Das Monokel als Erzieher

[79] Die einen lachen, als wollten sie sagen, es muß auch solche Käuze geben. Sie sind einem Monokelträger nicht gerade böse, kein Unterton von Klassenhaß schwingt in ihrem belustigten Lachen mit. Sie freuen sich über den Einglasmann ebenso wie über ein Dromedar mit einem Zwerg auf dem Höcker. Es ist nett, wie sie den Gezeichneten als Kuriosität betrachten, als ein Ding zum Anschauen. Das sind die Harmlosen. Die Bösartigen stellen den organisierten Neid dar und kommen deshalb aus den verschiedensten Lagern. Der Arbeiter, dem die Hand juckt, wenn er ein Monokel erblickt, der prinzipienfeste Bürger, der darin einen fatzkenhaften Unfug sieht, eine lächerliche, strafbare Überhebung, eine demonstrative Verachtung von sich und seinesgleichen – kurz, lauter Dinge, die ein polizeiliches Monokelverbot in seinen Augen dringend wünschenswert machen. Es ist für ihn einfach das Symbol der gesammelten Laster der Welt, ein Freimaurerzeichen, daß man zu jener verwerflichen Sekte gehört. Einzig auf dem Lande findet man noch eine dritte Art, die Ehrfürchtigen, die gläubig an ein höheres Wesen glauben, trägt einer ein Stück Glas so im Auge, daß es nach normalen physikalischen Gesetzen eigentlich herausfallen müßte.


Das Monokel als Erzieher

Aber in Wahrheit – das Monokel ist wirklich keine so aufregende Angelegenheit. Es herrscht über nichts ein solcher Wust von schiefen Ansichten und Irrtümern als über den halbierten Kneifer. Man muß historisch-kritisch vorgehen, um endlich einmal zu sagen, was es mit[80] »ihm« eigentlich für eine Bewandtnis hat. Da wäre zum ersten die Lüge der Neider zu töten das Monokel sei ein Dekorationsstück wie die Perlen im Frackhemd oder die Orchidee im Knopfloch.


Das Monokel als Erzieher

Wenn sonntägliche Friseure sich mit dem Einglas zum Kavalier putzen, so ist das ein Mißbrauch, dem alle guten Dinge sich aussetzen. Die Ideenkette, die beim Monokel endigt, sieht anders aus. Herr X. sagt sich, ich sehe schlecht und muß ein Glas tragen. Einen Kneifer – nein, denn schon Goethe, ja, wir Monokelleute haben die mächtigsten Autoritäten – schon Goethe also sagte, nichts sei ihm unausstehlicher, als zwei Gläser vor dem Blick; das gäbe so etwas Hinterhältiges, Unwahres im Sehen!


Das Monokel als Erzieher

Eine Schiebetür vor der Seele, die die Augen spiegeln. Herr X. steht in der Klemme. Was soll er tun? Nun, die leichteste Lösung von der Welt, er macht es wie die Marktweiber beim Handeln, Wollen und Müssen gibt je die Hälfte nach, und man ist beim Einglas. Zwei Linsen will er nicht (wegen Goethe und der Frauen), ganz unbedeckt darf er nicht sehen (sagt der Arzt) – also einigt man sich in[81] der Mitte, im halben Kneifer.


Das Monokel als Erzieher

Vergessen wir nicht diese Entstehungsgeschichte: das Monokel ist das Kind der härtesten Notwendigkeit.

So durchsichtig es ist, das Monokel, es hat es in sich. Es wird zum ausgezeichneten Erzieher. Jegliche Mimik muß sogleich beerdigt werden. Irgendwelche Affekte, Gemütserregungen auch heftigster Art dürfen nicht mehr im Gesicht erscheinen.


Das Monokel als Erzieher

Das Lachen mäßigt sich zu konventioneller Freundlichkeit, und auch in guter Stimmung hat man wohl nicht mit sämtlichen Gesichtsmuskeln zu sprechen, sondern nur mit dem Mund. Es ist nicht zu leugnen, daß es Menschen gibt, deren Ahnen in den Kreuzzügen vielleicht schon diese Augenzierde trugen, und die schon eine bis in den Knochen gefurchte Augenhöhle auf die Welt mitbringen. Menschen, die im Rennen stürzen, die Beine, mitunter sogar das Rückgrat, aber nicht das Monokel zerbrechen, die schwimmen, fechten und schlafen, als sei das Glas eingewachsen.


Das Monokel als Erzieher

Aber das sind Ausnahmen. Das Monokel, leise von ein paar Nerven (die erst nach und nach empfindlich werden) in einem dünnen Fleischkreis gehalten, wird so zum Barometer der »Haltung«, zur Gouvernante, oder besser, zum gestrengen Kammerdiener, der haarscharf auf die »Contenance« aufpaßt. Ist das nicht eine segensreiche[82] Tätigkeit? Wer das Glas trägt, muß eine ungeschraubte, natürliche Würde, einen ewigen Gleichmut, eine unbewegliche Sicherheit haben, muß einen Dunstkreis des Respekts um sich verbreiten, darf niemals den Mund zum Schelten weit aufreißen oder Querrunzeln auf der Stirn ziehen. So werden seine Manieren von selbst tadellos und von einer geschliffenen Exaktheit. Jedes Aus-der-Rolle-fallen rächt sich durch ein zerbrochenes Monokel und – was ärger ist – durch eine sehr peinliche Blamage vor dem lieben Publikum. Wer in einem Streit zorneswütig den Mund zum Sprechen ansetzt – und ehe er noch ein Wort gesprochen, fällt ihm das Auge heraus und zerbricht – er ist unbedingt lächerlich und könnte salomonisch urteilen, ohne Recht zu bekommen. Der Einglasträger wird also zuerst bei allem Geschehen an sein Monokel denken, und das ist wiederum nur symbolisch für eine gute Kinderstube, die er sich so ins Gedächtnis ruft. Unzweifelhaft aber wünschen wir alle nichts mehr, als uns auf einen in allen Situationen vollkommenen Gleichmut und eine fast leblose äußere Ruhe zu trainieren. Und die Schönheit des Gesichts? Nun, ich meine, die Frauen sind da die einzigen, die urteilen können. Die haben sich, soviel ich weiß, noch nie beschwert über das Monokel. Bei einer Frau selbst kann es freilich kein schlimmeres Attentat auf ihr graziles Wesen, ihr Temperament, ihre unbefangene Heiterkeit geben als ein Monokel.


Das Monokel als Erzieher

Als schönstes Monokel freilich gilt das, das alle Leute in einem Gesicht vermissen, wenn man es nicht trägt. Das Monokel muß einem geglaubt werden – das ist alles. Und wer kein glaubwürdiges Monokelgesicht hat, den rettet alle Pseudoeleganz der Manieren nicht vor der Lächerlichkeit.


Das Monokel als Erzieher

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 79-83.
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