III.

Vom 12. Mai 1819 bis 31. Dezember 1820

[87] In der Hauptstadt Ofen hielt ich mich einige Tage auf, hauptsächlich, um mich meinem jetzigen Landeschef, dem Erzherzog Palatinus, vorzustellen. Bei meinem Metropoliten, Baron von Fischer, Erzbischof von Erlau, verweilte ich einen Tag, und es fiel mir nicht von weitem bei, daß ich nach etwa acht Jahren sein Nachfolger im Amt werden würde! So brachte ich auch in der Durchreise einen Tag bei meinen Nachbarbischof, jenem von Kaschau, zu und empfing dort die Begrüßung meines Generalvikars und Weihbischofs, Csech, der später auf den bischöflichen Stuhl von Kaschau erhoben wurde, eines Mannes von sehr wohltuendem Äußern und vieler Herzensgüte. Von ihm erhielt ich Auskunft über den Zustand meiner Diözese.

Mit heißen Tränen überschritt ich am 10-ten Mai die Grenze des Zipßer Komitats, als mir dort die ersten Zeichen eines feierlichen Empfangs zu Gesichte kamen. Die Gedanken an die neue Bahn, die ich betreten sollte, und an eine ungewisse, dunkle Zukunft mochten sie hervorgelockt haben; doch lag auch ein tiefes Heimweh mir im Herzen, das sich nach Österreichs weit hinter mir liegenden Gebirgstälern zurück sehnte. Sehr freundlich wurde ich auf halbem Wege durch den ersten Vizegespan (Kreisdirektor), einem sehr würdigen Greise, im Kreis von mehr als fünfzig Personen geistlichen und weltlichen Standes über Nacht bewirtet. Unter diesen war auch der bekannte Publizist, Gregor Berzeviczy, ein Protestant, mit dem ich in der Folge öfters in Berührung kam. Er mußte gehört haben, daß ich die Musik liebe, und hatte auch, selber ein Künstler, ein hübsches Violinquartett für diesen Abend veranstaltet. Den folgenden Tag als am Vorabende des Einzugs in die Kathedralkirche der Diözese Zipß und meine Residenz (Zipß und auch Kapitl genannt) stieg ich, nirgends geladen, im ganz nahe liegenden Schloß der alten Gräfin Csáky ab, wo mich auch die ausgesandte aus etwa dreißig Adeligen bestehende Komitatsdeputation nach hiesigem Landesbrauch mit einer feierlichen Anrede begrüßte.

Am 12-ten Mai, an einem überaus schönen, heiteren Tage, geschah der feierliche Einzug. Am frühesten Morgen sah ich aus dem Fenster meines Zimmers lange nach dem Hügel hinüber, auf welchem die Kathedralkirche, die bischöfliche Residenz, das Seminarium der Kleriker und zehn Domherrnwohnungen und dies alles mit einer Mauer umfangen liegen, und am Fuße des Hügels liegt Kirchdrauf, eine der privilegierten Sachsenstädte der Zipß, von wo sich ein breites Tal hinausdehnt, das in weiter Entfernung[88] von den Karpathen mit der Lomnitzer über 8000 Fuß hohen Spitze begrenzt wird. – Lange, lange sah ich hinüber; ernste Gedanken bewegten meine Brust; doch endlich hob ich die Blicke vertrauensvoll flehend zum Himmel auf, woher allein der wahre Mut und Trost kommt, und eilte hinab, den Zug zu beginnen. Er bewegte sich langsam in einer langen Reihe von Wägen, fremden und einheimischen, nach Kirchdrauf hin, wo ich mich in der Klosterkirche der Barmherzigen Brüder in den bischöflichen Ornat setzte und den Hügel aufwärts zu Fuße unter lauten Kirchengesängen, Böllerschüssen, Volksjubel – es waren mehrere Tausend Menschen zugegen – in das Kapitl und in die Domkirche einzog. Der Domprobst hielt dort die gewöhnliche Begrüßungsrede, und ich darauf meine erste Anrede an alle Gläubigen meiner Diözese, nach welcher Klerus und Volk dem neuen Oberhirten huldigte. – Der Gäste waren über vierhundert, die teils in der bischöflichen Residenz, teils in den größeren Räumen des Seminärs bewirtet wurden. Die während der Tafel übliche Ausbringung der Toaste, die langen Reden dabei – alles, alles war mir neu, wie so manches andere im Umfang meines Geburtslandes, das ich als Jüngling verließ und vorher so wenig Gelegenheit hatte, selbes kennen zu lernen.

Die Zipß ist eines der größten Talländer von Ungarn, am Fuße der alle andern Karpathen überragenden Höhe der Lomnitz, durch schöne Ansichten, freundliche Städtchen und große Kultur des Bodens ausgezeichnet. Die fleißigen Einwohner sind teils Slaven, teils schon vor mehreren Jahrhunderten wegen des Bergbaus wahrscheinlich aus Sachsen eingewanderte Deutsche, die meistens zur protestantischen Kirche gehören. Diese machen größtenteils die Bewohner der sogenannten XVI Städte aus, die ihre eigenen Munizipalrechte haben und durch eine königliche Administration verwaltet werden. Unter diesen nehmen Leutschau, wo auch der Sitz des Komitats ist, und Käsmark den ersten Rang ein.

