XI.

[86] Nachdem ich allmählich begann, mich in der Gunst des Stuttgarter Publikums festzusetzen, und auch von oben mit gnädigeren Augen angesehen wurde, veranlaßte Frau Schröder-Hanfstängl die Intendanz, mich als Onkel Bräsig auftreten zu lassen, mit welcher Rolle ich in Bremen und Breslau große Erfolge erzielt hatte. Ich glaubte mir Publikum und Presse durch die Aufführung des »Onkel Bräsig« zu verpflichten. Statt der auch hier erwarteten Erfolge ging die Vorstellung so ziemlich spurlos vorüber. Keine Recension erschien in den Tagesblättern, mit Ausnahme einer einzigen in dem damaligen Intelligenzblättchen, in welcher es unter anderm hieß: »Wir begreifen nicht, wie Herr Junkermann diese schöne Reutersche Figur so in den Kot ziehen konnte.«

Je schweigsamer sich die Presse dieser Leistung gegenüber verhielt, desto lebhafter urteilte das Publikum. Wo ich mich mir blicken ließ, hieß es: »Wie könnet Se so was spiele? Dös ischt nix für Sie. – Solche Experimente müsset Se net mache, damit schade Se sich nur!« und Bräsig verschwand wieder vom Repertoir.

Aber an auswärtigen Bühnen gastierte ich in der Rolle fort, der Intendant Wehl ließ sie mich dann auch wohl noch auf der Stuttgarter Hofbühne spielen, aber mein Erfolg in dieser Rolle datiert von Wien. Eine Krisis in des Wortes voller Bedeutung für mich war mein dortiges Reuter-Gastspiel im Jahre 1877. Wie seinerzeit Heinrich Sontheim eigentlich erst von der Warte der Wiener Hofoper aus einem größeren Publikum sichtbar wurde,[87] wie von hier aus sich erst sein größeres Renommee verbreitete, so wurde auch ich durch den in Wien errungenen Triumph und durch die von dort in alle Welt hinausgelangenden Berichte eigentlich erst als Reuter-Spezialität in die Welt eingeführt, autorisiert und beglaubigt. Reuters Witwe sandte mir nach Wien folgenden Brief:


Eisenach Villa Reuter 27. Juni 77.


Hochverehrter Herr!


Eben erhalte ich die Besprechung der Aufführung des »Zacharias Bräsig«. Ich weiß nicht, wem ich diese Liebe zu danken, ob der Güte des Herrn Redakteurs der »Neuen freien Presse« oder Ihnen, verehrter Herr, von dessen naturwüchsiger Darstellung des Bräsig ich schon von Frankfurt aus so Anerkennendes gehört. Wer es nun auch sei, der daran gedacht, die Lebensgefährtin des Geschiedenen zu erfreuen – ich danke herzlich für diese Güte, und wünsche sehnlichst, den Meisterdarsteller der Figur meines Mannes zu sehen und zu hören, von welch letzterer er während des Schaffens oftmals freudig bekannte: »ich glaube, der Bräsig ist nicht übel.« Also nochmals herzlichsten Dank, verehrter Herr, und berührt Ihr Weg einmal Eisenach, nehmen Sie bitte Quartier in der Villa Reuter.

Hochachtungsvoll

Louise Reuter,

geb. Kuntze.


Nach meinem Wiener Erfolge wendete sich auch in Stuttgart das Blatt, denn als ich zurückkam und als Onkel Bräsig wieder auftrat, war das Haus ausverkauft und ich wurde mit Beifall überschüttet.

Ebenso erging es mir mit den Reuter-Vorlesungen. In Stuttgart herrscht, wie überall, die Sitte, Künstler zu geschlossenen Gesellschaften hinzuzuziehen, um dort etwas vorzutragen. Nur wird der Künstler nicht eingeladen, wie das in anderen Städten der Fall ist, sondern man engagiert ihn für ein Honorar – was ja auch sein Gutes hat.

