Sprachliche Sünden gegen die Liebe

[158] So wie es eine entflammende Sprache gibt, gibt es auch eine abkühlende oder gar entfremdende Sprache. Es ist klar, daß diese, soweit das möglich ist, vermieden werden soll. Das aber ist nicht ganz leicht. Vieles an der Sprache eines Menschen besteht aus dem, was die Soziologen »Zuschreibung« nennen. Der Begriff der Zuschreibung umfaßt alle Elemente, die ein Mensch notwendigerweise mitbekommt, die er nicht wählen kann. Daß jemand in einer bestimmten Gegend geboren und aufgewachsen ist und deshalb einen vielleicht rauhen Dialekt hat, daß ihm eine höhere Schulbildung abging – dies kann dazu führen, daß er eine Sprache spricht, die manchen Leuten mißfällt und die die Liebe eines Partners abkühlen mag. Früher, als man noch Liebesbriefe schreiben mußte, hat sich viel ungebildete Sprache sogleich im Brief verraten; wir kennen einen Mann, der seinerzeit mit mindestens drei Mädchen sogleich wieder aufhörte, als er von ihnen einen ersten Brief – mit allerhand orthographischen und grammatischen Fehlern – bekam. Heute kann man die »verräterischen« Liebesbriefe durch das harmlosere Telefon ersetzen. Aber auch die gesprochene Sprache verrät im Grunde alles: Herkunft, Kenntnisse, Bildungsstand und so weiter.

Im Roman »Mitsou« von Colette gibt es die tragikomische Episode, wo der »blaue Leutnant« mit der bildhübschen Revuetänzerin Mitsou in einem vornehmen Pariser Restaurant diniert. Er möchte sie an diesem Abend zu seiner Geliebten machen; aber seine Hoffnung, erregt zu werden, schwindet dahin, sobald Mitsou den Mund auftut und »in belehrendem Ton allerhand spießbürgerliche Binsenweisheiten zum besten gibt«. Er möchte eigentlich am liebsten weggehen. Und am Morgen nach der Liebesnacht, die dann doch stattfindet, ist er traurig; er blickt auf die noch Schlafende nieder und denkt: »Sie ist so hübsch. Sie wird etwas Dummes sagen, sobald sie aufwacht.« Und er richtet es so ein, daß die nachfolgende Trennung eine endgültige wird.

[159] Es ist leider unmöglich, gegen solche »zugeschriebenen« sprachlichen Liebeshindernisse mit Rezepten anzugehen. Im Falle Mitsous müßte eine Welt von Gescheitheit, von Bildung, die ihr fehlt, nachgeholt werden, bis das Mädchen den blauen Leutnant auf die Dauer fesseln könnte. Es ist eine alte Geschichte, daß in der Liebe die Schönste längst nicht immer die Erfolgreichste ist, besonders dann nicht, wenn ihr die sprachlichen »Waffen« abgehen. Und das gleiche gilt natürlich für den Mann – obwohl bei einem Mann die »rauhe Schale« grundsätzlich eher toleriert wird.

Natürlich werden die sprachlichen Liebeshindernisse in der ersten Zeit rasender Verliebtheit gern übersehen oder verdrängt. Dann aber, in Zwischenzeiten der Trennung und Besinnung, treten sie wie Nachtgespenster wieder hervor. Und es empfiehlt sich, dem Rat dieser Gespenster zu folgen und eine Beziehung abzubrechen, wenn mit ihr ein Gefühl der Scham über sprachliche Dinge verbunden ist.

Nun stammen glücklicherweise nicht alle sprachlichen Liebeshindernisse aus der Zuschreibung. Viele der sprachlichen Gewohnheiten, die einen Partner abkühlen und entfremden können, hat man einfach einmal angenommen; und ebenso leicht, wie man sie angenommen hat, kann man sie auch wieder ablegen. Wir wollen im folgenden eine Liste von liebesfeindlichen sprachlichen Verhaltensmustern geben, die sich, wenn man sie nur einmal kennt, ohne weiteres vermeiden oder ablegen lassen.

