Besuche.

[19] Während uns die Vorstellung hauptsächlich mit einzelnen Personen bekannt macht, dient der Besuch dazu, diese Bekanntschaft fortzusetzen. Besonders bedient man sich auch des Mittels der Visite, um ein näheres Bekanntwerden und den Umgang mit einer Familie anzustreben. Nach der Veranlassung unterscheidet man: Konvenienz- oder Höflichkeitsbesuche, Kondolenz- oder Beileidsbesuche, Abschieds- und Geschäftsbesuche.

Der Konvenienzbesuch hat den Zweck, jemandem unsere Hochachtung zu bezeugen, in einem gegebenen Falle unsern Dank auszudrücken oder in einem Kreise bekannt zu werden, der uns bisher verschlossen war. Vornehmlich kommen junge Herren, welche sich hochgestellten Personen, Vorgesetzten oder Gönnern empfehlen wollen, in die Lage, derartige Besuche machen zu müssen. Sie erscheinen in vollständiger Toilette. Frack, weiße Halsbinde, neuer Hut, tadellose hellfarbige, aber nicht weiße Handschuhe, feine Stiefel, tadellose Wäsche. Zur passenden Stunde, die man vorher erkunden muß, begiebt man sich in die Wohnung oder das Büreau der betreffenden Respektsperson und läßt durch den Bedienten eine Visitenkarte zur Anmeldung übergeben. Wird der Besuch angenommen, so tritt [20] man mit dem Hut in der Hand ein und zieht vor allem die Handschuh nicht aus. Man verbeugt sich achtungsvoll vor dem im Zimmer Anwesenden oder erst Hineintretenden, bleibt in ehrerbietiger Stellung einige Schritte entfernt von ihm stehen, blickt ihn gerade an und trägt mit kurzen Worten den Zweck seines Besuches vor.

Es empfiehlt einen jungen Mann sehr, wenn er sich im Gespräch klar, bescheiden und ruhig, ohne Ängstlichkeit und Schüchternheit zeigt. Wird man aufgefordert Platz zu nehmen, so thut man dies ohne weitere Umstände und betrachtet eine solche Einladung gleichsam als Befehl, richtet sich jedoch so ein, daß die besuchte Person sich zuerst setzt. Man legt den Hut nur ab, wenn man dringend dazu aufgefordert wird. Dann gehorcht man rasch und schiebt den Hut unter den Tisch oder setzt ihn neben sich auf die Erde; niemals aber darf derselbe auf dem Tisch placiert werden. Bei hochgestellten Personen muß der Besuch möglichst kurz sein, denn sie haben in der Regel wenig Zeit oder sehen es doch gern, wenn man glaubt, daß ihnen jeder Augenblick kostbar ist. Die Dauer einer derartigen Aufwartungsvisite beträgt höchstens 10 bis 15 Minuten. Man ersieht sich einen geeigneten Zeitpunkt, in welchem man sich erhebt, sich abschiednehmend verneigt und möglichst rückwärts schreitend, die Thür zu gewinnen trachtet. In der Thür verbeugt man sich noch einmal und schließt dieselbe geräuschlos.

Über die Zeit, wann Vorstellungsbesuche bei Respektspersonen, Vorgesetzten oder Gönnern stattzufinden [21] haben, lassen sich allgemein giltige Vorschriften nicht geben. Ist das Amts- oder Geschäftslokal der betreffenden Herren der Ort der Visite, dann entscheiden naturgemäß die Amts- oder Geschäftsstunden über die Zeitfrage. Findet der Besuch in der Wohnung statt, so ist es schicklich, ein bis zwei Stunden vor der Hauptmahlzeit zu erscheinen, etwa von 11–1 Uhr mittags.

