Fünftes Kapitel

Kleidung.

[28] Auch in seiner Kleidung kann man viel guten Ton betätigen.

Vor allen Dingen soll man im Hause so gekleidet gehen, daß man Besuch stets unvorbereitet empfangen kann. Hierzu gehört nicht etwa elegante, aber immer peinlich eigene Kleidung.

Auffallende Straßenkleidung ist taktlos. Was für das Haus paßt, paßt nicht immer für die Straße.

Gutes Schuhwerk und gute Handschuhe gehören zum guten Ton.

Man muß bei seiner Kleidung auf Harmonie der Farben halten.

Der erste Anspruch an eine Kleidung von gutem Ton ist tadellose Sauberkeit.

Ein abgerissener Handschuhknopf, ein hängender Volant, eine gedrückte Hutschleife, alles dieses sind Dinge, die peinlich vermieden werden müssen.[28]

Das Ballkleid eines jungen Mädchens kann einfach, muß aber duftig und frisch sein. Man soll sich nicht blindlings jeder Mode unterordnen, sondern man soll von Neuheiten persönlich nur das wählen, was sich dem Äußeren der Persönlichkeit gut anpaßt. Eines schickt sich nicht für alle. Nicht was dem einen kleidet, kleidet auch dem andern. Kleine Damen müssen andere Schnitte, andere Stoffmuster wählen, als große. Starke Personen sollen sich anders tragen, als schlanke. Die Mode bringt jedem etwas. Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen. Das richtige, der Persönlichkeit angemessene »Etwas« herauszufinden, das ist die größte Toilettenkunst. Eine Kleidung, die der Persönlichkeit durchaus unangemessen ist, wirkt komisch, grotesk. Hingegen kann ein Anzug, der der Eigenart der Trägerin vollkommen entspricht, ganz besonders reizvoll wirken.

Macht man eine Mode mit, so hat man ihr möglichst alle Teile der Kleidung anzupassen. Bei einer guten Kleidung ist eine gewisse Einheitlichkeit der verschiedenen Bestandteile Bedingung. Die Frisur muß dem Hut angepaßt sein, wenn dessen Form ihren Zweck erfüllen soll usw.

Junge Damen sollen für den Sommer nur helle, lustige Kleidung wählen. Überhaupt soll sich die Kleidung in Farbe, Form, Schnitt und[29] Ausstattung möglichst dem Ton der herrschenden Jahreszeit anpassen.

Man muß seine Kleidung möglichst seinen Verhältnissen anpassen.

Es ist unpassend, wenn eine unbemittelte Person sehr prunkhaft gekleidet geht, ebenso, wie es unangenehm wirkt, wenn reiche Leute schäbig einhergehen.

Seine Gesellschaftstoiletten muß man den verschiedensten Gelegenheiten mit Takt anpassen. Es macht für die Wirte einen beklemmenden Eindruck, wenn ein Gast bei einer kleinen gemütlichen Zusammenkunft in sehr großer Toilette erscheint.

Es ist weniger unpassend, zu einfach, als zu elegant zu erscheinen.

Die Wirtin darf sich bei einem Feste nie durch Toilette besonders hervortun.

Für Herren schreibt ein größeres Fest Frack oder Smoking und Lackstiefel vor, sowie tief ausgeschnittene Weste.

Auch für Diners, selbst im engeren Kreise, ist heutzutage der Frack oder Smoking guter Ton.

Man soll es einer Toilette nie anmerken, daß ihr Träger besonderes Studium darauf verwendete.

Die Kleidung muß wirken, ohne daß man eigentlich weiß warum. Sie darf die Absicht des Trägers, gefallen zu wollen, nicht verraten:[30] »Denn man merkt die Absicht, und man wird verstimmt.« –

Nur das Unbewußte reizt und spricht an. Es muß etwas Undefinierbares, absichtslos Distinguiertes sein, was einer Kleidung Reiz verleiht.

Vor allen Dingen dürften die Vorzüge einer Kleidung nicht so sehr ins Auge fallend wirken, daß sie die Aufmerksamkeit schon hinlänglich für sich allein in Anspruch nehmen, sie demgemäß von der Trägerin ablenken, daß also sozusagen die Reize der Toilette die der Trägerin verdunkeln. Dann ist der eigentliche Zweck der Kleidung schon verfehlt.

Eine einfache Eleganz gehört zum guten Ton, ist aber, was Kleidung anbetrifft, gar nicht etwa so leicht herzustellen, weil ein ganz besonders individueller Zartsinn und Geschmack gerade zur Wahl und Herstellung solcher Kleidung nötig ist.

Die Kleidung an und für sich aber ist es nicht allein, die für die Wirkung verantwortlich zu machen ist.

Nicht »was« getragen wird, sondern »wie« etwas getragen wird, gibt häufig den Ausschlag.

Eine Schleife, leicht hingeworfen, ein Hut, mit richtigem Verständnis aufgesetzt, ein Blümchen, an[31] passender Stelle befestigt, geben oft der Kleidung den entscheidenden Ausdruck.

Vor allen Dingen ist gerade bei eleganter Kleidung eine gewisse selbstverständliche Art des Tragens maßgebend für den Erfolg.

Eine Dame darf nicht geputzt aussehen, wenn selbst sie es auch ist.

Einen besonders lächerlichen Eindruck aber macht es, wenn Herren geputzt aussehen.

Das Äußere von Herren aus der guten Gesellschaft soll ebenfalls einen distinguierten Eindruck machen, das verlangt der gute Ton, aber die Kleidung darf kein ernsteres Studium des Betreffenden nach dieser Richtung hin verraten, dann wirkt sie komisch.

Die Herren der Schöpfung sollen doch nun einmal, welcher Sphäre sie auch angehören mögen, für ernstere Zwecke berufen sein, als das schwächere Geschlecht, und dürfen sich daher auch äußerlich nicht den Anstrich der Kleinlichkeit und Geckenhaftigkeit geben, wenn sie das Vorrecht der größer angelegten Naturen für sich in Anspruch nehmen wollen.

Einem sehr pomadisierten, äußerst wohlfrisierten, auffallend modisch gekleideten Herrn, der wie das wandelnde Schaufenster eines Herrenschneiders aussieht, wird man selten irgendwelche Bestrebungen ernsterer Art zutrauen.[32]

Besonders müssen Herren allzu geckenhafte sensationelle Straßenkleidung vermeiden.

Zum Schluß dieses Kapitels rufe ich noch einmal den Damen zu:


»Wählt eure Kleidung mit Vorsicht, ihr Damen,

Das schönste Bild braucht einen passenden Rahmen.«
[33]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 28-34.
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