Benehmen der Kinder.

[18] Mit diesem Capitel richte ich mich nur an die Erwachsenen, denn sie allein sind verantwortlich für das Benehmen der Kinder.

Wenn ein an und für sich hübsches Kind – und fast möchte ich sagen, hübsch ist jedes Kind, welches gesund aussieht, – nicht zugleich artig und wohlerzogen ist, werden fremde Menschen kein Gefallen daran finden. Ich will gewiß keine Zierpuppen aus den Kindern machen, nein, ich wünsche sie recht kindlich und natürlich zu sehen, aber ohne Zucht, ohne gute Anleitung, und vor allen Dingen ohne gutes Beispiel würde es um die lieben Kleinen recht übel bestellt sein. Kinder beobachten bekanntlich sehr scharf und darum haben wir uns wohl zu hüten, daß wir in ihrer Gegenwart nicht etwas thun oder sagen, was ihnen schädlich ist.[18]

Da dieses kein Buch über Erziehung ist, deren es ja unzählige giebt, so soll hier nur mit wenigen Abweichungen von dem Benehmen der Kleinen gegen Fremde und umgekehrt die Rede sein.

Also um auf das Vorhergehende zurück zu kommen, so verlangt die gute Sitte, die Rücksicht auf die Erzieher des Kindes, von denen, die im Hause aus-und eingehen, daß sie nie in Gegenwart der Kleinen, wie es ja überhaupt nicht der Fall sein sollte – rohe Worte gebrauchen, noch irgend etwas Unziemliches thun, oder gar das Kind zur Heuchelei, zum Ungehorsam oder zur Lüge verleiten. – Auch das Aufhetzen der Kleinen gegen ihre Eltern (vielleicht eine Stiefmutter, einen Stiefvater) oder Erzieher ist geradezu sündhaft und sollte doch Jeder, der in ein junges Gemüth das Gift des Zweifels, des Hasses oder der Lüge flößt, das Verwerfliche seiner Handlungsweise erkennen.

Auch muß man sich wohl hüten, in Gegenwart des Kindes, dessen Schönheit oder Klugheit zu rühmen, wodurch Fremde sich oft bei den Eltern angenehm zu machen suchen und gerade bei vernünftiger Denkweise derselben, das Gegentheil erreichen. Hat das Kind dagegen etwas Gutes gethan, einen Fehler bekämpft oder einen Akt der Selbstüberwindung geübt, so darf auch der Fremde unbeschadet seine Anerkennung darüber aussprechen. Tadeln oder strafen soll man nie ein Kind in Gegenwart Fremder, weil man dadurch das Ehrgefühl des kleinen Sünders verletzt und eine Taktlosigkeit gegen den Erwachsenen begeht, den ein solches Verfahren peinlich berührt, ebenso wie es durchaus unschicklich ist, in Anwesenheit Dritter, die Kinder stets laut zur Ordnung zu rufen. Die Kinder müssen so gewöhnt seien, daß ein leises Wort, ein ernster Blick genügt.

Der Respect gegen die Erwachsenen ist unserer heutigen Jugend ziemlich fremd geworden, aber alle, die es gut meinen mit ihren Kindern, haben in erster Linie darauf zu halten. Man dulde daher nie einen befehlenden Ton den Dienstboten gegenüber, man gewöhne das Kind frühzeitig um alles zu bitten, für alles zu danken, was ihm zu Theil wird und sei es auch aus[19] der Hand des Dieners oder der Kinderfrau. Uns wurde schon von früh an gelehrt, sobald wir einen Auftrag der Eltern in Küche oder Dienstbotenzimmer auszurichten hatten, niemals zu sagen »Du solltest dieses und jenes einmal thun« –, sondern stets »Du möchtest« etc. Es ist dieses ein nicht so kleiner Unterschied, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheint.

Die kleinen Wildfänge zerreißen und beschmutzen ihre Anzüge auf unglaublich leichtsinnige Weise. Ernste Strafen soll man ihnen deshalb nicht ertheilen, aber kleine Strafen sind hie und da doch angebracht, wenn sie es gar zu arg treiben. Der Sinn für Reinlichkeit ist mit Consequenz auch dem für diese Regung wenig empfänglichen Kinde beizubringen und Versagen eines Spazierganges oder Confisciren von Taschenmessern, Bindfaden und dergleichen oft von ungeahnter Wirkung. Ganz besonders hat man darauf zu achten, daß jedes Kind stets ein Taschentuch bei sich führt. Es ist ebenso grauenhaft, das Schnüffeln der kleinen Nasen zu ertragen, als wenn man in höchster Noth, das eigene Tuch für die kleinen Vergeßlichen opfern muß. Ich weiß, daß bei diesem Fehler ein versagter Apfel zum Vesper oder eine Stunde früheren Zubettgehens zuletzt Wandel schaffte.

