XXX.

[256] Ich reiste nach Linz zu Freund Laska, um mit ihm und seinem Personal die besprochene Tournee nach Wels, Passau, Salzburg, Innsbruck und Regensburg zu machen.

Der warme lachende Mai des Jahres 1888 war unserem Unternehmen nicht sehr günstig, wir erwischten im ganzen Monat nur einen einzigen Regentag, und zwar am zweiten Pfingsttage in Salzburg, wo denn auch abends das Theater bis auf den letzten Platz ausverkauft war.

Auch die Innsbrucker kamen drei Abende hintereinander bei sommerlicher Glut zu uns ins Theater und übergaben mir ihren Gruß in folgendem Gedicht:


Der Sepp, der hat mir neulich g'sagt:

»Komm' mit nach Innsbruck 'nein,

Da soll, wia d' Leut mir alle sag'n

A Theaterspieler sein,

Zu dem d' Leut laufen weit und broat,

Wann er so spielt auf d' Nacht,

Weil der halt seine Sachen gar

All'weil so guat Enk macht!«

I aber sag: »Da geh i nit,

Denn i hab g'hört, daß man

Die Sprach, die er so reden thuat

Halt schwer verstehen kann;

Weil er von Deutschland draußten gar

Von weit her käma soll,[257]

Wo man, so hör' i, nit so guat

Deutsch kann wia in Tirol.«

Der Sepp aber, der laßt nit nach,

Red't zua mir, dringt in mi,

Da gib i also nach und geh

Mit ihm auf d' Gallerie. –

Jetzt sag' i Enk, was i da g'sehn

Das is nit zum Beschreib'n,

I sag' Enk allen, der kann spiel'n,

Der kann Enk Possen treib'n, –

Und all'weil hat er solche g'spielt,

Die ehrlich san und g'rad,

Und die a g'wisser Reuterfritz

So schön gezeichnet hat; –

Und wollt a so a Intriguant

A Liabesg'schicht verpfuschen,

Da war er da, den hat er dann

Ganz g'wiß nit schlecht derwuschen.

– I war ganz still, – ganz mäuserlstad,

Gib acht und los' Enk zua,

G'lacht hab' i, daß's mi beutelt hat,

Und g'woant als wia a Bua. –

Die Worte freili mannigsmal

War'n mir nit so bekannt,

Doch wia er's g'red't hat, hab i glei

Verstanden, was er moant.

Es war mir so, als that als Kind

Die Muatter mit mir plauschen,

So hoamli als wia d'raußt im Wald

Die Blätter alle rauschen,

Als wann i in der Kirchen wär',

Und thät mit 'n Herrgott red'n, –

Und so wia mir, so geht's ganz g'wiß,

Da wett' i drauf, an jeden.

Wer so wia er zu reden woaß

Ins Herz 'nein, den versteht

Der Ruß, der Türk, der Mameluk,

Un der Chinesisch red't.


C. Baumgartner.


[258] Regensburg beehrte uns am ersten Abend mit einem ausverkauften Hause, an den andern beiden Abenden zogen die guten Bayern es vor, wieder ihr Bier in Gottes schöner freier Natur zu trinken. Ich konnte es ihnen nicht verdenken – ich hätte es auch gern so gemacht im Wonnemonat Mai, der so herrlich nach dem langen Winter sich gestaltet hatte.

Der Regensburger lebt nach dem in seiner berühmten Bratwurstküche angebrachten Spruche:


»Thu klüglich deine Zeit ermessen,

Sie reicht dann auch zum Bratwurstessen!«


Aber Bier bekommt der Regensburger in seiner Bratwurstküche nicht, drum steht in großen Lettern dort an der Wand:


»Iß hier in Frieden deine Wurst,

Und anderswo still deinen Durst.«


In Regensburg beschloß ich meine Thätigkeit des vergangenen Winters und reiste nach Stuttgart zurück.