Vom »bösen Zitieren« haben wir bereits gesprochen. Weiter wird man wahrscheinlich vor allem an das Schelten und die Scheltwörter denken. Hier muß man freilich differenzieren. Schelten ist nicht an sich liebesfeindlich; es gibt nämlich auch ein »schönes Schelten«, das vom Gescholtenen als angenehm empfunden wird, weil es in eine nicht vulgäre, sondern »edle« Form gekleidet ist. Ein hübsches Beispiel findet sich in »As You Like it« / »Wie es euch gefällt« von Shakespeare. Die Heldin Rosalinde, als junger Mann verkleidet, beobachtet, wie die Schäferin Phoebe den Schäfer Silvius, der ihr in rührender Weise [160] den Hof macht, brüsk abweist. Sie tritt hervor und sagt der Spröden gründlich ihre Meinung, etwa so: »Was fällt Euch ein, so stolz zu tun. Ihr seid auch nur Dutzendware der Natur. Schön schon gar nicht: Ihr löscht am besten die Kerze aus, wenn Ihr zu Bett geht, damit Ihr Euch nicht zu genau seht. So fügt doch zu Eurer sonstigen Häßlichkeit nicht noch die Häßlichkeit des Spötters hinzu!« Und wie reagiert die so Gescholtene?


Sweet youth, I pray you, chide a year together,

I'd rather hear you chide than this man woo.


Holder Jüngling, scheltet ein ganzes Jahr lang so; / Lieber höre ich Euch schelten, als diesen Mann werben.

(Akt III, Szene 5).


Also: Ein »schönes« Schelten, von jemandem, den man liebt, ist nicht liebesfeindlich. Vielleicht möchte man es nicht gerade »ein ganzes Jahr lang« anhören, aber es löst und befeuert die Emotionen, fast wie ein kühnes Kompliment.

Ähnliches gilt von den eigentlichen Scheltwörtern. Zartbesaitete mögen es nicht glauben; aber ein handfester Krach mit »Huhn« auf der einen und »Esel« auf der anderen Seite schadet der Liebe nicht. Ein solches »reinigendes Gewitter« ist sicher viel besser als eine unentladene gespannte Atmosphäre. Die entfachten Emotionen wenden sich bald ins Positive, die angekratzte Seele wird zärtlich, und sehr oft folgt dem Gewitter eine süße Versöhnung in oder außer dem Bett.

Man kann dazu von der Sprachwissenschaft aus noch etwas genauer sagen: Schelte ist harmlos, solange sie nur allgemeine Schimpfwörter gebraucht. Was hingegen gefährlich ist, das sind gewisse harmlos aussehende kleine Wörter, die oft im Laufe einer Auseinandersetzung gebraucht werden. Zu diesen gehören im Deutschen die Wörter »immer« und »nie«. Sätze wie: »Nie gibst Du mir Freiheit« oder »Immer denkst Du nur an Dich«, sind darum nicht mehr harmlos, weil sie generalisieren. Sobald diese kleinen Wörter auftreten, geht es nicht mehr um [161] den Vorwurf des Fehlverhaltens in einer einzelnen begrenzten Situation, sondern um eine zeitlose Anklage, welche impliziert, daß der Partner es regelmäßig falsch macht, ja schon immer falsch gemacht hat. Kein Wunder, daß der Gescholtene dann aus allen Wolken fällt. Es eröffnen sich ihm nämlich zwei unangenehme »Wahrheiten«: Erstens, daß sein Charakter als ganzes angezweifelt wird, zweitens, daß der schimpfende Partner offenbar bei früheren Gelegenheiten geheuchelt oder sich gewaltsam zurückgehalten haben muß, da er sich vorher nicht beklagt hat.

