Klubsessel

Klubsessel

[58] Als vor noch nicht allzulangen Jahren die Industrie der Sitzmöbel besonders bequeme lederne Fauteuils auf den Markt brachte, gaben findige Laien den neuartigen Produkten die Bezeichnung »Klubsessel«. Den Taufpaten schwebten große, ruhigdiskrete Klubräume vor, mit einigen soignierten, schweigsamen Herren – sie kannten wohl kaum die modernen Klubs einer Weltstadt mit dem hastenden Getriebe eiliger Leute, in überfüllten Räumen, in denen wohl auch ab und zu bequeme, große Lederfauteuils einiger Nichtstuer warteten.

Drei Anforderungen stellt man heute allgemeinhin an einen Klubsessel. Er muß lederüberzogen, daunengepolstert und unverhältnismäßig groß im Format sein. Drei weitere Anforderungen stellen die Leute, die sich länger mit der Materie beschäftigten. Der Klubsessel muß nach Maß gemacht sein, er muß lose, hochgepolsterte Lederkissen als Sitz haben, seine Linien müssen schön sein. Er darf nicht nur auf Bequemlichkeit gearbeitet sein, sondern[59] muß gewissen Anforderungen an den Schönheitssinn des modernen Kulturmenschen entsprechen.

Die Farbe der ledernen Klubsessel war bei ihrer Geburt – niemand weiß warum – rot, oft so hell wie frisch gekochte Krebse. Später nahmen sie umgekehrt die Farbe lebender Krebse und Hummern an, und zwar ein Braun in ziemlich genauer Tönung. Ein schönes, tiefes Grün fand nur an Orten Verwendung, die vom Tageslicht ausgeschlossen sind, da die Sonne diese Farbe bleicht. Eben dasselbe gilt von schwarzen Sesseln, die fast nur in Hotelvestibülen oder dunklen Privatzimmern zu finden sind. Leider – denn grüne und schwarze Klubsessel wirken weitaus am angenehmsten. Andere Farben, gelb und blau, finden sich nur in Ausnahmefällen bei extravaganten Liebhabern. Neben der Farbe ist die Form des Sessels von großer Wichtigkeit. Es gibt da Hunderte verschiedener Modelle, die ihren Ursprung alle in den englischen Che sterfield-Chairs haben. Ziemlich geradlinige, an den Ecken abgerundete Sessel, lang gebaut mit einem lose auf liegenden Lederkissen. Die englischen Sessel sind alle ohne jede Verzierung. Auf der Rückenlehne befinden sich höchstens große, durch runde lederüberzogene Knöpfe gebildete Quadrate.

Nicht jeder kann in einem Klubsessel sitzen. Der richtige Klubsessel verlangt, daß man sich in sein Leder birgt, wie man etwa in den Frack schlüpft. Alle »Tages Last und Mühe« soll von dem abfallen, der vertrauensvoll zwischen seine daunengepolsterten Arme sinkt. Man sitzt auch nicht im Klubsessel, sondern liegt mehr oder minder in ihm. Die Beine regelrecht übereinander zu schlagen ist deshalb unmöglich, weil der richtige Sessel viel zu langgestreckt gebaut ist. Die Lehnen jedes Klubsessels sind so gearbeitet, daß man sich bequem darauf niederlassen oder vom Sitz aus das eine Bein darüberlegen kann. – Die wenigsten Frauen können in Klubsesseln sitzen, weil sie in den wenigsten Formen sitzen können. Die Sessel sind entweder zu lang, zu tief oder in ihrer Massigkeit – zu »alt« für sie. Damen sollten in Klubsesseln nur unter Vorbehalt sitzen – wenn sie graziös sind, ist die Lehne viel eher zu empfehlen. In amerikanischen Hotelhalls stehen somit die unförmigsten, riesigsten Gebilde, die existieren. Besonders die Seiten sind von einer beängstigenden Höhe, da an Stelle der Armlehnen nur kleine Nischen in den seitlichen Wänden[60] vorhanden sind. Diese seitlichen Wände überragen fast den Kopf der im Sessel sitzenden Person, die sich ausnimmt wie in einer Badewanne. Natürlich sehen die schlanken, blonden American-Girls in den Lederplatten wie kleine Kinder aus.

Es ist schwer, den ganzen Charme eines Klubsessels, an den man sich gewöhnte, den man lieb gewann, in Worte zu kleiden. Wenn man den »Dingen« eine Seele zuspricht, so müßte der Klubsessel, der Klubsessel eine ganz hervorragende haben. Mir erzählte einmal ein Sonderling, der Klubsessel sammelte, wie andere Briefmarken, daß er sich eines Tages zum Ankauf eines Bücherhalters entschloß, der, in der Lehne eines Sessels eingeschraubt, das Lesen im Sitzen ermöglichen sollte. Vergeblich rannte der alte Herr wochenlang umher, er konnte sich nicht dazu entschließen, in einen seiner Sessel ein Loch zu bohren.

Wenn man in einem modernen Klubsessellager einer Firma der Berliner Sitzmöbel-Industrie spazieren geht, so findet man eine solch erdrückende Fülle von Klubsesselmodellen und -formen, daß ein sehr geschulter und ausgesuchter Geschmack dazu gehört, in diesem Labyrinth zurechtzufinden. Bei der Wahl lasse man sich von folgenden Gesichtspunkten leiten: Je gröser, je dunkler, je massiger – desto besser.


Klubsessel

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 58-61.
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