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[13] Friedrich Kapp wurde am 13. April 1824 zu Hamm in Westfalen als Sohn des Gymnasialdirektors Dr. Friedrich Kapp geboren. Er besuchte daselbst das Gymnasium, und hat vor allen Dingen den Unterricht seines Vaters, eines hochbegabten Lehrers und eines politisch und religiös frei denkenden Mannes, sein Leben lang in dankbarer Erinnerung behalten. Von 1842 bis 1845 studierte Kapp in Heidelberg und in Berlin die Rechte und trat dann im Frühjahr 1845 in seiner Vaterstadt in den praktischen Justizdienst, aus welchem er infolge der politischen Unruhen am 12. April 1848 freiwillig ausschied. Er begab sich nach Frankfurt a. M., wo er als parlamentarischer Berichterstatter für mehrere Zeitungen arbeitete. Der Septemberputsch nötigte ihn zur Flucht. Die folgenden Jahre verlebte er in Brüssel, Paris und Genf; im März 1850 schiffte er sich nach Newyork ein. Dort hat er die nächsten zwanzig Jahre seines Lebens zugebracht. Sein Lebensberuf war während der längsten Zeit daselbst der eines Rechtsanwalts und Notars. Daneben beteiligte er sich eifrig am politischen Leben, vor allem während der Zeit des Bürgerkriegs, und entwickelte eine reiche und fruchtbare schriftstellerische Thätigkeit. Zwei seiner dort verfaßten größern Werke1 sind der Erörterung der Sklavenfrage gewidmet, die übrigen bilden die ersten urkundlichen und quellenmäßigen Untersuchungen über die Geschichte und die Stellung der Deutschen in den Vereinigten Staaten.2 Diese Schriften haben, wie keine andern vor und nach ihnen, zur Hebung des Deutschtums[13] in den Vereinigten Staaten beigetragen und damit dem gewaltigen Umschwung den Boden geebnet, welchen unter dem Eindruck des Deutsch-Französischen Kriegs die Stellung der Deutschen in den Vereinigten Staaten erfuhr. Ihre wissenschaftliche Bedeutung anerkannte die philosophische Fakultät der Universität Bonn dadurch, daß sie den Verfasser im Jahre 1868 zum Ehrendoktor ernannte.
In Newyork bekleidete Kapp auch von 1866 bis 1870 das Ehrenamt eines Mitglieds des Board of the Commissioners of Emigration.
Im Frühjahr 1870 kehrte er nach Deutschland zurück, nahm seinen Wohnsitz in Berlin und erwarb alsbald wieder das preußische Staatsbürgerrecht. Schon während des Kriegs bot sich ihm neue Gelegenheit zu gemeinnützigem Wirken. Die in Amerika gebildeten Hilfsvereine zur Pflege der Verwundeten und Unterstützung der Witwen und Waisen der Gefallenen ersuchten ihn um seine Vermittelung bei Verwendung der aufgebrachten reichen Gelder, zu welchem Zweck er in das berliner Centralkomitee eintrat. Sogleich nahm er dann regen Anteil an dem öffentlichen und politischen Leben. Er war kurze Zeit Stadtverordneter in Berlin und vertrat von 1872 bis 1878 und von 1881 bis 1884 als Mitglied der nationalliberalen, später der deutschfreisinnigen Partei den Wahlkreis Salzwedel-Gardelegen im Reichstage, von 1874 bis 1877 denselben Wahlkreis auch im preußischen Abgeordnetenhause. Daneben war er litterarisch zunächst auf demselben Gebiete, wie in Amerika weiter thätig, wobei er auch auf eine Berichtigung der deutschen Anschauungen über die amerikanischen Zustände hinwirkte.3
Seit dem Herbst 1877 hatte er sich in der »Geschichte des Deutschen Buchhandels«, zu deren Bearbeitung, wie S. VI fg. näher ausgeführt, der Börsenverein der Deutschen Buchhändler die Anregung gegeben hatte, eine neue Aufgabe gestellt, und dieses Werk bildete von Jahr zu Jahr mehr den alleinigen Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Thätigkeit; um sich ihm ausschließlich zu widmen, hatte er im Sommer 1884 auch abgelehnt, sich wieder um einen Sitz im Reichstage zu bewerben.4 Wie diese Arbeit[14] vom Abschluß des Vertrags bis zu seinem Todesjahre fortgeschritten ist, darüber hat er vom 1. April 1879 bis 20. Januar 1884 im ganzen sechs Berichte an die Historische Kommission des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler erstattet. Die fünf ersten Berichte bilden die Eingangsartikel des 4., 6., 7., 8. und 9. Bandes des Archivs für Geschichte des Deutschen Buchhandels; der letzte Bericht ist abgedruckt in dem amtlichen Teile der Nr. 78 des Börsenblattes für den Deutschen Buchhandel.
Gleich in dem ersten dieser Berichte legt der Verfasser die Grundsätze dar, von welchen er bei Bearbeitung der Werkes auszugehen gedenkt und auch ausgegangen ist. Nur zwei Gesichtspunkte können seiner Meinung nach hierbei in Betracht kommen: »einmal der antiquarisch-statistische, welcher bei der Natur seiner Voraussetzung notwendigerweise seine Hauptstärke in Zahlen, Notizen und oft ansprechenden, oft langweiligen Einzelheiten oder Liebhabereien findet; dann aber die wissenschaftliche Auffassung und Durchführung des Themas, welche den organischen Zusammenhang des Buchhandels mit der allgemeinen deutschen Kulturentwickelung nachzuweisen und den bleibenden geistigen Gehalt, den dauernden nationalen Gewinn aus den lose nebeneinander oder ineinander laufenden Thatsachen herauszuschälen strebt«. Kapp will seine Aufgabe vom letztern Standpunkte aus lösen: »In unsern Tagen«, so sagt er weiter, »wo die bisher zersplitterten deutschen Stämme kaum erst ihre äußere Einheit wiedergefunden haben, kann nur diejenige Geschichtschreibung anregend und nachhaltig wirken, welche diese vaterländischen Strömungen zu läutern und zu vertiefen strebt, welche, indem sie sich der Einzeldarstellung eines so wichtigen Förderers unserer heimischen Bildung, wie des Buchhandels, zuwendet, dem Geiste unsers Volkes bis ins A-B-C-Buch hinein, wenn ich so sagen darf, nachgeht und welche ihn von seinen bescheidensten Regungen an bis zu seinen Großthaten dem allgemeinen Verständnis näher rückt.«
Vor allem und zuerst ging der Verfasser mit Eifer und Nachdruck an die Durchforschung der Archive. Er begann mit dem Besuche von Nürnberg, Augsburg, Ulm, Zürich, Basel und Karlsruhe im Frühjahr[15] 1878; im Herbst des Jahres folgte der Besuch von Düsseldorf und Köln, sowie später von Bremen und Hamburg; der ganze Winter 1878 auf 1879 wurde den eingehendsten und sorgfältigsten Studien in dem Geheimen Staatsarchiv zu Berlin gewidmet. Daran schloß sich im Mai 1879 ein Besuch des städtischen Archivs in Frankfurt a. M., welcher im Mai des folgenden Jahres wiederholt werden mußte. Im Juni 1880 war Kapp in Dresden, im Herbst 1881 zum zweiten mal in Augsburg, Ende März und Anfang April 1883 in Wien, und den Abschluß dieser Thätigkeit machte der verhängnisvolle Besuch des Musée Plantin in Antwerpen am 15. bis 19. Oktober 1884, von welchem er zu Tode erkrankt nach Berlin zurückkehrte. Der Zweck dieses Besuchs, über einige dunkle Punkte des buchhändlerischen Geschäftsbetriebes und der Messen in Frankfurt a.M. Klarheit zu schaffen, wurde im wesentlichen erreicht. Das leipziger Archiv hat Kapp nicht selber durchforscht; die Akten der sächsischen Bücherkommission wurden hier erst zu einer Zeit gleichsam wieder entdeckt, als er schon an die Ausarbeitung des Werkes selbst ging. Er konnte sich hier aber auf die Beihilfe Dr. Albr. Kirchhoffs stützen.
In den Archiven beschränkte sich Kapp meist darauf, alle vorhandenen Akten einer genauen Durchsicht zu unterziehen und diejenigen Aktenstücke sodann zu verzeichnen, welche für die Arbeit von Bedeutung waren. Abschriften dieser Aktenstücke ließ er demnächst anfertigen. Ein umfangreiches Material ist auf diese Weise gesammelt worden, welches teils bei Bearbeitung des ersten Bandes benutzt werden konnte, teils dem einstigen Fortsetzer und Vollender des Werkes sicherlich von großem Werte sein wird. Das Material ist wohlgeordnet dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler von den Hinterbliebenen übergeben worden. Bei Bearbeitung der reichen archivalischen Schätze von Zürich und Basel wurde der Verfasser in wirksamster Weise durch seinen Freund und Vetter August Kapp in Zürich unterstützt. Auch an der Ausarbeitung einiger Abschnitte des Werkes wollte sich dieser beteiligen, als ihn ein schweres Leiden aufs Krankenlager warf, welchem er 26. Juni 1883 erlegen ist.
Bei seinen archivalischen Studien fand Kapp überall das liebenswürdigste Entgegenkommen und die nachhaltigste Hilfe sämtlicher Archivbeamten. Er hat allen diesen Förderern seiner Arbeit in seinen Berichten wiederholt den aufrichtigsten Dank ausgesprochen.
[16] Schon in seinem dritten Bericht (vom 10. März 1880) konnte Kapp mitteilen, daß er mit Anfertigung eines chronologischen und sachlichen Index an die Verarbeitung der gesammelten Materialien herangetreten sei. Wie aus dem vierten Bericht zu ersehen, begann er im Sommer 1880, um sich, wie er sagt, Bedenken und Zweifel aus dem Kopfe zu schlagen und seine Kraft zu erproben, an die Darstellung selbst zu gehen. Im Sommer, während des Aufenthalts auf dem Lande, ward die neuere Geschichte, vor allem die Ausbeute des berliner Archivs, in Angriff genommen, im Winter 1880 auf 1881 wurden die Anfänge der Buchdruckerkunst und der ersten Entwickelung des Buchhandels bearbeitet. Eine erste Frucht dieser letztern Studien war ein Vortrag, welchen Kapp im Februar 1881 vor einem zahlreichen und gewählten Publikum in der Singakademie zu Berlin »über Gutenberg« gehalten hat.
Von jetzt an ging die Fortsetzung der Ausarbeitung mit der Fortsetzung der Quellen- und Litteraturstudien Hand in Hand. Die Darstellung des ersten Jahrhunderts des Buchhandels machte besondere und stets neue Schwierigkeiten, und doch mußte dieser Zeitraum am ausführlichsten behandelt werden, weil in demselben die Grundlage für das eigenartige Geschäftsgetriebe des deutschen Buchhandels gelegt worden ist, und weil die über denselben vorhandenen Vorarbeiten, mehr als die über die spätern Zeiten, sich nur auf Einzelheiten erstreckten und des organischen Zusammenhangs entbehrten. Gleichwohl hoffte Kapp in seinem (am 1. April 1882 erstatteten) vierten Bericht, gegen Ende 1883 den Druck des ersten Bandes in Angriff nehmen zu können, hielt an dieser Hoffnung auch noch in dem fünften Bericht (von 14. Januar 1883) fest, und teilte im sechsten Bericht (am 20. Januar 1884) mit, daß infolge des Todes von August Kapp dieses Ziel nicht habe erreicht werden können.
Kapp hatte sich nach und nach dahin schlüssig gemacht, den gesamten Stoff seines Werkes in zwei Bänden zu verarbeiten. Im fünften Bericht begründet er diese Einteilung wie folgt:
»Der natürliche Schluß des ersten Bandes fällt in die zweite Hälfte, gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Im 17. Jahrhundert erlebte der deutsche Buchhandel seine bis dahin höchste Blüte und seinen tiefsten Niedergang; jene unmittelbar vor dem Dreißigjährigen Kriege, diesen mit dem im Gefolge des letztern auftretenden politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Elend. Es scheint mir deshalb auch das Beste, den[17] ersten Band bis zu dem letztern Zeitpunkte, also dem Ende des 17. Jahrhunderts, fortzuführen, wo die lateinische Sprache vor der deutschen zurücktritt, wo Frankfurt seine internationale Bedeutung verliert und Leipzig in beschränkterm, nationalem Sinne die Aufgeben der frankfurter Buchhändlermessen fortführt.«
Als Kapp die Arbeit übernahm, hatte er sich vorbehalten, für einzelne Abschnitte hinzuzuziehen, weil eine gewisse Teilung der Arbeit notwendig sein werde. Einzelne Versuche, Mitarbeiter zu gewinnen, über welche die Berichte sich äußern, sind schließlich fehlgeschlagen; jedoch gelang es, Herrn Regierungsrat Bucher in Wien und Herrn Professor Dr. Lewis in Greifswald zur Übernahme, und zwar den erstern des vierten Kapitels (Äußeres des Buchs), den letztern des Schlußkapitels (Nachdruck) zu bestimmen. Das vierte Kapitel hatte Kapp im Sommer 1884 erhalten und noch selbst mit Freude und Genugthuung gelesen; das elfte Kapitel ist erst nach seinem Tode abgeschlossen, nachdem sich übrigens Kapp über den Plan und die Darstellung mit Herrn Professor Lewis vollkommen verständigt hatte.
Der Zustand, in welchem sich die Handschrift des ersten Bandes der Geschichte des Deutschen Buchhandels an dem Todestage des Verfassers, dem 27. Oktober 1884, befand, ist in dem Vorworte S. IX fg. dargelegt, auch ist daselbst berichtet, wie und von welchen Herren die vorhandenen Lücken ausgefüllt wurden und die Arbeit druckreif fertiggestellt ist. Ich kann nicht unterlassen, den Herren Geh. Hofrat Dr. Fr. Zarncke, Dr. Albr. Kirchhoff und F. Herm. Meyer für diese aufopfernde, mühselige Thätigkeit den aufrichtigen warmen Dank aller Hinterbliebenen auszusprechen.
Auf den Vorschlag der Historischen Kommission hat der Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler beschlossen, den ersten Band der Geschichte des Deutschen Buchhandels, ohne Rücksicht darauf, ob und wann der zweite Band geschrieben wird, drucken zu lassen. Die schönste Anerkennung für Friedrich Kapps Arbeit wäre es, wenn unter Benutzung des von ihm gesammelten Materials recht bald eine Fortsetzung und ein Schluß der Geschichte des Deutschen Buchhandels in seinem Sinne geschrieben würde.
Charlottenburg-Berlin, im März 1886.
Dr. Alfred v. d. Leyen.[18]
1 | Die Sklavenfrage in den Vereinigten Staaten (Göttingen 1854), und: Geschichte der Sklaverei in den Vereinigten Staaten (Hamburg 1861). |
2 | Leben des Generals von Steuben (Berlin 1858); Leben des Generals Johann Kalb (Stuttgart 1862 und [englisch] Newyork 1884); Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika (Berlin 1864, 2. Aufl. 1872); Geschichte der deutschen Einwanderung in Newyork. 1. Bd. (1. bis 3. Aufl. Newyork 1867-69); Immigration and the Commissioners of Emigration. (Newyork 1870.) |
3 | Es erschienen: Friedrich der Große und die Vereinigten Staaten von Amerika (Leipzig 1871); Aus und über Amerika (2 Bde. Berlin 1876); Justus Erich Bollmann (Berlin 1880). Außerdem zahlreiche Abhandlungen in verschiedenen Zeitschriften. |
4 | Zwei eingehende Lebensbeschreibungen Friedrich Kapps sind bald nach seinem Tode veröffentlicht worden: Friedrich Kapp, Gedächtnißrede von Georg von Bunsen (49. Heft der Volkswirthschaftlichen Zeitfragen. Berlin 1885), und Friedrich Kapp, von H. von Holst (im LV. Bande der Preußischen Jahrbücher. Heft III. S. 217-264). |
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