4.

Biographie.

[113] Ein junger, liebenswürdiger Erbe, der zu seinem Vergnügen nach der Residenz gekommen war, traf in einem der vornehmsten Cirkel die junge Wilhelmine *, Tochter des Geheimderaths *, ein schönes Mädchen, eine Dianengestalt mit dem Blick der Juno. Der Jüngling wurde von ihr bezaubert; ich sahe, wie seine Augen ihren Bewegungen folgten, wie das Beben ihre Locken, das Flattern ihrer Busenschleife schon das Spiel seiner Nerven rührten, wie er jede Wendung ihres rauschenden Kleides an seinem Herzen fühlte. Ihre schlaue Mutter bemerkte ihn bald, und wußte ihre Entdeckung zu benutzen; als Besitzerin eines Hauses, welches der Sammelplatz der großen Welt von B. war, hatte sie einen Vorwand,[114] den jungen Mann zu sich einzuladen, der die Einladung mit Entzücken annahm. Ihre Tochter, der Liebling des Vaters, war unter ihren Geschwistern die Einzige, welche an keiner Art von Beschäftigung, und an keiner Lustbarkeit Ergötzen fand, als an einer Menagerie von den seltensten und mannichfaltigsten Gattungen von Thieren, die sie alle mit eigner Hand pflegte und fütterte. Ihre Aussenseite war kalt und stolz; doch sie hatte eine Vorliebe für den Adel, und sah die Uniform gern. Ein junger Husarenoffizier, aus einem alten Hause, dreist und feurig, ein Faun in der Gestalt eines Antinous, bemerkte, wie die großen Augen der schönen Wilhelmine von ihrem Eis verloren, wenn sie ihn ansah, und er nahm sich vor, solche Blicke nicht ungestraft von sich zu lassen. Wilhelmine war verführt, ehe sie nur wußte, wie ihr[115] geschah; sie schmeichelte sich jedoch mit der Hoffnung, ihn zu heirathen, denn sie glaubte sie wäre reich, und hielt sich für liebenswürdig genug, um mit ihrer Schönheit und Verstande zu ersetzen, was ihr an Adel der Geburt abgieng. Der Mutter war dies Verständniß nicht entgangen; doch sorgte sie selbst dafür, es heimlich zu halten, damit ihre Tochter nicht dadurch in übeln Ruf käme, auch that sie nie, als ob sie davon wüßte. Der reiche Erbe, den ihre Tochter nicht einmal bemerkt hatte, benutzte, so eilig es angehen konnte, die Erlaubniß, das Haus der schönen Wilhelmine zu besuchen. Er kömmt, sieht die Tochter nur als Schaugericht, und wird von der Mutter unaufhörlichem Geplauder nur in größere Freyheit gesetzt, die anscheinende stille Würde und jungfräuliche Zurückhaltung seiner Geliebte zu bewundern. Er geht verliebter[116] fort als er gekommen war. Einige Tage darauf besucht er einen Freund des Hauses, dem die Mutter schon zu verstehen gegeben, daß der junge B. Absichten auf ihre Tochter habe, ein Mann, der in der Stadt und bei Hofe in großem Ansehen stand. Seine freundliche Reden finden bald Eingang in das Herz des jungen Mannes, der sich ihm entdeckt. Mein lieber B., sagt der listige Freund, Sie machen mir viel Vergnügen, daß Sie sich mir entdeckt haben, denn sonst wäre Ihre Geliebte Ihnen entgangen; ihre Aeltern bestimmen sie einem reichen Banquier, und dies junge Mädchen, die nichts kennt, als den Willen ihrer Aeltern, wäre nicht ungehorsam gewesen; jetzt aber will ich mich für Sie verwenden, und ich glaube Ihnen sagen zu können, daß ich Einfluß genug in diesem Hause habe, um Ihnen zu nützen. Der junge B. war entzückt, und[117] gieng voller Hoffnung nach Hause. Er fand dort Geschäftsbriefe, die ihn auf einige Wochen in die Provinz riefen, er mußte schleunig fort. Vorher fuhr er bei der Mutter Wilhelminens vor. Sie frug ihn mit scheinbarer Bekümmerniß: Sie wollen uns schon verlassen? – Ich darf nicht hoffen, je vermißt zu werden, sagte der junge Mann; ein so unbedeutender bekannter Mensch, als ich bin, wird nirgend bemerkt. – Sie irren Sich, sagte die Geheimderäthin; aber was sprechen Sie denn von Kummer? Ist niemand hier so glücklich gewesen, Ihr Vertrauen zu gewinnen, oder glauben Sie, daß Sie mich erst durch eine erfundene Bekümmerniß zu Ihrer Freundinn machen? Ich war es vom ersten Augenblick, da ich Sie gesehen.