Unbekannt, wie ich den meisten sein mußte, war mein Entschluß bald gefaßt, meine ganze Diözese, die sich über drei Komitate (Gespanschaften), die Zipß, Liptau und Arva erstreckt, vorläufig wegen Erteilung der hl. Firmung zu bereisen und mich dadurch in den Stand zu setzen, in meinem neuen Wirkungskreise mit mehr Sicherheit auftreten zu können. Ich verfügte mich Anfangs Juni nach meinem fünf Stunden von der Zipßer Residenz entfernten herrschaftlichen Schlosse Schavnik und bereitete mich zur Abreise, welche zu Ende desselben Monats erfolgte. Ich brachte beinahe zwei Monate auf meiner oberhirtlichen Wanderschaft zu und kehrte gegen Ende August von der äußersten Spitze des Arwaer Komitats durch den angrenzenden Teil von Galizien als auf dem nächsten Wege wieder in die Zipßer Residenz zurück. Auf der Heimkehr bestieg ich von der galizischen Seite in Gesellschaft[89] zahlreicher Begleiter die Karpathen bis zu einer Höhe, auf welcher der bekannte kleine Bergsee, das »Meerauge« genannt, liegt – dem alten Drange nach den Höhen folgend! –, so wie ich schon die ersten Tage nach meiner Ankunft in der Zipß mit dem Erzherzog Johann, dessen ehrender Besuch mir ward, auf der entgegengesetzten Zipßer Seite von dem Kurbrunnen »Schmöks« aus selbe zu einer beträchtlichen Höhe erstiegen hatte. Der viel schöneren steier- und österreichischen Berge gedenkend hielten wir die völlige Erklimmung dieser nicht für lohnend genug und kehrten um.

Jene Bereisung meiner Diözese war von großem Trost und Nutzen begleitet. Ich lernte den größten Teil der dort angestellten Seelsorger und zugleich ein großes Bedürfnis für die Pfarreien an tauglichen Schullehrern kennen. Dieser Gedanke beschäftigte mich unablässig, und bald nach meiner Heimkunft forderte ich mein Kapitel und sämtliche Seelsorger durch ein Rundschreiben auf, mich in meinem vorhabenden höchst wichtigen Unternehmen zu unterstützen, welches war, ein Institut für angehende Dorfschullehrer oder Präparandie zu errichten. Ein bedeutender Teil des dazu nötigen Kapitals war von mir angeboten; der Plan des Instituts ausgearbeitet; das nötige Lokale bereitgestellt; die zwei erforderlichen Lehrer, ein Geistlicher für die Lehrmethode und der sehr fähige Organist der Kathedralkirche für Kirchengesang und Orgelspiel waren vorgefunden; dem Domkapitel war die Kuratel und einem der Domherrn die Leitung dieses Instituts übertragen, und nachdem der nötige Fond sich durch die Beiträge der Domherrn, des Klerus und andrer Wohltäter für jetzt hinlänglich vorfand, die Möglichkeit hergestellt, den ersten Kurs mit dem Anfangs November beginnenden gewöhnlichen Schuljahre wirklich in das Leben treten zu lassen – was dann auch geschah. Das ganze bestand vorerst in Folgendem: In dem Erdgeschoß des bischöflichen Seminärs fand sich ein unbenützter Saal vor, den ich durch eine Zwischenmauer in zwei geräumige Zimmer abteilte; in das eine als dem Schlafzimmer kamen sechs Betten zu stehen, da die Zahl der Präparanden vorläufig auf sechs Individuen, die wenigstens die Humaniora absolviert haben und mit den entsprechenden Zeugnissen versehen sein mußten, bestimmt war. Man hielt die Zahl der Kandidaten indessen für genügend, da die älteren Schullehrer nicht gleich von ihren Posten verdrängt werden konnten. Sie wurden aus der Zahl der Konkurrenten nach einer öffentlichen Prüfung gewählt. Das zweite als das Schulzimmer wurde mit den nötigen Tischen, Stühlen und einem Schranke für die erforderlichen Bücher und Musiknoten versehen. Die Gegenstände des Unterrichts waren: Religionslehre oder Katechese, Methodologie, Orthographie, Kalligraphie, Arithmetik, biblische Geschichte Alten und Neuen Testaments und das Nötigste aus der Natur-und vaterländischen[90] Geschichte eines und des anderen Teils, Unterricht in Gesang und Präambulieren auf der Orgel während des Gottesdienstes, Begleitung der Kirchengesänge mit demselben und im Ambrosianischen Gesang, soweit er bei kirchlichen Festen z.B. in der Karwoche usw. nötig war, und da auf dem Lande die Schullehrer gewöhnlich auch Mesnerdienste versehen, im Ritus und in den Zeremonien der kath. Kirche. Der Kurs wurde auf zwei Jahre bestimmt, während welchen die Kandidaten halbjährig öffentliche Prüfung bestehen und auch herbeigeholte Schulkinder wegen praktischer Anwendung vor den Zuhörern prüfen mußten. Es war zum Erstaunen, welche Fortschritte sie schon nach Verlauf eines Jahres gemacht hatten! Der zusammengebrachte Fond von zwanzigtausend Gulden warf zu 5% tausend Gulden jährlicher Interessen ab; aus diesen wurden der Verwaltung des Seminärs hundert Gulden für die Verpflegung (die in drei Gerichten zum Mittag- und in zweien zum Abendessen bestand) eines Kandidaten jährlich bezahlt. Dem geistlichen Lehrer sonst auch Benefiziaten der Kathedrale wurden als Zulage hundertfünfzig und ebenso viele Gulden dem Organisten für ihre Mühewaltung gegeben. Die Errichtung dieses Instituts erregte in dem Lande große Freude, und da bald darauf bei einem festlichen Gelage (25. Nov.) zu Leutschau jemand scherzweise äußerte, für die Präparanden wäre Leinwäsche willkommen, so übersandten nach einigen Tagen von den dort anwesenden Frauen und insbesondere mehrere protestantische Damen so viel Leinzeug in ganzen Geweben (die Zips ist wegen der Leinwanderzeugnis bekannt) zu Tisch- und Bettwäsche, daß das Institut auf mehrere Jahre damit versehen war. Zur festen Begründung desselben war die landesfürstliche Genehmigung notwendig; ich schrieb daher unmittelbar an den Kaiser nach Wien und stellte an die kön. Statthalterei in Ofen das Gesuch, daß es von der Oberschuldirektion in Kaschau unabhängig die vorgeschriebenen jährlichen Stand- und Rechnungsausweise unmittelbar an sie allein zu übersenden habe.

