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[276] Bayreuth, 26. April 1876.


Liebe Lilli!


Ihr macht mir da schließlich noch eine hübsche Not! An Herrn v. Hülsen habe ich mich so eindringlich gewendet, daß ich wohl annehme, er werde mir helfen; denn das mußte ich[276] ihm erklären, daß wenn mein Probeplan – namentlich im Betreff des Rheingoldes – nicht eingehalten werden könne, ich die diesjährigen Aufführungen geradeswegs abmelden müßte. Im Betreff des Frln. Brandt hätte ich auch von Euch allen etwas mehr Billigkeit gewünscht. Daß sie in ihrer künstlerischen Leistung über jeder anderen stehen würde, ist mir denn doch im Vergleich mit den mir bekannt gewordenen anderen aufgegangen. Das Unempfehlende ihrer Gesichtsbildung kommt doch nur außer der Bühne und für die in nächster Nähe mit ihr Beschäftigten in Betracht: auf der Bühne und namentlich in meinem Theater verschwindet es gänzlich, und ihre schlanke Gestalt würde da einzig, und zwar vorteilhaft wirken. Einem Künstler wie Niemann kann man aber wohl zumuten, daß in der dramatischen Erregung sich ihm die ganze Umgebung verkläre und das Gemeine, Reale ihm nicht zum Bewußtsein komme: ihm muß es darauf ankommen, wie das Ganze, er selbst mit, erscheine, nicht wie es, vom Zauber der dramatischen Szene entkleidet, wirklich ist. Garrick und Kean nahmen statt eines Kindes einen Bierkrug in den Arm und rissen den nächststehenden Zuschauer zum Entsetzen hin, als der Vater das Kind in den Fluß werfen zu wollen schien. –

Kurz, über diese unbedingte Abwehr des Frln. Brandt bin ich nicht eben erbaut und wird mir dies meine Not sehr erschweren. –

Es ist schön, daß Sie im Mai wieder Ensembleproben bei sich halten wollen; ich bitte Sie, zu Euch 3 Walküren dann jedenfalls auch meine Nichte Johanna Jachmann mit »hinzuzuziehen«; sie hat definitiv die »Schwertleite« übernommen und werden ihr die Übungen mit Ihnen Dreien sehr nützlich sein. –

Einen Kummer muß ich Ihnen denn doch nun auch machen. Es fällt mir schwer aufs Herz, daß Sie nicht darauf geraten, daß ich Herrn Herrlich doch unmöglich als Froh behalten kann. Muß ich Ihnen das nun sagen, daß unser armer Freund doch wohl lächerlich sein würde? Es tut mir wehe! Vermitteln Sie das aber nun doch, so gut Sie können, und sehr wert wäre es mir, wenn Herrlich, wie es ja ursprünglich auch nur gemeint war, mir als Mannenführer sich wahrhaft nützlich erwiese.[277]

Donner ist gänzlich Ihre Sache! Und nun gebe Gott seinen Segen zu Herrn von Hülfens Entschluß!

Herzliche Grüße aus sehr bedrücktem Herzen von

Ihrem

R. Wagner.


Haben Sie eine Idee, wo sich die Weckerlin aufhält und ob sie für – oder unter uns noch möglich ist?

Sehr hübsch auch, daß ich Ihre Mitwirkung beim Rheinischen Musikfest Anfang Juni höre!!! Ei! Ei!

Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 276-278.
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