Wie Sprache entflammt und ernüchtert

[136] Der glückliche Verlauf einer Liebesbeziehung, das wissen wir alle, ist nicht selbstverständlich. Eine Beziehung kann in die Brüche gehen, ja nicht einmal zustandekommen, weil der eine oder andere Partner »etwas falsch macht«. Es gibt eine große Menge von »Sex-Handbüchern«, die den Lesern zu sagen versprechen, wie sie »es« machen sollen, um das größtmögliche Glück zu erlangen. Da findet man – mit forcierter Munterkeit oder mit lehrhafter Pedanterie vorgetragen – eine Menge von detaillierten Ratschlägen. Etwa: Um sich die rechte Sinnlichkeit anzueignen, soll man sich nackt auf einen weichen Teppich legen und der Reihe nach an seine einzelnen Körperteile denken, bis diese vor lauter Denken warm und empfänglich geworden sind. Oder: Beim intimen Umgang soll man die Partnerin sanft am linken Ohrläppchen ziehen; man wird staunen, wie sehr das zu einem intensiven Glück beiträgt.

Hier haben wir natürlich ein wenig karikiert. Wir möchten nicht alles dergleichen von vorneherein aburteilen. Diese »Sex-Kochbücher« mit ihrem genauen »man nehme« haben sicher eine nicht unwichtige Funktion, sonst würden sie nicht so häufig gekauft. Liebe ist nur zum Teil ein Naturinstinkt, vielmehr zum guten Teil ein individuelles Talent, wie etwa Musikgehör oder eine Begabung zum Gärtnern. Und jedes Talent kann man mit Fleiß und gutem Willen erheblich fördern. Hier kommt übrigens noch etwas anderes dazu, nämlich die Autosuggestion: Sofern die Leser solcher Bücher glauben, daß sie damit auf dem richtigen Wege sind, werden sie auch einen Erfolg verspüren, denn der Glaube macht selig, ganz besonders in der Erotik.

Etwas muß allerdings erstaunen. In solchen Anleitungsbüchern ist praktisch nie von der Sprache die Rede. Das detaillierteste »erotische Kochbuch«, das in Indien entstandene »Kamasutra« des Vatsyayana (3. Jahrhundert n. Chr.) ist in seiner Ausführlichkeit[136] noch heute ungeschlagen – 31 Paragraphen allein über das Kratzen mit den Fingernägeln, 43 Paragraphen über die Technik des Beißens und das Erzielen schöner Beißmale – es enthält aber nur sehr knappe und wenig sagende Regeln über die der Liebe förderliche Sprache.

Die einzige Liebes-Anleitung, die wesentliches auch über die Sprache sagt, ist die mit Recht zur Weltliteratur gezählte »Ars Amandi«, die »Liebeskunst« des Ovid (um 5 n. Chr.). Hier werden nun wirklich – neben den vielen auf das Körperliche bezogenen Regeln – viele wertvolle und detaillierte sprachliche Ratschläge gegeben. Etwa, für den Mann: Er solle die Dienerin der Geliebten freundlich behandeln, zum Beispiel ihren Namen nie vergessen – durch diese Aufmerksamkeit gewinnt er das Wohlwollen der Dienerin und damit indirekt vielleicht auch der Herrin. Oder, wichtiger und allgemeiner:


Übe die Sprachen mit Fleiß, die jeder Gebildete spricht.

Schön war Ulysses nicht, doch unterhaltend, das glaub mir.

Göttinnen weinten um ihn, als er schied, jammergepeinigt.


Und für die Frau:


Süße Geliebte, dehne im höchsten Berauschtsein die Glieder,

Daß bis ins innerste Mark beide die Wonne durchdringt,

Flüstre verschämt, wie selig du bist und wie dankbar.


Also: Wenn eine Frau einem Mann schon zuliebe tut, daß sie mit ihm schläft, so soll sie ihm dabei auch das sagen, was er am liebsten hört: daß sie zufrieden, ja beglückt ist, und daß nicht nur er ihr zu danken hat, sondern auch umgekehrt. Eine sehr wichtige Regel, besonders heute, wo von verschiedenen Seiten soviel von Selbstverwirklichung gepredigt wird, daß (weibliche und männliche) Hingabe als veraltet erscheint, worauf denn viele Menschen zwar »selbstverwirklicht«, aber auch allein dastehen. Übrigens hat Ovid auch den Fall, daß die Frau nicht so berauscht ist, wie sie gerne möchte, vorausgesehen und ihr dafür entsprechende Verhaltensregeln mitgegeben.

Wie gesagt steht Ovid mit seinem Einbezug der Sprache in die Technik der Liebeskunst einsam da. Die Sprache wird in [137] den »Liebes-Anleitungen« stiefmütterlich behandelt. Umso notwendiger ist es, daß an dieser Stelle mehr gesagt wird. Wir wollen hier vor allem zwei Fragen stellen und zu beantworten suchen. Erstens: Wie kann man mit Sprache die Flammen der Liebe entfachen? Und zweitens das Gegenstück dazu: Welches sprachliche Verhalten kühlt die Liebe ab, tötet sie vielleicht sogar? Was wir damit meinen, wollen wir mit zwei Beispielen illustrieren; das erste stammt aus dem Jahr 1760, das zweite aus dem Jahr 1990.

Der Chevalier de Seingalt, besser bekannt unter dem Namen Giacomo Casanova, besuchte um die Mitte des 18. Jahrhunderts mehrmals die Schweiz. Im April und Mai 1760 hielt er sich in Zürich auf, wo ihn eine Kupplerin reichlich mit Mädchen versorgte. Aber:


Je me suis diverti quatre jours chez la femme que Giustiniani me fit connaître, mais fort mal, car les jeunes filles qu'elle me procura ne parlaient que le gros suisse. Sans la parole le plaisir de l'amour diminue au moins de deux tiers.1

(Ich vergnügte mich vier Tage lang im Hause der Frau, mit der mich Giustiniani bekannt gemacht hatte, aber nur sehr schlecht, denn die Mädchen, die sie mir vermittelte, sprachen nur das grobe Schweizerdeutsch. Und ohne die Sprache vermindert sich das Vergnügen an der Liebe gleich um wenigstens zwei Drittel.)


Um so viel also – Casanova, der »Fachmann«, schätzt es auf zwei Drittel – kann Sprache die Liebesfreuden vermindern.

Aber nun das Gegenteil. Im Sommer 1990, anläßlich einer Geburtstagsfeier, hielt ein (nicht einmal besonders schöner oder junger) Mann eine kurze Rede – auch auf schweizerdeutsch – in der er vom Geburtstagskind, von dessen Frau, von langjähriger Liebe und Treue sprach. Und als er sich wieder gesetzt hatte, da kam von einem andern Tisch auf ihn zu: eine hübsche, ihm unbekannte junge Frau und sagte: »Ich muß es Ihnen sagen: Sie haben so schön gesprochen, daß mir an den Armen alle Härchen aufgestanden sind.« Was kann sich ein Redner [138] schöneres wünschen? Der berühmte »frisson«, der süße erotische Schauder, wie er in den französischen Schlagern so gerne besungen wird, hier war er erreicht, ohne die geringste körperliche Berührung, allein durch Sprache.

Es ist gewiß: Sprache kann entflammen, so wie sie andererseits abkühlen kann. Wir werden uns dies im folgenden genauer ansehen, werden fragen, wie die entflammende und wie die abkühlende Sprache im einzelnen aussieht, und was deshalb ein ordentlicher Verführer oder eine ordentliche Verführerin sprachlich tun oder lassen soll.

Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993, S. 136-139.
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