XXV.

[213] Da ich mit Bötel abzuwechseln genötigt war, trat ich nur 3–4 Mal in der Woche im Thalia-Theater auf, und hatte somit Zeit, meine freien Abende zu genießen. Besuchte ich nicht die englischen Theater, so war ich in Gesellschaften, zu denen ich täglich geladen war, oder verlebte in trauten Familienkreisen die Abendstunden, aus denen meistens Nacht und Morgen wurde. Das amerikanische Leben ist schön, aber auf die Dauer aufreibend, ich habe selten vor 3, 4 und 5 Uhr morgens den Schlaf gefunden.

In New-York ist kein großer Unterschied zwischen Tag und Nacht. Der Verkehr der Hoch- und Pferdebahnen dauert ununterbrochen Tag und Nacht fort. Am Tage ist das Gewühl auf den Straßen, namentlich auf dem Broadway, natürlich größer. Als ich das erstemal mit meiner Frau in New-York ausging und wir unsere Schritte nach dem Broadway lenkten, mußten wir umkehren; das Wagengerassel, der Lärm der Hochbahnen, deren Lokomotiven einem in den Avenues auf den Trottoiren über den Kopf wegsausen, hatten uns nervös gemacht. Wir wollten von einem Trottoir des Broadway auf das andere gehen, es war unmöglich, durch die Reihen der Wagen einen Weg sich zu bahnen, und als ein Policeman unsere Not sah, erbarmte er sich, und führte uns hinüber. Die Policemen sind angewiesen, den Damen immer diesen Dienst zu leisten.

Nach und nach gewöhnt man sich an den Trubel in den Straßen und erfreut sich an dem Durcheinander von Amerikanern,[214] Deutschen, Engländern, Franzosen, Italienern, Mohren, Chinesen und anderen Nationen.

Hochinteressant sind die Tage im November, wo die Weltstadt New-York alljährlich für ihr Wohl und Wehe die öffentlichen Aemter wählt. Auf den Straßen werden Tribünen gebaut, von denen in langen Reden das pro und contra der zu Wählenden erörtert wird, – ein Bild aus alter Römerzeit. Am letzten Wahltage werden alle brennbaren Artikel, als Kisten, Tonnen, Möbel u.s.w., auf den Straßen zusammengetragen und angezündet. Ganz New-York ist dann ein Feuermeer. Die Funken fliegen über die Dächer, die Pferdebahnen fahren durch die Flammen – und merkwürdigerweise ist keine Feuersgefahr je damit verbunden gewesen. In Deutschland würde die Polizei entschieden Protest dagegen einlegen, in Amerika ist an diesem Tage jeder Unfug gestattet. Amberg macht am letzten Wahltage auf dem Theaterzettel bekannt, daß er das Resultat der Wahlen in jedem Zwischenakte verlesen wird, er steht dann hinter den Kulissen und kann den Augenblick nicht erwarten, wo der Vorhang fällt, um die Depeschen vorzulesen – sein alljährliches Debut, womit er im Auditorium Jubel und Mißfallen entfesselt, wie es keines seiner Mitglieder je vermag!

New-York wird immer mehr zu einer Stadt der Paläste und Prachtbauten. Interessiert haben mich namentlich die Aufbewahrungshäuser für Mobilien aller Art, und speziell die für Geld und Wertpapiere bestimmten Sicherheits-Verschlüsse (Storage houses und Safe Deposit Companies). Das erfindungsreiche Amerika hat die wichtige Frage, wie man sein Eigentum gegen Einbrecher und Diebe unbedingt sicher zu stellen vermag, vollständig gelöst. An dem erwähnten Aufbewahrungssystem von Wertgegenständen ist bis jetzt alle Kunst und Ausdauer der Diebe und Einbrecher zu Schanden geworden. Banken sind oft genug beraubt worden, die Safe Deposit-Gesellschaften spotten der raffiniertesten Diebeskunst. Was in ihren feuerfesten, unmöglich zu erbrechenden Gewölben aufgespeichert liegt, das kann so wenig hinweggetragen werden, wie es möglich ist, den Niagarafall[215] abzuleiten. Die Lokale der Safe Deposit-Gesellschaften befinden sich meist unter der Erde in einem Gewölbe. Der Zugang ist durch mehrere eiserne Thüren verschlossen. Jede dieser Thüren ist von einem bewaffneten Hüter bewacht, der niemanden passieren läßt, der sich nicht gehörig zu legitimieren vermag.