Der Jüngling stand auf, küßte ihre Hand: Darf ich Sie, Madame, auf die Probe setzen?[118]

Die Mutter sich verneigend: Ich erwarte es von Ihnen.

Ich werd' es, sagte er, mit dem edlen Anstande seiner Seele, denn keiner lieblichen, wohlgebauten Gestalt war von der Natur mehr geistige Anmuth verliehen worden, als diesem Jüngling. Er gieng. Den ersten Posttag darauf kömmt ein Brief von ihm an die Mutter; es war eine Bitte um Wilhelminens Hand. Auch dem Hausfreund hatte er geschrieben; in dem Brief an die Mutter lag einer an Wilhelminen. Die Mutter las beide; der an die Tochter ist mir zu Handen gekommen:


Mademoiselle!


Sie werden dies Blatt von Ihrer Frau Mutter erhalten; wenn eine solche Vorsprecherinn mir Ihr Herz nicht zuneigt, so hab ich auf der Welt nichts zu erwarten,[119] als ein trauriges Leben. Ich wag' es nicht, Mademoiselle, selbst um ein Glück zu bitten, das die gütige Vorsehung, wenn sie es mir gewährt, zu ertragen mir Kräfte verleihen müßte, wenn es mich nicht übermüthig machen sollte. Ihr ganz ergebenster

B.


Die Geheimderäthin gieng sogleich beide Briefe zu beantworten. Sodann rief sie die Tochter, die aus ihrer Menagerie kam, verdrüßlich daß sie ihre Thiere verlassen mußte. Hier, sagte die Mutter, schreib mir einmal dies Briefchen ins Reine. An wen denn, Mutter? An deinen Bräutigam. »Ey ich habe ja keinen.« Was du nicht weißt, da lies einmal; sie gab ihr B–s Brief an sie. Die Tochter las mit dem nämlichen kalten Gesicht, welches sie aus der Menagerie mitgebracht hatte. Das versteh ich nicht, sagte; wenn der mich haben[120] will, mag er sich nur die Lust vergehen lassen; ich will ihn nicht. Du willst ihn nicht? sagte die Mutter, ich sage dir: du mußt. Wen willst du denn? »Niemand will ich haben.« Du lügst, du willst den Herrn ***, aber daran ist nicht zu denken. Und daß du es nur wissest, dein Vater soll alles erfahren, wenn du nicht gleich gehorsam bist. Die Tochter wurde leichenblaß: Liebe Mutter! – Es bleibt dabei, sagte die Mutter, du heirathest den B. Er ist reich, du wirst eine große Rolle spielen, deinem Liebhaber ist darum nicht verboten dich zu sehen, führe dich nur so auf, da der Schein gedeckt ist. Die Tochter sann einige Minuten nach. Wird's? sagte die Geheimderäthin, und Wilhelmine schrieb:


Mein Herr!