Trotz aller Sorgfalt haben die Kleinen doch oft nicht sehr saubere Hände und soll man daher nie darauf bestehen, daß sie ohne Aufforderung dem fremden Onkel oder der Tante die Hand geben, ist man seiner Sache in diesem Punkte nicht sicher. Will das Kind mit sauberen Händchen sich nicht gleich dazu verstehen, so lasse man es gehen, denn es langweilt den Dritten, wenn er als Object zur Erziehung des Kindes dienen soll.

Dem fremden Onkel? der Tante? Warum diese Benennungen, ohne daß irgend ein Verwandtschaftsgrad besteht? Warum nicht einfach zu dem Kinde sagen: »Gieb dem Herrn, der Dame, der Frau oder dem Manne die Hand«.

Die meisten Menschen lieben es nicht, sich von fremden Kindern so vertraulich benennen zu lassen, und das Kind selbst weiß zuletzt keine Unterscheidung mehr zu machen und redet schließlich den Bettler als Onkel an.[20]

Kinder haben sich ruhig zu verhalten, wenn Erwachsene im Zimmer sind, und obgleich sie ja gewiß für die Eltern die Hauptpersonen sind, so dürfen sie es doch nie merken.

Weder Sopha's noch Lehnstühle sind von der Jugend in Beschlag zu nehmen; tritt Jemand Fremdes in's Zimmer, muß der Knabe oder das kleine Mädchen stets höflich aufstehen, darf sich dann aber wieder setzen und kann, wenn es nicht anders gewünscht wird, in seiner Beschäftigung, ist diese keine geräuschvolle, fortfahren. Redet der Besuchende aber das Kind an, so muß dasselbe sich von seinem Sitz erheben und ihm freundlich und höflich Antwort geben.

Für die Tischzeit giebt es eine Menge Vorschriften für die Kinder, die sorglich zu beachten sind, damit ihm ein gutes und feines Benehmen beim Essen zur Gewohnheit wird. Es läßt sich, was in diesem Punkt verfehlt ist, später schwer wieder nachholen.

Also zuerst. Frisch geseift und gekämmt wird angetreten, eine saubere Schürze ist, wenn sie überhaupt getragen wird, auch zu präsentiren. Mützen, auch Tonnenreifen, Stelzen etc. gehören nicht in das Eßzimmer. So leise als möglich nimmt dann jedes Kind seinen Platz ein, läßt sich die Serviette vorbinden, spielt nicht mit Löffel, Gabel oder Brod, wartet bescheiden bis ihm gegeben wird, fordert nicht, plappert überhaupt nicht beständig, sitzt gerade auf seinem Stuhl, pufft nicht rechts und links den Nachbarn, strampelt nicht mit den Füßen, vergießt nichts von der Suppe, befördert nicht die Speise über den Rand des Tellers auf das Tischtuch (bei kleineren Kindern, die noch kein Messer gebrauchen können, empfiehlt es sich, ihnen eine Brodrinde in die Hand zu geben, womit sie die Speisen leicht auf die Gabel oder den Löffel schieben können), haucht nicht beim Trinken in's Glas, schmackt nicht, schlürft nicht, ißt auch von den Gerichten, die ihm weniger munden, weint nicht, wenn es von dem Nachtisch nichts bekommt und erhebt sich leise, wenn ihm das Zeichen zum Aufbruch gegeben wird.

Man denke nicht, daß diese Anforderungen übertrieben[21] und nicht auszuführen sind. Mir verwandte Kinder sind also erzogen und feine, gesittete Menschen geworden.

