[94] Hinter der weißgestrichenen Barriere sitzen in weißen Korbsesseln, an kleinen Teetischen, die Damen der Polospieler, die Frauen der internationalsten, ausgesuchtesten Eleganz. Die spanische Herzogin, die englische Lords-Tochter, die Marquise de la Seiglière, die Gräfin Arco. Diese Frauen, die in seltenem Gemisch Rasse, sportliches Training, raffinierten Luxus zu einem Bilde zu verschweißen wissen. Einige Schritte weiter hinter dem niedrigen Board dehnt sich die weite Rasenraygrasfläche – noch ganz leer – ach nein, da in der Mitte stehen ja zwei verwachsene winzige Stallburschen und halten zwei wiehernde kleine Ponys, in buntkarierte Decken gehüllt und bis über die Ohren vermummt, am Zügel.
An die Rampe gelehnt, stehen in friedlichem Geplauder die feindlichen Parteien – schneeweiß die einen, in leuchtend roten Westen die andern. Die gebogenen Tropenhelme, die lederdurchzogenen Gürtel, die Breeches strahlen in blendender Weiße – nur die Reitstiefel sind braun, die Riemen an den Handgelenken – ab und zu ein grellfarben gestreifter Schlips.
Von der Mitte des Platzes tönt ein schriller Pfiff. Die Kämpen verabschieden sich von den Damen, schlendern, die Zigarette aufrauchend, über den Platz. Langsam streifen sie die Ärmel über den Ellenbogen, schnallen die Riemen fester um Handgelenk und Knie, das Sturmband ums Kinn, den Gürtel fester. Auf dem grünen Felde erscheinen die Ponys.
Die kleinen irischen und englischen Vollblüter, die für das Polo wie geschaffenen[94] Argentinier, die zähen klugen Ungarn. Hell leuchtet in der Sonne der weiße Fleck eines arabischen Hengstes mit hohem[95] zur Seite stehenden Schweif und langem Hals.
In kleinen Gruppen steht rotes und weißes Team zusammen – sechs, sieben, acht Herren – einer nach dem andern schwingt sich in den Sattel, bleibt ruhig halten oder heidi – saust der Pony davon – spielerig und kopfschüttelnd, wiehernd und springend – den Hals im Bogen zum Zügel stehend – außer sich vor Kampfeslust und Übermut. Der Umpire reitet zur Mitte des Platzes, der Ball fliegt in die Luft – das Spiel beginnt.
Das Polospiel ist eins der ältesten sportlichen Spiele und trotzdem eins der am wenigsten verbreiteten. Deutsche Poloklubs bestehen in Berlin, Hamburg, Frankfurt a.M. und Hannover und verdanken ihre Existenz dem Hamburger Sportsman H. Hasperg jr., der Autorität auf diesem Gebiete, dem eigentlichen Begründer des Polospiels in Deutschland. Was Hasperg für Deutschland bedeutet, ist der Graf Andrassy für Budapest, der Prinz Belosselsky in Petersburg, H. de Plument in Paris-Deauville, Mr. Empace Blake in London; Spanien verdankt dem Marquis de Santa Cruz Klubs in Madrid, Gibraltar, Barcelona und Sevilla.
Tapp tapp – tapp tapp sausen die flinken kleinen Pferde an dem Boardbrett vorbei. Dumpf tönen die Hufe auf dem schweren Boden, die Erdschollen fliegen herüber bis auf die weißen Sandwichs auf den kristall- und spitzenbedeckten Tischen. Den Schläger quer vor sich im Sattel oder im gestreckten Arm herunterhängend, galoppieren die Reiter vorüber – in Windeseile geht es hinter dem Balle her – da kommt schräg von links ein feindlicher Spieler – noch darf er »abreiten«, der andere braucht noch nicht zu parieren, um eine Kollision zu vermeiden – näher und näher rasen die Pferde dem Balle, jetzt sind die beiden fast nebeneinander, die Ponys knirschen im Gebiß, da ist der Ball – fast gleichzeitig greifen die beiden Hände in die Zügel – ein Ruck – die Köpfe der Pferde fliegen in die Höhe, die Körper herum, hoch saust der Schläger des verfolgenden Spielers durch die Luft – von rechts nach links unter des Ponys Hals saust er herunter und trifft den Ball, der weit drüben in der entgegengesetzten Richtung davonschießt. Gymkhana.
Auf dem großen, Sportplatz in Kairo, hinter dem Gezireh-Hotel, tummeln sich die Poloponys in unzähligen, immer verschiedenen Spielen, die den ersten Teil des Sportfestes[96] bilden, das, von den englischen Offizieren organisiert, die internationale Gesellschaft Kairos vollzählig versammelt. – Und kaum sind die Pferde und Esel, die Geräte der Gymkhana verschwunden, und die eingeborenen Diener stampfen den aufgerissenen Sand fest, halten schon die Kapitäne der Teams auf dem Platze und beordern ihre Parteien. Zwei Stunden später liegen auf der Terrasse des Klubhauses, eingemummelt in dicke helle Mäntel mit hochgeschlagenem Kragen, einen Schal um den Hals, die Spieler auf den langen Rohrstühlen, saugen aus eisgekühlter Glasröhre lau warmen Martini und besprechen die Chancen des morgigen Spiels.
Unten im Hofe reiben die braunen Fellachenjungen die Ponys ab, spülen die Nüstern mit kupferfarbenen Schwämmen, wickeln feste Bandagen um die feinen Gelenke. Die Nacht ist warm und hell. Zwei Pechfackeln genügen zur Beleuchtung des Hofes. Unter den Palmen sitzen auf den weiß gestrichenen Bänken die englischen Trainer und beobachten die Pferde. Ein Beduine befühlt den Pony eines englischen Kapitäns. Schlägt den Burnus zurück, beugt sich herunter – betastet immer wieder bewundernd die schmalen Fesselgelenke. Die Wolldecken mit den bunten Insignien werden über die blanken Pferdekörper gezogen. Ein Nigger bringt auf silbernem Tablett ein Telegramm zur Terrasse hinauf – die Dispositionen des morgigen Matchs – oben horchen die Herren auf das Wiehern ihrer Pferde. –
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