Im Innern des Gewölbes sieht man gewöhnlich nur zwei lange, vom Boden bis zur Decke ragende Reihen massiv eiserner Kasten in verschiedener Größe, von 5 Zoll bis zu 5 Fuß. Die Kasten haben die verschiedenartigsten Schlösser, deren Kombination entweder nur dem Mieter bekannt ist, so daß dieser sie allein zu öffnen vermag, oder die zuweilen auch von doppelter Zusammensetzung ist, so daß der eine Verschluß von einem Angestellten der Gesellschaft, der andere aber nur von dem Mieter geöffnet werden kann. Diese Art des Verschlusses macht es einem Diebe geradezu unmöglich, einen solchen Kasten zu öffnen, selbst wenn es ihm gelingen sollte, in das Innere des Gewölbes zu gelangen. Die Mauern haben eine durchschnittliche Dicke von wenigstens 3 Fuß und sind teils aus Backsteinen, teilweise aus Granit gebaut, wobei zu besserem Schutz gewöhnlich noch eine besondere Lage von Eisen- und Stahlplatten hinzugefügt ist. Eine weitere Vorsichtsmaßregel ist die Einführung isolierter Drähte, die bei auch nur leiser Berührung durch einen Einbrecher sofort im Polizei-Hauptquartier Glocken in Bewegung setzen würden. In manchem dieser Gewölbe ist ein Wert von 3, 4 und mehr Millionen Dollars aufgespeichert. Ein nicht unbedeutender, besonders abgeschlossener Raum des Lincoln-Gewölbes ist an die Vanderbilts vermietet, und wie viele Millionen hier eigentlich untergebracht sind, vermag niemand zu schätzen.

Mir, als dem ohne Pension abgegangenen Hofschauspieler, wurde ganz eigentümlich zu Mute in diesen Gewölben, vor diesen Schätzen.

In Amerika wurde mir noch eine große Freude zu teil – ich konnte meinen Bruder Gustav, den ich seit 40 Jahren nicht gesehen, in meine Arme schließen. Mein Bruder war,[216] wie ich, in seinem 17. Jahre in die Welt hinausgezogen, und kam nach einer sechswöchentlichen Reise auf einem Segelschiffe, damals ohne Mittel in New-York an. Das erste beste Geschäft, was sich ihm darbot, mußte er ergreifen, um sein tägliches Brot zu haben. So fiel er einem Fremden anheim, der ihm Arbeit gab. Aber was für Arbeit? – »Komm nur, komm nur,« hatte der Fremde gesagt, »unsere Arbeit verrichten wir nachts, aber sie wird gut bezahlt.« Dabei reichte er ihm seine Branntweinflasche. »Trinken mußt du,« meinte er, »so arbeitet sich's besser!« Damit veranlaßte er sein Opfer, bei Nacht schwere Kisten von einem Ort zum andern zu transportieren. »Trink nur, trink nur!« ermutigte der Fremde, und als beim Morgengrauen mein Bruder seinen Lohn erhielt, erfuhr er, daß es – – – Choleraleichen waren, die er in der Nacht ins Totenhaus spediert hatte.

Der Aermste erkrankte, und nur der liebevollen Pflege seiner Wirtstochter verdankte er seine Genesung. Aus Dankgefühl wurde Liebe, er heiratete später seine treue Pflegerin. Auf Leid folgt Freud, mein Bruder lebt nach langem Mühen und Ringen heute als Oberlehrer und professor of language in glücklichen Verhältnissen in Cincinnati, von wo aus er mich in New-York besuchte. Freudvoll war unser Wiedersehen – leidvoll der Abschied!!!

Der Tag der Abreise rückte allmählich heran. Amberg wollte mit mir den Westen Amerikas noch bereisen, aber meine Gastspielverpflichtungen in Deutschland, die ich vor dem amerikanischen Vertrage abgeschlossen, waren nicht zu lösen, ich mußte nach Europa zurück.


