hervorgehenden) Theilnahmsbezeugung veranlaßt haben.


Donnerstags Morgens, den 18. Juli, traf ich in St. Gallen ein, und fand dort bei dem apostolischen Vicar eben angekommene Briefe von Haus, welche von dem Nachricht gaben, was kurz zuvor in meiner Geburtsstadt gegen die Meinigen (eigentlich aber gegen mich gerichtet) vorgefallen war, zugleich mich beschworen, vorerst noch nicht heimzukommen. Auch darin, daß diese Briefe mir zukamen, durfte ich unverkennbar eine höhere Leitung verehren. Dießmal hatten die Zeitungen, welche gewöhnlich mehr wissen, als die Personen, mit denen sie sich beschäftigen, auch nur ahnen, mit dem völlig aus der Luft gegriffenen Bericht, ich würde den Rückweg über St. Gallen nehmen, mir einen Dienst erwiesen, woran sie nicht denken konnten. Mir war nichts weniger als dieses zu Sinn gekommen; vielmehr gieng meine Absicht schon in Italien dahin, von Feldkirch über Bregenz zu gehen, um sowohl dort, als in Constanz, werthe Bekannte zu besuchen. Noch auf dem Wege von Innsbruck stellte ich diesen Vorsatz allen Bemühungen meines Reisegefährten, ihn bis nach St. Gallen zu begleiten, entgegen. Einzig der Umstand, daß ich bis nach sieben Uhr des Morgens vier endlose Stunden in Feldkirch hätte zubringen, dann, im Ungewissen, ob ich bei meiner Ankunft in Bregenz oder in Lindau ein Dampfschiff zur Abfahrt bereit finden würde, an letztem Ort neuerdings in einer Stadt, in der ich Niemand kannte, verweilen müssen, bewog mich, den Weg über St. Gallen vorzuziehen und dort einen Tag auszurasten.[692]

Ohne dieß würde ich von allem Vorgefallenen schwerlich etwas erfahren haben, somit, ohne das Geringste zu ahnen, heimgekehrt seyn.

Aber es bedurfte der dringlichsten Vorstellung des apostolischen Vicars, um mich zu bewegen, der Stimme in den Briefen Gehör zu geben. Lange wollte mir scheinen, es könnte als Beweis der Schwäche und gewissermassen des Zweifels an der Rechtmässigkeit seiner Sache ausgelegt werden, wenn der Mensch bei Handlungen, worüber er keinen Andern Rede zu stehen habe, durch die er noch weniger den Rechten derselben oder ihren Personen zu nahe trete, durch Drohungen und selbst durch Manifestationen der rohen Gewalt sich einschüchtern, oder von dem zurückhalten lasse, wozu die Befugniß mit Grund durch Niemand ihm dürfe streitig gemacht werden. Am Ende wich ich seinen Vorstellungen, in Verbindung mit demjenigen, was die Briefe sagten. Ich pflege nemlich so zu urtheilen: der Mensch kann Gefahren oder auch empfindlichen Widerwärtigkeiten entgegengehen unter dreyerlei Modalitäten. Zuerst unbewußt und ohne es ahnen zu dürfen. Da muß er dieselben über sich losbrechen lassen, weil deren Abwendung nicht in seiner Macht steht; was dann aber kommen möge, er wird sich ungebeugten Sinnes erhalten bei dem Gedanken, daß nichts von ungefähr, nichts ohne höhere Zulassung geschehe, unter Allem ein heilsamer Zweck verborgen seye. Sodann kann es geschehen, daß er bei Befolgung der innern, alle untergeordneten Berücksichtigungen überragenden Stimme der Ueberzeugung, des Rechts, der Pflicht zwar deren Möglichkeit ahnet, doch ohne untrügliche Voraussetzung, daß diese werde zur Wirklichkeit werden; da sänke er zu den feilen Seelen herab, wenn jene Möglichkeit ihn auch nur für einen Augenblick im Unentschiedenen lassen, schwankend, wohl gar irre machen könnte. Die dritte Art der Verumständungen ist, daß er die Gefahren oder doch Widerwärtigkeiten sich bilden und unvermeidlich heranziehen sieht, ihnen aber nur unter Darangabe seines tiefsten und wesenhaftesten Seyns, oder dessen, wofür er einzustehen sich berufen fühlt, entgehen[693] könnte. Auch da kann die Wahl nicht zweifelhaft seyn, wird er der Behauptung von Jenem das Uebergewicht über alle Bedenklichkeiten einräumen. Anders hingegen verhält es sich, wenn Gefahren drohen dessen wegen, was nicht mehr in Frage kann gestellt, nicht mehr muß errungen werden, was bereits in die Wirklichkeit eingetreten ist. Sobald unter solchen Umständen Winke ergehen, warnende Stimmen sich vernehmen lassen, begründet auf Thatsachen, oder auf wohlerwogene Wahrnehmungen, da spricht in denselben wenigstens insofern eine höhere Stimme, als gänzliches Ausserachtlassen dem nachmaligen Vorwurf der Verblendung, des Starrsinns, der muthwilligen Selbstverschuldung und selbst den eigenen Vorwürfen eine nicht abzuweisende Handhabe darböten. Dieser Fall schien mir jetzt vorhanden, dieß bestimmte mich. Ich fand es am räthlichsten, vorläufig nach der Cartause Ittingen zu fahren, um meine Frau und meine Kinder, nach deren baldigem Wiedersehen ich seit dem Vorgegangenen um so sehnlicheres Verlangen in mir trug, dorthin kommen zu lassen.