Den gleichen Effekt hat eine grammatische Form, die wir das »aggressive Perfekt« nennen. Sätze wie: »Jede Weihnacht hast Du mir genau so verdorben« oder: »Schon den ganzen Sommer bist Du unausstehlich gewesen« sind darum aggressiv, weil in ihnen jetzt plötzlich ausgekramt wird, was vorher keine Rolle zu spielen schien; wieder erhält der Angesprochene gleich zwei Schläge: ›Dein Charakter ist schlecht‹ und ›Zwischen uns klappt die Kommunikation nicht‹. Natürlich ist man bei heftigen Auseinandersetzungen nicht immer in der Lage, seine Worte sorgfältig zu wählen. Aber so weit kann man sich doch wohl beherrschen, daß man diese drei, »immer«, »nie« und das »aggressive Perfekt«, vermeidet.

Was ebenfalls vermieden werden soll, ist das dauernde Zurückkommen auf einen Vorfall, der in der Vergangenheit liegt. Da kann uns Mozart ein Vorbild sein. Als ihm zu Ohren kam, daß seine Braut Constanze sich von einem Chapeau (Begleiter) bei einem Gesellschaftsspiel habe die Waden messen lassen, schreibt er ihr (am 29. April 1782), er hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie selber das Meßband genommen und gemessen hätte, aber einen Kerl messen zu lassen, nein, das gehe nicht, schon gar nicht bei einer versprochenen Braut. Und er redet ihr noch eine Zeitlang tüchtig ins Gewissen.

Aber dann fährt er weiter: »Doch das ist vorbey«, und tatsächlich ist er, so viel wir sehen, nicht wieder auf den Vorfall zurückgekommen. Wer einigermaßen vernünftig, ja wir möchten sagen, wer menschlich ist, handelt wie Mozart. Das Gegenteil: [162] eine alte Geschichte immer wieder aufwärmen, andauernd nörgeln, kann der Tod einer Liebesbeziehung sein. Für denjenigen, der so angegriffen wird, gibt es nur ein Rezept: Schweigen, und zwar eisern. Dann langweilt sich der Angreifer in seinem eigenen Monolog und wird früher oder später versanden und aufhören.

Noch schlimmer, weil völlig absichtlich, ist das Herumreiten auf Themen, von denen man weiß, daß sie schwache Punkte des Partners sind. Ein abschreckendes Beispiel sind die entfremdeten Ehegatten in Edward Albees »Who's afraid of Virginia Woolf?« /»Wer hat Angst vor Virginia Woolf?«, die mit sadistischem Eifer diejenigen Themen suchen und vorbringen, von denen sie wissen, daß sie den Partner am meisten kränken.

Von diesen Auswüchsen soll hier nicht weiter die Rede sein; man gibt ja in einem Buch über gutes Benehmen auch nicht den Ratschlag, andere Leute nicht totzuschlagen. Tatsächlich gibt es noch viel harmlosere sprachliche Verhaltensmuster, die sich ebenfalls verderblich auswirken können. Hierzu gehört einmal das zähe Festhalten an Lieblingswörtern und – Wendungen, die dem Partner auf die Nerven geben. Wenn ein Mann – Frauen unterliegen diesem Fehler weniger – bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten »Scheiße« sagt, wenn er seine Hände nur »Pfoten« nennt, wenn er vulgäre Wendungen wie »Ran an den Speck« oder kleinbürgerliche wie »Meine Wenigkeit« gebraucht, dann strapaziert er unter Umständen die Nerven seiner Partnerin. Daß sie sich daran gewöhnt, oder daß sie gar – was auch geschieht – aus Liebe seine sprachlichen Eigenheiten übernimmt, wäre zu viel verlangt. Sie darf ihn also darauf aufmerksam machen, daß dies und jenes ihr mißfällt, und daß er ruhig etwas variantenreicher sprechen könne – in der Tat gehen solche Verstöße meist auf Denkfaulheit zurück.

Verderblich ist es auch, wenn einer der Partner zu lang und zu ausschließlich ein Thema verfolgt. Zum Beispiel das Thema Beruf. Probleme können dadurch entstehen, daß ein Mann (seltener: eine Frau) zu viel oder zu wenig vom Beruf erzählt. Es gibt den Typus des Mannes, der alles Berufliche – Erfolge, Frustrationen, [163] Demütigungen – streng abkapselt und zuhause nichts davon erzählt. Wir halten dies für falsch. Ein Paar kommuniziert nur dann richtig, wenn sich die Partner einander anvertrauen. Der Mann, der stumm und geladen heimkommt, dem man meilenweit anmerkt, daß er im Geschäft gekränkt worden ist, und der kein Wort darüber sagt, handelt falsch. Er sollte seine Hemmungen und seinen Stolz überwinden und seiner Frau alles sagen, auch wenn er dabei nicht als Held dasteht. Dies kann er allerdings nur tun, wenn er in bezug auf ihre Reaktion zuversichtlich sein kann: wenn er erwarten kann, daß sie sagt: »Immer der x. – das ist ein ausgekochter Intrigant. Dem möchte ich am liebsten die Augen auskratzen!«. Und nicht: »Ach Du bist immer der Gleiche, immer läßt Du Dir alles bieten und bist zu feig, Dich zu wehren.« Und es ist selbstverständlich zu wünschen, daß sie ihn überhaupt reden läßt und nicht gleich mit eigenen Belangen überfällt.

Wie man über Beruf und Geschäft nicht zu wenig sprechen soll, darf man auch nicht zu viel darüber reden. Wiederum kommt es besonders bei Männern häufig vor, daß sie von einem Gegenstand – sei es ihr Beruf oder ein Hobby – so eingenommen sind, daß sie fast nur davon reden und nicht merken, daß die Partnerin etwas auf dem Herzen hat, von dem sie lieber sprechen würde. In dem reizenden Chronik-Buch: »Kleine Welt Große Welt: Frauen erleben ein Jahrhundert am Bodensee«6 findet sich die Tagebuchnotiz einer jungen Dame aus der Biedermeierzeit:


13. Juli [1808], abends spät:


Nun war ich heute den ganzen Tag mit ihm zusammen. Sind wir uns näher gekommen? Ach, ich war so aufge schlossen, so bereit und voll Sehnsucht! Und nun sitze ich bei einer Kerze in der stillen Nacht und schreibe, schreibe das Resultat unserer Fahrt und möchte dabei bitter lachen oder bitter weinen.

Wir haben nicht unsere Herzen gefunden, sondern – einen Frosch, [164] einen versteinerten Frosch aus der Tertiärzeit, im Steinbruch von Öhningen! Eugen war wie berauscht. »Eine Kostbarkeit, eine Seltenheit, etwas Einzigartiges. Die Wissenschaft wird beglückt sein. Eva, Eva, das ist ein wunderbarer Tag!« [...] Und dann hielt er mir einen Vortrag über den Wert des Öhninger Steinbruchs, über die Zeit der Funde, und mir schwirrte der Kopf von Namen wie Tertiär, subtropisches Klima, botanisch-zoologische Beziehungen. [...]

Der Tag stand also unter dem Zeichen des versteinerten Frosches, ich hatte mich damit abgefunden – sollte der Abend nicht unter einem anderen Zeichen stehen?

Wir fuhren langsam den Rhein hinauf, und als wir wieder in den breiten See zwischen Berlingen und der Höri kamen, stieg prächtig der rote Vollmond auf. Da fing ich an zu singen, das schöne Goethelied vom Mond. Ich weiß, meine dunkle Stimme klingt gut auf dem Wasser. [...] Als ich geendet hatte, sagte er leise: »Wie schön Sie singen, Eva!«

»Es ist ein Goethelied.« –

Ach, ich wartete auf eine Antwort, die in die Stimmung des Liedes, des Abends und meiner Sehnsucht passen würde – da sagte er plötzlich wieder kühl und sachlich: »Goethe! Da habe ich gestern seine Abhandlung über den Zwischenknochen bekommen, sehr neu, sehr interessant, viel umstritten« – und er begann mir die Entdeckung zu erklären. So ging die Fahrt zu Ende – im schönsten Mondschein, im weichsten Zauber der Sommernacht –, und ich hörte den versteinerten Frosch quaken und den Zwischenknochen knirschen – o Liebe, Liebe! – es war doch zum Lachen.


Obwohl dieser bittere Stoßseufzer einer jungen Dame bald zweihundert Jahre alt ist, könnte er – mit kleinen Veränderungen – in unserer Zeit geschrieben sein. Denn die Situation ist auch heute noch häufig, daß ein junger Mann, es braucht kein Gelehrter zu sein, seine ganze Befriedigung darin findet, einem Mädchen, das ihn liebt, etwas Fachliches so ernsthaft und langfädig zu erklären, daß er nicht sieht, wenn seine Chance für anderes gekommen wäre – oder daß er es nicht sehen will. Bis zu einem gewissen Punkt ist diese Situation natürlich auch eine Liebesprobe für die Frau: Wenn sie nicht gewillt ist, den Mann samt seiner fachlichen Begeisterung auszuhalten, dann liebt sie zu wenig. Wenn aber das Fachliche bei ihm so überwiegt, daß[165] sie am Ende eines langen Tages nur »den versteinerten Frosch quaken und den Zwischenkieferknochen knirschen« hört, dann liegt der Fehler auf seiner Seite. Allgemein ausgedrückt: jedes eigensinnige Beharren auf einem Thema, sei es noch so interessant, ist im Grunde liebesfeindlich, wirkliche Liebe ist stets bereit, dem Partner zuliebe ein Thema aufzugeben.

Sicher darf ein Thema nicht aufgedrängt werden. Aber ein Thema darf auch nicht verboten werden. Häufiger, als man denkt, geschieht es, daß der eine Partner dem anderen schlichtweg verbietet, über eine bestimmte Sache zu sprechen. Man assoziiert solche Verbote gern mit bürgerlicher Repression. Doch kommen sie auch in völlig unbürgerlichen Paarbeziehungen vor. In dem erotischen Roman »Fear of Flying« von Erica Jong (1974) hat sich die Heldin auf Gedeih und Verderb dem jungen Engländer Adrian Goodlove angeschlossen und macht mit ihm ein »erotisches Europa-Trekking«. Am Anfang des 11. Kapitels findet sich folgende Passage:


When I threw in my lot with Adrian Goodlove, I entered a world in which the rules we lived by were his rules – although, of course, he pretended that there were no rules. It was forbidden, for example, to ask what we would do tomorrow. Existentialists were not supposed to mention the word ›tomorrow‹. It was to be banished from our vocabulary. We were forbidden to talk about the future or to act as if the future existed. The future did not exist. Only our driving existed and our campsites and hotels.

(Als ich mein Leben mit dem von Adrian Goodlove zusammenlegte, begab ich mich in eine Welt, deren Regeln seine Regeln waren, obwohl er natürlich behauptete, wir hätten keine Regeln. Zum Beispiel war es verboten, zu fragen, was wir morgen tun wollten. Für Existenzialisten gab es das Wort »morgen« nicht. Es mußte aus unserem Wortschatz verbannt werden. Es war uns verboten, von der Zukunft zu reden oder so zu tun, als gäbe es eine Zukunft. Die Zukunft existierte nicht. Nur unser Fahren existierte und unsere Campingplätze und Hotels.)


Das Verbot, von der Zukunft zu sprechen, erweist sich nachher als ein ziemlich billiger Trick: Adrian bricht es selber, als er (gegen den Schluß, im 16. Kapitel) Isadora unversehens mitteilt, er [166] müsse sich beeilen, da er morgen seine Frau und Kinder – von deren Existenz er bisher kein Wort gesagt hatte – in Cherbourg treffen und zu ihnen zurückkehren wolle.

Übrigens ist der ganze Roman, den viele Kritiker äußerst lustig fanden, eher traurig: Er zeigt, wie eine angestrebte schrankenlose Freiheit sich auch heute noch als unrealisierbare Illusion erweisen kann, ja, daß innerhalb einer scheinbar schrankenlosen Beziehung die engsten und drückendsten Schranken aufgebaut werden können.

Für uns, die wir uns mit Sprache beschäftigen, heißt dies: Traue nie einem Menschen, der Dir sprachliche Verbote auferlegt, welche über das Übliche hinausgehen, möge er noch so viel von Freiheit reden.


Es gibt – leider – noch eine ganze Reihe von sprachlichen Sünden, welche das Verhältnis eines Paares stören und seinen Fortbestand als Paar gefährden können. Einige von ihnen sind allgemein verbreitet, so daß wir sie unter anderen Titeln eingereiht haben:

Den Partner nicht ins Gespräch ziehen, wenn Besuch da ist: Siehe das Kapitel »In Gesellschaft«, Seite 54 f.


Den Partner niederreden und ihn nicht zu Worte kommen lassen. Siehe Seite 36 ff.


Falsche Dosierung der Metakommunikation, d.h. zu viel oder zu wenig über die Sprache des Partners reden: Siehe den Abschnitt über die Metasprache, unten Seite 198 ff.


Das »Argumentum ad hominem«, d.h. statt sachlich zu argumentieren, die Person des Gesprächspartners zum Gegenstand der Diskussion machen. Etwa: »Seht, wie sie sich aufregt«, oder »Du bist eben ein ewiger Kleinbürger.« Siehe das Kapitel über das »Uneigentliche Reden«, Seite 195 ff.


[167] ZU BEACHTEN


Die Sprache ist für die Liebe wichtiger als fast alles andere.


Der gute Verführer soll zugleich beunruhigen und beruhigen: beunruhigen, indem er Emotion schafft, beruhigen, indem er den Partner bestätigt.


Ein gutes Kompliment soll nicht einstudiert sein, sondern aus der Situation kommen. Das indirekte Kompliment wirkt stärker als das direkte.


Liebe beweist, wer sich an Worte des andern erinnert und sie liebevoll zitiert.


Nur ein Paar, das eine Privatsprache hat, liebt sich wirklich.


Bei Auseinandersetzungen darf man ruhig »Huhn« und »Esel« sagen, aber nicht »immer« und »nie«.


Nicht ständig auf alte Geschichten zurückkommen, sondern mit Mozart sagen: »Das ist vorbey«.

Fußnoten

1 Casanova: Histoire de ma vie, Brockhaus, Wiesbaden 1960, Tome V/VI, p. 107; den Hinweis auf diese Stelle verdanken wir Urs Boeschenstein.


2 Dies haben natürlich die Autoren von Büchern über erfolgreiche Partnerschaft längst bemerkt, etwa H. und C. Clinebell, Ehe intim, München 1974, aus dem die eben angeführten drei Sätze stammen.


3 In ihrem polemischen und gescheiten Buch, »Wer muß da lachen? – das Frauenbild im Männerwitz«, Darmstadt 1979, hat Karin Huffzky eine große Anzahl typischer Witze analysiert und in ihnen eine starke Komponente von Frauen-Feindschaft nachgewiesen.


4 Vergleiche den Aufsatz von E. Leisi, Hemingway der Intellektuelle, in Neue Zürcher Zeitung 2. 7. 1985.


5 Über solche Namen und ihre Hintergründe, allgemein über die Sprache von Paaren, orientiert das Buch von Ernst Leisi, Paar und Sprache: Linguistische Aspekte der Zweierbeziehung, (UTB 824) Heidelberg, 3. Auflage 1990.


6 Lilly Braumann-Honsell, Kleine Welt – Große Welt: Frauen erleben ein Jahrhundert am Bodensee, Konstanz 1938.


Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993.
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