Zu den Höflichkeitsbesuchen rechnen auch die sogenannten Antrittsvisiten nach einem Domicilwechsel. Ist man im neuen Wohnorte eingerichtet und hat sich nach den Persönlichkeiten erkundigt, die für einen künftigen gesellschaftlichen Verkehr in Betracht kommen können, so beginnt man dieselben bei der höchstgestellten Person. Wo eine Frau des Hauses anzutreffen ist, begleiten den Verheirateten natürlich seine Frau und auch wohl erwachsene Töchter. Erwachsene Söhne pflegen im Hause des Vaters seltener zu verweilen, oder treten auch wohl selbständig auf. – Erwidert wird ein solcher Besuch in gleicher Weise. Wünscht man mit denjenigen, die uns einen Antrittsbesuch gemacht haben, in näheren Verkehr zu treten, so läßt man seinem baldigen Gegenbesuch eine Einladung folgen. – Ein fernerer Anlaß zu einem Konvenienzbesuche ist die Abstattung eines Dankes für einen erwiesenen wichtigen Dienst, und nur in zwingendem Verhinderungsfalle kann an die Stelle eines persönlichen Besuches ein schriftlicher Dank treten. Glückwünsche bei Standeserhöhungen oder sonstigen Auszeichnungen bringt man ebenfalls persönlich dar. Dem Vorgesetzten und vornehmen Freunde macht[22] man nach seiner Rückkehr von einer längeren Reise einen Besuch. In größeren Städten kommt es wohl vor, daß ein junger Mann auf Empfehlung eines Mitgliedes der Familie oder eines vertrauten Hausfreundes eine Einladung zu einem Balle in einer Familie erhält, in welcher er persönlich nicht bekannt ist. In einem solchen Falle verlangt es die Pflicht des Anstandes, daß er gleich nach erhaltener Einladung oder spätestens zwei Tage vor dem Balle in den üblichen Besuchsstunden seine Visite in diesem Hause macht, sich dem Herrn und der Frau vom Hause und den erwachsenen Mitgliedern selbst vorstellt, oder durch die Vermittlungsperson, vorstellen läßt. Nur in dem Falle, wenn er niemand zu Hause getroffen und seine Karte zurückgelassen hat, kann er sich erst am Ballabende dem Wirte und der Wirtin vorstellen oder vorstellen lassen. Ferner wird in dem Hause ein Besuch abgestattet, in welchem man wenige Tage zuvor als geladener Gast erschien; auch der Dame, welche man zum Balle geführt hat, macht man am nächsten oder zweitfolgenden Tage einen Besuch, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Ebenso sind Konvenienzbesuche nach glücklich überstandener Krankheit bei denen angezeigt, welche sich teilnahmsvoll nach unserm Befinden erkundigt haben; andererseits besucht man wieder Rekonvalescenten, deren Zustand die Annahme von Besuchen gestatten.

Kondolenz- (Trauer-) Visiten müssen natürlich in schwarzer Kleidung und ungefähr acht Tage nach dem Ereignis abgestattet werden. Sie verlangen im allgemeinen viel Takt. Daß man [23] bei denselben einen angemessenen Ernst beobachtet und seine Teilnahme in passenden Worten auszudrücken hat, ist selbstverständlich. Man giebt am besten sein Beileid durch einen Händedruck und in wenigen Worten zu erkennen und sucht dann das Gespräch auf andere Gegenstände zu leiten, was besonders dann angebracht ist, wenn der Verstorbene uns weniger näher stand.

Abschiedsbesuche hat man persönlich nur bei denjenigen zu machen, mit denen man näher bekannt geworden oder öfters Besuche gewechselt hat; bei andern genügt eine Karte.

Bei einem Geschäftsbesuche, wie ihn der geschäftliche Verkehr mit sich bringt, hat man hinsichtlich des Anzuges und der Zeit nicht so ängstliche Rücksichten zu nehmen. Da hier der Grundsatz: »Zeit ist Geld« mehr als sonstwo gilt, so befleißige man sich der größtmöglichsten Kürze und Klarheit und vermeide geflissentlich alle Weitschweifigkeiten. Daß uns aus einem empfangenen Besuche, mit Ausnahme der Abschieds- und Geschäftsbesuche, die Pflicht eines Gegenbesuches erwächst, braucht wohl kaum gesagt zu werden.

Nachdem nun die Veranlassungen zu Besuchen angeführt sind, erübrigt uns noch, einiges allgemein Gültiges über diese selbst zu sagen. –