Daß ich wohl daran gethan hatte, den Vorstellungen des apostolischen Vicars Gehör zu geben, dafür fand ich Bestätigung schon am folgenden Tage. Mein Jugendfreund, der vormalige Regierungsrath Stierlin, hielt sich gerade in seinen Besitzungen zu Wengi auf, durch welches die Straße von St. Gallen nach Schaffhausen führt. Er vernahm zufällig, daß ich auf dem Postwagen mich befinde, und ließ ungesäumt einspannen, um mir nach Frauenfeld nachzufahren, in der Voraussetzung, ich wüßte noch gar nichts von dem Vorgefallenen, mich daher dringlich zu bitten, ich möchte lieber mit ihm zurückkehren. Auch er stellte es mir als unverantwortliche Tollkühnheit vor, wenn ich unter der obwaltenden Stimmung geradezu heimkehrte, und machte mir den treugemeinten Vorschlag, umzuwenden und eine Zeitlang bei ihm zu verweilen. Er war ganz beruhigt, als ich ihm mein Vorhaben mittheilte, nach Ittingen gehen und dort mit den Meinigen zusammentreffen zu wollen.

War es mir schmerzlich, daß das mit so schmählichem Unfug[694] Unternommene gegen durchaus Unbetheiligte, gegen Solche, die weder auf die unabweisliche Entwicklung meiner Ueberzeugungen einen Einfluß zu üben vermochten, noch, was diese geboten, zu fördern oder zu hindern im Stande waren, vollführt wurde; hätte ich selbst wünschen mögen, man möchte sich in der Voraussetzung meiner bereits erfolgten Rückkehr nicht getäuscht haben, da ich den geistigen Muth, auch dem Schlimmsten so leicht nicht zu weichen, mir wohl zutrauen durfte, so beruhigte mich doch die Ruhe und Fassung, mit welcher mir am andern Tage, alsbald nach der ersten Freude des Wiedersehens, meine Frau über das Vorgefallene Nach richt gab. Es geschah in solcher Art, daß ich anfangs eine weit mildere Vorstellung von demselben mir machte, als nachher, wo ich mit den Einzelnheiten genauer bekannt und es erst mir möglich wurde, in den Geist hineinzublicken, der dazu, wozu man sich berechtigt hielt, antrieb. Hier aber hatte ich den, seines Ursprungs wegen mir sonst verhaßten Ausdruck einer »augenblicklichen Verirrung« anwenden mögen. Ich meinte in der Voraussetzung mich nicht zu täuschen, daß bei zurückgekehrter, ruhiger Ueberlegung doch die Einsicht die Oberhand gewinnen dürfte, daß es besser und vielleicht ehrenhafter würde gewesen seyn, wenn Solches unterblieben wäre. Die spätere Zeit hat mich auch hierin eines Andern belehrt. Welche Factoren vorzüglich dazu mitwirkten, mag unerörtert bleiben. Ehrliche Mittel wurden nicht immer angewendet, und die Wahrheit mußte zwischenein als ein Ding sich behandeln lassen, was in vorkommendem Fall und zu beabsichtigtem Zweck unbedenklich auf die Seite dürfe geschoben werden. Daß ich aber von Anfang an und fortwährend Alles, wozu man sich berechtigt glaubte, milder beurtheilte, als vielleicht vermuthet werden mag, und auch mein Urtheil unverändert so geblieben ist, das verdanke ich einzig dem Einfluß dessen, was so wenig begriffen werden konnte, daß es zum Beweggrund des Unternommenen geworden ist.[695]

Das Innere des Menschen ist ein Heiligthum, in welches Niemand hineinzublicken vergönnt ist. Es ist eine Werkstätte, in welcher er selbst, unbelauscht von Andern, seine Arbeit verrichtet. Diese können Kenntniß nur von demjenigen erlangen, was er selbst zu ihrer Kunde zu bringen geneigt seyn mag. Ueber dessen Beschaffenheit, über dessen Werth oder Unwerth mögen sie alsdann nach Belieben urtheilen; wie es aber geworden, welche Kräfte dabei mitgewirkt, was darauf fördernden oder hindernden Einfluß geübt, darüber müssen sie im Dunkeln bleiben; wollen sie dennoch ein Urtheil sich erlauben, so wird es in den meisten Fällen ein unvollkommenes, ein einseitiges, ein höchst gewagtes, daher nicht minder ein irriges, als ungerechtes seyn. In dieser verborgenen Werkstätte (in welche ich in diesen Blättern einen Blick eröffnet habe) wurde unter manchartigen Einflüssen, unter Zusammenwirken verschiedener Kräfte, unter lange dauerndem Bemühen zu Stande gebracht, was am 16. Juni ans Licht trat. Wie dieses würde beurtheilt werden, hierüber konnte ich um so weniger im Zweifel stehen, je gewagtere Behauptungen, je unreifere Urtheile, je albernere Voraussetzungen über mich zu belächeln ich seit langer Zeit her vielfältig Veranlassung gehabt hatte.

Bei der gänzlichen Unkenntniß, welche in Bezug auf die katholische Kirche unter den Protestanten ins gemein herrscht; bei den Vorurtheilen, die sie gleichsam mit der Muttermilch gegen dieselbe einsaugen, und worin sie heranwachsen und erstarken; bei der Abneigung, um nicht zu sagen Haß, der durch so mancherlei Mittel in ihnen genährt wird, durfte ich wohl erwarten, daß meine Rückkehr in diese Kirche jenen Angewöhnungen gemäß würde beurtheilt und zur Veranlassung von Mißstimmung und Widerwille gegen mich werden. Dieß um so mehr, je weniger irgend Jemand in die innere Unausweichlichkeit dieser Rückkehr hineinzublicken vermochte, dagegen die ehevorigen Verhältnisse vor Zedermanns Augen stunden. Es hätte mich weit mehr befremden können, wenn dieses anders gewesen wäre. Ueber die Gestaltung und das Maß dessen,[696] was geschehen ist, will ich nicht rechten; über die Elemente, welche dazu sich zusammenfanden, keine Vermuthungen anstellen; die innere Berechtigung derjenigen, welche bei der äussern Entrüstung am entschiedensten sich erwiesen, nicht untersuchen, und am wenigsten nach den Personen oder Beweggründen derjenigen fragen, welche dergleichen zu bewerkstelligen oder hintennach in Schutz zu nehmen, vielleicht auch später von Neuem hervorzurufen sich bemühten. Weder gegen diejenigen, welche ihre Gewissensfreiheit, ihre geläuterte Einsicht in Glaubenssachen, ihre politische Freisinnigkeit und den Werth dieser und aller andern Kleinode auf solche Weise ins Licht setzen zu können, noch gegen diejenigen, welche eine Rückkehr zu der katholischen Kirche, die einst auch ihrer Väter Haus war, einen »Abfall vom Glauben« nennen zu dürfen vermeinen, könnte ich den mindesten Unwillen in mir tragen, wohl aber Bedauern mit den Einen wegen solchen Widerspruches zwischen Wort und That, mit den Andern wegen der Leichtfertigkeit, Behauptungen auszusprechen, deren ganzes Gewicht zuerst wider sie sich wenden ließe, mit Beiden über Unkenntniß und Vorurtheil, welche die Quelle jeder Verirrung und aller Bitterkeit sind und bleiben werden, so lange man dieselben für etwas Wesenhaftes halten mag.