Beim ersten Ausgange daselbst begegnete mir Doris Jäger, eine Ballettänzerin, die 36 Jahre dem Stuttgarter Hoftheater angehörte. Thränenden Auges erzählte sie mir, daß sie ihres Alters wegen ohne Pension entlassen sei.

Sechsunddreißig Jahre hatte sie bei einem monatlichen Gehalt von 72 Mark dem Stuttgarter Hoftheater ihre Dienste gewidmet.

Ihre Frage: »Was soll nun aus mir werden?« begleitete ein neuer Thränenstrom, der sich in die schmerzbewegten Falten ihres alternden Gesichtes ergoß.

Künstler-Elend, willst du denn noch nicht einmal weichen vor 36jähriger treuer Dienstzeit?

Freilich ist das Theater keine Versorgungsanstalt, aber hier ein staatlich anerkanntes Bildungsinstitut, das meines Erachtens doch die Pflicht haben sollte, für diejenigen wenigstens[259] im Alter zu sorgen, deren geringes Einkommen ein Ersparen, eine Selbsthilfe nicht ermöglicht.

Ihr deutschen Bühnen-Angehörigen, nehmt euch ein warnendes Beispiel daran, und bauet emsig weiter an dem Bestand unserer Genossenschaft, deren Fond uns in alten Tagen vor Not bewahrt. Uns hilft ja niemand, wenn wir uns in guten Tagen nicht selber helfen!

Bei meiner erneuerten Anwesenheit in Stuttgart erfuhr ich selbstverständlich manches Neue über die Stuttgarter Hofbühne. Herr v. Werther besitzt wieder seine frühere Machtvollkommenheit, und scheint alle Lust zu haben, sie zum Nutzen der Hofbühne zu verwerten. Herr v. Tscherning hat den größten Teil seiner Befugnisse zu Gunsten Werthers wieder abgetreten. Wie wunderbar wirken doch auch bei einem Hoftheater die Gesetze von Ebbe und Flut, und Herr v. Werther hat klüglich dieses Naturgesetz nicht aus den Augen verloren, sondern seine Zeit abgewartet – und sie ist gekommen! Werther ist wieder der Mann des Tages, der vielumworbene Nimrod des Waldes, der gesuchte Gesellschafter in den adeligen Kreisen, der Freund einflußreicher Elemente bei Hofe, der Gentleman der bürgerlichen Aristokratie, und – last not least – der vorsichtige, fernsehende Lenker des guten Geschmacks, gegenwärtig unerschöpflich im Vorführen sensationeller Ueberraschungen. Ich selbst war überrascht mit welcher Virtuosität er sich im Verhüllen der Schwächen seines Personals bewährt, speziell im Heraussuchen solcher Stücke, in denen die Mängel mittelmäßiger oder ungenügender Kräfte am wenigsten fühlbar werden. Wie gewandt weiß er die Sympathien des Stuttgarter Publikums auszunützen, indem er dasselbe durch Dialektstücke, die er jetzt mit Vorliebe aufs Repertoir bringt, an das Kauderwelsch der von ihm engagierten Ausländer gewöhnt, die mit der hochdeutschen Sprache auf gespanntem Fuße stehen. Es sollen diese Bemerkungen durchaus nicht als ein Tadel gelten, denn wenn auch die rasche, geschäftsmäßige Abfertigung meiner Person von Seiten der Herren v. Tscherning und[260] v. Werther mich noch immer in der Erinnerung schmerzt, so wünsche ich doch dem Stuttgarter Hoftheater vom Grunde meines Herzens das beste Gedeihen, denn meine mächtigeren Erinnerungen liegen nicht in der Periode dieser beiden Herren, sondern in meiner übrigen siebzehnjährigen Thätigkeit am Stuttgarter Hoftheater, in denen ich den Flug zu höheren geistigen Aufgaben begonnen und erfolgreich fortgesetzt hatte. Und so wünsche ich auch Herrn v. Werther, daß er noch lange – Jupiter gleich – in Wolken über dem Stuttgarter Hoftheater thronen möge. – – – –

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 256-261.
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