Die Anmeldung eines Besuches geschieht entweder mündlich durch die Bediensteten des Hauses oder durch Überreichung unserer Visitenkarte. Selbst meldet man sich durch Anklopfen an, nach welchem das »Herein« abzuwarten ist. Hat man im Vorzimmer zu warten, so darf man sich in diesem [24] frei bewegen, sich setzen oder ans Fenster stellen, die an den Wänden hängenden Bilder betrachten, auf dem Tische liegende Bücher und Albums besichtigen und sich so in angemessener Weise die Wartezeit verkürzen. Werden wir aber ins Empfangszimmer geführt und ist der zu Besuchende noch nicht anwesend, so bleibe man ruhig in einiger Entfernung von der Thüre stehen, ohne etwas anzurühren oder eingehend zu betrachten. Beim Eintritt des Besuchten gehe man ihm gemessenen Schrittes entgegen, verneige sich und komme auf den Zweck des Besuches, wenn ein bestimmter uns hingeführt hat. Sonst muß die Begrüßung ohne Zwang in die Unterhaltung übergehen. Harmloses Plaudern ist die Seele, rechtzeitiger Aufbruch der Triumph angenehmer Besuche. Nur bereite man letzteren nicht dadurch vor, daß man auf die Uhr sieht, sondern merke auf den leisen Schlag unseres Taktgefühls. Bei Großen und Vornehmen sei man auf jedes Zeichen aufmerksam, welches einen Wunsch nach Beendigung des Besuches ausdrücken könnte. Das Aufstehen des Besuchten, ein Sehen nach der Uhr, oder nach der Thür, die Mitteilung, daß noch ein Ausgang oder dringende Arbeit zu machen sei, sind Zeichen, welche uns zum sofortigen Aufbruch veranlassen müssen. Kommt während unserer Anwesenheit neuer Besuch, so verabschiede man sich bald nachher, aber nicht sofort, was eine Unhöflichkeit gegen den Ankommenden wäre. – Wird man aufgefordert Platz zu nehmen, so thue man dies ohne Umstände, nur nehme man als Herr nicht auf dem Sofa Platz und überhaupt [25] stets, nachdem der Besuchte sich zuerst gesetzt hat.

Wird unser Besuch nicht angenommen, so zeige man darüber durchaus keine Empfindlichkeit. Hat man seine Karte bereits abgegeben, so entferne man sich gleich; im andern Falle lasse man dieselbe zu rück, um seine Anwesenheit und Absicht zu beweisen. Niemals darf mau sich mit seinen Besuchen aufdrängen oder dieselben so oft wiederholen, daß sie lästig werden könnten. Für den an Umgang mit guter Gesellschaft gewöhnten Menschen, giebt es untrügliche Zeichen, an welchen man erkennen kann, ob unsere Anwesenheit angenehm ist. Größere oder geringere Herzlichkeit, die uns entgegengebracht wird; ein Bedauern, daß man sich so selten mache oder lange nicht habe sehen lassen; ein gänzliches Sich-Widmen für die Zeit des Besuches; eine herzliche Bitte, denselben zu verlängern oder baldigst zu wiederholen; ein baldiger Gegenbesuch: das sind alles Beweisführungen, daß man gern gesehen wird.

Zum Schlusse noch ein kurzes Wort über die Pflichten der Besuchten. Jeder Besucher hat Anspruch auf eine ausgesuchte Höflichkeit; ob sich diese zu einer intimen Vertraulichkeit steigern darf, das hängt freilich von den persönlichen Verhältnissen ab. Ist man jemandem mehr oder minder herzlich zugethan, so wird man ihm beim Empfange freundschaftlich die Hand drücken oder sich nur höflich gegen ihn verneigen und ihn dann zum Sitzen einladen. Selbst wenn man jemandem abgeneigt wäre, so würde es eine unverzeihliche Taktlosigkeit [26] sein, der betreffenden Person hiervon das geringste merken zu lassen. Man darf wohl kühl, aber niemals unhöflich sein. Wird von vornherein alles Steife und Ceremonielle verbannt, so werden sich beide Teile natürlich bewegen und angenehm unterhalten. In der Unterhaltung sei man freundlich und zuvorkommend und suche dieselbe auf Gegenstäude zu leiten, die den Besuchenden interessieren. Man halte für seine Aufgabe, den Gast und nicht sich selber zu unterhalten, sage ihm freundliches und angenehmes, ohne in Schmeichelei und Lobhudelei zu verfallen. Dem Gaste, namentlich bei einem ersten Besuche, etwas zu genießen anzubieten, gilt nicht für fein; höchstens darf der Hausherr einem Raucher eine Cigarre anbieten, falls keine fremden Damen zugegen sind.

Quelle:
Junker, Franz: Das feine Benehmen in Gesellschaften. Styrum, vorm. Oberhausen [1887], S. 19-27.
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