Ritter ohne Furcht und Tadel.

[22] Was ist Ehre, ein wandelbarer Begriff, eine erstarrte Formel bestimmter gesellschaftlicher Schichtung oder ein unverrückbarer Block in der festgefügten Mauer menschlicher Eigenschaften?


Ritter ohne Furcht und Tadel

Ein »mixtum compositum« – dürfte die rechte Antwort sein, denn jede Zeit und jeder Ort, jede Gelegenheit und jedes Objekt verlangen andere Auslegung. So wird schließlich auch der männliche Part im Erdendasein stets eine Art innere Dienstvorschrift namens Ehre anerkennen, nach der er handeln oder – schweigen soll.

So lächerlich es klingen mag, gerade in den heutigen Zeiten der Nivellierung, der Mißachtung ethischer Grundlagen und Betonung unabwendbarer physiologischer Abläufe ist jedem Manne anzuraten, auf diesem Gebiete lieber des Guten zuviel zu tun als zu wenig. Achtung dem Nächsten und der Nachbarin! Achtung vor sich selbst und den Gepflogenheiten der Allgemeinheit.

Injurien brauchen nicht immer die Ehre zu treffen und gesühnt zu werden, ein balzender Hahn bedingt sicherlich andere Kritik als ein tückischer Wilddieb. Ruhe und Besonnenheit in Fragen der Ehrverletzung ist Pflicht. Nur wenn Diplomatie und Diskretion, Großzügigkeit und Erfahrung versagen, tritt Notwehr in ihre Rechte. Unbildung Tieferstehender kann einfach nicht beleidigen – ein Duell der Rede und der Tat mit Droschkenchauffeuren oder Hausdienern wirkt donquijoteartig.[22]

Wie aber, wenn wohlüberlegter Angriff von seiten eines »Ebenbürtigen« erfolgt? Gericht? – Säbelduell? – Pistolengang? Oder: Niederschlag, Anzeige, Züchtigung? Trifft's einen als »satisfaktionsfähig« Abgestempelten – oder nicht, für jeden Gebildeten bleibt das Dilemma gleich groß. Trotz Paragraphen und Festungshaft wird auch im zwanzigsten Jahrhundert der Sekundant seine Rolle nicht ausgespielt haben. Aber wie gesagt: ultima ratio.

In Parenthese: Nichts ohne Beratung! Beleidigungsklage reicht der Anwalt ein, wenn seine Aufforderung zur Entschuldigung nichts genützt hat.

Dabei dreht sich eigentlich das Mühlrad in neunzig von hundert Fällen mehr um die Ehre der – Frau. Wir beurteilen und fühlen auch die Weibesehre anders als früher. Im weiteren Sinne individueller, nicht durch die kurzsichtige Brille des Stubenhockers, sondern mit den Augen des Menschen, der kraft seines Geistes die Welt umspannt.

Diese Ehre ist schlechthin die Persönlichkeit. Nichts mehr hat sie gemein mit partiellen Unterbegriffen von Virginität und Moral. Es muß jedem freistehen, ein Vorleben einer Frau anzuerkennen oder abzulehnen, eine Unberührte heimzuführen oder sich mit Gewesenem auseinanderzusetzen. Zweikampfanlässe haben sowieso die Emanzipation der Frau auf ein Minimum herabgedrückt, die sich selbst schon durchsetzt, ohne Vater, Bruder, Mann oder Beschützer zu Hilfe zu rufen. Sie wird, mitten im Leben stehend, sei es durch Behörden oder Brandmarkung den rechten Weg finden. Ist sie jedoch in Begleitung, obliegt es dem Herrn, für sie einzustehen.

Die chevalereske Ader im Mann weiß die Frau – ganz egal, ob einfaches Mädchen oder Weltdame – stets als etwas Köstliches zu schätzen, den Bramarbas und Raufbold umgibt aber keine Gloriole mehr in einem Säkulum, das vielleicht in naher Zukunft die Beleidigung ebenso streng mit Freiheitsstrafe ahndet wie ein Eigentumsdelikt.[23]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 22-24.
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