Die Ernennung eines Klosterabtes, der ich war, zu einem Bischof von Ungarn hatte als etwas Außergewöhnliches anfangs Staunen und Bewunderung erregt; sie war allein aus dem Herzen des Kaisers hervorgegangen. Das auf meine Schrift erlassene allerhöchste Handbillet zeugt daher, wie es hier folgt, welches Vergnügen ihm die von mir errichtete Anstalt ge macht habe:


Lieber Bischof v. Pyrker! Sie haben die Ausübung ihres apostolischen Oberhirtenamtes mit dem wichtigsten, meinem väterlichen Herzen stets am nächsten liegenden Teile desselben, nämlich mit Beförderung und Verbesserung des Religions- und Schulunterrichtes ganz recht begonnen und sich dadurch Mein besonderes Wohlgefallen erworben; den übrigen Inhalt ihres Berichts der vorgenommenen[91] Diözesanbereisung nehme Ich in Erwartung der weiteren Anzeige über den Fortgang der neuen Präparandie-Anstalt zur Wissenschaft. Wien, den 7. Sept. 1819. – Franz. m.p.


Nach einigen Wochen erhielt ich ein zweites folgenden Inhalts:


Lieber Bischof Ladislaus Pyrker! Ihre Anzeige vom 19-ten Oktober dieses Jahres über das in Zipß durch Ihren bekannten rühmlichen Diensteifer unter der belobten tätigen Mitwirkung des Domkapitels und Kuratklerus so schnell zu Stande gekommenen Präparandeninstituts für Dorfschullehrer dient Mir zur besonders angenehmen Wissenschaft, und werden Sie hierüber beiden Teilen Mein Wohlgefallen zu bezeugen haben. Übrigens sehe ich dem Plane und den Statuten dieser neuen Bildungsanstalt ehestens entgegen, wo alsdann über Ihren weiteren Antrag, selbe unmittelbar der Statthalterei unterordnen zu lassen, Meine Entschließung folgen wird. Wien, 1-sten November 1819. Franz m.p.


Und noch ein drittes, wo ich den Auftrag erhielt, auch den protestantischen Damen für die zum Präparandeninstitut gemachten Beiträge das allerhöchste Wohlgefallen S.M. zu bezeugen. Der angesuchte unmittelbare-ämtliche Verkehr mit der Statthalterei wurde genehmigt und auf solche Art nach der Bemerkung eines ausgezeichneten Staatsmannes in Wien ein Problem in kurzer Zeit gelöst, an dem man vieljährige Beratungen vergeblich angewendet hatte. Der Nutzen dieses Instituts hat sich seitdem in einem hohen Grade bewährt, denn es sind im Verlauf von zehn Jahren über hundert in demselben gebildete fähige Schullehrer sowohl in der Zipßer als auch in den benachbarten Diözesen angestellt worden. (Erwähnung verdienen die zwei Werkchen, welche bald nach der Errichtung des Instituts für selbes im Druck erschienen sind: a) »Ludimagister in Ritibus et Cerimoniis per annum occurrentibus instructus« und b) »Pedagogia idiomate slavico conscripta in usum Scholarum Trivialium Dioecesis Scepusiensis.« 1820. Leutschoviae, typis Joan. Verthmüller. – Auch gab im J. 1828 ein sehr gebildeter Pfarrer der Diözese, Ladislaus Záboiszky, die sehr gut geschriebene Geschichte dieses Präparandeninstituts heraus unter dem Titel »Succincta historia Instituti Praeparandorum ad Magisteria Scholarum Ruralium Almae Dioecesis Scepusiensis« Cassoviae, typis Stephani Ellinger, c.r. Typographi 1828.

Sei es, daß das ungewohnt strenge Klima von der Zipß, wo die Kälte im Monat Hornung des J. 1820 auf dem Reaumur-Thermometer 23 Grad unter 0 zeigte, oder die noch immer unbesiegte Sehnsucht nach den früheren Wohngefilden nicht günstig auf meine schwächlichen Nerven wirkte, genug, ich war den ganzen Winter über in einem krankhaften Zustande geblieben. Deswegen beschloß ich im Frühjahr nach Wien zu reisen, wo meine Freunde sich über mein schlechtes Aussehen nicht wenig betroffen zeigten. Doch welch einem wichtigen Zeitabschnitte meines Lebens ging ich dort entgegen! Als ich vor den höchstseligen Kaiser trat, empfing er mich sogleich mit den Worten, ich hätte ihm durch[92] meine Leistungen in der Zipß große Freude gemacht; doch wisse er wohl, daß man an das dortige strenge Klima von Jugend auf gewohnt sein müsse, welches nicht für jedermann, wie es auch mein Aussehen zeige, zuträglich sei; und setzte nach einer langen Pause, während welcher er mich lächelnd ansah, noch hinzu, er habe demnach die Idee, mich zum Patriarchen von Venedig zu ernennen. Als ich ihn in der Meinung, er scherze nur mit mir – was er wohlwollend noch von Lilienfeld her öfters zu tun pflegte, verwundert ansah, fuhr er sogleich weiter fort, es sei sein voller Ernst, wie bewußt, sei ich der ital. Sprache kundig; er habe mit ein paar Vorschlägen (für Treviso und Mantua) in Rom Anstände gefunden, ich sei bereits konsekrierter Bischof und stehe bei dem Hl. Vater in gutem Ansehen, und er würde auf solche Art bei dem schwer zu besetzenden Posten in Venedig am besten fahren. Nun, da ich sah, daß es Ernst damit sei, fuhr ich erblaßt zusammen und zitterte am ganzen Leibe. Der Kaiser sagte freundlich, ich solle es überlegen und nach etwa 14 Tagen wieder zu ihm kommen. Als ich im Abgehen eben die Tür öffnete, rief er mir noch nach, ich werde es sehen, Venedig wird mir gut tun. Draußen an der Haupttreppe angelangt stand ich lange still und überlegte, ob es ein Traum, ob es Wirklichkeit sei, was ich eben vernommen hatte, und verfügte mich sogleich zu einem hochgestellten Freunde, der über das Unerwartete selber betroffen, mir die selbständigere Stellung eines Bischofs in Ungarn zu Gemüte führte und mir riet, diese Beförderung, zwar auf bittlichem Wege, aber entschieden abzulehnen. – Nach ein paar Tagen kam Hofrat Grimm, der Direktor der Kanzlei des Erzherzog Vizekönigs von Italien, der wegen seiner nahen Vermählung mit der Prinzessin Elisabeth von Carignan-Savoyen eben in Wien war, zu mir und sagte, er sei vom Erzherzog – eigentlich vom Kaiser, setzte er lächelnd hinzu – an mich gesandt, zu vernehmen, welche Gründe mich abhalten könnten, den Antrag wegen der Beförderung nach Venedig anzunehmen? Der Kaiser wünsche es zwar, daß ich hinkomme, und es würde ihm dadurch sogar ein Gefallen geschehen; doch wolle er mir keinen Zwang antun, und ich solle mich freimütig darüber äußern. – Der Hofrat war wahrscheinlich auf keinen so ernstlichen Widerstand gefaßt, und als ich ihm meine Gründe mitgeteilt hatte, rief er im Abgehen, das getraue er sich nicht zu referieren; ich möge den kommenden Tag zum Erzherzog kommen und mit ihm selber sprechen. Der Erzherzog empfing mich überaus gütig und freundlich und forderte mich auf, meine Gründe vorzubringen. Von diesen will ich hier nur zwei oder drei anführen. Zuerst also, ich sei der ital. Sprache nicht so mächtig, wie der Kaiser glaube, denn seit 28 Jahren hätte ich das, was ich im J. 1792 durch sechs Monate mir dort zu eigen gemacht hatte, größtenteils wieder vergessen; ferner sei ich als ernannter Bischof[93] von Zipß zur nötigen Instruierung des Hauses gezwungen gewesen, Gelder aufzunehmen, die ich noch nicht erstattet hätte; endlich besorge ich, daß die ungewohnte Lagunenluft meiner Gesundheit nicht zuträglich sein würde. Die beiden ersten Gründe beantwortete er lächelnd, durch Übung würde mir die ital. Sprache bald wieder ganz geläufig werden, und in Hinsicht der pekuniären Rücksichten würde der Kaiser Sorge tragen; was aber den dritten Punkt betrifft – darüber könne er nichts weiter sagen. Er werde demnach Sr M. dem Kaiser melden, daß ich nicht geneigt sei, dem Rufe nach Venedig zu folgen. Da ich mit einiger Angst bemerkte, daß er bei den letzteren Worten ganz ernst geworden war, so bat ich ihn, er wolle es auf eine Art tun, daß der Kaiser auf mich nicht ungehalten werde. Die 14 Tage bis zur anberaumten Audienz lagen wie eine Ewigkeit vor mir; ich reiste daher nach Lilienfeld, um dort in einiger Abgeschiedenheit den größeren Teil derselben hinzubringen. Als ich zurückgekehrt an dem bestimmten Tage voll banger Erwartung vor den Kaiser trat, da empfing er mich ganz freundlich und sagte, er habe von seinem Bruder (dem Erzh. Vizekönig) vernommen, daß ich nicht gerne nach Venedig ginge; ich sei also davon dispensiert. Ich möge nur recht gesund bleiben, und da er wohl wisse, daß das Klima von Zipß sehr kalt und rauh sein pflege, so würde er, im Fall es mir nicht zuträglich wäre, schon einen besseren Ort für mich finden. So große, unerwartete Güte und der Gedanke, von der Angst, nach Venedig ziehen zu müssen, befreit zu sein, erweckte in mir ein seliges Gefühl, und ich eilte, solches meinen Freunden anzukünden. Man freute sich mit mir. Nur einer, Hofrat Kleyle, meinte, ich dürfte mich noch nicht ganz sicher wähnen, denn der angeführte Grund, wegen der vielleicht nachteiligen Einwirkung der Lagunenluft auf meine Gesundheit, könnte wohl den Kaiser von der Ernennung abhalten; so er aber glaubte, daß mich von der Annahme dieses Postens bloß die Ängstlichkeit, demselben vielleicht nicht entsprechen zu können, zurückschreckte, so würde jene dennoch erfolgen. Und er hatte recht geurteilt, wie es weiter unten gezeigt werden wird.

Heiter trat ich meine Rückreise an, wohnte am 16-ten Mai der Installation des neuen Fürst-Primas von Ungarn bei und begab mich bald nach meiner Heimkunft, nämlich schon Anfangs Juni, auf demselben Wege durch Galizien, auf welchem ich voriges Jahr zurückkam, nach dem Arvaer Komitat, um dort die angekündigte kanonische Visitation zu beginnen. Auf dringendes Ansuchen erteilte ich auf der Durchreise in zwei Orten, Nowy-Targ und Czarny-Dunajec in Galizien, da jene Diözese damals keinen Bischof hatte, mehr als zehntausend Personen die Firmung.[94]

Gleich auf der ersten Station, wo ich die Visitation begann, in Pekelnik, erhielt ich durch einen Eilboten die Nachricht, daß mich der Kaiser dennoch zum Patriarchen von Venedig ernannt, mir eine Villa zum Sommeraufenthalt und eine bedeutende persönliche Zulage zu den Einkünften des Venediger Sitzes bestimmt habe. Ich führe die beiden ämtlichen Anzeigen hier unten an, da sie mitunter zur Charakterisierung des Besten der Monarchen dienen. Die erste kam unmittelbar von dem Obersten Kanzler, Franz Grafen von Saurau, und lautet folgendermaßen:


Hochwürdigster Bischof! Soeben haben Seine Majestät mir die allerhöchste Ernennung Euerer Bischöflichen Hochwürden zum Patriarchen von Venedig zu eröffnen geruhet. Ich beeile mich Euerer Bischöflichen Hochwürden meinen achtungsvollen Glückwunsch zu diesem durch Ihre vortrefflichen Eigenschaften so sehr verdienten Merkmale des allerhöchsten Vertrauens und zu der Gelegenheit, die Absichten des gnädigsten Monarchen für das Beste des Staates und der Kirche in einem so interessanten Wirkungskreise zu befördern, darzubringen. Seine Majestät haben sich ferner zu äußern geruhet, daß, da Eure Bischöflichen Hochwürden bloß aus Anhänglichkeit an Allerhöchst-Ihre Person sich diesem Wunsche Seiner Majestät fügen dürften, Allerhöchstdenselben an die Hand zu geben sei, auf welche Weise und wie weit Ihnen ein Ersatz für den Verlust an Einkünften zu geben wäre, den Sie an denen des Patriarchates gegen jene, die Sie in der Zipß genießen, erleiden würden. Ich ersuche Hochdieselben, da ich Ihnen eröffne, daß das Einkommen des Patriarchates von Venedig auf 50,000 Lire d'Italia, gleich ungefähr 20,000 F. Convenzions-Münze, und zwar teils an Lokaleinkünften, teils an Ergänzung, und zwar diese mit ungefähr 14,000 Lire d'Italia ab aerario, bestimmt ist, mich in den Stand zu setzen, Seiner Majestät einen gründlichen Vorschlag zu der Hochdenselben zu leistenden Entschädigung zu erstatten. Die übrigen erforderlichen Expeditionen zum Vollzuge der Allerhöchsten Ernennung für das Patriarchat werden ungesäumt nachfolgen. Mich freut es ungemein, mit Ihnen, Hoch würdigster Herr Patriarch, in eine Geschäftsverbindung zu treten, und in derselben Zeuge Ihres edlen, klugen und erfolgreichen Wirkens zu sein. Ich bitte Sie, auf meine Unterstützung bei jedem Anlasse für das Gute zu rechnen und der vorzüglichen Hochachtung versichert zu sein, mit welcher ich die Ehre habe zu verharren, Hochwürdigster Patriarch, Ihr gehorsamster Diener Saurau m.p. Wien, 28-ten Mai 1820.


Das eigentliche Ernennungsdekret war aber folgendes:


Hochwürdigster Bischof! Seine Kaiserliche Königliche Apostolische Majestät haben aus frommer Sorgfalt, der durch den Tod des Franz Milesi verwaiseten Patriarchalkirche zu Venedig wieder einen Oberhirten zu geben, Euere bischöfliche Hochwürden in Erwägung Ihrer gründlichen Gelehrsamkeit sowohl, als des tätigen[95] Eifers in Erfüllung der Amtspflichten, verbunden mit der reinsten Sittlichkeit und anderer ausgezeichneten lobenswürdigen Eigenschaften – durch Allerhöchste Entschließung aus Prag vom 23-ten d.M. zum Patriarchen von Venedig allergnädigst zu ernennen geruhet. – Indem ich mich beeile, Ihnen diese Allerhöchste Entschließung zur angenehmen Nachricht zu eröffnen und hievon auch den Herrn Gouverneur von Venedig in Kenntnis zu setzen, habe ich nur noch beizufügen, daß das Präsentationsschreiben an den heiligen Vater unter einem Sr Majestät vorgelegt wurde, und die vereinigte Hofkanzlei erwarte, daß auch Sie die nötigen Schritte zur baldigen Erlangung der Konfirmation machen, derselben die hiezu geschehene Einleitung anzeigen und die päpstlichen Bullen sei ner Zeit vorlegen werden. Ich habe die Ehre mit ausgezeichneter Hochachtung zu verharren Euerer bischöflichen Hochwürden gehorsamer Diener Saurau m.p. Wien, den 31-sten Mai 1820.


Da mir nach der obigen Versicherung des Kaisers diese Ernennung unbegreiflich war und ich noch immer eine Zurücknahme derselben zu erwirken hoffte, so reist ich nach Vollendung der Visitation im Ober-Distrikte aus dem Arvaer Komitat gerade nach Wien und von dort über Melk nach dem am linken Ufer der Donau liegenden kaiserlichen Lustschlosse Persenbeug, wo sich der Kaiser eben aufhielt. Nach geschehener Anzeige meiner Ankunft ließ mich der Kaiser zu Tisch laden. Im Vorsaal kam der allgemein geschätzte Graf von Wrbna, Oberstkämmerer und Liebling des Kaisers, auf mich zu und sagte, der Kaiser erkenne es, daß ich ihm durch meine Übersiedlung nach Venedig ein großes Opfer brächte, er wisse es aber auch zu schätzen. Eben hieher gereist, um mich gerade davon loszuschrauben, vernahm ich diese Worte in nicht geringer Verlegenheit, auch war die Türe bereits für mich geöffnet; ich trat zögernden Schrittes ein, verbeugte mich und blieb stehen; doch der gütigste Kaiser näherte sich mir rasch und sprach die merkwürdigen Worte: »Sie müssen es mir schon verzeihen, daß ich Sie dennoch zum Patriarchen von Venedig ernannt habe; ich habe Ihrer dort nötig, und Sie werden sehen, es wird Ihnen recht gut gehen.« Ich versicherte ihn, daß ich auf seinen Befehl nicht nur nach Venedig, sondern nach dem äußersten Winkel der Monarchie, nach Cattaro, gehen würde; aber ich fürchtete, als Fremder dort den gehegten Erwartungen kaum entsprechen zu können. Er fing gleich an, darüber zu scherzen, und fuhr während der ganzen Mittagstafel in diesem Tone fort, wie ich nämlich nach Art der wälschen Prediger auf der Kanzel heftig gestikulieren und sprechen solle, um recht bald dem Auditorium zu gefallen, und dergleichen mehr, so daß die Kaiserin und die anwesenden beiden Erzherzoge Anton und Ludwig häufig genug darüber lachten. – Ich verfügte mich von dort in die Bäder von Gastein und kehrte Anfangs September wieder nach der Zipß zurück, um mich auf meine neue Laufbahn vorzubereiten. Herr Grillparzer fuhr abermal mit mir nach Gastein.[96]

Das Ordnen verschiedener Diözesan-Angelegenheiten und die Durchsicht der ökonomischen Schriften und Rechnungen, mit welchen ich mich bisher gar nicht befassen konnte, hielt mich während des Monats Oktober an meinem Schreibtische fest; ein sehr stürmisches, unfreundliches Herbstwetter trug auch viel dazu bei. Da geschah es eines Abends, daß die Sehnsucht in mir rege ward, mich, wenn auch nur auf wenige Augenblicke, aus den drückenden Erdenräumen in das heitere Reich der Poesie aufzuschwingen und der lästigen Gegenwart zu entrücken. Nachdem ich einige Mal sinnend auf und ab gegangen war und mir verschiedene Vorstellungen vorüberschwebten, stand ich plötzlich stille – eine schon vor vielen Jahren gewählte und seitdem oft durchdachte Aufgabe lag hell entwickelt vor meiner Seele da. Als ich nämlich die Bücher des Alten Bundes, noch ehe ich zum Priester geweiht ward, öfters mit ernstem Fleiße durchlas, dachte ich mir, aus der Geschichte Abrahams, Mose, der Propheten Helias und Elisa und der Makkabäer ließe sich etwas ganz Eigenes gestalten, das noch die Poesie keiner anderen Nation unsrer Zeit aufzuweisen hätte. Ich fand mich in der gehörigen Stimmung – wie ich überhaupt meine poetischen Arbeiten nur auf die Stunden der Weihe sparte – und wie die »Tunisias«, so später »Rudolph von Habsburg« und jetzt auch die »Perlen der hl. Vorzeit« als etwas schon früher im Geiste Fertiges öfters auch nach langen Zwischenräumen in kurzer Zeit zu Papier brachte – aber in einem Zustande, in welchem sich allenfalls die Somnambulen in einer Art Clairvoyance befinden mögen. Helias der Prophet ergriff mich zuerst; ich setzte mich zum Arbeitstische, und bald waren Plan, Einteilung und einige sechzig Verse des 1-sten Gesanges niedergeschrieben. Dies setzte ich die folgenden Abende auf gleiche Weise fort, und bis Ende Dezember waren »Helias« in drei [Gesängen], »Elisäus« in zwei vollendet und von den Makkabäern der 1-ste, »Mathathias«, begonnen, den ich aber nach meiner Abreise von Zipß, nebst dem 2-ten und 3-ten – »Eleazar« und »Die Mutter mit den sieben Söhnen« – unter Weges zu Stande brachte. Diese Abreise geschah am 1-sten Jänner 1821. – Die Trennung von einem Lande, wo ich so viele gute Menschen und so viel Anhänglichkeit gefunden hatte, fiel mir abermals bei dem Hinblick in die ungewisse Zukunft äußerst schwer. – Dort hatte ich auch ein paar Monate früher meine gute alte Mutter, die mich zu besuchen kam, und der mein dreiundachtzigjähriger Vater schon sechs Jahre zuvor in ein besseres Leben vorangegangen war, begraben. Weit von einander getrennt sind ihre Gräber, da auch mein Vater während eines Besuches bei meiner jüngsten, verheirateten Schwester unfern Preßburg in A(lsó) Jattó, wo seine im Krieg erhaltene Schußwunde am Fuße plötzlich zuheilte, starb und dort begraben wurde. Von seinem Grabmal weiter unten.[97]

Am sechsten Tage meiner Reise, als ich eben an den letzten Zeilen des »Mathathias« schrieb, geschah es, daß etwa sieben Stunden vor Pesth zwischen Bagh und Hatvan durch das Versehen des Postillions mein Wagen in den Abgrund hinabstürzte, wobei ich mir, nebst anderen Verwundungen, das rechte Schlüsselbein brach. Die vier Pferde samt dem vorderen aus dem Reibnagel gehobenen Gestell blieben oben auf dem Wege stehen, meine schwerbepackte Reisekalesche aber flog hinab und stellte sich unten durch die Reperkussion umgekehrt auf das einbrechende Dach, in welchem mein Kopf steckte. Das auf meinem Nacken liegende Sitzkästchen preßte ihn immer tiefer, und keine fünf Sekunden hätte ich länger geatmet, wenn der nacheilende Sekretär und Diener mich nicht bei den Füßen hervorgezogen hätten. Ein Blutgefäß im Halse muß gesprengt gewesen sein, denn ich warf einige Mal den ganzen Mund voll Blut aus, und der rechte Arm hing lang an meiner Seite hinab. Nun, dachte ich mir, ist es mit dir geschehen, die Brust ist lediert. Man führte mich auf die Straße hinab, und ich setzte mich dort auf die schneebedeckte Erde nieder. Ein Bauer fuhr auf einem leeren Leiterwagen mit vier Pferden vorüber; ich zeigte ihm meine blutigen Hände und bat ihn, er möchte gegen eine gute Belohnung meinen Leuten helfen, den Reisewagen aufzurichten; er aber hieb in die Pferde ein und fuhr selbst den Hügel aufwärts im Galopp davon! Zum Glück kamen drei reisende Handwerksburschen herbei; nach einer Stunde ungefähr wurde ich in den Wagen, dessen Dach zertrümmert wurde, gehoben und fuhr nun Schritt für Schritt bei strenger Kälte (es war am 6-sten Jänner) von 9 Uhr Vormittag bis 5 Uhr abends nach dem Fürst Grassalkowitsch-schen Dorfe Gödöllö, wo sich endlich ein Wundarzt vorfand, der mich in seine Hütte aufnahm und den ersten Verband anlegte. In der Nacht wurde Dr. Uffer, Assistent des Prof. Eckstein an der Universität zu Pesth, geholt, weil dieser nicht kommen konnte, um mich ferner zu behandeln. Elf Tage verweilte ich in jenem Ortein Ermangelung einer besseren Heilmethode unter dem sogenannten Achterverband furchtbar leidend. Während dieser Zeit kam der Graf Joh. Nep. Majláth, der Verfasser der »Geschichte der Magyaren«, von meinem Unfall in Kenntnis gesetzt, zu mir heraus, um mir wohlwollend durch ein paar Tage etwa durch Lektüre die Zeit zu verkürzen und mich meine Schmerzen vergessen zu machen. Auf seine Frage, ob ich seit der »Tunisias« nichts weiter geschaffen hätte, ließ ich meine jüngsten Blätter hervorsuchen, und es ergriff mich gar wunderbar, als er mir den Elias vorgelesen hatte. Er bat mich, ihn, wenn ich nach Ofen gelangt sein würde, dort vor einer gewählten Gesellschaft von Herrn und Frauen vorlesen zu dürfen. Nach seiner Abreise war ich noch mehr aufgeregt und ich diktierte (was ich sonst noch nie versucht hatte) den 2-ten Gesang[98] der »Makkabäer«, den »Eleazar«, meinem Sekretär im Bette liegend in die Feder, und den 3-ten, »Die Mutter mit den sieben Söhnen«, wollte durchaus mein Arzt (Dr. Uffer), der sich früher durch einige kleine poetischen Ergüsse bemerkbar machte, in der Stadt Ofen, wohin ich am 11-ten Tag transportiert ward, niederschreiben, nachdem er mich jeden Abend frisch verbunden hatte. Auch da diktierte ich im Bette liegend, was ich mir den Tag über als Fortsetzung zusammengedacht hatte. Die Ursache, diesen einstweilen letzten Gesang zu vollbringen, war die an mich gestellte Bitte der Vorsteherin des wohltätigen adeligen Frauenvereins daselbst, Gräfin von B(runswick), daß ich ihr mein Manuskript zum Besten desselben übergeben möchte. Es ward abgeschrieben und übergeben, und so kamen »Die Perlen der hl. Vorzeit« im J. 1821 auf Kosten des Adeligen-Wohltätigen Frauenvereins in Ofen gedruckt zum ersten Mal heraus und haben ihm, dem Himmel sei Dank, reichliche Zinsen (nach denen in den Jahren 1826 und 1827 erschienenen gedruckten Ausweisen über 10 tausend Gulden W.W. – gleich 4000 F.C.M.) getragen.

Nach drei daselbst zugebrachten Wochen, während welchen mich auch Franz Verseghy (ursprünglich aus dem Pauliner-Orden, dann als Weltpriester Teilnehmer an der Verschwörung des Abt Martinovits auf 15 Jahre schweren Kerkers auf dem Spielberg verurteilt, nach 9 Jahren begnadigt, Lehrer der ungarischen Sprache bei den Kindern des Erzh. Palatinus, vorzüglicher ungarischer Dichter und Herausgeber mehrerer etymologischer Werke) öfters in den Abendstunden besuchte und mir interessante Aufschlüsse gab, wie sich mehrere seiner Mitgefangenen selbst im oberen Stockwerk in näheren und entfernteren Zellen durch leises Klopfen nach einem bestimmten Alphabete verständigten. Der Festungskommandant, der davon Wind bekam, ließ in seiner Gegenwart ein solches Gespräch durch ihn halten und später wegen seines Wohlverhaltens und unverwüstlicher Heiterkeit seine Kinder im Gesang und in der franz. Sprache unterrichten. Es ist ewig Schade, daß eine durch ihn begonnene Übersetzung des A[lten] Testaments aus der Ursprache in das ungarische nicht vollendet worden ist. (Er hat auch einige Bruchstücke aus der »Tunisias« in herrlichen ung. Hexametern geliefert). Da wurde ich gerade an dem zur Abreise nach Wien bestimmten Tage durch eine heftige Gedärmentzündung dem Tode nahe gebracht; man hatte nämlich, weil die gehörige Untersuchung unterblieb, nicht bemerkt, daß bei jenem Sturz mit dem Wagen durch den Druck des auf mich gefallenen Sitzkästchens eine meiner Rippen an der rechten Seite verletzt war, obschon ich öfters über heftigen Schmerz geklagt hatte. Nachdem ein versuchtes warmes Bad ohne Erfolg blieb, und sich ein heftiges Schluchzen als Anzeichen des nahen Miserere einstellte, so ward durch wiederholtes Aderlassen das Atemholen[99] erleichtert, und ich fuhr nach 14 Tagen mit dem Wundarzte, der mich bis dahin behandelte, nach Wien ab. Kurz vor der Abreise erhielt ich die ämtliche Anzeige über meine Ernennung zum Geheimen Rate des Kaisers. In Wien hielt ich mich durch einige Wochen auf, teils um wieder Kräfte zu gewinnen, und teils, um noch einige Vorbereitungen zu meiner neuen Amtsführung in Venedig zu treffen. Unter den Segenswünschen meiner Freunde reiste ich zu Anfang April dahin ab.

In Laibach, wo eben auch Alexander I., Kaiser von Rußland, bei dem Kongresse sich befand, traf ich den sel(igen) Kaiser und legte in dessen Hände den Eid als Geheimer Rat ab. Den Tag nach meiner Ankunft daselbst wurde das Te Deum wegen dem schnell und glücklich beendigten Krieg in Piemont gefeiert. Jener wohnte dem ganzen Hochamte an der Seite des Kaisers, wie es schien, mit tiefer Andacht bei. Der dort anwesende Kardinal Spina sagte mir, er habe gegen ihn sehr günstige Gesinnungen für die kath. Kirche geäußert. Zwei Tage hintereinander wurde ich zur Tafel des Kaisers geladen. Während des ganzen Essens sprach er mit mir über Venedig – einiges leise in das Ohr – als, ich solle ein Korrektionshaus für unverbesserliche Geistliche daselbst errichten, mich für den Generalvikar J(appelli), den er für das Bistum Treviso vorgeschlagen, aber der Papst aus unbekannten Gründen nicht konfirmiert hatte, bei diesem verwenden, und als Klostergeistlicher die Erlaubnis, testieren zu können, von ihm zu erlangen suchen. Lauter unvergeßliche Beweise seiner besonderen Huld für mich!

Ich reiste ab und kam 14 Tage vor Ostern in Venedig um 10 Uhr abends an.

Quelle:
Pyrker, Johann Ladislaus: Mein Leben 1772–1847. Wien 1966 (Fontes Rerum Austriacarum, Abteilung I: Scriptores, Band 10)., S. 87-100.
Lizenz:

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon