Weniger arbeiten und nicht verzweifeln

[61] Ist die Zeit nicht wie eine Frau? Ein sehr wunderbares Ding oder eine flache Tagheit – wie man sie eben sieht. Dem einen bringt sie eine wohlgekühlte Häuslichkeit, die Zeit, und eine genaue Standuhr, und der andere sitzt da und schaut über sie hin wie über ein flittrig flimmriges Heidekraut, das blutlos und bleich daliegt. Wie soll man nur mit ihr umgehen? Sie behandeln als einen Gemüsegarten und bezäunen und ausmessen und gut zergraben, mit lodenem Zeug und Zugstiefeln? Oder auf einer Chaiselongue liegen, deren abenteuerliche Perserdecke ganz sinnlose Phantasien redet, und in die Zeit sehen wie über ganz weites Feld, auf dem man nie zu Ende geht?

Sie wissen es alle nicht, was man mit ihr beginnt, um eine glückliche Ehe mit ihr zu haben. Das ist der dunkle Punkt auf der weißen Frackweste so mancher Eleganz. Sie alle, die sehr Beflissenen, sind zerspalten in ihrer Seele wie der Türke, den der schwäbische Kreuzungsherr längs durchgehauen hat. Da liegt ihr Frack und ihre Eleganz wie eine leere Hülse und auf der andern Seite ihr Menschtum, das mit der Arbeit Faust- und Tintenkämpfe führt. Elegant leben – das könnten sie wohl schon, aber die Eleganz der Arbeit – da ging noch keine Sonne über die Dämmerung ihres Bewußtseins. Sie meinen, Herr, das sei ein schwarzer Schimmel, und es gelte hier mit Ernst und Pathos zu sagen: Alles oder nichts? Ein eleganter Mensch oder ein Arbeiter, aber keinen Zentauren, wenn Sie bitten dürfen? Nun, sehen Sie, ich mag dies alles oder nichts nicht leiden. Im Unterhaltungsteil von Rotationspapier kommt es zu oft vor, es pflegt dann auch meist die schwarze Binde seines Fracks wie ihre Augen zu funkeln, legt er den letzten Lappen auf das Mahagoni des Croupiers. Wirklich, keines von beiden ist elegant: »alles« sieht aus wie die satte weiße Weste eines Skat-Rentiers und »nichts« wie ein Märtyrer in der Wüste mit einem Rock aus ungegerbtem Ziegenleder und einem Schilfgrasgürtel. Also kann man von der Arbeit nicht entweder – oder sagen. Ein Stück[62] Arbeit gehört zum Kleiderschrank eines vollkommenen Menschen. Regen Sie sich nicht vor der Zeit auf: ich komme jetzt nicht mit der Psychologie der Arbeit, daß sie die bekömmlichste Ernährungsweise des Seelenapparates ist, davon rede ich gar nicht, aber die Physiologie eines zielstrebenden Tuns werden Sie mir erlauben zu entdecken. Es kommt alles darauf an, die Kontraste gut zu stellen. Die Arbeit muß den schwarzen Samt liefern, von dem[63] sich der goldene Genuß plastisch abhebt. Ein paar konzentrierte Stunden am Schreibtisch halten einem die gute Form. Verstehen Sie mich so: wie nur der Körper wirklich und mit Schönheit ruhen kann, der die Ekstase kennt, entsteht die gelassene Sicherheit einzig nach geistigen Erregungen.


Weniger arbeiten und nicht verzweifeln

Immer nur nach einer Lebensseite einen Durchblick zu haben, macht kurzsichtig – es tut gut, die Augen auch einmal für andere Entfernungen zu verstellen, damit sie elastisch bleiben. Ohne Elastizität und Balance wird es niemals einen Mann von Welt geben. Balancieren, nicht wahr, heißt aber nach zwei Seiten sich neigen. Und die andere Seite ist eben jenes Instrument, das Sie so wenig gern nennen hören.

