16.

[249] Falls ich mich verbessern wollte, war es jetzt an der Zeit, meinen Kontrakt, der nach dem dritten Jahre – von beiden Seiten ungekündigt – stillschweigend unter den alten Bedingungen weiter laufen sollte, zu kündigen. Ich kündigte ihn also der Generalintendanz. Hülsen nahm die Verhandlungen auf, indem er mir zwei Vorschläge machte: Einen mehrjährigen Kontrakt mit erhöhter Gage oder einen lebenslänglichen Kontrakt mit 13500 Mark Gehalt, ungarantiertes Spielgeld (45 Mark pro Abend) mit Pensionsberechtigung[249] nach den Gesetzen für königliche Beamte. Ich war für die höhere Gage und kurze Kontraktzeit, Mamachen plädierte für den lebenslänglichen Kontrakt, der ihr das Bewußtsein meiner gesicherten Zukunft gab, dessen Bedingungen mir aber – selbst für die damaligen Verhältnisse, und vor allem für das, was ich in mir fühlte – zu gering erschienen, und den ich später immer noch zu erhalten meinte. Da Hülsen auf erhöhte Forderungen nicht einging, brachen wir die Verhandlungen ab. Nun folgte, was immer zwischen zwei Kontrahenten folgt, die nicht zusammenkommen können, eine Spannung. Man sah sich nicht gern, ging einander aus dem Wege. Aus der »Perle«, wie mich Hülsen in Briefen ansprach, wenn ich gefällig gewesen, für andere eingesprungen war oder über Nacht gelernt hatte, wurde wieder »Sehr geehrtes Fräulein«. Ich ärgerte mich, Hülsen ärgerte sich. Schon bevor ich nach Berlin ging, hatte ich Anträge von Dresden und Wien, Oberregisseur Schloß war schon in Leipzig wegen Kontraktes für Dresden bei mir gewesen, aber ich wäre ungern fort von Berlin, wo ich doch festen Fuß gefaßt und so glänzende Vorbilder hatte. Meiner lieben Mutter war's traurig zumute, ich konnte sie durch nichts heiter stimmen. Eines Tages tat Hülsen den ersten Schritt. Er redete mir nochmals eifrig zu, den lebenslänglichen Kontrakt zu unterschreiben, und obwohl es noch eine ganze Weile dauerte, bis er meiner Forderung: einen dritten Monat Urlaub – den man mir eventuell für doppelte Gage und doppeltes Spielgeld abkaufen sollte – nachgab, unterschrieb ich endlich. Tatsächlich nur, um meine liebe Mutter über meine Zukunft zu beruhigen; ich selbst konnte mich über die Folgen dieses Kontraktes keinen Augenblick täuschen. Ich wußte nur zu gut, daß ich mit dieser Unterschrift das Los einer königlichen Beamtin besiegelt hatte, daß ich in meiner Karriere niemals auf die Höhe, die ich zielbewußt in mir trug, gelangen, daß ich von Hülsen weiterhin als Utilité betrachtet werden, und er mich nie in meinen künstlerischen Zielen unterstützen würde. Die Zukunft bestätigte meine Befürchtungen.

Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 249-250.
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