2.

Familiengemälde.

[107] Ich gieng eines Sonntags aus der Pension zu einer Nachbarin, von der französischen[107] Kolonie. Es war nach Mittag, ich hatte sie vorher noch niemals besucht. In einem grünen Lehnstuhl, vor dem Tisch, saß der alte Vater. Vor ihm lag eine französische Bibel, ein Psalmbuch, und ein Band Religionsbetrachtungen. Neben ihm saß seine Frau, und ihre Kinder um sie her. Am Ende des Tisches die Köchin. Mir wurde ein Stuhl im Kreis gesetzt, und ich hörte den Alten aus der Bibel vorlesen; sodann wurde das Buch nach der Reihe herum den Kindern gegeben, und nachdem ein Psalm gesungen. Ein stilles Gebet endigte diese fromme Beschäftigung. Nun wurde uns Kindern allerley Spielzeug gegeben, und es war die alte Mutter, die uns aufgab was wir spielen sollten; jedes dieser Spiele wurde durch die Erzählungen und Lehren der Mutter so nützlich, als es heiter und angenehm war. Nach einer guten Stunde wurde[108] der Kaffee gebracht, mit einem halben französischen Brode. Als er getrunken war nahm die Tochter Nanette ihr Strickzeug, die Knaben giengen an ihre Bücher, und die Köchin setzte sich mit der Arbeit vor der Thür; indeß die beiden Aeltern im Lehnstuhl sich unterredeten, und uns bisweilen in das Gespräch mischten. So blieben alle bis sieben Uhr, wo eine Suppe und Brod, Radiese und Butter zum Abendessen aufgesetzt wurden. Den Aeltern wurde noch kalter Braten servirt, wovon aber den Kindern nicht angeboten wurde; die davon auch nicht zu begehren schienen; sie aßen sehr anständig, und sahen aus, wie die blühende Gesundheit, ganz froh und lächelnd. Da es Sonntag war durften wir nach dem Essen noch eine Stunde plaudern, und am Fenster stehen, doch hatte Nanette dabei ihre Arbeit in der Hand. Nun kamen auch Bekanntinnen, und auch[109] ein Freund des Hauses, sagten den Alten einen guten Abend, und hatten so viel, wußten so viel mit einander zu sprechen, daß man geglaubt hätte, lauter Geschwister um sich zu sehen. Dabei wurde die Fröhlichkeit ohne andere Hülfe unterhalten, als durch gegenseitiges Gespräch, sie kam aus gutem Herzen, und durfte nicht erst erregt werden. – Am andern Sonntag gieng ich wieder in dies Haus. Abends versammleten sich eine Menge Bekannten. Alles hieß sich Cousin und Cousine, alles war vergnügt, und spielte kleine Spiele, eines so einfach und heiter als das andere, alle nur dazu geschaffen, der ächten Fröhlichkeit, die den ganzen Kreis beseelte, eine Form zu geben. Die Magd fehlte nie im Zimmer, aber die Herrschaft durfte nur das Auge aufschlagen, so wußte sie schon was sie wollte; und nichts gleicht der zärtlichen Achtung, die sie den Kindern bezeigte.[110]

Wenn im Hause ein Geburtstag vorfiel, so wurde ein Ball gegeben. Die Söhne machten wechselsweis die Musiker und Tänzer. Die Mädchen trugen an solchen Festtagen linnene Kleider, und im Haar ein buntes Band, auch wohl eine Blume; die Busentracht war damals ein doppeltes Tuch von feinem Battist; so auch die Schürzen. Die Kleider waren mit selbstgestickten Blumenranken geziert, die Manschetten bestanden aus selbstgewebten Kanten; die Handschuh waren gestrickt; nach feinen durchbrochnen Mustern. Es war eine Lust so ein sittsames Mädchen zu sehen, geschmückt mit den Zierden des eignen Fleißes. Die Töchter wurden zur Besorgung des Hauswesens angehalten; das in gleicher Ordnung, Woche für Woche fortgieng. Am Sonnabend wurde das ganze Haus gesäubert, am Abend war schon alles ruhig im Hause, alles auf[111] den folgenden Tag besorgt, die Stille und Ruhe war, wie eine feyerliche Vorbereitung zum Sonntag. Am Morgen gieng dann alles in die Kirche, und dann zu Tisch. So wuchsen die Kinder aus dieser Familie zu redlichen Bürgern heran, die das Beispiel und die Sitten ihrer Aeltern wieder auf ihre Kinder übertragen werden. Der Alte war Kirchenvorsteher, Beysitzer in einem Gerichte, Vormund vieler Waisen, und Armenpfleger. Doch hatte er keinen Titel von all diesen Aemtern, und keine Einnahme. Ich habe gesehen wie er von einer Arbeit aufstand, um auf dem Rathhause für jemand zu sprechen, der in der Noth war. Ein andersmal, zu der in der Kirche gesammelten Summe, für die Armen seines Stadtviertels noch zwei Drittheile zulegte, wie er Waisen, denen er sich zum Vormund anbot, aus seinen eignen Mitteln erziehen[112] ließ; und sie so zu guten Bürgern machte, wie er Töchter in Häusern ausstattete wo viele Kinder waren. Nie sahen seine eigne Kinder zu solchen Gaben scheel, denn sie lernten aus solchem Beispiel, künftig ein Gleiches zu thun.

Allen Seelen in diesem Hause war wohl, niemand klagte über Langeweile oder über Nervenschwäche, niemand fühlte sich von zu vieler Arbeit gedrückt, weil alles in einer Ordnung gieng.

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 107-113.
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