Also, ich bin dafür, daß Sie arbeiten. Verzweifeln Sie nicht, bitte, es tut nicht so weh, als Sie glauben. Nach einer solchen Salvierung der heiligsten Güter kann das Wort auf die andere Seite gelegt werden. Eh bien, man arbeitet, der guten Form oder des Geldes wegen, und leidet unter jenem Zwiespalt, daß man erst durch Vermittlung des tintenlöschenden Bimssteines eingehen kann ins elegante Reich. Das Preisrätsel von der Eleganz der Arbeit löst sich leicht. Arbeiten heißt am Ende, Dinge bewegen, Energien in Schwingung setzen. Der Hamburger Hafenarbeiter (verzeihen Sie das harte Wort) gibt das Symbol. Er hebt die Neunzentnerkiste nicht mit den Nägeln seiner zehn Finger, sondern mit dem Brecheisen. Die Distanz macht's. Jeder Schritt, den man von dem Objekt der Arbeit weg macht, verkleinert und erleichtert sie. Da wollen Sie ganz weglaufen, um eine unendliche Distanz zu erzeugen? Bleiben Sie noch, ich meine es so: Die arbeitsamen Menschen sollen nicht einen Zwölfstundentag lang Nase in Nase mit der Arbeit am grünen Tuch sitzen. Mit der langen Stange eines planmäßig müßigen Tages werden Sie morgen die Last, die Sie erwartet, zeigefingerleicht bewegen, ohne daß Sie sich die Ringe ausziehen müssen. Um es weniger mystisch zu sagen: Lernen Sie, wenn Sie arbeiten wollen, die Zeit verschwenden. Der miserable Arbeitsrock, die aufgestemmten Arme und der geöffnete Kragenknopf – das alles muß nun sterben. Es sieht entsetzlich aus, daß so viele arbeitende Leute so sehr mit ihrem Stuhl verwachsen aussehen, wie angebunden an den Schreibtisch, daß ihre ganze Körpermimik außerhalb dieses Sessels und ohne die anderen Apparate[64] des Arbeitszimmers wie unvollständig aussieht, der Ergänzung bedürftig. Wenig arbeiten, mit den Fäusten und dem gekrümmten Zeigefinger, und alles erwarten von dem bewußten und konsequenten Nichtarbeiten – heißt das Geheimnis. Sehen Sie, ein Wagenrad ist weniger um des gebogenen Holzes willen ein gutes Rad, als durch die hohle Luft, um die es sich dreht. Ebenso sind die Pausen die wichtigsten Momente der Arbeit, und wer einmal den Rhythmus gefunden hat, der weiß, daß es die fruchtbarsten Stunden sind, die er in einem ganz erweichten Klubsessel verbringt und sich von dem leichten Opiumparfüm seiner Zigarette in ein angenehmes Nirwana des Denkens und Fühlens einrauchen läßt. Sie erlassen mir den medizinischen Beweis? Wir sind unseres Rechtes auf müßige Stunden versichert und wissen uns im Besitz der neuen Technik der Arbeit.

Die Autos vermitteln sie. Die Autos sind ja nur erfunden worden, daß man pünktlich sein kann und Nerven spart. Die Weltstadtmenschenseele wünscht eine Spannung, eine Erregung sogleich auszulösen. Man stellt sich auf eine Begegnung, ein Erlebnis ein, und sowie die Stunde geschlagen hat, muß es sich ereignen.


Weniger arbeiten und nicht verzweifeln

Das sensible Leben ist eine Angelegenheit der Nerven. Und diese kluge Ökonomie und Konzentration der Nervenkraft mindert die Mühseligkeit und höht das Vollbringen. Die Vielarbeiter unterliegen der eleganten Handbewegung. Eleganz ist ja heute nicht mehr notwendig die Ursache oder die Wirkung eines schlechten Charakters.

Die Zeit wurde also erlöst. Und wir brauchen sie auch, denn die äußere Kultur kann ebenso sehr als eine Angelegenheit der Zeit als des Geschmacks gelten. Doch das ist ein anderes Kapitel.

Eduard Glock.

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 61-65.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon