Bei Tische.

[32] Man wartet, ehe man sich am Tische niederläßt bis die Familie oder Gesellschaft versammelt ist. Hüte[32] Regenschirme, Paletots etc. bringt man nicht mit in das Eßzimmer, sondern legt diese Gegenstände im Corridor oder Vorzimmer ab. Ob, nachdem man Platz genommen, ein Tischgebet gesprochen wird, hängt von der Sitte des Hauses ab, der sich auch der Gast unbedingt zu fügen hat. Die linke Hand ist während des Essens, wenn sie nicht beschäftigt ist, vorn auf den Rand des Tisches zu legen. Niemals darf man den Kopf damit stützen, oder gar, wie ein Bauernknecht, beide Ellenbogen auf den Tisch legen.

Die Hausfrau wird nun die Suppe auffüllen und Jedem einen Teller reichen; den Aelteren oder Höherstehenden zuerst.

Ehe man zu essen beginnt, wartet man, bis Jeder am Tische versorgt ist; hat man den Teller geleert, wartet die Hausfrau, bis die übrige Gesellschaft ein Gleiches gethan, ehe sie zum zweiten Male anbietet. Diese Aufforderung ist stets zu erwarten, nicht aber durch Hinreichen des Tellers eine zweite Portion zu fordern. Alles Schlürfen, Schmacken, Schlingen beim Essen ist streng zu vermeiden. – Der Löffel bleibt, nachdem man den Teller geleert, auf demselben liegen und wird nicht auf das Tischtuch gelegt. Ein Gleiches gilt von Messer und Gabel. Das Messer dient nur zum Zerschneiden, niemals, um die Speisen damit in den Mund zu führen. Man hält es in der rechten Hand, während die Gabel mit der linken Hand nicht zu kurz, damit man die Speisen nicht mit den Fingern berührt, zu fassen ist. Es ist nicht fein, das Stück Fleisch auf dem Teller in kleine Bissen zu schneiden, als wolle man es den Hühnern vorwerfen, sondern man schneidet das Stückchen, welches man gerade essen will, ab, wobei dasselbe nicht größer zu nehmen ist, als es unser Mund bequem fassen kann, um es mit geschlossenen Lippen zu zerkleinern. Knochen abzunagen, dieselben vielleicht gar neben den Teller zu legen, ist durchaus ungehörig. Auch darf man nicht, das Messer kurz in der Hand haltend, das Fleisch von dem Knochen abschaben und sich hinterher die Finger ablecken. – Obstkerne, Fischgräten sind auf den Rand des Tellers zu legen. Ehe man trinkt,[33] wische man sich mit der Serviette, nicht mit der Hand, den Mund rein ab; es ist höchst widerwärtig, die Spuren der fettigen Lippen am Rande des Glases zu gewahren. – Zahnstocher bei Tische zu gebrauchen ist eine vielfach eingerissene Unsitte, die immer aber eine Unsitte bleibt. Kann man nicht umhin, etwas Störendes zu entfernen, so geschehe es, indem man die linke Hand oder die Serviette vorhält, während man die Manipulation voll zieht. Geradezu schauderhaft ist es aber, die Gabel dazu zu verwenden.

Werden die Speisen herumgereicht, darf man nicht lange wählen, sondern muß, auf die Gefahr hin ein weniger gutes oder großes Stück Braten etc. zu erlangen, den Nachbar nicht warten lassen, welches Verfahren für sehr egoistisch gilt. Ebenso dürfen wir die uns gereichten Schüsseln nicht neben uns stellen, nachdem wir daraus genommen haben, sondern reichen sie unserm Nachbar und warten, ist dieser verhindert das Gereichte zu nehmen, so lange, bis er die Hände frei hat. Ausstellungen irgend welcher Art am Essen zu machen, sollte sich während der Tischzeit nicht einmal der Hausherr erlauben. – Bemerkt man, daß irgend etwas knapp oder ein Theil der Tischgesellschaft noch nicht versorgt ist, wird es die Hausfrau uns Dank wissen, wenn wir die Schüssel an uns vorüber gehen lassen. Aus Blödigkeit nichts zu essen, wird Jedermann thöricht finden. Wiederholtes Nöthigen, doch zuzugreifen, oder von dieser oder jener Speise noch etwas zu nehmen, ist lästig für alle Theile und absorbirt jedes Gespräch. Die Hausfrau wird einmal ihre Speisen freundlich anbieten und bei dankender Ablehnung die Schüssel zur Seite stellen.

Auch von solchen Speisen, die uns nicht munden, haben wir etwas auf unseren Teller zu nehmen und zu verzehren, da es kränkend für die Hausfrau ist, wenn ihre Gerichte verschmäht werden. – Obgleich uns nicht zugemuthet werden kann, etwas Unappetitliches bei Tische zu ertragen, so kann es doch selbst in den geordnetsten Haushaltungen vorkommen, daß etwas Ungehöriges in den Speisen, ja vielleicht sogar einmal ein Haar darin[34] gefunden wird. Dieses hat man stillschweigend zu entfernen, nicht aber die Aufmerksamkeit der Uebrigen darauf zu lenken und ihnen dadurch den Appetit zu verderben.

Eine heitere Unterhaltung würzt das Mahl, doch kann dieselbe in ruhiger Weise geführt werden. Nicht suche Einer den Andern zu überschreien, oder ihm das Wort abzuschneiden. Jüngere Personen, Kinder zumal, haben sich bei Tische wie überall still und gesittet zu verhalten und das Wort den Erwachsenen zu überlassen. Aufregende Erzählungen, unliebsame Erörterungen sind bei Tische streng zu vermeiden, da sie der Gesundheit schaden. Im Aerger oder in der Aufregung genossene Speisen machen den Magen krank.

Ist die Mahlzeit beendet, wird von dem Herrn oder der Frau des Hauses das Zeichen zum Aufstehen gegeben und man hat bis dahin zu warten. Will man sich früher erheben, bittet man um die Erlaubniß dazu, erscheint man zu spät am Tische, um Entschuldigung. Man faltet die Serviette zusammen und schiebt, indem man »Gesegnete Mahlzeit« sagt, sei nen Stuhl leise unter den Tisch.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 32-35.
Lizenz:
Kategorien: