Französische Speisekarte. Verhalten von Wirten, Kellnern und Gästen in Lokalen.

[346] Besonders in vornehmen Lokalen findet man – höchst unpraktischerweise – auf den Speisekarten viele fremdländische, meist französische Ausdrücke. Logischer ist es, für vorwiegend deutsche Gäste die Gerichte deutsch, und zwar so zu bezeichnen, daß man deren Substanz aus der Bezeichnung einigermaßen erraten kann. Wenn der Wirt aber glaubt, durch französische Ausdrücke dem Menü oder der Speisekarte und damit seinem Lokal einen vornehmen Anstrich geben zu können, so soll er wenigstens die Kellner instruiren, daß sie in der Lage sind, auf Befragen der Gäste über dies oder jenes fremdländisch bezeichnete Gericht Auskunft geben zu können. Wer sich als Gast genirt, durch Fragen die Unkenntnis eines französischen Ausdrucks[346] einzugestehen, dem geschieht es recht, wenn ihm, einem Feinde alles Sauren, der Kellner z.B. etwas fremdländisch benamstes Rollmopsartiges angeschleppt bringt. Oft dienen französische Ausdrücke zur Bemäntelung und Verschleierung wenig schmackhafter Speisen. Ich erwähne nur die pomphafte Bezeichnung boeuf à la mode, wofür eine ehrliche deutsche Uebersetzung oft »Schuhsohle« lauten müßte.

In einer meiner letzten Plaudereien unter der Ueberschrift »Vorschriften für Bedienung« äußerte ich mich über das Verhalten beim Serviren. Speziell von der Bedienung in öffentlichen Lokalen handelte meine letzte Plauderei; ich habe dem noch einiges hinzuzufügen.

Wirte und Kellner müssen Menschenkenntnis haben und es den Gästen an der Nase ansehen, ob ihnen äußere Höflichkeitsbezeugungen, wie besonders ehrerbietige Bücklinge, – Fragen nach dem Befinden seitens des Wirtes oder Geschäftsführers – vermutlich angenehm oder lästig sind. Während unfreundliches und hochmütiges Wesen eines Wirtes oder Kellners abstößt, ist das gerade Gegenteil hiervon, ein kriechendes, süßlich freundliches Benehmen, das sich in allzu demutsvollen Verbeugungen, in[347] übertriebenen Aufmerksamkeiten gegen die Person des Gastes offenbart, diesem oft noch bei weitem lästiger. Mancher Wirt – allerdings ist diese Sorte sehr gering vertreten – glaubt seinen Gästen durch seine Unterhaltung besonders zu imponiren und langweilt sie dabei oft durch leeres, phrasenhaftes Geschwätz, das er mit der Miene eines Philosophen verzapft.

In meiner vorletzten Plauderei erwähnte ich, wie man ein brennendes Streichholz auf die höflichste, also namentlich für Kellner beachtenswerte Weise einem Raucher giebt, oder wie man das brennende Streichholz einem andern vor die Zigarre hält. Kellner begehen sehr oft den Fehler, daß sie, wenn der Gast kaum eine Zigarre ergriffen hat, ihm schon das brennende Streichholz vor die Nase halten. Wenn man als Gast nun rücksichtsvoll und darum besorgt ist, daß der Kellner sich die Finger verbrennen könne, so muß man in ungemütlicher Hast nach dem Messer oder Abschneider greifen und die Zigarre rauchfertig machen. Ein gewandter Kellner wartet ruhig ab, bis der Gast zum Rauchen bereit ist, und zündet das Streichholz erst an, wenn der Gast die Zigarre oder Zigarette zum Munde führt. Dasselbe Verfahren ist[348] natürlich auch höflichen Gesellschaftsmenschen gegenüber älteren Herren oder Damen zu empfehlen. Vielbeschäftigte Kellner setzen besser einem Gast das Feuerzeug zur Selbstbedienung vor dem Rauchen hin, als daß sie den Raucher durch vorzeitiges eiliges Anzünden und Hinhalten des Streichholzes drängen. Im letzteren Falle dient es zur Belehrung der Kellner, wenn der Gast sich nicht drängen läßt, sondern ruhig zum Kellner sagt: »Ich muß mir erst die Zigarre abschneiden und werde mir dann selbst Feuer nehmen.«

Beim Rechnungmachen ist es in vornehmen Lokalen Sitte, daß der Kellner die bestellten Speisen und Getränke mit Preisangaben, oder wenigstens die letzteren allein, untereinander schreibt und dann dem Gaste diesen Zettel zur Kontrolle überreicht; natürlich wird bei kleinen Rechnungen auch das mündliche Verfahren genügen. Unter der Unehrlichkeit schlechter Elemente ihres Standes haben natürlich auch die ehrlichen Kellner zu leiden, und diese letzteren sind – wenigstens nach meinen vieljährigen Erfahrungen eines Junggesellen-Wirtshauslebens – entschieden in der Mehrzahl. Das Feilschen eines starken Trinkers mit dem Kellner um einen[349] einzigen Schnitt Bier macht keinen angenehmen Eindruck; der anständige Gast, der seiner Sache nicht ganz gewiß ist, wird selbstverständlich, auch wenn ihm nach seiner bloßen Vermutung bei einer größeren Anzahl Gläser Bier eins zuviel berechnet wird, dem Kellner Glauben schenken. Kellner, die sich auf ihr Gedächtnis nicht verlassen können, namentlich in stark besuchten Bierlokalen, werden sich über die Trinkleistungen der einzelnen Gäste irgendwie Notizen oder Merkmale machen, um nicht in Versuchung zu kommen, in zweifelhaften Fällen lieber für ein Glas zuviel als zuwenig Bezahlung zu fordern. Ein probates Mittel gegen Uebervorteilung soll es sein, immer nur ein gleiches und zwar geringes Quantum zu trinken, das man sich leicht im Kopf behält, trotzdem es nicht zu Kopfe steigt; aber dies Mittel ist bei vielen Gästen und wohl bei allen Wirten wenig beliebt. Um beim Wechseln eines Geldstückes und Herausgeben Irrtümer zu vermeiden, ist es praktisch, wenn der Kellner, bis er her ausgegeben hat, das Geldstück des Gastes offen liegen läßt, oder wenn der Gast beim Bezahlen laut ansagt, z.B.: »Geben Sie mir auf fünf Mark heraus.« Wie es in jedem Stand so'ne und so'ne[350] giebt, so giebt es auch leider Kellner, die trunkfeste Gäste auf ihre Gedächtnisschwäche, ihre Gutmütigkeit oder Schüchternheit zu taxiren suchen und dann bei der Bezahlung, der Sicherheit wegen, acht Glas Bier anrechnen, weil sie nicht genau wissen, ob der Herr Gast fünf oder sechs Glas getrunken hat. Es wäre erfreulich, wenn jener österreichische Kellner ein Phantasiegebilde wäre, von dem man erzählt, er habe in der schriftlichen Zusammenstellung bei der Bezahlung obenan das Datum gesetzt und dann, aus einer Art gewohnheitsmäßigen Versehens, die Tageszahl zu den Gulden und die Monatszahl zu den Kreuzern einfach und bieder hinzuaddirt. Vermutlich ist der eines gewissen, freilich verdammenswerten Humors nicht entbehrende Frevel ans Tageslicht gekommen, als ein Gast an einem 31. Dezember für einen einzelnen Pils – bekanntlich die Abkürzung für Pilsener Bier – 31 Gulden und etliche Kreuzer zahlen sollte!?

Augenscheinliche Uebervorteilungen natürlich wird sich kein Gast bieten lassen, sondern dieselben, wenn die betrügerische Absicht eines Kellners auf der Hand liegt, sogar dem Wirt oder Geschäftsführer in ruhiger und sachlicher Weise mitteilen im[351] Interesse des Publikums, der Wirte und nicht zum letzten im Interesse der anständigen, ehrlichen Kellner selbst.

In meiner letzten Plauderei sprach ich über die Hilfeleistung der Bedienung, den Gästen beim Anlegen des Ueberziehers zu helfen. Uebereifrige Kellner wollen oft mit aller Gewalt auch dann den Damen hierbei behilflich sein, wenn Herren ihrer Begleitung den Damen diesen Höflichkeitsdienst erweisen wollen. In diesem Falle darf aber natürlich der Kellner das Kleidungsstück der Dame höchstens dem betreffenden Herrn hinreichen.

Fast alle Menschen werden sich wohl mehr Geld wünschen, als sie thatsächlich besitzen. Es ist menschlich und natürlich, wenn Kellner über ein größeres Trinkgeld sich mehr freuen als über ein kleineres. Aber im höchsten Grade unpassend ist es, wenn Kellner durch ihr Benehmen dem Gast zu verstehen geben, daß ihnen das verabreichte Trinkgeld zu gering ist. Wenn auch allgemein üblich, so ist das Trinkgeld doch ein freiwilliges Geschenk des Gastes. Die Anstandspflicht gebietet es dem Kellner, dies Geschenk eines auch nur kleinen Trinkgeldes anzunehmen und sich dafür zu bedanken, sei es durch eine stumme[352] Verbeugung oder durch die einfachen Worte »Ich danke«. Betreffs der Höhe des Trinkgeldes sind die Ansichten in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Gesellschaftskreisen natürlich sehr verschieden. In Bayern z.B., namentlich in den einfachen Bierlokalen, ist es vielfach Sitte, nur wenige Pfennige, wie man sie gerade beim Bezahlen herausbekommt, als Trinkgeld zu geben. In Norddeutschland haben sich viele als Norm gesetzt, etwa den zehnten Teil dessen, was sie für Speise und Trank zu zahlen haben, dem Kellner als Trinkgeld zukommen zu lassen. In den vornehmsten Gesellschaftskreisen ist vielfach die Ansicht vertreten, auch bei geringem Bedarf an Essen und Trinken habe man in einem Bierlokal wenigstens zwanzig, in einem Weinlokal wenigstens fünfzig Pfennig, und zwar auch für eine einzelne Person, an Trinkgeld zu geben. Es ist eigentlich richtiger, das Trinkgeld nicht nach der Höhe seiner Zeche, als vielmehr entsprechend den Bemühungen des Kellners, also vor allem nach der Anzahl unserer Bestellungen, zu bemessen; auch wird man natürlich ein ungefähr verhältnismäßig höheres Trinkgeld verabreichen, wenn für mehrere Personen zusammen bezahlt wird. Das Trinkgeld ist zweifellos eine[353] Unsitte; richtiger wäre es, der Kellner würde ausschließlich vom Wirt bezahlt, und der Wirt schlüge eben dafür um ein weniges in seinem Preisverzeichnis auf. Anstürme gegen das Trinkgeld sind schon mehrfach unternommen, aber bisher ohne nachhaltigen Erfolg. Die Unsitte des Trinkgeldes ist im allgemeinen noch zu fest eingebürgert, und die Kellner sind mehr oder weniger darauf angewiesen.

Die Herren Gäste, die ein öffentliches Lokal betreten, auch die Damen, thuen gut, sich dabei einer gewissen vornehmen Ruhe zu befleißigen, um nicht schon beim Eintritt mit etwa gerade heraustretenden Gästen in Kollision zu geraten. Auch im obersten Oberbayern beginnt das Raufen immer erst später! Auch während ihres Aufenthaltes in einem öffentlichen Lokal werden vornehme Gäste gewisse Höflichkeitsrücksichten gegen einander beobachten. Man vergiebt sich absolut nichts an seiner Menschenwürde, wenn man diesen guten Willen der Höflichkeit durch eine leichte kurze Verbeugung bekundet, wenn man sich an denselben Tisch zu anderen, unbekannten Gästen heransetzt. Wer noch höflicher sein will, holt auch durch ein paar Worte sich die besondere Erlaubnis hierzu ein; dies ist[354] dann sogar geboten, wenn man im Zweifel darüber ist, ob die Plätze nicht etwa nur momentan leer und in Wirklichkeit besetzt oder reservirt sind. Auch dann, wenn einem die bereits an einem Tisch sitzenden Gäste mit steifer, kühler Reservirtheit gewappnet erscheinen, braucht man sich dadurch noch nicht imponiren zu lassen und Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Zum mindesten hat man in öffentlichen Lokalen die Rücksicht auf andere zu nehmen, daß man den Nächsten nicht durch zu lang geratene Gliedmaßen, namentlich durch seine Füße beim Uebereinanderschlagen seiner Gebeine belästigt. Höchst unvornehm ist ein lautes, auffälliges Benehmen und Sprechen. Manche spielen in öffentlichen Lokalen gleichsam Theater, man merkt ihnen an, sie wollen mit Gewalt beachtet und bewundert werden, sei es durch nach ihrer Ansicht exquisites oder originelles Benehmen, sei es durch witzige Bemerkungen. In grober Weise verstößt es gegen die gute Sitte, in öffentlichen Lokalen dadurch mit verwöhntem Geschmack protzen zu wollen, daß man mit dem Kellner über vermeintlich minderwertige Speisen und Getränke herumschimpft. Der Kellner servirt doch ausschließlich und hat weder die Speisen[355] zubereitet, noch auch die Getränke gebraut. Gerechtfertigte Beschwerden wird man in möglichst geräuschloser, unauffälliger Weise durch den Kellner an die richtige Adresse, an den Wirt oder an die Küche, übermitteln lassen. Durch lautes Tadeln von Speise und Trank kann man auch leicht den Mitgästen, die vielleicht genügsamer geartet sind, den Appetit verderben. Vornehme Menschen werden sich gegenseitig bei Bedarf gewisse kleine Dienstleistungen, wie Darreichen von Brot oder des Salzfasses, verrichten und sich auch nicht genieren, solche geringfügige Gefälligkeiten von anderen zu erbitten.

Manchem Junggesellen, der durch seine pekuniäre Lage gezwungen ist, in einfachen Wirtslokalen zu verkehren, ist es zur Gewohnheit geworden, sein Besteck vor dem Gebrauch mit Brot oder der Serviette zu reinigen. Sobald die Serviette deutliche Spuren dieser Manipulation aufweist, so ist eben damit eine solche Reinigung als gerechtfertigt erwiesen. Man achte darauf, diese Reinigung möglichst unauffällig vorzunehmen und sie in besonders vornehmen Restaurationen, wo man peinlichste Sauberkeit voraussetzen darf, und vor allem in Privathäusern zu unterlassen. Man hat mir mit gerechter[356] Entrüstung vor einiger Zeit erzählt, daß sogar eine Dame, die zu Besuch in einer Familie weilte, sich bei Tisch diese Reinigung ihres Bestecks leistete. Sonst genießt wohl ausschließlich der arme Junggeselle den Ruf, wilde Wirtshausmanieren in friedliche Familien hineinzutragen.[357]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 346-358.
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