Von Titeln und Anreden

[72] Im Zusammenhang mit den »großen Tieren« ist es nützlich, sich über deren Titel und darüber, wie man sie anredet, Gedanken zu machen. Wir halten dieses Problem nicht für sehr wichtig: Ein betitelter Mensch wird ganz sicher lieber einmal falsch angeredet und dafür sonst gut und taktvoll behandelt, als daß [72] er von einem widrigen Menschen korrekt mit allen seinen Titeln angesprochen wird.

Wir werden deshalb hier nur eine kleine Auswahl von allen Möglichkeiten behandeln4.

Diejenige Gruppe der »Betitelten«, mit denen man als normaler Bürger am ehesten ins Gespräch kommt, sind nicht Adelige, eher Doktoren und Professoren. Deren Titel werden übrigens außerhalb des deutschen Sprachgebiets oft nicht als »Titel« bezeichnet.

Vielleicht ist es nicht unnütz, wieder einmal daran zu erinnern, daß die beiden Titel verschiedenen Kategorien angehören. »Doktor« ist ein Grad, »Professor« eine Funktion. Also: »Doktor« bezeichnet den Rang oder Grad, den man durch eine Dissertation und ein Examen (allenfalls auch honoris causa) erwirbt; diesen Grad behält man, unabhängig davon, was für einen Beruf man ausübt. »Professor« dagegen ist im Prinzip jemand, der an einer Hochschule als regulärer Lehrer angestellt ist. Ein Professor hat in den meisten Fällen vorher einen Doktorgrad erworben. Wenn er dann »Professor Doktor« heißt, so ist das im Prinzip dasselbe – man erlaube den militärischen Vergleich – wie wenn ein Leutnant (Grad) Zugführer (Funktion) ist.

Die Sache wird dadurch etwas verunklärt, daß manche Länder den Professortitel auch ehrenhalber verleihen – wodurch er zu einer Rangbezeichnung wird – und daß andererseits die Ärzte generell als »Herr oder Frau Doktor« bezeichnet werden, wodurch der Name »Doktor« auch zu einer Berufsbezeichnung geworden ist. Aber im Prinzip gilt dennoch: Doktor = Grad, Professor = Beruf.

Wie soll man diese Damen oder Herren nun anreden? Allgemein geht die Tendenz dahin, immer weniger Titel in der Anrede [73] zu gebrauchen. Seit etwa fünfzig Jahren ausgestorben ist die Sitte, den Titel eines Mannes auch auf dessen Frau zu übertragen. Die »Frau Oberst« und die »Frau Oberrichter« sind heute endgültig verschwunden. Das ist recht so: Wenn überhaupt Titel verwendet werden, so müssen es eigene sein: mit »Frau Doktor« soll nur noch eine Frau angeredet werden, die diesen Titel selber erworben hat.


Man soll als Anrede nie den Titel zusammen mit dem Namen gebrauchen; auch soll man nie zwei Titel verwenden. Eine Anrede wie »Guten Tag, Herr Professor Meier« ist also im Prinzip falsch, sie mag höchstens dann gestattet sein, wenn man der betreffenden Person nachdrücklich zur Kenntnis bringen will, daß man ihren Namen noch weiß. Ebenfalls ungebräuchlich ist es, in der Anrede zwei Titel zu verwenden. Auf »Guten Tag, Herr Professor Doktor« würde der Angesprochene eher ärgerlich reagieren; er würde meinen, der andere wolle sich über die »zahlreichen« Titel lustig machen. Von zwei Titeln verwendet man natürlich immer den höheren, in diesem Falle also Professor.

Wie gesagt stirbt der Gebrauch von Titeln in der Anrede immer mehr aus. Meist geschieht das allmählich. Manchmal gibt es aber auch plötzliche Veränderungen; so war eine der Folgen der Studentenbewegung in den Jahren um 1968 ein fast völliges Verschwinden des Titels »Professor« in Universitätskreisen. Dort wird ein Professor heute in der Regel als »Herr Maier«, »Frau Fischer« angeredet. »Herr Professor« wird nur noch gebraucht: einerseits von besonders höflichen Studenten aus der Provinz, andererseits gegenüber alten Professoren, denen man anmerkt, daß sie noch anderes gewöhnt sind. Und natürlich ist der Gebrauch des Titels immer ein herrlicher Ausweg, wenn man den Namen nicht sicher weiß.

Alles bisher Gesagte gilt für die mündliche Anrede und für die direkte Anrede in Briefen. Auf Adressen sollen nach wie vor alle Titel genannt werden.

Ein Graf, mit dem man nicht näher bekannt ist, wird mit [74] »Herr Graf« angeredet, eine Gräfin mit »Frau Gräfin«; das gleiche gilt für Großherzog, Herzog, Fürst, Prinz, Baron und die entsprechenden weiblichen Titel. Anreden wie »Königliche Hoheit«, »Durchlaucht«, »Erlaucht« sind in »uneingeweihten« Kreisen kaum mehr im Gebrauch. Kardinäle werden mit »Eminenz« angeredet, Botschafter mit »Exzellenz« oder mit dem Namen.

Im Verkehr mit Engländern soll man folgendes beachten: Wenn ein Mann »Sir« ist, also ein Angehöriger des Nieder- oder Verdienstadels, dann muß sowohl ihm gegenüber als auch gegenüber Drittpersonen der Titel »Sir« so gebraucht werden:

– entweder zusammen mit dem Vornamen, also: »Sir Randolph«,

– oder (z.B. zur Verdeutlichung) zusammen mit dem Vor- und Nachnamen, also: »Sir Randolph Brewer«,

– aber nicht mit dem bloßen Nachnamen: »Sir Brewer«.

Hingegen ist nach »Lady« der Nachname die Regel: »Lady Brewer«.


Ganz im allgemeinen soll man sich mit den Anreden nicht zu sehr quälen: Erstens sind es die Inhaber von Titeln heute gewohnt, unvollkommen angeredet zu werden, und reagieren freundlich, es sei denn, sie seien von Natur mürrisch. Zweitens gibt es in den meisten Fällen mehr als eine Anrede, und es kommt dabei darauf an, wer mit wem spricht. Hiervon handelt der nächste Abschnitt.

Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993, S. 72-75.
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