Das Ordnen der Commode oder des Schrankes, in dem sich die Spielsachen oder Bücher befinden, ist von den Kindern streng zu verlangen. Das Kind darf nie gespielt oder gearbeitet haben, ohne daß es hinterher jedes Ding wieder an seinen Platz legt. Gewissenhaftigkeit, auch in kleinen Dingen, muß man fordern und hat ein Kind einmal übernommen, dem Vögelchen Futter zu geben, oder den Hund, das Kätzchen zu versorgen, darf keine Nachlässigkeit geduldet werden.

Früh schon gewöhne man die Kinder, kleine Opfer zu bringen, bei einem Leckerbissen mit seinen Kameraden zu theilen. Erwachsenen soll man nicht zumuthen, aus Kinderhand sich Bonbons oder Kuchen verabreichen zu lassen. Bittet ein Fremder aber scherzend das Kind, ihm etwas abzugeben, muß er auch das ihm Gereichte wirklich nehmen, um das Kind nicht irre zu machen.

Gewiß ist es gut, dann und wann Almosen durch das Kind vertheilen zu lassen, doch muß dieses ohne jede Ostentation geschehen und man darf nicht versäumen, ihm dabei vor die Seele zu führen, wie glücklich der kleine Geber doch ist, daß es ihm vergönnt ist, Arme oder Kranke zu erfreuen. Dadurch leitet man das kleine Herz zur Dankbarkeit gegen Gott und weckt das Mitgefühl. Niemals aber spreche man zu dem Kinde von einem schmutzigen Bettelmann, einem häßlichen alten Juden oder flöße ihm Furcht ein vor einem Mißgestalteten, denn dadurch würde man die Kinder dahin bringen, sich auf der Straße vielleicht häßliche Neckereien zu erlauben und Erwachsene, die durch irgend etwas ihr Mißfallen erregen, zu verhöhnen, durch nachrufen schlechter Namen. Nicht einmal einen Trunkenen soll man verhöhnen, dieses gilt auch für die großen Leute. Wer aber lacht über einen Krüppel, oder über einen Hingefallenen statt hinzuzuspringen und hülfreiche Hand zu leisten, legt Zeugniß von einer rohen Gemüthsweise ab.

Hand in Hand damit geht das Mitgefühl, das Inte resse für die Thiere und das Wort: »Quäle nie ein[22] Thier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz« – kann nicht oft genug gesagt werden. Grausamkeit gegen Thiere ist oft die Schule zu großen Verbrechen gewesen.

Ein schlimmer Punkt ist immer das Zubettgehen für die Kinder und wohl ihnen, wenn dafür eine feststehende Ordnung eingeführt ist, an der nicht gerüttelt werden darf. Dadurch werden viele Bitten und Ermahnungen, Thränen und Drohungen erspart.

Ist Besuch bei den Eltern, so gehören Kinder nicht ins Zimmer und dürfen nicht unaufgefordert erscheinen, oder sich wohl gar wie Kletten an den Arm der Mama hängen und durch keine Ermahnungen fortzubringen sein. Es giebt Familien, bei denen, sobald Besuch ins Zimmer tritt, die ganze Kinderschaar hinterherstürzt, sich um den Tisch pflanzt und nun begierig jedes Wort von den Lippen des Fremden liest, Worte, die oft keineswegs für die jungen Wesen bestimmt sind. Dergleichen ist sehr ungehörig, ebenso wenn man es den Kindern gestattet, irgend welche abfällige Bemerkungen über die Besuchenden zu machen, ja solche vorlaute Aeußerungen wohl gar als Witze belacht und colportirt. Weder über die Besuche selbst, noch über die Dauer derselben, haben die Kinder ihr Urtheil abzugeben, oder wohl gar, durch eigenmächtiges Eingreifen, dieselben zu verkürzen.

Ich erinnere mich, daß einer meiner Bekannten, wenn er von den Unarten seiner Kindheit sprach, stets erzählte, wie eine Freundin der Mutter so lange geblieben, bis die Tischzeit heranrückte und mein Berichterstatter mit der unartigen Frage ins Zimmer gestürzt sei: »Mutter, essen wir denn noch nicht?« worauf diese äußerst verlegen die erschreckte Dame mit der Versicherung, daß es noch längst nicht so weit sei, zurückzuhalten strebte. Das paßte aber dem kleinen Unhold schlecht. Er eilte in die Küche, spießte einen dicken Kloß auf die Gabel, und ihn der Mutter vorhaltend, rief er triumphirend: »Siehst Du nun wohl, sie sind ganz gar!«

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 18-23.
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