Am 11. Dezember schrieb die New-Yorker Staatszeitung:


Es ist bestimmt in der Direktoren Rat, daß man von dem Guten, was man hat, muß scheiden. August Junkermann verläßt bereits übermorgen das Theaterreich Nowa Yorkia, um seinen Verpflichtungen im deutschen Mutterlande nachzukommen. Die Bilanz dieses Gastspieles weist für den Künstler Lorbeeren und Schätze, für das[217] Publikum einen wertvollen ästhetischen Reingewinn auf. Letzteres wird auf diese gesunde und glanzreiche Epoche seines deutschen Theaterlebens immer mit aufrichtigem Vergnügen zurückblicken, und in dem, was sich Menschen beim Scheiden sagen, einen Trost für den zu schnellen Abschied erblicken. »Auf Wiedersehen!« wird jeder dem scheidenden Künstler zurufen, der es mit der deutschen Kunst ehrlich meint. Er hat uns nachwirkende, genußreiche Stunden verschafft; die kern haften Volksgestalten, die er uns mit dem richtigen Sinn für die Einfachheit des Fühlens und Denkens verbildlichte, werden noch lange eine köstliche Erinnerung unserer Theatergemeinde bilden, die schon oft bewiesen hat, daß sie nicht nur leicht zu bewegen, sondern auch nachhaltig dankbar ist. Der künstlerische Eindruck, den Herr Junkermann zurückläßt, ist so groß, wie die Erwartungen, die man an ihn stellte. Und wer sich des Lärms der Reklametrompete bei seiner Ankunft erinnert, der wird ermessen können, daß dies das größte Lob ist, das man dem heimkehrenden Künstler zollen kann. Er hat die Erwartungen, die man an ihn stellte, in jeder Beziehung erfüllt, ja er hat sie noch übertroffen. Er hat uns nicht nur das geistige Gold, das in den unvergänglichen Werken Fritz Reuters liegt, zu Tage gefördert, er hat auch mit seiner kostbaren Gabe der originellen Individualisierung andere moderne Gestalten in künstlerisch vollendeter Weise uns vorgeführt. Was ihn als Schauspieler in allen seinen Aufgaben so wertvoll machte, war die Wahrheit, die Verachtung aller komödiantenhafter Effekte, die darauf berechnet sind, momentan einen größeren Beifallssturm zu erzielen. Alle seine Gestalten schimmerten immer in dem Strahlenglanz der Naturwahrheit. Der beliebte Künstler hat sich in elfter Stunde noch in einer anderen Eigenschaft, als Vorleser, eingeführt. Junkermann als Vorleser ist kein bloßer Wortesprecher, sondern illustriert durch kunstgeübte Tonfärbung, durch Mimik und Gestikulation seinen Vortrag in unnachahmlicher Weise. So werden seine Rezitationen zu wahren Interpretationen des Dichters, die einen tiefen Eindruck auf den Hörer nicht verfehlen können. Andächtiger kann die gläubige Gemeinde einem Prediger nicht lauschen, als das Publikum in der Regel Junkermanns Reuter-Vorlesungen. Es liegt eben in diesen dramatisch belebten, vom Tone wahrer Empfindung gehobenen Vorträgen ein unsagbar fesselnder Reiz. Und bei einiger Aufmerksamkeit dringt selbst der mit den Dialektgeheimnissen gar nicht Vertraute gar bald[218] in das Verständnis. Junkermann versteht selbst im bewegtesten Dialog die einzelnen Charaktere streng auseinander zu halten, daß man sie greifen zu können vermeint: hier den Bräsig und daneben den Hawermann, dann Fritz Tiddelfitz, die Pomuchelskoppsche Familie, Moses, das Nüßlersche Ehepaar, Lining und Mining, Gottlieb und Rudolf – es sind der Köpfe und Stimmen wahrlich nicht wenige. Und nun erst der Rahnstätter Reformverein mit seinem Durcheinander! Es ist eine wahre Lust zu hören, wie der Künstler vor den Zuhörern doch in all dem Wirrwarr die einzelnen Sprecher klar unterschieden hält. Dienstag abend wird der beliebte Darsteller sich als »Onkel Bräsig« im Thalia-Theater verabschieden. Die deutsche Kunstgemeinde New-Yorks wird dem scheidenden Künstler an diesem Abend herzliche Ovationen bereiten, aus denen er, wir heben es noch einmal hervor, den aufrichtigen Wunsch entnehmen kann: »Auf Wiedersehen!« – –


Am Sonntag den 12. Dezember hielt ich für milde Zwecke noch zwei Vorlesungen, nachmittags 4 Uhr im Theater zu Brooklyn, und abends in New-York in Steinway-Hall, und konnte eine ansehnliche Summe Hilfsbedürftigen überweisen.