Jedenfalls konnten Erfahrungen und Wahrnehmungen solcher Art nicht dazu dienen, das geringste Bedauern zu wecken, aus Verhältnissen ausgetreten zu seyn, welche die Beweise, daß sie die würdigern und befriedigendern seyen, durch dergleichen Bethätigungen überzeugend führen zu können wähnen; wiewohl ich, um nicht ungerecht zu seyn, eine vorherrschend mitwirkende Veranlassung hiezu in den allgemeinen Zuständen eines Theils des schweizerischen Volkes und derjenigen Mittel, welche dasselbe immer tiefer hinabzuarbeiten sich bestreben, anerkennen muß. Gegentheils haben diese Erfahrungen und Wahrnehmungen mich zu innigerem und lebendigerem Dank gegen die göttliche Führung veranlaßt, die zu jener Verbindung mich zurückleitete, welche über alle Zeit und allen Raum sich erstreckt,[697] und zu innerer Erleuchtung, Erkräftigung und Beruhigung einen so unendlichen Reichthum ihr von oben zugetheilter Kräfte und Mittel darbietet. Kräfte und Mittel, deren hochmüthiges und frevelhaftes Verschmähen solches Zerreissen vieler segnenden Bande, so beklagenswerthe Zertrennug, so bittern Unfrieden, so schweren Haß, so stolze Anmaßung, so schnödes Selbstvertrauen, so freche Unfügsamkeit hervorgerufen und so Viele auf eine Bahn geworfen hat, auf welcher sie als Irrsterne dem Dunkel entgegenlaufen.

Wer weder aus Nebenansichten, sondern in tiefem Verlangen, weder in eilfertiger und unüberlegter Hast, sondern nach langer Vorbereitung, weder durch äussern Schein geblendet, sondern in innerer Gewißheit in das Haus des Vaters, welches einst die Vorväter leichtfertig verlassen haben, aus welchem vielleicht auch manche derselben unter dem Zwang der rohen Gewalt sind vertrieben worden (denn wer mag dafür einstehen, daß sein Urältervater, der in jener stürmischen Zeit gelebt, nicht lieber in dem Vaterhause geblieben wäre?), der ist dahin gekommen, jedem scheelen Blick, jeder Verunglimpfung, jeder Drohung, selbst aller Gewaltthat heitern Gemüthes entgegenzurufen: Wer wird von Christi Liebe uns scheiden? Drangsal oder Noth, Gefahr oder Verfolgung? Bin ich doch gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder das Gegenwärtige noch das Künftige, weder Hohes noch Tiefes, noch irgend ein Geschaffenes uns von der Liebe Gottes, welche in Christo Jesu, unserm Herrn, ist, uns wird scheiden können.« Aber ebensowenig wird dieß Alles uns scheiden können von der Kirche, die, als seine Braut, Eines ist mit ihm, und die, wie aller seiner Güter und Gaben, also auch der von ihm ausgehenden und zu ihm zurückzielenden Liebe ihrem ganzen Vollgehalt nach theilhaftig ist, und in solchem Besitz als unsere Mutter sich bewährt, als eine fürsorgende, gnadenvolle, nimmermehr ihrer Kinder vergessende Mutter; welche überall sie geleitet, zu jeder Zeit sie schirmt, treulich Acht hat, daß die ihrer Hut sich Uebergebenden[698] von dem Wege, der zu des Vaters Haus führt, nicht ablenken.

Auf diesem aber wird, weil durch selbsteigene Erfahrung bestätigt, nimmer meiner Erinnerung entfallen das Wort, welches vor nicht langer Zeit eine Frau zu mir gesprochen hat, die, ebenfalls dem innern Verlangen, zur Kirche zurückzukehren, folgend, sorgenfreyen Wohlstand an ungewisse Abhängigkeit vertauschte. »Seit ich der Kirche angehöre, sagte sie, werde ich es inne, daß der liebe Gott, wenn er auf der einen Seite mir einen Backenstreich giebt, auf der andern an Liebkosungen es nicht fehlen läßt.«[699]

Fußnoten

1 Man sehe über diesen Gebrauch: Binterim, die vorzüglichsten Denkwürdigkeiten der christkatholischen Kirche Th. 4, Bd. 3. S. 366 ff.


2 In den Verzeichnissen wird man zwar ausser dem lombardisch-venetianischen Königreich sämmtliche Staaten des Hauses Oestreich vermissen, was aber daher rührt, weil in diesen die Leopoldinen-Stiftung als ähnlicher Verein zu gleichem Zwecke thätig ist.


3 Z.B. Wilhelm Guyart in seiner Reimchronik sagt ausdrücklich:


-li Rois mit en sa Chapele,

Que S. Loys fist tele faire,

Qu'a tout le monde devroit plaire,

Le chief de lui.


4 Dasselbe ist so wie die Schrift von Vedrine in deutscher Uebersetzung in der Hurter'schen Buchhandlung er schienen.


5 Dieselbe erschien 1845 in der Hurter'schen Buchhandlung.


6 Schaffhausen 1846. Hurtersche Buchhandlung.


Quelle:
Hurter, Friedrich: Geburt und Wiedergeburt. Erinnerungen aus meinem Leben und Blicke auf die Kirche. Schaffenhausen 1849.
Lizenz:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon