XIX.

[155] Die Manie, Jubiläen zu feiern, war am Stuttgarter Hoftheater ausgebrochen. Eleonore Wahlmann feierte ihr zwanzigjähriges, Frau Schmidt hatte vorher ihr siebzigjähriges gefeiert, beide erhielten die Medaille für Kunst und Wissenschaft, welche Auszeichnung Kathi Frank schon nach Ablauf eines Dienstjahres zu teil wurde. Louise Wentzels vierzigjähriges Jubiläum war in Sicht.

Ich machte meiner liebenswürdigen Kollegin Eleonore Wahlmann folgendes Gedicht zum Jubiläum:


Geliebte Leonore,

Genieße con amore

Den Tag und all die Ehren,

Die heut sie dir bescheren.

Denk: possidentes beati

Du hast nun, was der »Kathi«

In einem Jahr geworden,

Du hast nun auch 'nen Orden.

Und brauchtest du auch zwanzig

Der Jahre, eh er fand sich,

's kriegt's mancher nicht mit dreißig

Und war er noch so fleißig.

Louise, wenn 's nicht irrt sich,

Kriegt ihn vielleicht mit vierzig,

Und – was sich neckt, das liebt sich,

Die alte Schmid mit siebzig.

etc. etc. etc.
[156]

Es ist möglich, daß der König oder seine Räte mir das harmlose Gedicht übel genommen – die Wohlunterrichteten behaupten es. Ich bin über eine Ungunst des Königs nie ins Klare gekommen und kann mir nicht wohl denken, daß der König über kollegiale Scherze, die durch Zufall in die Oeffentlichkeit kamen, beleidigt sein konnte. Ich hatte allerdings mein 30jähriges Künstlerjubiläum in Stuttgart gefeiert. Auswärtige Fürsten gaben mir Dekorationen, aber weder die Stuttgarter Intendanz noch die Hofkammer hatten mich während sechzehnjähriger Dienstzeit für würdig gehalten, mich Allerhöchsten Orts zu dieser Ehre in Vorschlag zu bringen. Ich wollte nicht mit der Wurst nach der Speckseite werfen – es war ein Scherz ohne jede Nebenabsicht, ich las das Gedicht manchem vor und niemand fand was drin, als vielleicht – Herr v. Tscherning.

Urlaub erhielt ich fortan wieder unter erschwerenden Umständen von der Hofkammer. Werther mußte jedes Gesuch von Bühnenangehörigen wieder der Hofkammer zur Entscheidung vorlegen. Es war wieder alles wie früher. Das Ersparungssystem gewann wieder die Oberhand. Kontrakte mit namhaften Gagen wurden nicht mehr erneuert. Gingen in früheren Jahren aus Sparsamkeitsgründen die Schröder-Hanfstängl, Luger, Stritt u.s.w., so zogen nun bald nach einander die besten Kräfte wie: Eduard Nawiasky, Carl Schönfeldt, Kathi Frank, Anna Riegl und Ferdinand Jäger in andere Engagements, und der Ersatz für diese wurde teils aus dem Chor genommen, oder durch billige Engagements und Anfänger ergänzt.

Werther ist ein außerordentlich praktischer und kluger Mann, wie ich schon sagte, er trägt den Verfall seines Theaters mit Ruhe und Gelassenheit, und besteht nur auf seinem Schein, das ist: Innehalten seines Kontrakts, – oder Entlassung mit hoher Pension!

Ihm wurde es auch gleichgültig, wie eine Vorstellung ausfiel, um alte Stücke kümmerte er sich nicht, sah sie sich[157] auch abends nicht an, die setzte Herr Pauli in Scene und dieser erzählte ihm dann stets, daß alles außerordentlich gelungen sei. Kritiken über Wiederholungen und ältere Stücke erscheinen in Stuttgart nicht, das Publikum ist außerordentlich geduldig, und so konnten ungestraft oft Komödien aufgeführt werden, gegen die sich jede Provinzstadt aufgelehnt hätte.

Ich saß wieder mit meinen 5000 Mark Einkommen ohne Aussicht auf Besserung der künstlerischen Verhältnisse des Hoftheaters sowohl, als meiner eigenen Position. Ein erneuertes Gesuch um lebenslängliche Anstellung wurde mir abermals abgeschlagen, mir aber gleichzeitig angekündigt, wenn ich meine Entlassung nehmen wolle, würde sie mir gegeben!

Ein deutliches Avis!!!

Seit der Zeit hat mich die bange Sorge um meine alten Tage nicht mehr verlassen. Ich sagte zu mir selber: Ist das nun der Lohn für 16jährige treue Pflichterfüllung?

Der Tenorist Albert Jäger wurde nach 30jähriger Dienstzeit mit 1000 Mark pensioniert, einige Monate vor dem Termin, wo ihm 1500 M. zuteil werden mußten, wenn er ihn in Aktivität erreicht hätte.

Der Tenorist Link wurde nach 6 Wochen Krankseins entlassen als unheilbar, 3 Monate später hätte er Pensionsanspruch in Stuttgart gehabt!

Link nahm bald darauf ein Engagement in Düsseldorf an, singt und erfreut sich vollster Gesundheit wieder, und wurde neuerdings in Koburg, wo er jetzt engagiert ist, zum herzogl. Kammersänger ernannt.

Unter Herrn v. Gunzert wären solche Härten nicht vorgekommen, darüber war das ganze Hoftheater einig. Gunzert hätte anders wie Herr v. Tscherning und Werther gehandelt.

Diesen Thatsachen gegenüber bekam ich nun wiederum den Mut, meine frühere Alternative zu stellen: eine lebenslängliche Anstellung mit Pensionsaus sicht – oder Freiheit, um verdienen zu können. Somit kündigte ich wieder.[158]

Ich sah kein Heil für meine Zukunft in Stuttgart. Außer den paar »Angesessenen« mit lebenslänglichen günstigen Kontrakten aus früherer Zeit kamen und gingen die Mitglieder wie in einem »Taubenschlag«. Was für Namen kann ich allein während meiner 17jährigen Dienstzeit aufzählen! Nach Grunerts Tode hat z.B. kein Charakterspieler wieder festen Fuß fassen können: Keller, Schmidt, Löwenfeldt, Wiene und andere sahen, daß sie in Stuttgart nur ihre besten Jahre ausnützten, und daß man ihnen dann »Adieu« sagen würde. Sie setzten noch bei Zeiten ihren Wanderstab weiter.

Bevor Werther meine Kündigung der Hofkammer übergab, ließ er mich zu sich rufen, und sagte mir – es war zu Ende der Saison 1886 – er würde mir mit der Zeit schon eine lebenslängliche Anstellung erwirken und mich außerdem als Regisseur anstellen. Der König sei augenblicklich schlecht auf mich zu sprechen, ich müsse durch irgend jemand angeschwärzt sein, er könne jetzt für mich nichts erlangen, und mit so einer brüsken Kündigung würde ich alles verderben, ich möge mich also noch kurze Zeit in Geduld fassen, es stünde ja in seiner Macht, meine Wünsche zu erfüllen.

Ich nahm die Kündigung wieder zurück und wartete wiederum ein Jahr auf die lebenslängliche Anstellung.

Am 13. Juni 1887 schrieb ich folgenden Brief an den Hofkammerpräsidenten von Tscherning:


Hochverehrter Herr Präsident!


Wiederum ist eine Saison verflossen, und die mir von dem gegenwärtigen Herrn Intendanten der Königl. Hofbühne gemachten Versprechungen, als: »Regieübertragung, 14tägige Urlaubserweitegung und lebenslängliche Anstellung mit Pension« sind ebensowenig gehalten worden, wie alle vorangegangenen Zusicherungen der früheren Intendanten, durch die ich mich jedesmal überreden ließ, eingereichte Kündigungen wieder zurückzunehmen.

Auf meine letzten Vorstellungen wurde mir nun von dem Herrn Intendanten gesagt: Seine Majestät könne meinen Wünschen wegen Regie-Uebernahme nicht entsprechen, weil ich ja 28 Tage[159] des Jahres auf Urlaub sei, daß aber meiner Entlassung, wenn ich darum einkommen würde, seiner Beurteilung der Verhältnisse nach nichts im Wege stehen würde.

Ew. Hochwohlgeboren haben mir seinerzeit ein mündliches Gesuch um lebenslängliche gesicherte Anstellung mit Pension abgelehnt.

Es würde mir unter solchen Umständen peinlich sein, eine Kündigungsfrist aushalten und meine Kräfte einem Institute noch länger widmen zu müssen, dem ich so wenig zu danken habe, an dem ich im Laufe 16jähriger, treuer und mit Erfolg gekrönter Thätigkeit gar kein Vor rücken in meinen Dienstverhältnissen zu verzeichnen habe und an dem ich mich absolut nicht mehr wohl fühlen kann. Somit ist nun meine Geduld und sind meine Hoffnungen für hier erschöpft, und ich bitte Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenst, Sr. Maj. dem Könige mein Entlassungsgesuch aus dem hiesigen Hoftheaterverbande zum 1. Okt. oder spätestens 1. Nov. gütigst unterbreiten und dasselbe befürworten zu wollen. Bis zu dieser Frist wird es leicht gelingen, für mich Ersatz zu finden.

Indem ich Ew. Hochwohlgeboren dringende Beschleunigung der Uebergabe dieses meines Gesuches an Se. Maj. ans Herz lege, bitte ich ganz ergebenst um Ew. Hochwohlgeboren umgehende und geneigte Willensmeinung, worauf es mir erst möglich ist, meine anderweitigen Dispositionen treffen zu können.

Mit vorzüglichster Hochachtung

A. Junkermann.

Stuttgart, den 13. Juni 1887.


Hierauf blieb ich ohne Antwort. Die Saison ging zu Ende, es waren nur noch wenige Vorstellungen, ich wollte mein Angelegenheit vor den Ferien erledigt haben und ging deshalb persönlich zum Hofkammer-Präsidenten von Tscherning. Herr v. Tscherning schlug mir ganz naiv, aber allen Ernstes vor, noch ein Jahr unter den alten Bedingungen zu bleiben und dann abzugehen. Das wollte ich nicht. Ich war des Wartens müde.

Noch ein Jahr ohne Aussicht auf lebenslängliche Anstellung zu warten, schien mir nicht ratsam. Ich schrieb also folgendes an Herrn von Tscherning:


[160] »Hochverehrter Herr Präsident!


Nachdem Ew. Hochwohlgeboren mir heute morgen mitgeteilt, daß Sie auf mein ergebenstes Gesuch vom 12. ds. Mts., mich am 1. Novbr. resp. 1. Oktbr. zu entlassen, nicht eingehen, nehme ich dasselbe hiermit zurück und erlaube mir einliegend die Kündigung meines Dienstvertrages zu übersenden, wie es mir nach § 25 der Disziplinargesetze freisteht. – Nach Ew. Hochwohlgeboren Aeußerungen am heutigen Morgen: daß Hochdieselben wohl glaubten, daß ich mehr Geld verdienen könne, und dies der Grund meines Ausscheidens sei, erlaube ich mir noch, dieses Privatschreiben meiner Kündigung beizufügen, da es mir nickt gleichgültig ist, welche Gründe für mein Ausscheiden Seiner Majestät sowie der Oeffentlikeit vorgelegt werden. Mehr Geld habe ich nie verlangt; nicht pekuniär, sondern künstlerisch strebte ich vorwärts. Die Feststellung meiner Gage überließ ich von Anfang an der Königl. Hoftheater-Intendanz. Mein Totaleinkommen an Gage und Spielhonorar belief sich seit 16 Jahren per Jahr auf 5000 Mk. Ich betone daher nochmals, daß mich auch heute wieder derselbe Grund zu meinem Schritte treibt, der es immer gewesen, nämlich: das Nichterfüllen meiner bescheidenen Bitte um 14tägige Urlaubserweiterung, Regie-Uebergabe und lebenslängliche Anstellung. Jahrelang habe ich darum gebeten, jahrelang ists mir versprochen und jahrelang ists nicht gehalten worden. Meine inständige Bitte an Ew. Hochwohlgeboren geht nun dahin, Seiner Majestät mit teilen zu wollen, daß lediglich die nicht erfüllten Versprechungen, die mir seitens der Intendanten gemacht wurden, meinen Entschluß, aus dem hiesigen Hoftheaterverbande zu scheiden, zur Reife brachten, wenn ich nicht durch eine Immediat-Eingabe Seiner Majestät meine Gründe selber unterbreiten soll. Seine Majestät muß die Wahrheit erfahren, und das Publikum ebenfalls, denn ich will nicht als unruhiger und unzufriedener Mensch verschrieen werden. – Ew. Hochwohlgeboren erklärten mich auch in heutiger Unterredung für absolut unberechtigt, einen andern Vertrag zu unterzeichnen. Ich möchte jede Differenz vermeiden und in Frieden scheiden und teile daher Euer Hochwohlgeboren mit, daß ich morgen (Sonnabend) einen Vertrag als Regisseur und Schauspieler mit 15000 Mark Jahrgehalt nach Berlin unterzeichnen werde. Glauben Ew. Hochwohlgeboren indes mich dazu nicht berechtigt, so bitte ich für morgen (Sonnabend)[161] abermals um ein Viertelstündchen der Unterredung und Belehrung, da ich andernfalls mich zum 18. Dezember ds. Is. meiner Verpflichtung enthoben halte, und den Berliner Vertrag morgen (Sonnabend) abend unterschrieben absenden werde.

Mit vorzüglichster Hochachtung

Ew. Hochwohlgeboren

ganz ergebenster

A. Junkermann.

Stuttgart, den 17. Juni 1887.


P.S. Ich wiederhole nochmals ganz ergebenst: ›ich möchte in Frieden scheiden!‹ Wünschen Ew. Hochwohlgeboren ein früheres Ausscheiden, als am 18. Dezember d.J., so ließe sich ja darüber noch reden oder schreiben.«


Darauf erhielt ich innerhalb weniger Stunden folgende Antwort:


»Euer Wohlgeboren


beehre ich mich den Empfang Ihrer Dienstvertragskündigung pr. 18. Dezember d.J. zu bescheinigen. Nach Abschluß der im Gange befindlichen Erkundigungen wegen eines Ersatzes für Sie werde ich mit erlauben, Ihnen wegen der Zeit Ihres Austritts aus dem Dienste des Hoftheaters weitere Vorschläge zu machen.

Hochachtungsvoll etc.

Stuttgart, den 18. Juni 1887.

Der Hofkammer-Präsident,

Tscherning.«


Mein Austritt aus dem Verbande des Stuttgarter Hoftheaters war somit entschieden.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 155-162.
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