Die liebenswürdige Verwirrung Ihres Schreibens ist unendlich schmerzhaft für[121] mich; der Weg ist reizend, den Sie zu meinem Herzen nehmen, da er uns die Feinheit Ihrer Gesinnungen bekannt macht. Ich werde diejenige glücklich schätzen, die vom Schicksal bestimmt ist, einen solchen Weg mit Ihnen zu Ende zu gehen. Es scheint als wünschten Sie etwas von mir; ich hoffe aber, Sie werden selbst kommen, und es erklären, da ich jetzt leicht zu viel sagen könnte.

Ihre ergebenste

W.


Die Briefe wurden fortgeschickt; der Jüngling glaubte für Freude zu vergehen. Seine Ungeduld ließ ihn nicht die Vollendung seiner Geschäfte abwarten, er bewog einen Freund, sie zu übernehmen, und eilte nach B. Die Geheimderäthin, da sie ihn sah, verlor für Vergnügen die Hälfte ihrer Schwatzhaftigkeit. Kälter als je empfing[122] ihn die Tochter. Das ist mädchenhafte Sittsamkeit, Zucht, Würde! dachte B., und sie ward seine Göttin, er betete sie an. Die Verlobung wurde festgesetzt. Die Unterhaltung des Liebhabers hielt Wilhelminen für den Zwang schadlos, den die Gegenwart ihres Verlobten ihr auflegte. Sie wurde gegen diesen letztern immer spröder und kälter, er aber, ganz Liebe und Gluth, hielt sich schon für zu glücklich, durch die Hoffnung auf ihren Besitz. Die kostbarsten Geschenke gab er ihr, mit einer Art, als wäre es eine Gunst und Wohlthat von ihr, sie anzunehmen. Ein halbes Lächeln, ein Schein von Freude in ihrem Blick, war ihm Belohnung genug: Sie hat, dachte er, eine große uneigennützige Seele, sie liebt nur dich, alles andere ist ihr gering.

Der Hochzeittag kömmt. Ein goldner Frühlingsmorgen weckt ihn mit dem sanften[123] Schlagen seines Rosenfittigs. Jede Empfindung der Liebe, jedes Verlangen bis zu diesem paradiesischen Morgen gespart. – Welch ein Erwachen! Er fliegt vom Lager. Sein erster Gedanke ist die Braut. Sein Auge glänzte wie die Veilchen im Thau. Nein, rief er, kein Morgengruß, kein Mittagsstrahl breche der Wonne etwas ab, sie im hochzeitlichen Kranze zu sehen. Sie wird mein! dieser Gedanke soll meinen ganzen Tag füllen, ich will nichts sehen, nichts hören, nichts genießen, bis sie geschmückt mir sagen läßt: daß sie mich am Altar erwarte.

So taumelte er in entzückender Ahndung in den Zimmern umher, ließ alle Menschen gewähren, und mit sich machen was man wollte, bis er gerufen wurde. Ich war bei der Braut, da er kam: die Gestalt eines angekleideten Liebesgottes. Er[124] küßte ihr nicht die Hand, sondern trat leisebebend vor ihr hin. Gefall ich Ihnen nun? rief sie ihm aus ihrer eingeprägten Lekzion entgegen. Er konnte nichts sprechen, drückte nur mit halben Lippen ihre dargereichte Hand, da er vor Entzücken seiner selbst nicht mächtig war.

Kaum war Wilhelmine verheirathet, als sie alle Bande des Zwangs und der Verstellung zerriß. Ueberall, wo sie war, fand sich der Cornet, ihr Liebhaber, ihre Zirkel waren nicht die ihres Mannes, ihre Bekannten nicht die seinigen; und so hielt sie den Mann, der nach ihr schmachtete, in steter Entfernung. Spät zu Nacht kam sie zu Hause. Sah er leidend aus, so streichelte sie ihm die Backen, schmollte er, so schmollte auch sie. Schloß er sich unmuthig in sein Kabinet, und es war ihr nicht recht,[125] so pochte sie ihn heraus. Ihr Blick und ihr Lächeln hatten viel Sprechendes; ihr Gesicht und Wuchs war eine schöne Harmonie, und die Natur hatte ihr so viel Ausdruck gegeben, als es ihr an innerm Gefühl gebrach. Wenn ihr Mann also in ihr Auge sah, glaubte er alles darin zu finden, was ihr Betragen ihn vermissen ließ. Er seufzte; sie sah ihn freundlich an, duldete, daß er sich eine halbe Stunde lang neben ihr setzen durfte, umschlang ihn mit zwei kalten Armen, und ihm war wie an dem Busen einer guten Göttinn. Bald aber entzog sie sich ihm, um an die Toilette zu gehen, und sich für ihre Bewunderer zu putzen. Er stellte sich dann neben sie, ließ ihr aufgelöstes langes Haar durch seine Finger laufen, sah ihr über die Stirn in das große schöne Auge, strich die heruntergefallne Locken davon weg, und küßte sie, als ob er noch nie[126] sie geküßt hätte. Für ihren Putz hatte sie tausend Einfälle, und er hatte dabei so gern mit ihr den Streit der Zärtlichkeit; es war ihm lieb, wenn sie seine fürstliche Geschenke nach seiner Wahl anordnete; und wenn sie sich herabließ, seine Meynung anzunehmen, so dünkte er sich mehr als ein Sterblicher. Zuweilen aber gieng der leichte Streit der Liebe in Zänkerey von Seiten der Dame über. So geschah es einst mit einem Kamm von Schildkröte, den sie ohne sein Wissen machen lassen. Ihr Mann kömmt dazu, eben da sie ihn aufsetzen will, er nimmt ihn ihr leise ab, und bricht ihn in zwei Stücke. Sie fährt auf, sagt ihm die härtesten Dinge, und bezeigt sich ganz wüthend. Er küßt gelassen ihre Hand, und sagt, indem er ihr einen Kamm mit Perlen und Diamanten besetzt darreicht: Ich wollte Ihnen nur diesen dafür aufsetzen.[127] Für den Augenblick war sie beschämt, dann dachte sie nicht weiter daran.

Er wurde von ihrem Einverständniß mit dem Kornet benachrichtigt. Man beweise es mir! rief er aus. Er wurde in einen großen Garten, hinter einer Hecke versteckt, und hörte den Kornet, wie er, Wilhelminen am Arm, vorbei kam, und sagte: Nur keinen solchen Kuß Ihrem Manne! Ich erschösse mich auf der Stelle, wenn ich ihn glücklich sähe. O! rief sie, der dumme Bürgerjunge, der Zwerg! den werden Sie doch nicht fürchten! – Sie waren nun vorbei, und voller Wuth gieng der Mann nach Hause, mit dem heißesten Wunsch nach Rache, mit dem tiefsten Gefühl seiner beleidigten Ehre in der Brust. Doch mußte die zarteste und innigste Liebe siegen, die je ein menschliches Herz empfunden. Ach! seufzte er, sie hat eine göttliche Gestalt,[128] warum mußte ich so klein werden, warum mußte ich bürgerlich geboren seyn? Was hilft mir all' mein Reichthum, wenn er die bessere Hälfte meines Wesens, mein Weib, nicht glücklich macht? Mein ist die Schuld, sie hat einen edlen Stolz, auf einem Thron sollte sie sitzen, was bin ich neben ihr? Ehrgeiz kann die Quelle aller Tugenden werden. Ich will mich ihrer würdig machen. Vielleicht kehrt sie dadurch zu allen guten Eigenschaften zurück, die ihr angeboren sind.

Er kaufte heimlich für hunderttausend Thaler Landgüter, und ließ sich adeln. Den Rest seines Vermögens schoß er zu einer Bank, mit der er in Compagnie trat. Als dies alles berichtigt war, überraschte er eines Morgens seine Frau mit den Dokumenten. Sie lächelte gar süß, gab ihm einen Kuß, und sagte: Lieber Mann, das haben Sie ja recht fein gemacht! – Nun war in seinem[129] Herzen alles wieder Liebe und Glück, es war der seligste Augenblick seines Lebens.

Sie war nun Dame; doch war sie um nichts angesehner, es zog sich im Gegentheil alle Art Gesellschaft von ihr zurück; die Altadlichen aus Stolz, die Bürgerlichen, weil sie glaubten, daß sie mehr seyn wollte als sie; so, daß nur noch die mit ihrem Hause Umgang hielten, welche durch den Aufwand und das gute Essen angezogen worden, und wenn dies gleich die meisten waren, so waren es doch nicht die besten. Dazu kam, daß die Bank, mit der er in Verhältnissen stand, bankrott machte: in acht Tagen waren achtzigtausend Reichsthaler verlohren. Seine in der Eil gekaufte Güter trugen nur die Hälfte Zinsen, Mißwachs hatte auch diese verringert. Er mußte sie wieder so eilig verkaufen, als er sie gekauft hatte; nahm den Ueberschuß daraus, und seinen neuen Titel,[130] und gieng damit an den Hof eines entfernten Monarchen, woselbst er die Stelle eines Agenten annahm. Die Geschäfte aber verrichtete er nicht in Person, sondern er hatte an jedem Hofe seine Unteragenten, diese bezahlte er reichlich; kaufte sich in der Residenz einen Pallast, nahm den einen Flügel für sich, und ließ den andern von seiner Dame einnehmen. Jeder hatte seine Equipage, seinen Koch, seine Gäste; und was die Monarchin nicht kaufen wollte, das war für seine Frau gut genug. Auf diese Art hatte er eine immer heitre Gemahlin, die durch seine Liebe, wie von Geistern bedient, wie eine Feenkönigin lebte. Er ließ sich melden, wenn er zu ihr wollte, dies that er aus Zartheit; sie ließ sich melden, wenn sie zu ihm wollte, dies that sie aus Ceremoniel.[131]

Sie gebar ihm drei Kinder, that zweimal eine Reise nach B., und lobte ihren Gemahl, nicht mit Worten, sondern durch den Aufwand, den er ihr machen ließ. Sieben Jahre waren auf diese Weise wie ein Weihrauchduft verflogen, als einige Gläubiger erklärten, daß sie nichts mehr vorschießen wollten. Sie fingen an laut zu werden, und er griff zu dem äußersten Hülfsmittel aller Verschwender, er betrog seinen Monarchen. Durch seine Privatschulden wäre er auf die Festung gekommen, sein Betrug aber verwirkte ihm das Leben; er wußte es, schritt aber immer weiter nach dem Abgrund zu, ohne noch etwas zurückzulassen, das ihn hätte retten können: er wollte in allem glänzend seyn, selbst in seinem Untergange. Ein Jahr noch lebte er auf diese Weise, ohne daß man entdecken konnte, woher die Quelle seines stärkern Aufwands kam. Er war ein Liebling seines[132] Monarchen, und darauf rechneten seine Gläubiger, wenn sie entweder nicht befriedigt oder aufs neue angesprochen wurden. Bald aber war der Kelch seines Unglücks voll; die Rechnungen wurden untersucht, die Lücken bemerkt, der Betrug entdeckt. Er hatte auf den Namen des Monarchen ungeheure Summen geliehen. Er wurde in das Gefängniß gesetzt, seine Frau und Kinder in Verwahrung genommen, der schöne Pallast, die reichen Geräthe, der Justiz Preis gegeben, und ihm selbst der Prozeß gemacht.

In seinem dunkeln Kerker sich selbst überlassen, rief der Unglückliche aus; Sie oder der Tod war mein erster Gedanke, als ich sie gesehen hatte; Sie und der Tod ... Beide sind mein. Ich besaß sie, und sterbe als der Ihrige, zwar sterb ich, von ihr nur halb erkannt, aber mein Tod, ja mein Tod, der wird mir ihr ganzes Herz schenken,[133] sie wird, sie muß es empfinden, daß ich um ihretwillen – Er forderte Schreibzeug und Papier, und schrieb drei französische Briefe, die mir durch die Verwandten gezeigt wurden, die aber sonst in der Familie allein geblieben. Hier sind sie übersetzt:


An den Monarchen.


Ich fühl es in den letzten Augenblicken meines Lebens, daß ich ein Verbrecher an der überschwenglichen Huld meines Monarchen bin; ich will nicht leben bleiben, damit, wenn mir verziehen wird, ich nicht ein reuevolles, bedecktes Leben (existence flétrie) mit mir trage, und nur langsamer und peinlicher zum Tode gehe. Sollte ich aber im Gegentheil um Vergebung flehen, und keine erlangen, so will ich Eurer Majestät eine[134] Regung des Mitleids ersparen, die einem weniger Strafbaren gehört, als

Eurer Majestät

sterbenden Knecht.

B.


An seinen Onkel schrieb er:


Liebe und falscher Ehrgeiz haben mich unglücklich gemacht, ich sterbe; man beklage mich nicht, ich will in meiner Art der einzige Unglückliche seyn. Sie werden von mir hören. Ich konnte das Geld nie anders leiden, als wenn ich es mir als ein Mittel dachte, Gutes zu thun und glücklich zu seyn. So schwelgte ich in meiner Erbschaft, bis mich der Rausch der Verschwendung fortriß zum Bösen, bis ich mich vergieng zu entsetzlicher Verletzung meiner Pflichten. Ich kenne Ihr Herz, mein Onkel. Sie werden meine Uebelthat nicht meiner Frau, meinen Kindern entgelten lassen. Seyen Sie diesen[135] Unschuldigen, die noch ohne Erfahrung, und schon so unglücklich sind, ein Vater, wie ich es nicht gewesen bin. Mein Segen folgt Ihrer edlen That, der Segen eines Missethäters, sollt er darum bei Gott keinen Werth haben?


An seine Frau.


Ich wünschte vor Ihrem Angesichte zu eben, und in Ihren Armen zu sterben; wenn sie dieses lesen werden, so flieh ich schon als Schatten über alle Wünsche dieses Lebens hinweg. Dann werd ich todt seyn. Todt! meine Gemahlin. Haben Sie die Vorstellung von einem Todten? Haben Sie die Vorstellung von Unglück? Und hat mein jetziger trauriger Zustand es mit Ihnen bekannt gemacht? Ich liebte Sie, bis ich nichts mehr für Sie thun konnte. Vorwürfe mach ich Ihnen nicht, denn was ich[136] that, befriedigte meine eignen Wünsche; ich war nur dann zufrieden, wenn ich Sie glücklich glaubte: zwischen mir und Ihnen sah ich nur Seligkeit. Für Sie gab ich alles hin, Vermögen, Ehre, ja meine Seele geb ich jetzt, da ich komme zum Grabe eh' ich gerufen bin. Ach! werden Sie es einmal erkennen, wie ich Sie liebe? Der letzte Hauch meines Lebens sind Sie.


Ihre Kinder werden einen Vater finden; Sie selbst sind ohne Schuld, gehen Sie zu Ihren Aeltern; finden Sie noch in einer bessern Verbindung die häusliche Glückseligkeit, die Sie bei mir nie gefunden, die ich noch jetzt im Tode bereue, nie geschmeckt zu haben; doch auch, wenn Sie glücklich sind, so denken Sie wie ich mich nach Ihrem Glück gesehnt habe, und vergessen Sie mich nicht.[137]

Er versiegelte nun alle drei Briefe, und bat die Gerichte, um die einzige Gnade: daß er noch heute seine Frau und Kinder sehen könnte. Man bewilligte es ihm. In seinem Busen verborgen, hielt er einen Solitär, im Ringe, den einzigen Rest seiner ehmaligen Pracht. Mit einem Kiesel, den er im Gefängniß fand, zermalmte er den köstlichen Stein, dessen Pulver er in sein Trinkglas schüttete. Um drei Uhr sollte seine Frau kommen, um halb drei verschluckte er seinen Brillant, und erwartete nun mit Ruhe den schmerzlichsten Tod.

Wer war ich, dacht er; der einzige Sohn meines Vaters, der einzige Erbe seines belohnten Fleißes, die Zierde unsers Hauses, der Stolz meiner Freunde. Ach, sie hätten sich nicht über mich freuen sollen, es war zu gefährlich, mich zum Liebling zu machen. Ueberall wollt ich herrschen; der[138] Strom des Ehrgeizes ward durch den Reichthum frei gelassen, nichts war mir zu hoch, ich wollte es erreichen. Das Unmögliche möglich zu machen, war mein Wahn, darum liebt ich meine Frau, und auch jetzt noch will ich das Unmögliche möglich machen, ich will sie rühren.

Das Diamantpulver fing an zu wirken, und seine Adern zu zerschneiden. Er fühlte die gräßlichsten Schmerzen, und verzog keine Miene. Die Thür gieng auf, sein Weib, ihre Kinder an der Hand, stürzte herein; im weißen Nachtgewande, das Haar aufgelößt, und ihr Tuch in Unordnung, den Busen kaum bedeckend, blaß wie der Tod, sank sie zu seinen Füßen. O Mann! Mann! wo hast du dich hingebracht? das war alles was sie sagen konnte. In deine Arme, rief er, und umschlang sie. Seine Schmerzen wurden gewaltig. Bedaure mich nicht,[139] ich bin so glücklich, und leide für Dich. Sie drückte ihn fest an sich; die Kinder drängten sich an ihn mit Liebkosungen. Ihm war es trübe vor den Augen, die der Tod anfing zu brechen. Wer, wer wird euch, rief er den Kindern zu, sein Mitleid versagen! Aber o! seyd um des Himmels willen besser als euer Vater, und vergebt ihm die Schande, die er euch macht. Sie richtete sich auf, und sah ihn mit Thränen an. Du weinst, liebes Weib? Du bist gerührt? Sie küßte ihn. So komm denn, Tod, komm in welcher Gestalt du willst, sie beweint mich. Er verbarg seinen Kopf an ihre Brust, damit sie keine Zuckung sehen sollte. So lag er eine Weile stumm und leidend. Die Kinder weinten, auf einmal fing er an zu schreien: Jesus! ich sterbe. Ich mit dir, ich mit dir, rief sein verzweifelndes Weib; er reichte schwach und taumelnd ihr[140] die Arme, sie sank auf sein Gesicht, ihren Mund auf seine Lippen heftete sie fest, sie waren schon blaß und kalt. So blieb sie, bis er verschieden war, als hätte sie ihm mit dem ersten Hauch der Liebe für ihn ein frisches Leben einhauchen wollen.

Bald erfuhr der Monarch diese entsetzliche Begebenheit; die Briefe wurden gefunden und abgeschickt. Gott! rief der Monarch, warum hat er sich mir nicht entdeckt, ich hätt' ihn gern gerettet; es war ein liebenswürdiger Mann.

Der Onkel erbarmte sich der Waisen, die seine Erben wurden. Die Mutter wollte B. nicht wieder sehen, sie lebte in der Stadt, wo ihr Mann gestorben war, von dem was ihr gegeben wurde, und starb sechs Monat nach ihres Mannes Tode, im Kummer über ihr vergangenes Leben, in[141] Reue und Thränen um die verkannte Liebe ihres unglücklichen Gatten.

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 113-142.
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