Nachdem ich schon alle meine humoristischen Vorträge bei derartigen Gelegenheiten verbraucht hatte, las ich »Fritz Reuter«. Ich milderte das Plattdeutsche soweit, daß es auch für süddeutsche[88] Ohren verständlich war, aber ich fiel selbst mit dem »Missingsch« noch gründlich ab, ja, man ersuchte mich sogar, die Reutervorträge zu unterlassen, weil doch keine Spur von Humor darin sei. Als begeisterter Verehrer Fritz Reuters wurde ich natürlich von einem derartigen absprechenden Urteile aufs tiefste verletzt. Ich beschloß, mich zu rächen. Der nächste Familienabend in der »Bürgergesellschaft«, zu welchem ich engagiert war, kam heran. Mit vieler Mühe hatte ich einige Gedichte aus: »Läuschen un Rimels« ins Hochdeutsche übertragen und annoncierte: »Was sich der Kuhstall erzählt« von C.A. Görner, »Jochen Päsel, was bist du für ein Esel« von Saphir, »Hier geht er hin – da geht er hin« von Schmidt-Cabanis u.s.w. und erzielte mit dem Vortrag dieser Sachen einen bedeutenden Erfolg. »Sehe Se,« hieß es, »dös ischt doch ganz was anders, do ischt doch Humor drin, sowas müsset Se vortrage, Reuter ischt nix für Sie, das müsset Se aufgebe. Leset Se nur immer solche Sache wie heute, dann werdet mir Se immer mit Vergnüge höre.« Stillvergnügt nahm ich alle Lobeserhebungen in Empfang, die ja doch meinem lieben Fritz Reuter galten, der – entkleidet seines Sonntagsgewandes der plattdeutschen Sprache, die seine Werke noch fesselnder macht – doch noch durch seinen sprühenden Witz und Humor alle Herzen zu gewinnen vermochte. Es machte mir den größten Spaß und entschädigte mich für allen ausgestandenen Aerger, die langen Gesichter zu sehen, als ich mit der Erklärung herausrückte, daß auch diese Vorträge von Reuter seien. – –

Am Hoftheater sah es für mich immer noch öde aus, ich fand keine rechte Beschäftigung in meinem künstlerischen Berufe, da die Herren Regisseure noch immer die Rollen, die mir zukamen, krampfhaft fest hielten. Auch mit der Gunst meiner Herren »Oberen« wollte es noch immer nicht so recht vorwärts gehen, wie ich es wünschte. Vielleicht machte ich von dem Vorrecht des Komikers, im Leben ein Melancholiker zu sein, etwas zu ausgiebigen Gebrauch; wenigstens sagten mir meine intimsten Kollegen, daß wenn ich, wie »Mack im Königslieutenant«[89] sagt, meine »Misegine« hätte – ich mit einem Gesicht wie dem meinen Paradiese austeilen könnte und selbst im Reiche der Verdammnis keinen Käufer finden würde. Thatsache ist, daß mir ein gewisser mißvergnügter (muffiger sagt meine Frau) Gesichtsausdruck eigen ist. Ich kann nichts dafür, daß ich immer wie Lottchen Mißvergnügt aussehe, aber das weiß ich, daß mir mein unglückseliges Gesicht schon oft geschadet hat.

Ob nun meine krampfhafte Zurückgezogenheit oder obengenannter Umstand schuld war, ich weiß es nicht. Zu meinen Vorgesetzten ging ich nur, wenn ich dienstlich dazu gezwungen war, und so hatte ich z.B. nie Gelegenheit, einem der »ästhetischen Thees« oder »Kaffees« des Herrn Hofrat Wehl beizuwohnen.

Doch anderen Tages im Konversationszimmer hörte ich darüber genaue Berichte! Dies besagte Zimmer in Stuttgart führt den Namen Konversationszimmer – in Wahrheit ist es aber das Möbelmagazin, für welchen Zweck es, weil es so nahe an der Bühne gelegen, außerordentlich geeignet. Die Hofschauspieler dürfen aber, wenn der Möbel nicht zu viel darin stehen und diese nicht zu hoch aufgetürmt sind, hineingehen – in ihr Konversationszimmer.

Es gibt kein Völkchen, welches sich schärfer kritisiert, und seine gegenseitigen Schwächen schneller weg hat, als die – Komödianten! Täglich kommen sie zusammen, täglich kommen sie in Berührung und – Reibung mit einander und lernen sich gründlich kennen. O wenn die Wände eines Hoftheater-Konversationszimmers, recte Möbelmagazins, reden könnten! Es ist gut, daß ihnen das Sprichwort nur Ohren gibt!

Wenn wir anderen Tages nach einem solchen »Aesthetischen« im »Möbelmagazin« zusammen saßen, da erfuhren wir den verflossenen Abend oft bis auf die kleinsten Details. Außer Adolf Wentzel, Dr. Pockh, Dr. Löwe, Fräulein Steinau, meiner Frau und meiner misanthropischen Wenigkeit besuchten Alle den Wehl'schen Kaffee. Die »Neuengagierten« lieferten das weitaus größere Kontingent.War der Regisseur dort, so paßte derselbe natürlich wie ein Luchs auf, daß kein mißvergnügtes Mienchen, kein verstecktes Beklagen der »Neuen«, oder was ihm sonst etwa nicht in den Kram paßte, die Harmonie der geselligen Zusammenkünfte störte. Aber sonst konnte jeder seinen eigenen Bewerbungen nachgehen. Hierzu eigneten sich diese Thees ganz besonders, und sogar das uns allen ans Herz gewachsene »Puttchen« spielte da, mitgefangen mitgehangen, seine kleine Privatkomödie. Puttchen war unsere sehr strebsame, noch sehr junge Naive. Man erzählt sich, daß sie in jugendlich warmer Begeisterung für die Kunst öfters abends nur ein trockenes Brötchen gegessen habe, da ihre Gage anfangs noch sehr klein war. Viele Schauspielerinnen müssen sich ähnliche kleine Opfer auferlegen, die lächerlich klingen, und doch einen recht ernsten Hintergrund haben: die Toiletten! Dies eine Wort verschlingt Gage, Erspartes und oft auch noch die Ehre dazu. Ja, ja, wir alten Praktiker wissen es, wenn wir eine so recht chike Toilette sehen, was sie oft an Thränen und Entbehrungen gekostet hat, und während die Herren der Bühne noch an manchen Hoftheatern alles in einem dem Urvater Hausrat entnommenen Frack mit den bekannten goldenen Knöpfen spielen, die Damen müssen mit der Mode gehen und haben es in dieser Beziehung unendlich schwer. Doch ich unterdrücke jede weitere Bemerkung über diesen Punkt, obgleich ich, namentlich noch von meiner Frau her, die neben ihren Soubrettenrollen auch das »Fach der Toiletten,« die Anstandsdamen, in Stuttgart spielte, genaue Kenntnis und zugleich heiligen Respekt vor dem Wort »Damengarderobe« habe.

Bei den Thees wurden öfters Stücke des Herrn v. Wehl vorgelesen, die aus unbekannten Gründen nie das Licht der Lampen erblickten, aber in diesem edlen Kreise natürlich die höchste Anerkennung fanden; ja wenn sich nicht Einer vor dem Anderen geniert hätte, ich glaube, sie würden mit einem heimlich eingeschmuggelten Lorbeerkranze noch des Dichters Schläfe bekränzt haben. »Puttchen« wollte nun immer beim Lesen ihrer[92] Rolle außer sich vor Wonne geraten: »Wie reizend, nein, zu himmlisch«, oder auch mit naivstem Augenaufschlag: »Wie müßte das erst auf der Bühne wirken!« Wir alle kannten ja Puttchen als liebenswürdige Natur, die als Sächsin mit »Europens übertünchter Höflichkeit« sogar die Theaterbediensteten überschüttete. Wer kennt nicht in Stuttgart die Theaterkutsche, die kreuz und quer durch die Straßen der Residenz fährt, um die Bühnenkünstlerinnen zur Probe und Vorstellung abzuholen! Wieviel » Stück« sind denn drin? war beim Einsteigen der Damen die stehende Redensart des biederen Rosselenkers, eines Beamten aus dem königlichen Marstalle, dem es immer sehr wohl that, wenn unser Puttchen allabendlich nach der Nachhausefahrt sagte: »Gute Nacht, lieber Herr Kutscher, ich danke recht schön!« Ja morgens kam es vor, daß sie mit ihrem bezaubernden Lächeln sogar: »Guten Morgen, Herr Schneeschaufler!« oder »Guten Tag, Herr Lampenputzer!« flötete, was für sämtliche Angeredete in ihres nichtsdurchbohrendem Gefühle natürlich sehr erhebend war und mit stets strahlendem Schmunzeln quittiert wurde.

Aber nicht allein unser Puttchen verfiel der Kritik des bösen Konversationszimmers, dessen Echo ich noch mildere, auch andere Mitglieder kamen an die Reihe.

Herr v. Wehl in seinem Idealismus, in seinem Wohlwollen, hatte jedenfalls keine Ahnung, wie solche Abende bei ihm oft ausgebeutet wurden. »Nein«, hieß es da auch einmal, »es ist doch gut, wenn man eine Frau mit einem guten Gedächtnis hat. Hörten Sie gestern die Gattin des Charakterspielers, mit welch' rührender Ausdauer sie immer wieder das Gespräch auf ihren Gatten und dessen Lieblingsrollen zu lenken wußte?« »Caal, weißt du noch«, ging es da – und »Caal, erinnerst du dich noch, wie oft du den und den Abend gerufen wurdest?« und mochte das Gespräch von politischen Sachen oder von den Theekuchen handeln, die man gerade verzehrte, die Gattin des teuren »Caal« fand immer einen passenden Uebergang. »Noch eine Tasse Thee?« »Wenn[93] ich bitten dürfte! Ach Caal! in ›Eine Tasse Thee‹ bist du auch so vorzüglich« oder »Caal, neulich fand ich zufällig eine Rezension über deinen Narziß, nein, Caal, das war doch ein glücklicher Abend! Die Rezension war wirklich zu brillant!« So ging es fort »mit Grazie in infinitum« und es war nicht zu verwundern, wenn der gutmütige Herr v. Wehl schließlich gar nicht anders konnte, und die btreffende Rolle des »Caal« denn auch bald unserem Repertoir einverleibte.

Wehl war, wenn er geschickt bearbeitet wurde, weiches Wachs in den Händen der Schauspieler, d.h. Schauspieler, die ihre Komödie auch außerhalb der Kulissen zu spielen verstanden.

Sonst konnte Wehl aber auch wieder eigensinnig sein, z.B. Fräulein Steinau, die vorzügliche Schauspielerin, beschäftigte er fast gar nicht. Jetzt ist dieselbe wieder in Gunst und hat darin immer hübsch abgewechselt; je nachdem die Intendantur wechselte, stieg und sank sie.

Friedrich Haase und Carl Sontag waren einmal kurz hintereinander zum Gastspiel in Stuttgart und besuchten auch den Wehl'schen Thee. Sontag fragte Haase, wie ihm sein Buch (Sontags Memoiren) gefallen habe. »Recht gut, lieber Sontag,« antwortete Haase mit dem ihm eigenen seinen Spott, »nur schade, daß es immer Sonntag in dem Buche ist, wenn es doch auch einmal Montag würde!« Sontag hat aber gleich in seiner Vorrede gesagt, daß er seine Memoiren schreibe, deswegen von sich reden müsse, und so wird es jedem Memoirenschreiber ergehen.

Mein lieber, nachsichtiger Leser, der du bis hierher mir gefolgt, laß alle Hoffnungen fahren, wenn du so unvernünftig bist, zu denken, ich müßte bei meinen Erinnerungen nicht auch von meiner Person sprechen. Ich bemühe mich ja so viel wie möglich, daß es in meinem Buche auch Montag wird. –

Noch manches Amüsante könnte ich von Wehl erzählen. So wollte er z.B. einer jungen Darstellerin eine »Hosenrolle«, die[94] des jungen Göthe im »Königslieutenant«, nicht eher geben, als bis er sich, gewissenhaft wie er in allem war, von – ja wie drücke ich mich gleich aus? – von der Qualität und Formenschönheit ihres – Piedestals überzeugt hatte. Die etwas schlanke Dame mußte also zuerst eine kleine Pagenrolle spielen und erhielt erst dann das Zeugnis »all right« und den – »Wolfgang Göthe«.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 86-95.
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