Am 13. Dezbr. trat ich zum letztenmale im Thalia-Theater auf. Das Haus war dichtgefüllt, das Publikum ungemein liebenswürdig. Blumen, Kränze, Ehrendiplome wurden mir überreicht. Amberg spendete mir als Erinnerung eine Uhrkette, zusammengesetzt aus sämtlichen existierenden Gold-Dollar-Münzen. Tiefbewegte Worte richtete ich schließlich an das Publikum.

Schwer wurde mir das Scheiden von einer Stätte, von einem Publikum, die ich beide so liebgewonnen.

Ich lasse den Zeitungsbericht über den letzten Abend hier folgen.

Die Staatszeitung schrieb:


August Junkermann hat gestern abend Abschied von dem New-Yorker Deutschtum genommen. In seiner Glanzrolle, als der gutmütige, heitere Onkel Zacharias Bräsig, trat er noch einmal vor das Publikum, das ihn nicht nur nach den Aktschlüssen, sondern auch bei offener Scene unzähligemal vor die Rampen rief. Dieser Bräsig Junkermanns, dieses Stück aus dem frischen Leben der Wirklichkeit geschnitten, dieser rührende Apostel der Naturphilosophie im bäuerischen[219] Gewande, wird uns immer eine schöne Erinnerung bleiben. Die eine behagliche Gestalt mit den unnachahmlichen Geberden und Attitüden, mit dem erheiternden Mutterwitz und den lauteren Gemütstönen hätte genügt, um dem wackeren Darsteller in den Herzen des New-Yorker Publikums ein unvergängliches geistiges Denkmal zu setzen. Und die volkstümliche Versinnlichung aller übrigen Reuterschen Figuren durch Junkermann, die nun auch hier wie in dem ganzen deutschen Europa geholfen hat, die Schöpfungen des niederdeutschen Dichters in weiteren Kreisen zu popularisieren, läßt uns ein Wiedersehen wünschenswert erscheinen. Der beliebte Künstler ist uns noch mehrere sei ner berühmtesten Gestaltungen, wie den Johann Schütt aus »Kein Hüsung«, den Pastor aus »Hanne Nütes Abschied« u.s.w. schuldig geblieben. Die New-Yorker Theaterbesucher werden sich diese Schuld nächstes Jahr gerne abbezahlen lassen. Auch in einem anderen Fach, in dem Junkermann als unbestrittener Meister gilt, hatten wir nur ungenügend Gelegenheit, das reiche Talent des Künstlers zu bewundern. Als Vorleser ist Junkermann in New-York nur ein einziges Mal vor das große Publikum getreten. Er hat am letzten Sonntag abend in Steinway Hall gezeigt, daß er kein bloßer Wortesprecher ist, sondern durch, hinreißende Mimik und Gestikulation, wie durch kunstgeübte Tonfärbung Wirkungen hervorbringt, die man bisher im Konzertsaal nicht kannte. Eine solche Stunde mit Junkermann und dem Reuter-Buch im Hörsaal verlebt, ist für den dürrsten Hypochonder ein unfehlbarer Grillenscheucher. Wir hoffen, daß der liebenswürdige Künstler bei seinem nächsten Aufenthalt in unserer Mitte auch diese Seite seiner Begabung, die zur Begründung seines künstlerischen Rufes in Deutschland so viel beitrug, auch in Amerika wird leuchten lassen. Im ganzen war das Junkermannsche Gastspiel von Anfang bis Ende ein Erfolg für das Publikum und den Gast. Das Repertoire hatte durch seine Mitwirkung eine wohlthuende Abwechslung erfahren. Die teils süßliche und schale, teils überpfefferte und übersalzene Kost, die jetzt so häufig von der Bühne herab gereicht wird, machte für die gesunde Hausmannskost, die Junkermann vorsetzte, doppelt dankbar. Daß keine Ernüchterung, sondern im Gegenteil ein Wunsch nach mehr eingetreten ist, zeugt für die Tüchtigkeit der genossenen geistigen Gerichte und für die Beliebtheit des scheidenden Gastes, der sich hier eine Kunstgemeinde für sich erworben. Diese Beliebtheit kam bei der[220] gestrigen Vorstellung im Thalia-Theater in stürmischer Weise zum Ausdruck. Zum Schlusse, als der Jubel kein Ende nehmen wollte, trat Junkermann vor, um in schlichten einfachen Worten seinem Dank Ausdruck zu verleihen. Er sagte, daß die freundliche Aufnahme, die er bei der deutschen Bevölkerung New-Yorks gefunden habe, ihm ein neuer Sporn in seinem Bestreben sein werde, überall, wo die deutsche Zunge klingt, als Apostel des unsterblichen niederdeutschen Dichters Fritz Reuter zu wirken. Die liebevolle Teilnahme des großen Publikums und besonders der landsmannschaftlichen Vereine werde eine der schönsten Erinnerungen an seine Amerikafahrt bilden. Er habe die Gefahren dieser Ozeanreise lange gescheut, bis er endlich den Aufforderungen des Direktors Amberg, der sich seit Jahren bemüht hatte, ihn zu dieser Fahrt zu bewegen, Folge geleistet habe. Was Direktor Amberg ihm im deutschen Mutterland von der Tüchtigkeit des deutschen Elementes erzählt habe, das habe er im vollsten Sinne des Wortes bestätigt gefunden. Wenn er wieder im trauten Kreise der Seinigen den Weihnachtsabend feiern werde, damit schloß der Künstler, dann werde er von den wackeren Stammesgenossen im fernen Lande erzählen, die sich mitten in dem geschäftigen Lärm des Lebens den Sinn für deutsche Kunst und deutsche Poesie gewahrt haben. Stürmischer Beifall folgte diesen Worten, der gewiß zum Teil auch der strebsamen Direktion galt, die keine Opfer und Mühe gescheut hat, um dem New-Yorker Theaterpublikum die Bekanntschaft eines der ersten deutschen Künstler zu vermitteln. Dem Künstler selbst, der heute bereits auf hoher See ist, rufen wir ein herzliches »Auf Wiedersehen!« nach.


The New-York Herald schrieb:


Herr August Junkermann, the admirable German comedian, made last night his farewell appeare ce at the Thalia Theatre and throughout the performance of »Inspector Braesig« was received in the most enthusiastic manner. The theatre was crowded, for the occasion was also a »benefit« for the actor, and at the close of each act he was repeatedly called before the curtain. When he came before it at the end of the fourth act he was presented with four wreaths of laurel from Manager Gustav Amberg, the Schlaraffia Singing Society, the Plattdeutsche Verein and the Verein Humor. Manager Amberg also presented the actor with a gold chain to which was attached a diamond studded locket engraved with the names of the various parts Herr Junkermann has been seen in here.

At the close of the performance Herr Junkermann, in response to the cheers given vor him, addressed the audience, and with considerable feeling referred to the kindly manner with which he had been received here. He thanked the public for their hearty interest in his work as an artist, the Press of New York for the fair treatment accordet him, the various societies that placed him on their rolls as an honorary member, and Manager Amberg for giving him the opportunity to play in the United States.

The actor sails for Europe this morning on board the steamship Trave and goes straight back to Stuttgart to fulfil an engagement. He sait last night that he would spend Christmas at home with his wife and children and that it would take him a long time to tell them of the plea surable experiences of his American engagement.


Nach der Schlußvorstellung am 13. Dezbr. nahmen wir das letzte Souper bei Häuser, Bowery 115, mit unseren Freunden ein. Diese und Amberg brachten uns nach Hoboken um 1 Uhr nachts, und wir bestiegen wieder die »Trave«. Das nämliche Schiff, das uns herüber gebracht, brachte uns wieder zu rück nach Deutschland.

Als wir an Bord kamen, war unsere Kajüte mit Kränzen und Blumen dekoriert, Erfrischungen aller Art hatten uns liebe Bekannte in die Kajüte gelegt, Telegramme brachten uns die letzten Scheidegrüße aus Hoboken, Brooklyn und New-York, herzlich verabschiedeten wir uns von Amberg, er war der letzte, der bei uns auf dem Schiffe blieb; um 6 Uhr morgens setzte sich der Dampfer zur Abfahrt in Bewegung.

Unsere Rückfahrt war anfangs vom herrlichsten Wetter begünstigt. Wir hatten in den letzten Tagen in New-York bei offenem Fenster gesessen, so warm war der Dezember. Am 19. Dezember, als wir in dem Golfstrom auf dem Ozean fuhren, saßen wir bis spät in die Nacht auf dem Deck der »Trave« ohne Ueberzieher,[223] in leichten Kleidern. Indes folgte stürmisches Wetter, so daß ich den größten Teil der Rückreise in der Kajüte in jenem Zustande verbrachte, wo man von der ganzen Welt nichts sehen und hören mag.

Eine traurige Begegnung machte den Schluß unserer Reise. Wir sahen die Mastenspitzen des unseligen holländischen Dampfers »Scholten«, der in der That im traurigsten Sinne des Wortes zum »Fliegenden Holländer«, zu einem Geisterschiffe geworden, das seine reiche Menschenfracht im November vorigen Jahres, kurz vor meiner Reise von New-York nach Deutschland, in die dunklen Fluten versenkt hatte. In das kühle Wassergrab zwischen England und Frankreich, welches den unschuldigen Namen »der Kanal« führt, waren etwa 14 Tage vor unserer Abfahrt von New-York wieder einmal 120 Leichen gebettet worden. Ungezählte Opfer Poseidons, welche hoffnungsfreudig das Schiff, das sie der gastfreundlichen Küste entgegentragen sollte, betreten hatten, schlafen dort, von einem widrigen Schicksal in die Fluten herabgezogen, den ewigen Schlummer. In der That gibt es kaum einen zweiten Wasserweg, welcher über so viele menschliche Gebeine seine nassen Bahnen zieht, als diese, das französische Festland und die britischen Inseln trennende und verbindende Verkehrsstraße. Vom riffigen Meeresboden aus blicken Tausende und Abertausende mit ihren erloschenen Augen zu den Kielen der Schiffe empor, die stündlich die meist wildbewegte Wasserfläche durchschneiden.

Mit wehmütig traurigen Gedanken zogen wir an der Unglücksstätte des Dampfers »W.A. Scholten« zwischen den Kalkhöhen von Dover und der Küste von Calais vorüber. –

Wir hatten gehofft, am heiligen Abend wieder bei unseren Kindern sein zu können, allein ungünstiger Wind und stürmisches Wetter verzögerten unsere Ankunft in Bremerhaven. Allerdings landeten wir dort am 24. Dezember, indes wir erreichten den Schnellzug nicht mehr, der uns den Abend noch hätte nach Stuttgart bringen sollen, übernachteten in Bremen, brachten[224] den Weihnachtsabend in der Familie unseres lieben Fritz Hillmann zu und fuhren den folgenden Tag nach Stuttgart.

Während wir in Amerika noch keine Spur von Winter hatten und, wie schon erwähnt, bei offenen Fenstern dort saßen, war in Deutschland, von Bremerhaven bis Stuttgart, die Erde mit fußhohem Schnee bedeckt. –

Das Weihnachtsfest verlebte ich im Kreise der Meinigen.

In Stuttgart war ich schon fremd geworden.

Obwohl ich meinen Wohnsitz in Stuttgart beibehalten, führte das Adreßbuch für 1888 schon meinen Namen nicht mehr auf. Die einzigen Zeichen der Anteilnahme bestanden nur noch in den mir zugestellten – Steuerzetteln!

Da frug ich mich wohl am Weihnachtsabend: war es der Mühe wert, hier nahezu 17 Jahre zu wirken, so lange Zeit im Streben um dauernde Anerkennung mein Bestes hinzugeben, die ganze Vollkraft meines Talentes einzusetzen? Gilt denn auch hier der grausame Satz: »Nur der Lebende hat Recht?« flicht in Stuttgart auch die Mitwelt dem Künstler keine Kränze mehr, sobald er nur aus dem Dienste geschieden, und kein »Königlich württembergischer Hofschauspieler« mehr ist?

Inzwischen hat sich bereits ein Nachfolger für mich gefunden. Derselbe bekommt noch weniger Gage als ich, und gibt sich zufrieden auch ohne Urlaub und Pension. Ein billiger Mann! Ein Mann so recht nach dem Herzen des Herrn von Tscherning!

Er hat aber ganz recht, der sparsame Herr Hofkammerpräsident: Anfänger thun's auch, es geht auch so! Das Publikum nimmt's nicht so genau, Der große Haufen klatscht jedem Beifall, der ihn zu ergötzen sucht, gleichviel, ob auf bessere oder schlechtere Weise, und die Proteste der kleinen Gemeinde der Kenner und Freunde echter Kunst verhallen in dem Gejohle der Menge.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 213-225.
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